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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 25.05.2000
Aktenzeichen: T-77/95 (1)
Rechtsgebiete: EGV


Vorschriften:

EGV Art. 82
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

25. Mai 2000 (1)

"Wettbewerb - Zurückweisung einer Beschwerde - Gemeinschaftsinteresse - Rechtsmittel - Zurückverweisung durch den Gerichtshof"

Parteien:

In der Rechtssache T-77/95

Union française de l'express (UFEX), vormals Syndicat français de l'express international (SFEI), mit Sitz in Roissy-en-France (Frankreich),

DHL International mit Sitz in Roissy-en-France,

Service CRIE mit Sitz in Paris (Frankreich),

May Courier mit Sitz in Paris,

Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte E. Morgan de Rivery, Paris, und J. Derenne, Brüssel und Paris, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts A. Schmitt, 7, Val Sainte Croix, Luxemburg,

Kläger,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt J.-Y. Art, Brüssel, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung SG (94) D/19144 der Kommission vom 30. Dezember 1994, mit der die Beschwerde des Syndicat français de l'express international vom 21. Dezember 1990 zurückgewiesen wurde,

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Pirrung sowie der Richter R. M. Moura Ramos und A. W. H. Meij,

Kanzler: B. Pastor, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das vorliegende Urteil ergeht nach Zurückverweisung der Rechtssache durch das Urteil des Gerichtshofes vom 4. März 1999 in der Rechtssache C-119/97 P (UFEX u. a./Kommission, Slg. 1999, I-1341; im folgenden: Rechtsmittelurteil), durch das das Urteil des Gerichts vom 15. Januar 1997 in der Rechtssache T-77/95 (SFEI u. a./Kommission, Slg. 1997, II-1; im folgenden: Urteil vom 15. Januar 1997) aufgehoben worden ist.

Sachverhalt und früheres Verfahren

2. Am 21. Dezember 1990 legte der Berufsverband SFEI (nunmehr UFEX), dessen Mitglieder die drei anderen Klägerinnen sind, Beschwerde bei der Kommission ein,um einen Verstoß der französischen Regierung und der französischen Post ("La Poste française"; im folgenden: Post) als Unternehmen gegen bestimmte Vorschriften des EWG-Vertrags (nunmehr EG-Vertrag; im folgenden: Vertrag), insbesondere im Bereich des Wettbewerbs, feststellen zu lassen. Die Beschwerde wurde später von den Klägerinnen ergänzt.

3. Im Hinblick auf Artikel 86 des Vertrages (jetzt Artikel 82 EG) beanstandeten die Kläger die logistische und unternehmerische Unterstützung, die die Post ihrer auf dem Gebiet der internationalen Eilkurierdienste tätigen Tochtergesellschaft Société française de messageries internationales (im folgenden: SFMI) gewähre.

4. Zur logistischen Unterstützung machten die Kläger geltend, die Post stelle ihre Infrastrukturen für das Abholen, Sortieren, Befördern, Verteilen und Zustellen der Postsendungen an den Kunden zur Verfügung, es gebe ein normalerweise der Post vorbehaltenes günstigeres Zollabfertigungsverfahren und der SFMI würden günstigere finanzielle Bedingungen eingeräumt. In bezug auf die unternehmerische Unterstützung beanstandeten die Kläger die Übertragung von Teilen des Geschäftsvermögens, wie des Kundenstamms, und Werbe- und Verkaufsförderungsmaßnahmen, die von der Post zugunsten der SFMI durchgeführt würden.

5. Der Mißbrauch der beherrschenden Stellung der Post habe darin bestanden, daß diese ihre Infrastruktur zu ungewöhnlich günstigen Bedingungen von ihrer Tochtergesellschaft SFMI habe benutzen lassen, um auf diese Weise ihr Monopol vom Markt für Basispostleistungen auf den mit diesem verbundenen Markt der internationalen Eilkurierdienste auszudehnen. Dieser Mißbrauch habe zu Quersubventionen zugunsten der SFMI geführt.

