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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 14.07.1994
Aktenzeichen: T-77/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 99/63, Verordnung Nr. 17


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 85 Abs. 1
EWG-Vertrag Art. 89 Abs. 1
EWG-Vertrag Art. 155
Verordnung Nr. 99/63 Art. 9 Abs. 4
Verordnung Nr. 17 Art. 15 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Exportverbotsklausel stellt schon ihrem Wesen nach eine Beschränkung des Wettbewerbs dar, ob sie nun auf Veranlassung des Lieferanten oder auf Veranlassung seines Abnehmers eingeführt wird, denn das Ziel, über das sich die Vertragschließenden geeinigt haben, ist der Versuch, einen Teil des Marktes zu isolieren.

2. Ein Beschluß, eine Vereinbarung oder eine Verhaltensweise können den Handel zwischen Mitgliedstaaten nur im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag beeinträchtigen, wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, daß sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Handel zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise beeinflussen können, die die Verwirklichung eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten behindern kann. Ausserdem darf dieser Einfluß nicht geringfügig sein, was bedeutet, daß eine Vereinbarung selbst bei absolutem Gebietsschutz nicht unter das Verbot des Artikels 85 des Vertrages fällt, sofern die Beteiligten auf dem Markt der fraglichen Erzeugnisse nur eine schwache Stellung haben.

3. Eine Klausel einer Vereinbarung zwischen Unternehmen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, ist nicht allein deshalb dem Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag entzogen, weil die Vertragspartner sie nicht angewandt haben.

4. Wie weit die Verpflichtungen der Kommission im Wettbewerbsrecht reichen, ist anhand des Artikels 89 Absatz 1 des Vertrages zu prüfen, der in diesem Gebiet besonderer Ausdruck des allgemeinen Überwachungsauftrags ist, der der Kommission in Artikel 155 EWG-Vertrag anvertraut ist. Insoweit muß die Kommission bei der Beurteilung des Gemeinschaftsinteresses an der Nachprüfung einer Sache die Umstände des Einzelfalls und die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte würdigen, die ihr in einer Beschwerde vorgelegt werden.

5. Nach Artikel 9 Absatz 4 der Verordnung Nr. 99/63, wonach über die wesentlichen Erklärungen jeder angehörten Person eine Niederschrift angefertigt wird, die verlesen und genehmigt wird, hat die Kommission den Parteien eine Abschrift der Niederschrift zu überlassen, um ihnen die Feststellung zu erlauben, ob ihre eigenen Erklärungen richtig wiedergegeben worden sind; die Kommission ist aber, wenn ° in Anbetracht dessen, daß die verschiedenen Wortmeldungen in verschiedenen Sprachen erfolgten ° die Niederschrift selbst in mehreren Sprachen verfasst ist, zur Übersetzung der Erklärungen der anderen Parteien nicht verpflichtet.

6. Die Einstufung einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages als vorsätzlich setzt nicht voraus, daß sich das Unternehmen eines Verstosses gegen ein durch diese Regeln festgelegtes Verbot bewusst gewesen ist; es genügt vielmehr, daß es sich nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, daß das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte.

7. Hat ein Unternehmen durch sein Verhalten Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zuwidergehandelt, so kann es sich einer Sanktion nicht mit der Begründung entziehen, daß einem anderen Wirtschaftsunternehmen keine Geldbusse auferlegt worden sei, wenn der Gemeinschaftsrichter mit dessen Lage nicht befasst ist.

8. Die wegen eines Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages verhängte Geldbusse muß den Umständen und der Schwere der Zuwiderhandlung angepasst sein, wobei bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung insbesondere die Art der Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen ist. Was die Berücksichtigung des Umsatzes des zuwiderhandelnden Unternehmens bei der Festsetzung der Geldbusse angeht, so können sowohl der Gesamtumsatz dieses Unternehmens, der ° wenn auch nur näherungsweise und ungenau ° Auskunft über die Grösse des Unternehmens und seine Wirtschaftskraft gibt, wie der Umsatz mit den von der Zuwiderhandlung betroffenen Erzeugnissen berücksichtigt werden, der einen Hinweis auf den Umfang der Zuwiderhandlung gibt. Keiner dieser beiden Zahlen darf somit zu Lasten der anderen Gesichtspunkte eine unverhältnismässige Bedeutung eingeräumt werden; die Festsetzung der angemessenen Geldbusse kann somit nicht das Ergebnis einer schlichten Rechenoperation auf der Grundlage des Gesamtumsatzes sein.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 14. JULI 1994. - PARKER PEN LTD GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - AUSFUHRVERBOT - BEEINTRAECHTIGUNG DES HANDELS ZWISCHEN MITGLIEDSTAATEN - GELDBUSSE. - RECHTSSACHE T-77/92.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Die Parker Pen Ltd (Klägerin), Gesellschaft englischen Rechts, stellt eine breite Palette von Schreibgeräten und ähnlichen Artikeln her, die sie in allen Ländern Europas verkauft, wo sie teils durch Tochtergesellschaften, teils durch unabhängige Zwischenhändler vertreten ist.

2 Die Herlitz AG, Gesellschaft deutschen Rechts, stellt eine breite Palette von Bürobedarfsartikeln und damit verbundenen Erzeugnissen her. Sie vertreibt auch Erzeugnisse anderer Hersteller, namentlich solche der Parker Pen Ltd.

3 Die Viho Europe BV (Beschwerdeführerin), Gesellschaft niederländischen Rechts, betreibt Import- und Exportgeschäfte mit Büroausrüstungen und Filmmaterial insbesondere in den Mitgliedstaaten.

4 1986 schlossen die Herlitz AG und die Klägerin eine Vertriebsvereinbarung, die am 29. Juli 1986 von der Klägerin und am 18. August 1986 von der Herlitz AG unterzeichnet wurde und deren Absatz 7 folgenden Wortlaut hat: "7. Herlitz wird Parker-Artikel ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland vertreiben. Jeglicher Vertrieb über die Landesgrenzen hinaus ist Herlitz untersagt bzw. nur mit schriftlicher Erlaubnis durch Parker gestattet."

5 Am 19. Mai 1988 reichte die Beschwerdeführerin eine Beschwerde nach der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 ° Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, 13, S. 204) gegen die Klägerin ein, in der sie dieser vorwarf, die Ausfuhr ihrer Erzeugnisse durch ihre Zwischenhändler zu verbieten, den Gemeinsamen Markt in nationale Märkte der Mitgliedstaaten aufzuspalten und auf den nationalen Märkten künstlich überhöhte Preise für ihre Erzeugnisse aufrechtzuerhalten.

6 In Beantwortung eines Auftrags der Beschwerdeführerin vom 20. April 1989, ihr Erzeugnisse der Klägerin zu liefern, sandte die Herlitz GmbH & Co KG, eine hundertprozentige deutsche Tochtergesellschaft der Herlitz AG, am 24. April 1989 ein Fax folgenden Inhalts: "Leider müssen wir Ihnen mitteilen, daß wir keine der o. g. Produkte exportieren dürfen. Es tut uns leid, Ihnen keine positive Antwort geben zu können."

