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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 24.03.1993
Aktenzeichen: T-72/92
Rechtsgebiete: Verfahrensordnung


Vorschriften:

Verfahrensordnung Art. 114 § 1 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Klageschrift ist unzulässig, wenn sie es nicht erlaubt, im Fall von Aufhebungsanträgen die beschwerende Maßnahme, deren Aufhebung der Kläger begehrt, und im Fall von Schadensersatzanträgen das Handeln oder Unterlassen der Verwaltung zu bestimmen, auf dem der vom Kläger behauptete Schaden beruht.

Eine solche Klageschrift genügt nicht den Voraussetzungen gemäß Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts, wonach die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muß.

2. Im Rahmen der im Statut vorgesehenen Klagemöglichkeiten ist eine Nichtigkeitsklage gegen eine Verordnung allgemeiner Geltung unzulässig, die nicht einer Entscheidung der Verwaltung gleichgestellt werden kann, die, obwohl in Form einer Verordnung ergangen, den Kläger unmittelbar und individuell beträfe.

3. Erhebt ein Beamter eine Klage, mit der er zum einen die Aufhebung einer Handlung der Verwaltung und zum anderen Ersatz des Schadens begehrt, den er infolge dieser Handlung erlitten habe, so besteht zwischen den Anträgen ein enger Zusammenhang, so daß die Unzulässigkeit des Aufhebungsantrags die Unzulässigkeit des Schadensersatzantrags zur Folge hat.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 24. MAERZ 1993. - HARTWIG BENZLER GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE T-72/92.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Der Kläger, Hartwig Benzler, ist Beamter der Kommission. Da sein Dienstort Brüssel ist, erhält er seine Dienstbezuege in belgischen Franken. Aufgrund einer vom Kläger zugunsten des deutschen Kreditinstituts Beamtenheimstättenwerk (im folgenden: BHW), das Darlehen für den Bau oder den Erwerb von Immobilien gewährt, vorgenommenen Gehaltsabtretung überweist die Kommission seit mehreren Jahren jeden Monat Beträge in Deutscher Mark für Rechnung des Klägers an das BHW. Ferner wird seit mehreren Jahren für Rechnung des Klägers eine monatliche Versicherungsprämie an eine Versicherungsgesellschaft überwiesen, durch die für den Fall des Todes des Darlehensnehmers der dem BHW geschuldete Restbetrag gesichert wird.

2 Mit einem als "Beschwerde" bezeichneten Schreiben vom 24. Februar 1992 machte der Kläger einen finanziellen Schaden geltend, der ihm durch die Anwendung eines unrichtigen Berichtigungsköffizienten entstanden sei. Er beantragte, daß der entstandene Schaden ersetzt und ein höherer Berichtigungsköffizient angewendet werde.

3 Am 21. Mai 1992 beantragte der Kläger bei der für Gehaltsfragen zuständigen Abteilung, ab sofort einen Teil seines Gehalts in Höhe von monatlich 20 DM auf sein Konto beim Postgiroamt Essen zu überweisen.

4 Durch Mitteilung vom 25. Mai 1992 unterrichtete der Direktor der Direktion "Rechte und Pflichten - Disziplinarordnung und Beschwerden" der Generaldirektion Personal und Verwaltung der Kommission den Kläger darüber, daß die Kommission beabsichtige, keine ausdrückliche Antwort auf seine "Beschwerde" zu erteilen und dieses Schriftstück zu den Akten zu nehmen, und daß daher am 26. Juni 1992 eine stillschweigende Zurückweisung der Beschwerde erfolge.

5 Am 22. Juli 1992 legte der Kläger eine "Beschwerde" gegen den "Abzug eines überhöhten Betrages für Überweisungen in Deutscher Mark nach Deutschland" bei den Überweisungen aufgrund seines Antrags vom 21. Mai 1992 ein.

6 Durch Mitteilung vom 20. August 1992 informierte ein Referatsleiter der Generaldirektion Personal und Verwaltung der Kommission den Kläger, daß die Kommission die Beschwerde vom 22. Juli 1992 für identisch mit der vom 24. Februar 1992 halte, und wies ihn darauf hin, daß er bis zum 26. September 1992 Klage erheben könne.

Verfahren und Anträge der Parteien

7 Unter diesen Umständen hat der Kläger mit Klageschrift, die am 21. September 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben. Der Kläger beantragt,

1) die Entscheidungen der Beklagten aufzuheben und für wirkungslos zu erklären;

2) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger wegen materiellen Schadens den Betrag von 200 000 BFR zu zahlen;

3) die Beklagte zu verurteilen, für den Schadensersatz in Höhe des oben genannten Betrages 8 % Zinsen zu zahlen;

4) der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

8 Mit Schriftsatz, der am 23. Oktober 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission gemäß Artikel 114 § 1 Absatz 1 der Verfahrensordnung eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben, mit der sie geltend macht, daß zum einen die Klageschrift nicht den Anforderungen des Artikels 44 der Verfahrensordnung genüge und daß zum anderen kein ordnungsgemässes Vorverfahren stattgefunden habe. Was die Schadensersatzklage betreffe, so schließe der Kläger Beträge ein, die auf der Grundlage unanfechtbar gewordener Abrechnungen gezahlt worden seien. Die Kommission hat beantragt, über diese Einrede vorab zu entscheiden.

