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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 14.12.1993
Aktenzeichen: T-543/93 R
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 85
EWG-Vertrag Art. 86
EWG-Vertrag Art. 90 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Es ist gemäß der im Vertrag festgelegten Zuständigkeitsverteilung Sache der Kommission, im Rahmen der ihr im Bereich des Wettbewerbs insbesondere durch Artikel 85 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 zugewiesenen Kontrollbefugnisse eine einstweilige Maßnahme zu ergreifen, um eine Vereinbarung über den gemeinsamen Erwerb von Fernsehrechten, für die eine Freistellungserklärung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages erteilt worden ist, auszusetzen, wenn sie das für notwendig erachtet. Die Rolle des Gemeinschaftsrichters besteht darin, die gerichtliche Kontrolle über das Vorgehen der Kommission in diesem Bereich auszuüben, aber nicht, anstelle der Kommission die Befugnisse wahrzunehmen, die ihr gemäß den vorgenannten Bestimmungen obliegen.

Im Fall eines Verfahrens der einstweiligen Anordnung, das sich in den Rahmen einer Klage einfügt, die auf Nichtigerklärung einer streitigen Entscheidung der Kommission abzielt, müssen sich im übrigen die einstweiligen Anordnungen, deren Erlaß der Richter der einstweiligen Anordnung für notwendig erachtet, grundsätzlich im Rahmen der endgültigen Entscheidung bewegen, die der Richter im Verfahren zur Hauptsache gemäß Artikel 173 in Verbindung mit Artikel 176 erlassen wird, und sich in den Rahmen der Beziehungen zwischen den Parteien einfügen. Diese Entscheidung kann jedoch keinesfalls die Nichtigerklärung der Vereinbarung über den gemeinsamen Erwerb von Fernsehrechten betreffen, die von Unternehmen geschlossen wurde, die zudem am Rechtsstreit gar nicht beteiligt sind.

Der Antrag zielt somit darauf ab, beim zuständigen Richter eine einstweilige Anordnung zu erwirken, die nicht in seine Zuständigkeit fällt; er ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

2. Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung danach zu beurteilen, ob eine vorläufige Entscheidung erforderlich ist, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Der Antragsteller ist dafür beweispflichtig, daß er den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen Schaden zu erleiden, der schwere und nicht wiedergutzumachende Folgen für ihn hätte.

Dadurch, daß sich die Antragstellerin im wesentlichen auf einen wirtschaftlichen Schaden beruft, der ihr durch die streitige Entscheidung verursacht werde, ohne Zahlenangaben über dessen Umfang zu machen, während bestimmte von der Antragsgegnerin vorgelegte Beweise Zweifel an diesem Schaden begründen, hat sie nicht dargetan, daß ihr die streitige Entscheidung ohne die beantragte einstweilige Anordnung einen Schaden verursachen könnte, der nicht mehr durch den Vollzug eines Urteils, mit dem diese Entscheidung auf die Klage für nichtig erklärt würde, zu beheben wäre. Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist daher zurückzuweisen.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTS ERSTER INSTANZ VOM 14. DEZEMBER 1993. - GESTEVISION TELECINCO SA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - VORLAEUFIGER RECHTSSCHUTZ - VORLAEUFIGE MASSNAHMEN. - RECHTSSACHE T-543/93 R

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Die Gestevisión Telecinco SA (im folgenden: Telecinco) hat mit Klageschrift, die am 18. Oktober 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung 93/403/EWG der Kommission vom 11. Juni 1993 in einem Verfahren gemäß Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/32.150 ° EBU/Eurovisions-System; ABl. L 179, S. 23) erhoben.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, hat Telecinco ferner gemäß Artikel 185 EWG-Vertrag und Artikel 104 der Verfahrensordnung des Gerichts einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidung sowie auf Erlaß von Schutzmaßnahmen zur Aussetzung des Eurovisions-Systems bis zur Entscheidung des Gerichts zur Hauptsache gestellt.

3 Die Kommission hat am 12. November 1993 zu dem von Telecinco gestellten Antrag auf einstweilige Anordnung schriftlich Stellung genommen.