6. Zu den Artikeln 90 des Vertrages (jetzt Artikel 86 EG), 3 Buchstabe g des Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 3 Buchstabe g EG), 5 des Vertrages (jetzt Artikel 10 EG) und 86 des Vertrages machten die Kläger ferner geltend, die rechtswidrige Unterstützung der Post für ihre Tochtergesellschaft beruhe auf mehreren Weisungen und Richtlinien des französischen Staates.

7. Am 30. Dezember 1994 erließ die Kommission eine Entscheidung, mit der sie die Beschwerde zurückwies (im folgenden: angefochtene Entscheidung). Diese wurde dem SFEI am 4. Januar 1995 mitgeteilt.

8. Die in Form eines Schreibens des Mitglieds der Kommission Van Miert erlassene Entscheidung hat folgenden Inhalt (Numerierung der Absätze nicht wiedergegeben):

"Die Kommission bezieht sich auf Ihre am 21. Dezember 1990 bei meinen Dienststellen eingegangene Beschwerde, der eine Abschrift einer am 20. Dezember 1990 beim französischen Conseil de la concurrence erhobenen Beschwerdebeigefügt war. Beide Beschwerden betrafen die internationalen Eilkurierdienste der französischen Postverwaltung.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 1994 teilte Ihnen die Kommission gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 mit, daß es die von ihr im Rahmen der Untersuchung der Sache ermittelten Umstände nicht rechtfertigten, Ihrer Beschwerde stattzugeben, soweit diese auf Artikel 86 des Vertrages gestützt werde, und forderte Sie auf, hierzu Stellung zu nehmen.

In Ihrer Stellungnahme vom 28. November 1994 hielten Sie an Ihrer Auffassung hinsichtlich des Vorliegens eines Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung durch die französische Post und die SFMI fest.

Die Kommission teilt Ihnen daher unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme mit dem vorliegenden Schreiben ihre endgültige Entscheidung über Ihre Beschwerde vom 21. Dezember 1990 betreffend die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 86 mit.

Die Kommission ist aus den in ihrem Schreiben vom 28. Oktober 1994 dargestellten Gründen der Auffassung, daß im vorliegenden Fall keine ausreichenden Nachweise für eine Fortdauer der angeblichen Zuwiderhandlungen vorliegen, so daß Ihrem Antrag nicht stattgegeben werden kann. Insoweit ergibt sich aus Ihrer Stellungnahme vom 28. November 1994 kein neuer Gesichtspunkt, der es der Kommission ermöglichen würde, dieses auf den nachstehenden Gründen beruhende Ergebnis zu ändern.

Zum einen behandeln das Grünbuch über die Entwicklung des Binnenmarktes für Postdienste und die Leitlinien für die Entwicklung der gemeinschaftlichen Postdienste (KOM [93] 247 endg. vom 2. Juni 1993) u. a. die in der Beschwerde des SFEI im wesentlichen aufgeworfenen Fragen. Obwohl diese Dokumente nur Vorschläge für das künftige Recht enthalten, müssen sie speziell bei der Beurteilung der Frage berücksichtigt werden, ob die Kommission ihre beschränkten Mittel angemessen verwendet und ob ihre Dienststellen insbesondere eine rechtliche Regelung für den künftigen Markt für Postdienste ausarbeiten, statt von Amts wegen ihnen zur Kenntnis gebrachte angebliche Zuwiderhandlungen zu untersuchen.

Zum anderen veröffentlichte die Kommission aufgrund einer Untersuchung, die sie gemäß der Verordnung Nr. 4064/89 bei dem von TNT, der Post und vier weiteren Postverwaltungen gegründeten Gemeinschaftsunternehmen (GD Net) durchgeführt hatte, ihre Entscheidung vom 2. Dezember 1991 in der Sache Nr. IV/M.102. Sie beschloß mit dieser Entscheidung, keine Einwände gegen den angemeldeten Zusammenschluß zu erheben und diesen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären. Sie wies insbesondere darauf hin, daß für das Gemeinschaftsunternehmen .durch die beabsichtigte Transaktion keine beherrschende Stellung, die den Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt oderauf einem wesentlichen Teil desselben erheblich beeinträchtigen könnte, geschaffen oder verstärkt wird'.

