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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 15.06.2005
Aktenzeichen: T-71/03
Rechtsgebiete: EGV, EWR-Abkommen


Vorschriften:

EGV Art. 81 Abs. 1
EWR-Abkommen Art. 53 Abs. 1 (Sache COMP/E-2/37.667 - Spezialgraphit)
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

15. Juni 2005(*)

"Wettbewerb - Kartelle - Markt für Spezialgraphit - Festsetzung der Preise - Zurechenbarkeit - Berechnung der Geldbußen - Mehrfachahndung - Begründungspflicht - Verteidigungsrechte - Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen - Anwendbarkeit - Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung - Mildernde Umstände - Erschwerende Umstände - Zahlungsfähigkeit - Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens - Zahlungsmodalitäten"

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen T-71/03, T-74/03, T-87/03 und T-91/03

Tokai Carbon Co. Ltd mit Sitz in Tokyo (Japan), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte G. van Gerven und T. Franchoo, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Intech EDM BV mit Sitz in Lomm (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Karl und C. Steinle,

Intech EDM AG mit Sitz in Losone (Schweiz), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Karl und C. Steinle,

SGL Carbon AG mit Sitz in Wiesbaden (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Klusmann und P. Niggemann,

Klägerinnen,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Mölls, P. Hellström, F. Castillo de la Torre und S. Rating als Bevollmächtigte, in den Rechtssachen T-74/03 und T-87/03 im Beistand von Rechtsanwalt H.-J. Freund, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen völliger oder teilweiser Nichtigerklärung der Entscheidung C(2002) 5083 endg. der Kommission vom 17. Dezember 2002 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-2/37.667 - Spezialgraphit)

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Pirrung sowie der Richter A. W. H. Meij und N. J. Forwood,

Kanzler: J. Palacio González, Hauptverwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2004

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Mit der Entscheidung C(2002) 5083 endg. vom 17. Dezember 2002 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-2/37.667 - Spezialgraphit, im Folgenden: Entscheidung) stellte die Kommission die Beteiligung verschiedener Unternehmen an einer Reihe von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinn von Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) im Spezialgraphitsektor in der Zeit von Juli 1993 bis Februar 1998 fest.

2 Der Begriff "Spezialgraphit" im Sinn der Entscheidung beschreibt eine Familie von Graphitprodukten für diverse Anwendungsgebiete - ausgenommen Graphitelektroden für die Stahlerzeugung -, nämlich isostatisch gepressten Graphit, stranggepressten Graphit und formgepressten Graphit.

3 Isostatisch gepresster Graphit hat bessere mechanische Eigenschaften als stranggepresster und formgepresster Graphit, wobei die Preise der einzelnen Graphitklassen nach Maßgabe dieser mechanischen Eigenschaften schwanken. Er kommt u. a. in Form von Funkenerosionselektroden bei der Herstellung von metallischen Formen für die Automobil- und Elektronikindustrie zum Einsatz. Zu seinen weiteren Einsatzgebieten gehören Stranggusskokillen für Nichteisenmetalle wie Kupfer und Kupferlegierungen.

4 Die Produktionskosten von isostatisch gepresstem, stranggepresstem und formgepresstem Graphit unterscheiden sich um mindestens 20 %. Im Allgemeinen ist stranggepresster Graphit die kostengünstigste Kategorie und wird, sofern er den Einsatzanforderungen genügt, aus diesem Grund auch verwendet. Stranggepresste Produkte finden in zahlreichen industriellen Bereichen Anwendung, hauptsächlich in der Eisen- und Stahlindustrie, der Aluminiumindustrie, der chemischen Industrie und der Metallurgie.

5 Formgepresster Graphit findet im Allgemeinen nur bei größeren Abmessungen Anwendung, da er gewöhnlich schlechtere Eigenschaften als stranggepresster Graphit aufweist.

6 Im Allgemeinen gelangen die Spezialgraphitprodukte entweder direkt in Form von bearbeiteten Fertigerzeugnissen oder über die Zwischenstufe der Bearbeitungsbetriebe vom Hersteller zum Kunden. Diese Betriebe kaufen unbearbeitete Graphitprodukte in Block- oder Stabform, bearbeiten diese entsprechend den Anforderungen des Kunden und verkaufen das bearbeitete Produkt an den Endnutzer.

7 Die Entscheidung bezieht sich auf zwei verschiedene Kartelle, von denen das eine den Markt für isostatisch gepressten Spezialgraphit und das andere den Markt für stranggepressten Spezialgraphit umfasste, während für eine Zuwiderhandlung in Bezug auf formgepressten Graphit kein Beweis gefunden wurde. Diese Kartelle betrafen ganz spezielle Produkte, und zwar Graphit in Form ganzer Blöcke oder von Blockzuschnitten, aber keine bearbeiteten, d. h. "kundenspezifischen" Erzeugnisse.

8 Bei den größten Herstellern von Spezialgraphit in der westlichen Welt handelt es sich um multinationale Unternehmen. Der weltweite Spezialgraphitumsatz belief sich im Jahr 2000 auf ca. 900 Millionen Euro; davon entfielen etwa 500 Millionen Euro auf isostatisch gepressten Spezialgraphit und 300 Millionen Euro auf stranggepressten Spezialgraphit. Gemeinschafts- bzw. EWR-weit wurden im Jahr 2000 isostatisch gepresste Erzeugnisse im Wert von 100 bis 120 Millionen Euro und stranggepresste Erzeugnisse im Wert von 60 bis 70 Millionen Euro abgesetzt. Auf unbearbeitete Erzeugnisse entfielen ca. 35 bis 50 Millionen Euro in der Isostatik- und ca. 30 Millionen Euro in der Strangpresssparte.

9 Zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung waren die größten Hersteller von isostatisch gepresstem Spezialgraphit in der Gemeinschaft bzw. im EWR die deutsche SGL Carbon AG (im Folgenden: SGL) und die französische Le Carbone-Lorraine SA (im Folgenden: LCL). An dritter Stelle befand sich die japanische Gesellschaft Toyo Tanso Co. Ltd (im Folgenden: TT), gefolgt von weiteren japanischen Unternehmen, nämlich der Tokai Carbon Co. Ltd (im Folgenden: Tokai), der Ibiden Co. Ltd (im Folgenden: Ibiden), der Nippon Steel Chemical Co. Ltd (im Folgenden: NSC) und der NSCC Techno Carbon Co. Ltd (im Folgenden: NSCC) sowie der amerikanischen UCAR International Inc. (im Folgenden: UCAR), nunmehr GrafTech International Ltd.

10 Neben diesen Produzenten waren die Gesellschaft niederländischen Rechts Intech EDM BV und deren Tochtergesellschaft Schweizer Rechts Intech EDM AG (im Folgenden mitunter gemeinsam als "Intech" bezeichnet) auf dem Markt für isostatisch gepressten Graphit tätig. Intech besaß keine Produktionseinrichtungen. Aufgrund einer Kooperationsvereinbarung war Intech Geschäftspartner des japanischen Herstellers Ibiden in mehreren europäischen Ländern, wo sie im Alleinvertrieb die Kunstgraphitprodukte von Ibiden für die elektroerosive Bearbeitung verkaufte. Intech konnte diese Produkte auch unter eigenem Markennamen in anderen europäischen Ländern nicht exklusiv verkaufen.

11 Die Hauptakteure auf dem Weltmarkt für stranggepressten Graphit waren UCAR (40 %) und SGL (30 %). Auf dem europäischen Markt entfielen zwei Drittel des Umsatzes auf sie. Die japanischen Produzenten hatten insgesamt einen Anteil von 10 % am Weltmarkt und 5 % am Gemeinschaftsmarkt. Der Umsatzanteil der stranggepressten Produkte in Form von Blöcken und Zuschnitten (unbearbeitete Produkte) betrug bei UCAR 20 % bis 30 % und bei SGL 40 % bis 50 %.

12 Im Juni 1997 leitete die Kommission eine Untersuchung des Marktes für Graphitelektroden ein, die mit der Entscheidung vom 18. Juli 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen - Sache COMP/E-1/36.490 - Graphitelektroden (ABl. 2002, L 100, S. 1) abgeschlossen wurde. Im Verlauf dieser Untersuchung nahm UCAR im Jahr 1999 Kontakt zur Kommission auf und stellte bei ihr einen Antrag gemäß der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit). Der Antrag betraf mutmaßliche wettbewerbswidrige Praktiken auf den Märkten für isostatisch gepressten Graphit und für stranggepressten Graphit.

13 Auf der Grundlage der von UCAR eingereichten Dokumente richtete die Kommission im März 2000 Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), an SGL, Intech, Ibiden, Tokai und TT und ersuchte um eingehende Erläuterungen ihrer Kontakte zu Wettbewerbern. Diese Unternehmen bekundeten gegenüber der Kommission ihre Absicht zur Mitwirkung bei deren Untersuchungen.

14 In den Vereinigten Staaten wurden im März 2000 und im Februar 2001 Anklagen gegen eine Tochtergesellschaft von LCL und eine Tochtergesellschaft von TT wegen der Teilnahme an abgestimmten Maßnahmen auf dem Markt für Spezialgraphit erhoben. Die Gesellschaften bekannten sich schuldig und wurden zu Geldstrafen verurteilt. Im Oktober 2001 bekannte sich auch Ibiden schuldig und wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.

15 Am 17. Mai 2002 übersandte die Kommission den Adressaten der Entscheidung eine Mitteilung der Beschwerdepunkte. In ihren Erwiderungen räumten alle Unternehmen außer der Intech EDM BV und der Intech EDM AG die Zuwiderhandlung ein. Keines der Unternehmen bestritt den Sachverhalt in wesentlichen Punkten.

16 Angesichts der Ähnlichkeit der von den Kartellmitgliedern angewandten Methoden, der Tatsache, dass beide Zuwiderhandlungen verwandte Produkte betrafen, und der Beteiligung von SGL und UCAR an beiden Sachen hielt es die Kommission für angebracht, die Zuwiderhandlungen auf beiden Produktmärkten in ein und demselben Verfahren zu behandeln.

17 Das Verwaltungsverfahren führte am 17. Dezember 2002 zum Erlass der Entscheidung. Darin wird den Klägerinnen sowie TT, UCAR, LCL, Ibiden, NSC und NSCC vorgeworfen, weltweit (Mindest-)Zielpreise für unbearbeiteten isostatisch gepressten Graphit festgelegt zu haben; der Klägerin SGL und UCAR wird vorgeworfen, weltweit eine vergleichbare Zuwiderhandlung im Bereich des unbearbeiteten stranggepressten Graphits begangen zu haben.

18 Zur Zuwiderhandlung auf dem Markt für isostatisch gepressten Graphit heißt es in der Entscheidung, die Preise seien nach Produkteinsatzgebiet, Bestimmungsgebiet (Europa oder USA) und Vertriebsebene (Vertriebshändler/Bearbeitungsbetriebe und große Endnutzer mit Bearbeitungskapazitäten) festgelegt und aufgeschlüsselt worden. Das Kartell habe auch zur Vereinheitlichung der Handelsbedingungen und zum Austausch von Umsatzunterlagen zwecks detaillierter Überwachung der Umsätze und Aufdeckung möglicher Abweichungen von den Kartellabsprachen gedient. In einigen Fällen sei es beim Informationsaustausch auch um die Neuaufteilung von Großkunden gegangen.

19 Weiter heißt es in der Entscheidung, die Kartellvereinbarungen über den Markt für isostatisch gepressten Graphit seien durch regelmäßige multilaterale Treffen auf vier Ebenen umgesetzt worden:

- Zusammenkünfte "auf oberster Ebene", an denen Vertreter der obersten Führungsebene der Unternehmen teilgenommen hätten und bei denen die Grundprinzipien des Zusammenwirkens festgelegt worden seien;

- "internationale Zusammenkünfte auf Arbeitsebene", die die Einstufung der Graphitblöcke in die verschiedenen Kategorien und die Festlegung der Mindestpreise für die einzelnen Kategorien betroffen hätten;

- "regionale" (europäische) Zusammenkünfte;

- "lokale" (nationale) Zusammenkünfte in Bezug auf den italienischen, den deutschen, den französischen, den britischen und den spanischen Markt.

20 Die Absprache, die Preise für isostatisch gepressten Graphit anzuheben oder ihren Rückgang aufzuhalten, hätten sich auf den Gemeinschafts- bzw. EWR-Markt ausgewirkt. Die durch die Absprachen festgelegten Preise und eine kontinuierliche Politik von Preiserhöhungen seien von 1993 bis 1998 angewandt worden. Auch wenn die Kartellteilnehmer ab 1997 Schwierigkeiten gehabt hätten, die Zielpreise durchzusetzen, seien nach dem Ende der Kartellabsprachen die Preise für isostatisch gepressten Graphit drastisch gefallen.

21 Zur Zuwiderhandlung im Bereich des stranggepressten Graphits wird in der Entscheidung ausgeführt, dass die beiden Hauptakteure auf dem relevanten europäischen Markt, SGL und UCAR, ihre Teilnahme an einer Reihe bilateraler Treffen im Zeitraum von 1993 bis Ende 1996 zugegeben hätten, auf denen es um diesen Markt gegangen sei. UCAR und SGL hätten Absprachen getroffen, um die Preise für stranggepressten Graphit auf dem Gemeinschafts- bzw. EWR-Markt in die Höhe zu treiben. Sie hätten regelmäßig Preise und Produktklassifikation erörtert, um einen gegenseitigen Preiswettbewerb zu vermeiden. Den Kunden seien die neuen Zielpreise faktisch von den Parteien abwechselnd mitgeteilt worden.

22 Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen und der rechtlichen Würdigung in der Entscheidung setzte die Kommission Geldbußen gegen die beschuldigten Unternehmen fest, die nach Maßgabe der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), sowie der Mitteilung über Zusammenarbeit berechnet wurden.

23 Nach Artikel 1 Absatz 1 der Entscheidung haben die nachstehenden Unternehmen gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie während der genannten Zeiträume an einer Reihe von Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen betreffend den Markt der Gemeinschaft und des EWR für isostatisch gepressten Spezialgraphit teilnahmen:

a) GrafTech International (UCAR) von Februar 1996 bis Mai 1997;

b) SGL von Juli 1993 bis Februar 1998;

c) LCL von Juli 1993 bis Februar 1998;

d) Ibiden von Juli 1993 bis Februar 1998;

e) Tokai von Juli 1993 bis Februar 1998;

f) TT von Juli 1993 bis Februar 1998;

g) NSC und NSCC, gesamtschuldnerisch haftbar, von Juli 1993 bis Februar 1998;

h) Intech EDM BV und Intech EDM AG, gesamtschuldnerisch haftbar, von Februar 1994 bis Mai 1997.

24 Nach Artikel 1 Absatz 2 haben die nachstehenden Unternehmen gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie während der genannten Zeiträume an einer Reihe von Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen betreffend den Markt der Gemeinschaft und des EWR für stranggepressten Spezialgraphit teilnahmen:

- SGL von Februar 1993 bis November 1996;

- GrafTech International (UCAR) von Februar 1993 bis November 1996.

25 In Artikel 3 werden folgende Geldbußen festgesetzt:

a) GrafTech International (UCAR):

- isostatisch gepresster Graphit: 0 Euro;

- stranggepresster Graphit: 0 Euro;

b) SGL:

- isostatisch gepresster Graphit: 18 940 000 Euro;

- stranggepresster Graphit: 8 810 000 Euro;

c) LCL: 6 970 000 Euro;

d) Ibiden: 3 580 000 Euro;

e) Tokai: 6 970 000 Euro;

f) TT: 10 790 000 Euro;

g) NSC und NSCC, gesamtschuldnerisch haftbar: 3 580 000 Euro;

h) Intech EDM BV und Intech EDM AG, gesamtschuldnerisch haftbar: 980 000 Euro.

26 In Artikel 3 wird außerdem angeordnet, die Geldbußen binnen drei Monaten ab Zustellung der Entscheidung zu zahlen; andernfalls fallen Verzugszinsen in Höhe von 6,75 % an.

27 Mit Schreiben vom 20. Dezember 2002 wurde die Entscheidung den einzelnen Klägerinnen übermittelt. In diesem Schreiben heißt es, nach Ablauf der in der Entscheidung genannten Zahlungsfrist werde die Kommission die Beitreibung des fraglichen Betrages veranlassen; falls Klage vor dem Gericht erhoben werde, werde jedoch von einer Beitreibung abgesehen, sofern Zinsen in Höhe von 4,75 % gezahlt und eine Bankbürgschaft gestellt würden.

28 Die Entscheidung wurde den verschiedenen Klägerinnen zwischen dem 23. Dezember 2002 und dem 8. Januar 2003 zugestellt.

Verfahren

29 Mit gesonderten Klageschriften, die zwischen dem 3. und dem 10. März 2003 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben Tokai, die Intech EDM BV, die Intech EDM AG und SGL die vorliegenden Klagen erhoben. TT hat ebenfalls Klage erhoben (Rechtssache T-72/03).

30 Nach Anhörung der Parteien hat der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichts die fünf Rechtssachen mit Beschluss vom 15. Juni 2004 gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung des Gerichts zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden. Ferner hat er die vertrauliche Behandlung bestimmter Unterlagen in den Akten angeordnet.

31 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Zweite Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen und den Parteien bestimmte Fragen zu stellen. Die Parteien haben darauf fristgerecht geantwortet.

32 In der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2004 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet. Dabei hat die Kommission u. a. zu einer Frage Stellung genommen, die ihr das Gericht im Anschluss an einen Antrag von TT auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme zur Klärung des von LCL im Jahr 1997 durch den Verkauf von isostatisch gepresstem Graphit erzielten EWR-Umsatzes gestellt hatte.

33 Mit Schriftsatz vom 23. Februar 2005 hat TT ihre Klage zurückgenommen. Durch Beschluss vom 10. Mai 2005 ist die Rechtssache T-72/03 deshalb im Register gestrichen worden.

Anträge der Parteien

34 Tokai (T-71/03) beantragt,

- Artikel 3 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit darin gegen sie eine Geldbuße von 6,97 Millionen Euro festgesetzt wird, hilfsweise, die Geldbuße erheblich herabzusetzen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

35 Die Intech EDM BV (T-74/03) beantragt,

- die Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit diese sie betrifft;

- hilfsweise, die in Artikel 3 Buchstabe h der Entscheidung festgesetzte Geldbuße herabzusetzen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

36 Die Intech EDM AG (T-87/03) beantragt,

- die Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit diese sie betrifft;

- hilfsweise, die in Artikel 3 Buchstabe h der Entscheidung festgesetzte Geldbuße herabzusetzen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

37 SGL (T-91/03) beantragt,

- die Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit diese sie betrifft;

- hilfsweise, die Höhe der ihr in der Entscheidung auferlegten Geldbuße angemessen herabzusetzen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

38 Die Kommission beantragt in allen Rechtssachen,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

39 Ziel der Klage in der Rechtssache T-71/03 ist im Wesentlichen nur die Aufhebung oder Herabsetzung der verhängten Geldbuße, wobei die Klägerin, ohne den in der Entscheidung festgestellten Sachverhalt zu bestreiten, insbesondere rügt, dass die Kommission ihre Leitlinien und ihre Mitteilung über Zusammenarbeit missachtet habe. Dagegen sind die drei anderen Klagen hauptsächlich auf die Nichtigerklärung der gesamten Entscheidung gerichtet und auf Klagegründe gestützt, mit denen die Rechtswidrigkeit der gesamten Entscheidung und/oder Fehler der Kommission bei der Feststellung des Sachverhalts der Zuwiderhandlung gerügt werden. Schließlich werden in einer Klage (T-91/03) die Zahlungsmodalitäten der verhängten Geldbußen gerügt.

40 Somit sind zunächst die Anträge auf Nichtigerklärung der gesamten Entscheidung oder bestimmter in ihr enthaltener Tatsachenfeststellungen zu prüfen. Sodann werden die Anträge auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung oder auf Herabsetzung der in Anwendung der Leitlinien und der Mitteilung über Zusammenarbeit festgesetzten Geldbußen geprüft. Abschließend werden die Rügen in Bezug auf die Zahlungsmodalitäten der Geldbußen geprüft.

A - Zu den Anträgen auf teilweise Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung und bestimmter in ihr enthaltener Tatsachenfeststellungen

1. Zu den Klagegründen, mit denen ein Rechtsirrtum durch die Einstufung von Intech als Täter einer Zuwiderhandlung im Sektor für isostatisch gepressten Graphit und eine insoweit unzureichende Begründung gerügt werden (T-74/03 und T-87/03)

a) Zusammenfassung der Entscheidung

41 In den Randnummern 378 und 401 bis 424 der Entscheidung hat die Kommission die Ansicht vertreten, dass Intech am Kartell auf dem Markt für isostatisch gepressten Graphit direkt beteiligt gewesen sei. Sie wies das Vorbringen von Intech zurück, die geltend machte, ihre gesamte Tätigkeit im Graphitsektor Europas habe auf einer mit Ibiden geschlossenen Kooperationsvereinbarung beruht, wobei sie finanziell und rechtlich von Ibiden abhängig gewesen sei, ihre Mitarbeiter an den Kartelltreffen nur im Namen und nach Anweisungen von Ibiden teilgenommen hätten und die Intech EDM AG nicht zu den Gründungsmitgliedern des Kartells gehört und nicht an dessen Zusammenkünften auf "oberster Ebene" oder den internationalen Zusammenkünften teilgenommen habe.

42 Die Kommission war dagegen der Auffassung, dass das Verhalten von Intech und Ibiden im Kartell gesondert zu würdigen sei und dass diese beiden Unternehmen für ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung in vollem Umfang verantwortlich seien. Die Intech EDM AG habe Spezialgraphitprodukte in der Gemeinschaft vertrieben und unmittelbar an den Kartelltreffen auf europäischer Ebene teilgenommen. Die Intech EDM BV, die als ehemalige Muttergesellschaft der Intech EDM AG während des Zeitraums der Zuwiderhandlung deren gesamtes Kapital gehalten habe, sei für Ibiden der einzige Ansprechpartner der Intech-Gruppe bei Transaktionen auf dem Markt für Spezialprodukte gewesen; alle europäischen Aktivitäten von Intech im Zusammenhang mit diesen Produkten hätten sich auf der Basis der Kooperationsvereinbarung mit Ibiden vollzogen.

b) Vorbringen der Parteien

43 Die Intech EDM BV und die Intech EDM AG stellen die Tatsachenfeststellungen in der Entscheidung nicht in Abrede, werfen der Kommission jedoch vor, sie als "Täter" der Zuwiderhandlung angesehen zu haben, während sie in Wirklichkeit nur "Gehilfen" von Ibiden gewesen seien und deshalb straflos bleiben müssten.

44 So habe die Kommission unberücksichtigt gelassen, dass Intech mindestens bis 26. September 1995 keine verantwortliche Täterin einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 Absatz 1 EG gewesen sei. Bis zu diesem Zeitpunkt sei Ibiden nämlich bei den europäischen Kartelltreffen nicht selbst anwesend gewesen, sondern habe sich durch Herrn Ankli, ein Mitglied des Verwaltungsrats der Intech EDM AG, vertreten lassen. Ibiden habe Intech als bloßes Werkzeug benutzt, so dass diese nur als Gehilfin bei der durch Ibiden begangenen Zuwiderhandlung angesehen werden könne. Die Beteiligung an einem Kartell in Form der bloßen Beihilfe sei aber nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 straflos und könne daher nicht mit einer Geldbuße geahndet werden.

45 Auf der Grundlage einer rechtsvergleichenden Untersuchung sei zu betonen, dass die Unterscheidung zwischen Täter und Gehilfen ein allgemeiner Rechtsgrundsatz sei. Demnach sei zwischen Begehung der Tat und bloßer Teilnahme zu unterscheiden. Täter einer Zuwiderhandlung im Sinn von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 sei, wer die Tatherrschaft besitze und die Tat begehe, während der Gehilfe, ohne das Geschehen zu beherrschen, nur als Werkzeug oder Hilfsperson bei der Tat eines anderen mitwirke.

46 Außerdem könne ein Unternehmen nur dann als Täter einer Zuwiderhandlung angesehen werden, wenn die Wettbewerbsbeschränkung seiner Marktstellung zugute komme und ihm einen direkten wirtschaftlichen Vorteil verschaffe. Das sei hier aber bei Intech gerade nicht der Fall gewesen. Die Klägerin sei an einer Niedrigpreispolitik interessiert gewesen, um ihren Marktanteil vergrößern zu können.

47 Die Kommission sei in Randnummer 515 der Entscheidung selbst zu dem Ergebnis gelangt, dass Intech Anweisungen von Ibidem habe befolgen müssen, die auf höherer Ebene des Kartells getroffenen Entscheidungen durch ihre Teilnahme an den europäischen und regionalen Zusammenkünften in ihrer Eigenschaft als Vertriebshändler von Ibiden umzusetzen.

48 Die Kommission habe jedoch die wirtschaftliche Abhängigkeit von Intech gegenüber Ibiden nirgends erwähnt. Indem sie diesen für die Beurteilung der Gehilfeneigenschaft wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen habe, habe sie ihre Begründungspflicht nach Artikel 253 EG verletzt.

49 Intech führt hierzu aus, als bloßer Vertriebshändler ohne eigene Produktionseinrichtungen sei sie wirtschaftlich von Ibiden abhängig und deshalb deren Willen unterworfen gewesen. Sie sei ein kleines, rein regional tätiges Unternehmen mit einem Umsatz von nur etwa 1 % des Umsatzes von Ibiden. Sie habe daher nicht die wirtschaftliche Macht besessen, um sich den Anweisungen Ibidens zu entziehen. Zur Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeit sei sie auf die Belieferung mit Spezialgraphit durch die großen internationalen Hersteller angewiesen gewesen. Sie hätte anstelle von Ibiden auch keinen anderen Hersteller als Lieferanten gewinnen können. Alle anderen Lieferanten seien nämlich bereits anderweitig gebunden und ebenfalls im Kartell der Hersteller organisiert gewesen. Deshalb sei sie von Ibiden als Lieferantin völlig abhängig gewesen.

50 Sie hätte sich dem Willen von Ibiden auch nicht dadurch entziehen können, dass sie einfach die Teilnahme an den Kartelltreffen verweigert und das Kartell bei der Kommission zur Anzeige gebracht hätte. Bis das Kartell zerschlagen gewesen wäre, hätte Intech nämlich längst Insolvenz anmelden müssen, da ihr sowohl Ibiden als auch die anderen Hersteller keinen Spezialgraphit mehr geliefert hätten. Eine Nichtbefolgung der Weisungen von Ibiden hätte daher die Aufgabe ihres Geschäftsbetriebs zur Folge gehabt.

51 Angesichts der wirtschaftlichen Machtverhältnisse zwischen Ibiden und ihr habe sie gar keine andere Wahl gehabt, als die von den Herstellern auf höherer Ebene des Kartells vereinbarten Zielpreise - entgegen ihrem eigenen Interesse - zu übernehmen. In diesem Zusammenhang beantragt Intech die Vernehmung von Herrn Ankli als Zeuge zum Beweis dafür, dass sie den Weisungen Ibidens unterlegen habe. Herr Ankli sei jedenfalls kein Mitarbeiter der Intech EDM BV gewesen, sondern habe der Intech EDM AG angehört; sein Verhalten könne daher der Erstgenannten nicht angelastet werden.

52 Entgegen den Behauptungen der Kommission schließe die Teilnahme bestimmter Mitarbeiter der Intech EDM AG an mehreren Kartelltreffen auf europäischer und nationaler Ebene nicht aus, dass diese Gesellschaft den Weisungen von Ibiden unterlegen habe. Die Intech EDM BV habe ihrerseits nie an einem Kartelltreffen teilgenommen. Die Kommission habe jedenfalls mehrere Schriftstücke falsch gewürdigt, darunter bestimmte Protokolle von Kartelltreffen, auf die sie ihre Beurteilung der Rolle der beiden Intech-Gesellschaften gestützt habe.

53 Die Kommission räumt ein, dass die Artikel 3 und 15 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 17 es ihr nur erlaubten, Unternehmen mit Sanktionen zu belegen, die selbst gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen hätten, während die bloße "Beihilfe" von diesen Vorschriften nicht erfasst werde. Im vorliegenden Fall sei Intech aber eindeutig "Täterin" eines Verstoßes gegen Artikel 81 EG. Ein solcher Verstoß werde nämlich durch die Beteiligung eines Unternehmens an der Absprache begangen, wobei eine solche Beteiligung dann vorliege, wenn zwischen diesem Unternehmen und einem oder mehreren anderen Unternehmen eine wettbewerbswidrige Willensübereinstimmung bestehe.

c) Würdigung durch das Gericht

54 Nach der Rechtsprechung ist das den Unternehmen in Artikel 81 Absatz 1 EG u. a. auferlegte Verbot von Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, an wirtschaftliche Einheiten in Form einer Gesamtheit materieller und personeller Faktoren gerichtet, die an einer Zuwiderhandlung im Sinn dieser Vorschrift beteiligt sein können (Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-6/89, Enichem Anic/Kommission, Slg. 1991, II-1623, Randnr. 235). Ein Unternehmen im Sinn von Artikel 81 EG kann somit aus mehreren Rechtssubjekten bestehen (Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 170/83, Hydrotherm, Slg. 1984, 2999, Randnr. 11).

55 Im vorliegenden Fall wirft die Kommission den Klägerinnen Intech EDM AG und Intech EDM BV in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe h der Entscheidung vor, ebenso wie die übrigen Kartellmitglieder, darunter Ibiden, durch die "Teilnahme" an dem Kartell betreffend die Märkte für isostatischen Spezialgraphit gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen verstoßen zu haben.

56 Somit ist zu prüfen, ob dieser Vorwurf durch die Begründungserwägungen der Entscheidung gestützt wird. Wenn ja, ist das Vorbringen der beiden Intech-Gesellschaften zurückzuweisen; andernfalls ist Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe h der Entscheidung für nichtig zu erklären, ohne dass es einer Stellungnahme zur Frage einer etwaigen Beihilfe durch diese Gesellschaften bedarf.

57 Hierzu ist festzustellen, dass die beiden Klägerinnen in ihren Klageschriften ausdrücklich erklärt haben, dass sie sich nicht gegen die Tatsachenfeststellungen in der Entscheidung wenden. Die vorliegenden Klagegründe stellen daher nur die Auslegung des unstreitigen Sachverhalts durch die Kommission bei der Beurteilung der Rolle der Intech EDM AG und der Intech EDM BV innerhalb des Kartells in Frage.

58 Nach diesen Feststellungen (Randnrn. 66 und 421) war die Intech EDM AG während des Zeitraums der Intech zur Last gelegten Zuwiderhandlung, d. h. von Februar 1994 bis Mai 1997, eine 100%ige Tochtergesellschaft der Intech EDM BV.

59 Unter diesen Umständen hat die Kommission zu Recht auf die Rechtsprechung verwiesen (Randnrn. 420 und 421 der Entscheidung), wonach sie zu der Auffassung berechtigt war, dass die Intech-Gesellschaften grundsätzlich einer wirtschaftlichen Einheit angehörten und somit beide ein einziges "Unternehmen" im Sinn des Wettbewerbsrechts darstellten (Urteile des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 50, und des Gerichts vom 1. April 1993 in der Rechtssache T-65/89, BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Slg. 1993, II-389, Randnr. 149).