4 Die Parteien haben am 16. November 1993 mündlich verhandelt. Am 24. November 1993 hat die Antragstellerin zum Verlauf der Sitzung im Verfahren der einstweiligen Anordnung Stellung genommen. Mit Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom selben Tag ist dieser Schriftsatz zu den Akten genommen worden. Mit Schreiben vom 30. November 1993 hat die Kommission zu dem Schriftsatz Stellung genommen.

5 Vor der Prüfung der Begründetheit des beim Gericht gestellten Antrags ist kurz auf den Kontext und die Vorgeschichte der vorliegenden Rechtssache hinzuweisen, wie sie sich aus den Schriftsätzen der Parteien und den mündlichen Ausführungen in der Sitzung vom 16. November 1993 ergeben.

6 Der vorliegende Antrag von Telecinco auf einstweilige Anordnung richtet sich gegen eine von der Kommission nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag erlassene Entscheidung, mit der die Bestimmungen des Artikels 85 Absatz 1 für die Zeit vom 26. Februar 1993 bis 25. Februar 1998 auf die Statutsbestimmungen und sonstigen Regelungen der Europäischen Rundfunk- und Fernseh-Union (im folgenden: EBU) betreffend den Erwerb von Fernsehrechten für Sportveranstaltungen, den Austausch von Sportprogrammen im Rahmen von Eurovision und den vertraglichen Zugang von Drittparteien zu solchen Programmen für nicht anwendbar erklärt werden. Diese Freistellungserklärung ist mit zwei Auflagen verbunden: zum einen mit der Verpflichtung für die EBU und deren Mitglieder, gemeinsame Fernsehrechte für Sportveranstaltungen nur im Rahmen von Vereinbarungen zu erwerben, die es entweder der EBU und deren Mitgliedern gestatten, Drittparteien Zugang zu gewähren, oder die es den Inhabern der Rechte gestatten, Drittparteien Zugang entsprechend der Zugangsregelung der EBU oder ° vorbehaltlich der Zustimmung der EBU ° unter für Nichtmitgliedern günstigeren Bedingungen zu gewähren, und zum anderen mit der Verpflichtung, die Kommission von allen Änderungen und Ergänzungen der angemeldeten Regeln, von allen Schiedsverfahren betreffend Streitigkeiten im Rahmen der Zugangsregelung und von allen Entscheidungen über Anträge von Drittparteien auf Mitgliedschaft in Kenntnis zu setzen.

7 Telecinco ist im März 1989 gegründet und von den zuständigen spanischen Behörden ermächtigt worden, für einen Zeitraum von zehn Jahren, der verlängert werden kann, in Spanien einen privaten Fernsehdienst zu betreiben.

8 Die EBU ist eine 1950 gegründete Vereinigung von Rundfunk- und Fernsehanstalten ohne Erwerbszweck mit Sitz in Genf. Gemäß Artikel 2 ihrer Statuten hat die EBU das Ziel, die Zusammenarbeit unter ihren Mitgliedern und mit den Rundfunk- und Fernsehanstalten der ganzen Welt zu fördern und die Interessen ihrer Mitglieder in Programmfragen, rechtlichen, technischen und anderen Angelegenheiten zu vertreten. Seit dem Zusammenschluß mit ihrem osteuropäischen Pendant zählt die EBU 77 aktive Mitglieder in 47 Ländern, die im europäischen Sendegebiet liegen, von denen die meisten öffentlich-rechtliche oder mit öffentlichen Aufgaben betraute Anstalten sind. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre ° die durch die Entwicklung der vorwiegend kommerziellen Rundfunk- und Fernsehunternehmen gekennzeichnet waren ° hat die EBU jedoch private Fernsehanstalten wie die französischen Gesellschaften Canal Plus und TF1 ° letztere wurde 1986 privatisiert ° als aktive Mitglieder zugelassen oder in ihrer Mitte behalten.