Einige Hauptpunkte der Entscheidung bezogen sich auf die Auswirkungen, die die Tätigkeit der ehemaligen SFMI für den Wettbewerb haben konnte: Der ausschließliche Zugang der SFMI zu den Anlagen der Post wurde in seinem Anwendungsbereich eingeschränkt und auf zwei Jahre nach der Vollendung des Zusammenschlusses befristet, so daß die SFMI jedenfalls nicht als Subunternehmer der Post tätig wurde. Der SFMI von der Post eingeräumte Zugangsrechte waren anderen Kurierdiensten, mit denen die Post einen Vertrag schloß, in gleicher Weise anzubieten.

Dieses Ergebnis entspricht in jeder Hinsicht den von Ihnen am 21. Dezember 1990 für die Zukunft vorgeschlagenen Lösungen. Sie verlangten, daß die SFMI, falls sie weiter die Leistungen der PTT in Anspruch nehmen wolle, für diese die gleichen Preise wie für die Leistungen eines privaten Unternehmens zahlen sollte; ferner forderten Sie, daß .jede Form von Unterstützung und Diskriminierung abgestellt wird' und daß .die SFMI ihre Preise an den tatsächlichen Wert der von der Post angebotenen Leistungen anpaßt'.

Die von Ihnen angesprochenen Probleme für den gegenwärtigen und künftigen Wettbewerb auf dem Gebiet der internationalen Eilkurierdienste sind also offensichtlich durch die von der Kommission nunmehr getroffenen Maßnahmen in angemessener Weise geregelt worden.

Sollten Sie der Auffassung sein, daß die Post die ihr in der Sache IV/M.102 auferlegten Bedingungen insbesondere auf dem Gebiet der Beförderung und der Werbung nicht eingehalten hat, so ist es Ihre Sache, soweit möglich, hierfür Beweise beizubringen, und eventuell eine Beschwerde gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 zu erheben. Die Behauptungen, .die gegenwärtigen Tarife der SFMI (ohne etwaige Rabatte) sind weiterhin wesentlich niedriger als die Tarife der Mitglieder des SFEI' (Seite 3 Ihres Schreibens vom 28. November) oder .Chronopost verwendet die Lastwagen der PTT als Werbeträger' (Feststellungsprotokoll in der Anlage zu Ihrem Schreiben) müßten jedoch durch Tatsachen gestützt werden, die eine Untersuchung durch die Kommission rechtfertigen.

Die Maßnahmen der Kommission nach Artikel 86 des Vertrages sind auf die Erhaltung eines echten Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt gerichtet. Für den Gemeinsamen Markt für internationale Eilkurierdienste hätte die Kommission, in Anbetracht der wesentlichen oben dargestellten Entwicklung, eine Untersuchung der fraglichen Tätigkeiten nur rechtfertigen können, wenn neue Informationen über etwaige Verstöße gegen Artikel 86 geliefert worden wären.

Im übrigen hält sich die Kommission nicht für verpflichtet, möglicherweise früher begangene Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln zu untersuchen, wenn eine solche Untersuchung nur bezweckt oder bewirkt, daß den individuellen Interessen der Parteien gedient wird. Nach Auffassung der Kommission besteht nach Artikel 86 des Vertrages kein Interesse an einer solchen Untersuchung.

Ich teile Ihnen mit, daß Ihre Beschwerde aus den angeführten Gründen zurückgewiesen wird."

9.

Mit Klageschrift, die am 6. März 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Kläger beantragt, die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären.

10.

Mit Urteil vom 15. Januar 1997 hat das Gericht die Klage als unbegründet abgewiesen, nachdem es im wesentlichen zu der Auffassung gelangt war, daß die Kommission die Behandlung der Beschwerde zu Recht unter Berufung auf ein fehlendes Gemeinschaftsinteresse eingestellt habe, weil die in der Beschwerde beanstandeten Verhaltensweisen nach der Erhebung der Beschwerde beendet worden seien.

11.

In seinem Rechtsmittelurteil hat der Gerichtshof das Urteil des Gerichts vom 15. Januar 1997 aufgehoben, die Rechtssache an das Gericht zurückverwiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten.