60 Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts (Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T-354/94, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, Slg. 1998, II-2111, Randnr. 80, bestätigt durch Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C-286/98 P, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, Slg. 2000, I-9925, Randnrn. 27 bis 29) kann die Kommission grundsätzlich davon ausgehen, dass eine 100%ige Tochtergesellschaft im Wesentlichen die Weisungen ihrer Muttergesellschaft befolgt, ohne dass die Kommission prüfen muss, ob die Muttergesellschaft von ihrer Weisungsbefugnis tatsächlich Gebrauch gemacht hat.

61 Vor dem Gericht hat keine der beiden Klägerinnen überzeugend dargetan, dass die Tochtergesellschaft Intech EDM AG ihr Marktverhalten selbständig bestimmte, statt Weisungen ihrer Muttergesellschaft zu befolgen, so dass sie kein "Unternehmen" bildeten. Die beiden Klageschriften enthalten hierzu keine Ausführungen. Erst in den Erwiderungen haben die Klägerinnen behauptet, dass die Tochtergesellschaft "weitgehend autonom von ihrer früheren Muttergesellschaft gehandelt hat". Diese Behauptung, für die es im Übrigen keinen Beweis gibt, wurde verspätet vorgebracht. Sie ist deshalb nach Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung als unzulässiges neues Angriffsmittel zurückzuweisen.

62 Folglich durften die beiden Intech-Gesellschaften in Anwendung des Unternehmensbegriffs gesamtschuldnerisch für das ihnen zur Last gelegte Verhalten haftbar gemacht werden, wobei die Handlungen der einen Gesellschaft der anderen zuzurechnen waren (in diesem Sinn auch Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T-9/99, HFB u. a./Kommission, Slg. 2002, II-1487, Randnrn. 54, 524 und 525). Daran ändert es nichts, dass die Entscheidung - z. B. in Randnummer 407, in der die Kommission von den "zwei Unternehmen der Intech-Gruppe" spricht - gelegentlich von der korrekten Terminologie abweicht und für eine der beiden Intech-Gesellschaften das Wort "Unternehmen" verwendet.

63 Somit ist zu prüfen, welche Handlungen die Kommission herangezogen und den beiden Intech-Gesellschaften wechselseitig zugerechnet hat, um ihre Teilnahme an der ihnen in der Entscheidung zur Last gelegten Zuwiderhandlung nachzuweisen.

64 Nach den Feststellungen der Kommission, denen die Klägerinnen nicht widersprochen haben, nahm die Intech EDM AG an fast allen Kartellzusammenkünften auf europäischer Ebene (Randnr. 408 der Entscheidung) und an mehreren lokalen Zusammenkünften in Bezug auf den deutschen, den britischen, den französischen und den italienischen Markt teil (Randnrn. 243, 248, 254, 261 und 267 der Entscheidung).

65 Die Klägerinnen machen zwar geltend, dass die Intech EDM AG bei diesen Zusammenkünften nicht als "Täter" der Zuwiderhandlung aufgetreten sei. Nimmt jedoch ein Unternehmen, selbst ohne sich aktiv zu beteiligen, an Treffen von Unternehmen mit wettbewerbswidrigem Zweck teil und distanziert es sich nicht offen vom Inhalt dieser Treffen, so dass es den anderen Teilnehmern Anlass zu der Annahme gibt, dass es dem Ergebnis der Treffen zustimmt und sich daran halten wird, so kann nach gefestigter Rechtsprechung der Nachweis als erbracht angesehen werden, dass es sich an der aus diesen Treffen resultierenden Absprache beteiligt hat (Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 232, vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-12/89, Solvay/Kommission, Slg. 1992, II-907, Randnr. 98, und vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-141/89, Tréfileurope/Kommission, Slg. 1995, II-791, Randnrn. 85 und 86, sowie Urteil HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 62 angeführt, Randnr. 137).

66 Die Intech EDM AG hat sich nie offen vom wettbewerbswidrigen Inhalt der Treffen distanziert, an denen sie teilnahm. Sie hat insbesondere nie offen und klar zum Ausdruck gebracht, dass sie an diesen Treffen nicht im eigenen Namen, sondern als bloße Vertreterin von Ibiden teilnehmen wollte. In keinem der Protokolle und Berichte über die Treffen wird eine dahin gehende öffentliche Erklärung erwähnt. Mangels einer solchen Erklärung genügt es nicht, dass die Klägerinnen geltend machen, einige dieser Schriftstücke seien objektiv als Anhaltspunkt dafür auszulegen, dass die Intech EDM AG allein im Interesse von Ibiden gehandelt habe, was die Kommission nachdrücklich bestreitet.

67 Außerdem hat die Kommission zu Recht die Bedeutung der Teilnahme der Intech EDM AG an den Kartelltreffen auf europäischer und lokaler Ebene hervorgehoben. Es handelte sich im vorliegenden Fall um ein Kartell zur Festlegung von Zielpreisen, die nach Bestimmungsgebiet - Europa oder Vereinigte Staaten - aufgeschlüsselt waren (Randnr. 98 der Entscheidung). Folglich genügte es nicht, die Preise auf höchster Ebene des Kartells, d. h. bei den "Zusammenkünften auf oberster Ebene" und den "internationalen Zusammenkünften auf Arbeitsebene" festzulegen, sondern es war ebenso wichtig, für ihre konkrete Anwendung auf regionaler und lokaler Ebene zu sorgen. Die Tatsache, dass die Intech EDM AG nie an den "Zusammenkünften auf oberster Ebene" und den "internationalen Zusammenkünften auf Arbeitsebene" teilnahm, ist daher nicht geeignet, ihre Teilnahme am Kartell auszuschließen.

68 Folglich war die Kommission berechtigt, die Teilnahme der Intech EDM AG an den Kartelltreffen auf europäischer und lokaler Ebene als wettbewerbswidrige Handlung einzustufen. Sie war ferner berechtigt, der Intech EDM BV diese Handlung ihrer 100%igen Tochtergesellschaft zuzurechnen, zumal die Tätigkeiten der Intech-Gruppe auf dem europäischen Graphitmarkt auf einem von der Intech EDM BV selbst mit Ibiden geschlossenen Kooperationsvertrag beruhten (Randnrn. 67 und 421 der Entscheidung).

69 Darüber hinaus lag es objektiv im Interesse von Intech, bei den Kartelltreffen auf europäischer und lokaler Ebene anwesend zu sein. Die vom Kartell festgelegten Preise waren nämlich nach Vertriebsebene aufgeschlüsselt, und zwar nach Vertriebshändlern/Bearbeitungsbetrieben einerseits und großen Endnutzern mit Bearbeitungskapazitäten andererseits (Randnr. 98 der Entscheidung). Intech hatte somit großes Interesse daran, darüber zu wachen, dass die Anwendung dieser Preise ihre Gewinnspanne nicht beeinträchtigte. Dies wird durch ein von den Klägerinnen selbst vorgelegtes Telefax (Anlage A 23 zu den Klageschriften) bestätigt, aus dem hervorgeht, dass Intech über die Preiserhöhung für sich selbst erfreut, aber nicht mit der Anhebung des Einkaufspreises einverstanden war und dass sie die im Oktober 1993 festgelegte Gewinnspanne für die Vertriebshändler als zu gering ansah.

70 Schließlich hatte sich Intech nach den Feststellungen der Kommission, denen die Klägerinnen nicht widersprochen haben, verpflichtet, auch ihren eigenen Kunden die vom Kartell vereinbarten Preise in Rechnung zu stellen (Randnr. 403 der Entscheidung). Im Übrigen ergibt sich das Interesse von Intech an der Einhaltung der Kartellpreise aus mehreren in der Entscheidung erwähnten Schriftstücken, z. B. aus einem Telefax von Intech an Ibiden vom 9. Januar 1994, einem Schriftwechsel zwischen Intech und Ibiden im Jahr 1996 und einem Telefax von NSCC vom 27. August 1997 (Randnrn. 285 und 286 sowie Fußnote 533 der Entscheidung).

71 Nach alledem hat die Kommission keinen Fehler begangen, als sie die Intech-Gruppe, bestehend aus der Intech EDM AG und der Intech EDM BV, als Täter einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen in Form der Teilnahme am Kartell im Bereich des isostatisch gepressten Spezialgraphits einstufte.

72 Keinem der von Intech geltend gemachten Gegenargumente kann gefolgt werden.

73 So widerspricht sich Intech selbst, wenn sie zum einen ihre wirtschaftliche Abhängigkeit und ihre Weisungsgebundenheit gegenüber Ibiden hervorhebt und sich zum anderen auf ihren Widerstand gegen die vom Kartell festgesetzten Preise und die Entwicklung einer eigenständigen Preispolitik zur Gewinnung von Marktanteilen beruft (Nrn. 51 bis 57 der Klageschrift).

74 Zum letztgenannten Punkt genügt die Feststellung, dass die Nichteinhaltung einer Absprache nichts an deren Existenz ändert (Urteil des Gerichts vom 11. März 1999 in der Rechtssache T-141/94, Thyssen Stahl/Kommission, Slg. 1999, II-347, Randnrn. 233, 255, 256 und 341). Im vorliegenden Fall wird die begangene Zuwiderhandlung somit nicht schon dadurch ungeschehen gemacht, dass es Intech gelang, die übrigen Kartellmitglieder zu täuschen und das Kartell zu ihrem Vorteil auszunutzen, indem sie sich nicht in vollem Umfang an die vereinbarten Preise hielt (in diesem Sinn auch Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T-308/94, Cascades/Kommission, Slg. 1998, II-925, Randnr. 230, zur Würdigung mildernder Umstände).

75 Die Mitglieder eines Kartells bleiben nämlich Konkurrenten; jeder von ihnen kann jederzeit versucht sein, von der Disziplin der anderen im Bereich der Kartellpreise zu profitieren, indem er seine eigenen Preise senkt, um seinen Marktanteil unter Beibehaltung eines relativ hohen Preisniveaus zu erweitern. Dass sich Intech nicht in vollem Umfang an die vereinbarten Preise hielt, bedeutet jedenfalls nicht, dass sie Preise verlangte, die sie auch ohne das Kartell hätte berechnen können.

76 Soweit sich Intech auf ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von Ibiden und den von diesem Hersteller auf sie ausgeübten Druck beruft, ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung das Vorliegen solcher Umstände Intech nicht die Möglichkeit nahm, die Teilnahme an der Wettbewerbsbeschränkung im Rahmen des Kartells abzulehnen. Dies gilt auch in der speziellen Situation von Intech, die als Vertriebshändlerin Mitglied eines horizontalen Kartells war, dem auch ihre Lieferantin Ibiden angehörte (in diesem Sinn auch Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T-17/99, KE KELIT/Kommission, Slg. 2002, II-1647, Randnrn. 1 und 48 bis 50 sowie die dort genannte Rechtsprechung).

77 Bei dem weiteren Vorbringen von Intech, ihre wirtschaftliche Stellung gegenüber Ibiden sei so schwach gewesen, dass jeder Versuch, das Kartell der Kommission zu melden und sich den Anweisungen von Ibiden zu entziehen, zwangsläufig zu ihrem Konkurs geführt hätte, handelt es sich um eine abstrakte, unbewiesene Behauptung. Insbesondere legt Intech nicht dar, weshalb es für sie unmöglich gewesen wäre, sich anonym an die Kommission zu wenden oder von dieser die Zusage einer vertraulichen Behandlung ihrer Informationen zu erhalten.

78 Aus den von den Klägerinnen selbst vorgelegten Zahlen geht jedenfalls hervor, dass das Schicksal der gesamten Intech-Gruppe keineswegs allein von der Belieferung mit isostatisch gepresstem Graphit durch Ibiden abhing. Mit Schreiben vom 30. November 2001 (Anlage A 7 zu den Klageschriften) hatte die Intech EDM AG der Kommission in Beantwortung eines Auskunftsverlangens mitgeteilt, dass der "Anteil des isostatischen Isographits am Gesamtumsatz der Gesellschaften von Intech EDM in Europa ... ca. 10 % [beträgt]" (1.5), während weltweit der Gesamtumsatz bei 26,8 Millionen Euro und der Umsatz mit Isographit bei 3,4 Millionen Euro liege (1.7), was einem Anteil von etwa 13 % entspricht. Auch bei Heranziehung der Zahlen in Tabelle 1 der Entscheidung (Randnr. 16) - 15,5 Millionen Euro Gesamtumsatz allein der Gesellschaften Intech EDM AG und Intech EDM BV im Jahr 2001 und 2,3 Millionen Euro Umsatz dieser Gesellschaften im Jahr 1997 mit dem genannten Produkt - beträgt der relevante Anteil etwa 15 %.

79 Unter diesen Umständen durfte die Kommission, ohne gegen Artikel 253 EG zu verstoßen, in der Entscheidung von einer speziell auf die wirtschaftliche Abhängigkeit der Klägerinnen von dem japanischen Hersteller Ibiden abzielenden Begründung absehen.

80 Es ist hiernach auch nicht erforderlich, dem Antrag von Intech auf Anhörung eines Zeugen zum Beweis dafür, dass das Unternehmen tatsächlich an die Weisungen von Ibiden gebunden war, stattzugeben.

81 Soweit Intech noch geltend macht, dass die vom Kartell vorgenommenen Preiserhöhungen ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen zuwidergelaufen seien, die in Wirklichkeit in einer aggressiven Preispolitik und einer Steigerung ihrer Marktanteile bestanden hätten, genügt der Hinweis, dass die Begehung einer Zuwiderhandlung nicht voraussetzt, dass das betreffende Unternehmen durch seine Teilnahme an dem fraglichen Kartell wirtschaftliche Vorteile erlangt hat (in diesem Sinn auch Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T-304/94, Europa Carton/Kommission, Slg. 1998, II-869, Randnr. 141).

82 Folglich kann dem Vorbringen, mit dem sich die beiden Intech-Gesellschaften gegen ihre Einstufung als "Täter" der Zuwiderhandlung wenden und eine unzureichende Begründung rügen, nicht gefolgt werden.

2. Zu den Klagegründen, mit denen gerügt wird, dass dem Kartell im Bereich des isostatisch gepressten Graphits in Form ganzer Blöcke und von Blockzuschnitten fälschlich weltweiter Charakter beigemessen worden sei (T-71/03)

a) Zusammenfassung der Entscheidung

83 In den Randnummern 22 bis 25 und 29 der Entscheidung hat die Kommission ausgeführt, dass es sich bei dem Markt für isostatisch gepressten Graphit um einen weltweiten Markt handele. In dem in Rede stehenden Zeitraum (1993 bis 1998) sei dieser Markt von acht weltweit tätigen Herstellern beherrscht worden, die 80 % des Weltmarkts kontrolliert hätten. Die Transportkosten und tarifären Handelshemmnisse hätten die Hersteller nicht vom weltweiten Handel abgehalten; den japanischen Herstellern sei es sogar gelungen, auf dem europäischen Markt Ende der achtziger Jahre einen Marktanteil von über 20 % zu erzielen. Der globale Charakter des Marktes werde durch Struktur, Organisation und Funktionsweise des Kartells bestätigt.

b) Vorbringen der Parteien

84 Im Rahmen der Klagegründe, mit denen die Heranziehung des weltweiten Umsatzes durch die Kommission gerügt wird, trägt Tokai vor, der geografische Markt für isostatisch gepressten Graphit habe keinen weltweiten Charakter.

85 In ihrer in Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. L 395, S. 1, berichtigt im ABl. 1990, L 257, S. 13) erlassenen Entscheidung vom 4. Januar 1991 (Sache IV/M.0024 - Mitsubishi/UCAR) sei die Kommission zu dem Ergebnis gelangt, dass die Märkte für Graphitelektroden, Karbonelektroden, Graphitspezialprodukte und flexiblen Graphit gemeinschaftsweite Märkte seien. Die Kommission verwechsle daher den Gesamtumfang des vorliegenden Kartells und die geografische Dimension des betreffenden Marktes.

86 Schließlich habe die Kommission gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, indem sie als relevanten Markt den Markt für isostatisch gepressten Spezialgraphit "in Blöcken" definiert habe, denn die nichteuropäischen Hersteller hätten in Europa fast ausschließlich Graphit in Blöcken verkauft, während die europäischen Hersteller sowohl bearbeiteten Graphit als auch Graphit in Blöcken verkauft hätten.

87 Die Kommission bestreitet, die Natur des Kartells und die Dimension des Marktes verwechselt zu haben. Sie erinnert daran, dass es sich bei dem Markt für Spezialgraphit insgesamt um einen weltweiten Markt handele (Randnrn. 22 bis 25 der Entscheidung) und dass diese Definition des geografischen Marktes bereits in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegt worden sei (Nrn. 22 bis 25). Tokai habe in ihrer Erwiderung auf diese Mitteilung dieses Ergebnis nicht ausdrücklich beanstandet und lege im Übrigen kein Beweismittel vor, um ihre Behauptung zu untermauern.

c) Würdigung durch das Gericht

88 Wie Tokai in ihrer Klageschrift (Nr. 31) selbst ausdrücklich erklärt hat, bestreitet sie mit ihrer Klage nicht den in der Entscheidung festgestellten Sachverhalt, sondern wendet sich nur gegen die Berechnung ihrer Geldbuße. Die Entscheidung enthält aber eindeutig Tatsachenfeststellungen zum weltweiten Charakter des Kartells im Bereich isostatisch gepressten Graphits, an dem Tokai teilnahm (Randnrn. 22 bis 25). In Wirklichkeit wird der Kommission daher mit dem fraglichen Klagegrund vorgeworfen, bei der Festsetzung der Geldbuße von Tokai außer Acht gelassen zu haben, dass die Klägerin nur eine geografisch begrenzte Rolle gespielt habe.

89 Dieser Schlussfolgerung steht die Bezugnahme von Tokai auf die Entscheidung der Kommission vom 4. Januar 1991 (siehe oben, Randnr. 85) nicht entgegen, in der die Kommission zum Bereich der Unternehmenszusammenschlüsse die Ansicht vertrat, dass der Markt für Spezialgraphit ein gemeinschaftsweiter Markt sei. Insoweit genügt der Hinweis, dass diese Entscheidung in einem anderen Zusammenhang als dem des vorliegenden Falles und sowohl vor der Untersuchung der Kommission in der vorliegenden Rechtssache als auch vor dem der Entscheidung zugrunde liegenden Zeitraum der Zuwiderhandlung erging. Gerade das ab 1999 aufgedeckte Kartell, an dem Tokai beteiligt war, ermöglichte der Kommission aber die Feststellung, dass die Mitglieder des Kartells die Spezialgraphitpreise weltweit festgelegt hatten. Die Bezugnahme auf die Entscheidung von 1991 geht daher fehl (vgl. mutatis mutandis Urteil des Gerichts vom 29. April 2004 in den Rechtssachen T-236/01, T-239/01, T-244/01 bis T-246/01, T-251/01 und T-252/01, Tokai Carbon u. a./Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, im Folgenden: Urteil Graphitelektroden, Randnr. 66).

90 Soweit Tokai der Kommission vorwirft, den Weltmarkt fälschlich als den Markt für isostatisch gepressten Graphit in Form ganzer Blöcke und von Blockzuschnitten definiert zu haben, ist ihr Vorbringen offensichtlich unerheblich. Die Kommission hat nämlich den fraglichen Markt nicht willkürlich ausgewählt, sondern die Mitglieder des Kartells, an dem Tokai beteiligt war, haben ihre wettbewerbswidrigen Handlungen von sich aus auf unbearbeitete Produkte, d. h. auf isostatisch gepressten Graphit in Form ganzer Blöcke und von Blockzuschnitten, konzentriert.

91 Demnach ist das Vorbringen von Tokai gegen die Feststellung in der Entscheidung, dass der Markt für isostatisch gepressten Graphit in Form ganzer Blöcke und von Blockzuschnitten weltweiten Charakter habe, zurückzuweisen.

92 Die Prüfung der ersten Gruppe von Klagegründen hat ergeben, dass keiner der von den Klägerinnen geltend gemachten Umstände die Nichtigerklärung der in der Entscheidung enthaltenen Tatsachenfeststellungen rechtfertigt. Folglich sind alle Anträge auf teilweise Nichtigerklärung ihres Artikels 1 zurückzuweisen.

93 Das gilt auch für den Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung, den SGL auf den Vorwurf stützt, die Kommission habe bei der Bußgeldbemessung einen groben Fehler begangen und wesentliche Formvorschriften verletzt, was schon allein die Nichtigerklärung der Entscheidung erfordere (Nr. 70 der Klageschrift). Es liegt auf der Hand, dass die Entscheidung wegen eines Fehlers, der nur die Bemessung der gegen SGL festgesetzten Geldbuße betrifft, nicht in vollem Umfang, einschließlich der Tatsachenfeststellungen und der rechtlichen Würdigung der von SGL begangenen Zuwiderhandlung, für nichtig erklärt werden kann. Ein solcher Fehler hätte auf die Festsetzung der Geldbuße als solche offensichtlich keine Auswirkungen. Folglich ist dieser Antrag von SGL zurückzuweisen; das entsprechende Vorbringen ist im Rahmen der Anträge auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung oder auf Herabsetzung der festgesetzten Geldbußen zu prüfen.

94 Daher sind im Folgenden bei der Prüfung der gegen die Festsetzung der Bußgeldbeträge gerichteten Anträge und Klagegründe insbesondere die Tatsachenfeststellungen in der Entscheidung zugrunde zu legen, mit Ausnahme der Feststellungen zu den konkreten Zahlen, aufgrund deren die Kommission die Kartellmitglieder zur Festsetzung der Ausgangsbeträge in Kategorien eingeteilt hat.

B - Zu den Anträgen auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbußen

1. Zu den Klagegründen, mit denen eine Verletzung des Verbots der Mehrfachahndung und der Pflicht der Kommission, zuvor verhängte Sanktionen zu berücksichtigen, sowie eine insoweit unzureichende Begründung gerügt werden (T-71/03 und T-91/03)

a) Zusammenfassung der Entscheidung

95 In den Randnummern 545 bis 550 der Entscheidung hat die Kommission die Argumentation von SGL zurückgewiesen, dass die gegen sie wegen des gleichen Verhaltens in den Vereinigten Staaten verhängten Sanktionen hätten berücksichtigt werden müssen. Nach Ansicht der Kommission haben andernorts, insbesondere in den Vereinigten Staaten, verhängte Geldbußen keine Auswirkungen auf die wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festzusetzenden Geldbußen.

96 Die Kommission hat auch die These von SGL zurückgewiesen, dass die im vorliegenden Fall beanstandeten Vereinbarungen in engem Zusammenhang mit denjenigen stünden, die Gegenstand der Graphitelektroden-Entscheidung gewesen seien und für die die Kommission bereits Geldbußen festgesetzt habe, so dass in der Gemeinschaft keine weiteren Sanktionen verhängt werden dürften.

97 Nach Ansicht der Kommission betrifft das vorliegende Verfahren Vereinbarungen, die sich eindeutig von den Vereinbarungen in der zum Urteil Graphitelektroden führenden Rechtssache unterschieden; dies rechtfertige die Einstufung der beiden Absprachen als getrennte Zuwiderhandlungen, die zur Festsetzung getrennter Geldbußen führen könnten. Aus dem gleichen Grund sei das Argument zurückzuweisen, dass SGL nicht an zwei gesonderten Kartellen - im Bereich isostatisch gepressten Graphits und stranggepressten Graphits - teilgenommen habe.

b) Vorbringen der Parteien

98 Tokai trägt vor, durch die Festsetzung der Geldbuße anhand des Weltmarktanteils und des weltweiten Umsatzes habe die Kommission den Grundsatz ne bis in idem verletzt und die Grenzen ihrer Zuständigkeit überschritten. Damit habe sie nämlich dem relativen Gewicht der Unternehmen auf anderen Märkten als dem EWR und somit ihrem Einfluss auf den Wettbewerb auf diesen Märkten Rechnung getragen. Solche Auswirkungen außerhalb des EWR fielen aber in die Zuständigkeit anderer Wettbewerbsbehörden, während Tokai nur wegen ihres Einflusses auf den Wettbewerb im EWR mit Sanktionen belegt werden dürfe.

99 Wegen des Sachverhalts, um den es in der Entscheidung gehe, sei auch in den Vereinigten Staaten eine Untersuchung gegen Tokai durchgeführt worden. Da ihrem Antrag auf Verschonung von den amerikanischen Behörden stattgegeben worden sei, sei keine Geldbuße gegen sie verhängt worden. Es sei nicht Sache der Kommission, diese Entscheidung der amerikanischen Behörden in Frage zu stellen. Jede Geldbuße der Kommission, bei der die Auswirkungen des Kartells auf das Gebiet der Vereinigten Staaten berücksichtigt würden, laufe daher auf eine doppelte Sanktion für Tokai hinaus.

100 SGL führt aus, die Kommission habe durch ihre Weigerung, von den in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen die bereits in den Vereinigten Staaten verhängten Geldbußen abzuziehen, gegen das Verbot der mehrfachen Ahndung derselben Zuwiderhandlung verstoßen. Dieses Verbot beruhe auf den im Verfassungsrecht der Gemeinschaft verankerten Grundsätzen der Billigkeit und der Verhältnismäßigkeit; es sei durch Artikel 50 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2000, C 364, S. 1) und durch die Artikel 54 bis 58 des am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19) bestätigt worden. Der Grundsatz ne bis in idem sei auch in Artikel 4 des Protokolls Nr. 7 zu der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankert, wie er u. a. im Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 29. Mai 2001, Fischer/Österreich, ausgelegt werde.

101 SGL weist darauf hin, dass dieser allgemeine Grundsatz in mehreren Urteilen des Gerichtshofes und des Gerichts anerkannt worden sei. Sie wendet sich gegen das Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2003 in der Rechtssache T-224/00 (Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Slg. 2003, II-2597), soweit es dahin auszulegen sei, dass es sich gegen die Anwendbarkeit des Grundsatzes ne bis in idem im Fall der Erstverfolgung durch Drittstaaten ausspreche.

102 Der in der Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt sei in den Vereinigten Staaten bereits strafrechtlich und zivilrechtlich geahndet worden. Der Grundsatz ne bis in idem untersage der Kommission die nochmalige Verfolgung wegen desselben Sachverhalts. Zwischen SGL und den Vereinigten Staaten sei am 3. Mai 1999 ein "plea agreement" abgeschlossen worden, das alle kartellrechtlichen Zuwiderhandlungen, die sich auf die Herstellung und den Verkauf von Graphit bezögen, für den fraglichen Zeitraum "in den Vereinigten Staaten und andernorts" erfasse und eine Geldbuße in Höhe von 135 Millionen USD vorsehe. Diese Sanktion betreffe auch Spezialgraphit. SGL beantragt in diesem Zusammenhang die Vernehmung mehrerer in den Vereinigten Staaten wohnhafter Zeugen.

103 Nach den Angaben in der Entscheidung seien die wesentlichen wettbewerbsbeschränkenden Kartellvereinbarungen bei internationalen Zusammenkünften weltweit einheitlich getroffen und auf regionaler und nationaler Ebene sowohl in Nordamerika als auch in Europa implementiert worden. Die amerikanischen Behörden hätten gegen das Kartell als Ganzes, d. h. sowohl in Bezug auf die international getroffenen Absprachen als auch auf die lokale Umsetzung in Nordamerika, Geldbußen festgesetzt. Unter diesen Umständen sei die Kommission bei der Zweitverfolgung von SGL verpflichtet gewesen, bereits verhängte Sanktionen zu berücksichtigen.

104 Selbst wenn die Kommission wegen des SGL in der Entscheidung vorgeworfenen Verhaltens nochmals eine Geldbuße hätte festsetzen dürfen, wäre sie aufgrund eines allgemeinen Gebots der Billigkeit verpflichtet gewesen, die in ihrer Graphitelektroden-Entscheidung und die von den amerikanischen Behörden verhängten Sanktionen bei der Bemessung dieser neuen Geldbuße zu berücksichtigen. Die Kommission hätte sich daher nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darauf beschränken müssen, gegen SGL eine Geldbuße in rein symbolischer Höhe festzusetzen.

105 Nach dem Billigkeitsgebot sei im Fall der Durchführung paralleler Verfahren - sowohl allein in der Gemeinschaft als auch im Verhältnis zu Drittländern - bei der zweiten Sanktion die bereits verhängte erste Sanktion zu berücksichtigen. Sanktionen für kartellrechtliche Verstöße dienten nämlich immer dem Schutz des freien Wettbewerbs durch Abschreckung. In dieser Hinsicht bestehe eine Übereinstimmung von Ziel und geschütztem Rechtsgut zwischen dem Kartellrecht der Gemeinschaft und dem amerikanischen Kartellrecht, da beide auf den Schutz eines freien und offenen Wettbewerbs abzielten.

106 In diesem Zusammenhang sei auf das Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Anwendung der "Positive Comity"-Grundsätze bei der Durchsetzung ihrer Wettbewerbsregeln (ABl. 1998, L 173, S. 28, im Folgenden: "Positive Comity"-Abkommen) zu verweisen. In diesem Abkommen würden sowohl die Artikel 81 EG und 82 EG als auch die §§ 1 bis 7 des Sherman Act und die §§ 17 bis 27 des Clayton Act einheitlich als "Wettbewerbsregeln" definiert. Die arbeitsteilige Verfolgung internationaler Kartellverstöße mit lokalen Schwerpunkten durch die Gemeinschaftsbehörden und die amerikanischen Behörden sei aber nur bei gleichen Verbotsgehalten und Verfahrenszielen sowie bei Vorliegen desselben Sachverhalts denkbar. Hätten sich die Zuständigkeiten der Gemeinschaftsbehörden und der amerikanischen Behörden nicht überschnitten, so hätte es keine administrative Verständigung über alternatives Vorgehen der Ermittlungsbehörden gegeben.

107 Die Entscheidung verstoße auch innerhalb der Europäischen Union gegen das Verbot der Mehrfachahndung, da die Kommission in getrennten Entscheidungen gegen SGL zunächst wegen einer Zuwiderhandlung im Bereich Graphitelektroden und nunmehr für Zuwiderhandlungen im Bereich Spezialgraphit, d. h. isostatisch gepresster Graphit sowie stranggepresster Graphit, Geldbußen festgesetzt habe. Den Verfahren in Bezug auf Graphitelektroden und auf Spezialgraphit liege jedoch der gleiche Sachverhalt zugrunde, so dass die Kommission die gleiche Tat zweimal geahndet habe. Die Absprachen in Bezug auf Graphitelektroden und auf Spezialgraphit hätten nämlich dem gleichen Ziel gedient, seien in gleicher Art und Weise getroffen und vollzogen worden und hätten die gleichen Motive gehabt.

108 Die Trennung der beiden Verfahren wirke umso künstlicher, als die Kommission in der Entscheidung wegen zweier Kartelle für unterschiedliche Produkte, nämlich isostatisch gepressten Graphit und stranggepressten Graphit, eine Geldbuße festgesetzt und dazu ausgeführt habe, dass es angesichts der Ähnlichkeit der eingesetzten Methoden und der Tatsache, dass beide Zuwiderhandlungen verwandte Produkte betroffen hätten, angezeigt gewesen sei, die Vereinbarungen zu beiden Produkten in ein- und demselben Verfahren zu behandeln (Randnr. 346 der Entscheidung). Gleiches müsse für das Verhältnis zwischen den hier in Rede stehenden Handlungen und denjenigen gelten, um die es im Graphitelektroden-Verfahren gegangen sei.