9 Die Statuten der EBU sind 1988 geändert worden, um, wie sie selbst erklärt, "die Verpflichtung der Mitglieder hervorzuheben, eine besondere Aufgabe von öffentlichem Interesse zu erfuellen, der sie aufgrund ihrer Gesetzgebung und/oder der nationalen Praxis verpflichtet sind und die sie als eine besondere Gruppe von Rundfunk- und Fernsehanstalten mit gemeinsamen Verpflichtungen und Interessen kennzeichnet". Um den wohlerworbenen Rechten der früheren Mitglieder Rechnung zu tragen, bestimmen die geänderten Statuten der EBU in Artikel 21, daß Artikel 3 Absatz 2 der neuen Fassung die Rechtsstellung der Anstalten nicht beeinträchtigt, die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens ° am 1. März 1988 ° bereits aktive Mitglieder sind, jedoch künftig nicht mehr alle in diesem Absatz festgelegten Voraussetzungen erfuellen. Nach Artikel 3 Absatz 2 neuer Fassung bestehen die Mitglieder der EBU aus zwei Gruppen: aktive Mitglieder und assoziierte Mitglieder. Als aktive Mitglieder der EBU werden zugelassen Rundfunk- und Fernsehanstalten oder deren Zusammenschlüsse, die in einem Land des europäischen Sendegebiets mit Genehmigung der zuständigen Behörden ein Programm nationalen Charakters und nationaler Bedeutung ausstrahlen und ausserdem nachweisen, daß sie kumulativ drei Voraussetzungen erfuellen: Versorgung der gesamten Landesbevölkerung oder tatsächliche Versorgung eines wesentlichen Teils davon, Angebot eines vielseitigen und ausgewogenen Programms für alle Bevölkerungsschichten und Produktion eines wesentlichen Teils der ausgestrahlten Programme unter ihrer eigenen Kontrolle.

10 Die Eurovision bildet den wichtigsten Rahmen für den Austausch von Programmen zwischen den aktiven Mitgliedern der EBU. Artikel 3 Absatz 5 der Statuten lautet: "Die Eurovision beruht auf der Verpflichtung der Mitglieder, sich gegenseitig ihre Berichterstattung über wichtige Nachrichten sowie ihre aktuellen Reportagen und ihre Berichterstattung über sportliche und kulturelle Ereignisse, die in ihrem Land stattfinden, anzubieten, soweit sie für die übrigen Mitglieder der Eurovision von Interesse sein können." Im übrigen können sich alle aktiven Mitglieder der EBU an einem System des gemeinsamen Erwerbs und der gemeinsamen Nutzung von Fernsehrechten (und damit verbundenen Kosten), den sogenannten "Eurovisionsrechten", für internationale Sportveranstaltungen beteiligen. Artikel 3 Absatz 6 der Statuten, der bei der Änderung von 1988 hinzugefügt wurde, hat einen vertraglichen Zugang zur Eurovision vorgesehen, den die assoziierten Mitglieder (derzeit 54) und die Nichtmitglieder der EBU erhalten können.

11 Am 3. April 1989 meldete die EBU bei der Kommission ihre Regeln über den Erwerb von Fernsehrechten für Sportveranstaltungen, den Austausch von Sportprogrammen im Rahmen der Eurovision und den vertraglichen Zugang für Dritte zu solchen Programmen an und beantragte zugleich ein Negativattest oder ersatzweise eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag. Sie teilte mit, daß sich nach diesen Regeln der vertragliche Zugang Dritter zu den Fernsehrechten, die die Mitglieder der EBU aufgrund von im Rahmen der Eurovision geschlossenen Abkommen über Sportübertragungen erworben haben, sowie zur Berichterstattung über diese Sportveranstaltungen mit Hilfe eines Systems vollziehe, bei dem die EBU oder ihre Mitglieder Unterlizenzen vergeben, die es den Nichtmitgliedern ermöglichen, ihre eigenen Sportprogramme zu ergänzen, sofern sie nicht selbst die Übertragungsrechte auf dem Markt erworben haben. Nach dem sogenannten "Embargo"-Prinzip erhielten Nichtmitglieder grundsätzlich nur das Recht auf eine zeitversetzte Übertragung.

12 Mit Mitteilung vom 5. Oktober 1990 gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, der Ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), machte die Kommission den wesentlichen Inhalt dieser Anmeldung im ABl. C 251, S. 2, bekannt und kündigte an, daß sie beabsichtige, eine positive Entscheidung zu treffen. Infolge der von Dritten an sie gerichteten kritischen Bemerkungen veranstaltete die Kommission am 18. und 19. Dezember 1990 eine Anhörung, in der alle interessierten Parteien zusammentrafen. Aus den Akten geht hervor, daß die Klägerin der Kommission schriftliche Erklärungen vorgelegt und an dieser Anhörung teilgenommen hat.

