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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 18.09.1995
Aktenzeichen: T-548/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, VO (EWG) Nr. 17/62


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 85
EWG-Vertrag Art. 86
EWG-Vertrag Art. 90 Abs. 1
VO (EWG) Nr. 17/62 Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Kommission hat, wenn sie mit einer Beschwerde nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 befasst wird, die Möglichkeit, unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsinteresses den Prioritätsgrad zu bestimmen, der dieser Beschwerde beizumessen ist, und sie hat das Recht, zu beschließen, daß die Untersuchung der Angelegenheit auf der Grundlage der verschiedenen Vertragsbestimmungen, die in der Beschwerde angeführt werden, eingeleitet und durchgeführt wird, sofern das Gemeinschaftsinteresse ihrer Ansicht nach eine solche Behandlung der Beschwerde gebietet. In gleicher Weise ist die Kommission zwar gehalten, die ihr durch Artikel 90 Absatz 3 des Vertrages verliehene Überwachungsbefugnis hinsichtlich der Einhaltung der Wettbewerbsregeln durch die Mitgliedstaaten wahrzunehmen, doch kann sie nicht verpflichtet sein, auf den Antrag eines einzelnen auf der Grundlage dieses Artikels tätig zu werden, insbesondere nicht gegenüber Unternehmen, die mit der Verwaltung von im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Diensten betraut sind, zumal wenn ein solches Tätigwerden die Beurteilung der Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht erfordert.

Misst die Kommission jedoch, wenn sie mit einer Beschwerde befasst wird, in der gleichzeitig Zuwiderhandlungen gegen die Artikel 85 und 86 sowie gegen Artikel 90 des Vertrages angeführt werden, der Prüfung der Rügen bezueglich der Zuwiderhandlung gegen Artikel 90, die sich aus nationalen Rechtsvorschriften über die Einrichtung eines Monopols ergeben soll, Priorität bei, weil sie der Ansicht ist, daß die durch die Beschwerde aufgeworfene Wettbewerbsproblematik nur durch die Prüfung der Vereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschriften über ein gesetzliches Monopol mit den Vorschriften des Vertrages und durch ein etwaiges Tätigwerden nach Artikel 90 des Vertrages gelöst werden könne, so kann sie, bevor sie ihre Prüfung gemäß Artikel 90 zu Ende geführt hat, die Beschwerde gemäß den Artikeln 85 und 86 nicht dadurch endgültig zurückweisen, daß sie sich auf die Unanwendbarkeit dieser Artikel stützt, denn einer solchen Zurückweisung in diesem Stadium wäre keine aufmerksame Prüfung der in der Beschwerde vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte vorausgegangen.

Denn entweder stellt die Kommission die Vereinbarkeit der betreffenden nationalen Rechtsvorschriften mit dem Vertrag fest, so daß die Verhaltensweisen des beschuldigten Unternehmens, falls sie mit diesen Rechtsvorschriften vereinbar sind, als mit den Artikeln 85 und 86 vereinbar angesehen werden oder, falls sie dies nicht sind, daraufhin geprüft werden müssen, ob sie Zuwiderhandlungen gegen diese Artikel darstellen, oder die Kommission stellt fest, daß diese Rechtsvorschriften nicht mit dem Vertrag vereinbar sind, so daß zu prüfen ist, ob der Umstand, daß sich das Unternehmen an sie gehalten hat, ihm gegenüber zum Erlaß von Maßnahmen führen kann, die auf Abstellung von Zuwiderhandlungen gegen die Artikel 85 und 86 gerichtet sind.

2. Der im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gestellte Antrag, der Kommission aufzugeben, eine Beschwerde erneut zu prüfen, ist unzulässig. Der Gemeinschaftsrichter ist nämlich nicht befugt, im Rahmen der von ihm ausgeuebten Rechtmässigkeitskontrolle gegenüber den Organen Anordnungen zu treffen oder sich an deren Stelle zu setzen, und es ist Sache des betreffenden Organs, gemäß Artikel 176 des Vertrages die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus einem auf eine Nichtigkeitsklage ergangenen Urteil ergeben.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE ERWEITERTE KAMMER) VOM 18. SEPTEMBER 1995. - LADBROKE RACING LTD GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - ARTIKEL 85 UND 86 DES VERTRAGES - ENTGEGENNAHME VON WETTEN FUER PFERDERENNEN - AUSSCHLIESSLICHE RECHTE EINES NATIONALEN UNTERNEHMENSVERBANDES - KARTELLE - MISSBRAUCH EINER BEHERRSCHENDEN STELLUNG - ARTIKEL 90 DES VERTRAGES - FEHLENDES GEMEINSCHAFTSINTERESSE - LAENGER ZURUECKLIEGENDE ZUWIDERHANDLUNGEN GEGEN DIE WETTBEWERBSREGELN. - RECHTSSACHE T-548/93.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Die Klägerin, die Ladbroke Racing Ltd (im folgenden: Ladbroke), ist eine von der Ladbroke Group plc kontrollierte Gesellschaft englischen Rechts, deren Tätigkeitsbereich u. a. die Organisation und Bereitstellung von Wettdiensten bei Pferderennen umfasst. Sie übt diese Tätigkeit über Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften im Vereinigten Königreich und in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft aus.

2 Am 24. November 1989 erhob Ladbroke im eigenen Namen sowie im Namen ihrer Tochtergesellschaften und Gesellschafter bei der Kommission eine Beschwerde (IV/33.374) gegen a) die Französische Republik, b) die zehn führenden Rennvereine in Frankreich, die nach den französischen Rechtsvorschriften als einzige berechtigt sind, Totalisatorwetten auf Pferderennen zu organisieren ° anfangs auf ihren Rennplätzen (Artikel 5 des französischen Gesetzes vom 2. Juni 1891 zur Regelung der Genehmigung und der Durchführung von Pferderennen), später ausserhalb von Rennplätzen (Artikel 186 des französischen Finanzgesetzes vom 16. April 1930) °, während die anderen Rennvereine nur auf dem Rennplatz Wetten für die von ihnen organisierten Rennen entgegennehmen dürfen, und c) den Pari mutül urbain (im folgenden: PMU).

