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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 14.07.1994
Aktenzeichen: T-584/93
Rechtsgebiete: EGV, VerfO, Einheitliche Europäischen Akte


Vorschriften:

EGV Art. 173 Abs. 2
EGV Art. 4
VerfO Art. 114 § 3
Einheitliche Europäischen Akte Art. 31
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 173 Absatz 1 des Vertrages bezieht die Handlungen des Europäischen Rates nicht in die Handlungen ein, deren Rechtmässigkeit vom Gemeinschaftsrichter überprüft werden kann. Überdies schließt Artikel 31 der Einheitlichen Europäischen Akte ausdrücklich die Anwendung der Bestimmungen des Vertrages über die Zuständigkeit des Gemeinschaftsrichters auf den Europäischen Rat aus, und dieser Ausschluß wird zudem in Artikel L des Vertrages über die Europäische Union beibehalten. Daraus folgt, daß der Gemeinschaftsrichter für die Entscheidung über die Rechtmässigkeit der Erklärung des Europäischen Rates über das Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union nicht zuständig ist.

2. Der Vertrag über die Europäische Union stellt keine Handlung eines Gemeinschaftsorgans im Sinne der Artikel 4 und 173 des Vertrages dar. Folglich ist das Gericht nicht zuständig, über die Rechtmässigkeit seiner Bestimmungen zu befinden.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ZWEITE KAMMER) VOM 14. JULI 1994. - OLIVIER ROUJANSKY GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN UNION. - NICHTIGKEITSKLAGE - UNZUSTAENDIGKEIT DES GERICHTS - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE T-584/93.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 4. Januar 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EG-Vertrag Klage erhoben auf

° Feststellung des "absoluten Nichtbestehens" oder zumindest Nichtigerklärung der Erklärung des Europäischen Rates vom 29. Oktober 1993, mit der die Angehörigen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft davon unterrichtet worden seien, daß der Vertrag über die Europäische Union am 1. November 1993 in Kraft trete;

° Feststellung der Nichtigkeit des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung vom 7. Februar 1992 und des Vertrages über die Europäische Union in der durch die Erklärungen Dänemarks geänderten Fassung.

2 Die erwähnte Erklärung vom 29. Oktober 1993 wurde vom Europäischen Rat verabschiedet, der anläßlich des Inkrafttretens des Vertrages über die Europäische Union in Brüssel zusammengetreten war. Absatz 1 dieser Erklärung, veröffentlicht u. a. als Beilage zu "Europolitique" Nr. 1899 vom 3. November 1993, hat folgenden Wortlaut: "Mit dem Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union zum 1. November 1993 macht Europa einen bedeutenden Schritt nach vorn. Bedeutend wegen des Inhalts des Vertrags selbst... und bedeutend auch aufgrund der intensiven Debatte, zu der seine Ratifizierung Anlaß gegeben hat."

3 Das Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union am 1. November 1993 erfolgte im Anschluß an die Mitteilung der Italienischen Republik an die Hohen Vertragsparteien, mit der gemäß Artikel R des Vertrages die Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde durch die Unterzeichnerstaaten festgestellt wurde.

4 Der Rat der Europäischen Union hat mit Schriftsatz, der am 10. Februar 1994 bei der Kanzlei eingegangen ist, gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben.

5 Mit am 9. März 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger zur Einrede der Unzulässigkeit Stellung genommen.

6 Mit Schriftsatz, der am 18. April 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, die Rechtssache gemäß Artikel 51 der Verfahrensordnung dem Plenum des Gerichts zu unterbreiten, damit dieses sie insbesondere im Hinblick auf Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten prüft.

7 Gemäß Artikel 114 § 3 der Verfahrensordnung wird über die Einrede der Unzulässigkeit mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall hält das Gericht (Zweite Kammer) die sich aus den Akten ergebenden Angaben für ausreichend und beschließt, daß keine Veranlassung besteht, die mündliche Verhandlung zu eröffnen oder die Verweisung der Rechtssache an das Plenum vorzuschlagen.