13 Am 24. Juni 1991 richtete die Kommission eine Mitteilung von Beschwerdepunkten an die EBU, in der sie erklärte, daß das System der Vergabe von Unterlizenzen "nicht annehmbar ist".

14 Die streitige Entscheidung wurde von der Kommission erlassen, nachdem die EBU eine weitere, im Einvernehmen mit der Kommission revidierte Fassung der Regeln über das System der Vergabe von Unterlizenzen vorgelegt hatte.

Entscheidungsgründe

15 Nach Artikel 185 und 186 EWG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 4 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

16 Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts müssen Anträge auf einstweilige Anordnung im Sinne der Artikel 185 und 186 EWG-Vertrag die Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, anführen; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Die beantragten Maßnahmen müssen in dem Sinne vorläufig sein, daß sie die Entscheidung zur Hauptsache nicht vorwegnehmen (vgl. Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 13. Mai 1993, CMBT/Kommission, T-24/93 R, Slg. 1993, II-543).

Vorbringen der Parteien

17 Zur Begründung ihres Antrags auf einstweilige Anordnung macht die Antragstellerin geltend, daß es im vorliegenden Fall zur Vermeidung eines für sie schwerwiegenden und nicht wiedergutzumachenden Schadens vor der Verkündung des Urteils nicht genüge, den Vollzug der streitigen Entscheidung der Kommission auszusetzen. Darüber hinaus sei es erforderlich, das durch diese Entscheidung freigestellte Eurovisions-System und insbesondere die Vereinbarung über den gemeinsamen Erwerb von Fernsehrechten für internationale Sportveranstaltungen vorsorglich auszusetzen.

18 Dazu trägt die Antragstellerin vor, daß der wirtschaftliche Schaden, den ihr das Eurovisions-System sowie die streitige Entscheidung verursachten, offensichtlich, schwerwiegend und nicht wiedergutzumachen sei. Zum einen hindere dieses System die Antragstellerin daran, Senderechte für Sportveranstaltungen zu erwerben und sie demgemäß in ihr Programm aufzunehmen, was ein schlechtes Markenimage zur Folge habe, das bei den Fernsehzuschauern praktisch nicht korrigiert werden könne. Dies falle um so schwerer ins Gewicht, als die Antragstellerin, die als Privatsender ausschließlich von Werbeeinnahmen abhängig sei, eine bestimmte Einschaltquote zu ihrem Fortbestehen benötige. Zum anderen werde das Unvermögen der Antragstellerin, mit der EBU und deren Mitgliedern in Wettbewerb zu treten, noch verstärkt durch die privilegierte Rechtsstellung, die die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten in Spanien insbesondere wegen ihrer doppelten Finanzierung sowohl durch die Werbung als auch durch zahlreiche staatliche Beihilfen hätten. Statt diesen Sachverhalt zu ändern, habe die Kommission eine Entscheidung erlassen, die den nationalen Behörden und Gerichten eine Grundlage dafür biete, diese dem Vertrag zuwiderlaufende privilegierte Rechtsstellung beizubehalten. Falls diese Verhältnisse fortdauerten, sehe sich die Antragstellerin gezwungen, vom Markt zu verschwinden, da sie nicht über hinreichende Finanzmittel verfüge, um sich dort zu behaupten.