7 Die Beschwerdeführerin übersandte am selben Tag dem Export Sales Manager der Herlitz AG folgendes Antwortschreiben: "As we understand from your fax, Herlitz GmbH is not allowed by the manufacturers, distributors of products that are not own 'Herlitz' products, to export those products to any other country. Not that Herlitz is not willing to export, but only because Herlitz is bound by these restrictions from others than theirselves. If above is rightly understood, please confirm by return tlx/fax. If not, please explain further."

8 Mit Telex vom 25. April 1989 antwortete der Export Sales Manager der Herlitz AG der Beschwerdeführerin wie folgt: "Herlitz produces about 80 % of the products they sell, themselves. Out of the 20 % that are manufactured by other companies, we can sell quite a number of items abroad, but not for the products that you had asked for. Most European suppliers of brand name products have exclusive sales agreements in each country and thus prohibit export of their particular product into a country where they already have an agreement. It is not that Herlitz dös not want to sell, but is bound to a contract. We count on your understanding."

9 Während einer bei der Herlitz AG am 19. und am 20. September 1989 vorgenommenen Nachprüfung fanden Beamte der Kommission ein Exemplar der Vertriebsvereinbarung von 1986.

10 Am 28. September 1989 unterrichtete die Klägerin die Herlitz AG davon, daß Absatz 7 der Vereinbarung aufgehoben sei. Am 18. Dezember 1989 leitete die Klägerin der Herlitz AG den Entwurf eines geänderten Zusammenarbeitsvertrages mit dem Hinweis zu, daß eine Reihe von Änderungen aus rechtlichen Gründen geboten sei.

11 Am 21. Januar 1991 übersandte die Kommission der Klägerin eine Mitteilung der Beschwerdepunkte.

12 Am 22. Mai 1991 reichte die Beschwerdeführerin eine erneute, am 29. Mai 1991 bei der Kommission registrierte Beschwerde gegen die Klägerin ein, in der sie vortrug, die Vertriebspolitik der Klägerin, die ihre Tochtergesellschaften dazu verpflichte, den Vertrieb von Erzeugnissen der Marke Parker auf bestimmte Gebiete zu beschränken, verstosse gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag. Mit Entscheidung vom 30. September 1992 hat die Kommission diese Beschwerde zurückgewiesen.

13 Im Anschluß an die von der Klägerin am 16. April und am 31. Mai 1991 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte abgegebenen Erklärungen fand am 4. Juni 1991 eine Anhörung in Brüssel statt.

14 Am 15. November 1991 bat die Klägerin die Kommission um eine englische Übersetzung des Protokolls der Anhörung vom 4. Juni 1991.

15 Am 15. Juli 1992 erließ die Kommission die Entscheidung 92/426/EWG in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (Sache IV/32/725 ° VIHO/Parker Pen, ABl. L 233, S. 27), deren verfügender Teil wie folgt lautet:

"Artikel 1

Parker Pen Ltd und Herlitz AG haben gegen Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags verstossen, indem sie in eine zwischen ihnen abgeschlossene Vereinbarung ein Exportverbot aufnahmen.

Artikel 2

Gegen die nachstehenden Unternehmen werden folgende Geldbussen festgesetzt:

° gegen Parker Pen Ltd eine Geldbusse in Höhe von 700 000 (siebenhunderttausend) ECU,

° gegen Herlitz AG eine Geldbusse in Höhe von 40 000 (vierzigtausend) ECU.

...

Artikel 3

Parker Pen Ltd darf keine Maßnahmen ergreifen, die den gleichen Zweck oder die gleiche Wirkung wie die festgestellten Vertragsverstösse haben."

16 Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 24. September 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

17 In der Klageschrift hat die Klägerin beantragt, die Angaben über ihren Umsatz und ihre Marktanteile vertraulich zu behandeln und sie weder in der mündlichen Verhandlung noch in der zur Veröffentlichung bestimmten Fassung des Urteils des Gerichts und weder einem Streithelfer noch einer dritten Partei bekanntzugeben.

18 Das Gericht (Erste Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Es hat jedoch der Kommission aufgegeben, die ausgefertigte Urschrift der angefochtenen Entscheidung vorzulegen. Ausserdem hat es dem Antrag der Klägerin auf Vertraulichkeit stattgegeben.

19 Die Parteien haben in der Sitzung vom 3. Mai 1994 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge

20 Die Klägerin beantragt,

1) die Entscheidung der Kommission vom 15. Juli 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/32.725 ° VIHO/Parker Pen) für nichtig zu erklären, deren Adressat die Klägerin sei und die sie am selben Tage erhalten habe;

2) hilfsweise, die Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als der Klägerin eine Geldbusse von 700 000 ECU auferlegt wird;

3) hilfsweise, die Geldbusse auf einen symbolischen ECU festzusetzen oder zumindest wesentlich herabzusetzen und auf ein billiges Niveau zurückzuführen;

4) die Kommission in die Kosten zu verurteilen;

5) die Kommission zu verurteilen, der Klägerin sämtliche für die Stellung eines Bürgen für die Zahlung der Geldbusse entstandenen Kosten aufzuerlegen.

21 Die Beklagte beantragt,

1) den Antrag als unzulässig abzuweisen, sie zu verurteilen, der Klägerin die für die Stellung eines Bürgen für die Zahlung der Geldbusse entstandenen Kosten aufzuerlegen;

2) die Klage im übrigen als unbegründet abzuweisen;

3) die Klägerin in die Kosten des Verfahrens zu verurteilen.

Zu den Anträgen auf Nichtigerklärung der Entscheidung, hilfsweise auf Herabsetzung der Geldbusse

22 Die Klägerin stützt diese Anträge auf vier Klagegründe. Sie rügt zunächst eine Verletzung des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages, dann eine mangelhafte Begründung der angefochtenen Entscheidung, weiter eine Verletzung von Formvorschriften, da die Entscheidung einerseits nicht ordnungsgemäß erlassen worden sei und ihr andererseits das Protokoll der Anhörung nicht in englisch mitgeteilt worden sei; schließlich sei Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 verletzt.

23 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin angesichts der von der Kommission auf Anforderung des Gerichts vorgelegten ausgefertigten Urschrift der angefochtenen Entscheidung die Rüge der Verletzung von Formvorschriften für den Erlaß von Entscheidungen der Kommission zurückgezogen.

Zur Verletzung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages

24 Der Klagegrund der Verletzung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages besteht aus zwei Teilen. Zum einen rügt die Klägerin, ohne das Vorliegen einer Exportverbotsklausel zu bestreiten, daß die Kommission eine Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten nicht bewiesen habe. Ausserdem habe die Kommission kein Interesse daran, das Verfahren gegen sie zu verfolgen.

Zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten

25 Die Klägerin macht geltend, daß die Exportverbotsklausel den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht spürbar beeinträchtigen könne und daß sie nicht angewandt worden sei.

