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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 13.03.1990
Aktenzeichen: T-71/89
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 90 Abs. 1
EWG/EAG BeamtStat Art. 71
EWG/EAG BeamtStat Art. 12 Abs. 4 Anhang VII
EWG/EAG BeamtStat Art. 15 Abs. 2 Anhang VII
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat in Abschnitt 3 des Anhangs VII des Statuts zwei verschiedene Regelungen für die Erstattung der den Bediensteten der Gemeinschaften in Ausübung ihres Amtes entstandenen Fahrtkosten vorgesehen, die der Erstattung von "Dienstreisekosten" und die der Pauschalerstattung von "Kosten für Fahrten" im Sinne des Artikels 15 dieses Anhangs.

Aus dem Aufbau des Unterabschnitts "F. Dienstreisekosten" ergibt sich, daß die Regelung in den Artikeln 11 bis 13 des Anhangs VII Fahrten im Sinne einer Reise über eine gewisse Entfernung erfassen will, die zur Fahrtkostenerstattung und zu Tagegeldern berechtigen. Artikel 15 betrifft dagegen eindeutig eher kurze und häufig zurückgelegte Strecken innerhalb eines geographisch begrenzten Gebiets. Dafür kann keine Erstattung der genauen Kosten gegen Vorlage von Belegen erfolgen, sondern - aus Gründen der Wirtschaftlichkeit - nur eine Pauschalerstattung in Form einer Vergütung, ohne Vorlage von Belegen.

2. Regelmässige Fahrten, die Beamte aus dienstlichen Gründen zwischen zwei im Gebiet ihres Dienstorts gelegenen Arbeitsorten mit ihrem Privatwagen zurücklegen und die ausserdem nicht dazu angetan sind, die Gewährung von Tagegeldern gemäß Artikel 13 des Anhangs VII des Status zu rechtfertigen, können nicht "Dienstreisen" im Sinne des Unterabschnitts "F. Dienstreisekosten" dieses Anhangs gleichgestellt werden, dessen Anwendung im allgemeinen eine Reise ausserhalb des Gebiets des Dienstorts voraussetzt.

Dagegen ist in Anbetracht des Grundprinzips des Artikels 71 des Statuts, wonach die Beamten Anspruch auf Ersatz der Kosten haben, die ihnen in Ausübung oder anläßlich der Ausübung ihres Amtes entstanden sind, gemäß Artikel 15 Absatz 2 des Anhangs VII die Fahrtkostenvergütung auf Beamte niedrigerer Besoldungsgruppen als der Besoldungsgruppe A 2 auszudehnen, sofern diese aus dienstlichen Gründen regelmässig Fahrten zwischen zwei im Gebiet ihres Dienstorts gelegenen Arbeitsorten zurücklegen müssen und ihr einziges Verkehrsmittel ihr privater Kraftwagen ist.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (DRITTE KAMMER) VOM 13. MAERZ 1990. - MICHEL DAUTREMONT UND ANDERE GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE - BEFOERDERUNGSKOSTEN. - RECHTSSACHE T-71/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Die Kläger, Michel Dautremont, Daniel Barboni, Johan Christiäns, Henry Connolly, Julien Mäbe, Detlef Schaal, Robert Fourny und Douglas Eeles, Beamte des Europäischen Parlaments, sind bei der Generaldirektion Information und Öffentlichkeitsarbeit des Europäischen Parlaments, und zwar beim Dienst "Fernsehen" in Luxemburg, beschäftigt. Dieser Dienst hat neun Mitarbeiter, darunter die acht Kläger. Die Tätigkeiten des Dienstes sind auf die Zentren Senningerberg und Kirchberg verteilt, was hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, daß das schwere Produktionsmaterial des Dienstes in Senningerberg eingelagert ist, während sich die Archive und die Verwaltung der Abteilung in Kirchberg befinden. Die Entfernung zwischen diesen beiden Arbeitsorten beträgt einige Kilometer. Die Kläger müssen häufig Fahrten zwischen Senningerberg und Kirchberg zurücklegen, und zwar, da kein öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung steht, mit ihren eigenen Verkehrsmitteln ( Privatwagen ) und auf eigene Kosten. Nach Angaben der Kläger sind beispielsweise in der Woche vom 1. bis zum 5. Dezember 1987 für die neun Bediensteten 38 Fahrten verzeichnet worden. Der Beklagte hat diese Tatsachen nicht bestritten.