19 Hinsichtlich des Fumus boni iuris macht die Antragstellerin geltend, daß die Klage dem ersten Anschein nach begründet sei. Erstens sei die streitige Entscheidung wegen Verletzung wesentlicher Formvorschriften fehlerhaft, da die Kommission entgegen den Vorschriften von Artikel 19 der Verordnung Nr. 17 der Antragstellerin nicht die wahren Gründe für die Freistellung mitgeteilt und sie nach der Änderung des Systems der Vergabe von Unterlizenzen durch die EBU nicht angehört habe. Zweitens verletze die angefochtene Entscheidung den Grundsatz der Gleichheit zwischen den Unternehmen zum Nachteil der Privatsender dadurch, daß sie den Mitgliedsunternehmen der EBU die Nichtanwendung der Wettbewerbsregeln gestatteten. Die Kommission gehe fehl in ihrer Auffassung, daß diese Unternehmen mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut seien und demzufolge unter Artikel 90 Absatz 2 EWG-Vertrag fielen, obwohl es sich nur um Unternehmen im Sinne von Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag handele und zwei von ihnen ° TF1 und Canal Plus ° sogar Privatunternehmen seien. Drittens stelle die streitige Entscheidung gleichzeitig eine Maßnahme dar, mit der die Kommission unter Verletzung von Artikel 90 Absatz 1 EWG-Vertrag öffentliche Unternehmen begünstige. Da viertens das auf Verlangen der Kommission geänderte System der Vergabe von Unterlizenzen in der Praxis keinerlei Wirksamkeit habe, könne nicht der Schluß gezogen werden, daß das Eurovisions-System die in Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag festgelegten Voraussetzungen erfuelle. Fünftens stärke das Eurovisions-System eindeutig die beherrschende Stellung auf dem Markt der Übertragungsrechte für Sportveranstaltungen, die die EBU und einige ihrer Mitglieder besässen, und stelle mithin einen Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag dar. Schließlich habe die streitige Entscheidung nicht bezweckt und bewirkt, Wettbewerbsregeln anzuwenden, sondern vielmehr, die Beziehungen zwischen den öffentlichen und den privaten Sendern auf dem Markt der Fernsehrechte zu regeln sowie die Behörden und die öffentlichen Unternehmen zu ermächtigen, alle Maßnahmen, die den genannten Unternehmen Vorrechte einräumten, beizubehalten; dies gehe über die Befugnisse der Kommission im Rahmen eines Verfahrens im Bereich des Wettbewerbs hinaus.

20 Demgegenüber vertritt die Kommission zunächst die Auffassung, daß das Vorbringen der Antragstellerin nicht darauf schließen lasse, daß die Gefahr eines schwerwiegenden und nicht wiedergutzumachenden Schadens bestehe. Die Antragstellerin habe keinen greifbaren Beweis erbracht, z. B. Zahlenangaben, die einen Rückgang der Einschaltquote oder eine Verringerung der Werbeeinnahmen auswiesen. Die im Besitz der Kommission befindlichen Unterlagen wiesen ganz im Gegenteil darauf hin, daß es der Antragstellerin gelungen sei, nicht nur auf dem Markt Fuß zu fassen, sondern auch dort ihre Stellung zu verbessern. Mehr noch, sie strahle Sportsendungen wie jeder andere Fernsehkanal aus und besitze sogar eine Reihe von Ausschließlichkeitsrechten für die Übertragung internationaler Sportveranstaltungen in Spanien. In diesem Zusammenhang hebt die Kommission hervor, daß nach Auskünften, die von der RTVE (einem öffentlich-rechtlichen spanischen Fernsehkanal) erteilt worden seien, die Antragstellerin nie irgendein Angebot für den Erwerb von Rechten in bestimmten Sportbereichen gemacht und sich nie mit der RTVE in Verbindung gesetzt habe, um eine Unterlizenz für die Ausstrahlung von Sportveranstaltungen zu erhalten, für die diese die Rechte im Rahmen oder ausserhalb des Eurovisions-Systems erworben habe. Auf jeden Fall habe die Antragstellerin nicht dargetan, daß sie ohne das Eurovision-System mehr Ausstrahlungsrechte hätte erlangen können. Schließlich berechtige die streitige Entscheidung keineswegs zu etwaigen Wettbewerbsverzerrungen, die durch die von der Antragstellerin aufgezeigten staatlichen Beihilfen für öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten hervorgerufen würden.

21 Was den Antrag auf Aussetzung der Anwendung des innerhalb der EBU geschlossenen Abkommens über den gemeinsamen Erwerb von Fernsehrechten für Sportveranstaltungen und allgemein für Programme des Eurovisions-Systems angehe, so halte die Kommission diesen Antrag für unzulässig, da das Gericht nach Artikel 185 und 186 EWG-Vertrag weder die Aussetzung eines zwischen Dritten geschlossenen Abkommens anordnen noch sich an die Stelle der Kommission bei der Ausübung der Befugnisse, die ihr Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 einräume, setzen könne. Jedenfalls sei dieser Antrag aus denselben Gründen, die ihres Erachtens die Zurückweisung des anderen Antrags auf einstweilige Anordnung rechtfertigten, zurückzuweisen.