Zur spürbaren Beeinträchtigung

° Zusammenfassung des Parteivorbringens

26 Die Klägerin macht geltend, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes falle eine Vereinbarung, die ihrem Wesen nach den Wettbewerb beeinträchtige, dann nicht unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages, wenn sie sich nur geringfügig auf die Märkte auswirke (Urteile vom 9. Juli 1969 in der Rechtssache 5/69, Völk, Slg. 1969, 295, Randnr. 7; und vom 1. Februar 1978 in der Rechtssache 19/77, Miller/Kommission, Slg. 1978, 131, Randnr. 7).

27 Um das wettbewerbsfeindliche Verhalten der Klägerin beurteilen zu können, hätte die Kommission die Struktur und das Funktionieren des relevanten Marktes gründlich untersuchen müssen (Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in den Rechtssachen T-68/89, T-77/89 und T-78/89, SIV u. a./Kommission, Slg. 1992, II-1403, Randnr. 159). Die Kommission habe in der Entscheidung den räumlich relevanten Markt nicht bezeichnet und sich darauf beschränkt, die Marktanteile der Klägerin in den einzelnen Mitgliedstaaten aufzuzählen und ihren Anteil am gemeinschaftlichen Gesamtmarkt zu erwähnen. Stillschweigend habe die Kommission wohl Deutschland als den räumlich relevanten Markt angesehen.

28 Nach der Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft fallen (ABl. 1986, C 231, S. 2; Bekanntmachung) sei räumlich relevanter Markt das Gebiet innerhalb der Gemeinschaft, in welchem sich die Vereinbarung auswirke. Folglich hätte die Kommission das Gebiet der Gemeinschaft als räumlich relevanten Markt betrachten müssen, da ihre Schreibgeräte und die übrigen ähnlichen Artikel aus ihrer Herstellung regelmässig in allen Mitgliedstaaten verkauft würden.

29 Nun belaufe sich der Marktanteil ihrer Vertriebshändlerin Herlitz AG auf dem relevanten Markt, der nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82 (AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 58) im vorliegenden Fall in Betracht gezogen werden müsse, in der Gemeinschaft auf ungefähr (...)(1) %. Da nach dem Urteil Miller/Kommission (Randnr. 9) ein Unternehmen mit einem Anteil am relevanten Markt von ungefähr 5 % hinreichend groß sei, damit sein Verhalten grundsätzlich den Handel berühren könne, könne die streitige Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht spürbar berühren.

30 Ausserdem hätte die Kommission nicht nur den Marktanteil der Herlitz AG, sondern auch den Umsatz in Rechnung stellen müssen. In der Zeit vom 1. März 1987 bis zum 28. September 1989, in der das Ausfuhrverbot Teil der Vereinbarung gewesen sei, hätte sich der Umsatz der Klägerin in den Mitgliedstaaten auf durchschnittlich ungefähr (...) ECU jährlich, ihre Verkäufe an die Herlitz AG auf durchschnittlich (...) ECU jährlich belaufen. Die von der Herlitz AG getätigten Verkäufe der Marke Parker hätten somit während der fraglichen Zeit weniger als (...) % des jährlichen Gesamtabsatzes der Klägerin in der Gemeinschaft ausgemacht.

31 Die Klägerin habe auch keine starke Marktstellung. Ihr Weltabsatz habe 1989 (...) ECU nicht überschritten, ihr Umsatz in der Gemeinschaft 1991 nur (...) ECU betragen; die unabhängigen Vertriebshändler, über die ihre Erzeugnisse in der Gemeinschaft abgesetzt würden, seien im wesentlichen Familienbetriebe geringer Grösse.

32 Der vorliegende Fall falle zwar nicht unter die Bekanntmachung. Gleichwohl werde dort ausdrücklich hervorgehoben, daß die von der Kommission gegebene quantitative Definition der Spürbarkeit keine ausschließliche Bedeutung habe. Es sei im Einzelfall durchaus möglich, daß Vereinbarungen zwischen Unternehmen den Handel zwischen Mitgliedstaaten oder den Wettbewerb nur geringfügig beeinträchtigten und daher nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages fielen, selbst wenn die von den Vereinbarungen erfassten Erzeugnisse oder Dienstleistungen mehr als 5 % des Gesamtmarktes für diese Erzeugnisse oder Dienstleistungen in demjenigen Gebiet des Gemeinsamen Marktes repräsentierten, in welchem sie sich auswirkten, und selbst wenn der Gesamtumsatz, den die beteiligten Unternehmen im Laufe eines Wirtschaftsjahres tätigten, 200 Millionen ECU überschreite.

33 Die streitige Vereinbarung habe daher keine spürbaren Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten haben können, da die von der Klägerin in den einzelnen Mitgliedstaaten berechneten Großhandelspreise nahezu gleich gewesen seien, die Herlitz AG nur einen geringen Marktanteil gehabt habe und der betroffene Umsatz sehr gering gewesen sei; ihre möglichen Auswirkungen auf den Binnenhandel der Gemeinschaft sei daher praktisch Null gewesen.

34 Die Beklagte stellt fest, daß die Klägerin nicht bestreitet, daß ein Ausfuhrverbot vorgelegen hat. Nach der Bekanntmachung sei auf den "Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen innerhalb eines Geschäftsjahres" abzustellen, also auf den Umsatz von Lieferer und Vertriebshändler, da nur diese Zahl die Wirtschaftskraft der beteiligten Unternehmen bezeichnen könne. 1988 habe sich der Weltumsatz der Klägerin auf (...) ECU belaufen, der Gesamtumsatz der Herlitz AG auf (...) ECU. Zusammengenommen schlössen diese Zahlen eine Anwendung der Bekanntmachung aus.

35 Die Bekanntmachung sei ausserdem im vorliegenden Fall unanwendbar, da die Klägerin auf dem Markt für Schreibgeräte und ähnliche Artikel in den mittleren und oberen Preisklassen einen durchschnittlichen Marktanteil von (...) % in der Gemeinschaft und von ungefähr (...) % auf dem deutschen Markt halte. Den Marktanteil der Herlitz AG auf dem deutschen Markt gesondert festzustellen, sei nicht nötig gewesen, da die Herlitz AG ungefähr (...) % des Absatzes von Erzeugnissen der Marke Parker in der Gemeinschaft tätige, was hinreichend belege, daß sie auf den deutschen Markt ein bedeutender Kunde der Klägerin sei.

36 Die Klägerin habe als Gruppe angesichts ihrer Bedeutung und ihres durchschnittlichen Anteils am gemeinschaftlichen Markt eine starke Stellung inne. Daß es in Punkt 4 der Entscheidung heisse, eine beherrschende Stellung habe nicht festgestellt werden können, ändere an der Rechtslage der Klägerin nichts.

° Rechtliche Würdigung

37 Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Klägerin 1986 mit der Herlitz AG eine Vereinbarung geschlossen hat, die ein Ausfuhrverbot enthielt. Nach ständiger Rechtsprechung stellt "eine Exportverbotsklausel schon ihrem Wesen nach eine Beschränkung des Wettbewerbs dar..., ob sie nun auf Veranlassung des Lieferanten oder auf Veranlassung seines Abnehmers eingeführt wird, denn das Ziel, über das sich die Vertragschließenden geeinigt haben, ist der Versuch, einen Teil des Marktes zu isolieren" (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 1. Februar 1978 in der Rechtssache 19/77, Miller/Kommission, Slg. 1978, 131, Randnr. 7, und zuletzt vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C -117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Zellstoff, Slg. 1993, I-1307, Randnr. 176).