109 Nach dem Begriff des Fortsetzungszusammenhangs bildeten die Zuwiderhandlungen in den Bereichen Spezialgraphit und Graphitelektroden eine einzige Handlung, so dass sie nur einmal hätten geahndet werden dürfen. Diese Zuwiderhandlungen hätten sich nämlich gegen das gleiche Rechtsgut - den Wettbewerb im EWR - gerichtet und seien in gleicher Weise begangen worden. Die Märkte für Graphitelektroden und für Spezialgraphit ähnelten einander hinsichtlich ihrer Struktur und der wesentlichen Marktteilnehmer und seien eng miteinander verbunden; insbesondere seien die Absprachen über Graphitelektroden und über Spezialgraphit dem gleichen Muster gefolgt und hätten auf dem von SGL, UCAR und Tokai gefassten Gesamtplan beruht, das bestehende Kartell für Graphitelektroden auf Spezialgraphit auszuweiten.

110 Schließlich müsse die Kommission sowohl eine tateinheitliche Begehungsweise als auch den Fortsetzungszusammenhang ausschließen können, wenn sie getrennte Sanktionen verhängen wolle. Im vorliegenden Fall habe sie sich mit dem Argument des Fortsetzungszusammenhangs aber gar nicht erst beschäftigt. Folglich sei sie ihrer Begründungspflicht nach Artikel 253 EG im vorliegenden Verfahren nicht nachgekommen.

111 Die Kommission beantragt, dieses Vorbringen zurückzuweisen.

c) Würdigung durch das Gericht

112 Was die Klagegründe anbelangt, mit denen eine rechtswidrige Kumulierung der von der Kommission und den amerikanischen Behörden verhängten Sanktionen gerügt wird, so findet nach gefestigter Rechtsprechung in Fällen, in denen die mit zwei Sanktionen belegten Handlungen auf denselben Komplex von Vereinbarungen zurückgehen, jedoch sowohl nach ihrem Zweck als auch nach ihrem geografischen Schwerpunkt Unterschiede aufweisen, der Grundsatz ne bis in idem keine Anwendung (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Dezember 1972 in der Rechtssache 7/72, Boehringer/Kommission, Slg. 1972, 1281, Randnrn. 3 und 4, sowie Urteil Graphitelektroden, Randnr. 133 und die dort genannte Rechtsprechung).

113 Im vorliegenden Fall besteht nach dem Territorialitätsprinzip kein Konflikt zwischen der Ausübung der Zuständigkeiten der Kommission und der amerikanischen Behörden für die Festsetzung von Geldbußen gegen Unternehmen, die gegen die Wettbewerbsregeln des EWR und der Vereinigten Staaten verstoßen (in diesem Sinn auch Urteil Graphitelektroden, Randnrn. 133 bis 148).

114 Unter diesen Umständen erübrigt sich sowohl eine Prüfung der Behauptung von SGL, die in den Vereinigten Staaten wegen ihrer Beteiligung am Graphitelektrodenkartell gegen sie verhängten Sanktionen hätten auch Spezialgraphit betroffen, als auch eine Anhörung der insoweit von ihr benannten Zeugen. Selbst wenn diese Behauptung zutreffen sollte, war die Kommission durch die amerikanischen Sanktionen nämlich nicht daran gehindert, gegen SGL wegen deren Beteiligung am Kartell im Bereich Spezialgraphit eine Geldbuße festzusetzen.

115 Folglich ist die Rüge einer Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem auch insoweit zurückzuweisen, als Tokai der Kommission vorwirft, ihren weltweiten Umsatz und ihre weltweiten Marktanteile herangezogen zu haben (in diesem Sinn auch Urteil Graphitelektroden, Randnr. 138), zumal diese den Weltmarkt betreffenden Daten von der Kommission nur zur Differenzierung des relativen Einflusses der beschuldigten Unternehmen innerhalb des Kartells verwendet wurden (siehe unten, Randnrn. 167 bis 170).

116 Dieser Schlussfolgerung steht das "Positive Comity"-Abkommen (siehe oben, Randnr. 106) nicht entgegen. Soweit SGL behauptet, dass dieses Abkommen zur Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem im Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und der Gemeinschaft führe, beruht ihre Argumentation auf einem falschen Verständnis des fraglichen Abkommens. Aus Artikel I Absatz 2 Buchstabe b und Artikel III dieses Abkommens geht klar hervor, dass die von den Gemeinschaftsbehörden und den amerikanischen Behörden geschützten Rechtsgüter nicht identisch sind und dass das Abkommen nicht den Grundsatz ne bis in idem betrifft, sondern nur dazu dient, den Behörden einer der Vertragsparteien die Möglichkeit zu geben, von den praktischen Auswirkungen eines von den Behörden der anderen Vertragspartei eingeleiteten Verfahrens zu profitieren.

117 Mit ihrem Klagegrund einer rechtswidrigen Kumulierung der von der Kommission allein innerhalb der Gemeinschaft verhängten Sanktionen macht SGL sodann geltend, dass die Kommission den gleichen Sachverhalt zweimal geahndet habe, indem sie ihr zunächst eine Geldbuße im Bereich Graphitelektroden und dann Geldbußen im Bereich Spezialgraphit auferlegt habe. Die Absprachen über Graphitelektroden und über Spezialgraphit hätten nämlich eine fortgesetzte, auf einem Gesamtplan beruhende Zuwiderhandlung dargestellt, bei der das bestehende Kartell für Graphitelektroden auf Spezialgraphit ausgeweitet worden sei. Die Trennung der beiden Verfahren wirke umso künstlicher, als die Kommission in der Entscheidung am Ende eines einzigen Verfahrens zwei Kartelle für unterschiedliche Produkte, und zwar isostatisch gepressten Graphit und stranggepressten Graphit, mit Sanktionen belegt habe.

118 Hierzu ist festzustellen, dass es der Kommission freistand, gegen SGL drei gesonderte Geldbußen jeweils nach Maßgabe von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 festzusetzen, sofern die Klägerin drei gesonderte Zuwiderhandlungen gegen Artikel 81 Absatz 1 EG begangen hatte.

119 Wie sich aus den Randnummern 4 und 5 der Graphitelektroden-Entscheidung (siehe oben, Randnr. 12) und den Randnummern 4 bis 12 der hier angefochtenen Entscheidung ergibt, gehören Graphitelektroden und Spezialgraphit verschiedenen Märkten an. Isostatisch gepresster Graphit und stranggepresster Graphit unterscheiden sich in ihren Eigenschaften, Preisen und Anwendungsgebieten erheblich (Randnr. 5, Fußnote 5 sowie Randnrn. 10 bis 12 und 19 bis 21 der Entscheidung), wie SGL in Beantwortung eines Auskunftsverlangens ausdrücklich bestätigt hat (Anlage A 14 zur Klageschrift T-91/03).

120 Außerdem stimmten die Mitglieder der drei Kartelle nicht überein. LCL, Ibiden, TT, NSC/NSCC und Intech nahmen nicht am Graphitelektrodenkartell teil, während umgekehrt VAW, SDK, Nippon, SEC und C/G - die ihm angehörten - nicht zum Kartell bei isostatisch gepresstem Graphit gehörten. Nur SGL und UCAR waren Mitglied beider Kartelle im Spezialgraphitbereich; die übrigen Teilnehmer am Kartell bei isostatisch gepresstem Graphit gehörten nicht dem Kartell bei stranggepresstem Graphit an. Im Ergebnis waren somit SGL und UCAR die einzigen an allen drei Kartellen beteiligten Unternehmen.

121 Schließlich war das Kartell auf dem Spezialgraphitmarkt entgegen dem Vorbringen von SGL keine bloße "Erweiterung" des Graphitelektrodenkartells.

122 Das Graphitelektrodenkartell umfasste nämlich neben der Festsetzung von Preisen eine ganz strenge Aufteilung der Märkte anhand des Grundsatzes des Marktführers ("Home producer"), wonach die "Non-home producer" in den Gebieten, die anderen Herstellern vorbehalten waren, keinen aggressiven Wettbewerb betreiben und sich aus diesen Gebieten zurückziehen sollten; dabei wurde die Marktführerschaft in den Vereinigten Staaten und in bestimmten Teilen Europas von UCAR, in den verbleibenden Teilen Europas von SGL und in Japan und bestimmten Gebieten des Fernen Ostens von vier japanischen Unternehmen übernommen (Urteil Graphitelektroden, Randnrn. 12 und 13).

123 Dagegen war das Kartell auf dem Spezialgraphitmarkt nicht durch eine solche Marktaufteilung gekennzeichnet, obwohl es einige Versuche zur Aufteilung der Kundschaft gab, die aber offenbar fehlschlugen (vgl. insbesondere Randnrn. 171, 174, 178 bis 180, 192, 203, 292 und 295 der Entscheidung). Vielmehr hielten die Transportkosten und tarifären Handelshemmnisse die Produzenten nicht vom weltweiten Handel ab, was dadurch belegt wird, dass die japanischen Produzenten, obwohl sie außerhalb Japans über keine Produktionsstandorte verfügten, auf dem europäischen Markt agierten und einen Marktanteil von mehr als 20 % erzielen konnten (Randnr. 24 der Entscheidung).

124 Die Kommission hatte somit objektive Gründe, zwei getrennte Verfahren für den Graphitelektrodenmarkt und den Spezialgraphitmarkt einzuleiten, drei getrennte Zuwiderhandlungen festzustellen und drei getrennte Geldbußen zu verhängen.

125 Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass in der Entscheidung zwei Kartelle (für isostatisch gepressten Graphit und für stranggepressten Graphit) wegen der Verwandtschaft der betroffenen Produkte gemeinsam geahndet werden (Randnr. 347). Die Verwandtschaft dieser Kartelle hat es der Kommission nämlich nur ermöglicht, auf die Durchführung von zwei Verfahren zu verzichten. Dagegen wurden gegen die Mitglieder jedes Kartells gesonderte Geldbußen verhängt, eine für den Bereich des isostatisch gepressten Graphits und eine für den des stranggepressten Graphits, wobei die Verwandtschaft der Produkte keinen Einfluss auf die Sanktionen hatte.

126 Zum Klagegrund einer unzureichenden Begründung, der darauf gestützt wird, dass die Kommission auf das Argument des Fortsetzungszusammenhangs nicht eingegangen sei, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Begründung eines Rechtsakts die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das ihn erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die getroffene Maßnahme entnehmen und so ihre Rechte wahrnehmen können und der Gemeinschaftsrichter seine Kontrolle ausüben kann (Urteil Graphitelektroden, Randnr. 149, und Urteil des Gerichts vom 12. Juli 2001 in den Rechtssachen T-12/99 und T-63/99, UK Coal/Kommission, Slg. 2001, II-2153, Randnr. 196).

127 Im vorliegenden Fall konnte SGL aus dem Verhalten der Kommission ohne weiteres schließen, dass diese das Institut des Fortsetzungszusammenhangs hier nicht anwenden wollte. Sie beschreibt nämlich in der Entscheidung eingehend die verschiedenen Spezialgraphite, nicht aber die Graphitelektroden, die stattdessen Gegenstand einer früheren gesonderten Entscheidung waren. Das reichte aus, um SGL davon in Kenntnis zu setzen, dass gegen sie mehrere Sanktionen verhängt würden, da die Kommission so nicht hätte vorgehen können, wenn sie SGL nur eine einzige Zuwiderhandlung zur Last gelegt hätte. Im Übrigen war SGL voll und ganz in der Lage, ihren Standpunkt zu verteidigen, wonach ihre Beteiligung an den verschiedenen in Rede stehenden Kartellen als fortgesetzte Zuwiderhandlung einzustufen sei.

128 Nach alledem sind sämtliche Klagegründe zurückzuweisen, mit denen eine Verletzung des Verbots der Mehrfachahndung und der Pflicht der Kommission, zuvor verhängte Sanktionen zu berücksichtigen, sowie eine insoweit unzureichende Begründung gerügt werden.

129 Folglich ist auch der Klagegrund zurückzuweisen, wonach die Schwere der SGL zur Last gelegten Zuwiderhandlung übermäßig berücksichtigt worden sein soll, weil die Kommission drei gesonderte Ausgangsbeträge - für Graphitelektroden, für isostatisch gepressten Graphit und für stranggepressten Graphit - festgelegt habe, obwohl die Verfahren in den drei Rechtssachen auf ein und demselben Sachverhalt beruhten und sich die geahndeten Zuwiderhandlungen als eine einzige Handlung im Sinn von Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 darstellten. Wie bereits ausgeführt, war die Kommission zu der Annahme berechtigt, dass drei gesonderte Zuwiderhandlungen vorlagen, die mit drei gesonderten Geldbußen geahndet werden konnten.

2. Zu den Klagegründen, mit denen eine Verletzung der Verteidigungsrechte gerügt wird (T-91/03)

a) Vorbringen der Parteien

130 SGL wirft der Kommission erstens vor, ihren Anspruch auf rechtliches Gehör und ihre Verteidigungsrechte verletzt zu haben, indem die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte festgestellt habe, dass LCL und sie selbst als Anführer und Anstifter des Kartells auf dem Markt für isostatisch gepressten Graphit anzusehen seien, so dass sie davon habe ausgehen können, dass die Kommission ihre Tatbeiträge und die von LCL dahin gehend bewertet habe, dass beide Unternehmen einen vergleichbaren Beitrag zu dem festgestellten Kartell geleistet hätten. In der Entscheidung habe die Kommission ihre Bewertung jedoch dahin geändert, dass nunmehr SGL allein die Anführerrolle innegehabt haben solle. Die daraus resultierende Erhöhung ihrer Geldbuße um 50 % stelle daher eine neue und eigenständige Beschwer dar, zu der ihr kein rechtliches Gehör eingeräumt worden sei. Durch diese völlig überraschende Abwandlung der Bewertung des Sachverhalts habe die Kommission eine gewichtige Abstufung zwischen LCL und SGL geschaffen.

131 Angesichts der vorläufigen Bewertung in der Mitteilung der Beschwerdepunkte habe SGL sich nicht veranlasst gesehen, einer gleichen Bewertung ihrer Tatbeiträge und derjenigen von LCL im vorliegenden Fall entgegenzutreten. Die im Kern gleich gewichtete Darstellung ihrer jeweiligen Tatbeiträge in der Mitteilung der Beschwerdepunkte habe entweder, mangels Anführerschaft, keine Erhöhung oder allenfalls eine Erhöhung des Grundbetrags in gleichem Umfang erwarten lassen. SGL hätte aber gewiss schon einer Bewertung in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vehement widersprochen, wenn ihr darin die alleinige Anführerschaft des Kartells zugeschrieben worden und eine starke Erhöhung allein ihrer Geldbuße um 50 % angekündigt worden wäre.

132 Zweitens habe die Kommission Beamte mit der Bearbeitung des vorliegenden Falles betraut, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig und daher nicht in der Lage gewesen seien, die Argumente der Klägerin sprachlich hinreichend zu würdigen. Deren Erwiderung vom 25. Juli 2002 auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte habe die Kommission nämlich in der Entscheidung überhaupt nicht berücksichtigt. In dieser Erwiderung habe SGL die Kommission unmissverständlich darauf hingewiesen, dass in dieser Mitteilung enthaltene Zahlen falsch seien, und ihr tatsächlich relevante und korrekte Zahlen vorgelegt. In der Entscheidung fänden sich gleichwohl die ursprünglich in der Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgeführten Zahlen, ohne dass zu den von SGL übermittelten korrigierten Angaben Stellung genommen werde.

133 Drittens habe die Kommission zur Bemessung des Grundbetrags der festgesetzten Geldbußen in der Entscheidung bei den Umsätzen und Marktanteilen der beteiligten Unternehmen auf das Referenzjahr 1997 abgestellt. In der Mitteilung der Beschwerdepunkte seien dagegen die Zahlen des Jahres 1998 herangezogen worden. Durch diese Verwendung unterschiedlicher Referenzjahre sei der Klägerin die Möglichkeit genommen worden, zu den letztlich ihr gegenüber in der Entscheidung herangezogenen Zahlen Stellung zu nehmen. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte und die Entscheidung dürften aber in tatsächlicher Hinsicht nicht voneinander abweichen (Urteil des Gerichts vom 19. März 2003 in der Rechtssache T-213/00, CMA CGM u. a./Kommission, Slg. 2003, II-913, Randnr. 109). Die Kommission hätte auf die Änderung ihrer Vorgehensweise hinweisen müssen (Urteil des Gerichts vom 30. September 2003 in den Rechtssachen T-191/98 und T-212/98 bis T-214/98, Atlantic Container Line u. a./Kommission, Slg. 2003, II-3275, Randnrn. 162 bis 168, 170 bis 172 und 188).

134 Die Kommission beantragt, das Vorbringen von SGL zurückzuweisen.

135 Sie führt aus, ihre Dienststellen hätten den gesamten Schriftverkehr mit der Klägerin in deutscher Sprache geführt. Allein das dritte Auskunftsersuchen sei in englischer Sprache übersandt worden. Die Klägerin habe aber keine Übersetzung dieses Ersuchens beantragt, sondern sich damit begnügt, es in deutscher Sprache zu beantworten.

136 Was die Rolle von SGL und LCL im Rahmen des Kartells bei isostatisch gepresstem Graphit betreffe, so habe die Tatsache, dass LCL nicht als weitere Kartellanführerin eingestuft worden sei, die Entscheidung gegenüber der Klägerin nicht beeinflusst. Die Kommission habe ihre Schlussfolgerungen in der Entscheidung auf dieselben Tatsachen gestützt wie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte. Sie habe lediglich festgestellt, dass die LCL in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgeworfene führende Rolle nicht hinreichend nachgewiesen sei (Randnr. 487 der Entscheidung).

137 Schließlich treffe es nicht zu, dass in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und in der Entscheidung auf verschiedene Geschäftsjahre, und zwar auf die Jahre 1998 und 1997, bezogene Umsatzzahlen verwandt worden seien. In ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte habe die Kommission darauf hingewiesen, dass sie prüfen werde, ob gegen die Adressaten Geldbußen festzusetzen seien. Die Adressaten hätten sich daher gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung und gegen die Festsetzung von Geldbußen wehren können (Urteil HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 62 angeführt, Randnrn. 313 ff.).

b) Würdigung durch das Gericht

138 Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Beschwerdepunkte in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Betroffenen tatsächlich erkennen können, welches Verhalten die Kommission ihnen zur Last legt, und sich sachgerecht verteidigen können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt. Diesem Erfordernis ist Genüge getan, wenn die Entscheidung den Betroffenen keine anderen als die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannten Zuwiderhandlungen zur Last legt und nur Tatsachen berücksichtigt, zu denen sich die Betroffenen haben äußern können (vgl. Urteil CMA CGM u. a./Kommission, oben in Randnr. 133 angeführt, Randnr. 109 und die dort genannte Rechtsprechung).

139 Was speziell die Bemessung der Geldbußen angeht, so erfüllt die Kommission nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der Unternehmen, wenn sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Elemente wie Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung sowie den Umstand anführt, ob diese "vorsätzlich oder fahrlässig" begangen wurde. Damit macht sie gegenüber den Unternehmen die Angaben, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße benötigen (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 21, und Urteil des Gerichts vom 20. März 2002 in der Rechtssache T-23/99, LR AF 1998/Kommission, Slg. 2002, II-1705, Randnr. 199 und die dort genannte Rechtsprechung).

140 Folglich sind bei der Bemessung der Geldbußen die Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen gegenüber der Kommission dadurch gewahrt, dass sie sich zu Dauer, Schwere und erkennbarer Wettbewerbswidrigkeit der Zuwiderhandlung äußern können (Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1994, II-755, Randnr. 235, Urteil HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 62 angeführt, Randnr. 312, und Urteil LR AF 1998/Kommission, oben in Randnr. 139 angeführt, Randnr. 200).

141 Hat die Kommission die einer etwaigen Berechnung von Geldbußen zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Umstände angegeben, braucht sie dagegen nicht zu erläutern, wie jeder dieser Umstände in die Bemessung der Geldbuße einfließen könnte. Angaben zur Höhe der beabsichtigten Geldbußen wären nämlich, solange den Unternehmen keine Gelegenheit gegeben wurde, zu den gegen sie in Betracht gezogenen Beschwerdepunkten Stellung zu nehmen, eine nicht sachgerechte Vorwegnahme der Entscheidung der Kommission (vgl. Urteil LR AF 1998/Kommission, oben in Randnr. 139 angeführt, Randnr. 206 und die dort genannte Rechtsprechung).

142 Anhand dieser Rechtsprechung ist das Vorbringen von SGL zu prüfen.

143 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass SGL nicht geltend macht, die Entscheidung enthalte Vorwürfe in Bezug auf ihre rechtswidrige Beteiligung an den beanstandeten Kartellen, die, obwohl nicht in der Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgeführt, in Artikel 1 der Entscheidung gegen sie erhoben würden.

144 Sodann hat die Kommission in den Randnummern 402 bis 411 der Mitteilung der Beschwerdepunkte eindeutig angegeben, dass sie gegen die betroffenen Unternehmen Geldbußen verhängen werde, bei denen erstens Schwere, Dauer, Art und konkrete Folgen der Zuwiderhandlung sowie der Umfang des räumlich relevanten Marktes, zweitens etwaige mildernde oder erschwerende Umstände in Bezug auf jedes der betroffenen Unternehmen und drittens das Erfordernis berücksichtigt würden, die Geldbußen in angemessener Höhe festzusetzen, um eine ausreichende abschreckende Wirkung zu gewährleisten.

145 Somit hat die Kommission die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße gegen SGL wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände angeführt und dargelegt, dass sie diese Geldbuße u. a. anhand von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung festsetzen werde.

146 Zur Wahrung der Verteidigungsrechte von SGL war die Kommission nicht verpflichtet, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genauer anzugeben, wie sie jeden dieser Umstände in die Bemessung der Geldbuße einfließen lassen würde.

147 Diese Schlussfolgerung drängt sich umso mehr auf, als SGL im Mai 2002, als sie von der Mitteilung der Beschwerdepunkte Kenntnis erlangte, die von der Kommission im Jahr 1998 veröffentlichten Leitlinien bekannt waren, zu denen das Gericht bereits am 20. März 2002 entschieden hatte (Urteil LR AF 1998/Kommission, oben in Randnr. 139 angeführt, Randnrn. 231 bis 237), dass sie nicht über den durch Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgegebenen rechtlichen Rahmen für Sanktionen hinausgehen. SGL musste deshalb damit rechnen, dass bei der Berechnung etwaiger Geldbußen die dort im Einzelnen aufgeführten Umstände berücksichtigt würden, die ausdrücklich dazu beitragen sollen, die "Transparenz und Objektivität" der Bußgeldbemessung zu erhöhen (vgl. Absatz 1 der Leitlinien).

148 Sodann ist festzustellen, dass SGL und LCL in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgeworfen wurde, die Rolle von Anführern oder Anstiftern des Kartells gespielt zu haben (Randnr. 410). Der gleiche Vorwurf wurde in der Entscheidung in Bezug auf SGL als erschwerender Umstand herangezogen (Randnrn. 485 bis 488). Entgegen der Auffassung von SGL kann daher von einer neuen Beschwer ihr gegenüber keine Rede sein.

149 SGL hat auch nicht nachzuweisen vermocht, dass die Nichtberücksichtigung von LCL als zweiter Anführerin des Kartells Auswirkungen auf die Bemessung ihrer eigenen Geldbuße gehabt haben könnte. In der Entscheidung gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass SGL neben ihrer Verantwortung als Anführerin des Kartells ein Teil einer gemeinsamen Anführerrolle auferlegt worden wäre, den die Kommission ursprünglich LCL zugerechnet hätte.

150 Fest steht jedenfalls, dass SGL in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die vorläufige Bewertung der Kommission, wonach sie und LCL als Anführer des Kartells einzustufen seien, nicht in Frage gestellt hat. Da SGL bereits in mindestens ein anderes abgeschlossenes Kartellverfahren involviert war, wusste sie, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte insofern rein vorläufigen Charakter hatte, als jeder Adressat die Möglichkeit besaß, sich zu ihr zu äußern und Einfluss auf die vorläufige Bewertung der Kommission zu nehmen, so dass diese sich veranlasst sehen konnte, ihre Bewertung zu ändern und in ihrer endgültigen Entscheidung den einen oder anderen der ursprünglich in Betracht gezogenen Vorwürfe fallen zu lassen.

151 SGL konnte somit vernünftigerweise nicht ausschließen, dass LCL ihre vorläufige Einstufung als Anführerin des Kartells anfechten und dass sich die Kommission von diesen Einwänden überzeugen lassen würde. Da die Klägerin ihre eigene Rolle als Anführerin nicht bestritt, musste sie deshalb damit rechnen, dass die Kommission in der Entscheidung nur von einer einzigen Anführerin des Kartells, nämlich SGL, ausgehen und ihren Ausgangsbetrag um 50 % erhöhen würde, wie es bereits in Randnummer 356 der Entscheidung 2001/418/EG vom 7. Juni 2000 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag bzw. Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/36.545/F3 - Aminosäuren) (ABl. 2001, L 152, S. 24, im Folgenden: Lysin-Entscheidung) geschehen war.

152 Was das in der Entscheidung zur Bußgeldbemessung herangezogene Referenzjahr - das letzte vollständige Kalenderjahr der Zuwiderhandlung - betrifft, so hat SGL nicht angegeben, inwiefern ihre Verteidigungsrechte dadurch verletzt worden sein sollten, dass in der Entscheidung die für 1997 geltenden Zahlen herangezogen wurden, während in der Mitteilung der Beschwerdepunkte auf die Zahlen des Jahres 1998 abgestellt wurde. SGL selbst hatte nämlich die Zahlen sowohl für 1997 als auch für 1998 geliefert, bevor die Mitteilung der Beschwerdepunkte abgefasst wurde. Die Klägerin hatte somit Gelegenheit, diese Zahlen mit allen von ihr für sinnvoll gehaltenen Kommentaren zu versehen.

153 SGL musste jedenfalls damit rechnen, dass das letztlich herangezogene Referenzjahr von dem in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorläufig angegebenen Jahr abweichen könnte. Die Festlegung dieses Jahres hing nämlich von der genauen Dauer der Zuwiderhandlung ab. Diese Dauer wurde aber erst in der Entscheidung unter Berücksichtigung der Erwiderungen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte endgültig festgestellt.

154 Schließlich beschränkt sich das Vorbringen, die Kommission habe mit dem "deutschen SGL-Vorgang" Beamte betraut, welche die deutsche Sprache nicht beherrscht hätten, auf eine reine Behauptung, die durch keinen fundierten Beweis untermauert wird. Auch wenn es zutrifft, dass die Entscheidung den Einwand der Klägerin zu den angeblich falschen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltenen und unverändert in die Entscheidung übernommenen Zahlen nicht berücksichtigt, war dieses Versäumnis jedenfalls nicht geeignet, die Verteidigungsrechte von SGL zu beeinträchtigen. Sollte sich nämlich vor Gericht herausstellen, dass die Kommission entgegen den Ausführungen von SGL auf korrekte Zahlen zurückgegriffen hat, so hätte sie diesen Einwand zu Recht außer Acht gelassen. Gelingt SGL dagegen der Nachweis, dass die Zahlen tatsächlich falsch waren, so wäre die Entscheidung sachlich fehlerhaft und müsste in diesem Punkt für nichtig erklärt werden.

155 Nach alledem sind sämtliche auf eine Verletzung der Verteidigungsrechte gestützten Klagegründe zurückzuweisen.

3. Zu den Klagegründen, mit denen eine Missachtung der Leitlinien, deren Rechtswidrigkeit und eine insoweit unzureichende Begründung gerügt werden

a) Zum rechtlichen Rahmen der gegen die Klägerinnen festgesetzten Geldbußen und zur Anwendbarkeit der Leitlinien (T-91/03)

156 Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission "gegen Unternehmen ... durch Entscheidung Geldbußen in Höhe von eintausend bis einer Million [Euro] oder über diesen Betrag hinaus bis zu zehn vom Hundert des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig ... gegen Artikel [81] Absatz (1) ... des Vertrages verstoßen". Weiter heißt es dort: "Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist neben der Schwere des Verstoßes auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen."

157 Diese Bestimmung verleiht der Kommission ein Ermessen bei der Festsetzung von Geldbußen, dessen Ausübung insbesondere von ihrer allgemeinen Politik im Bereich des Wettbewerbs abhängt. In diesem Rahmen hat die Kommission, um Transparenz und Objektivität ihrer Bußgeldentscheidungen zu erhöhen, im Jahr 1998 ihre Leitlinien erlassen. Mit ihnen sollen, unter Beachtung des höherrangigen Rechts, die Kriterien präzisiert werden, die sie bei der Ausübung ihres Ermessens anzuwenden gedenkt; daraus ergibt sich eine Selbstbeschränkung dieses Ermessens, da sich die Kommission an die selbst auferlegten Leitlinien halten muss (vgl. Urteil Graphitelektroden, Randnr. 157 und die dort genannte Rechtsprechung).

158 Im vorliegenden Fall hat die Kommission nach den Randnummern 430 bis 560 der Entscheidung gegen alle Klägerinnen wegen der festgestellten Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen Geldbußen festgesetzt. Aus diesen Randnummern geht hervor, dass die Geldbußen nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 festgesetzt wurden und dass die Kommission - auch wenn in der Entscheidung nicht ausdrücklich auf die Leitlinien Bezug genommen wird - die Höhe der Geldbußen in Anwendung der in den Leitlinien festgelegten Methode ermittelte.

159 SGL rügt die Rechtswidrigkeit der generellen Berechnungsmethode nach den Leitlinien, da die festgesetzten Geldbußen nicht proportional zum Umsatz seien. Die Kommission habe mit dem Erlass der Leitlinien und ihrer Anwendung in der Praxis bewusst den jahrzehntelang praktizierten Ansatz der Bemessung einer zum Umsatz proportionalen Geldbuße verlassen. Die neue Methode der Kommission führe zu ungerechten Ergebnissen und insbesondere zu hohen Strafen für kleine und mittlere Unternehmen wie SGL.

160 Hierzu genügt die Feststellung, dass die in den Leitlinien dargelegte allgemeine Methode für die Berechnung von Geldbußen auf den beiden in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 genannten Kriterien - Schwere des Verstoßes und Dauer der Zuwiderhandlung - beruht und die dort festgelegte Obergrenze in Bezug auf den Umsatz jedes Unternehmens beachtet. Die Leitlinien gehen somit nicht über den in der genannten Bestimmung vorgegebenen rechtlichen Rahmen für Sanktionen hinaus (vgl. Urteil Graphitelektroden, Randnrn. 189 und 190 und die dort genannte Rechtsprechung).

161 Die Änderung der früheren Verwaltungspraxis der Kommission durch die Leitlinien stellt keine gegen das allgemeine Verbot der Rückwirkung von Gesetzen oder den allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßende Verfälschung des rechtlichen Rahmens für die Ermittlung des Betrages der zu verhängenden Geldbußen dar. Die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verlangt vielmehr, dass die Kommission das Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft anpassen kann (vgl. Urteil Graphitelektroden, Randnrn. 191 und 192 und die dort genannte Rechtsprechung).

162 Folglich ist der auf die Unanwendbarkeit der Leitlinien gestützte Klagegrund zurückzuweisen.

163 Somit ist unter Berücksichtigung insbesondere des durch die Leitlinien vorgegebenen Rahmens zu prüfen, ob die in Artikel 3 der Entscheidung festgesetzten Geldbußen - wie die Klägerinnen behaupten - überhöht sind und auf der Grundlage einer fehlerhaften Methodik bestimmt wurden.