12.

Im Hinblick auf den siebten Rechtsmittelgrund hat der Gerichtshof insbesondere festgestellt (Randnr. 96), "daß das Gericht von einer irrigen Auffassung über die Aufgabe der Kommission auf dem Gebiet des Wettbewerbs ausgegangen ist, als es, ohne sich der Feststellung zu vergewissern, daß die wettbewerbswidrigen Wirkungen [der beanstandeten Praktiken der Post] nicht andauerten und gegebenenfalls der Beschwerde nicht ihretwegen ein Gemeinschaftsinteresse zukommt, entschied, daß die Untersuchung einer Beschwerde über vergangene Zuwiderhandlungen nicht der der Kommission durch den Vertrag übertragenen Aufgabe entspreche, sondern im wesentlichen dazu diene, es den Beschwerdeführern zu erleichtern, zur Erlangung von Schadensersatz vor den nationalen Gerichten ein Fehlverhalten zu beweisen".

13.

Mit dem zwölften Rechtsmittelgrund war gerügt worden, das Gericht habe ohne Prüfung aller angeführten Unterlagen und insbesondere eines Schreibens von Sir Leon Brittan an den Präsidenten der Kommission, dessen Vorlage anzuordnen es sich geweigert habe, über den Klagegrund des Ermessensmißbrauchs entschieden. Hierzu hat der Gerichtshof ausgeführt (Randnr. 110): "Das Gericht durfte den Antrag der Rechtsmittelführer, die Vorlage eines offenbar für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblichen Schriftstücks anzuordnen, nicht mit der Begründung zurückweisen, dieses Schriftstück sei nicht zu den Akten gegeben worden und für seine Existenz lägen keine Beweise vor."

Das Verfahren nach Zurückverweisung und die Anträge der Parteien

14.

Nach Zurückverweisung der Rechtssache durch den Gerichtshof haben die Parteien gemäß Artikel 119 der Verfahrensordnung ihre Schriftsätze eingereicht.

15.

Im Rahmen prozeßleitender Maßnahmen hat das Gericht den Klägern aufgegeben, das Schreiben von Sir Leon Brittan (siehe oben, Randnr. 13) vorzulegen. Die Kläger sind dem fristgemäß nachgekommen.

16.

Da Richter A. Potocki daran gehindert war, an der Sitzung zur Prüfung der Rechtssache teilzunehmen, hat der Präsident des Gerichts am 16. Oktober 1999 an seiner Stelle einen anderen Richter bestimmt. Mit Beschluß vom 20. Oktober 1999 ist ein neuer Berichterstatter bestimmt worden.

17.

Das Gericht (Zweite Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

18.

Die Parteien haben in der Sitzung vom 9. Februar 2000 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet. Dabei hat die Kommission auch eine Kopie des Schreibens von Sir Leon Brittan vorgelegt.

19.

Die Kläger beantragen,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen.

20.

Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

Begründetheit

21.

Da der Gerichtshof in seiner Rechtsmittelentscheidung nur zweien der zwölf Rechtsmittelgründe stattgegeben hat, haben die Kläger im Rahmen dieses Verfahrens nur zwei Klagegründe geltend gemacht, nämlich den eines Verstoßes gegen Artikel 86 des Vertrages und den eines Verstoßes gegen die Rechtsnormen über die Beurteilung des Gemeinschaftsinteresses. Hilfsweise tragen sie vor, daß die angefochtene Entscheidung auf einem Ermessensmißbrauch beruhe.

22.

Nach Auffassung des Gerichts ist hier zunächst der Klagegrund des Verstoßes gegen die Rechtsnormen über die Beurteilung des Gemeinschaftsinteresses zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

23.

Die Kläger machen geltend, daß die fortdauernden Wirkungen und die Schwere einer Zuwiderhandlung nur dann beurteilt werden könnten, wenn zunächst festgestellt worden sei, daß diese tatsächlich vorgelegen habe. Die Einstellung der Zuwiderhandlung könne jedenfalls nicht maßgeblich dafür sein, eine Beschwerde wegen fehlenden Gemeinschaftsinteresses zurückzuweisen (siehe insbesondere Randnr. 95 des Rechtsmittelurteils).