38 Gegen Verhaltensweisen, die den Wettbewerb beeinträchtigen, kann die Kommission jedoch nur dann nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vorgehen, wenn diese auch den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen können.

39 Ein Beschluß, eine Vereinbarung oder eine Verhaltensweise können den Handel zwischen Mitgliedstaaten nur beeinträchtigen, wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, daß sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Handel zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise beeinflussen können, die die Verwirklichung eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten behindern kann. Ausserdem darf dieser Einfluß nicht geringfügig sein (Urteil Völk, Randnr. 5; zuletzt Urteil des Gerichts vom 9. Juli 1992 in der Rechtssache T-66/89, Publishers Association/Kommission, Slg. 1992, II-1995, Randnr. 55). Somit ist es möglich, daß eine Vereinbarung selbst bei absolutem Gebietsschutz mit Rücksicht auf die schwache Stellung, welche die Beteiligten auf dem Markt der fraglichen Erzeugnisse haben, nicht unter das Verbot des Artikels 85 des Vertrages fällt (Urteil des Gerichtshofes 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 85).

40 Welchen Einfluß eine Vereinbarung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten hat, bemisst sich namentlich nach Maßgabe der Stellung und der Bedeutung der Parteien auf dem Markt der fraglichen Erzeugnisse (Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 99/79, Lancôme und Cosparfrance Nederland, Slg. 1980, 2511, Randnr. 24).

41 Für die Beurteilung der Bedeutung der Stellung der Unternehmen auf dem relevanten Markt ist zunächst dieser Markt festzustellen. Dazu heisst es in Punkt 4 der Entscheidung: "Der für diesen Fall sachlich relevante Markt umfasst Schreibgeräte der mittleren und oberen Preisklassen."

42 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, sie bestreite die Definition des Marktes der fraglichen Erzeugnisse nicht. Sie wirft der Kommission hingegen vor, den räumlichen Markt nicht definiert zu haben. Die Kommission hat jedoch in Punkt 4 ihrer Entscheidung die Marktanteile der Klägerin in den einzelnen Mitgliedstaaten aufgeführt und in den Randnummern 11 und 18 ihrer Entscheidung ausgeführt, daß bei den fraglichen Erzeugnissen zwischen den Mitgliedstaaten Preisunterschiede bestuenden, die zu einem Parallelhandel führen könnten, und daß die Erzeugnisse der Marke Parker einen erheblichen Anteil am Gemeinschaftsmarkt hätten.

43 Somit hat die Kommission den Markt angemessen definiert, und zwar als den Markt aller Mitgliedstaaten, nicht nur den deutschen Markt.

44 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages anzuwenden, wenn der Absatz wenigstens einer der Parteien einer wettbewerbsbehindernden Vereinbarung einen spürbaren Marktanteil darstellt (vgl. Miller/Kommission, Randnr. 10).

45 Im vorliegenden Fall ist unstreitig, daß die Klägerin am deutschen Markt der fraglichen Erzeugnisse einen Anteil von (...) % und am Gemeinschaftsmarkt einen Anteil von (...) % hat und daß die Umsätze der Klägerin und der Herlitz AG 1989 (...) ECU überstiegen. Die Klägerin und die Herlitz AG sind somit als Unternehmen hinreichend groß, damit ihr Verhalten grundsätzlich den Binnenhandel der Gemeinschaft beeinträchtigen kann. Zudem ist nicht bestritten, daß die Herlitz AG auf dem deutschen Markt eine Großkundin der Klägerin ist.

46 Angesichts der Bedeutung der Stellung der Klägerin, des Umfangs ihrer Erzeugung, ihres Absatzes in den Mitgliedstaaten und des Anteils am Absatz von Erzeugnissen der Marke Parker, den die Herlitz AG erzielt, droht die streitige Klausel, mit der Ausfuhren und folglich Paralleleinfuhren in die anderen Mitgliedstaaten verhindert und damit die nationalen Märkte gegeneinander abgeschottet werden sollen, die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten spürbar in einer Weise zu beeinflussen, die der Verwirklichung der Ziele des Gemeinsamen Marktes abträglich sein kann. Die Kommission hat daher in Punkt 18 ihrer Entscheidung zu Recht ausgeführt, daß die Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Herlitz AG geeignet war, den zwischenstaatlichen Handel durch Einschränkung von Parallelein- und -ausfuhren spürbar zu beeinträchtigen.

Zur Anwendung des Ausfuhrverbots

° Zusammenfassung des Parteivorbringens

47 Die Klägerin führt aus, ihre deutsche Tochtergesellschaft, die Parker Pen GmbH, versorge in Deutschland die Groß- und Einzelhändler, wobei die wesentlichen deutschen Einzelhändler von der Grosseinkaufsvereinigung deutscher Bürobedarfsgeschäfte (GDB) und von Büro Aktuell (BA) vertreten würden, auf die 80 % des Gesamtabsatzes von Bürobedarf in Deutschland entfielen. Um weitere Vertriebswege zu eröffnen und ihre Abhängigkeit vom traditionellen Facheinzelhandel zu verringern, habe sich die Klägerin mit der Herlitz AG verbunden, die in Deutschland das Konzept eines "All out of one hand" entwickelt habe. Nach diesem Konzept stellten Supermärkte und Warenhäuser der Herlitz AG 50 bis 100 qm ihrer Betriebsfläche zur Verfügung, die die Herlitz AG einrichte und bestücke, wobei sie gegebenenfalls auch die Zusammensetzung ihres Angebots ändere, während die Klägerin die von der Herlitz AG bestellten Erzeugnisse in besonderen, deutschsprachigen Verpackungen liefere.

48 Daß die Herlitz AG es abgelehnt habe, die Beschwerdeführerin zu beliefern, beruhe nicht auf einer Anwendung der Vereinbarung, sondern auf der Geschäftspolitik der Herlitz AG, die Großhändler wie die Beschwerdeführerin nicht beliefere, da diese keine Supermärkte betrieben und somit nicht in ihr Geschäftskonzept passten. Die Beschwerde, die die Beschwerdeführerin 1988 bei der Kommission eingereicht habe, beruhe auf der Weigerung der Klägerin, ihr Vorzugspreise zu gewähren.

49 Die Herlitz AG habe im Rahmen der Vereinbarung auch Erzeugnisse nach Österreich und in die Schweiz ausgeführt. Bei der Anhörung vom 4. Juni 1991 habe die Herlitz AG eingeräumt, sie führe Erzeugnisse der Marke Parker immer dann aus, wenn ihre Kunden international tätig seien, was auch für Frankreich gelte.