164 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission zwar über Ermessen bei der Festsetzung der einzelnen Geldbußen verfügt, ohne verpflichtet zu sein, eine genaue mathematische Formel anzuwenden; das Gericht hat jedoch nach Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 bei Klagen gegen Entscheidungen der Kommission, in denen eine Geldbuße festgesetzt ist, die Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung im Sinn von Artikel 229 EG und kann somit die festgesetzte Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen. Seine Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Geldbuße kann, unabhängig von etwaigen offensichtlichen Ermessensfehlern der Kommission, die Vorlage und die Heranziehung zusätzlicher Informationen erfordern, die nicht in der Entscheidung der Kommission erwähnt sind (vgl. Urteil Graphitelektroden, Randnr. 165 und die dort genannte Rechtsprechung).

b) Zusammenfassung der Entscheidung

165 In den Randnummern 436 bis 478 der Entscheidung hat die Kommission den Ausgangsbetrag jeder Geldbuße anhand der Schwere der Zuwiderhandlung bestimmt. In diesem Zusammenhang hat sie Folgendes berücksichtigt:

- die Art der beiden Zuwiderhandlungen, die im Wesentlichen aus Preisabsprachen bestanden und zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung führten, wobei sie die Ansicht vertrat, dass es sich um schwerwiegende Verstöße gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen handele;

- die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlungen auf die Märkte für isostatisch gepressten und stranggepressten Graphit im EWR, wobei sie die Ansicht vertrat, dass auf die Kartellteilnehmer ein Großteil des Weltmarkts und des europäischen Marktes im relevanten Bereich entfallen sei und dass die Preise nicht nur vereinbart, sondern auch während des gesamten Zeitraums der Zuwiderhandlung angewandt worden seien, so dass sie konkrete Auswirkungen auf den Markt gehabt hätten;

- die Größe des relevanten räumlichen Marktes, wobei sie ausführte, dass die beiden Zuwiderhandlungen den ganzen Gemeinsamen Markt und, nach seiner Gründung, den ganzen EWR betroffen hätten.

166 Aufgrund dieser Faktoren kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass die betreffenden Unternehmen "sehr schwerwiegende Zuwiderhandlungen" begangen hätten.

167 Sodann nahm die Kommission eine differenzierte Behandlung vor, um der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit jedes Unternehmens Rechnung zu tragen, den Wettbewerb in erheblichem Umfang zu schädigen. Zu diesem Zweck teilte sie die beteiligten Unternehmen in verschiedene Kategorien ein, wobei sie den weltweiten Umsatz und die weltweiten Marktanteile heranzog. Der Vergleich wurde auf die weltweiten Marktanteile bei den fraglichen Erzeugnissen (isostatisch gepresster und stranggepresster Spezialgraphit in Blöcken und Blockzuschnitten) im letzten Kalenderjahr der Zuwiderhandlung, dem Jahr 1997, gestützt.

168 Insoweit hat die Kommission in Bezug auf die Produkte aus isostatisch gepresstem Graphit auf Spalte 4 von Tabelle 1 (in Randnr. 16 der Entscheidung) verwiesen:

 UnternehmenWeltweiter Gesamtumsatz (alle Geschäftsbereiche) des jeweiligen Unternehmens oder der Firmengruppe im Jahr 2001 (in Millionen Euro)Isostatischer Spezialgraphit: weltweiter Umsatz im Jahr 1997 (in Millionen Euro)Isostatischer Spezialgraphit in Blöcken und Zuschnitten: weltweiter Umsatz im Jahr 1997 (in Millionen Euro) und geschätzter MarktanteilIsostatischer Spezialgraphit: Umsatz im Jahr 1997 im EWR (in Millionen Euro)
SGL1 23380,4[30-40 (30 %-40 %)]40,3
LCL803,751,3[10-14 (10 %-14 %)]20,1
Ibiden1 95035,5[6-10 (6 %-10 %)]3,1
Tokai58829,3[9-14 (9 %-14 %)]3,4
TT166,299,6[21-27 (21 %-27 %)]11,39
UCAR7207,9[2-5 (2 %-5 %)]2,6
NSC/NSCC1 809/26,59[4-7 (4 %-7 %)]0,9
Intech EDM BV/Intech EDM AG11,3/4,22,3[1-3 (1 %-3 %)]2,3

Sie hat darauf hingewiesen, dass nach Angaben der Unternehmen Blöcke und Blockzuschnitte folgenden Anteil an ihrem Gesamtumsatz bei isostatisch gepresstem Graphit hätten:

SGL: [45 %-55 %], LCL: [20 %-30 %], Ibiden: [20 %-30 %], Tokai: [55 %-65 %], TT: [25 %-35 %], UCAR: [35 %-45 %], NSCC: [50 %-60 %] und Intech: [80 % bis 90 %] (Tabelle 2, Randnr. 16 der Entscheidung).

169 In Bezug auf Produkte aus stranggepresstem Graphit hat die Kommission auf Spalte 3 von Tabelle 3 (in Randnummer 17 der Entscheidung) verwiesen:

 UnternehmenStranggepresster Spezialgraphit: weltweiter Umsatz im Jahr 1995 (in Millionen Euro)Stranggepresster Spezialgraphit in Blöcken und Blockzuschnitten: geschätzter weltweiter Umsatz im Jahr 1995 (in Millionen Euro) und geschätzter MarktanteilStranggepresster Spezialgraphit: Umsatz im EWR 1995 (in Millionen Euro)
UCAR45,8[12-17 (25 %-35 %)]20,6
SGL31,7[12-17 (25 %-35 %)]24,5

Sie hat darauf hingewiesen, dass nach Angaben der Unternehmen Blöcke und Blockzuschnitte für UCAR und SGL einen Anteil von [20 %-30 %] bzw. [40 %-50 %] an ihrem Gesamtumsatz bei stranggepresstem Graphit hätten.

170 Aufgrund der Angaben zum Markt für isostatisch gepressten Graphit wurde SGL - die als der weltweit bei weitem größte Hersteller von isostatisch gepresstem Graphit in Blöcken und Blockzuschnitten (Marktanteil zwischen 30 % und 40 %) angesehen wurde - der obersten Kategorie zugeordnet (Ausgangsbetrag von 20 Millionen Euro). TT wurde in die zweite Kategorie (Marktanteil zwischen 21 % und 27 %) mit einem Ausgangsbetrag von 14 Millionen Euro eingestuft. LCL und Tokai, deren Marktanteile über 10 % lagen, fielen in die dritte Kategorie (Ausgangsbetrag von 7,4 Millionen Euro). Ibiden und NSC/NSCC gehörten mit Marktanteilen zwischen 5 % und 10 % zur vierten Kategorie (Ausgangsbetrag von 3,8 Millionen Euro). UCAR und Intech, deren Marktanteile unter 5 % betrugen, befanden sich in der fünften Kategorie (Ausgangsbetrag von 1,4 Millionen Euro).

171 Aufgrund der Angaben zum Markt für stranggepressten Graphit wurden UCAR und SGL, die mit Marktanteilen jeweils zwischen 25 % und 35 % eine vergleichbare Stellung auf dem Weltmarkt einnahmen, in eine einzige Kategorie eingestuft (Ausgangsbetrag von 15 Millionen Euro).

c) Zu den anhand der Schwere der Zuwiderhandlungen festgesetzten Ausgangsbeträgen (T-71/03, T-74/03 und T-87/03)

Vorbringen der Parteien

172 Tokai und Intech tragen mehrere Klagegründe und Argumente vor, die sich insbesondere gegen die Methode der Kommission bei der Berechnung des Ausgangsbetrags für die Kartellmitglieder im Bereich des isostatisch gepressten Spezialgraphits, die verwendeten Zahlen und die Beurteilung der Schwere der begangenen Zuwiderhandlung richten.

173 Tokai wirft der Kommission vor, gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung verstoßen, sich auf einen offensichtlichen Sachverhaltsirrtum und Rechtsfehler gestützt sowie Nummer 1 A Absätze 4 und 6 der Leitlinien dadurch missachtet zu haben, dass sie ausschließlich auf den weltweiten Umsatz bei dem fraglichen Produkt und den Weltmarktanteil abgestellt habe, als sie die Adressaten der Entscheidung in mehrere Kategorien eingestuft und jeder Kategorie einen spezifischen "Ausgangsbetrag" der Geldbuße zugeordnet habe. Die Kommission habe zu Unrecht nicht die Umsätze und Marktanteile im EWR herangezogen, die am besten die Möglichkeit der einzelnen Unternehmen, dem Wettbewerb im EWR zu schaden, sowie ihren tatsächlichen Einfluss auf diesen Wettbewerb widergespiegelt hätten.

174 Das oben in Randnummer 101 angeführte Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission (Randnrn. 192, 193 und 196) und das Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2003 in der Rechtssache T-230/00 (Daesang und Sewon Europe/Kommission, Slg. 2003, II-2733, Randnrn. 48 bis 53), die beide zum Lysin-Kartell ergangen seien (vgl. die oben in Randnr. 151 angeführte Lysin-Entscheidung), bestätigten ihre These, da sich auch das Gericht auf eine Beurteilung der tatsächlichen Bedeutung der Unternehmen auf dem betroffenen Markt - dem EWR - gestützt habe. Es könne nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass ein Unternehmen, das auf einem Markt außerhalb der Gemeinschaft erhebliches Gewicht habe, auf dem EWR-Markt nur über eine schwache Stellung verfüge. Tokai sei als japanischer Hersteller immer in geringerem Umfang auf dem EWR-Markt tätig gewesen, denn ihr natürlicher Markt sei Asien und der Ferne Osten. Die Vernachlässigung der Umsätze im EWR bestrafe die japanischen und begünstige die europäischen Hersteller.

175 Tokai sei in die gleiche Kategorie wie LCL eingestuft worden, obwohl ihr Umsatz bei isostatisch gepresstem Graphit im EWR nur etwa ein Sechstel des Umsatzes von LCL betragen habe. Außerdem sei der Ausgangsbetrag der Geldbuße bei Ibiden auf die Hälfte des Ausgangsbetrags von Tokai festgesetzt worden, obwohl ihre Umsätze bei isostatisch gepresstem Graphit im EWR in absoluten Zahlen praktisch gleich gewesen seien. Der Anteil von Tokai am Weltmarkt habe 9 % betragen, während er im EWR nur bei 4 % gelegen habe. Folglich dürfte sie höchstens in die vierte Kategorie mit einem Ausgangsbetrag von 3,8 Millionen Euro eingestuft werden.

176 Die Kommission habe jedenfalls gegen Artikel 253 EG verstoßen, da sie nicht erläutert habe, weshalb die Marktanteile auf EWR-Ebene bei der Bemessung der Geldbuße nicht berücksichtigt worden seien und weshalb diese Marktanteile keinen verlässlichen Hinweis auf den Einfluss des Verhaltens der Unternehmen auf den Wettbewerb im EWR gäben.

177 Intech trägt dagegen vor, die Kommission hätte allein den weltweiten Gesamtumsatz (bei allen Produkten) berücksichtigen dürfen. Dieser Gesamtumsatz spiegele die Bedeutung des betreffenden Unternehmens getreu wider und verhindere, dass eine unverhältnismäßige Geldbuße festgesetzt werde.

178 Die Kommission beantragt, das gesamte Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen.

179 Sie macht insbesondere geltend, sie habe sich bei der Festlegung des Ausgangsbetrags der Geldbußen nicht ausschließlich auf den weltweiten Umsatz gestützt, sondern zahlreiche Kriterien berücksichtigt. Allerdings gäben der weltweite Umsatz und der Weltmarktanteil das relative Gewicht der Unternehmen auf dem relevanten Markt und somit ihre Möglichkeit wieder, den Wettbewerb im EWR schwerwiegend zu stören.

Würdigung durch das Gericht

180 Soweit Intech der Kommission vorwirft, die verschiedenen Ausgangsbeträge nicht anhand des Gesamtumsatzes bei allen Produkten ermittelt zu haben, ist darauf hinzuweisen, dass die einzige ausdrückliche Bezugnahme auf den Umsatz in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 die Obergrenze betrifft, die eine Geldbuße nicht übersteigen darf, und dass bei dieser Obergrenze auf den Gesamtumsatz abzustellen ist. Innerhalb dieser Grenze kann die Kommission den Umsatz, den sie hinsichtlich des geografischen Gebietes und der betroffenen Produkte als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Geldbuße heranziehen will, grundsätzlich frei wählen, ohne dass sie verpflichtet wäre, genau auf den Gesamtumsatz abzustellen (vgl. Urteil Graphitelektroden, Randnr. 195 und die dort genannte Rechtsprechung).

181 In diesem Zusammenhang hat das Gericht bereits ausgeführt, dass es der Kommission freisteht, in Anwendung ihrer Leitlinien als Ausgangspunkt ihrer Berechnung bei allen betroffenen Unternehmen einen nach Maßgabe der Art der Zuwiderhandlung festgesetzten Betrag zu wählen, der dann bei jedem der betroffenen Unternehmen anhand mehrerer Umstände angepasst wird (Urteil CMA CGM u. a./Kommission, oben in Randnr. 139 angeführt, Randnrn. 384, 385, 416 und 437).

182 Intech bestreitet nicht, dass die Kommission im vorliegenden Fall diese Methode, wie in den Leitlinien vorgesehen, angewendet hat. Folglich kann Intech nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Kommission rechtlich verpflichtet gewesen wäre, sich allein auf den weltweiten Umsatz zu stützen. Ihre Rüge ist daher zurückzuweisen.

183 Zur These von Tokai, dass sich die Kommission anstelle eines "weltweiten Ansatzes" auf die durch den Verkauf des Produkts in Europa erzielten Umsätze und Marktanteile hätte stützen müssen, ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in Anwendung ihrer Leitlinien die Einteilung der in das Isographit-Kartell verwickelten Unternehmen in zwei Schritten vorgenommen hat.

184 In einem ersten Schritt hat sie nach Nummer 1 A Absätze 1 und 2 der Leitlinien die Schwere der Zuwiderhandlung - die in der Errichtung eines Preisfestsetzungskartells bestand, das im gesamten EWR-Markt umgesetzt wurde - als solche ermittelt (Randnrn. 437 bis 457 der Entscheidung).

185 In einem zweiten Schritt hat die Kommission nach Nummer 1 A Absätze 3, 4 und 6 der Leitlinien Umstände für eine differenzierte Behandlung der einzelnen Unternehmen berücksichtigt. Hierzu geht aus der Entscheidung hervor, dass die Kommission die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit jedes zuwiderhandelnden Unternehmens, andere Wirtschaftsteilnehmer in erheblichem Umfang zu schädigen, sowie das Gewicht und folglich die tatsächlichen Auswirkungen des rechtswidrigen Verhaltens jedes Unternehmens auf den Wettbewerb berücksichtigt hat, um eine hinreichend abschreckende Wirkung der verhängten Geldbußen zu gewährleisten (Randnrn. 458 bis 475 der Entscheidung).

186 Im letztgenannten Zusammenhang hat sie die Ansicht vertreten, dass angesichts des globalen Charakters des Kartells als Grundlage für die Ermittlung der relativen Bedeutung der einzelnen Unternehmen auf dem relevanten Markt die weltweiten Produktmarktanteile heranzuziehen seien, da sie am besten Aufschluss über die Fähigkeit der Unternehmen gäben, den übrigen Wirtschaftsteilnehmern auf dem europäischen Markt erheblichen Schaden zuzufügen, und einen Hinweis auf den Beitrag dieser Unternehmen zur Wirksamkeit des Kartells insgesamt oder umgekehrt darauf gäben, wie anfällig das Kartell ohne ihre Teilnahme gewesen wäre (Randnr. 471 der Entscheidung).

187 Diese Erwägungen können nicht allein deshalb in Frage gestellt werden, weil das fragliche Kartell keine strikte Regelung zur geografischen Aufteilung der Märkte vorsah, wie sie für das Kartell auf dem Graphitelektrodenmarkt kennzeichnend war.

188 Durch ihre Teilnahme an der Kartellpreisregelung haben die Mitglieder des vorliegenden Kartells nämlich freiwillig auf einen der wichtigsten Wettbewerbsparameter verzichtet: die Erlangung zusätzlicher Marktanteile, insbesondere in Europa, durch eine Senkung ihrer Preise. Ihre Zusage, die festgelegten Preise nicht zu unterbieten, bedeutete somit, dass sie auf dem europäischen Markt nicht ihr gesamtes, d. h. weltweites, Wettbewerbspotential einsetzten. Hätten sie nicht an der Preisabsprache teilgenommen, so hätten sie ihre Preispolitik ohne jede Verpflichtung gegenüber den Konkurrenten festlegen und damit unterhalb der Kartellpreise verkaufen können, um ihre Marktanteile in Europa zu erhöhen.

189 Dass es einen engen Zusammenhang zwischen Preisen und Marktanteilen gab, wird durch TT bestätigt. In ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte (Anlage A 3 zur Klageschrift T-72/03, S. 14/15 und 17) hat TT ausdrücklich erklärt,

- dass ihre langfristige Strategie darin bestanden habe, ihren Marktanteil in Europa durch umfangreichere Verkäufe zu erhöhen, was nur durch Preissenkungen möglich gewesen sei;

- dass SGL sich darüber beklagt habe, dass TT sich nicht an die Preisabsprache halte und ihren Marktanteil in Nordamerika und Europa erhöht habe;

- dass es in einem Bericht über die aktuelle Marktlage in Europa heiße, dass das größte Problem bei den Preisen die Haltung von TT sei, die ihren Marktanteil durch Nichteinhaltung der Preisabsprache erheblich erhöhen könnte.

190 Auch wenn TT ihre Klage nach der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat (siehe oben, Randnr. 33), können diese Umstände vom Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung (siehe oben, Randnr. 164) berücksichtigt werden, zumal die Rechtssache T-72/03 mit den übrigen Rechtssachen verbunden war (siehe oben, Randnr. 30).

191 Außerdem hat NSCC erklärt, dass TT durch Nichteinhaltung der festgelegten Preise erhebliche Marktanteile erlangen könnte (Randnr. 286, vorletzter Absatz, der Entscheidung).

192 Soweit Tokai behauptet, ihr weltweites Wettbewerbspotential auf dem europäischen Markt durch die Erlangung eines Marktanteils von 20 % bereits voll ausgeschöpft zu haben, steht ihre Argumentation zum einen in Widerspruch zu dem dargelegten engen Zusammenhang zwischen Preisen und Marktanteilen. Zum anderen kann Tokai sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihre fehlende Aggressivität bei den Preisen auch ohne ihre Teilnahme an der Preisabsprache dieselben Auswirkungen auf den europäischen Markt gehabt hätte. Hierzu genügt die Feststellung, dass ihr Verhalten im Bereich der Kartellpreise auf dem europäischen Markt genau dem Zweck der Absprachen und der effektiven Funktionsweise des Kartells entsprach, so dass der Schluss zulässig ist, dass Tokai ihr weltweites Wettbewerbspotential auf dem europäischen Markt ungeachtet ihres Anteils von 20 % an diesem Markt nicht voll eingesetzt hat (in diesem Sinn auch Urteil Graphitelektroden, Randnr. 207).

193 Diese Schlussfolgerung steht nicht in Widerspruch zum Urteil Graphitelektroden, das ein Kartell zur Preisfestsetzung und Aufteilung der Märkte nach dem Prinzip des "Home producers" zum Gegenstand hatte, demzufolge die nicht aus dem EWR stammenden Hersteller, statt einen aggressiven Wettbewerb auf dem Markt des EWR zu betreiben, sich von diesem Markt zurückziehen sollten, der nicht ihr Heimatmarkt war. Das Gericht hat in jenem Urteil (Randnr. 198) zwar entschieden, dass eine Berechnung des Ausgangsbetrags der "Non-home producer" anhand ihres geringen Umsatzes im EWR bei dem fraglichen Erzeugnis diese Unternehmen dafür belohnt hätte, dass sie sich an eines der Grundprinzipien des Kartells hielten und bereit waren, auf dem EWR-Markt keinen Wettbewerb zu betreiben.

194 Wenn diese Erwägungen deutlich machten, dass ein "weltweiter Ansatz" im Fall einer geografischen Aufteilung der Märkte, wie sie im Bereich der Graphitelektroden vorgenommen worden war, besonders angebracht ist, kann daraus jedoch keinesfalls der Umkehrschluss gezogen werden, dass ein "weltweiter Ansatz" im Fall einer Preisabsprache ohne Aufteilung der Märkte strikt ausgeschlossen wäre.

195 Zwar hat das Gericht in den von Tokai angeführten Urteilen Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission (siehe oben, Randnr. 101) sowie Daesang und Sewon Europe/Kommission (siehe oben, Randnr. 174) in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung die in der angefochtenen Entscheidung vorgenommene Berechnung der Ausgangsbeträge durch eine auf die Umsätze mit dem Produkt im EWR gestützte Berechnung ersetzt (Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnrn. 189, 197, 198 und 204, und Urteil Daesang und Sewon Europe/Kommission, Randnrn. 45, 53, 54 und 62). Die von der Kommission vorgenommene Berechnung wurde in jenen Urteilen beanstandet, weil sie im Wesentlichen auf dem weltweiten Gesamtumsatz der betroffenen Unternehmen auf allen Geschäftsfeldern beruhte, was dem Gericht als eine zu ungenaue Sichtweise erschien (Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 193, und Urteil Daesang und Sewon Europe/Kommission, Randnr. 49).

196 Im vorliegenden Fall beruht die Entscheidung aber nicht auf solchen als zu ungenau einzustufenden Daten. Die Kommission hat nämlich den weltweiten Umsatz bei dem fraglichen Produkt herangezogen. Wie oben dargelegt, ist gegen diese Vorgehensweise nichts einzuwenden.

197 Daraus folgt, dass die Klagegründe, mit denen eine falsche Wahl des bei der Ermittlung der Ausgangsbeträge heranzuziehenden Umsatzes gerügt wird, zurückzuweisen sind und dass die Kommission keinen Fehler begangen hat, als sie den weltweiten Umsatz mit dem fraglichen Produkt zugrunde legte. Das Gericht ist jedenfalls in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung der Ansicht, dass die von der Kommission angewandte Methode im vorliegenden Fall die Fähigkeit der Unternehmen zur Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs in geeigneter Weise erfasst.

198 Nicht gefolgt werden kann auch dem Klagegrund einer unzureichenden Begründung, die darin bestehen soll, dass die Kommission nicht erläutert habe, weshalb die Marktanteile auf der Ebene des EWR im vorliegenden Zusammenhang vernachlässigt worden seien. Die Kommission hat nämlich in Randnummer 471 der Entscheidung die Gründe für einen "weltweiten Ansatz" und in Randnummer 473 die gegen eine Zugrundelegung der EWR-Marktanteile sprechenden Gründe dargelegt. Unter diesen Umständen konnten die Klägerinnen alle Argumente vorbringen, die sie zur Verteidigung ihres Standpunkts vor dem Gericht für nützlich hielten.

199 Folglich erübrigt sich die von Tokai am 14. September 2004 beantragte prozessleitende Maßnahme, da dieser Antrag Klarstellungen in Bezug auf bestimmte auf dem EWR-Markt erzielte Umsätze betrifft, d. h. Daten, die im vorliegenden Zusammenhang irrelevant sind.

d) Zur Heranziehung der konkreten Zahlen zur Einteilung der Kartellmitglieder in Kategorien und zur Festlegung der entsprechenden Ausgangsbeträge (T-71/03 und T-91/03)

Vorbringen der Parteien

200 Tokai weist darauf hin, dass die Kommission sie zusammen mit LCL in die dritte Unternehmenskategorie eingestuft habe, weil sie im Jahr 1997 einen Weltmarktanteil von über 10 % gehalten habe. Die Kommission habe diesen Marktanteil aber zu hoch angesetzt, da sie die Gesamtgröße des Marktes unterschätzt habe. In Wirklichkeit habe der Weltmarktanteil von Tokai bei isostatisch gepresstem Graphit in Blöcken und Blockzuschnitten unter 10 % gelegen.

201 Tokai führt hierzu aus, die Spannbreite der von den einzelnen Unternehmen im Jahr 1997 erzielten Umsätze habe nach Spalte 4 von Tabelle 1 in absoluten Zahlen der Spannbreite ihres Marktanteils (für Tokai: "9-14 [9 %-14 %]") entsprochen. Das könne nur dann der Fall sein, wenn die Kommission davon ausgegangen sei, dass sich die Gesamthöhe des Umsatzes bei isostatisch gepresstem Graphit in Blöcken und Blockzuschnitten auf 100 Millionen Euro belaufen habe (was 100 % entspreche). Der Wert von 100 Millionen Euro sei aber eine Unterschätzung der Gesamtgröße des Marktes. Nach Spalte 3 von Tabelle 1 habe sich der im Jahr 1997 erzielte Gesamtumsatz aller Adressaten der Entscheidung bei isostatisch gepresstem Graphit nämlich auf 315 Millionen Euro belaufen.

202 Die Kommission habe jedoch in Randnummer 23 der Entscheidung selbst erklärt, dass der Markt für isostatisch gepressten Graphit von acht globalen Akteuren (TT, Tokai, SGL, LCL, Ibiden, NSC/NSCC, UCAR und POCO) beherrscht worden sei, "die 80 % des Weltmarktes kontrollierten". Angesichts des weltweiten Umsatzes von POCO habe der Gesamtumsatz mit isostatisch gepresstem Spezialgraphit im Jahr 1997 annähernd 440 Millionen Euro betragen. Bei Anwendung der in Spalte 4 von Tabelle 1 genannten Spannbreite von 32 %-41 % auf diesen Betrag erhalte man eine Spannbreite für den weltweiten Umsatz mit Spezialgraphit in Blöcken und Blockzuschnitten von 140 bis 180 Millionen Euro. Der tatsächliche Umsatz von Tokai ([9-14] Millionen Euro im Jahr 1997) entspreche somit jedenfalls einem Marktanteil von unter 10 %.

203 Tokai und SGL schließen daraus, dass die von der Kommission bei der Kategorisierung der Unternehmen anhand ihres individuellen wirtschaftlichen Gewichts verwendeten Zahlen fragwürdig, wenn nicht sogar falsch seien. Die Kommission habe die Größe des relevanten Marktes grob unterschätzt.

204 Folglich hätte Tokai nicht in die dritte, sondern in die vierte Unternehmenskategorie eingestuft werden müssen. Der Irrtum der Kommission bei der Einstufung und Bewertung stelle einen offensichtlichen Beurteilungsfehler dar.

205 Schließlich habe die Kommission dadurch gegen Artikel 253 EG verstoßen, dass sich ihre Bewertung auf keine in der Entscheidung erwähnte Angabe stütze und auf Widersprüche gegründet sei. Wenn die Kommission tatsächlich "relative Marktanteile" berücksichtigt habe, gehe dies jedenfalls nicht eindeutig aus der Entscheidung hervor.

206 SGL wirft der Kommission vor, in Bezug auf die Bemessungsgrundlage der Geldbußen einen groben Fehler begangen zu haben.

207 Bei isostatisch gepresstem Graphit stützten sich sowohl die Mitteilung der Beschwerdepunkte als auch die Entscheidung - insbesondere Tabelle 1 (siehe oben, Randnr. 168) (Randnr. 16 der Entscheidung) - in Bezug auf SGL auf die von dieser selbst gelieferten Daten, nämlich die Umsatzzahlen des Bereichs "Industrial Applications" für die Zeit von 1993 bis 1998, die sie der Kommission am 15. Juni 2000 übersandt habe. Diese Zahlen seien mit Erläuterungen versehen worden, wonach die weltweiten Gesamtumsätze von SGL bei Isographit-Produkten wesentlich niedriger gewesen sein müssten als die Gesamtumsätze des Bereichs "Industrial Applications", insbesondere bei den Geschäftsfeldern "Semicon", "Analytical" und "Powder". Dessen ungeachtet habe die Kommission die Gesamtumsätze verwendet und somit ein verzerrtes Bild der Wettbewerbsverhältnisse gezeichnet.

208 Diese fehlerhafte Darstellung habe SGL bereits in ihrer Erwiderung vom 25. Juli 2002 auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gerügt. Sie habe u. a. beanstandet, dass die Darstellung der Kommission den falschen Eindruck erwecke, dass SGL Weltmarktführer für Isographit gewesen sei, während etwa zwei Drittel der weltweiten Gesamtkapazität auf Japan entfielen. Speziell in Bezug auf Tokai habe sie in dieser Erwiderung darauf hingewiesen, dass Tokai selbst im Verfahren ihren Umsatz mit etwa dem Doppelten des in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zugrunde gelegten Betrages beziffert habe.

209 In ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte habe SGL der Kommission eine Übersicht ihrer zutreffenden Umsätze bei Isographit in der Zeit von 1993 bis 1998 übermittelt. Wie aus dieser Übersicht hervorgehe, habe sich der weltweite Umsatz im Jahr 1997 nicht auf 80,4 Millionen Euro, sondern nur auf 45,6 Millionen Euro belaufen. Mit der Übermittlung dieser Korrekturen habe sie die Aufforderung an die Kommission verbunden, die Größenverhältnisse der Unternehmen im Hinblick auf eine zutreffende Bemessung der Geldbußen klarzustellen. In der Entscheidung habe die Kommission jedoch weder die von SGL vorgelegten Umsatzzahlen berücksichtigt noch Größe und Marktanteile der Unternehmen insgesamt überprüft. Stattdessen habe sie auf offenkundig fehlerhafte Zahlen abgestellt.

210 Auch die Zahlen zum Anteil der Blöcke und Blockzuschnitte am Gesamtumsatz bei isostatisch gepresstem Graphit (siehe oben, Randnr. 168) seien unzutreffend. In ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte habe SGL die Kommission darauf aufmerksam gemacht, dass die im Fall von SGL angenommene Zahl von 45 % bis 55 % herabzusetzen sei, da sie auch ihren Eigenverbrauch (ca. 10 % bis 11 %) umfasse.

211 Die Festsetzung der Ausgangsbeträge wäre anders ausgefallen, wenn die Kommission die Angaben der anderen beteiligten Unternehmen kritisch betrachtet und deren Umsätze zutreffend ermittelt hätte. In ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte habe SGL bereits darauf hingewiesen, dass die in dieser Mitteilung angegebenen Umsätze und die sich daraus ergebenden Größenverhältnisse zwischen den beteiligten Unternehmen in krassem Widerspruch zu den weltweiten Kapazitäten bei isostatisch gepresstem Graphit stünden und daher nicht zutreffen könnten.

212 Auch die Daten für den Markt bei stranggepresstem Graphit seien falsch. Es sei unverständlich, wie die Kommission zu den in Tabelle 3 (Randnr. 17 der Entscheidung) (siehe oben, Randnr. 169) angegebenen Marktanteilen gelangt sei. SGL habe darauf nämlich bereits in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte hingewiesen, der dieselben Daten über Marktanteile wie der Entscheidung zugrunde gelegen hätten. Diese Marktanteile hätten auf Schätzungen der beteiligten Unternehmen, d. h. auch von SGL, beruht. Die Kommission lege aber nicht offen, wie sie aus diesen Schätzungen einen weltweiten Marktanteil der Klägerin von 30 % im Jahr 2000 und von 25 % bis 30 % im Jahr 1995 abgeleitet habe. Erstaunlich sei auch, dass für die Klägerin und UCAR gleiche Umsätze für das Jahr 1995 ausgewiesen und sie in ein und dieselbe Kategorie eingestuft würden.

213 Schließlich werde die Entscheidung den von Artikel 253 EG aufgestellten Begründungserfordernissen in keiner Weise gerecht. Die von der Kommission zugrunde gelegten Umsatz- und Marktdaten seien nämlich widersprüchlich und unverständlich.