3 Der PMU ist ein aus den führenden Rennvereinen in Frankreich bestehender wirtschaftlicher Interessenverband (Artikel 21 des Dekrets Nr. 83-878 vom 4. Oktober 1983 über Pferderennvereine und Totalisatorwetten), der gegründet wurde, um die Rechte dieser Vereine bei der Organisation von Totalisatorwetten ausserhalb von Rennplätzen wahrzunehmen. Die Wahrnehmung dieser Rechte durch den PMU erfolgte anfänglich in Form eines "gemeinsamen Dienstes" gemäß einem aufgrund von Artikel 186 des Finanzgesetzes vom 16. April 1930 erlassenen Dekret vom 11. Juli 1930 zur Ausdehnung der Totalisatorwetten ausserhalb von Rennplätzen, das in Artikel 1 bestimmte: "Mit Genehmigung des Ministers für Landwirtschaft können Totalisatorwetten ausserhalb der Pferderennplätze von den Pariser Rennvereinen in Zusammenarbeit mit den Rennvereinen der Provinz organisiert und durchgeführt werden." Nach Artikel 13 des Dekrets Nr. 74-954 vom 14. November 1974 über die Pferderennvereine nimmt seit diesem Tag ausschließlich der PMU die Rechte der Rennvereine in bezug auf die Totalisatorwetten ausserhalb von Rennplätzen wahr, da dieser Artikel vorsieht, daß "die Rennvereine, die zur Organisierung von Totalisatorwetten ausserhalb von Rennplätzen berechtigt sind,... die Verwaltung dieser Wetten einem gemeinsamen Dienst mit der Bezeichnung Pari mutül urbain [übertragen]". Diese Ausschließlichkeit des PMU wird ausserdem dadurch geschützt, daß es anderen Personen als dem PMU untersagt ist, Wetten für Pferderennen abzuschließen oder entgegenzunehmen (Artikel 8 der interministeriellen Verordnung vom 13. September 1985 über den Pari mutül urbain). Sie erstreckt sich auf Wetten, die im Ausland für die in Frankreich veranstalteten Rennen entgegengenommen werden, und auf Wetten, die in Frankreich für im Ausland veranstaltete Rennen entgegengenommenen werden; diese Wetten können ebenfalls nur von den zugelassenen Vereinen und/oder dem PMU abgeschlossen werden (Artikel 15 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 64-1279 vom 23. Dezember 1964 mit dem Finanzgesetz für 1965 und Artikel 21 des erwähnten Dekrets Nr. 83-878 vom 4. Oktober 1983).

4 Das System der Totalisatorwetten, das in Frankreich als einziges zugelassen ist, ist dadurch gekennzeichnet, daß die Einsätze eine gemeinsame Masse darstellen, die nach Abzug verschiedener Abgaben an die Gewinner ausgeschüttet wird. Die Wetter spielen gegeneinander, wobei die Gewinnquote von der Höhe der Einsätze und der Zahl der Gewinner abhängt; die Vergütung des Organisators der Wette stammt nicht aus den verlorenen Einsätzen der Spieler, sondern aus den Abgaben, die auf den Gesamtbetrag der Wetten erhoben werden.

5 Soweit ihre Beschwerde gegen den PMU und seine Mitgliedsvereine gerichtet war, beantragte Ladbroke bei der Kommission auf der Grundlage von Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) erstens, Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag, die aus den Vereinbarungen oder den aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen der in Frankreich zugelassenen Rennvereine untereinander und mit dem PMU folgten, festzustellen und anzuordnen, daß sie abgestellt werden. Diese Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen bezweckten angeblich, dem PMU ausschließliche Rechte für die Verwaltung und Organisation der Totalisatorwetten ausserhalb von Rennplätzen für die von den genannten Vereinen veranstalteten oder kontrollierten Rennen einzuräumen, einen Antrag auf staatliche Beihilfe zugunsten des PMU und deren Gewährung zu unterstützen und es schließlich dem PMU zu ermöglichen, seine Tätigkeiten auf andere Mitgliedstaaten als die Französische Republik auszudehnen.

6 Zweitens beantragte Ladbroke bei der Kommission in ihrer Beschwerde, Zuwiderhandlungen gegen Artikel 86 EWG-Vertrag, die aus der Einräumung ausschließlicher Rechte für die Verwaltung und Organisation von Wetten ausserhalb von Rennplätzen zugunsten des PMU sowie daraus folgten, daß der PMU eine rechtswidrige staatliche Beihilfe erhalten und die durch diese Beihilfe verschafften Vorteile zur wettbewerblichen Betätigung verwendet habe, festzustellen und anzuordnen, daß sie abgestellt werden. Weiter beantragte die Klägerin bei der Kommission, dem PMU aufzugeben, die so erhaltene rechtswidrige staatliche Beihilfe zuzueglich der marktüblichen Zinsen zu erstatten. Ausserdem wies Ladbroke die Kommission auf andere Fälle des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung durch den PMU hin, die in der Ausbeutung der Wetter, den Benutzern seiner Dienste, bestuenden, weil es keine Organisation der Wetten für Rennen auf Geländen, die nicht den führenden Rennvereinen gehörten, gebe und weil die Wetten für die Rennen auf Rennplätzen, die diesen Vereinen gehörten, nur unvollständig zugänglich seien, da die Zahl der Rennen, die zur Entgegennahme von Wetten angeboten würden, niedriger als die Zahl von Rennen sei, die hierfür in anderen Mitgliedstaaten verfügbar seien, weil der PMU und seine Agenturen die ausländischen Rennen nur eingeschränkt abdeckten und weil der PMU und seine Agenturen qualitativ schlechte Dienste anböten. Schließlich werde der Wettbewerb wegen der engen Verbindungen zwischen dem PMU und seinen wichtigsten Lieferanten verhindert, eingeschränkt oder verfälscht.