50 Die Kommission habe daher den Sachverhalt mißverstanden, als sie in Punkt 16 Absatz 8 ihrer Entscheidung behauptet habe, aus den zwei Faxen der Herlitz AG an die Beschwerdeführerin ergebe sich, daß die Herlitz AG die zwischen ihr und der Klägerin geschlossene Vertriebsvereinbarung angewandt habe.

51 Schließlich stamme das Fax an die Beschwerdeführerin vom 24. April 1989 von der Herlitz GmbH & Co. KG, einer von der Herlitz AG unterschiedenen juristischen Person; nur die letztere sei aber Partei der Vereinbarung und vom Verfahren vor der Kommission betroffen.

52 Die Kommission trägt vor, Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages sei bereits dann anwendbar, wenn eine Vereinbarung den Wettbewerb verfälschen solle, ohne daß tatsächliche Auswirkungen auf dem Markt erforderlich seien (vgl. die Urteile des Gerichtshofes vom 13. Juli 1966 in den Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 429, 496, und vom 30. Januar 1985 in der Rechtssache 123/83, BNIC, Slg. 1985, 391, Randnr. 22).

53 Zudem sei das Ausfuhrverbot im vorliegenden Fall auch tatsächlich angewandt worden. So habe der Export Sales Manager der Herlitz AG die Beschwerdeführerin zweimal davon unterrichtet, daß die Herlitz AG Erzeugnisse der Marke Parker ausserhalb Deutschlands nicht verkaufen dürfe. Der Briefwechsel mit der Herlitz AG zeige zur Genüge, daß diese ihre Weigerung mit der Vereinbarung begründet habe, die somit Anwendung gefunden habe.

54 Das zwischen der Klägerin und der Herlitz AG vereinbarte Ausfuhrverbot sei auch geeignet gewesen, Verkäufe der Herlitz AG an Großhändler in anderen Mitgliedstaaten zu behindern. Die Herlitz AG trete als Großhändler auf, der die Erzeugnisse der Marke Parker nicht direkt an Verbraucher verkaufe, soweit sie diese an Supermärkte verkaufe, die sie ihrerseits an ihre Kunden weiter veräusserten. Das werde durch den Umstand, daß die Herlitz AG nicht von ihr selbst hergestellte Erzeugnisse in die Schweiz und nach Österreich ausgeführt habe, sowie durch den von der Herlitz AG bei der Anhörung vom 4. Juni 1991 eingeräumten Umstand bestätigt, daß sie den Verkauf von Erzeugnissen der Marke Parker an Großkunden mit Zweigniederlassungen im Ausland einschließlich Frankreichs aufgenommen habe.

° Rechtliche Würdigung

55 Daß eine Exportverbotsklausel, die ihrem Wesen nach eine Beschränkung des Wettbewerbs darstellt, vom Lieferer nicht angewandt wird, erbringt keinen Beweis dafür, daß sie wirkungslos geblieben ist, da bereits ihr Vorhandensein nach dem Urteil Miller/Kommission (Randnr. 7) ein "optisches und psychologisches" Klima schaffen kann, das zu einer Aufteilung der Märkte beiträgt. Daher hat der Umstand, daß eine Klausel, die eine Behinderung des Wettbewerbs bezweckt, von den Vertragsparteien nicht angewandt worden ist, nicht zur Folge, daß sie nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages fällt (vgl. die Urteile Hasselblad/Kommission, Randnr. 46, und zuletzt Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Randnr. 175).

56 Ausserdem hat sich die Herlitz AG im vorliegenden Fall auf das Ausfuhrverbot berufen, um den Verkauf von Erzeugnissen der Marke Parker an die Beschwerdeführerin abzulehnen.

57 Die Klägerin beruft sich darauf, daß die Faxe, mit denen der Beschwerdeführerin die Lieferung von Erzeugnissen der Marke Parker verweigert worden sei, von der Herlitz GmbH & Co. KG und nicht von der Herlitz AG abgesandt worden seien. Das ist jedoch unerheblich. Es steht nämlich zum einen fest, daß das beanstandete Kartell auf einem zwischen der Klägerin und der Herlitz AG abgeschlossen Vertrag beruht. Zum anderen ist unbestritten, daß die Herlitz GmbH & Co. KG eine 100%ige Tochtergesellschaft der Herlitz AG und von dieser völlig abhängig ist. Somit ist das Verhalten der Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft zuzurechnen (vgl. die Urteile des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972, 619, Randnrn. 136 bis 141, und vom 6. März 1974 in den Rechtssachen 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223, Randnr. 41).

58 Im übrigen hat die mündliche Verhandlung ergeben, daß die Aufnahme des Ausfuhrverbots in die streitige Vereinbarung für die Klägerin insoweit von Interesse war, als sie den Vertrieb ihrer Erzeugnisse über das Vertriebssystem der Klägerin damit auf das deutsche Gebiet beschränken konnte. Ungeachtet der ° insbesondere sprachlichen ° Eigenarten dieses Modells war somit nicht ausgeschlossen, daß die Herlitz AG Ausfuhren vornehmen würde, da die Parteien, zumindest aber die Klägerin, das Bedürfnis verspürten, in ihre Vertriebsvereinbarung ein ausdrückliches Ausfuhrverbot aufzunehmen.

59 Selbst wenn schließlich die aus der aktuellen Lage gezogenen Argumente zuträfen, reichten sie nicht für den Nachweis aus, daß Ausfuhrverbote den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen können. Diese Lage kann sich nämlich aufgrund von Veränderungen in den Marktbedingungen und in der Struktur sowohl des Gemeinsamen Marktes insgesamt als auch der verschiedenen nationalen Märkte von Jahr zu Jahr ändern (vgl. Urteil Miller/Kommission, Randnr. 14). Das Vorbringen, die streitige Klausel sei nicht angewandt worden, ist daher zurückzuweisen.

Zum Gemeinschaftsinteresse am Verfahren

Zusammenfassung des Parteivorbringens

60 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe keinerlei Interesse daran, das Verfahren gegen die Klägerin zu betreiben, zumal sie die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen ihre Geschäftspolitik, Aufträge von Kunden aus einem anderen Mitgliedstaat an ihre örtlichen Tochtergesellschaften in diesem Mitgliedstaat weiterzuleiten, zurückgewiesen habe. In der Rechtssache Automec/Kommission habe die Kommission das Verfahren mit der Begründung nicht weiter verfolgt, sie habe im Rahmen ihrer Pflicht zur Wahrung des Gemeinwohls in erster Linie Verhaltensweisen zu verfolgen, die durch ihren Umfang, ihre Schwere und ihre Dauer den freien Wettbewerb sehr erheblich beeinträchtigten; das Gericht habe diese Entscheidung aufrechterhalten (Urteil des Gerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-24/90, Automec/Kommission, Slg. 1992, II- 2223, Randnr. 77).