214 So entsprächen die weltweiten Umsätze in Spalte 4 von Tabelle 1 (siehe oben, Randnr. 168) genau den Marktanteilen. Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn das zugrunde liegende Marktvolumen 100 Millionen Euro betragen würde. Dies lasse sich der Entscheidung aber nicht entnehmen und sei auch nicht realistisch. Das Gleiche gelte für Tabelle 3 der Entscheidung (siehe oben, Randnr. 169), in der ebenfalls für UCAR und SGL im Sektor für stranggepressten Graphit den Marktanteilen genau entsprechende Umsätze ausgewiesen seien. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, wie die Kommission die Zahlen in Spalte 4 dieser Tabelle aus den Gesamtumsätzen in Spalte 3 abgeleitet habe.

215 Die Kommission beantragt, das gesamte Vorbringen zurückzuweisen.

216 Was das Vorbringen von SGL anbelange, so treffe es zu, dass sie auf die Daten zum Markt für isostatisch gepressten Graphit im Schreiben der Klägerin vom 15. Juni 2000 zurückgegriffen habe. Dabei handele es sich um Schätzungen der Klägerin zu ihrem Absatz bei isostatisch gepresstem Graphit in Europa und in der Welt. Für das Jahr 1997 habe sie den weltweit erzielten Umsatz mit 158 Millionen DM angegeben, was den 80,4 Millionen Euro in Spalte 3 von Tabelle 1 der Entscheidung entspreche. Diese Tabelle erfasse alle isostatisch gepressten Graphiterzeugnisse, also notwendigerweise auch die Geschäftsfelder "Powder" und "Semicon". Ob die Position "Analytical" auch nicht isostatisch gepressten Graphit umfasse, sei nicht ausschlaggebend, weil der auf sie entfallende Umsatz nur 2 Millionen Euro betrage.

217 Auf die Aufforderung, eine Schätzung auf Jahresbasis des relativen Gewichts der Blöcke und bearbeiteten Erzeugnisse bei dem von SGL zwischen 1993 und 1998 mit Isostatikprodukten erzielten Umsatz abzugeben, habe SGL geantwortet, dass 45 % ihres Gesamtumsatzes im Jahr 1997 mit isostatisch gepressten Graphitprodukten auf "Halbzeug" (d. h. Blöcke und Blockzuschnitte) insgesamt und 11 % auf konzernintern verarbeitetes Halbzeug entfallen seien. Infolgedessen habe die Kommission 45 % des Gesamtumsatzes mit isostatisch gepresstem Graphit in Höhe von 80,4 Millionen Euro, somit 36,1 Millionen Euro, als den Umsatz auf dem für die Zuwiderhandlung relevanten Markt errechnet. Diese Zahl sei in der Entscheidung aus Gründen der Vertraulichkeit durch eine Spannbreite von 30 bis 40 ersetzt worden (Spalte 4 von Tabelle 1).

218 Die Klägerin bestreite die Richtigkeit ihrer eigenen Umsatzzahlen. Dieses Vorbringen sei völlig unsubstantiiert. Einerseits behaupte sie, die Berechnung der Kommission habe zu Unrecht Semicon-Produkte enthalten, erläutere aber nicht, um welche Produkte es sich handele. Andererseits bleibe unerfindlich, wie sie den nach ihrer Behauptung zutreffenden Umsatz errechne.

219 SGL erläutere in Bezug auf die von ihr angeführte Zahl von 45,6 Millionen Euro nicht, weshalb 34,8 Millionen Euro des von ihr selbst genannten Gesamtumsatzes bei isostatisch gepressten Produkten (80,4 - 45,6) doch nicht auf den relevanten Produktmarkt entfielen, obwohl es ihr oblegen hätte, ihre Umsätze in nachvollziehbarer Weise mitzuteilen.

220 Zum angeblichen Begründungsmangel sei festzustellen, dass die Modalitäten der Ermittlung der Marktanteile in der Entscheidung in hinreichendem Umfang erläutert würden. Was die von SGL speziell angezweifelte Übereinstimmung von Umsatz- und Marktanteilsspannen in Spalte 4 von Tabelle 1 sowie in Tabelle 3 der Entscheidung betreffe (siehe oben, Randnrn. 168 und 169), so habe die Summe der Umsätze tatsächlich etwa 100 Millionen Euro entsprochen.

221 Zum Vorbringen von Tokai führt die Kommission aus, dass die in Tabelle 1 enthaltenen Zahlen nach ihrer Überschrift die "anteilige" Bedeutung der Unternehmen auf dem Weltmarkt für isostatisch gepressten Graphit widerspiegelten. Bei der Ermittlung der relativen Marktanteile habe es sich um eine gute Methode der Annäherung gehandelt, um die jeweilige Bedeutung der Kartellteilnehmer zu beurteilen und sie zu differenzieren, da es keine verlässlichen Industriedaten gegeben habe, die objektiv über das sehr spezielle Produkt - isostatisch gepressten Spezialgraphit in Blöcken und Blockzuschnitten - oder die genauen Marktanteile aller Marktteilnehmer hätten Auskunft geben können.

222 Im Übrigen hätte dies, selbst wenn man den geschätzten Umsatz von POCO und den Umstand berücksichtige, dass die Summe nur 80 % des Weltmarkts dargestellt habe, keine Auswirkung auf die Einstufung der Adressaten der Entscheidung. Die relative Stellung der einzelnen Kartellmitglieder im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedern bliebe nämlich gleich.

Würdigung durch das Gericht

223 Zunächst ist festzustellen, dass das Vorbringen von SGL und Tokai nicht den Prüfungsschritt betrifft, in dem die Kommission nach Nummer 1 A Absätze 1 und 2 ihrer Leitlinien die Schwere der beiden Zuwiderhandlungen - der Errichtung und Umsetzung horizontaler Preisabsprachen für das gesamte Gebiet des EWR-Markts im Bereich von isostatisch gepresstem und stranggepresstem Graphit in Form von Blöcken und Blockzuschnitten (siehe oben, Randnr. 184) - als solche beurteilt hat. Auch im Rahmen der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung besteht daher kein Anlass, die Beurteilung der Kommission (Randnrn. 437 bis 457 der Entscheidung) in Frage zu stellen, wonach es sich bei diesen Absprachen um "sehr schwerwiegende" Zuwiderhandlungen gehandelt habe (in diesem Sinn auch Urteil des Gerichtshofes vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-359/01 P, British Sugar/Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 50); infolgedessen wurde der höchste Ausgangsbetrag im Bereich des isostatisch gepressten Graphits auf 20 Millionen Euro festgesetzt, während die beiden Ausgangsbeträge im Bereich des stranggepressten Graphits auf je 15 Millionen Euro festgesetzt wurden.

224 Das hier in Rede stehende Vorbringen betrifft nur den Prüfungsschritt, in dem die Kommission zum einen den konkreten Ausgangsbetrag für die beiden Kartellmitglieder im Bereich des stranggepressten Graphits festgelegt und zum anderen die differenzierte Behandlung der Kartellmitglieder im Bereich des isostatisch gepressten Graphits vorgenommen hat, d. h. ihre Einteilung in Kategorien und die Festlegung der entsprechenden individuellen Ausgangsbeträge (siehe oben, Randnr. 185).

- Zur Methode bei der Ermittlung der relevanten Zahlen für das Kartell im Bereich des isostatisch gepressten Graphits

225 Die in Bezug auf das Kartell für isostatisch gepressten Graphit vorgenommene Differenzierung bestand nicht darin, die Schwere der von jedem beteiligten Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung zu messen - die Schwere der Zuwiderhandlung wurde im vorhergehenden Prüfungsschritt anhand des gesamten Kartells beurteilt (in diesem Sinn auch Urteil Graphitelektroden, Randnr. 203) -, sondern darin, nach Nummer 1 A Absätze 3, 4 und 6 der Leitlinien den individuellen Beitrag jedes Unternehmens zum Erfolg des Kartells, gemessen an der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit, im Hinblick auf seine Einstufung in die passende Kategorie zu ermitteln.

226 Im vorliegenden Fall hat sich die Kommission bei der Ermittlung dieses individuellen Beitrags auf den weltweiten Umsatz der einzelnen Unternehmen bei dem fraglichen Produkt gestützt. Wie oben ausgeführt (Randnrn. 180 bis 197), ist dieser grundsätzliche Ansatz nicht zu beanstanden.

227 Zu den im vorliegenden Fall herangezogenen Zahlen hat die Kommission - der die Klägerinnen insoweit nicht widersprochen haben - ausgeführt, dass es keine Industriedaten gebe, die objektive Informationen über das ganz spezielle hier relevante Produkt liefern könnten, da bei den Zahlen für die Produktmärkte im engeren Sinn weder in den veröffentlichten noch in den internen Bilanzen der Unternehmen zwischen Blöcken und Blockzuschnitten oder zwischen isostatisch gepresstem und stranggepresstem Graphit unterschieden werde. Folglich habe jedes Unternehmen die relevanten Umsätze in Beantwortung von Auskunftsverlangen speziell berechnet und übermittelt. Die Kommission habe keinen Grund gehabt, an der Richtigkeit der ihr von den Unternehmen mitgeteilten Zahlen zu zweifeln.

228 Die Situation, mit der die Kommission konfrontiert wurde, war somit durch einen Markt gekennzeichnet, dem in Bezug auf den Umsatz bei dem ganz speziellen hier relevanten Produkt die Transparenz fehlte. Mangels offizieller und objektiver Umsatzzahlen war die Kommission deshalb nicht in der Lage, die objektiven Marktanteile aller Unternehmen des fraglichen Wirtschaftssektors zu ermitteln.

229 Unter diesen Umständen hat sich die Kommission die relevanten Zahlenangaben allein bei den Kartellmitgliedern beschafft, wie aus Zahl und Identität der in Tabelle 1 der Entscheidung (Randnr. 16) aufgeführten Unternehmen klar hervorgeht. In dieser Tabelle fehlen nicht nur Angaben zu dem Unternehmen POCO, sondern auch zu anderen "Außenseitern", deren Anteil am Weltmarkt für isostatisch gepressten Graphit bei etwa 20 % lag (Randnr. 23 der Entscheidung). Die Kommission hat somit allein die von den Kartellmitgliedern individuell übermittelten Umsatzzahlen herangezogen, um diese anhand ihrer "anteiligen Bedeutung" auf dem Weltmarkt für isostatisch gepressten Graphit in Kategorien einzuteilen (vgl. die Überschrift der genannten Tabelle).

230 Aus der Entscheidung wird somit deutlich, dass die Kommission, indem sie sich die für die Gruppeneinteilung der Kartellmitglieder erforderlichen Zahlenangaben allein bei diesen beschaffte, eine "relativistische" Methode anwandte, bei der nur die Werte der Kartellmitglieder Berücksichtigung fanden.

231 Auch wenn bestimmte Passagen der Entscheidung - wie einige in den Randnummern 471 und 475 verwendete Begriffe sowie die scheinbare Übereinstimmung zwischen Umsätzen und Marktanteilen in Spalte 4 von Tabelle 1 - auf den ersten Blick den falschen Eindruck erwecken können, dass die Kommission auf absolute Anteile am gesamten Weltmarkt abstellen wollte, werden solche irreführenden Begriffe und Daten durch die geringe Zahl und die Identität der Unternehmen sowie die relativen Werte in Tabelle 1 klar widerlegt.

232 Im Übrigen haben sich die Klägerinnen insoweit nicht täuschen lassen, wie ihr gegen diese Methode gerichtetes Vorbringen zeigt. Daher kann dem Klagegrund einer in diesem Punkt unzureichenden Begründung nicht gefolgt werden.

233 Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist der Kommission die Wahl der genannten "relativistischen" Methode auch in der Sache nicht vorzuwerfen. Überdies hat keine der Klägerinnen geltend gemacht, dass sich die Kommission durch Beschaffung offizieller Zahlen für den Gesamtmarkt auf eine tragfähigere und objektivere Methode hätte stützen können.

234 Die Klägerinnen hätten jedenfalls kein berechtigtes Interesse daran, die von der Kommission gewählte Methode grundsätzlich in Frage zu stellen. Ohne eine Differenzierung der Klägerinnen durch ihre Einteilung in Kategorien könnte nach Nummer 1 A Absätze 1 und 2 der Leitlinien bei jeder von ihnen ein Ausgangsbetrag von 20 Millionen Euro - der niedrigste "voraussichtliche" Betrag für ihre Teilnahme am fraglichen Kartell - angesetzt werden. Keine der Klägerinnen hätte somit von einer Nichtigerklärung der von der Kommission gewählten Methode einen Vorteil in Form einer Verringerung ihres Ausgangsbetrags, zumal das Gericht es nicht für angebracht halten würde, die gewählte Methode in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung durch eine andere Differenzierungsmethode bei der Berechnung der Ausgangsbeträge zu ersetzen.

235 Folglich sind die Klagegründe, die sich darauf stützen, dass die von der Kommission verwendeten Zahlen zweifelhaft seien und dass die Kommission die Größe des gesamten Weltmarkts verkannt habe, zurückzuweisen. Diese Klagegründe sind somit nicht geeignet, die von der Kommission gewählte Methode der Gruppeneinteilung in Frage zu stellen. Auch die Einstufung von Tokai in die dritte Kategorie kann daher aus diesem Grund nicht beanstandet werden, zumal Tokai ihre Umsatzzahlen, die sie der Kommission selbst mitgeteilt hatte, nicht bestritten hat.

236 Das gilt auch für die Klagegründe, die sich gegen die Zuverlässigkeit bestimmter konkreter Zahlen richten, welche die Kommission bei der Gruppeneinteilung der Kartellmitglieder herangezogen hat.

237 So genügt zum Vorwurf von SGL, die Kommission habe die von den anderen Unternehmen mitgeteilten Zahlen nicht kritisch gewürdigt, die Feststellung, dass diese Rüge auf einer bloßen Behauptung beruht. Sie wird durch keinen Anhaltspunkt untermauert, der die Beurteilung ihrer Begründetheit ermöglichte, und ist daher zurückzuweisen.

238 Zum weiteren Vorwurf von SGL, die Kommission habe Tokai falsche Zahlen zugeordnet, da diese selbst ihren Umsatz auf etwa das Doppelte des in der Mitteilung der Beschwerdepunkte tatsächlich angesetzten Umsatzes geschätzt habe, ist festzustellen, dass die Kommission zu dieser in der Klageschrift vorgetragenen Rüge in ihrer Klagebeantwortung ausgeführt hat, dass die von SGL beanstandete Umsatzzahl von Tokai den Umsatz mit allen Spezialgraphitprodukten (isostatisch gepresster Graphit, stranggepresster Graphit und formgepresster Graphit) umfasse. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2001 habe Tokai einen weltweiten Umsatz mit isostatisch gepresstem Graphit von etwa 29,3 Millionen Euro für das Jahr 1997 angegeben. Dabei handele es sich aber nicht um den Umsatz mit den relevanten Produkten, nämlich mit Blöcken und Blockzuschnitten. Aus diesem Grund habe die Kommission - wie bei SGL - als den für die Zuwiderhandlung relevanten weltweiten Umsatz grundsätzlich den von Tokai am 7. Dezember 2001 mitgeteilten Umsatz herangezogen. Er liege innerhalb der aus Gründen der Vertraulichkeit in Spalte 4 von Tabelle 1 der Entscheidung angegebenen Spannbreite von 9 bis 14 Millionen Euro. Diese konkrete und plausible Erläuterung hat SGL weder in ihrer Erwiderung noch in der mündlichen Verhandlung in Zweifel gezogen. Folglich greift ihre Rüge nicht durch.

- Zu den für die Einstufung von SGL in die höchste Kategorie der Kartellmitglieder im Bereich des isostatisch gepressten Graphits herangezogenen Zahlen

239 Die Kommission hat SGL als den "auf dem Weltmarkt mit Abstand ... größte[n] Hersteller von isostatisch gepresstem Graphit in Blöcken und Blockzuschnitten ... (Marktanteil 30 %-40 %)" eingestuft. Diese Einstufung beruhte auf den der Kommission von der Klägerin selbst übermittelten Zahlen.

240 Diese Zahlen sind in Tabelle 1 der Entscheidung (siehe oben, Randnr. 168) wiedergegeben: Demnach belief sich der weltweite Umsatz mit isostatisch gepresstem Graphit im Jahr 1997 auf 80,4 Millionen Euro (Spalte 3) und der weltweite Umsatz mit isostatisch gepresstem Graphit in Blöcken und Blockzuschnitten auf 30 bis 40 Millionen Euro (Spalte 4), wobei die zuletzt genannte Zahl durch Multiplikation von 80,4 mit der Spannbreite von [45 %-55 %] berechnet wurde, bei der es sich nach Angaben von SGL um den Anteil von Blöcken und Blockzuschnitten an ihrem Gesamtumsatz mit isostatisch gepresstem Graphit handelte.

241 Diese Spannbreite von [45 %-55 %] bestreitet SGL nicht. Sie wendet sich lediglich gegen die Heranziehung der Zahl von 80,4 Millionen Euro durch die Kommission. Insoweit ist zunächst auf die Chronologie der relevanten Ereignisse, wie sie aus den Akten hervorgeht, zu verweisen.

242 Am 28. März 2000 richtete die Kommission an SGL ein Auskunftsverlangen, mit dem sie u. a. Angaben zum weltweiten Umsatz des Unternehmens "im Bereich Spezialgraphit" in der Zeit von 1993 bis 1998 sowie entsprechende Angaben, ebenfalls für den "Bereich Spezialgraphit", in Bezug auf den EWR, den Gemeinsamen Markt und die verschiedenen Mitgliedstaaten anforderte.

243 In ihrem Antwortschreiben vom 15. Juni 2000 erklärte sich SGL zur Zusammenarbeit mit der Kommission bereit und brachte ihre Hoffnung zum Ausdruck, deshalb von der Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit profitieren zu können. Hinsichtlich der verlangten Auskünfte heißt es in dem Schreiben (auf Seite 7), dass die Isographitproduktion von SGL technisch ihren "Industriellen Anwendungen" zugeordnet sei und dass sie Halbzeuge (Blöcke und Blockzuschnitte) sowie Fertigteile umfasse.

244 Ferner war als Anlage 16 eine Tabelle (im Folgenden: ursprüngliche Tabelle) mit der Überschrift "Umsatz ISO Welt/Europa (EU/EWR) 1993-98, Ind. Anwendungen (Halbzeug + Fertigteile) (Mio DM)" beigefügt, in der die verschiedenen Geschäftsfelder - "Concast", "General Applications", "EDM", "Semicon", "Analytical" und "Powder" - mit ihren jeweiligen Umsätzen aufgeführt waren, deren Gesamtsumme 158 Millionen DM im Jahr 1997 und 148,7 Millionen DM im Jahr 1998 betrug.

245 Diese Tabelle war mit folgenden Anmerkungen versehen:

"Powder": Füllstoff für Kunststoffe/Gummi und Rohstoff für die Herstellung synthetischer Diamanten,

"Analytical": ausschließlich Fertigteile für die Analysentechnik, teilweise aus ISO-Graphit, teilweise aus extrudiertem Spezialgraphit,

"Semicon": Welt-Umsatzzahlen enthalten auch das Geschäft in den Vereinigten Staaten (Produktion extrudiertes und isostatisches Halbzeug USA und Bearbeitung USA). Der Anteil beträgt ca. 50 %-60 %. Die Welt-Umsatzzahlen enthalten ca. 10 %-15 % Graphitfilz. Filz ist kein ISO-Graphit.

246 Schon aus dem Wortlaut dieser Anmerkungen geht klar hervor, dass die Gesamtsummen in der Tabelle (158 Millionen DM oder 80,4 Millionen Euro im Jahr 1997 und 148,7 Millionen DM oder 74,3 Millionen Euro im Jahr 1998) keinesfalls den ausschließlich mit isostatisch gepresstem Graphit erzielten Umsatz darstellen konnten. Dass SGL die Anteile der verschiedenen nicht-isostatischen Produkte nicht genau aufschlüsselte, konnte ihr die Kommission in diesem Stadium des Verwaltungsverfahrens nicht vorwerfen, da in ihrem Auskunftsverlangen vom 28. März 2000 keine solche spezielle Aufschlüsselung im Hinblick auf die isostatischen Produkte, sondern lediglich die Übermittlung von Zahlen für die gesamten Spezialgraphite gefordert wurde.

247 Folglich war die Kommission nicht berechtigt, diese Gesamtsummen ohne vorherige Vertiefung ihrer dahin gehenden Ermittlungen ausschließlich dem Verkauf von isostatisch gepresstem Graphit zuzurechnen. Zusätzliche Nachprüfungen bei SGL wären umso angebrachter gewesen, als sich die Klägerin zur Zusammenarbeit mit der Kommission bereit erklärt hatte. Vor Gericht hat die Kommission im Übrigen eingeräumt, dass es besser gewesen wäre, von SGL in Anwendung von Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 zusätzliche Erläuterungen zu verlangen.

248 Die Kommission vertrat jedoch, ohne sich zu den genannten einschränkenden Anmerkungen von SGL zu äußern, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die Ansicht, dass die Gesamtsumme von 74,3 Millionen Euro (oder 148,7 Millionen DM) den weltweiten Umsatz darstelle, den SGL im Jahr 1998 ausschließlich mit dem Verkauf von isostatisch gepresstem Graphit erzielt habe.

249 In ihrer Erwiderung vom 25. Juli 2002 auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte erinnerte SGL an alle ihre einschränkenden Anmerkungen zu den Gesamtsummen in der ursprünglichen Tabelle und fügte hinzu, weder "Powder" noch Filz stelle ein Isographit-Produkt dar. Sie übermittelte eine "bereinigte Tabelle", die sich nach ihren Angaben ausschließlich auf isostatisch gepressten Graphit bezog. Die Zahlen für die verschiedenen Geschäftsfelder im Jahr 1997 (in Euro) entsprechen bei "Concast", "EDM" und "General Applications" den Zahlen (in DM) in der ursprünglichen Tabelle. Die Position "Powder" wurde gestrichen, während die Positionen "Semicon" und "Analytical" von 95 Millionen DM auf 23,5 Millionen Euro und von 13 Millionen DM auf 2,2 Millionen Euro reduziert wurden. SGL kam daher zu dem Ergebnis, dass im Jahr 1997 ihr weltweiter Umsatz bei isostatisch gepresstem Graphit 45,6 Millionen Euro betragen habe.

250 In der Entscheidung hielt die Kommission, ohne die neuen Angaben von SGL und insbesondere die "bereinigte Tabelle" zu berücksichtigen, an dem Betrag von 80,4 Millionen Euro als weltweitem Umsatz im Jahr 1997 bei isostatisch gepresstem Graphit fest.

251 Nach alledem hat die Kommission insoweit einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen. Obwohl sie sich nach ihren ausdrücklichen Angaben bei isostatisch gepresstem Graphit allein auf die von den Unternehmen selbst übermittelten Zahlen stützte, hat sie im Fall von SGL Zahlen herangezogen, die nach den unmissverständlichen, ihr rechtzeitig übermittelten Erklärungen der Klägerin andere Produkte als isostatisch gepressten Graphit umfassten.

252 Keines der Gegenargumente der Kommission greift durch.

253 Erstens macht sie geltend, die Zahlen in der von SGL im Anschluss an die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgelegten "bereinigten Tabelle" blieben unergründlich und zweifelhaft, da SGL nur bei der Beantwortung des Auskunftsverlangens nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 zur Wahrheit verpflichtet gewesen sei. Hierzu genügt der Hinweis, dass sich die Kommission mit der Übermittlung der bloßen Zahlen in der ursprünglichen Tabelle begnügt hat, ohne zum Zweck einer etwaigen Kontrolle eingehende Erläuterungen oder die Übermittlung der Unterlagen zu verlangen, aufgrund deren diese Zahlen berechnet worden waren. Unter diesen Umständen greift der Vorwurf nicht durch, SGL habe mit ihrer "bereinigten Tabelle" weniger beweiskräftige Zahlen geliefert als mit der ursprünglichen Tabelle.

254 Außerdem hat die Kommission keinen stichhaltigen Grund, die Art und Weise zu beanstanden, wie SGL - als Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte - einige der von ihr mit Schreiben vom 25. Juli 2000 übermittelten Angaben präzisierte und korrigierte. Erst bei Lektüre der Mitteilung der Beschwerdepunkte konnte SGL nämlich vernünftigerweise bemerken, dass die Kommission vorhatte, die Angaben in der ursprünglichen Tabelle zur Ermittlung des allein mit isostatisch gepresstem Graphit erzielten Umsatzes heranzuziehen, während sich das Auskunftsverlangen noch auf Spezialgraphit im Allgemeinen bezogen hatte.

255 Überdies hatte die Kommission SGL in diesem Zusammenhang bereits eine Berichtigung gestattet: Obwohl die Klägerin in den Anmerkungen zur ursprünglichen Tabelle angegeben hatte, dass eine Aufschlüsselung der Mengen nach Blöcken und Blockzuschnitten nicht möglich sei, erlaubte ihr die Kommission, von dieser Erklärung abzugehen und mit Schreiben vom 10. Dezember 2001 mitzuteilen, dass nach ihrer Schätzung im Jahr 1997 der Anteil von Halbzeugen bei 45 % und der von Fertigteilen bei 55 % gelegen habe; diese Zahlen hat die Kommission im Übrigen nicht als zweifelhaft und unbewiesen beanstandet.

256 Zweitens hat die Kommission vor Gericht behauptet, entgegen dem Vorbringen von SGL seien sowohl Graphitfilz als auch "Powder" in Wirklichkeit isostatische Produkte. Dazu ist festzustellen, dass die Entscheidung keine konkrete dahin gehende Feststellung enthält, obwohl SGL in ihrem Schreiben vom 25. Juli 2002 ausdrücklich das Gegenteil behauptete. Auch hinsichtlich des Geschäftsfelds "Semicon" von SGL enthält die Entscheidung keine Angaben zu dem Anteil nicht-isostatischer Produkte, den es nach dem genannten Schreiben von SGL umfassen soll, sondern beschränkt sich auf die allgemeine Bemerkung, dass sich das Kartell nicht auf Produkte für die Halbleiterindustrie bezogen habe, die bearbeitet und somit "kundenspezifisch" seien (Randnr. 7).

257 Die Kommission hat sich vor Gericht auch nicht darum bemüht, anhand von Schriftstücken zu belegen, dass die Angaben von SGL in klarem Widerspruch zu den Erkenntnissen der industriellen Technologie stehen. Sie hat sich im Wesentlichen darauf beschränkt, die Zahl von 45,6 Millionen Euro unter Hinweis auf angebliche Widersprüche zwischen den Angaben in der ursprünglichen und in der "bereinigten" Tabelle zu bestreiten.

258 Das Verhalten der Kommission sowohl im Verwaltungsverfahren (siehe oben, Randnrn. 253 bis 255) als auch im gerichtlichen Verfahren (siehe oben, Randnr. 257) lässt den Schluss zu, dass sie - wenn sie SGL bereits in ihrem Auskunftsverlangen vom 28. März 2000 aufgefordert hätte, allein den mit isostatisch gepresstem Graphit erzielten Umsatz anzugeben, und wenn SGL in ihrer Antwort kommentarlos den Betrag von 45,6 Millionen Euro genannt hätte - diese Zahl akzeptiert hätte, wie sie auch den von SGL ebenfalls kommentarlos angegebenen Umsatz von 59,469 Millionen DM bei stranggepresstem Graphit im Jahr 1995 (Anlage 17 zu ihrem Schreiben vom 15. Juni 2000) akzeptierte (siehe unten, Randnr. 270).

259 Unter diesen Umständen hält es das Gericht für angebracht, dem offensichtlichen Beurteilungsfehler in der Entscheidung dadurch abzuhelfen, dass es von seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung Gebrauch macht und sich insoweit der grundsätzlichen Vorgehensweise der Kommission anschließt, die sich mit den von den betroffenen Unternehmen übermittelten Schätzungen ihres weltweiten Umsatzes bei isostatisch gepresstem Graphit im Jahr 1997 begnügt hat. Dabei sind die Zahlen heranzuziehen, die SGL mit ihrer "bereinigten Tabelle" vom 25. Juli 2002 vorgelegt hat; insoweit besteht für das Gericht kein Grund, die Zuverlässigkeit dieser Zahlen in Frage zu stellen. Folglich ist davon auszugehen, dass der relevante Umsatz von SGL bei isostatisch gepresstem Graphit nicht 80,4 Millionen Euro betrug, sondern 45,6 Millionen Euro.

260 Zur Ermittlung des Umsatzes, den SGL im Jahr 1997 bei isostatischen Blöcken und Blockzuschnitten erzielte, ist auf den von SGL mitgeteilten Anteil von 45 % abzustellen. Entgegen der These von SGL ist von diesen 45 % nicht der auf den unternehmensinternen Eigenverbrauch entfallende Prozentsatz des Umsatzes abzuziehen. Nach gefestigter Rechtsprechung sind nämlich konzerninterne Umsätze heranzuziehen, um bei der Festsetzung von Geldbußen nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vertikal integrierte Unternehmen nicht ungerechtfertigt zu begünstigen (Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C-248/98 P, KNP BT/Kommission, Slg. 2000, I-9641, Randnrn. 61 und 62, und Urteil Europa Carton/Kommission, oben in Randnr. 81 angeführt, Randnr. 128).

261 Im Hinblick darauf, dass 45 % des Umsatzes von 45,6 Millionen Euro im Bereich von isostatisch gepresstem Graphit mit Blöcken und Blockzuschnitten erzielt wurden, belief sich der relevante Umsatz von SGL folglich auf 20,5 Millionen Euro.

262 SGL kann somit nicht als der auf dem Weltmarkt mit Abstand größte Hersteller von isostatisch gepresstem Graphit in Blöcken und Blockzuschnitten (Randnr. 475 der Entscheidung) angesehen werden. Daher ist der für SGL festgesetzte Ausgangsbetrag von 20 Millionen Euro (Randnr. 476 der Entscheidung) zu berichtigen.

263 Das Gericht ist in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung der Ansicht, dass es genügt, den Betrag von 20 Millionen Euro durch den Ausgangsbetrag von 11,3 Millionen Euro zu ersetzen, der den tatsächlichen Größenverhältnissen angemessen Rechnung trägt, und SGL in eine Kategorie zwischen TT (14 Millionen Euro) und Tokai (7,4 Millionen Euro) einzustufen. Dagegen erscheint es nicht erforderlich, das gesamte System der Gruppeneinteilung umzugestalten.

264 Zwar hat die Kommission die Umsätze der Kartellmitglieder genau in Ausgangsbeträge umgerechnet, und zwar bei den übrigen Unternehmen in Form eines Prozentsatzes des für SGL geltenden Betrages von 20 Millionen Euro. Trotz Wegfalls dieses "Referenzbetrags" bleibt jedoch das Verhältnis, in dem die Umsätze der übrigen Unternehmen zueinander stehen, unverändert. Folglich geben die diesen Unternehmen zugeordneten Ausgangsbeträge die relevanten Größenverhältnisse zutreffend wieder.