7 Soweit ihre Beschwerde gegen die Französische Republik gerichtet war, beantragte Ladbroke bei der Kommission gemäß Artikel 90 EWG-Vertrag, eine Entscheidung auf der Grundlage des Absatzes 3 dieses Artikels zu erlassen, um den Verstoß der Französischen Republik gegen folgende Vorschriften abzustellen: a) die Artikel 3 Buchstabe f, 5, 52, 53, 85, 86 und 90 Absatz 1 EWG-Vertrag wegen des Erlasses und der Beibehaltung der erwähnten Rechtsvorschriften (siehe oben, Randnrn. 2 und 3), die den Vereinbarungen der Rennvereine untereinander und mit dem PMU, durch die dem PMU ausschließliche Rechte hinsichtlich der Entgegennahme von Wetten ausserhalb von Rennplätzen eingeräumt würden, eine Rechtsgrundlage gäben und es jedermann untersagten, ausserhalb von Rennplätzen Wetten für die in Frankreich veranstalteten Pferderennen anders als über den PMU entgegenzunehmen, b) die Artikel 3 Buchstabe f, 52, 53, 59, 62, 85, 86 und 90 Absatz 1 EWG-Vertrag wegen des Erlasses und der Beibehaltung der genannten Rechtsvorschriften, die es untersagten, in Frankreich Wetten für im Ausland durchgeführte Rennen anders als durch Vermittlung der zugelassenen Rennvereine und/oder des PMU abzuschließen, und c) die Artikel 90 Absatz 1, 92 und 93 EWG-Vertrag wegen dem PMU gewährter rechtswidriger Beihilfen, deren Erstattung durch eine von der Kommission gemäß Artikel 90 Absätze 1 und 3 zu erlassende Entscheidung anzuordnen sei.

8 Mit Schreiben vom 11. August 1992 forderte Ladbroke die Kommission gemäß Artikel 175 EWG-Vertrag auf, binnen zwei Monaten zu ihrer Beschwerde vom 24. November 1989 Stellung zu nehmen. Sie ersuchte die Kommission insbesondere, gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze (1) und (2) der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) ein Schreiben an sie zu richten, falls sie der Auffassung sei, daß es keine ausreichenden Gründe gebe, um ihrer Beschwerde stattzugeben, soweit diese auf Artikel 90 Absatz 3 des Vertrages gestützt sei. Schließlich forderte Ladbroke die Kommission für den Fall, daß diese das Verfahren nach Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 nicht durchführen wolle, auf, zu ihrer Beschwerde gemäß den Artikeln 85, 86 und 90 Absatz 3 durch eine mit Gründen versehene und nach Artikel 173 EWG-Vertrag anfechtbare Entscheidung Stellung zu nehmen.

9 Mit Schreiben vom 12. Oktober 1992 teilte der stellvertretende Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb Ladbroke mit, daß die Dienststellen dieser Generaldirektion weiterhin aktiv die Beschwerde prüften, daß die Prüfung aber wegen der Komplexität und der besonderen Merkmale des betreffenden Wirtschaftszweigs erhebliche Zeit in Anspruch nehme. Er fügte hinzu, daß die Beschwerdeführerin so bald wie möglich über die Ergebnisse unterrichtet werde.

10 Am 21. Dezember 1992 erhob Ladbroke beim Gerichtshof eine Untätigkeitsklage nach Artikel 175 des Vertrages, die auf die Feststellung gerichtet war, daß es die Kommission unter Verstoß gegen den Vertrag unterlassen hat, eine Entscheidung über die Artikel 90 berührenden Aspekte ihrer Beschwerde zu erlassen. Diese Rechtssache wurde sodann an das Gericht verwiesen, wo sie als Rechtssache T-32/93 in das Register der Kanzlei eingetragen wurde. Auf die von der Kommission gegen diese Klage erhobene Einrede der Unzulässigkeit hat das Gericht entschieden, daß die Kommission infolge einer Aufforderung im Sinne von Artikel 175 nicht verpflichtet ist, eine Entscheidung an einen Mitgliedstaat zu richten, und daß die Untätigkeitsklage, die die Klägerin gegen die Kommission mit der Begründung erhoben hatte, sie habe es unterlassen, von ihren Befugnissen aus Artikel 90 Absatz 3 des Vertrages Gebrauch zu machen, daher unzulässig war (Urteil vom 27. Oktober 1994 in der Rechtssache T-32/93, Ladbroke Racing/Kommission, Slg. 1994, II-1015, Randnr. 37).

11 Bezueglich der Aspekte der Beschwerde von Ladbroke, die sich auf die angeblichen Verstösse der französischen Rennvereine und des PMU gegen die Artikel 85 und 86 des Vertrages beziehen, teilte die Kommission Ladbroke mit Schreiben vom 9. Februar 1993 gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 mit, daß sie nicht beabsichtige, der Beschwerde insoweit stattzugeben.

12 Mit Schreiben vom 5. Mai 1993 nahm Ladbroke zum Schreiben der Kommission vom 9. Februar 1993 Stellung.

13 Mit Entscheidung, die in einem Schreiben vom 29. Juli 1993 enthalten war (im folgenden: Entscheidung), wies die Kommission die Beschwerde von Ladbroke aus Gründen zurück, die sowohl in dieser Entscheidung als auch in dem der Beschwerdeführerin gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 übersandten Schreiben vom 9. Februar 1993 enthalten waren.

14 Bezueglich der angeblichen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages wegen der dem PMU eingeräumten Ausschließlichkeit bei der Verwaltung der Totalisatorwetten in Frankreich, die nach Ansicht von Ladbroke auf Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zwischen den führenden Rennvereinen beruht, war die Kommission der Auffassung, daß dieser Artikel nicht eingreife. Denn das französische Recht habe schon seit dem Gesetz vom 2. Juni 1891 jeden Wettbewerb hinsichtlich der Entgegennahme von Wetten für Pferderennen mit Ausnahme des Wettbewerbs zwischen den Rennvereinen beseitigt. Jedoch hätten die 1930 erlassenen Rechtsvorschriften, insbesondere das Dekret vom 11. Juli 1930, den Rennvereinen vorgeschrieben, bei der Organisation der Totalisatorwetten zusammenzuarbeiten und gemeinsam einen Unternehmer für die Totalisierung ihrer Wetten zu bestimmen. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, daß mit dem Dekret Nr. 74-954 vom 14. November 1974, das dem PMU ausschließliche Rechte in diesem Bereich eingeräumt habe, Absprachen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen der Rennvereine legalisiert worden seien.