61 Die Beklagte bringt vor, die Klägerin habe erst in ihrer Erwiderung vorgetragen, daß die Beschwerde der Beschwerdeführerin mangels Gemeinschaftsinteresses hätte zurückgewiesen werden müssen. Die Kommission habe zwar das Recht, eine Beschwerde in Sachen geringer wirtschaftlicher oder rechtlicher Bedeutung zurückzuweisen, sei hierzu aber rechtlich nicht verpflichtet. Ausserdem sei das Urteil Automec/Kommission erst nach Erlaß der mit der vorliegenden Klage angefochtenen Entscheidung ergangen; es könne ihr also nicht vorgeworfen werden, es nicht beachtet zu haben.

Rechtliche Würdigung

62 Die Klägerin hat das mangelnde Gemeinschaftsinteresse erst in der Erwiderung geltend gemacht. Sie stützt dieses Vorbringen wesentlich mit dem Umstand, daß die Kommission am 30. September 1992 die Beschwerde zurückgewiesen habe, mit der die Beschwerdeführerin die Geschäftspolitik der Klägerin, Aufträge von Kunden eines Mitgliedstaats an ihre Tochtergesellschaften in diesem Mitgliedstaat weiterzuleiten, zurückgewiesen habe. Diese Entscheidung ist nach der Einreichung der Klage am 24. September 1992 ergangen und kann daher als rechtlicher oder tatsächlicher Grund angesehen werden, der im Sinne des Artikels 48 § 2 der Verfahrensordnung erst während des Verfahrens zu Tage getreten ist.

63 Wie weit die Verpflichtungen der Kommission im Wettbewerbsrecht reichen, ist anhand des Artikels 89 Absatz 1 des Vertrages zu prüfen, der in diesem Gebiet besonderer Ausdruck des allgemeinen Überwachungsauftrags ist, der der Kommission in Artikel 155 EWG-Vertrag anvertraut ist. Auch muß die Kommission bei der Beurteilung des Gemeinschaftsinteresses an der Nachprüfung einer Sache die Umstände des Einzelfalls und die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte würdigen, die ihr in einer Beschwerde vorgelegt werden.

64 Hier genügt die Feststellung, daß die Kommission in Punkt 16 Absatz 8 ihrer Entscheidung das Ausfuhrverbot zu Recht als Kartell im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages eingestuft und festgestellt hat, daß es den Binnenhandel der Gemeinschaft spürbar beeinträchtigen könne.

65 Die Kommission hat daher mit ihrer Entscheidung, das Verfahren nach der Aufdeckung eines Schriftstücks, das auf den ersten Blick eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 erkennen ließ, das Verfahren fortzusetzen, ihr Ermessen richtig ausgeuebt und keinen Rechtsfehler begangen. Die Rüge des mangelnden Gemeinschaftsinteresses ist daher zurückzuweisen.

66 Nach alledem ist der Klagegrund einer Verletzung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zurückzuweisen.

Der Klagegrund der unzureichenden Begründung

67 Die Klägerin führt aus, alle Rügen gegen die Entscheidungen der Kommission zeigten, daß diese den Begründungsanforderungen des Artikels 190 EWG-Vertrag nicht entspreche.

68 Die Beklagte meint, die Zurückweisung des Vorbringens der Klägerin ordnungsgemäß begründet und hinreichend aufgezeigt zu haben, daß die Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar beeinträchtigen könne.

69 Die obigen Würdigungen der Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages in der angefochtenen Entscheidung belegen, daß die Kommission dem Vorbringen der Klägerin zu den Tatsachen und rechtlichen Umständen, denen in der vorliegenden Rechtssache eine wesentliche Bedeutung zukommt, hinreichend nachgegangen ist und daß die Begründungspflicht somit nicht verletzt ist. Der Klagegrund der mangelnden Begründung ist daher zurückzuweisen.

Der Klagegrund der Verletzung von Formvorschriften

Zusammenfassung des Parteivorbringens

70 Die Klägerin wirft der Kommission vor, ihr keine vollständige englische Übersetzung des gesamten Protokolls der Anhörung vom 4. Juni 1991 gegeben zu haben, auf die sie gemäß der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385) sowie den Artikeln 217 und 248 EWG-Vertrag Anspruch habe.

71 Die Kommission erwidert, die Klägerin sei bei der Anhörung vertreten gewesen; ihre Vertreter hätten von der Simultanübersetzung Gebrauch machen können, die während der Erörterungen stattgefunden habe. Nach Artikel 9 Absatz 4 ihrer Verordnung Nr. 99/63/EWG vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rats (ABl. 1963, 127, S. 2268) überlasse sie den Parteien eine Abschrift der Niederschrift, um ihnen die Feststellung zu erlauben, ob ihre eigenen Erklärungen richtig wiedergegeben worden seien; zur Übersetzung der Erklärungen der anderen Parteien sei sie nicht verpflichtet.

Rechtliche Würdigung

72 Nach Artikel 9 Absatz 4 der Verordnung Nr. 99/63 wird über die wesentlichen Erklärungen jeder angehörten Person eine Niederschrift angefertigt, die verlesen und genehmigt wird.

73 Die Klägerin konnte vom Inhalt der Niederschrift Kenntnis nehmen, da diese von ihrem Rechtsberater und ihrem Vorsitzenden mit folgendem Vorbehalt unterzeichnet wurde: "Unterzeichnet nur für die französischen und englischen Teile und unter Vorbehalt der auf den Seiten 12, 33 und 37 vorgenommenen kleinen Änderungen".

74 Die Klägerin bestreitet nicht, daß sie dem Gang der Anhörung dank der Simultanübersetzung folgen konnte. Sie behauptet auch nicht, daß die Niederschrift mangels einer Übersetzung der deutschen Teile ihr gegenüber Ungenauigkeiten oder wesentliche Auslassungen enthalte, deren nachteilige Folgen das Verwaltungsverfahren fehlerhaft machen könnten (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 52).

75 Dieser Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zur Verletzung von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17

76 Die Klägerin wirft der Kommission vor, bei der Auferlegung der Geldbusse das Fehlen einer Absicht nicht berücksichtigt und den Gleichbehandlungs- und den Verhältnismässigkeitsgrundsatz verletzt zu haben.

Zum Fehlen einer Absicht

77 Die Klägerin stellt fest, die Kommission habe nur eine einzige, unabsichtliche Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages feststellen können, nämlich die Ausfuhrbehinderung in Punkt 7 der Vereinbarung. Sie habe nicht beabsichtigt gehabt, die Ausfuhren der Herlitz AG in andere Mitgliedstaaten zu behindern, und sie habe eine solche Absicht auch gar nicht haben können, da sich die Erzeugnisse der Marke Parker aufgrund ihrer Aufmachung nicht für den Vertrieb in diesen Ländern eigneten. Die Erschließung des schweizerischen und des österreichischen Marktes sei hingegen beabsichtigt gewesen.

78 Es sei ausserdem die Herlitz AG gewesen, die den ursprünglichen Entwurf der Vereinbarung erarbeitet und im Juli 1986 dem für Europa zuständigen Direktor der Klägerin im Vereinigten Königreich unterbreitet habe, der ihn entgegen der Geschäftspolitik der Klägerin ohne rechtlichen Rat und ohne Änderungen unterzeichnet habe. Die Herlitz AG bestreite dies nicht; sie habe bei der Anhörung zu der streitigen Vereinbarung erklärt, daß derzeit niemand mehr wisse, woher diese komme; sie könne auch von der Herlitz AG herkommen, man wisse dies nicht mehr. Der Kommission sei vorzuwerfen, die genauen Umstände nicht ermittelt zu haben, unter denen die streitige Klausel in die Vereinbarung aufgenommen worden sei.