22 Im übrigen rechtfertige keiner der von der Antragstellerin in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht vorgebrachten Klagegründe gegen die Rechtmässigkeit der streitigen Entscheidung dem ersten Anschein nach den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Zum einen ist die Kommission hinsichtlich der gerügten Verletzung wesentlicher Formvorschriften der Ansicht, daß Artikel 19 der Verordnung Nr. 17 sie weder verpflichte, die Gründe, die sie zum Erlaß einer Freistellungsentscheidung veranlasst hätten, im voraus zu veröffentlichen, noch die Antragstellerin ein zweites Mal anzuhören, da diese sich verfahrensrechtlich nicht in der gleichen Lage befinde wie die Unternehmen, die von dem von der Kommission eingeleiteten Verfahren unmittelbar betroffen seien. Zum anderen meint die Kommission zu der gerügten Verletzung der Wettbewerbsregeln des Vertrages, sie räume zwar ein, daß diese Regeln in gleicher Weise auf öffentliche und private Unternehmen Anwendung finden müssten, sie könne jedoch im Rahmen eines Freistellungsverfahrens den Besonderheiten des Wirtschaftssektors, in dem die ° öffentlichen oder privaten ° Unternehmen tätig seien, oder den Verpflichtungen, denen sie unterlägen, Rechnung tragen, und zwar unbeschadet der spezifischen Bestimmungen des Artikels 90 EWG-Vertrag, insbesondere seines Absatzes 2. Die Tatsache, daß die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung in einem bestimmten Zusammenhang nicht erfuellt seien, bedeute nicht, daß die besondere Lage einer Unternehmensgruppe bei der Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag auf eine innerhalb dieser Gruppe getroffene Vereinbarung nicht berücksichtigt werden könne. Auf jeden Fall habe sich die Kommission bei der Gewährung der streitigen Freistellung nicht in erster Linie auf die "besondere Aufgabe einer öffentlichen Dienstleistung" gestützt. Sie habe sich darauf beschränkt, die positiven Auswirkungen der fraglichen Vereinbarungen zu bewerten und nur subsidiär, im Rahmen der Prüfung, ob diese Vereinbarungen unerläßlich seien, die Verpflichtungen, die die Mitgliedschaft in der EBU mit sich bringe, zu berücksichtigen. Hinsichtlich des angeblichen Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung, die die streitigen Vereinbarungen darstellen sollen, verweist die Kommission auf die streitige Entscheidung, in der sie feststelle, daß die EBU nicht einmal eine beherrschende Stellung einnehme. Was schließlich die gerügte Unzuständigkeit der Kommission angehe, so beziehe sich ihre Freistellungsentscheidung auf eine angemeldete Vereinbarung, und ihre rechtliche Analyse hinsichtlich der Freistellung stütze sich auf die Besonderheiten des konkreten Falles.

Würdigung durch den Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung

23 Zunächst ist festzustellen, daß die Antragstellerin in ihrem Antrag den Richter um den Erlaß von zwei einstweiligen Anordnungen ersucht: zum einen die Aussetzung des Eurovisions-Systems über den gemeinsamen Erwerb von Fernsehrechten für internationale Sportveranstaltungen, das mit der streitigen Entscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag freigestellt wurde, und zum anderen die Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung.

24 Zum ersten Antrag ist zu bemerken, daß es gemäß der im Vertrag festgelegten Zuständigkeitsverteilung Sache der Kommission ist, im Rahmen der ihr im Bereich des Wettbewerbs insbesondere durch Artikel 85 EWG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 zugewiesenen Kontrollbefugnisse eine einstweilige Maßnahme wie die im vorliegenden Fall beantragte zu ergreifen, wenn sie das für notwendig erachtet. Die Rolle des Gerichts besteht darin, die gerichtliche Kontrolle über das Vorgehen der Kommission in diesem Bereich auszuüben, aber nicht, anstelle der Kommission die Befugnisse wahrzunehmen, die ihr gemäß den vorgenannten Bestimmungen obliegen (vgl. Beschluß des Gerichtshofes vom 17. Januar 1980 in der Rechtssache 792/79 R, Camera Care/Kommission, Slg. 1979, 119, Randnrn. 18 und 20, und Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 6. Dezember 1989 in der Rechtssache T-131/89 R, Cosimex/Kommission, Slg. 1990, II-1, Randnr. 12).