15 Ausserdem sei Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages auf die von Ladbroke behaupteten Absprachen nicht anwendbar, die die Ausdehnung des Tätigkeitsbereichs des PMU ausserhalb Frankreichs bezweckt hätten. Zum einen mache die Isolierung des französischen Marktes durch die nationalen Rechtsvorschriften eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels unmöglich. Zum anderen hätten die zugelassenen Rennvereine dadurch, daß sie ihren Wirkungsbereich ausserhalb Frankreichs durch Vermittlung einer Gesellschaft mit Namen "Pari mutül international" ausgedehnt hätten, die mit der Vermarktung ihrer Dienste im Ausland betraut sei, in Wirklichkeit lediglich ihre geistigen Eigentumsrechte im Ausland in gleicher Weise ausgeuebt, wie sie sie in Frankreich ausübten, so daß nicht nur Artikel 85 Absatz 1 unanwendbar sei, sondern der Wettbewerb durch die grössere Auswahl an Wetten, die den Wettern angeboten würden, gestärkt werde. Wenn bestimmte Aktivitäten des PMU, die im Rahmen anderer Beschwerden von Ladbroke (IV/33 375, IV/33 699) geprüft würden, nach Ansicht der Kommission den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen könnten, so könnten diese Auswirkungen doch nicht die unmittelbare Folge der von den Rennvereinen gemeinsam getroffenen Bestimmung des PMU zum gemeinsamen Unternehmer sein, um die es in der vorliegenden Sache allein gehe.

16 Nach Ansicht der Kommission ist Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages auch auf die nach dem Vorbringen von Ladbroke bei den Behörden unternommenen Vorstösse nicht anwendbar, mit denen die Gewährung einer staatlichen Beihilfe an den PMU habe erreicht werden sollen, weil Artikel 85 Absatz 1 nur Verhaltensweisen der Unternehmen erfasse, die die Marktbedingungen beeinträchtigten, und nicht blosse Eingaben bei den Behörden. Überdies habe Ladbroke derartige Vorstösse nicht nachgewiesen.

17 Bezueglich der von Ladbroke behaupteten Verstösse gegen Artikel 86 des Vertrages räumte die Kommission ein, daß die Rennvereine in Frankreich ein Monopol für die Entgegennahme von Wetten ausserhalb von Rennplätzen hätten und daß der PMU als einziger Unternehmer dieser Vereine eine beherrschende Stellung auf dem französischen Markt für diese Wetten innehabe. Dennoch war die Kommission bezueglich der den führenden Rennvereinen angelasteten Mißbrauchsfälle der Ansicht, daß Artikel 86 des Vertrages nicht anwendbar sei, wenn diese Vereine dem PMU die Koordinierung und Totalisierung ihrer Wetten übertrügen, was eine blosse Rationalisierung ihrer Dienste darstelle, die ihren Interessen und den Interessen der Wetter besser gerecht werde. Ausserdem bewirke die Isolierung des französischen Marktes durch die nationalen Rechtsvorschriften, daß die Einräumung ausschließlicher Rechte an den PMU den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen könne. Was die Fälle des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung wegen der Ausbeutung der Wetter durch den PMU angehe, so seien sie nicht Gegenstand eines förmlichen Antrags auf Feststellung einer Zuwiderhandlung gewesen.

18 Ausserdem sei Artikel 86 des Vertrages ebensowenig wie Artikel 85 auf die Anträge auf Gewährung einer staatlichen Beihilfe an den PMU anwendbar.

19 Schließlich war die Kommission der Ansicht, selbst wenn die Beziehungen zwischen den Rennvereinen sowie zwischen ihnen und dem PMU unter die Artikel 85 und 86 des Vertrages fielen, könnten die Wettbewerbsbeschränkungen, die mit ihnen in Zusammenhang gebracht werden könnten, nur insoweit festgestellt werden, als sie im Zeitraum zwischen 1962 ° dem Jahr des Erlasses der Verordnung Nr. 17 ° und 1974 ° dem Jahr, in dem die Bestimmung des PMU zum einzigen Unternehmer jeden vertraglichen Charakter verloren habe und für die Rennvereine wegen der Vorschriften des erwähnten Dekrets vom 14. November 1974 zu einer rechtlichen Verpflichtung geworden sei ° lägen. Unter diesen Umständen bestehe kein Gemeinschaftsinteresse an der Feststellung einer etwaigen Zuwiderhandlung, da sie nur dazu dienen könnte, eine Schadensersatzklage von Ladbroke für die Schäden, die sie in der Zeit von 1962 bis 1974 erlitten haben könnte, zu erleichtern.

20 Unter diesen Umständen hat Ladbroke mit Klageschrift, die am 19. Oktober 1993 eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

21 Mit Schriftsatz, der am 18. Februar 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Französische Republik gemäß Artikel 115 der Verfahrensordnung beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

22 Mit Beschluß des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts vom 25. April 1994 ist die Französische Republik in dem Rechtsstreit als Streithelferin zugelassen worden.

23 Am 20. Juni 1994 hat die französische Regierung ihren Streithilfeschriftsatz vorgelegt. Zu diesem Schriftsatz hat die Klägerin am 17. Oktober 1994 Stellung genommen. Die Kommission hat keine Stellungnahme abgegeben.

24 Das schriftliche Verfahren ist ordnungsgemäß abgelaufen. Durch Entscheidung des Gerichts vom 2. Juni 1994 ist der Berichterstatter der Ersten erweiterten Kammer zugewiesen worden, der die Rechtssache infolgedessen übertragen worden ist. Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Erste erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und die Parteien aufgefordert, einige schriftliche Fragen zu beantworten. Die Parteien sind der Aufforderung des Gerichts innerhalb der festgesetzten Fristen nachgekommen.

25 In der Sitzung vom 11. Mai 1995 haben die Parteien mündlich verhandelt und die mündlichen Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

26 Die Klägerin beantragt,

° die Entscheidung gemäß den Artikeln 173 und 174 EWG-Vertrag für nichtig zu erklären;

° der Kommission aufzugeben, die Beschwerde gegen die französischen Monopole (IV/33.374) gemäß Artikel 176 EWG-Vertrag unverzueglich erneut zu prüfen;

° der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

27 Die Kommission beantragt,

° die Klage gemäß Artikel 173 als unbegründet abzuweisen;

° der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

28 Die Streithelferin beantragt,

° die Klage abzuweisen.