79 Ausserdem habe die Klägerin die Ausfuhrbehinderung ausdrücklich aus der Vereinbarung gestrichen, sobald ihr Verwaltungsrat von ihr Kenntnis erhalten habe; sie habe ein Programm zur Änderung ihrer Organisationsstruktur durchgeführt, damit die Wettbewerbsregeln voll beachtet würden. Dieses Programm sei 1987 abgeschlossen worden, es habe jedoch Klauseln nicht erfassen können, die weder bekannt gewesen noch angewandt worden seien.

80 Die Beklagte gesteht zu, daß die Entscheidung nur eine einzige Zuwiderhandlung feststelle, nämlich eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise, mit der Paralleleinfuhren von Erzeugnissen der Marke Parker hätten behindert werden sollen. Auch seien der Klägerin das Programm zur Befolgung der Wettbewerbsregeln sowie ihr sehr kooperatives Verhalten zugute zu halten. Gleichwohl sei die streitige Klausel trotz der Bemühungen der Klägerin vom 1. März 1987 bis zum 28. September 1989 in Kraft gewesen.

81 Für eine vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages genügt es, wenn dem Unternehmen bewusst war, daß das gerügte Verhalten eine Wettbewerbsbeeinträchtigung bezweckte, gleichviel, ob es sich dabei auch bewusst war, gegen ein in diesen Regeln enthaltenes Verbot zu verstossen.

82 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin seit Beginn des Verwaltungsverfahrens eingeräumt, daß ein Ausfuhrverbot gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstösst. Die Klägerin war sich somit dessen bewusst, daß die streitige Klausel Ausfuhren beschränken, ja sogar verbieten und damit den Markt abschotten sollte, und hat somit vorsätzlich gehandelt (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 8. November 1983 in den Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnrn. 45 bis 47).

Zum Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz

83 Die Klägerin bringt vor, die Entscheidung verletze den Grundsatz der Gleichbehandlung, da sie bei einer Ausfuhrbehinderung anders als andere Firmen behandelt werde. Nach dem Vorbild der Entscheidung 92/427/EWG der Kommission vom 27. Juli 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/32.800 und 33.335 ° Quantel International/Continuum/Quantel SA, ABl. L 235, S. 9; Entscheidung Quantel) und in der Sache AKZO Coatings (Neunzehnter Bericht über die Wettbewerbspolitik, Ziff. 45), in denen die Kommission keine Geldbusse auferlegt habe, im ersten Fall wegen der geringen Auswirkungen auf den Handel mit den betroffenen Erzeugnissen, im zweiten Fall wegen der Anpassung des betroffenen Unternehmens an die Wettbewerbsregeln, hätte die Kommission auch im vorliegenden Fall von der Auferlegung einer Geldbusse absehen und das Verfahren in einem früheren Stadium einstellen müssen, da die Vereinbarung mit der Herlitz AG das einzige Beispiel für eine Ausfuhrbehinderung gewesen sei, das keine allgemeine wettbewerbsbehindernde Geschäftspolitik belege, und da die Klägerin ein Programm zur Befolgung der Wettbewerbsregeln durchgeführt habe.

84 Die Kommission legt dar, das Vorbringen zu einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung beziehe sich mehr auf die Durchführung des Verfahrens seitens der Kommission und nicht so sehr auf die auferlegte Geldbusse. Sie berufe sich insoweit auf die Schlussanträge des Generalanwalts Darmon in der Rechtssache Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission (Slg. 1993, I-1307, I-1445, Nr. 527), denen sie sich anschließe: "Wenn ein Unternehmen, das gegen eine Entscheidung der Kommission klagt, einen Wettbewerbsverstoß begangen hat, so kann es sich den Folgen dieses Verstosses nicht mit dem Vorbringen entziehen, auch ein anderes Wirtschaftsunternehmen habe rechtswidrig gehandelt".

85 Schließlich sei der Hinweis auf ihre Entscheidung Quantel nicht einschlägig, da sie in dieser Rechtssache festgestellt habe, daß der Wettbewerb beeinträchtigt und die Wirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar, somit Artikel 85 Absatz 1 anwendbar sei. Daß die Kommission es in dieser Entscheidung nicht für angebracht gehalten habe, eine Geldbusse aufzuerlegen, stütze die Behauptung der Klägerin nicht, die Vereinbarung zwischen ihr und der Herlitz AG habe keine spürbare Wirkung auf den Wettbewerb.

86 Hat ein Unternehmen durch sein Verhalten Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zuwidergehandelt, so kann es sich einer Sanktion nicht mit der Begründung entziehen, daß einem anderen Wirtschaftsunternehmen keine Geldbusse auferlegt worden sei, wenn der Gemeinschaftsrichter mit dessen Lage nicht befasst ist (Urteil Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Randnr. 197). Daher ist das Vorbringen der Klägerin, unter ähnlichen Umständen sei anderen Unternehmen keine Geldbusse auferlegt worden, zurückzuweisen.

Zur Unangemessenheit der Geldbusse

87 Die Klägerin macht an letzter Stelle geltend, die Entscheidung verstosse gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, da die der Klägerin auferlegte Geldbusse ausser Verhältnis zum Umfang des von der Zuwiderhandlung betroffenen Absatzes stehe. Der Gerichtshof habe im Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission (Randnrn. 120 f.) entschieden, daß die Kommission bei der Festsetzung der Geldbusse den Umfang und den Wert der Waren, die von der Zuwiderhandlung betroffen waren, in höherem Masse als den Gesamtumsatz des Unternehmens berücksichtigen könne, zumal wenn die betroffenen Waren nur einen geringen Teil dieses Umsatzes darstellten.

88 Die Verkäufe von Erzeugnissen der Marke Parker durch die Herlitz AG hätten sich im Zeitraum vom 1. März 1987 bis zum 28. September 1988 auf durchschnittlich ungefähr (...) ECU belaufen. Die auferlegte Geldbusse entspreche (...) % dieser Summe. Dieser Prozentsatz sei angesichts des Umstands unverhältnismässig, daß sie 1987 ein umfangreiches Programm zur Anpassung an die Wettbewerbsregeln in die Wege geleitet und seitdem verfolgt habe.

89 Nach Auffassung der Kommission steht die auferlegte Geldbusse nicht ausser Verhältnis zur festgestellten Zuwiderhandlung. Der Weltumsatz der Klägerin belaufe sich auf etwas mehr als (...) ECU, so daß die Geldbusse (...) ECU nicht überschreiten dürfe. Die der Klägerin auferlegte Geldbusse von 700 000 ECU entspreche (...) % des Umsatzes der Klägerin in der Gemeinschaft von (...) ECU und (...) ECU ihres Umsatzes auf dem deutschen Markt von (...) ECU. Die auferlegte Geldbusse entspreche einem wesentlich geringeren Prozentsatz des Umsatzes mit den von der Zuwiderhandlung betroffenen Erzeugnissen als in anderen Fällen von Ausfuhrverboten (Pioneer, Toshiba, Dunlop).