25 Im übrigen ist daran zu erinnern, daß sich das vorliegende Verfahren der einstweiligen Anordnung in den Rahmen einer Klage einfügt, die nach Artikel 173 EWG-Vertrag erhoben wurde und auf die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung der Kommission abzielt. Die einstweiligen Anordnungen, deren Erlaß der zuständige Richter für notwendig erachtet, müssen sich daher grundsätzlich im Rahmen der endgültigen Entscheidung bewegen, die das Gericht gemäß Artikel 173 in Verbindung mit Artikel 176 EWG-Vertrag erlassen wird, und sich in den Rahmen der Beziehungen zwischen den Parteien, hier der Antragstellerin und der Kommission, einfügen. Die Entscheidung des Gerichts im Rahmen der Klage kann jedoch keinesfalls die Nichtigerklärung der Vereinbarung über den gemeinsamen Erwerb von Fernsehrechten betreffen, die innerhalb der EBU von Unternehmen geschlossen wurden, die zudem am Rechtsstreit gar nicht beteiligt sind.

26 Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß der erste Antrag darauf abzielt, beim zuständigen Richter eine einstweilige Anordnung zu erwirken, die nicht in seine Zuständigkeit fällt und die daher als unzulässig zurückgewiesen werden muß.

27 Hinsichtlich des zweiten Antrags ist daran zu erinnern, daß nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung die Dringlichkeit der beantragten einstweiligen Anordnungen danach zu beurteilen ist, ob sie erforderlich sind, um zu verhindern, daß vor einer Entscheidung über die Klage dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Der Antragsteller ist dafür beweispflichtig, daß er den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen Schaden zu erleiden, der schwere und nicht wiedergutzumachende Folgen für ihn hätte (vgl. insbesondere Beschluß in der Rechtssache CMTB/Kommission, a. a. O., Randnr. 31).

28 Hierzu ist festzustellen, daß sich die Antragstellerin im wesentlichen auf einen "wirtschaftlichen Schaden" beruft, der ihr durch die streitige Entscheidung und durch das Eurovisions-System verursacht werde, ohne hierfür greifbare Beweise, wie Zahlenangaben über einen eventuellen Rückgang der Einschaltquote oder eine Verringerung der Werbeeinnahmen, vorgelegt zu haben. Die Kommission hat hingegen Zahlenangaben vorgelegt, um darzutun, daß es der Antragstellerin sogar gelungen sei, ihre Marktstellung zu verbessern (von einem Marktanteil von 13,8 % Einschaltquote im Jahr 1991 auf einen Marktanteil von 20,7 % im Mai 1993). Wie die Kommission im übrigen ° von der Antragstellerin unwidersprochen ° betont, hat letztere bisher das erwähnte System des vertraglichen Zugangs nicht in Anspruch genommen, um Sportveranstaltungen, für die die Rechte im Rahmen des Eurovisions-Systems erworben wurden, in ihr Programm aufzunehmen.

29 Zu dem neuen Gesichtspunkt, den die Antragstellerin in ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung im Verfahren der einstweiligen Anordnung vorgebracht hat, wonach die RTVE infolge der Übertragung eines besonders wichtigen Fußballspiels eine ungewöhnliche Einschaltquote aufgewiesen habe, ist zu bemerken, daß es sich nur um einen Einzelfall handelt, der demzufolge nicht als ausschlaggebender Beweis für die Rechtfertigung der Dringlichkeit der beantragten einstweiligen Anordnung anzusehen ist. Auf jeden Fall räumt die Antragstellerin selbst ein, daß die Fernsehrechte für diese Sportveranstaltung nicht im Rahmen des Eurovisions-Systems erworben worden seien.

30 Nach allem hat die Antragstellerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht dargetan, daß unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ohne die beantragte einstweilige Anordnung die streitige Entscheidung ihr einen Schaden verursachen könnte, der nicht mehr durch den Vollzug eines Urteils des Gerichts, mit dem die streitige Entscheidung auf die Klage für nichtig erklärt würde, zu beheben wäre.

31 Daher ist, ohne daß zu prüfen wäre, ob die Klage der Antragstellerin prima facie begründet ist, festzustellen, daß die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung nicht vorliegen und der Antrag daher zurückzuweisen ist.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 14. Dezember 1993

Ende der Entscheidung

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