2 Die Kläger reichten am 20. Januar 1988 gemäß Artikel 90 Absatz 1 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften Anträge auf Erstattung der Kosten, die sie für ihre Fahrten zwischen Senningerberg und Kirchberg aufwenden müssen, als Dienstreisekosten ein. Nach Ablauf der Beantwortungsfrist der vorgenannten Bestimmung des Statuts legten die Kläger am 13. August 1988 Beschwerde im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Statuts ein. Da der Beklagte den Beschwerden nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist stattgab, haben die Kläger mit Klageschrift, die am 13. März 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

3 Das schriftliche Verfahren ist vollständig vor dem Gerichtshof abgelaufen, der die Rechtssache mit Beschluß vom 15. November 1989 gemäß dem Beschluß des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften an das Gericht verwiesen hat. Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

4 Die Parteien haben die folgenden Anträge gestellt.

Die Kläger beantragen,

a ) die vorliegende Klage für zulässig und begründet zu erklären;

b ) die stillschweigende ablehnende Entscheidung vom 20. Mai 1988 über den von den Klägern am 20. Januar 1988 gestellten Antrag auf Erstattung der im Rahmen ihrer täglichen Dienstreisen erforderlich gewordenen Fahrtkosten

und, soweit erforderlich, die stillschweigende ablehnende Entscheidung über die am 13. August 1988 von den Klägern gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts eingelegte Beschwerde

aufzuheben;

c ) den Beklagten zur Erstattung der Kosten zu verurteilen, die den Klägern in Ausübung ihres Amtes entstanden sind, insbesondere der Fahrtkosten, die täglich anfallen, und zwar zumindest ab dem Zeitpunkt der Antragstellung am 20. Januar 1988 gemäß Artikel 90 Absatz 1 des Statuts, zuzueglich Verzugszinsen;

d ) dem Beklagten die Kosten des Verfahrens, entweder gemäß Artikel 69 § 2 oder gemäß Artikel 69 § 3 Absatz 2 der Verfahrensordnung, und insbesondere die Kosten für den Zustellungsbevollmächtigten, Reise - und Aufenthaltskosten und das Anwaltshonorar gemäß Artikel 73 Buchstabe b der Verfahrensordnung aufzuerlegen.

Der Beklagte beantragt,

a ) die Klage abzuweisen;

b ) über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

Zur Begründetheit

5 Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger geltend, die angefochtenen stillschweigenden Entscheidungen stellten einen Verstoß gegen Artikel 71 des Statuts sowie gegen die Artikel 12 Absatz 4 und 15 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts dar. Sie verlangen die Erstattung der betreffenden Kosten gemäß diesem Artikel 12 Absatz 4 auf Kilometerbasis oder, hilfsweise, ihre pauschale Abgeltung gemäß dem genannten Artikel 15 Absatz 2. Ausserdem berufen sie sich auf die dem Beklagten obliegende Fürsorgepflicht sowie auf die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung.

6 Zum Klagegrund aus Artikel 12 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts tragen die Kläger vor, daß dessen Tatbestand erfuellt sei und daß ihnen daher ein Dienstreiseauftrag im Sinne von Artikel 11 des Anhangs VII zu erteilen sei.

7 Hiergegen trägt der Beklagte vor, der Begriff "Dienstreise" umfasse die Zurücklegung jeder Strecke ausserhalb des tatsächlichen gewöhnlichen Arbeitsorts eines Bediensteten. Eine "Dienstreise" eröffne jedoch nur dann einen Anspruch gemäß Artikel 11 des Anhangs VII des Statuts, wenn sie eine "Reise" im Sinne dieses Artikels erfordere. Dienstreisekosten seien nicht zu erstatten, wenn die Strecke von einem Arbeitsort bis zu einem anderen in einem geographisch derart begrenzten Gebiet liege, daß eher von einer "Fahrt" als von einer "Reise" im Sinne des Artikels 11 des Anhangs VII die Rede sein könne.

8 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 71 des Statuts das Grundprinzip aufstellt, daß der Beamte Anspruch auf Erstattung der Kosten hat, die ihm in Ausübung oder anläßlich der Ausübung seines Amtes entstanden sind. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Grundsatz sind in Anhang VII des Statuts festgelegt.

9 Bezueglich der Erstattung der den Bediensteten der Gemeinschaften in Ausübung ihres Amtes entstandenen Fahrtkosten hat der Gemeinschaftsgesetzgeber in Abschnitt 3 des Anhangs VII des Statuts zwei verschiedene Regelungen vorgesehen, die der Erstattung von "Dienstreisekosten" und die der Pauschalerstattung von "Kosten für Fahrten" im Sinne des Artikels 15 dieses Anhangs.

10 Aus dem Aufbau des Unterabschnitts "F. Dienstreisekosten" des Anhangs VII des Statuts ergibt sich, daß die Regelung in den Artikeln 11 bis 13 Fahrten im Sinne einer Reise über eine gewisse Entfernung erfassen will, die zur Fahrtkostenerstattung und zu Tagegeldern berechtigen. Artikel 15 betrifft dagegen eindeutig eher kurze und häufig zurückgelegte Strecken innerhalb eines geographisch begrenzten Gebiets. Dafür kann keine Erstattung der genauen Kosten gegen Vorlage von Belegen erfolgen, sondern - aus Gründen der Wirtschaftlichkeit - nur eine Pauschalerstattung in Form einer Vergütung, ohne Vorlage von Belegen.