265 Andererseits wäre das Gericht nicht daran gehindert, unter Beibehaltung der allgemeinen Vorgehensweise der Kommission (in diesem Sinn auch Urteil Graphitelektroden, Randnr. 233), die die Zuwiderhandlung als "sehr schwerwiegend" eingestuft hat, für TT, den in Wirklichkeit größten Hersteller, einen Ausgangsbetrag von 20 Millionen Euro festzusetzen und die Ausgangsbeträge der übrigen Klägerinnen entsprechend zu erhöhen. Die Spanne zwischen 20 Millionen Euro und 14 Millionen Euro als "Referenzbetrag" erscheint jedoch nicht so groß, dass die Wahl des Betrages von 14 Millionen Euro den verhängten Sanktionen ihre praktische Wirksamkeit nehmen würde. Außerdem wird in Nummer 1 A Absatz 2 der Leitlinien keineswegs ein Ausgangsbetrag von 20 Millionen Euro für alle Fälle einer "sehr schwerwiegenden" Zuwiderhandlung vorgeschrieben, sondern dieser wird nur als "voraussichtlicher" Betrag bezeichnet.

266 Im Bereich des stranggepressten Graphits in Blöcken und Blockzuschnitten hat sich die Kommission im Übrigen selbst mit einem Ausgangsbetrag von 15 Millionen Euro begnügt (Randnr. 478 der Entscheidung), obwohl auch die in diesem Bereich begangene Zuwiderhandlung als "sehr schwerwiegend" eingestuft wurde (Randnr. 457 der Entscheidung) und die wirtschaftliche Bedeutung dieses Sektors derjenigen des Sektors isostatischer Produkte entspricht (Randnrn. 15 und 23 der Entscheidung).

- Zur Methode bei der Ermittlung der relevanten Zahlen für das Kartell im Bereich stranggepressten Graphits und zu den tatsächlich herangezogenen Zahlen

267 Einige der von SGL in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen decken sich mit denen, die bereits in Bezug auf das Kartell für isostatisch gepressten Graphit vorgebracht und zurückgewiesen wurden. So äußert SGL ihr Unverständnis darüber, wie die Kommission zu den Zahlen, insbesondere den Marktanteilen, in Tabelle 3 der Entscheidung (siehe oben, Randnr. 169) habe kommen können, und wundert sich, dass die Umsatzzahlen mit den Marktanteilen übereinstimmten.

268 Hierzu genügt der Hinweis, dass die Kommission insoweit nicht über offizielle und objektive Zahlen verfügte. Sie war deshalb darauf angewiesen, sich die relevanten Zahlenangaben allein bei den Mitgliedern des Kartells für stranggepressten Graphit zu beschaffen, wie aus Zahl und Identität der in Tabelle 3 der Entscheidung aufgeführten Unternehmen klar hervorgeht (siehe oben, Randnrn. 227 und 228). In dieser Tabelle fehlen nicht nur Angaben zur Carbide Graphite Group, sondern auch zu anderen "Außenseitern", deren Anteil am Weltmarkt für stranggepressten Graphit bei etwa 25 % lag (Randnr. 23 der Entscheidung). Aus den oben genannten Gründen (siehe Randnrn. 231 bis 235) war die von der Kommission angewandte "relativistische" Methode weder unzureichend begründet noch mit einem Rechts- oder Beurteilungsfehler behaftet.

269 SGL wirft der Kommission ferner vor, nicht erläutert zu haben, wie sie zu der Auffassung gelangt sei, dass ihr eigener Marktanteil im Jahr 1995 bei 25 % bis 30 % gelegen habe. Insoweit ist erneut darauf hinzuweisen, dass die Zuordnung der Ausgangsbeträge ausschließlich anhand der Umsatzzahlen vorgenommen wurde, welche die Unternehmen der Kommission übermittelt hatten.

270 Als Anlage 17 zu ihrem Schreiben vom 15. Juni 2000 (siehe oben, Randnr. 243) hatte SGL der Kommission eine Tabelle übermittelt, in der für 1995 ein weltweiter Umsatz von 59,469 Millionen DM (31,7 Millionen Euro) angegeben wurde. Anders als es nach den obigen Feststellungen (siehe Randnrn. 244 und 245) bei der als Anlage 16 beigefügten Tabelle der Fall war, war die Zahl von 59,469 Millionen DM nicht mit einschränkenden Anmerkungen versehen. Die Kommission war daher berechtigt, sich auf diese Zahl, umgerechnet in Euro, zu stützen. Außerdem hatte SGL in ihrem Schreiben vom 10. Dezember 2001 (siehe oben, Randnr. 255) erläutert, dass sie 45 % ihres Umsatzes bei stranggepresstem Graphit mit "Halbzeugen" erziele. Die Kommission hat somit keinen Fehler begangen, als sie den relevanten Umsatz von SGL mit 14 Millionen Euro ansetzte, wobei dieser Betrag in Tabelle 3 der Entscheidung aus Gründen der Vertraulichkeit durch eine Spannbreite von [12-17] ersetzt wurde.

271 Es trifft zu, dass sich Tabelle 3 insofern von Tabelle 1 unterscheidet, als für SGL und UCAR gleiche Marktanteile von [25 %-35 %] angegeben sind, die den objektiven weltweiten Marktanteilen der beiden Unternehmen zu entsprechen scheinen, da SGL, UCAR und der "Außenseiter" Carbide Graphite zusammen einen Marktanteil von etwa 75 % hatten (Randnr. 23 der Entscheidung). Die Frage der Richtigkeit dieser Marktanteile und ihres Verhältnisses zu den Umsätzen von SGL und UCAR ist jedoch im vorliegenden Zusammenhang irrelevant. Wie oben ausgeführt, wurden die Ausgangsbeträge der beiden Unternehmen nämlich ausschließlich anhand ihres Umsatzes festgelegt, wobei die Unternehmen im Übrigen nicht in gesonderte Kategorien eingeteilt wurden.

272 Zu der von SGL geäußerten Verwunderung darüber, dass die Zahlen für ihr Unternehmen mit denen von UCAR übereinstimmten, ist festzustellen, dass die Klägerin keine konkrete Rüge gegen die Größenordnung des im Fall von UCAR herangezogenen Umsatzes erhoben hat, der in Tabelle 3 aus Gründen der Vertraulichkeit durch eine Spannbreite von [12-17] ersetzt wurde. Da die Behauptung von SGL durch nichts belegt ist, konnte die Kommission sie mit der Angabe entkräften, dass die Zahlen von SGL und UCAR für das Jahr 1995 tatsächlich dieselbe Größenordnung hatten.

273 Daraus folgt, dass das Vorbringen gegen die Methode bei der Ermittlung der relevanten Zahlen für das Kartell im Bereich stranggepressten Graphits zurückzuweisen ist und dass die Kommission keinen Fehler begangen hat, als sie sich zur Festsetzung des Ausgangsbetrags für SGL wegen deren Beteiligung an diesem Kartell auf die genannten Zahlen stützte. Das Gericht sieht jedenfalls keinen Grund, in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung diese Methode oder diesen Betrag zu ändern.

e) Zu dem für SGL anhand der Dauer der Zuwiderhandlungen festgelegten Grundbetrag (T-91/03)

274 SGL trägt vor, dass sich die in den Leitlinien als "besonders schwere" Zuwiderhandlungen eingestuften Quotenkartelle regelmäßig über mehrere Jahre erstreckten. Dieser typischerweise auf Dauer angelegte Charakter liege bei derartigen Zuwiderhandlungen in der Natur der Sache. Folglich könne ein Quotenkartell, das seinem Wesen nach auf Dauer angelegt sei, hinsichtlich seiner Dauer nicht ebenso behandelt werden wie eine Zuwiderhandlung, die - wie z. B. der Missbrauch einer beherrschenden Stellung - schon bei punktueller Begehung "besonders schwer" sei. Die Berücksichtigung der Dauer eines Quotenkartells sei daher nur dann zulässig, wenn sie über die typische Dauer derartiger Zuwiderhandlungen deutlich hinausgehe. In diesem Punkt sei die Rechtmäßigkeit der Leitlinien fraglich, weil die Dauer einer Zuwiderhandlung unabhängig von ihrem Wesen herangezogen werde.

275 Hierzu genügt der Hinweis, dass SGL in dem Rechtsstreit, der zum Urteil Graphitelektroden führte, bereits eine ähnliche Argumentation vorgetragen hatte. Aus den in den Randnummern 259 und 260 jenes Urteils genannten Gründen ist diese Argumentation zurückzuweisen: Selbst wenn bestimmte Arten von Kartellen ihrem Wesen nach auf Dauer angelegt sein sollten, ist nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 stets zwischen ihrer tatsächlichen Wirkungsdauer und ihrer Schwere zu unterscheiden, wie sie sich aus ihrem Wesen ergibt.

276 Folglich ist der Klagegrund einer falschen Beurteilung in Bezug auf die Dauer der SGL zur Last gelegten Zuwiderhandlungen zurückzuweisen, und zwar auch unter Berücksichtigung der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung.

277 Da der gegen SGL aufgrund der Schwere der Zuwiderhandlung im Bereich des isostatisch gepressten Graphits festgesetzte Ausgangsbetrag auf 11,3 Millionen Euro reduziert wurde, ist jedoch der anhand der Dauer festgelegte Grundbetrag (Randnrn. 480 und 484 der Entscheidung) zu berichtigen und von 29 Millionen Euro auf 16,4 Millionen Euro herabzusetzen.

f) Zu den mildernden Umständen (T-74/03 und T-87/03)

Zusammenfassung der Entscheidung

278 In den Randnummern 515 und 516 der Entscheidung hat die Kommission die Ansicht vertreten, dass die Teilnahme von Intech am Kartell im Bereich des isostatisch gepressten Graphits besonders gelagert gewesen sei, da dieses Unternehmen die Anweisungen von Ibiden habe befolgen müssen, um die auf höherer Ebene getroffenen Entscheidungen durch seine Teilnahme an den europäischen und regionalen Zusammenkünften in seiner Eigenschaft als Vertriebshändler von Ibiden umzusetzen. Diese besonderen Umstände rechtfertigten eine Ermäßigung des für Intech festgesetzten Grundbetrags um 40 %. Die Anerkennung weiterer mildernder Umstände lehnte die Kommission dagegen ab.

Vorbringen der Parteien

279 Intech ist der Auffassung, dass die Kommission es rechtsfehlerhaft abgelehnt habe, ihre Rolle als passives Mitglied und reine Mitläuferin und ihre vorzeitige freiwillige Beendigung der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen. Damit habe die Kommission gegen Nummer 3 ihrer Leitlinien und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

280 Da die Kommission die Kartellmitglieder wegen ihrer regelmäßigen Teilnahme an den Zusammenkünften zu ihren jeweiligen nationalen Märkten als "aktive Mitglieder" eingestuft habe (Randnr. 498 der Entscheidung), hätte sie auch alle übrigen Vertriebshändler, die an Treffen zu nationalen Märkten teilgenommen hätten, als aktive Mitglieder einstufen und eine entsprechende Geldbuße gegen sie festsetzen müssen. Gegen alle diese Vertriebshändler mit Ausnahme der Klägerin habe die Kommission jedoch nicht einmal eine Geldbuße verhängt. Die Begründung der Kommission sei deshalb völlig unzureichend.

281 Intech habe in keiner Weise an der Gründung, dem Aufbau und der Leitung des Kartells oder an dessen internationalen Zusammenkünften mitgewirkt. Sie habe an den europäischen und nationalen Zusammenkünften erheblich seltener als die gewöhnlichen Kartellmitglieder teilgenommen. Insbesondere habe sie auf die Festlegung der Zielpreise nie auch nur den geringsten Einfluss gehabt. Diese Preise seien allein durch die Hersteller bei ihren internationalen Zusammenkünften festgelegt worden (Randnr. 102 der Entscheidung). Im Übrigen habe Ibiden der Kommission im Verwaltungsverfahren ausdrücklich erklärt, dass Intech nur eine passive Rolle innerhalb des Kartells gespielt habe.

282 In diesem Zusammenhang seien mehrere europäische und nationale Zusammenkünfte zu nennen, an denen sie nicht teilgenommen oder bei denen sie eine unbedeutende Rolle gespielt habe.

283 Sie habe die ihr von der Leitung des Kartells aufgezwungenen Mindestpreise meist nicht eingehalten, sondern versucht, eine bewusst wettbewerbsorientierte Verkaufspolitik zu betreiben, um Marktanteile zu gewinnen. So sei sie bei dem zweiten europäischen Treffen am 20. Juni 1994 beschuldigt worden, ihre Preise zu senken (Randnr. 199 der Entscheidung).

284 Außerdem habe sie generell gegen die Preisabsprachen der Hersteller verstoßen, um ihren Marktanteil in Europa auszubauen. Wie aus mehreren Unterlagen in der Ermittlungsakte, der Begründung der Entscheidung und ihren Preislisten für den deutschen Markt hervorgehe, seien ihre Endverkaufspreise zwischen 1993 und 1998 nicht gestiegen, sondern gesunken. Die Nichtanwendung der Preisabsprachen sei aber nach den Leitlinien als ein zur Ermäßigung der Geldbuße führender Umstand zu berücksichtigen.

285 Schließlich habe sie ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung schon im Mai 1997, d. h. fast drei Jahre vor dem Einschreiten der Kommission und über ein Jahr vor den anderen beteiligten Unternehmen, freiwillig beendet. Wie zwei 1981 und 1982 ergangene Entscheidungen zeigten, honoriere die Kommission in ihrer Entscheidungspraxis die freiwillige Beendigung eines Wettbewerbsverstoßes durch ein Unternehmen vor ihrem Eingreifen mit einer Ermäßigung der Geldbuße. Nach Nummer 3 der Leitlinien werde selbst die Beendigung eines Verstoßes nach dem ersten Eingreifen der Kommission noch mildernd berücksichtigt. Unter diesen Umständen hätte eine deutliche Herabsetzung der Geldbuße der Klägerin erst recht auf der Hand gelegen.

286 Die Kommission hält dem entgegen, dass das Vorbringen der Klägerin zu ihrer angeblich passiven Rolle durch mehrere Tatsachen widerlegt werde. So habe sie an acht der ersten zehn europäischen Kartelltreffen teilgenommen. Außerdem habe sie an zahlreichen lokalen Treffen teilgenommen. Schließlich belegten mehrere Schriftstücke, dass sie die Umsetzung der im Rahmen des Kartells vereinbarten Preise unterstützt habe. In diesem Zusammenhang sei es ohne Bedeutung, dass sie sich nicht immer an diese Preise gehalten und auf internationaler Ebene keinen Einfluss gehabt habe.

287 Eine freiwillige Beendigung der Zuwiderhandlung vor dem Eingreifen der Kommission werde von den Leitlinien nicht erfasst. In einem solchen Fall werde die kürzere Dauer der Zuwiderhandlung bei der Berechnung des Grundbetrags hinreichend berücksichtigt.

Würdigung durch das Gericht

288 Die Leitlinien sehen in Nummer 3 die Verringerung des Grundbetrags bei "mildernden Umständen" wie z. B. ausschließlich passiver Mitwirkung oder reinem Mitläufertum, der tatsächlichen Nichtanwendung der Vereinbarungen über Verstöße oder der Beendigung der Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission vor.

289 In dieser Bestimmung werden die von der Kommission zu berücksichtigenden mildernden Umstände nicht zwingend vorgegeben. Folglich verbleibt der Kommission ein gewisses Ermessen, um über den Umfang einer etwaigen Herabsetzung der Geldbußen wegen mildernder Umstände im Wege einer Gesamtwürdigung zu entscheiden (in diesem Sinn auch Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2004 in der Rechtssache T-50/00, Dalmine/Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 326).

290 Speziell in Bezug auf die in Nummer 3 der Leitlinien erwähnte "Beendigung der Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission" greift die Rüge von Intech nicht durch.

291 Von einem mildernden Umstand im Sinn dieser Bestimmung kann nämlich logischerweise nur dann gesprochen werden, wenn die fraglichen Unternehmen durch dieses Eingreifen zur Beendigung ihres wettbewerbswidrigen Verhaltens veranlasst wurden. Diese Bestimmung soll Unternehmen darin bestärken, ihr wettbewerbswidriges Verhalten unmittelbar nach Einleitung einer entsprechenden Untersuchung der Kommission zu beenden, so dass eine Herabsetzung der Geldbuße aus diesem Grund nicht in Betracht kommt, wenn die Zuwiderhandlung bereits vor dem ersten Eingreifen der Kommission beendet worden war. Bei einer Herabsetzung unter solchen Umständen würde nämlich die Dauer der Zuwiderhandlungen bei der Bemessung der Geldbußen doppelt berücksichtigt (Urteil Dalmine/Kommission, oben in Randnr. 289 angeführt, Randnrn. 328 bis 330).

292 Die Kommission kann jedenfalls nicht verpflichtet werden, im Rahmen ihres Ermessens (siehe oben, Randnr. 289) eine Geldbuße wegen der Beendigung einer offensichtlichen Zuwiderhandlung herabzusetzen, unabhängig davon, ob die Zuwiderhandlung vor oder nach ihrem Eingreifen beendet wurde.

293 Da im vorliegenden Fall die Preisabsprache im Bereich des isostatisch gepressten Graphits zweifelsfrei eine offensichtliche Zuwiderhandlung war, die von der Kommission zutreffend als "sehr schwerwiegend" eingestuft wurde, wirft Intech der Kommission zu Unrecht vor, ihre Geldbuße nicht aufgrund der Beendigung ihrer Beteiligung an dieser Zuwiderhandlung vor Einleitung der Untersuchung herabgesetzt zu haben.

294 Auch wenn die Kommission in der Vergangenheit die freiwillige Beendigung einer Zuwiderhandlung als mildernden Umstand angesehen hat, darf sie bei der Anwendung ihrer Leitlinien berücksichtigen, dass schwerwiegende offensichtliche Zuwiderhandlungen immer noch verhältnismäßig häufig sind, obwohl deren Rechtswidrigkeit von Beginn der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik an feststand; es steht ihr daher frei, diese großzügige Praxis aufzugeben und die Beendigung einer solchen Zuwiderhandlung nicht mehr durch eine Herabsetzung der Geldbuße zu belohnen (vgl. analog dazu Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, oben in Randnr. 139 angeführt, Randnrn. 108 und 109). Das Gericht sieht jedenfalls auch in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung keinen Grund, von dieser Beurteilung der Kommission abzugehen.

295 Was die angebliche passive bzw. Mitläuferrolle der beiden Intech-Gesellschaften und ihre angebliche Nichtanwendung der Kartellpreise angeht, so decken sich die erhobenen Rügen mit dem Vorbringen gegen ihre Einstufung als Täter der Zuwiderhandlung, das vorstehend bereits zurückgewiesen worden ist. Somit genügt der Hinweis, dass die Kommission berechtigt war, die Intech EDM AG und die Intech EDM BV als ein einziges Unternehmen anzusehen, so dass jede von ihnen für das Verhalten der anderen zur Verantwortung gezogen werden konnte; außerdem hat die Kommission in rechtlich hinreichender Weise nachgewiesen, dass Intech an zahlreichen Kartelltreffen teilnahm und wiederholt die auf höherer Ebene des Kartells festgesetzten Preise anwandte (siehe oben, Randnrn. 58 bis 82).

296 Folglich war die Kommission zu der Annahme berechtigt, dass die Rolle von Intech nicht "ausschließlich" passiver Natur war oder in "reinem" Mitläufertum bestand und dass es sich bei der sporadischen Nichtanwendung der wettbewerbswidrigen Vereinbarungen nicht um eine "tatsächliche" Nichtanwendung im Sinn der Leitlinien handelte. Dies gilt insbesondere für die von Intech angeführte Erklärung von Ibiden, dass die Klägerin eine passive Rolle innerhalb des Kartells gespielt habe (Anlage A 19 zur Klageschrift). Diese Erklärung betraf nur die Teilnahme von Intech an einer einzigen europäischen Zusammenkunft des Kartells. Sie stellt daher keinen ausreichenden Beweis für ein "ausschließlich" passives Verhalten von Intech während der gesamten Dauer ihrer Beteiligung am Kartell dar.

297 Dass Intech die vereinbarten Preise nicht vollständig angewandt hat, bedeutet im Übrigen keine "tatsächliche" Nichtanwendung der Kartellvereinbarungen. Denn ein Unternehmen, das trotz der Absprache mit seinen Konkurrenten eine mehr oder weniger unabhängige Marktpolitik verfolgt, versucht möglicherweise nur, das Kartell zu seinem Vorteil auszunutzen (siehe oben, Randnr. 74).

298 Die von Intech auf das Fehlen einer zusätzlichen Herabsetzung der Geldbuße wegen weiterer angeblich mildernder Umstände gestützten Rügen sind deshalb zurückzuweisen, und zwar auch unter Berücksichtigung der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung.

299 Schließlich kann auch der Rüge einer unzureichenden Begründung nicht gefolgt werden. Aus den Randnummern 410 und 498 der Entscheidung geht klar hervor, aus welchen Gründen die Kommission der Ansicht war, dass Intech im Gegensatz zu den übrigen Vertriebshändlern der Branche als aktives Kartellmitglied einzustufen sei. Diese Abschnitte der Entscheidung ermöglichten es Intech somit, ihre Klagegründe und Argumente vorzubringen, um ihren Standpunkt vor Gericht sachgerecht zu verteidigen.

g) Zu den erschwerenden Umständen (T-91/03)

Zusammenfassung der Entscheidung

300 In den Randnummern 485 bis 488 der Entscheidung hat die Kommission die Ansicht vertreten, dass SGL Anstifterin und Anführerin der Zuwiderhandlung betreffend den Markt für isostatisch gepressten Graphit gewesen sei, da sie die Initiative für die Schaffung des Kartells ergriffen und seinen Werdegang während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung geleitet habe. Dies stelle einen erschwerenden Umstand dar, der einen Aufschlag von 50 % auf den Grundbetrag der Geldbuße von SGL rechtfertige. In Bezug auf LCL hatte sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte festgestellt, dass auch diesem Unternehmen eine besondere Rolle innerhalb des Kartells zugekommen sei; nachdem LCL dies bestritten hatte, gab sie jedoch ihre ursprüngliche Einschätzung auf und erklärte, es sei nicht hinreichend nachgewiesen, dass LCL eine führende Rolle gespielt habe.

Vorbringen der Parteien

301 SGL wendet sich gegen den Zuschlag in Höhe von 50 %, der ihr als angeblicher Anführerin und Anstifterin des Kartells auf dem Gebiet isostatisch gepressten Graphits auferlegt worden sei.

302 Sie wiederholt, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte von einem anderen Sachverhalt ausgegangen sei als in der Entscheidung (siehe oben, Randnrn. 130 und 131). Wegen der Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei ihr Schweigen keine stillschweigende Anerkennung des gegen sie erhobenen Vorwurfs der Anführerschaft des Kartells gewesen. Zudem erfülle sie nicht die dafür erforderlichen Kriterien.

303 Die Bewertung der Kommission werde vom zugrunde liegenden Sachverhalt nicht getragen. SGL sei nicht in spürbar stärkerem Maß für die Funktionsweise des Kartells verantwortlich gewesen als LCL, Tokai und TT. Die Kommission habe daher rechtsfehlerhaft gehandelt, als sie sie nicht - ebenso wie diese drei Unternehmen - als bloßes aktives Mitglied eingestuft habe.

304 SGL sei nicht für die Planung und Gründung des Kartells verantwortlich gewesen. Die Absprachen hätten vielmehr auf bereits existierenden Kontakten zwischen den europäischen und den japanischen Herstellern beruht (Randnrn. 106 bis 113 der Entscheidung). Bei dieser Zusammenarbeit sei keines der beteiligten Unternehmen als Anführer aufgetreten, sondern alle hätten sich in gleichem Maß beteiligt (Randnr. 118 der Entscheidung).

305 Anfang 1993 hätten SGL sowie die Unternehmen Tokai, TT und LCL den gemeinsamen Wunsch geäußert, ihre 1991 unterbrochene internationale Zusammenarbeit wieder aufzunehmen (Randnrn. 120 ff. der Entscheidung), wobei keinem dieser Unternehmen eine Führungsrolle zugefallen sei. So seien SGL, Tokai und LCL aktiv an der Planung des ersten Treffens beteiligt gewesen. Tokai habe darauf gedrängt, dass TT und Ibiden an der Zusammenarbeit teilnähmen, und habe das erste Treffen auf oberster Ebene, d. h. das Gründungstreffen der an den Absprachen beteiligten Unternehmen, organisiert (Randnrn. 122, 123 und 128 der Entscheidung).

306 SGL sei auch nicht in besonderem Maß für die Organisation, den Vorsitz sowie die Leitung der verschiedenen Kartelltreffen verantwortlich gewesen. Vielmehr seien diese Aufgaben gleichmäßig auf die Kartellmitglieder verteilt und abwechselnd von ihnen übernommen worden.

307 Sie habe auch keine Maßnahmen zur Erweiterung des Kartells ergriffen. Zu Beginn der Absprachen sei die Initiative zur Ausdehnung der Zusammenarbeit von Tokai ausgegangen, die u. a. darauf bestanden habe, dass TT an der ersten Zusammenkunft teilnehme, während sich LCL aktiv um die Einbeziehung anderer Unternehmen, insbesondere von POCO, bemüht habe (Randnrn. 123 und 138 der Entscheidung). Die Kontaktaufnahme von SGL mit UCAR (Randnr. 138 der Entscheidung) sei daher nicht über die Maßnahmen der anderen Unternehmen hinausgegangen.

308 Bei der Vorgabe von Preisen und der Umsetzung anderer Absprachen habe SGL ebenso wenig eine führende Rolle gespielt. Alle strategischen Entscheidungen über Inhalt und Ausweitung der Zusammenarbeit hätten die Unternehmen gemeinsam getroffen (Randnrn. 130, 131, 165, 199 und 202 der Entscheidung).

309 Was speziell die Rolle von LCL angehe, so sei dieses Unternehmen insbesondere an der Ausarbeitung von Vorschlägen und Vorgaben zu den Zielen der Absprachen aktiv beteiligt gewesen. LCL habe zusammen mit SGL die Position der europäischen Graphithersteller vertreten. Wenn aber das Verhalten von LCL nicht als erschwerender Umstand angesehen worden sei, müsse dies auch für das weitgehend identische Verhalten von SGL gelten.

310 SGL macht hilfsweise geltend, dass die Kommission ihre Rolle als Kartellanführerin durch die Erhöhung ihrer Geldbuße um 50 % jedenfalls in unverhältnismäßiger Weise berücksichtigt habe. Der Aufschlag von 50 % stehe in Widerspruch zur Verwaltungspraxis der Kommission. Diese habe in mehreren Entscheidungen die Anführerrolle mit der Anwendung eines geringeren Prozentsatzes bestraft.

311 Die Kommission weist darauf hin, dass die Klägerin im Verwaltungsverfahren ihre Rolle als Kartellanführerin nicht bestritten habe. Wegen des Nichtbestreitens des den Beschwerdepunkten zugrunde liegenden Sachverhalts sei ihre Geldbuße herabgesetzt worden (Randnr. 542 der Entscheidung). Sie könne daher vor Gericht keinen anderen Standpunkt vertreten. Sonst müsste gegebenenfalls die Geldbuße nach Abschnitt E der Mitteilung über Zusammenarbeit erhöht werden.

312 SGL habe das Kartell entscheidend angetrieben, organisiert und gefördert und hebe sich dadurch so deutlich von den anderen Kartellmitgliedern ab, dass ein Aufschlag von 50 % gerechtfertigt sei. Sie habe die Rollen des Anstifters, des Planers der Politik des Kartells und vieler seiner praktischen Einzelmaßnahmen, des Koordinators, des Ordnungshüters und des Initiators von Maßnahmen zur Erweiterung des Kartells in sich vereint.

313 So sei die Initiative zur Wiederaufnahme der im Jahr 1991 unterbrochenen Zusammenarbeit von der Klägerin ausgegangen. LCL und Tokai hätten sie möglicherweise bei dieser Aufgabe unterstützt, doch sei ihre Position nicht mit der der Klägerin vergleichbar. In diesem Zusammenhang sei die Anstifterrolle des Vorstandsvorsitzenden der Klägerin besonders hervorzuheben (Randnrn. 121 bis 124, 126 und 129 der Entscheidung); kein anderes Kartellmitglied habe auch nur entfernt denselben Anteil an der Planung und Gründung des Kartells gehabt.

314 Was die Maßnahmen zur Erweiterung des Kartells betreffe, so sei die Einbeziehung von TT in der Gründungsphase des Kartells auf eine Initiative der Klägerin zurückgegangen, die Tokai lediglich unterstützt habe (Randnr. 122 der Entscheidung). Die Klägerin habe auch mit LCL, Tokai und Ibiden Kontakt aufgenommen, um sie zur Teilnahme am Kartell zu bewegen (Randnrn. 120 bis 126 der Entscheidung). Außerdem seien die Bemühungen der Klägerin nach ihrer Zusage im November 1993, Kontakte zu UCAR herzustellen, ab Februar 1996 von Erfolg gekrönt worden (Randnrn. 138, 157, 162 und 214 der Entscheidung).

315 Zur hilfsweise erhobenen Rüge eines Verstoßes gegen die frühere Entscheidungspraxis der Kommission sei darauf hinzuweisen, dass diese bei der Berücksichtigung etwaiger erschwerender Umstände über ein Ermessen verfüge. Insbesondere sei sie weder an eine mathematische Formel noch allgemein an ihre frühere Entscheidungspraxis gebunden.

Würdigung durch das Gericht

316 Wurde eine Zuwiderhandlung von mehreren Unternehmen begangen, so ist im Rahmen der Ermittlung des Betrages der Geldbußen die jeweilige Rolle dieser Unternehmen bei der Zuwiderhandlung während der Dauer ihrer Beteiligung festzustellen. Daraus folgt u. a., dass die von einem oder mehreren Unternehmen im Rahmen eines Kartells gespielte Rolle des "Anführers" bei der Berechnung des Betrages der Geldbuße zu berücksichtigen ist, da die Unternehmen, die eine solche Rolle gespielt haben, im Vergleich zu den anderen Unternehmen eine besondere Verantwortung tragen müssen (vgl. Urteil Graphitelektroden, Randnr. 301 und die dort genannte Rechtsprechung).

317 In Einklang mit diesen Grundsätzen enthält Nummer 2 der Leitlinien unter der Überschrift "Erschwerende Umstände" eine nicht abschließende Liste von Umständen, die zu einer Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße führen können, darunter die "Rolle als Anführer oder Anstifter des Verstoßes".

318 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Randnummer 485 der Entscheidung, dass SGL nach dem von der Kommission festgestellten Sachverhalt die Zuwiderhandlung betreffend den Markt für isostatisch gepressten Graphit angestiftet und geleitet hat. Sie soll die Initiative für die Schaffung des Kartells ergriffen und seinen Werdegang während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung geleitet haben.

319 Zur Beurteilung der gegen diese Feststellung gerichteten Klagegründe bedarf es zunächst einer Schilderung des zeitlichen Ablaufs der verschiedenen Stufen des Verwaltungsverfahrens. Sodann ist der Inhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Erklärungen von SGL zu analysieren.

320 In Beantwortung von Auskunftsverlangen hob SGL mit Schreiben vom 8. Juni 1999 und vom 15. Juni 2000 ihre freiwillige Zusammenarbeit mit der Kommission hervor und beantragte aus diesem Grund die Anwendung von Abschnitt C der Mitteilung über Zusammenarbeit ("Erheblich niedrigere Festsetzung der Geldbuße ... um 50 bis 75 %").