24.

Zum einen beziehe sich Artikel 86 des Vertrages zwangsläufig auf Sachverhalte in der Vergangenheit (Schlußanträge des Generalanwalts zum Rechtsmittelurteil, Nrn. 68 und 71, und Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1998 in den Rechtssachen C-68/94 und C-30/95, Frankreich u. a./Kommission, Slg. 1998, I-1375, Randnrn. 179 f.). Wenn man der Anwendung des Artikels 86 des Vertrages allein aufgrund des Umstands entgehen könnte, daß die rechtswidrigen Handlungen in der Vergangenheit lägen, bräuchte ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung nur seine Verhaltensweisen einzustellen, um sich der Straflosigkeit zu versichern (Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1994, II-755, Randnr. 29).

25.

Zum anderen gehe es bei Artikel 86 des Vertrages um die Verstöße und ihre Wirkungen. Eine Einstellung der fraglichen Verhaltensweisen könne daher das durch sie gestörte wettbewerbliche Gleichgewicht nicht wiederherstellen. Die Kommission habe sich zu vergewissern, daß durch die Einstellung der Verhaltensweisen deren wettbewerbswidrige Wirkungen aufgehoben worden seien, damit nicht verfälschte Wettbewerbsverhältnisse bestehen blieben.

26.

Die hier vorliegenden Umstände zeigten jedoch die fortdauernden Wirkungen und die Schwere der beanstandeten Zuwiderhandlungen. Die fortdauernden Wirkungen ergäben sich aus dem Marktanteil, den die SMFI aufgrund der rechtswidrigen Quersubventionen durch die Post in zwei Jahren erworben und gehalten habe. Dadurch werde die Wettbewerbsstruktur beeinträchtigt. Zur Schwere der gerügten Verstöße führen die Kläger an, daß diese von 1986 bis 1991 angedauert hätten, und verweisen auf verschiedene Gutachten (Gutachten Braxton von 1990, Gutachten RSV vom Mai 1993 und Gutachten Bain von 1996), die die Bedeutung der Zuwiderhandlungen beziffert hätten. Ferner könne die gemeinschaftsbezogene Dimension der betroffenen Marktes nicht bestritten werden (Schlußanträge des Generalanwalts zum Rechtsmittelurteil, Nr. 79).

27.

Hätte die Kommission daher die vom Gerichtshof im Rechtsmittelurteil geforderten Überprüfungen vorgenommen, hätte sie zwangsläufig vom Vorliegen eines Gemeinschaftsinteresse ausgehen müssen.

28.

Schließlich weisen die Kläger darauf hin, daß das wettbewerbliche Gleichgewicht nicht schon dadurch wiederhergestellt werden könne, daß ein innerstaatliches Gericht dem Unternehmen, das Opfer rechtswidriger Praktiken geworden sei,Schadensersatz zubillige. Das Tätigwerden der Kommission bezwecke nämlich die Erhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs und dementsprechend den Schutz des Allgemeininteresses. Hingegen ziele die Zubilligung von Schadensersatz auf den Schutz der Individualinteressen der Wettbewerber ab. Darüber hinaus handele es sich bei der Entschädigung, die die Post den Klägern schulde, und den rechtswidrigen Quersubventionen, die die SMFI an die Post zurückzahlen müsse, um Beträge völlig unterschiedlicher Größenordnung. Allein die fragliche Rückzahlung und nicht die Schadensersatzleistung könne zur Wiederherstellung unverfälschter Wettbewerbsverhältnisse führen.

29.

Nach Ansicht der Kommission beruht die Argumentation der Kläger auf einer fehlerhaften Auslegung des Rechtsmittelurteils.

30.

Nach diesem Urteil sei eine Entscheidung, mit der eine Beschwerde zurückgewiesen werde, nichtig, wenn sie allein auf die Feststellung gestützt sei, daß die vom Beschwerdeführer beanstandeten Praktiken eingestellt worden seien, ohne daß die möglicherweise fortdauernden Wirkungen und die Schwere der geltend gemachten Zuwiderhandlung geprüft worden seien. Dies sei aber bei der angefochtenen Entscheidung nicht der Fall.