9 Die Kommission beantragt,

° die Klage als unzulässig abzuweisen;

° über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

10 Mit Schriftsatz, der am 21. Januar 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, die von der Kommission erhobene Einrede zurückzuweisen.

Zur Zulässigkeit der Klage

11 Das Gericht hat über den Antrag auf Abweisung der Klage nach Maßgabe des Artikels 114 §§ 3 und 4 der Verfahrensordnung zu entscheiden. Im vorliegenden Fall ist das Gericht zum einen der Auffassung, daß ihm die Prüfung des Akteninhalts hinreichend Aufschluß gibt und kein Anlaß besteht, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und zum anderen, daß der Antrag auf Klageabweisung zunächst insoweit zu prüfen ist, als er auf einen Verstoß gegen Artikel 44 der Verfahrensordnung gestützt wird.

Argumente der Parteien

12 Die Kommission macht erstens geltend, daß der Kläger entgegen den Anforderungen des Artikels 44 § 1 der Verfahrensordnung in seiner Klageschrift nicht klargestellt habe, welche Entscheidungen Gegenstand der Klage seien. Sie fragt sich, ob es sich dabei um die der Klageschrift beigefügte Gehaltsabrechnung des Klägers vom Juli 1992 oder um die vom Januar 1992 oder aber um die vom Februar 1992 handele.

13 Die Schadensersatzklage hält sie für unzulässig, weil die Klageschrift unter Verstoß gegen den gleichen Artikel nicht eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalte. Der Kläger erwähne in keiner Weise einen Amtsfehler der Kommission.

14 Gegenüber dem ersten Vorwurf der Kommission stellt der Kläger klar, daß die Beschwerde vom 24. Februar 1992, die durch stillschweigende Entscheidung vom 26. Juni 1992 zurückgewiesen worden sei, sich dagegen gerichtet habe, daß die Kommission für die fraglichen Buchungsvorgänge einen Überweisungskurs angewendet habe, der im Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften keine Grundlage gehabt habe und weniger günstig als der gewesen sei, der sich bei richtiger Anwendung des Statuts ergeben hätte. Sie habe auf die Nichtigerklärung einer bereits getroffenen Entscheidung gezielt, nämlich den Teil der Verordnung (EGKS, EWG, Euratom) Nr. 3834/91 des Rates vom 19. Dezember 1991 zur Angleichung ° mit Wirkung vom 1. Juni 1991 ° der Dienst- und Versorgungsbezuege der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften sowie der Berichtigungsköffizienten, die auf diese Dienst- und Versorgungsbezuege anwendbar sind (ABl. L 361, S. 13), der die Anwendung eines unrichtigen Berichtigungsköffizienten bestimme. Die Klageschrift bezeichne somit durchaus den Streitgegenstand, nämlich die Verordnung Nr. 3834/91.

15 Gegenüber dem zweiten Vorwurf der Kommission führt der Kläger aus, er habe durchaus dargelegt, daß die Verwaltung einen Amtsfehler begangen habe, indem sie einen unrichtigen Berichtigungsköffizienten angewandt habe. Daher müsse die Schadensersatzklage unter Berücksichtigung der auf Seite 2 der Klageschrift aufgeführten Beträge gleichfalls für zulässig erklärt werden.

Würdigung durch das Gericht

16 Artikel 44 der Verfahrensordnung führt die Voraussetzungen auf, denen eine beim Gericht eingereichte Klageschrift genügen muß. Nach Artikel 44 § 6 ist die Behebung von Mängeln nur möglich, wenn die Klageschrift nicht den in den §§ 3 bis 5 aufgeführten Voraussetzungen entspricht. Die Nichtbeachtung des Artikels 44 § 1 Buchstabe c, wonach die in Artikel 19 der EWG-Satzung des Gerichtshofes bezeichnete Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muß, führt folglich zur formellen Unzulässigkeit der Klageschrift.

17 Im vorliegenden Fall hat die Klageschrift folgende Fassung:

"1. Darstellung des Sachverhalts

1) Der Kläger nimmt auf die Veröffentlichungen im Amtsblatt L 361-15 vom 31.12.1991 (Verordnungen Nr. 3830/91 und Nr. 3834/91) Bezug, die den Beamten von der Kommission zur Kenntnis gebracht wurden und über die der Kläger am 24.2.1992 unterrichtet wurde (Anlage 1).

2) Der Kläger hat die Gründe für seine Beschwerde vom 22.7.1992 dargelegt (Anlage 2).

3) Weiterhin hat der Kläger mit seiner Beschwerde vom 22.7.1992 beantragt, monatlich einen Teil seines Gehalts in Höhe von 20 DM abzuziehen (Anlage 2 a).