321 In ihrer anschließenden Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 17. Mai 2002 gab die Kommission ausdrücklich an, dass sie gegen die Unternehmen nach Artikel 15 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 17 Geldbußen verhängen werde (Randnr. 411), wobei sie die Rolle jedes Unternehmens prüfen und etwaige erschwerende Umstände berücksichtigen werde (Randnrn. 406 und 409). In diesem Zusammenhang führte sie aus (Randnr. 410): "In diesem Falle sind für das Kartell bei isostatisch gepresstem Graphit SGL und LCL als Anführer bzw. Anstifter anzusehen, die die Hauptverantwortung tragen."

322 In ihrer Erwiderung vom 25. Juli 2002 wies SGL darauf hin, dass sie von Anfang an umfassend mit der Kommission kooperiert und "damit zur Feststellung der jetzt verfolgten Verstöße maßgeblich beigetragen" habe. Sodann erklärte sie, dass sie sich aus diesem Grund darauf beschränke, einige Ungenauigkeiten und Fehler bei der Sachverhaltsdarstellung in der Mitteilung der Beschwerdepunkte aufzuzeigen. Die insoweit vorgenommenen Berichtigungen betrafen die Definition des relevanten Marktes und die von der Kommission herangezogenen Zahlen.

323 Bei der Anhörung vor der Kommission am 10. September 2002 (Randnr. 88 der Entscheidung) wiederholte SGL lediglich ihre inhaltliche Kritik an der Verwendung bestimmter Zahlen durch die Kommission, die ihre wirtschaftliche Bedeutung verfälschen könnten.

324 Aus dem Vorstehenden folgt, dass SGL mit ihrem im Verwaltungsverfahren gezeigten Verhalten nicht nur auf ein Bestreiten des Sachverhalts der Zuwiderhandlung - mit Ausnahme der Definition des relevanten Marktes und bestimmter Zahlen - verzichtete, sondern sich sogar auf ihren eigenen wertvollen Beitrag zur Ermittlung dieses Sachverhalts berief. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass SGL im Verwaltungsverfahren die ihr von der Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zur Last gelegten Tatsachen mit Ausnahme der beiden oben genannten Punkte ausdrücklich eingeräumt hat. Diese Tatsachen sind somit als erwiesen anzusehen, so dass die Klägerin sie im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits grundsätzlich nicht mehr bestreiten kann (in diesem Sinn auch Urteil Graphitelektroden, Randnr. 108, und Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, oben in Randnr. 101 angeführt, Randnr. 227).

325 Zu diesen Tatsachen gehören auch die tatsächlichen Elemente, aufgrund deren die Kommission in der Entscheidung, insbesondere in den in Fußnote 552 aufgezählten 48 Randnummern, feststellte, dass SGL Anstifterin und Anführerin des Kartell gewesen sei, wobei die Kommission diese Feststellung ohne Verletzung der Verteidigungsrechte von SGL treffen konnte (siehe oben, Randnrn. 148 bis 151). Eine dahin gehende Feststellung war bereits in der Mitteilung der Beschwerdepunkte auf der Grundlage im Wesentlichen gleicher tatsächlicher Umstände getroffen worden. SGL hat der Kommission jedenfalls nicht vorgeworfen, in der Entscheidung Umstände herangezogen zu haben, die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht enthalten waren.

326 Folglich sind die Feststellung der tatsächlichen Führungsrolle sowie die damit verbundenen tatsächlichen Elemente im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits als endgültig erwiesen einzustufen, so dass SGL diesen ihr zur Last gelegten erschwerenden Umstand nicht mehr in Frage stellen kann.

327 Dagegen hat die Kommission bei der Beurteilung der Schwere der Rolle von SGL erstmals in der Entscheidung die Ansicht vertreten, dass der fragliche erschwerende Umstand eine Erhöhung des für die Klägerin festgesetzten Grundbetrags um 50 % rechtfertige. SGL ist somit durch das Nichtbestreiten ihrer Führungsrolle nicht daran gehindert, diese Erhöhung als übermäßig zu rügen. Jedenfalls kann das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung die Angemessenheit der Erhöhung um 50 % überprüfen, und zwar mittels Beurteilung der jeweiligen Rolle der in die Zuwiderhandlung verwickelten Unternehmen.

328 Hierzu ist festzustellen, dass die relevanten Abschnitte der Entscheidung durchaus die Führungsrolle von SGL im Kartell belegen. Aus ihnen geht aber auch hervor, dass sich das Verhalten anderer Kartellmitglieder, insbesondere von LCL und Tokai, nicht in dem von der Kommission behaupteten Maß vom Verhalten von SGL unterschied.

329 So war der Wunsch, 1993 die wettbewerbswidrige Zusammenarbeit in Bezug auf isostatisch gepressten Graphit wieder aufzunehmen, nicht nur bei SGL, sondern auch bei Tokai sehr ausgeprägt (Randnrn. 120, 122, 123 und 128 der Entscheidung). Ferner spielte LCL bei der Ausarbeitung einer gemeinsamen Strategie der europäischen Unternehmen eine besonders aktive Rolle (Randnrn. 137, 179, 200 und 219 der Entscheidung). Ebenso wurden Organisation und Durchführung der verschiedenen Zusammenkünfte mehr oder weniger gleichmäßig unter den Kartellmitgliedern aufgeteilt. Schließlich blieben mehrere wettbewerbswidrige Vorschläge von SGL, die häufig von LCL unterstützt wurden, erfolglos, da die übrigen Kartellmitglieder sie ablehnten; dies gilt insbesondere für den Bereich der Kundenaufteilung und der Mengenbeschränkung (Randnrn. 143, 171, 180, 192 und 203).

330 Folglich erscheint der Unterschied zwischen der Schwere der von SGL begangenen Zuwiderhandlung einerseits und der von Tokai sowie LCL begangenen Zuwiderhandlungen andererseits nicht so groß, dass er eine Erhöhung des für SGL festgesetzten Grundbetrags um 50 % rechtfertigen würde. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Geldbußen von Tokai und LCL keinerlei Erhöhung - nicht einmal nach Nummer 2 letzter Gedankenstrich ("sonstige") der Leitlinien - wegen ihres besonders aktiven Verhaltens im Rahmen des Kartells als eines erschwerenden Umstands erfahren haben.

331 In Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung ist das Gericht daher der Ansicht, dass die vorgenommene Erhöhung zu verringern ist. Sie wird von 50 % auf 35 % des Grundbetrags von SGL herabgesetzt. Da dieser Betrag anhand der Dauer der Zuwiderhandlung bei isostatisch gepresstem Graphit auf 16,4 Millionen festgesetzt wurde (siehe oben, Randnr. 277), liegt der neue gegen SGL aufgrund der erschwerenden Umstände festzusetzende Betrag bei 22,14 Millionen Euro.

h) Zur angeblichen Nichtberücksichtigung der Zahlungsunfähigkeit von SGL im Sinn von Nummer 5 der Leitlinien (T-91/03)

332 SGL wirft der Kommission vor, ihre äußerst schwierige finanzielle Lage und die sich daraus ergebende Unfähigkeit, die festgesetzte Geldbuße zu zahlen, nicht berücksichtigt zu haben. In der Entscheidung (Randnrn. 555 und 556) stelle die Kommission fest, dass die Klägerin ernste finanzielle Engpässe aufweise und sich demnach in einer sehr schwierigen finanziellen Situation befinde. Gleichwohl habe sie eine Anpassung der Höhe der Geldbuße nicht für angemessen gehalten. Nach Nummer 5 Buchstabe b der Leitlinien müsse die Festsetzung der Geldbuße aber in einem angemessenen Verhältnis zu den wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere zur tatsächlichen Zahlungsfähigkeit der Unternehmen stehen, gegen die eine Geldbuße festgesetzt werde.

333 Hierzu genügt die Feststellung, dass SGL im Graphitelektroden-Rechtsstreit bereits einen ähnlichen Klagegrund vorgebracht hatte. Aus den im Urteil Graphitelektroden (Randnrn. 370 bis 372) genannten Gründen greift der Klagegrund nicht durch, da die Kommission zu der Annahme berechtigt war, dass die Anerkennung einer Verpflichtung, die schwierige finanzielle Lage von SGL zu berücksichtigen, darauf hinauslaufen würde, einem der am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen. Im Übrigen ist die Tatsache, dass die Maßnahme einer Gemeinschaftsbehörde zum Konkurs oder zur Auflösung eines bestimmten Unternehmens führt, als solche gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden.

i) Zur angeblichen Unverhältnismäßigkeit der gegen SGL festgesetzten Geldbuße, weil eine effektive Abschreckung bei ihr nicht erforderlich sei (T-91/03)

334 SGL macht geltend, dass das Erfordernis einer effektiven Abschreckung bei der Festsetzung ihrer Geldbuße keine Rolle spielen dürfe. Die massive Geldbuße, die die Kommission am 18. Juli 2001 am Ende des Graphitelektrodenverfahrens gegen sie verhängt habe (80,2 Millionen Euro), habe das Unternehmen nachhaltig und umfassend abgeschreckt. Hinzu kämen die hohen in Nordamerika gegen sie verhängten Sanktionen. Nach Nummer 1 A Absatz 4 der Leitlinien sei die Abschreckung von Unternehmen aber ein wesentliches Sanktionsziel von Kartellbußen. Da dieses Ziel bereits erreicht gewesen sei, genüge es nicht, die Geldbuße der Klägerin um 33 % herabzusetzen (Randnrn. 558 und 559 der Entscheidung), da auch für die restlichen 67 % keine Rechtfertigung mehr bestanden habe. Konsequenterweise hätte sich die Kommission daher nach Nummer 5 Buchstabe d der Leitlinien auf die Festsetzung einer symbolischen Geldbuße beschränken müssen.

335 Hierzu genügt der Hinweis, dass die Klagegründe, mit denen SGL eine Verletzung des Verbots der Mehrfachahndung und der Pflicht der Kommission zur Berücksichtigung zuvor verhängter Sanktionen gerügt hat, zurückgewiesen worden sind (siehe oben, Randnrn. 112 bis 128). Die Kommission war daher berechtigt, im Rahmen der Verfahren und der Sanktionen zwischen den Kartellen bei Graphitelektroden, bei isostatisch gepresstem Graphit und bei stranggepresstem Graphit zu unterscheiden. Insbesondere war sie nicht verpflichtet, die von den amerikanischen Behörden verhängten Sanktionen zu berücksichtigen.

336 Folglich stand es der Kommission frei, gegen SGL wegen deren Beteiligung an den Kartellen im Bereich isostatisch gepressten Graphits und stranggepressten Graphits neue Geldbußen festzusetzen, um das Unternehmen in größerem Maß als mit einer rein symbolischen Geldbuße abzuschrecken. Dem steht nicht entgegen, dass nach Ansicht der Kommission unter den Umständen des vorliegenden Falls ein um 33 % verringerter Betrag ausreichte, um den gewünschten Abschreckungseffekt zu erzielen (Randnrn. 558 und 559 der Entscheidung).

337 Infolgedessen kann dem Klagegrund, mit dem eine Verkennung der Abschreckungswirkung der gegen SGL festgesetzten Geldbußen gerügt wird, auch unter Berücksichtigung der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung nicht stattgegeben werden.

4. Zu den auf eine Verletzung der Mitteilung über Zusammenarbeit gestützten Klagegründen (T-71/03 und T-91/03)

338 Tokai und SGL tragen vor, die Kommission habe ihre Geldbußen nach den Abschnitten C und D der Mitteilung über Zusammenarbeit nicht ausreichend herabgesetzt.

339 Der mit "Erheblich niedrigere Festsetzung der Geldbuße" überschriebene Abschnitt C der Mitteilung über Zusammenarbeit lautet:

"Gegenüber einem Unternehmen, das die unter Abschnitt B Buchstaben b) bis e) genannten Voraussetzungen erfüllt und die geheime Absprache anzeigt, nachdem die Kommission aufgrund einer Entscheidung bei den am Kartell beteiligten Unternehmen eine Nachprüfung vorgenommen hat, die keine ausreichenden Gründe für die Eröffnung eines Verfahrens im Hinblick auf den Erlass einer Entscheidung geliefert hat, wird die Geldbuße um 50 bis 75 % niedriger festgesetzt."

340 Abschnitt B, auf den Abschnitt C verweist, betrifft ein Unternehmen, das

"a) der Kommission die geheime Absprache anzeigt, bevor diese aufgrund einer Entscheidung bei den am Kartell beteiligten Unternehmen eine Nachprüfung vorgenommen hat und bereits über ausreichende Informationen verfügt, um das Bestehen des angezeigten Kartells zu beweisen,

b) als Erstes Angaben macht, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind,

c) seine Teilnahme an der rechtswidrigen Handlung spätestens zu dem Zeitpunkt eingestellt hat, zu dem es das Kartell anzeigt,

d) der Kommission alle sachdienlichen Informationen sowie verfügbaren Unterlagen und Beweismittel über das Kartell bereitstellt und während der gesamten Dauer der Untersuchung zu einer ununterbrochenen und uneingeschränkten Zusammenarbeit bereit ist

e) kein anderes Unternehmen zur Teilnahme am Kartell gezwungen noch zu der rechtswidrigen Handlung angestiftet oder bei ihrer Durchführung eine entscheidende Rolle gespielt hat".

341 Nach Abschnitt D Absatz 1 wird die Geldbuße eines Unternehmens, das mit der Kommission zusammenarbeitet, ohne dass es alle Voraussetzungen der Abschnitte B und C erfüllt, um 10 % bis 50 % niedriger festgesetzt als die Geldbuße, die ohne seine Mitarbeit festgesetzt worden wäre; dies gilt nach Absatz 2 dieses Abschnitts insbesondere, "wenn

- ein Unternehmen der Kommission vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte Informationen, Unterlagen oder andere Beweismittel liefert, die zur Feststellung des Vorliegens eines Verstoßes beitragen;

- ein Unternehmen der Kommission nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte mitteilt, dass es den Sachverhalt, auf den die Kommission ihre Einwände stützt, nicht bestreitet".

a) Zusammenfassung der Entscheidung

342 In den Randnummern 521 bis 526 der Entscheidung hat die Kommission anerkannt, dass UCAR als erstes Unternehmen ausschlaggebende Beweismittel für das Vorhandensein eines den EWR umfassenden internationalen Kartells auf dem Markt isostatisch gepresster und stranggepresster Spezialgraphiterzeugnisse vorgelegt habe und dass das Unternehmen in Bezug auf beide Zuwiderhandlungen die Voraussetzungen von Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit erfülle. Die Kommission ermäßigte deshalb die Geldbuße, die gegen UCAR festgesetzt worden wäre, wenn sie nicht mit der Kommission zusammengearbeitet hätte, um 100 %. Die Voraussetzungen von Abschnitt C der Mitteilung wurden dagegen nach Ansicht der Kommission von keinem der anderen Unternehmen erfüllt.

343 Zu Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit hat die Kommission in den Randnummern 527 bis 543 der Entscheidung ausgeführt, dass Tokai, TT, SGL, LCL, Ibiden und NSC/NSCC Informationen und Unterlagen vorgelegt hätten, die zur Ermittlung des Vorhandenseins der Zuwiderhandlungen erheblich beigetragen hätten; keines dieser Unternehmen habe den wesentlichen Sachverhalt bestritten, auf den die Kommission ihre Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt habe. Im Übrigen sei es nicht möglich, nach dem Mehrwert dieser Ausführungen zu unterscheiden, die im Rahmen der Untersuchung des Isostatik-Markts gemacht worden seien, da die darin enthaltenen Beweise von ähnlicher Qualität seien. Außerdem sei keine dieser Ausführungen für sich genommen für die Kommission unerlässlich gewesen, um ihre Beschwerdepunkte in der Substanz aufrechtzuerhalten, da sie sich hinsichtlich ihrer Beweiskraft im Wesentlichen überschnitten hätten.

344 Die Kommission kam deshalb zu dem Ergebnis, dass Tokai, TT, SGL, LCL, Ibiden und NSC/NSCC die Voraussetzungen von Abschnitt D Absatz 2 erster und zweiter Gedankenstrich der Mitteilung über Zusammenarbeit erfüllten, und ermäßigte die Geldbuße dieser Unternehmen um 35 % gegenüber dem Betrag, der gegen sie festgesetzt worden wäre, wenn sie nicht mit ihr zusammengearbeitet hätten.

b) Vorbringen der Parteien

345 Nach Ansicht von Tokai hat die Kommission die Mitteilung über Zusammenarbeit dadurch fehlerhaft angewandt, dass sie davon abgesehen habe, ihre Geldbuße nach Abschnitt C dieser Mitteilung herabzusetzen. Tokai sei nämlich das erste Unternehmen gewesen, das entscheidende Beweismittel für den Zeitraum geliefert habe, in dem UCAR nicht an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei (1993 bis 1996 und 1997 bis 1998). Da Tokai sämtliche in Abschnitt C der Mitteilung über Zusammenarbeit vorgesehenen Voraussetzungen erfülle, müsse sie in den Genuss einer Herabsetzung der Geldbuße um mindestens 50 % bis 75 % kommen.

346 Wie die Kommission selbst festgestellt habe, sei UCAR von Juli 1993 bis Februar 1996 und von Mai 1997 bis Februar 1998 nicht am Kartell beteiligt gewesen. Für diese Zeiträume habe UCAR somit auch keine entscheidenden Beweismittel in Bezug auf das Kartell liefern können. Folglich habe ihr nach der Entscheidungspraxis der Kommission für die fraglichen Zeiträume auch keine Nachsicht gewährt werden können.

347 Es sei absolut vorstellbar, dass zwei Unternehmen "als Erste" entscheidende Beweismittel für verschiedene Zeiträume des Kartells vorlegten und dass beide die Voraussetzungen von Abschnitt B oder C der Mitteilung über Zusammenarbeit erfüllten. Dies gelte insbesondere dann, wenn dem Unternehmen, das wie UCAR das Kartell anzeige, keinerlei Informationen über den Zeitraum zur Verfügung stünden, in dem es nicht am Kartell beteiligt gewesen sei. Zudem habe UCAR nur über drei europäische Treffen zwischen Februar 1996 und Mai 1997 beschränkte Auskünfte gegeben, während die Kommission zehn solcher Treffen in der Entscheidung aufgeführt habe. UCAR habe auf kein Treffen "auf oberster Ebene" und auf kein "internationales Arbeitstreffen" Bezug genommen.

348 Schließlich sei die Kooperation von Tokai wertvoller gewesen als die der übrigen Kartellmitglieder.

349 SGL wirft der Kommission vor, den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt zu haben, indem sie ihre Geldbuße nicht in gleichem Maß wie bei UCAR herabgesetzt habe. Die SGL gewährte Ermäßigung um 35 % berücksichtige ihre Kooperation nur sehr unvollständig. Hätte die Kommission all ihren Beiträgen Beachtung geschenkt, dann hätte sie einen deutlich höheren Nachlass am oberen Ende der Skala des Abschnitts C der Mitteilung über Zusammenarbeit, d. h. um 50 % bis 75 %, gewähren müssen.

350 SGL habe der Kommission die relevanten Tatsachen zur gleichen Zeit mitgeteilt wie TT, Tokai, LCL, Intech und Ibiden. Die Kommission habe insbesondere außer Acht gelassen, dass die Klägerin als einziges Unternehmen Nachweise dafür geliefert habe, dass UCAR schon 1993 an den Zuwiderhandlungen im Isographitbereich beteiligt gewesen sei. Da UCAR der Kommission ihre frühzeitige Beteiligung am Kartell nicht mitgeteilt habe, sei die Darstellung dieses Unternehmens im Rahmen der Kooperation mit der Kommission unvollständig, so dass es nicht in den Genuss von Herabsetzungen der Geldbuße im Hinblick auf seine Kooperation kommen dürfe. Die rechtswidrige Bevorzugung von UCAR beeinträchtige die Klägerin unmittelbar in ihren Rechten.

351 SGL habe auch als einziges Unternehmen Angaben zur Beteiligung der Firma Conradty am Kartell im Bereich stranggepresster Graphite gemacht. Diese Beweismittel habe die Kommission allerdings nicht berücksichtigt.

352 Nach Ansicht der Kommission kann es bei jedem Kartell nur einen einzigen Begünstigten nach Abschnitt C der Mitteilung über Zusammenarbeit geben, der "als Erster" über die Existenz des Kartells informiert hat.

353 Im vorliegenden Fall sei die Kommission davon ausgegangen, dass es sich bei dem Kartell auf dem Markt für isostatisch gepressten Graphit um "eine einzige fortgesetzte Zuwiderhandlung" gehandelt habe und dass UCAR in ihrer Mitteilung vom 13. April 1999 als erstes Unternehmen entscheidende Beweise für das Bestehen dieses Kartells vorgelegt habe. Die Behauptung von Tokai, sie habe als Erste Beweise vorgelegt, sei durch nichts bewiesen.

354 Im Übrigen könnte die von Tokai befürwortete Auslegung leicht zu Missbräuchen führen. Die Mitglieder eines Kartells könnten nämlich die der Kommission zu übermittelnden Informationen dergestalt aufteilen, dass jedes Auskünfte zu einem bestimmten Zeitraum liefere.

355 Was die Rügen von SGL angehe, so bestehe keine Veranlassung zu der Annahme, dass UCAR nicht alle verfügbaren Informationen zu den beiden Kartellen auf dem Markt für isostatisch gepressten und stranggepressten Graphit vorgelegt habe. Außerdem stehe außer Zweifel, dass UCAR als erstes Unternehmen - am 13. April 1999, d. h. über ein Jahr vor den ersten Kontakten zwischen SGL und der Kommission - entscheidende Auskünfte zu beiden Kartellen erteilt habe.

356 Zur angeblichen Missachtung der von SGL vorgelegten Beweise sei festzustellen, dass sie keine konkreten Informationen zur behaupteten Beteiligung von UCAR an den Kartellen vor 1996 geliefert habe. In ihrem Schreiben vom 15. Juni 2000 nenne SGL keine genauen Zeiträume und behaupte gar, UCAR habe erst "später, frühestens Ende 1994/95", an den europäischen Treffen auf Arbeitsebene teilgenommen (Nr. 4 von Anlage A 11 zur Klageschrift), während sie in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Teilnahme über bilaterale Kontakte mit der Klägerin "seit 1993" behaupte.

357 Im Ergebnis sei im vorliegenden Fall die Entscheidung schwer gefallen, welcher Beitrag der einzelnen Unternehmen den größten Wert gehabt habe, da sie alle - mit Ausnahme von UCAR - auf dasselbe Auskunftsersuchen geantwortet und Beweise von vergleichbarer Qualität vorgelegt hätten. Aus diesem Grund sei bei allen Unternehmen in Einklang mit der in Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit festgelegten Spannbreite von 10 % bis 50 % die gleiche Ermäßigung um 35 % vorgenommen worden. Entscheidend sei nämlich nicht jeder Beitrag für sich, sondern die Kombination aller Beiträge gewesen.

c) Würdigung durch das Gericht

358 Die Kommission hat in ihrer Mitteilung über Zusammenarbeit die Voraussetzungen aufgestellt, unter denen Geldbußen für Unternehmen, die während der Untersuchung eines Kartellfalls mit ihr zusammenarbeiten, entweder nicht oder niedriger festgesetzt werden können (vgl. Abschnitt A Nummer 3 der Mitteilung über Zusammenarbeit).

359 Da sowohl Tokai als auch SGL der Ansicht sind, dass die Kommission ihnen zu Unrecht die Herabsetzung nach Abschnitt C der Mitteilung über Zusammenarbeit verwehrt habe, ist zu prüfen, ob die Kommission die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Abschnitts verkannt hat und ob eines dieser Unternehmen - oder jedes von ihnen - "als Erstes Angaben [gemacht hat], die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind".

360 In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, dass - wie zwischen den Parteien unstreitig ist - UCAR das erste Unternehmen war, das der Kommission Angaben zum Beweis des Bestehens der beiden Kartelle in den Zeiträumen von Februar 1996 bis Mai 1997 bzw. von Februar 1993 bis November 1996 gemacht hat, während deren UCAR nach den Feststellungen der Kommission an den Zuwiderhandlungen teilnahm.

361 Da Tokai behauptet hat, dass sich die von UCAR gelieferten Informationen nicht auf alle Zusammenkünfte des Kartells im Bereich isostatisch gepressten Graphits erstreckt hätten, ist sodann zu prüfen, ob die Kommission zu der Annahme berechtigt war, dass UCAR ihr "Angaben ... von entscheidender Bedeutung" für den Beweis des Bestehens des Kartells gemacht hatte.

362 Hierzu ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Abschnitt B Buchstabe b, dass das "erste" Unternehmen nicht sämtliche Angaben gemacht haben muss, die alle Einzelheiten der Funktionsweise des Kartells belegen, sondern nur "Angaben" von entscheidender Bedeutung. Insbesondere verlangt der Wortlaut - wie ein Vergleich mit dem Wortlaut von Abschnitt B Buchstabe a zeigt - nicht, dass die gemachten Angaben für sich genommen "ausreichend" sind, um eine Mitteilung der Beschwerdepunkte abfassen oder gar eine abschließende Entscheidung über die Feststellung einer Zuwiderhandlung erlassen zu können. Jedenfalls ist der Kommission ein gewisser Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Frage zuzubilligen, ob die fragliche Zusammenarbeit für die Erleichterung ihrer Aufgabe, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festzustellen und diese abzustellen (Urteil Graphitelektroden, Randnr. 435), "von entscheidender Bedeutung" war, wobei nur eine offensichtliche Überschreitung dieses Spielraums beanstandet werden kann.

363 Im vorliegenden Fall bestreitet Tokai nicht ernstlich die entscheidende Bedeutung der von UCAR gelieferten Beweise. Sie bestreitet insbesondere nicht die Feststellung der Kommission, dass sie anhand der von UCAR am 13. April 1999 vorgelegten Informationen das Bestehen und den Inhalt mehrerer Kartellzusammenkünfte - sowie die Identität der Teilnehmer - auf den Märkten für isostatisch gepressten Graphit und für stranggepressten Graphit während des von ihrer Untersuchung erfassten Zeitraums ermitteln konnte (Randnr. 521 der Entscheidung). Tokai hat auch keinen Widerspruch dagegen erhoben, dass die Kommission jede der Zuwiderhandlungen auf dem Spezialgraphitmarkt als "einzigen fortgesetzten Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 [EG] und Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen" einstufte (Randnr. 346 der Entscheidung).

364 Unter diesen Umständen hat Tokai rechtlich nicht hinreichend dargetan, dass die Informationen, die UCAR der Kommission als Erste lieferte, offensichtlich nicht "für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung" waren. Die Kommission war daher berechtigt, allein UCAR als "erstes Unternehmen" im Sinn der Abschnitte B und C der Mitteilung über Zusammenarbeit einzustufen.

365 Folglich spielt es keine Rolle, dass bestimmte Zeiträume, in denen das Kartell aktiv war - wie diejenigen, während deren UCAR nicht an den Zuwiderhandlungen teilnahm -, in den Informationen von UCAR nicht erwähnt wurden. Die Kommission war jedenfalls nicht verpflichtet, Tokai neben UCAR als weiteres "erstes" Unternehmen in Bezug auf bestimmte Beweismittel für diese Zeiträume zu behandeln. Sie durfte sich an den Wortlaut von Abschnitt B Buchstabe b und Abschnitt C halten, wonach allein die Geldbuße des Unternehmens, das tatsächlich "als Erstes" Angaben von entscheidender Bedeutung gemacht hat, wesentlich oder erheblich niedriger festgesetzt wird.

366 Da somit allein UCAR das Kriterium von Abschnitt B Buchstabe b der Mitteilung über Zusammenarbeit erfüllte, hatte Tokai keinen Anspruch auf Herabsetzung ihrer Geldbuße nach Abschnitt C.

367 Das gilt zwangsläufig auch für SGL, zumal SGL als Anführerin des Kartells im Bereich isostatisch gepressten Graphits nicht die Voraussetzungen von Abschnitt B Buchstabe e der Mitteilung über Zusammenarbeit erfüllte und somit auch nicht in den Genuss der Vergünstigung nach Abschnitt C kommen konnte.

368 Soweit SGL behauptet, als Erste Beweise geliefert zu haben, die der Kommission den Nachweis einer Zuwiderhandlung von UCAR während eines zusätzlichen Zeitraums (1993 bis 1995) und der Teilnahme von Conradty am Kartell im Bereich des stranggepressten Graphits ermöglicht hätten, genügt die Feststellung, dass die Kommission, wie aus der Entscheidung klar hervorgeht (Randnrn. 3, 119 und 364 sowie Artikel 1 der Entscheidung), keines dieser Beweismittel herangezogen hat, um eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft festzustellen oder zu ahnden oder um eine bereits verhängte Sanktion wegen längerer Dauer der Zuwiderhandlung zu verschärfen. Die Kommission war somit nicht verpflichtet, die in diesem Zusammenhang von SGL geltend gemachte Zusammenarbeit mit einer erheblich niedrigeren Festsetzung der Geldbuße zu belohnen, da SGL die Aufgabe der Kommission, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festzustellen und diese abzustellen (siehe oben, Randnr. 362), nicht tatsächlich erleichtert hat

369 Jedenfalls gibt es keine Bestimmung der Verordnung Nr. 17, welche die Kommission - die insoweit nicht über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt - verpflichtete, jedes wettbewerbswidrige Verhalten festzustellen und zu ahnden. Wie sich aus den Artikeln 3 und 15 dieser Verordnung ergibt, ist sie dazu nur befugt (Kann-Bestimmung), wenn der fragliche Vorgang es rechtfertigt.

370 Würde das Gericht im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits entscheiden - wenn auch nur im Hinblick auf eine Herabsetzung der Geldbuße -, dass die Kommission angesichts der ihr zur Verfügung stehenden Beweise das Vorliegen der Zuwiderhandlung eines bestimmten Unternehmens während eines bestimmten Zeitraums hätte feststellen müssen, so würde es sich im Übrigen Befugnisse dieser Verwaltungsbehörde anmaßen und außerhalb des dafür vorgesehenen Verfahrens entscheiden, d. h. ohne Mitteilung der Beschwerdepunkte und ohne vorherige Anhörung der betroffenen Unternehmen Conradty und UCAR, die nicht am vorliegenden Verfahren beteiligt sind.

371 Soweit beide Klägerinnen noch geltend machen, dass ihre Zusammenarbeit wertvoller gewesen sei als die der übrigen Kartellmitglieder, darf die Kommission zwar nach der Rechtsprechung bei der Beurteilung der Kooperation der Mitglieder eines Kartells nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung außer Acht lassen (vgl. Urteil Graphitelektroden, Randnr. 394 und die dort genannte Rechtsprechung). Die Kommission verfügt jedoch über ein weites Ermessen bei der Beurteilung der Qualität und Nützlichkeit der Zusammenarbeit verschiedener Mitglieder eines Kartells, so dass nur eine offensichtliche Überschreitung dieses Ermessens beanstandet werden kann.

372 Im vorliegenden Fall ist den Akten keine solche offensichtliche Überschreitung zu entnehmen, so dass die Kommission es nicht als entscheidend anzusehen brauchte, dass sich eines der Unternehmen ein wenig schneller meldete als die anderen oder dass sich die Kooperation des einen Unternehmens in gewissem Umfang von der der anderen unterschied. Sie war vielmehr zu dem Schluss berechtigt, dass alle Beiträge der verschiedenen Unternehmen in kurzer zeitlicher Abfolge in Erwiderung auf das an sie gerichtete förmliche Auskunftsverlangen übersandt worden seien und dass die darin enthaltenen Beweise von ähnlicher Qualität gewesen seien und sich im Wesentlichen überschnitten hätten (Randnr. 538 der Entscheidung). Auf der Grundlage dieser Erwägungen war die Kommission berechtigt, die Geldbußen von Tokai und SGL um je 35 % herabzusetzen.