Begründetheit

Zum Antrag auf Nichtigerklärung

29 Zur Stützung ihres Klageantrags beruft sich die Klägerin im wesentlichen auf fünf Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund macht sie einen Verstoß der Kommission gegen ihre Aufgabe, eine Beschwerde mit der erforderlichen Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Umsicht zu prüfen, geltend, mit dem zweiten Klagegrund eine unzutreffende Anwendung des Artikels 85 des Vertrages, mit dem dritten Klagegrund eine unzutreffende Anwendung des Artikels 86 des Vertrages, mit dem vierten Klagegrund die Rechtswidrigkeit der Zurückweisung der Beschwerde wegen fehlenden Gemeinschaftsinteresses und mit dem fünften Klagegrund eine mangelhafte, widersprüchliche und unvollständige Begründung der Entscheidung.

Erster Klagegrund: Verstoß der Kommission gegen ihre Aufgabe, eine Beschwerde mit Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Umsicht zu untersuchen

° Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien

30 Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe gegen ihre Verpflichtung verstossen, die in ihrer Beschwerde vorgebrachten Tatsachen und Argumente mit der erforderlichen Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Umsicht zu prüfen (vgl. Urteil des Gerichts vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache T-7/92, Asia Motor France u. a./Kommission, Slg. 1993, II-669, Randnrn. 34 bis 36), wie der Umstand beweise, daß die Kommission unter Berufung auf die Komplexität und Schwierigkeit der Sache mehr als dreieinhalb Jahre gebraucht habe, um hinsichtlich der Beschwerde zu einem Ergebnis zu kommen, wobei sie sie letztlich aufgrund weniger, sehr einfacher Gesichtspunkte zurückgewiesen habe.

31 Ausserdem habe sich die mangelhafte Prüfung der Beschwerde durch die Kommission darin gezeigt, daß eine Reihe von Tatsachen, auf die die Entscheidung gestützt sei, unrichtig seien oder in ihr überhaupt nicht erwähnt würden.

32 Erstens sei die Kommission bezueglich des Bestehens der ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarungen, die von den Rennvereinen vor Erlaß des Dekrets Nr. 74-954 vom 14. November 1974 untereinander und mit dem PMU geschlossen worden seien, und der Zusammenhänge dieser Vereinbarungen mit den nationalen Rechtsvorschriften irrtümlich von falschen Tatsachen ausgegangen. Denn die Kommission sei sich nicht im klaren gewesen, daß das erwähnte Dekret vom 11. Juli 1930 den Rennvereinen allenfalls ein gemeinsames Handeln vorgeschrieben habe, ohne die Einzelheiten einer solchen Zusammenarbeit festzulegen oder sie zu verpflichten, alle ihre Wetten ausserhalb von Rennplätzen ausschließlich einem einzigen Drittunternehmen zu übertragen. Ausserdem habe die Kommission nicht das Dekret Nr. 48-891 vom 12. Mai 1948 berücksichtigt, das es durch Änderung und Ergänzung des Artikels 1 des Dekrets vom 11. Juli 1930 den Pariser Rennvereinen ermöglicht habe, offenbar individuell Totalisatorwetten ausserhalb von Rennplätzen zu organisieren. Bei Inkrafttreten des Vertrages und der Verordnung Nr. 17 habe es den führenden Rennvereinen somit freigestanden, ihre Wetten ausserhalb von Rennplätzen zu organisieren, was sie getan hätten, indem sie dem PMU einvernehmlich die Organisation dieser Wetten übertragen hätten. Folglich wäre die Kommission, wenn sie den Sachverhalt ordnungsgemäß beurteilt hätte, zu dem Schluß gekommen, daß das Dekret Nr. 74-954 als öffentlich-rechtliche Maßnahme, die die zugelassenen Rennvereine verpflichtet habe, ihre Wetten ausserhalb von Rennplätzen dem PMU zu übertragen, bereits bestehende Einvernehmen legalisiert habe.

33 Eine solche gesetzliche Anerkennung bereits bestehender Vereinbarungen, die gegen Artikel 85 des Vertrages verstießen, habe jedoch nicht bewirkt, daß diese Vereinbarungen nicht mehr in den Anwendungsbereich dieses Artikels des Vertrages fielen (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 30. Januar 1985 in der Rechtssache 123/83, BNIC, Slg. 1985, 391, Randnrn. 23 bis 25, vom 1. Oktober 1987 in der Rechtssache 311/85, VVR, Slg. 1987, 3801, Randnrn. 21 bis 23, vom 3. Dezember 1987 in der Rechtssache 136/86, BNIC, Slg. 1987, 4789, und insbesondere Schlussanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn, 4805, sowie vom 21. September 1988 in der Rechtssache 267/86, Van Eycke, Slg. 1988, 4769, Randnr. 16). Sie habe allenfalls gezeigt, daß die Kommission die Vereinbarkeit der nationalen französischen Rechtsvorschriften mit den Bestimmungen des Vertrages habe prüfen müssen, um zu klären, ob das Dekret Nr. 74-954 nicht in rechtswidriger Weise bereits bestehende Absprachen sanktioniert habe und ob es nicht eine blosse gesetzliche Absicherung eines zwischen den Mitgliedsvereinen des PMU und dem PMU abgestimmten Vorgehens dargestellt habe. In diesem Zusammenhang weist die Klägerin darauf hin, daß sich ihre Beschwerde gemäß Artikel 90 des Vertrages auch gegen die Französische Republik gerichtet habe und daß sie entsprechende Feststellungen der Kommission gemäß der Verordnung Nr. 17 und Artikel 90 Absatz 3 des Vertrages sowie Entscheidungen beantragt habe, mit denen der Französischen Republik habe aufgegeben werden sollen, die behaupteten Verstösse abzustellen.

34 Zweitens habe die mangelhafte Prüfung der Beschwerde durch die Kommission zu einem Irrtum hinsichtlich der Tatsachen geführt, die bei der Prüfung der Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen seien. Dieser Irrtum betreffe einmal den Umstand, daß die französischen Wetter nach einer Vereinbarung zwischen dem französischen PMU und dem belgischen PMU auf die belgischen Rennen wetten könnten, sodann den Umstand, daß es nach den französischen Rechtsvorschriften nicht untersagt sei, ausserhalb Frankreichs Wetten für französische Rennen entgegenzunehmen, und schließlich den Umstand, daß die Kommission in einer vorläufigen Entscheidung vom 11. Juni 1991 auf eine weitere Beschwerde der Klägerin eingeräumt habe, daß die staatlichen Beihilfen an den PMU den Handelsverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen könnten.