31.

Sie sei selbst der Auffassung, daß die Einstellung wettbewerbswidriger Praktiken kein hinreichender Grund für die Zurückweisung einer Beschwerde sei. Insbesondere könnten fortdauernde wettbewerbswidrige Wirkungen es rechtfertigen, eine Untersuchung über eine vergangene Zuwiderhandlung fortzuführen. Sie verfüge jedoch insofern über einen Ermessensspielraum, als es ihr obliege, zu beurteilen, ob die Schwere dieser Wirkungen die Fortführung der Untersuchung rechtfertige. In der vorliegenden Rechtssache habe sie keinesfalls die Ansicht vertreten, die Einstellung einer angeblich vertragswidrigen Verhaltensweise an sich habe zum Wegfall jeglichen Interesses an der Fortführung der Untersuchung geführt.

32.

Das Fehlen des Gemeinschaftsinteresses folge vielmehr insbesondere daraus, daß die im Zusammenhang mit der Sache GD Net getroffenen Maßnahmen eine Lösung der Probleme für den gegenwärtigen und zukünftigen Wettbewerb im fraglichen Sektor ermöglicht hätten. Auch wenn die gerügten Verhaltensweisen vor ihrer Einstellung einen Mißbrauch einer beherrschenden Stellung dargestellt hätten, hätten sie doch die Entwicklung eines unverfälschten Wettbewerbs im fraglichen Sektor nicht verhindert. Ihr könne daher nicht vorgeworfen werden, die mögliche Fortdauer wettbewerbswidriger Wirkungen der beanstandeten Praktiken nicht geprüft zu haben.

33.

Die Berücksichtigung der Fortdauer besagter Wirkungen lasse sich auch dem in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Hinweis entnehmen, die Untersuchung der Beschwerde bezwecke oder bewirke lediglich, den individuellen Interessen der Parteien zu dienen. Diese Schlußfolgerung zeige nämlich, daß sie unterBerücksichtigung der ihr vorgetragenen Gesichtspunkte zu der Auffassung gelangt sei, daß die beanstandeten Praktiken keine solchen Auswirkungen mehr auf den Wettbewerb hätten, daß ein Gemeinschaftsinteresse an einer Fortführung der Untersuchung gegeben sei.

34.

Ferner habe sie am 28. Oktober 1994 den Klägern mitgeteilt, daß die von ihnen beanstandeten Probleme für den gegenwärtigen und zukünftigen Wettbewerb geregelt worden seien. Die Kläger hätten nicht auf dieses Schreiben hin substantiiert, daß die fraglichen Praktiken andauerten oder weiterhin Wirkungen zeitigten, so daß eine Fortführung der Untersuchung gerechtfertigt gewesen wäre (Urteil des Gerichts vom 27. November 1997 in der Rechtssache T-224/95, Tremblay u. a./Kommission, Slg. 1997, II-2215, Randnrn. 62 bis 64).

Würdigung durch das Gericht

35.

Bei diesem Klagegrund geht es im wesentlichen darum, ob die Kommission ihren Pflichten im Rahmen der Behandlung der von den Klägern eingereichten Beschwerde nachgekommen ist.

36.

Die Pflichten der Kommission bei Behandlung einer Beschwerde nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 (Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages; ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) sind durch eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts umschrieben worden, die zuletzt durch das Rechtsmittelurteil bestätigt worden ist (Randnrn. 86 ff.).

37.

Danach muß die Kommission alle ihr von den Beschwerdeführern zur Kenntnis gebrachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte aufmerksam prüfen, um festzustellen, ob diese eine Verhaltensweise erkennen lassen, die geeignet ist, den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu verfälschen und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (Urteil des Gerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-24/90, Automec/Kommission, Slg. 1992, II-2223, Randnr. 79). Ferner haben die Beschwerdeführer einen Anspruch darauf, über das Ergebnis ihrer Beschwerde durch eine Entscheidung der Kommission unterrichtet zu werden, gegen die Klage erhoben werden kann (Rechtsmittelurteil, Randnr. 86, und die dort zitierte Rechtsprechung).