4) Der Kläger stützt sich ferner auf ein Schriftstück vom Juli 1992, das den Betrag von 20 DM mit den Angaben erläutert, die in dem beigefügten Schriftstück enthalten sind (Anlage 3).

5) Die Verwaltung hat, gezeichnet von Herrn H. Richardson, am 25.5.1992 erklärt, daß die Beschwerde ohne weiteres zu den Akten genommen werde (Anlage 4).

Dieses Schriftstück enthält eine nicht gerechtfertigte Ablehnung seitens der Verwaltung, die im Widerspruch zum Amtsblatt L 361/14 vom 31.12.1992, Artikel 2 Absatz 2, steht.

2. Rechtsausführungen

1) Der Kläger nimmt auf die Gesichtspunkte Bezug, die er in der Anlage 1 unter 1 bis 4 dargelegt hat.

Aus diesen Gründen und wegen sämtlicher weiterer ° auch von Amts wegen ° zu berücksichtigender Klagegründe wird vom Kläger, der die Kommission der Europäischen Gemeinschaften als gegnerische Partei benennt, beantragt..." (vgl. oben, Randnr. 7).

18 In bezug auf die Aufhebungsanträge kann diesem Text entnommen werden, daß sich die Klageschrift darauf beschränkt, ohne jede weitere Spezifizierung und in verworrenen und ungenauen Ausdrücken auf Entscheidungen der Kommission zu verweisen, so daß nicht klar erkennbar ist, auf welche Entscheidung oder Entscheidungen der Anstellungsbehörde gegenüber dem Kläger die Klageschrift abzielt.

19 Folglich genügt die Klageschrift, was die Aufhebungsanträge betrifft, nicht den Voraussetzungen des Artikels 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung.

20 Selbst wenn das Gericht die Erläuterung des Klägers in seiner Stellungnahme zur Unzulässigkeitseinrede der Beklagten, daß die mit der Klage angefochtene Handlung die Verordnung Nr. 3834/91 sei, berücksichtigen könnte, ist nach ständiger Rechtsprechung eine Nichtigkeitsklage nicht gegen eine Verordnung allgemeiner Geltung zulässig, die nicht einer Entscheidung gleichgestellt werden kann, die, obwohl in Form einer Verordnung ergangen, den Kläger unmittelbar und individuell beträfe (vgl. insbesondere Beschluß des Gerichtshofes vom 10. November 1981 in den verbundenen Rechtssachen 532/79, 534/79, 567/79, 600/79, 618/79 und 660/79, Amesz/Kommission und Rat, Slg. 1981, 2569).

21 Was die Anträge auf Ersatz des dem Kläger angeblich entstandenen materiellen Schadens betrifft, so sind nach ständiger Rechtsprechung auch Schadensersatzanträge unzulässig, wenn sie in engem Zusammenhang mit ° ihrerseits für unzulässig erklärten ° Aufhebungsanträgen stehen, insbesondere wenn mit der Schadensersatzklage nur die "Gehaltseinbussen" ausgeglichen werden sollen, die nicht eingetreten wären, wenn die Anfechtungsklage erfolgreich gewesen wäre (vgl. insbesondere Urteil des Gerichts vom 24. Januar 1991 in der Rechtssache T-27/90, Latham/Kommission, Slg. 1991, II-35, Randnr. 38, und die dort zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofes).

22 Im vorliegenden Fall begehrt der Kläger Ersatz des Schadens, der ihm durch die nach seiner Ansicht unrechtmässigen Handlungen der Beklagten entstanden sei, deren Aufhebung er gleichfalls begehrt, die aber in seiner Klageschrift nicht ausreichend bezeichnet sind. Unter diesen Umständen ist das Gericht der Auffassung, daß die Schadensersatzklage, da sie in demselben Verhalten der Beklagten ihren Ursprung findet, wie es auch mit der Anfechtungsklage angegriffen wird, in engem Zusammenhang mit dieser letzteren Klage steht und daher, wie diese, für unzulässig zu erklären ist.

23 Zudem kann unabhängig von der Frage, ob die Schadensersatzklage eng mit der Anfechtungsklage zusammenhängt, nicht anhand des Wortlauts der Klageschrift das Handeln oder Unterlassen bestimmt werden, das die Haftung der Kommission begründen könnte und das den materiellen Schaden verursacht hat, den der Kläger angeblich erlitten hat und den er auf 200 000 BFR beziffert, ohne dies durch irgendeine Berechnung zu belegen. Die Klageschrift entspricht damit insoweit nicht den Voraussetzungen des Artikels 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung.

24 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die Klage in vollem Umfang als unzulässig abzuweisen ist, ohne daß über den weiteren von der Kommission geltend gemachten Grund für die Unzulässigkeit der Klage zu entscheiden wäre.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen jedoch die Organe bei Klagen von Bediensteten der Gemeinschaften ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

beschlossen:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 24. März 1993

Ende der Entscheidung

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