35 Drittens sei die Entscheidung über wichtige, in der Beschwerde geltend gemachte Punkte hinweggegangen, die die beherrschende Stellung der führenden Rennvereine auf dem französischen Markt für Pferderennen und die mißbräuchliche Ausdehnung dieser beherrschenden Stellung auf die nebenbei ausgeuebte Tätigkeit der Entgegennahme von Wetten ausserhalb von Rennplätzen betroffen hätten. Ausserdem sei die Entscheidung auf die Mehrzahl der in der Beschwerde gerügten Fälle des Mißbrauchs durch den PMU in bezug auf die Ausbeutung der Wetter (siehe oben, Randnr. 6) nicht eingegangen.

36 Die Kommission trägt vor, die Beschwerde der Klägerin sei mit Umsicht behandelt worden, und verweist auf die Komplexität der Sache und die Bedeutung der Probleme, die im vorliegenden Fall die Auslegung der Artikel 52, 53, 59, 62, 85, 86 und 90 Absatz 1 des Vertrages in einem Wirtschaftszweig aufwerfe, in dem sie bis heute noch nie tätig geworden sei und der moralische, kulturelle, soziale und fiskalische Fragen berühre.

37 Zu dem Vorrang, der den verschiedenen Gesichtspunkten der Beschwerde eingeräumt worden sei, führt die Kommission aus, daß sie sich bei der Auswahl von der Überlegung habe leiten lassen, daß, selbst wenn die Vereinbarungen und Verhaltensweisen der Rennvereine und des PMU, wie Ladbroke behaupte, Zuwiderhandlungen gegen die Artikel 85 und 86 des Vertrages darstellten, die Feststellung dieser Zuwiderhandlungen nur den Zeitraum zwischen 1962 und 1974 beträfe und nur dazu gedient hätte, eine etwaige Schadensersatzklage der Klägerin zu erleichtern. Daher habe das angemessenste Mittel zur Lösung der mit der Beschwerde aufgeworfenen Wettbewerbsproblematik nicht in der Feststellung solcher vor 1974 begangener Zuwiderhandlungen, durch die die Hindernisse für den Zugang zu dem betreffenden Markt, die durch die 1974 erlassenen nationalen französischen Rechtsvorschriften errichtet worden seien, nicht beseitigt worden wäre, sondern in der Prüfung der Vereinbarkeit des gesetzlichen Monopols des PMU mit den Wettbewerbsregeln des Vertrages bestanden, die sinngemäß für jede frühere oder künftige Vereinbarung zwischen den Rennvereinen auf dem Markt der Bereitstellung von Totalisatorwettdiensten ausserhalb von Rennplätzen in Frankreich gegolten hätte.

38 Die Kommission meint daher, daß sie angesichts des die gegenwärtige Situation des französischen Marktes betreffenden Antrags der Klägerin, der möglicherweise ihr Tätigwerden gegenüber dem französischen Staat erfordert habe, und des im wesentlichen das frühere Verhalten der Rennvereine und des PMU im Hinblick auf die Artikel 85 und 86 des Vertrages betreffenden Antrags der Klägerin gemäß dem Urteil des Gerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-24/90 (Automec/Kommission, Slg. 1992, II-2223) berechtigt gewesen sei, den Hauptteil ihrer Zeit und ihrer Mittel eher auf den ersten als auf den zweiten Antrag zu verwenden. Nur deshalb habe sich die Kommission, als ihr das Schreiben der Klägerin vom 11. August 1992 vorgelegen habe, in dem diese darauf bestanden habe, eine förmliche Stellungnahme zu dem die Artikel 85 und 86 betreffenden Teil ihrer Beschwerde zu erhalten, in Anbetracht der Drohung mit einer Klage nach Artikel 175 des Vertrages dazu entschlossen, sich auf den die staatlichen Maßnahmen betreffenden Teil der Beschwerde zu konzentrieren und diese Beschwerde im übrigen wegen fehlenden Gemeinschaftsinteresses zurückzuweisen.

39 Zu den Tatsachen, die nach Ansicht der Klägerin wegen einer mangelhaften Prüfung der Beschwerde unrichtig sind oder in der Entscheidung nicht erwähnt werden und die in erster Linie das Bestehen ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarungen sowie ihren Zusammenhang mit den nationalen Rechtsvorschriften betreffen, trägt die Kommission vor, daß das Bestehen dieser Vereinbarungen, das schon vor 1974 zweifelhaft gewesen sei, im Rahmen der von diesem Jahr an geltenden Vorschriften ausgeschlossen werden müsse, weil das Dekret Nr. 74-954 keinen Raum für Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen lasse und die Rennvereine seitdem nur Verpflichtungen nachgekommen seien, die durch das nationale Recht auferlegt worden seien.

40 Bezueglich der Tatsachen, die nach Ansicht der Klägerin bei der Prüfung der Auswirkungen der in der Beschwerde genannten Verhaltensweisen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten hätten berücksichtigt werden müssen, meint die Kommission zum einen, daß diese Verhaltensweisen, die unmittelbar aus dem Gesetz folgten, keine Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 85 des Vertrages haben könnten und daß eine Vereinbarung zwischen den Rennvereinen, mit der die Entgegennahme von Wetten für Pferderennen im nationalen Rahmen einem einzigen Unternehmer übertragen werde, selbst keine Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel habe. Zum anderen könne allenfalls der Handelsverkehr zwischen Mitgliedstaaten dadurch beeinträchtigt sein, daß der französische Staat dem PMU ausschließliche Rechte in bezug auf die Entgegennahme von Wetten für ausländische Rennen eingeräumt habe, doch habe die Klägerin keine genauen Angaben über den Umfang dieser Wetten gemacht. Schließlich mache der Standpunkt, den sie in ihrer Entscheidung vom 11. Juni 1991 in bezug auf eine andere Beschwerde der Klägerin über staatliche Beihilfen eingenommen habe, deutlich, daß die Auswirkungen auf den Handel von Fall zu Fall beurteilt werden müssten, und stehe nicht im Widerspruch zu den Schlußfolgerungen, zu denen sie in dieser Frage in der vorliegenden Rechtssache gelangt sei.