38.

Jedoch ist die Kommission nur dann verpflichtet, eine Untersuchung durchzuführen oder eine abschließende Entscheidung über das Vorliegen der geltend gemachten Zuwiderhandlung zu treffen, wenn die Beschwerde dem Gegenstand nach in ihre ausschließliche Zuständigkeit fällt. Da es in der vorliegenden Rechtssache um die Anwendung des Artikels 86 des Vertrages geht, für die die Kommission und die nationalen Behörden gemeinsam zuständig sind, liegt ein solcher Fall jedoch nicht vor (Rechtsmittelurteil, Randnr. 87, Urteil des Gerichts vom 24. Januar 1995 in der Rechtssache T-5/93, Tremblay u. a./Kommission, Slg. 1995, II-185, Randnrn. 59 und 61, sowie die dort zitierte Rechtsprechung und Urteil des Gerichts vom 16.Dezember 1999 in der Rechtssache T-198/98, Micro Leader Business/Kommission, Slg. 1999, II-3989, Randnr. 27).

39.

Die Kommission, der es nach Artikel 89 Absatz 1 des Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 85 Absatz 1 EG) obliegt, auf die Verwirklichung der in den Artikeln 85 (jetzt Artikel 81 EG) und 86 des Vertrages niedergelegten Grundsätze zu achten, hat die Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft festzulegen und gemäß ihrer Ausrichtung durchzuführen. Um der wirksamen Erledigung dieser Aufgabe willen darf sie den ihr vorliegenden Beschwerden unterschiedliche Priorität zuweisen (Rechtsmittelurteil, Randnr. 88).

40.

Daraus ergibt sich, daß die Kommission nicht nur befugt ist, bei der Prüfung der Beschwerden unterschiedliche Prioritäten zu setzen, sondern eine Beschwerde auch wegen mangelnden Gemeinschaftsinteresses an der Fortführung der Untersuchung der Sache zurückzuweisen (Urteil Tremblay u. a./Kommission vom 24. Januar 1995, Randnr. 60).

41.

Was schließlich die Würdigung des Gemeinschaftsinteresses an der Fortführung der Untersuchung einer Sache anbelangt, hat die Kommission die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und insbesondere den Grad der möglichen Beeinträchtigung des Funktionierens des Gemeinsamen Marktes durch das beanstandete Verhalten, die Wahrscheinlichkeit, eine Zuwiderhandlung nachweisen zu können, und das Ausmaß der erforderlichen Untersuchungsmaßnahmen so gegeneinander abzuwägen, daß sie ihre Aufgabe, die Einhaltung der Artikel 85 und 86 des Vertrages zu überwachen, bestmöglich erfüllen kann (Urteile des Gerichts vom 13. Dezember 1999 in den Rechtssachen T-189/95, T-39/96 und T-123/96, SGA/Kommission, Slg. 1999, II-3587, Randnr. 52, und vom 21. Januar 1999 in den Rechtssachen T-185/96, T-189/96 und T-190/96, Riviera Auto Service u. a./Kommission, Slg. 1999, II-93, Randnr. 46, Urteil Automec/Kommission, Randnr. 86, und Urteil Tremblay u. a./Kommission vom 24. Januar 1995, Randnr. 62).

42.

Das Ermessen der Kommission bei der Prioritätensetzung ist jedoch nicht unbegrenzt (Rechtsmittelurteil, Randnrn. 89 bis 95). So unterliegt die Kommission einer Begründungspflicht, wenn sie die weitere Prüfung einer Beschwerde ablehnt. Dabei muß die Begründung so genau und detailliert sein, daß das Gericht die Ausübung der Ermessensbefugnis der Kommission zur Festlegung der Prioritäten wirksam überprüfen kann. Diese Überprüfung ist darauf gerichtet, ob die streitige Entscheidung nicht auf unzutreffenden Tatsachen beruht und weder einen Rechtsfehler noch einen offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einen Ermessensmißbrauch aufweist (Urteile Automec/Kommission, Randnr. 80, SGA/Kommission, Randnr. 41, und Micro Leader Business/Kommission, Randnr. 27).

43.