90 Ausserdem würden in Punkt 24 der Entscheidung die Gründe benannt, aus denen die Klägerin milder behandelt worden sei: Zunächst habe die Klägerin fast unmittelbar nach der Entdeckung des Ausfuhrverbots durch Beamte der Kommission Maßnahmen ergriffen, um es abzuschaffen; dann habe sich die Klägerin während dieser Nachprüfungen sehr kooperativ gezeigt; schließlich habe sie ein umfangreiches Programm zur Befolgung des Wettbewerbsrechts ausgearbeitet.

91 Der Kommission könne daher nicht vorgeworfen werden, bei der Festsetzung der Geldbusse willkürlich oder exzessiv gewesen zu sein, da sie im vorliegenden Fall mildernde Umstände berücksichtigt habe.

92 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes muß die Geldbusse den Umständen und der Schwere der Zuwiderhandlung angepasst sein (Urteil des Gerichtshofes vom 12. November 1985 in der Rechtssache 183/83, Krupp/Kommission, Slg. 1985, 3609, Randnr. 40). Bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung für die Bemessung der Geldbusse sind insbesondere die Art der Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen (Urteile des Gerichtshofes ACF Chemiefarma/Kommission, Randnr. 176; und vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 45/69, Böhringer/Kommission, Slg. 1970, 769, Randnr. 53).

93 Die Kommission hat in Punkt 24 ihrer Entscheidung zugunsten der Klägerin mildernde Umstände berücksichtigt, insbesondere zum einen, daß diese von Beginn des Verwaltungsverfahrens an kooperativ war, und zum anderen, daß sie ein Programm ausgearbeitet habe, das die Beachtung der Wettbewerbsregeln durch ihre Vertriebshändler und Tochtergesellschaften sicherstellen sollte.

94 Die Kommission hat jedoch ausweislich ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt, daß der mit den von der Zuwiderhandlung getroffenen Erzeugnissen getätigte Umsatz im Verhältnis zum Gesamtabsatz der Klägerin vergleichsweise gering war. Berücksichtigt werden können insoweit sowohl der Gesamtumsatz eines Unternehmens, der ° wenn auch nur näherungsweise und ungenau ° Auskunft über die Grösse des Unternehmens und seine Wirtschaftskraft gibt, wie der Umsatz mit den von der Zuwiderhandlung betroffenen Erzeugnissen, der einen Hinweis auf den Umfang der Zuwiderhandlung gibt. Keiner dieser beiden Zahlen darf somit zu Lasten der anderen Gesichtspunkte eine unverhältnismässige Bedeutung eingeräumt werden; die Festsetzung der angemessenen Geldbusse kann somit nicht das Ergebnis einer schlichten Rechenoperation auf der Grundlage des Gesamtumsatzes sein (Urteile Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 121, und Krupp/Kommission, Randnr. 37).

95 Im Lichte dieser Erwägungen ist die der Klägerin auferlegte Geldbusse von 700 000 ECU insbesondere angesichts des geringen von der Zuwiderhandlung betroffenen Umsatzes nicht angemessen. Das Gericht setzt daher die der Klägerin auferlegte Geldbusse im Rahmen seiner Befugnis zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung auf 400 000 ECU herab.

Zur Erstattung der Kosten für die Stellung eines Bürgen für die Zahlung der verhängten Geldbusse

Parteivorbringen

96 Die Kommission hält den Antrag auf Erstattung der der Klägerin für die Stellung eines Bürgen für die Zahlung der Geldbusse angefallenen Kosten für unzulässig, da das Gericht über diesen Antrag im Rahmen der Kontrolle über die Rechtmässigkeit einer Handlung nach Artikel 173 EWG-Vertrag nicht entscheiden könne (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 24. Juni 1986 in der Rechtssache 53/85, AKZO/Kommission, Slg. 1986, 1965).

97 Die Klägerin bringt in der Erwiderung vor, das Gericht müsse gemäß Artikel 87 § 1 der Verfahrensordnung über die Kosten entscheiden. Nach Artikel 91 Buchstabe b Verfahrensordnung seien die Aufwendungen der Parteien, die für das Verfahren notwendig seien, erstattungsfähig. Diese Aufwendungen umfassten die ihr für die Stellung einer Bankbürgschaft für die Zahlung der Geldbusse angefallenen Kosten; das Vorbringen, die Partei, die gegen eine Geldbusse klage, könne zusätzliche Kosten dadurch vermeiden, daß sie keine Bankbürgschaft stelle, sei zurückzuweisen.

98 In der Gegenerwiderung führt die Beklagte aus, im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung, mit der eine Geldbusse auferlegt werde, sei nicht die Frage zu beantworten, ob die der Klägerin durch die Stellung eines Bürgen für die Zahlung der Geldbusse angefallenen Kosten erstattungsfähig seien, da diese Entscheidung im Rahmen eines späteren Rechtsstreits über die Höhe der Kosten erforderlich sein könne. Ausserdem ergebe sich aus dem Beschluß des Gerichtshofes vom 20. November 1987 in der Rechtssache 183/83 (Krupp/Kommission, Slg. 1987, 4611), daß die fraglichen Kosten nicht als Kosten "für das Verfahren" im Sinne des Artikels 91 Buchstabe b der Verfahrensordnung betrachtet werden könnten.

Rechtliche Würdigung

99 Der Klageschrift lässt sich nicht entnehmen, auf welcher Rechtsgrundlage die Klägerin ihren Antrag auf Erstattung der Kosten für die Stellung einer Bankbürgschaft stützt.

100 Damit entspricht die Klageschrift insoweit nicht den Mindestanforderungen an die Zulässigkeit einer Klage nach Artikel 19 der EWG-Satzung des Gerichtshofes und Artikel 44 § 1 Buchstabe c Verfahrensordnung. Dieser Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

101 Zudem sind die der Klägerin im vorliegenden Fall für die Stellung einer Bankbürgschaft angefallenen Kosten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. Beschluß Krupp/Kommission) keine Aufwendungen für das Verfahren. Soweit sich der Antrag der Klägerin auf Erstattung der für die Stellung einer Bankbürgschaft angefallenen Kosten auf Artikel 91 Buchstabe b Verfahrensordnung stützt, ist er somit ebenfalls nicht begründet.

Kostenentscheidung:

Kosten

102 Nach Artikel 87 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung des Gerichts kann dieses, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, die Kosten teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt. Im vorliegenden Fall ist jede Partei teils unterlegen. Es entspricht einer billigen Würdigung der Umstände, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die der Klägerin in Artikel 2 der Entscheidung 92/426/EWG der Kommission vom 15. Juli 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/32.725 ° Viho/Parker Pen) auferlegte Geldbusse wird auf 400 000 ECU herabgesetzt.

2) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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