Klagegründe und Argumente der Parteien

8 Der Kläger stützt seine Klage auf fünf Gründe: erstens Unzuständigkeit des Europäischen Rates, zweitens fehlende Überprüfung der Rechtmässigkeit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden vor der Durchführung des Vertrages, drittens rechtliches Nichtbestehen der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden der Französischen Republik infolge der Weigerung des Königreichs Dänemark vom 18. Mai 1993, den Vertrag in seiner Fassung vom 7. Februar 1992 zu ratifizieren, viertens Verletzung von Artikel 236 EWG-Vertrag und fünftens Umwandlung der Gemeinschaft in ein "ausserrechtliches Gebilde".

9 Der Rat der Europäischen Union macht in seiner Einrede der Unzulässigkeit geltend, daß die Klage keiner der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Artikels 173 Absatz 2 des Vertrages entspreche. Erstens stamme die angefochtene Erklärung nicht von einem Organ der Gemeinschaft, und zudem sei sie, da es sich um eine Handlung des Europäischen Rates handele, gemäß Artikel 31 der Einheitlichen Europäischen Akte, die zum Zeitpunkt der angefochtenen Erklärung gegolten habe, der Zuständigkeit des Gemeinschaftsrichters entzogen. Zweitens sei die Erklärung des Europäischen Rates keine anfechtbare Handlung, denn sie erzeuge als solche keine Rechtswirkungen. Drittens könne die angefochtene Erklärung nicht als eine an den Kläger ergangene Entscheidung oder als eine Entscheidung, die, obwohl sie als Verordnung ergangen sei, ihn unmittelbar und individuell betreffe, angesehen werden.

10 In seiner Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit trägt der Kläger insbesondere vor, daß seine Klage nicht gegen eine Handlung des Rates der Europäischen Union, sondern gegen die Erklärung des Europäischen Rates vom 29. Oktober 1993 gerichtet sei.

Würdigung durch das Gericht

11 Das Gericht weist vorab darauf hin, daß Gegenstand der vorliegenden Nichtigkeitsklage zum einen die Erklärung des Europäischen Rates vom 29. Oktober 1993 und zum anderen der Vertrag über die Europäische Union selbst ist.

12 Was erstens den Antrag auf Feststellung des Nichtbestehens oder auf Nichtigerklärung der Erklärung des Europäischen Rates angeht, so stellt das Gericht zunächst fest, daß Artikel 173 Absatz 1 EG-Vertrag die Handlungen des Europäischen Rates nicht in die Handlungen einbezieht, deren Rechtmässigkeit vom Gemeinschaftsrichter überprüft werden kann.

13 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 31 der Einheitlichen Europäischen Akte, die zum Zeitpunkt der Verabschiedung der angefochtenen Erklärung galt, ausdrücklich die Anwendung der Bestimmungen des EWG-Vertrags über die Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit auf den Europäischen Rat ausschließt. Der Vertrag über die Europäische Union behält in Artikel L diesen Ausschluß bei.

14 Daraus folgt, daß das Gericht für die Entscheidung über die Rechtmässigkeit der Erklärung des Europäischen Rates nicht zuständig ist, ohne daß über die anderen Teile der vom Rat der Europäischen Union erhobenen Einrede der Unzulässigkeit entschieden werden müsste.

15 Was zweitens den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Vertrages über die Europäische Union angeht, so ist festzustellen, daß dieser keine Handlung eines Gemeinschaftsorgans im Sinne der Artikel 4 und 173 EG-Vertrag darstellt und daß das Gericht folglich nicht zuständig ist, über die Rechtmässigkeit seiner Bestimmungen zu befinden (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 28. April 1988 in den Rechtssachen 31/86 und 35/86, LAISA/Rat, Slg. 1988, 2285, Randnr. 18).

16 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß das Gericht für die Entscheidung über die vorliegende Nichtigkeitsklage unzuständig ist und daß diese Klage demzufolge als unzulässig abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger mit seinem Vorbringen unterlegen ist und der Beklagte einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind dem Kläger die gesamten Kosten einschließlich der Kosten des Rates der Europäischen Union aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

beschlossen:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2) Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Luxemburg, den 14. Juli 1994.

Ende der Entscheidung

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