41 Schließlich sei die Prüfung der beherrschenden Stellung der führenden Rennvereine auf dem französischen Markt im Hinblick auf die Feststellung eines etwaigen Mißbrauchs überfluessig, weil die Übertragung ausschließlicher Rechte an den PMU eine rechtliche Verpflichtung darstelle, der die Rennvereine unterlägen. Auch stelle, selbst wenn eine solche rechtliche Verpflichtung nicht bestanden hätte, der Umstand, daß die Klägerin vor 1974 nicht beantragt habe, daß ihr das Recht zugestanden werde, die gleichen Dienste bereitzustellen wie der PMU, einen zusätzlichen Grund dafür dar, die Frage der beherrschenden Stellung der Rennvereine nicht zu prüfen. Überdies hätten die Rennvereine durch die exklusive Übertragung der Verwaltung ihrer Wetten an den PMU keine beherrschende Stellung mißbraucht, sondern lediglich ein System zur Verwaltung von Wetten gewählt, das ihren Interessen und den Interessen der Öffentlichkeit am ehesten gerecht werde und aufgrund dessen sie nicht eigenständige Verwaltungssysteme schaffen müssten. Zu der behaupteten unterlassenen Feststellung anderer Fälle des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung durch den PMU (siehe oben, Randnr. 35) weist die Kommission zum einen darauf hin, daß die angeblichen Mißbrauchsfälle nicht Gegenstand eines förmlichen Antrags auf Feststellung einer Zuwiderhandlung gewesen seien, und zum anderen darauf, daß die Klägerin kein Rechtsschutzinteresse habe, da ihr durch den angeblichen Mißbrauch, den sie im übrigen nicht bewiesen habe, kein persönlicher Schaden entstanden sei.

42 Die französische Regierung, Streithelferin, weist darauf hin, daß die Kommission in den Jahren 1990, 1991 und 1992 im Rahmen der Prüfung der Beschwerde sehr oft an sie selbst und an die staatliche französische Renneinrichtung herangetreten sei und daß sie von ihnen zahlreiche Unterlagen erhalten habe. Ausserdem sei die Kommission bei der Behandlung der Beschwerden nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, Prioritäten zu setzen. Die Regierung beruft sich hierfür auf das Urteil vom 18. November 1992 in der Rechtssache T-16/91 (Rendo u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2417), in dem das Gericht entschieden habe, daß die Kommission die Unternehmen, damit diese eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 des Vertrages abstellten, nicht verpflichten könne, sich in einer Weise zu verhalten, die einem nationalen Gesetz zuwiderlaufe, ohne dieses einer Prüfung im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht zu unterziehen.

° Würdigung durch das Gericht

43 Das Gericht ist der Ansicht, daß im vorliegenden Fall zunächst die Rüge bezueglich der Behandlung der beiden Aspekte der Beschwerde zu prüfen ist, die die angeblichen Verstösse gegen die Artikel 85 und 86 sowie gegen Artikel 90 des Vertrages betreffen, da damit die allgemeine Weise, in der die Kommission die Beschwerde geprüft hat, in Frage gestellt wird. Insbesondere ist die Frage zu prüfen, ob die Kommission verpflichtet war, die Vereinbarkeit der nationalen französischen Rechtsvorschriften mit dem Vertrag zu beurteilen, bevor sie die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf die Artikel 85 und 86 des Vertrages erlassen hat.

44 Insoweit ist erstens daran zu erinnern, daß die Kommission, wenn sie mit einer Beschwerde nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 befasst wird, die Möglichkeit hat, unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsinteresses den Prioritätsgrad zu bestimmen, der dieser Beschwerde beizumessen ist (vgl. Urteile des Gerichts Automec/Kommission, a. a. O., Randnr. 85, und vom 24. Januar 1995 in der Rechtssache T-74/92, Ladbroke/Kommission, Slg. 1995, II-115, Randnr. 58), und das Recht hat, zu beschließen, daß die Untersuchung der Angelegenheit auf der Grundlage der verschiedenen Vertragsbestimmungen, die in einer Beschwerde angeführt werden, eingeleitet und durchgeführt wird, sofern das Gemeinschaftsinteresse ihrer Ansicht nach eine solche Behandlung der Beschwerde gebietet (vgl. Urteil vom 24. Januar 1995, Ladbroke/Kommission, a. a. O., Randnr. 60).

45 Zweitens ist in bezug auf die Verpflichtung zum Tätigwerden, die der Kommission nach Artikel 90 Absatz 3 des Vertrages obliegt, daran zu erinnern, daß die Kommission, obwohl sie gehalten ist, ihre Überwachungsbefugnis hinsichtlich der Einhaltung der Wettbewerbsregeln durch die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 90 Absatz 1 des Vertrages wahrzunehmen, nicht verpflichtet sein kann, auf den Antrag eines einzelnen auf der Grundlage von Artikel 90 Absatz 3 des Vertrages tätig zu werden (vgl. Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994, Ladbroke/Kommission, a. a. O.), insbesondere nicht gegenüber Unternehmen, die mit der Verwaltung von im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Diensten betraut sind, zumal wenn ein solches Tätigwerden die Beurteilung der Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht erfordert.

46 Im vorliegenden Fall hat die Kommission das Verfahren zur Prüfung der Beschwerde der Klägerin gemäß Artikel 90 des Vertrages eingeleitet, um die Vereinbarkeit der nationalen französischen Rechtsvorschriften mit den anderen Vorschriften des Vertrages zu beurteilen, und dieses Verfahren ist noch anhängig. Demzufolge ist zu prüfen, ob die Kommission die Beschwerde der Klägerin gemäß den Artikeln 85 und 86 des Vertrages und der Verordnung Nr. 17 endgültig zurückweisen konnte, ohne zuvor die Prüfung der Beschwerde gemäß Artikel 90 des Vertrages abgeschlossen zu haben.