373 Soweit SGL schließlich geltend macht, UCAR müsse wegen Verschleierung ihrer frühen Beteiligung jedes Recht auf eine Herabsetzung der Geldbuße verlieren, hebt die Klägerin nicht den Wert der eigenen Kooperation hervor, sondern wertet nur die Kooperation eines anderen Unternehmens ab und rügt dessen angeblich zu vorteilhafte, d. h. rechtswidrige Behandlung. Diese Argumentation ist daher nicht geeignet, SGL einen größeren Nachlass zu verschaffen (vgl. Urteil Graphitelektroden, Randnr. 398). Sie ist somit zurückzuweisen, da sich niemand zu seinen Gunsten auf einen einem anderen zugute gekommenen Rechtsfehler berufen kann (vgl. Urteil Graphitelektroden, Randnr. 316, und Urteil LR AF 1998/Kommission, oben in Randnr. 139 angeführt, Randnr. 367).

374 Folglich sind alle Klagegründe, mit denen eine Verletzung der Mitteilung über Zusammenarbeit gerügt wird, zurückzuweisen, und zwar auch unter Berücksichtigung der Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung.

375 Es ist jedoch daran zu erinnern, dass sich der für SGL festgesetzte Grundbetrag wegen der Teilnahme am Kartell für isostatisch gepressten Graphit nach seiner Berichtigung wegen erschwerender Umstände auf 22,14 Millionen Euro beläuft (siehe oben, Randnr. 331). Nach seiner Herabsetzung um 35 % wegen der Kooperation von SGL beträgt er somit 14,391 Millionen Euro.

5. Zur angeblichen Nichtbeachtung der Obergrenze von Geldbußen

a) Rechtssache T-91/03

376 SGL wirft der Kommission vor, einen einheitlichen Sachverhalt - das Kartell für Graphitelektroden und für Spezialgraphite - künstlich aufgespalten zu haben, um gesonderte Sanktionen verhängen zu können. Dadurch habe sie die in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehene Obergrenze von 10 % umgangen. Im Fall von SGL sei diese Obergrenze bereits durch die in den Vereinigten Staaten (135 Millionen USD) und von der Kommission (80,2 Millionen Euro) wegen ihrer Beteiligung am Kartell auf dem Graphitelektrodenmarkt gegen sie verhängten Sanktionen ausgeschöpft worden. Die Kommission habe ihre Ermittlungen im Spezialgraphitsektor bewusst hinausgezögert, um - nachdem sie die oben genannte Obergrenze im Jahr 2001 ausgeschöpft habe - über einen neuen rechtlichen Rahmen zu verfügen, der sie zur Festsetzung neuer Geldbußen berechtigte.

377 Hierzu genügt der Hinweis, dass die Klagegründe zurückgewiesen worden sind, mit denen SGL eine Verletzung des Verbots der Mehrfachahndung und der Pflicht der Kommission, zuvor verhängte Sanktionen zu berücksichtigen, geltend gemacht hat (siehe oben, Randnrn. 112 bis 128). Die Kommission war daher berechtigt, im Rahmen der Verfahren und Sanktionen zwischen den Kartellen auf den Märkten für Graphitelektroden, für isostatisch gepressten Graphit und für stranggepressten Graphit zu unterscheiden. Insbesondere war sie nicht verpflichtet, die von den amerikanischen Behörden verhängten Sanktionen zu berücksichtigen. Nach dem Wortlaut von Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 gilt die Obergrenze von 10 % nämlich nur für Zuwiderhandlungen gegen die Artikel 81 EG und 82 EG, wobei jede Zuwiderhandlung gegen diese Artikel gesondert zu betrachten ist.

378 Die drei von der Kommission gegen SGL festgesetzten Geldbußen bleiben jedenfalls zusammengenommen (107,95 Millionen Euro) unter der Obergrenze von 10 %, unabhängig davon, ob man den Gesamtumsatz des Wirtschaftsjahres 2000 (1 262 Millionen Euro) oder des Wirtschaftsjahres 2001 (1 233 Millionen Euro) zugrunde legt. Unter diesen Umständen ist die Rüge einer absichtlichen Verzögerung der Ermittlungen durch die Kommission gegenstandslos. Denn selbst wenn die Kommission ihre Endentscheidung über das Kartell auf dem Spezialgraphitmarkt zur gleichen Zeit wie die Entscheidung in Bezug auf den Graphitelektrodenmarkt erlassen hätte (d. h. im Jahr 2001), wäre die Obergrenze von 10 % jedenfalls eingehalten worden.

379 Folglich ist der Klagegrund, wonach die Obergrenze der Geldbußen gegenüber SGL nicht beachtet worden sei, zurückzuweisen.

b) Rechtssachen T-74/03 und T-87/03

Vorbringen der Parteien

380 Intech macht geltend, dass die Höhe der gegen die Intech EDM BV und ihre frühere Tochtergesellschaft Intech EDM AG als Gesamtschuldner festgesetzten Geldbuße (980 000 Euro) gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Leitlinien verstoße, da dieser Betrag die Höchstgrenze von 10 % des Gesamtumsatzes der Intech EDM AG übersteige und daher auch gegenüber der Intech EDM BV keinen Bestand haben könne. Im letzten Geschäftsjahr vor Erlass der Entscheidung, d. h. im Jahr 2001, habe sich der Gesamtumsatz der Intech EDM AG auf 4,2 Millionen Euro und derjenige der Intech EDM BV auf 11,3 Millionen Euro belaufen. Dies bedeute, dass die festgesetzte Geldbuße mehr als 23 % des Gesamtumsatzes der Intech EDM AG und fast 9 % des Gesamtumsatzes der Intech EDM BV ausmache. Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, wie er in Nummer 5 Buchstabe a der Leitlinien konkretisiert werde, dürfe aber der Endbetrag einer Geldbuße in keinem Fall 10 % des Gesamtumsatzes der betroffenen Unternehmen übersteigen.

381 Die Überschreitung der Höchstgrenze im Fall der Intech EDM AG könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass dieses Unternehmen nicht allein für die Geldbuße hafte, sondern Gesamtschuldnerin mit der Intech EDM BV sei. Denn nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 berechne sich die Höchstgrenze von 10 % nach dem Umsatz jedes "einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen[s]" (Urteil des Gerichts vom 21. Februar 1995 in der Rechtssache T-29/92, SPO u. a./Kommission, Slg. 1995, II-289, Randnr. 385). Im Fall gesamtschuldnerischer Haftung müsse deshalb bei der Berechnung dieser Grenze auf das umsatzschwächste Unternehmen abgestellt werden. Die Geldbuße könne auch nicht gegenüber der Intech EDM BV aufrechterhalten werden, da es sich um ein und dieselbe Geldbuße in ein und derselben Entscheidung handele, die lediglich an zwei Adressaten gerichtet sei.

382 Die Kommission hält dem entgegen, dass sich die Wettbewerbsregeln an Unternehmen richteten, die sich aus mehreren juristischen Personen zusammensetzen könnten. Dies sei der Fall, wenn diese juristischen Personen wie hier eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Die zu einer solchen wirtschaftlichen Einheit gehörenden Gesellschaften seien gemeinschaftlich für das ihnen vorgeworfene Verhalten verantwortlich (Urteil HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 62 angeführt, Randnrn. 54, 524 und 525).

383 Im vorliegenden Fall habe zwischen der Intech EDM BV und ihrer früheren Tochtergesellschaft Intech EDM AG eine wirtschaftliche Einheit bestanden (Randnrn. 66, 67, 412 bis 415 und 421 der Entscheidung). Die Intech EDM AG habe im Alleinbesitz der Intech EDM BV gestanden, die sie kontrolliert habe und über ihr rechtswidriges Verhalten im Bilde gewesen sei. Außerdem sei die Intech EDM AG aufgrund der Kooperationsvereinbarung zwischen der Intech EDM BV und Ibiden tätig geworden, die von Herrn Ankli unterzeichnet worden sei, der auch für die Intech EDM AG an den europäischen Kartellzusammenkünften teilgenommen habe.

384 Nach gefestigter Rechtsprechung könne ein Unternehmen im Sinn von Artikel 81 EG mehrere Rechtssubjekte umfassen (Urteil Hydrotherm, oben in Randnr. 54 angeführt, Randnr. 11), und die Verantwortung einer Muttergesellschaft für das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft beruhe auf dem Begriff des Unternehmens als wirtschaftlicher Einheit und nicht auf irgendeiner separaten Rechtsfigur der "Zurechnung". Ein Unternehmen verstoße gegen Artikel 81 EG, wenn es an einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache teilnehme. Gegen dasselbe "Unternehmen" könne logischerweise nach Artikel 15 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 17 eine Geldbuße festgesetzt werden. Dagegen könne nach keiner dieser Vorschriften ein "Unternehmen" für die Zuwiderhandlung eines anderen "Unternehmens" im Wege einer bloßen "Zurechnung" verantwortlich gemacht werden.

385 Daher sei es ebenso folgerichtig, für ein und dasselbe Unternehmen die Höchstgrenze von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 einheitlich zu berechnen. Nur der kumulierte Gesamtumsatz aller Gesellschaften, die zu einer als wirtschaftliche Einheit auftretenden Gruppe gehörten, spiegele die Größe und die Wirtschaftskraft dieser Einheit und damit des betreffenden Unternehmens wider (Urteil HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 62 angeführt, Randnrn. 54, 528 und 529).

386 Die Kommission habe im vorliegenden Fall gegenüber dem Unternehmen in seiner historischen Zusammensetzung, die es zur Zeit der Zuwiderhandlung aufgewiesen habe, eine Sanktion verhängt (in diesem Sinn auch Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache C-279/98 P, Cascades/Kommission, Slg. 2000, I-9693, Randnrn. 78 bis 80). Nur die historischen Bestandteile des "Unternehmens", das die Zuwiderhandlung begangen habe, seien Adressaten der Entscheidung. Mit Rücksicht auf diese Bestandteile habe die Kommission folgerichtig auch die Höchstgrenze der Sanktion nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 als Globalbetrag berechnet.

Würdigung durch das Gericht

387 Die Kommission war berechtigt, die beiden Intech-Gesellschaften als ein einziges "Unternehmen" einzustufen, das die ihnen zur Last gelegte Zuwiderhandlung begangen hatte (siehe oben, Randnrn. 58 bis 82). Diese Gesellschaften, die ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten bis zum Erlass der Entscheidung fortsetzten, durften gesondert oder gemeinsam für ihre Zuwiderhandlungen zur Verantwortung gezogen werden (in diesem Sinn auch Urteil vom 16. November 2000, Cascades/Kommission, oben in Randnr. 386 angeführt, Randnrn. 78 und 79).

388 Was die Anwendung der Obergrenze von 10 % im vorliegenden Fall angeht, so heißt es in Nummer 5 Buchstabe a der Leitlinien, an die sich die Kommission halten muss (siehe oben, Randnr. 157), dass der Endbetrag der nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 ermittelten Geldbuße "in keinem Fall" 10 % des Gesamtumsatzes der betroffenen Unternehmen übersteigen darf. Im Übrigen hat die Kommission vor Gericht nicht geltend gemacht, dass die Obergrenze von 10 % für die unter 1 Million Euro liegende Geldbuße von Intech nicht gelte. Diese Obergrenze ist daher im vorliegenden Fall zu beachten.

389 Nach dem Wortlaut von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 bezieht sich die Obergrenze von 10 % auf das Geschäftsjahr vor Erlass der Bußgeldentscheidung. Sie gilt für den Gesamtumsatz des betroffenen Unternehmens, "da nur dieser einen Anhaltspunkt für die Größe und den Einfluss des Unternehmens auf den Markt liefert" (Urteil Graphitelektroden, Randnrn. 365 und 367). Die Obergrenze soll somit die Unternehmen u. a. vor einer übermäßigen Geldbuße schützen, die ihre wirtschaftliche Existenz vernichten könnte. Es ist daher folgerichtig, dass sie sich nicht auf den Zeitraum der geahndeten Zuwiderhandlungen bezieht, der bei Festsetzung der Geldbuße mehrere Jahre zurückliegen kann, sondern auf einen näher an dieser Festsetzung liegenden Zeitraum.

390 Folglich kann das mit der Einführung der Obergrenze von 10 % verfolgte Ziel nur dann erreicht werden, wenn diese Obergrenze zunächst auf jeden einzelnen Adressaten der Bußgeldentscheidung angewandt wird. Erst wenn sich sodann herausstellt, dass mehrere Adressaten das "Unternehmen" im Sinn der für die geahndete Zuwiderhandlung verantwortlichen wirtschaftlichen Einheit darstellen und dies auch noch zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung gilt, kann die Obergrenze anhand des Gesamtumsatzes dieses Unternehmens, d. h. aller seiner Bestandteile, berechnet werden. Wurde diese wirtschaftliche Einheit dagegen in der Zwischenzeit aufgelöst, so hat jeder Adressat der Entscheidung Anspruch auf individuelle Anwendung der fraglichen Obergrenze.

391 Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Intech EDM BV zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung nicht mehr die Muttergesellschaft der Intech EDM AG war, und zwar - wie sich aus der Erwiderung von Intech auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ergibt - seit 1997. Es trifft zu, dass die beiden Intech-Gesellschaften seit 1997 ein und derselben Schweizer Holdinggesellschaft angehören, bei der es sich um die "Großmutter"-Gesellschaft dieser beiden Gesellschaften handelt, von denen jede einer anderen Muttergesellschaft zugeordnet ist (Randnr. 66 und Fußnote 40 der Entscheidung). Aus der Entscheidung geht jedoch nicht hervor, inwieweit der Unternehmensbegriff angesichts der Eigentumsverhältnisse und der Weisungsbefugnisse innerhalb dieser Holding und insbesondere im Verhältnis zwischen den beiden Intech-Gesellschaften angewandt werden kann.

392 Da der Gesamtumsatz der Intech EDM AG im Jahr 2001 bei 4,2 Millionen Euro lag (vgl. Spalte 2 von Tabelle 1 oben in Randnr. 168), ist die Entscheidung folglich für nichtig zu erklären, soweit sie der Intech EDM AG eine Geldbuße auferlegt, welche die Obergrenze von 420 000 Euro übersteigt, und soweit die gesamtschuldnerische Haftung der beiden Intech-Gesellschaften diese Obergrenze übersteigt.

393 Dagegen ist nicht zu beanstanden, dass die Entscheidung der Intech EDM BV allein, deren Gesamtumsatz im Jahr 2001 bei 11,3 Millionen Euro lag (vgl. Spalte 2 von Tabelle 1 oben in Randnr. 168), eine Geldbuße im Rahmen der Obergrenze von 1,13 Millionen Euro auferlegt. Da nichts dafür spricht, dass diese Gesellschaft und ihre ehemalige Tochtergesellschaft zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung ein einheitliches "Unternehmen" darstellten, besteht keine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung, im Fall der Intech EDM BV die Obergrenze von 10 % anhand des geringeren Umsatzes der Intech EDM AG zu berechnen. Der gegen die Berechnung im Fall der Intech EDM BV gerichtete Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

6. Zu den Klagegründen eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung durch die Festsetzung bestimmter Geldbußen sowie einer insoweit unzureichenden Begründung (T-74/03 und T-87/03)

394 Intech wirft der Kommission erstens vor, dadurch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen zu haben, dass nur gegen sie eine Geldbuße festgesetzt worden sei, nicht jedoch gegen die anderen, bei den Kartelltreffen ebenfalls anwesenden Vertriebshändler, und dass die gegen sie festgesetzte Geldbuße - gemessen an ihrer Größe und Wirtschaftskraft - deutlich höher sei als die Geldbußen der am Kartell beteiligten Hersteller. Sie sei außerdem gegenüber Conradty diskriminiert worden, gegen die wegen ihrer Beteiligung am Kartell im Bereich stranggepressten Spezialgraphits keine Geldbuße verhängt worden sei.

395 Zur Zurückweisung dieser Rügen genügt der Hinweis, dass die Kommission, wie oben (Randnrn. 58 bis 82) ausgeführt, berechtigt war, die Intech EDM AG und die Intech EDM BV als ein einziges Unternehmen anzusehen, das die Zuwiderhandlung, die beiden Gesellschaften in der Entscheidung zur Last gelegt wird, begangen hatte.

396 Soweit die Kommission davon abgesehen hat, die übrigen Vertriebshändler und den Hersteller Conradty mit einer Sanktion zu belegen, können die Klägerinnen im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits weder die Kommission noch das Gericht zu der Feststellung zwingen, dass gegen andere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht Sanktionen hätten verhängt werden müssen (siehe oben, Randnrn. 369 und 370).

397 Zudem wäre es nach ständiger Rechtsprechung - selbst wenn sich andere Wirtschaftsteilnehmer, die nicht zu den Adressaten der Entscheidung gehörten, in einer ähnlichen Situation wie Intech befunden haben sollten - nicht gerechtfertigt, aus diesem Grund die Intech zur Last gelegte Zuwiderhandlung außer Betracht zu lassen, da diese ordnungsgemäß nachgewiesen wurde; Intech kann somit einer Sanktion nicht deshalb entgehen, weil gegen andere Wirtschaftsteilnehmer, mit deren Situation das Gericht nicht befasst ist, keine Geldbuße verhängt wurde (in diesem Sinn auch Urteil Graphitelektroden, Randnr. 283).

398 Zu dem von Intech angestellten Vergleich zwischen der Höhe der Geldbußen und den Gesamtumsätzen genügt der Hinweis, dass die Kommission die spezielle in den Leitlinien zu Abschreckungszwecken gewählte Methode angewandt hat. Diese Methode - die gerade nicht auf den alleinigen Gesamtumsatz abstellt, sondern auf den Umfang der Beteiligung jedes einzelnen Unternehmens an der begangenen Zuwiderhandlung sowie auf deren Umstände, Wesen und Schwere - wurde vom Gemeinschaftsrichter als rechtmäßig angesehen (siehe oben, Randnrn. 160 und 161).

399 Da der Endbetrag der gegen die Intech-Gesellschaften verhängten Geldbußen nach der in den Leitlinien festgelegten Methodik berechnet und die in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehene Obergrenze von 10 % nicht überschritten wurde (siehe oben, Randnrn. 392 und 393), war die Kommission nicht verpflichtet, bei den Intech-Gesellschaften und den übrigen betroffenen Unternehmen genau das gleiche Verhältnis zwischen diesem Betrag und der Gesamtgröße zu wählen (in diesem Sinn auch Urteil LR AF 1998/Kommission, oben in Randnr. 139 angeführt, Randnr. 278, und Urteil des Gerichts vom 16. Dezember 2003 in den Rechtssachen T-5/00 und T-6/00, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied und Technische Unie/Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 431 und 432).

400 Intech ist ferner der Ansicht, dass die Kommission im Rahmen von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 bei den Geldbußen das Tagessatzsystem hätte anwenden müssen, mit dem erreicht werden solle, "dass der Wohlhabende wie der Arme unter sonst gleichen Umständen einen gleich schwer treffenden wirtschaftlichen Verlust erleidet". Nach diesem System ergebe sich das Gewicht der in Form einer Geldbuße auferlegten Sanktion nämlich nicht aus dem Endbetrag der Strafe, sondern aus deren Relation zur Lage des Täters.

401 Hierzu genügt der Hinweis, dass die Kommission im vorliegenden Fall zur Anwendung der in ihren Leitlinien (siehe oben, Randnrn. 160 und 161) und in ihrer Mitteilung über Zusammenarbeit dargelegten Berechnungsmethode berechtigt war. Dass sie nicht die von Intech befürwortete Vorgehensweise wählte, kann daher nicht zur Ungültigkeit der gegen die Intech-Gesellschaften festgesetzten Geldbußen führen (vgl. mutatis mutandis Urteil Graphitelektroden, Randnr. 194).

402 Auch der Klagegrund einer unzureichenden Begründung greift nicht durch. In der Entscheidung werden alle relevanten Umstände dargelegt, die es den Intech-Gesellschaften ermöglichten, die Berechnung ihrer Geldbuße anhand von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung nachzuvollziehen (in diesem Sinn auch Urteil vom 16. November 2000, Cascades/Kommission, oben in Randnr. 386 angeführt, Randnrn. 38 bis 47): Die Randnummern 437 und 458 bis 460 zählen die im Hinblick auf die Schwere der Zuwiderhandlung bei der Berechnung der Geldbuße herangezogenen Kriterien auf, die Randnummern 438 bis 457 wenden diese Kriterien auf den vorliegenden Sachverhalt an, und die Randnummern 490 bis 518 erläutern die Gründe, aus denen die Geldbuße von Intech um 40 % herabgesetzt wurde, weil sie Anweisungen von Ibiden befolgte. Schließlich enthält Randnummer 410 die Gründe, aus denen die Kommission von einer Verfolgung anderer Vertriebshändler als Intech absah.

403 Folglich sind auch die von Intech auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung sowie eine unzureichende Begründung gestützten Klagegründe zurückzuweisen.

7. Zur Erhöhung der gegen SGL festgesetzten Geldbuße (T-91/03)

404 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission erklärt, falls das Gericht den Ausgangsbetrag von SGL erheblich herabsetze, verlöre die Reduzierung ihrer Geldbuße um 33 % (Randnrn. 556 bis 559 der Entscheidung) jede Berechtigung.

405 Soweit diese Erklärung als Antrag auf Erhöhung der gegen SGL festgesetzten Geldbuße auszulegen sein sollte, kann ihm nicht stattgegeben werden. Die fragliche Herabsetzung wurde vorgenommen, weil es die Kommission - in Anbetracht der sehr schwierigen finanziellen Situation von SGL und der Tatsache, dass kurz zuvor eine weitere Geldbuße von 80,2 Millionen Euro gegen SGL verhängt worden war - zur Erzielung einer effektiven Abschreckung nicht für erforderlich hielt, von SGL den gesamten Betrag der Geldbuße zu verlangen; dabei wurde insbesondere berücksichtigt, dass es sich bei SGL nicht um eine Wiederholungstäterin handelte (Randnr. 558 der Entscheidung).

406 In Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung kommt das Gericht zu dem Schluss, dass diese Erwägungen auch nach Vornahme der Korrekturen an der Berechnung des Ausgangsbetrags der Geldbuße von SGL ihre Berechtigung behalten. Die SGL zur Last gelegte Zuwiderhandlung bleibt nämlich gleich, und die fraglichen Korrekturen spiegeln nur die geringere tatsächliche Auswirkung des rechtswidrigen Verhaltens der Klägerin wider. Folglich kann das Erfordernis, eine effektive Abschreckung zu erzielen, nicht allein deswegen als dringender angesehen werden, weil diese Korrekturen vorgenommen wurden.

407 Es ist jedoch daran zu erinnern, dass der für SGL im Hinblick auf ihre Kooperation festgesetzte Grundbetrag 14,391 Millionen Euro beträgt (siehe oben, Randnr. 375), so dass sich der aufgrund ihrer Teilnahme am Kartell im Bereich isostatisch gepressten Graphits festzusetzende Endbetrag der Geldbuße nach der genannten Herabsetzung um 33 % auf 9 641 970 Euro beläuft.

C - Zu den Anträgen auf Nichtigerklärung der Zinssätze in Artikel 3 Absatz 3 der Entscheidung und im Schreiben vom 20. Dezember 2002 (T-91/03)

408 SGL beantragt die Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung; sie hält den Zinssatz in Höhe von 6,75 % für rechtswidrig und rügt, dass er ohne Bezugnahme auf eine Rechtsgrundlage und ohne Begründung für die Wahl seiner konkreten Höhe festgelegt worden sei. Die Entscheidung sei ihr mit Schreiben der Kommission vom 20. Dezember 2002 (siehe oben, Randnr. 27) übermittelt worden, in dem ihr die Kommission mitgeteilt habe, dass sie nach Ablauf der Zahlungsfrist die Beitreibung ihrer Forderung veranlassen und hierbei einen Zinssatz von 6,75 % anwenden werde; im Fall einer Anrufung des Gerichts werde sie allerdings für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens von einer Beitreibung absehen, sofern sich SGL mit der Anwendung eines Zinssatzes von 4,75 % einverstanden erkläre. Auch diesen Zinssatz hält SGL für rechtswidrig.

409 Sie ist der Ansicht, das Recht zur Erhebung von Verzugszinsen solle lediglich rechtsmissbräuchliche Klagen verhindern und sicherstellen, dass Unternehmen aus "verspäteten" Zahlungen keine Vorteile ziehen könnten. Die Kommission könne somit die tatsächlich in der Praxis angewandten Zinssätze heranziehen, doch sei es nicht gerechtfertigt, einen solchen Marktzins nochmals um 3,5 Prozentpunkte zu erhöhen. Die Kommission müsse jedenfalls nachträgliche Verringerungen der Refinanzierungssätze der Europäischen Zentralbank nach dem Günstigkeitsprinzip berücksichtigen.

410 In ihrer Erwiderung führt SGL aus, die Kommission selbst biete neuerdings die Verzinsung vorläufiger Bußgeldzahlungen an, und zwar mit gegenwärtig 2 %. Die vor Einführung dieser Kautionskontenpraxis liegenden Zinsfestsetzungen seien zwangsläufig um mindestens diesen Betrag zu hoch, denn die neue Praxis der Kommission habe nicht zu einer Anhebung der generellen "Berechnungspraxis" für Verzugszinsen geführt. Die Kommission sei daher selbst der Ansicht, dass auch bei 2 % niedrigeren als den hier festgesetzten Zinssätzen noch keine missbräuchlichen Klagen von "Zinssparern" zu befürchten seien. Die im vorliegenden Fall festgesetzten Zinsen seien somit mindestens in diesem Umfang zu hoch.

411 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass SGL bereits im Rahmen des Rechtsstreits, der zum Urteil Graphitelektroden führte, ähnliche Klagegründe vorgebracht hatte. Zur Zurückweisung des Vorbringens von SGL genügt somit ein Hinweis auf die Randnummern 475 bis 477 jenes Urteils. Die der Kommission in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 eingeräumte Befugnis umfasst nämlich das Recht, den Fälligkeitstermin für Geldbußen und den Beginn der Laufzeit der Verzugszinsen zu bestimmen sowie den Zinssatz für diese Zinsen und die Einzelheiten der Durchführung ihrer Entscheidung festzulegen. Die Kommission hat somit das Recht, Verzugszinsen in Höhe des Marktzinses zuzüglich 3,5 Prozentpunkte und im Fall der Stellung einer Bankbürgschaft in Höhe des Marktzinses zuzüglich 1,5 Prozentpunkte anzusetzen. Das Gericht hat in seiner Rechtsprechung Verzugszinsen in Höhe von 7,5 %, 13,25 % und 13,75 % gebilligt und ausgeführt, dass die Kommission befugt ist, eine Bezugsgröße zu wählen, die über dem üblichen durchschnittlichen Marktzins liegt, soweit dies erforderlich ist, um hinhaltenden Maßnahmen vorzubeugen.

412 Unter diesen Umständen hat die Kommission im vorliegenden Fall das ihr bei der Festlegung des Satzes der Verzugszinsen zustehende Ermessen nicht überschritten. SGL musste als umsichtige und besonnene Wirtschaftsteilnehmerin die Entscheidungspraxis der Kommission und die oben genannte Rechtsprechung kennen. Sie konnte nicht erwarten, dass die Kommission bei ihr niedrigere Zinssätze anwenden würde. Im vorliegenden Fall - der nicht von den Artikeln 242 EG und 256 EG sowie den Artikeln 104 bis 110 der Verfahrensordnung erfasst wird - war die Kommission insbesondere nicht verpflichtet, die finanzielle Lage von SGL zu berücksichtigen.

413 Soweit SGL in ihrer Erwiderung auf eine Praxis der Kommission Bezug genommen hat, wonach vorläufige Bußgeldzahlungen der Unternehmen mit gegenwärtig 2 % verzinst werden, handelt es sich um eine verspätete Rüge - SGL erläutert nicht, weshalb sie diese in ihrer Klageschrift nicht erheben konnte -, die nach Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung als unzulässig zurückzuweisen ist.

414 Die Verzinsung von Geldbußen, von denen sich später herausstellt, dass sie zu Unrecht entrichtet wurden, durch die Kommission dient jedenfalls einem ganz anderen Ziel als die Verzugszinsen. Die erstgenannten Zinsen sollen eine ungerechtfertigte Bereicherung der Gemeinschaften zu Lasten eines Unternehmens beseitigen, das mit der Klage auf Nichtigerklärung seiner Geldbuße obsiegt, während die letztgenannten Zinsen missbräuchliche Verzögerungen bei der Zahlung einer Geldbuße verhindern sollen.

415 Nach alledem sind die Klagen in den Rechtssachen T-71/03 und T-74/03 abzuweisen. In den Rechtssachen T-87/03 und T-91/03 werden die Geldbuße der Intech EDM AG auf 420 000 Euro und die Geldbuße von SGL für deren Teilnahme am Kartell bei isostatisch gepresstem Graphit auf 9 641 970 Euro herabgesetzt.

Kostenentscheidung:

Kosten

416 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 87 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt.

417 In den Rechtssachen T-71/03 und T-74/03 sind die Klägerinnen mit ihren Anträgen unterlegen. Sie haben daher die gesamten Kosten zu tragen.

418 In den Rechtssachen T-87/03 und T-91/03 haben die Klägerinnen mit einem nicht unerheblichen Teil ihrer Anträge obsiegt. Daher erscheint es bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles geboten, dass sie zwei Drittel ihrer eigenen Kosten und der Kosten der Kommission tragen und dass diese ein Drittel ihrer eigenen Kosten und der Kosten der Intech EDM AG und von SGL trägt.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. In der Rechtssache T-71/03, Tokai Carbon/Kommission,

- wird die Klage abgewiesen;

- trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens.

2. In der Rechtssache T-74/03, Intech EDM BV/Kommission,

- wird die Klage abgewiesen;

- trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens.

3. In der Rechtssache T-87/03, Intech EDM AG/Kommission,

- wird die in Artikel 3 der Entscheidung COMP/E-2/37.667 gegen die Klägerin verhängte Geldbuße auf 420 000 Euro festgesetzt;

- wird Artikel 3 Buchstabe h der Entscheidung COMP/E-2/37.667 dahin gehend geändert, dass sich die gesamtschuldnerische Haftung der Intech EDM AG auf den Betrag von 420 000 Euro beschränkt;

- wird die Klage im Übrigen abgewiesen;

- trägt die Klägerin zwei Drittel ihrer eigenen Kosten und zwei Drittel der Kosten der Kommission; die Kommission trägt ein Drittel ihrer eigenen Kosten und ein Drittel der Kosten der Klägerin.

4. In der Rechtssache T-91/03, SGL Carbon/Kommission,

- wird die in Artikel 3 der Entscheidung COMP/E-2/37.667 wegen der Zuwiderhandlung im Bereich isostatisch gepressten Graphits gegen die Klägerin verhängte Geldbuße auf 9 641 970 Euro festgesetzt;

- wird die Klage im Übrigen abgewiesen;

- trägt die Klägerin zwei Drittel ihrer eigenen Kosten und zwei Drittel der Kosten der Kommission; die Kommission trägt ein Drittel ihrer eigenen Kosten und ein Drittel der Kosten der Klägerin.

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Juni 2005.

Ende der Entscheidung

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