11 Im vorliegenden Fall handelt es sich um zwei Arbeitsorte, die nur einige Kilometer voneinander entfernt sind. Die beiden Arbeitsorte liegen im Gebiet des "Dienstorts" der Kläger, innerhalb dessen die fraglichen Strecken zurückgelegt werden. Ausserdem sind diese Fahrten nicht dazu angetan, die Gewährung von Tagegeldern gemäß Artikel 13 des Anhangs VII des Statuts zu rechtfertigen. Sie können daher nicht "Dienstreisen" im Sinne des Unterabschnitts F des Anhangs VII gleichgestellt werden, dessen Anwendung im allgemeinen eine Reise ausserhalb des Gebiets des Dienstorts voraussetzt.

12 Der Klagegrund in bezug auf die Fahrtkostenerstattung gemäß Artikel 12 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts kann daher nicht durchgreifen.

13 Zu dem auf Artikel 15 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts gestützten Klagegrund machen die Kläger geltend, diese Vorschrift erlaube es, die in Absatz 1 dieses Artikels vorgesehene Vergütung auf alle Beamten auszudehnen, die aus dienstlichen Gründen ständig Fahrten gleich welcher Art zurücklegten.

14 Der Beklagte hält dem entgegen, er habe diese Vorschrift nicht anwenden können, deren Ausnahmecharakter verlange, daß von ihr restriktiv Gebrauch gemacht werde.

15 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 15 Absatz 1 des Anhangs VII des Statuts ein Beamter der Besoldungsgruppe A 1 oder A 2, der nicht über einen Dienstwagen verfügt, als pauschale Abgeltung der Kosten für Fahrten innerhalb des Gebiets der Stadt, in der er dienstlich verwendet wird, eine Vergütung erhalten kann, die jährlich einen bestimmten Hoechstbetrag nicht übersteigen darf. Artikel 15 Absatz 2 ermöglicht es, diese Fahrtkostenvergütung durch eine mit Gründen versehene Verfügung der Anstellungsbehörde auch Beamten niedrigerer Besoldungsgruppen zu gewähren, wenn diese innerhalb des Gebiets ihres Dienstorts ständig Fahrten mit ihrem privaten Kraftwagen zurücklegen müssen.

16 Es steht fest, daß die Kläger aus dienstlichen Gründen regelmässig Fahrten zwischen zwei Arbeitsorten zurücklegen müssen, die einige Kilometer auseinanderliegen, und daß ihr einziges Verkehrsmittel ihr privater Kraftwagen ist. Ihnen entstehen also in Ausübung ihres Amtes Kosten.

17 Somit ist in Anbetracht des Grundprinzips des Artikels 71 des Statuts festzustellen, daß Artikel 15 Absatz 2 auf den Fall der Kläger anwendbar ist. Die stillschweigenden ablehnenden Entscheidungen des Beklagten über die Anträge der Kläger stellen daher einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar und sind demzufolge aufzuheben.

18 Was den Antrag der Kläger betrifft, den Beklagten zur Erstattung der Fahrtkosten zu verurteilen, die ihnen in Ausübung ihres Amtes entstanden sind, so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Kläger kein Beurteilungskriterium geliefert haben, aufgrund dessen das Gericht hätte bestimmen können, wem von ihnen tatsächlich Fahrtkosten entstanden sind und auf welchen Betrag sich ihre jeweiligen Kosten belaufen. Unter diesen Umständen und angesichts der Verpflichtung des Europäischen Parlaments gemäß Artikel 168 a Absatz 2 und 176 EWG-Vertrag, die sich aus dem Urteil des Gerichts ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, erübrigt sich eine Entscheidung über diesen Antrag.

19 Ausserdem ist es Aufgabe des Parlaments, bei der Durchführung des vorliegenden Urteils zu ermitteln, ob und inwieweit jedem Kläger tatsächlich Fahrtkosten entstanden sind, und aufgrund der insoweit getroffenen Feststellungen bis zu dem in Artikel 15 Absatz 1 des Anhangs VII des Statuts vorgesehenen Betrag die Verfügungen gemäß Artikel 15 Absatz 2 dieses Anhangs zu erlassen. Im übrigen ist zu bemerken, daß der Beklagte den Anträgen der Kläger auf Verzugszinsen aus den geschuldeten Beträgen nicht entgegengetreten ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Beklagte mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT ( Dritte Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die stillschweigende Entscheidung über die am 20. Januar 1988 gestellten Anträge der Kläger, mit der das Europäische Parlament den Klägern die Erstattung ihrer Fahrtkosten verweigert hat, wird aufgehoben.

2 ) Das Europäische Parlament trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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