47 Die Kommission hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die durch die Beschwerde der Klägerin aufgeworfene Wettbewerbsproblematik könne nur durch die Prüfung der Vereinbarkeit der nationalen französischen Rechtsvorschriften über das gesetzliche Monopol des PMU mit den Vorschriften des Vertrages und durch ein etwaiges Tätigwerden nach Artikel 90 des Vertrages gelöst werden; daher sei diese Prüfung vorrangig, da ihre Ergebnisse für alle früheren oder künftigen Vereinbarungen zwischen den Rennvereinen gälten (Klagebeantwortung, Nr. 46). Folglich ist das Gericht der Auffassung, daß die Beurteilung der von Ladbroke in ihrer Beschwerde gerügten Verhaltensweisen der Rennvereine und des PMU anhand der Artikel 85 und 86 des Vertrages nicht ohne eine vorherige Prüfung der nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Bestimmungen des Vertrages vollständig erfolgen konnte.

48 Denn falls die Kommission die Vereinbarkeit der betreffenden nationalen Rechtsvorschriften mit den Vertragsbestimmungen feststellen sollte, würde die Vereinbarkeit der Verhaltensweisen der Rennvereine und des PMU mit diesen nationalen Rechtsvorschriften bewirken, daß diese Verhaltensweisen ebenfalls als mit den Artikeln 85 und 86 des Vertrages vereinbar angesehen werden müssten, während die Unvereinbarkeit der fraglichen Verhaltensweisen mit den nationalen Rechtsvorschriften zu der Feststellung führen könnte, daß diese Verhaltensweisen selbst Zuwiderhandlungen gegen diese Vertragsbestimmungen darstellen.

49 Falls die Kommission dagegen feststellen sollte, daß die nationalen Rechtsvorschriften nicht mit den Vertragsbestimmungen vereinbar sind, hätte sie anschließend zu prüfen, ob der Umstand, daß sich die Vereine und der PMU an nationale Rechtsvorschriften gehalten haben, die gegen die Vertragsbestimmungen verstossen, ihnen gegenüber zum Erlaß von Maßnahmen führen kann, die auf Abstellung von Zuwiderhandlungen gegen die Artikel 85 und 86 des Vertrages gerichtet sind.

50 Daher kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Kommission, als sie die Entscheidung über die endgültige Zurückweisung der Beschwerde der Klägerin gemäß den Artikeln 85 und 86 des Vertrages erließ, ohne zuvor ihre Prüfung der Vereinbarkeit der nationalen französischen Rechtsvorschriften mit den Bestimmungen des Vertrages abgeschlossen zu haben, ihre Verpflichtung, die ihr von den Beschwerdeführern vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte aufmerksam zu prüfen, erfuellt hat (vgl. Urteil Automec/Kommission, a. a. O., Randnr. 79), um dem Erfordernis der Gewißheit genügen zu können, das eine endgültige Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Zuwiderhandlung kennzeichnen muß (vgl. Urteil des Gerichts vom 24. Januar 1992 in der Rechtssache T-44/90, La Cinq/Kommission, Slg. 1992, II-1, Randnr. 61). Sie war in dieser Phase somit nicht berechtigt, die genannten Bestimmungen des Vertrages für unanwendbar auf die von der Klägerin erwähnten Verhaltensweisen der führenden französischen Rennvereine und des PMU zu halten und im Anschluß daran das Gemeinschaftsinteresse an einer Feststellung der von der Klägerin behaupteten Zuwiderhandlungen mit der Begründung zu verneinen, daß es sich um lange zurückliegende Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln handele.

51 Aus dem Vorstehenden folgt, daß die Kommission, indem sie die Beschwerde der Klägerin unter Berufung auf die Unanwendbarkeit der Artikel 85 und 86 des Vertrages und das fehlende Gemeinschaftsinteresse endgültig zurückgewiesen hat, bevor sie ihre Prüfung der durch diese Beschwerde in Frage gestellten Vereinbarkeit der nationalen französischen Rechtsvorschriften mit den Wettbewerbsregeln des Vertrages abgeschlossen hatte, ihre Überlegungen auf eine unzutreffende rechtliche Auslegung der Voraussetzungen gestützt hat, unter denen eine endgültige Beurteilung des Bestehens oder Nichtbestehens der angeblichen Zuwiderhandlungen erfolgen kann.

52 Demzufolge ist die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, ohne daß das Gericht die anderen Rügen zu prüfen braucht, die die Klägerin gegen die angefochtene Entscheidung erhoben hat.

Zum Antrag, der Kommission aufzugeben, die Beschwerde erneut zu prüfen

53 Die Klägerin beantragt, der Kommission aufzugeben, die Beschwerde gemäß Artikel 176 des Vertrages unverzueglich erneut zu prüfen.

54 Das Gericht erinnert daran, daß nach ständiger Rechtsprechung der Gemeinschaftsrichter nicht befugt ist, im Rahmen der von ihm ausgeuebten Rechtmässigkeitskontrolle gegenüber den Organen Anordnungen zu treffen oder sich an deren Stelle zu setzen (vgl. Urteil des Gerichts vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache T-19/90, von Hößle/Rechnungshof, Slg. 1991, II-615, Randnr. 30), und daß es Sache des betreffenden Organs ist, gemäß Artikel 176 des Vertrages die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus einem auf eine Nichtigkeitsklage ergangenen Urteil ergeben (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 24. Juni 1986 in der Rechtssache 53/85, Akzo/Kommission, Slg. 1986, 1965, Urteile des Gerichts vom 7. Juli 1994 in der Rechtssache T-43/92, Dunlop/Kommission, Slg. 1994, II-441, Randnr. 181, und vom 7. März 1995 in den Rechtssachen T-432/93, T-433/93 und T-434/93, Socurte u. a./Kommission, Slg. 1995, II-0000, Randnr. 54).

55 Daraus folgt, daß der Antrag der Klägerin, der Kommission aufzugeben, die Beschwerde erneut zu prüfen, unzulässig ist und daher abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

56 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

57 Nach Artikel 87 § 4 tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die im Schreiben vom 29. Juli 1993 enthaltene Entscheidung der Kommission, mit der die Beschwerde der Klägerin vom 24. November 1989 (IV/33.374) zurückgewiesen wurde, wird für nichtig erklärt.

2) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Streithelferin, die diese selbst trägt.

Ende der Entscheidung

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