Im übrigen hat der Gerichtshof im Rechtsmittelurteil (Randnr. 92) betont, daß die Kommission bei einer Entscheidung über die Prioritäten bei der Behandlung der ihr vorliegenden Beschwerden nicht bestimmte Situationen, die unter die ihr durch den Vertrag zugewiesene Aufgabe fallen, als von vornherein von ihrem Tätigkeitsbereich ausgeschlossen ansehen darf. Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt:

"93 In diesem Zusammenhang hat sich die Kommission in jedem Fall ein Urteil über die Schwere der geltend gemachten Beeinträchtigungen des Wettbewerbs und deren fortdauernde Wirkungen zu bilden. Diese Verpflichtung ist insbesondere darauf gerichtet, die Dauer und das Gewicht der beanstandeten Zuwiderhandlungen sowie deren Auswirkung auf die Wettbewerbsverhältnisse in der Gemeinschaft zu berücksichtigen.

94 Dauern wettbewerbswidrige Wirkungen nach der Einstellung der sie verursachenden Praktiken fort, so ist die Kommission somit nach den Artikeln 2, 3 Buchstabe g und 86 EG-Vertrag weiterhin dafür zuständig, zu ihrer Beseitigung oder Neutralisierung tätig zu werden (siehe in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 1973 in der Rechtssache 6/72, Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973, 215, Randnrn. 24 f.).

95 Die Kommission darf also nicht unter Berufung auf die bloße Tatsache, daß angeblich vertragswidrige Praktiken eingestellt worden sind, die Behandlung einer diese Praktiken beanstandenden Beschwerde wegen fehlenden Gemeinschaftsinteresses einstellen, ohne festgestellt zu haben, daß keine wettbewerbswidrigen Wirkungen fortdauern und daß der Beschwerde kein Gemeinschaftsinteresse aufgrund der Schwere der geltend gemachten Beeinträchtigungen des Wettbewerbs oder von deren fortdauernden Wirkungen zukommt.

96 Nach alledem ist festzustellen, daß das Gericht von einer irrigen Auffassung über die Aufgabe der Kommission auf dem Gebiet des Wettbewerbs ausgegangen ist, als es, ohne sich der Feststellung zu vergewissern, daß die wettbewerbswidrigen Wirkungen nicht andauerten und gegebenenfalls der Beschwerde nicht ihretwegen ein Gemeinschaftsinteresse zukommt, entschied, daß die Untersuchung einer Beschwerde über vergangene Zuwiderhandlungen nicht der der Kommission durch den Vertrag übertragenen Aufgabe entspreche, sondern im wesentlichen dazu diene, es den Beschwerdeführern zu erleichtern, zur Erlangung von Schadensersatz vor den nationalen Gerichten ein Fehlverhalten zu beweisen."

44.

Aus diesen Ausführungen folgt, daß die Kommission nach Einreichung der Beschwerde durch das SFEI über Verstöße gegen Artikel 86 des Vertrages gehalten war, sich auf der Grundlage aller vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte ein Urteil über die Schwere und die Dauer der geltend gemachten Zuwiderhandlungen und über die mögliche Fortdauer von derenWirkungen zu bilden; dies gilt auch dann, wenn die angeblich mißbräuchlichen Praktiken nach Einreichung der Beschwerde eingestellt wurden.

45.

In diesem Zusammenhang hatte die Kommission insbesondere zu prüfen, ob die Einstellung der beanstandeten Praktiken zwangsläufig zum endgültigen Verschwinden der gerügten Wettbewerbsverzerrungen führte oder ob ein wettbewerbliches Ungleichgewicht - der Erhalt der von der SMFI durch angeblich vertragswidrige Praktiken erworbenen Stellung - bestehen blieb. Die Kommission mußte sich also vergewissern, ob die wettbewerbswidrigen Wirkungen der genannten Praktiken auf dem betroffenen Markt noch andauerten.

46.

Es ist zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung den erwähnten Anforderungen entspricht.

47.

In dieser Entscheidung weist die Kommission nach einer Schilderung der verschiedenen Etappen des Verwaltungsverfahrens darauf hin, daß keine ausreichenden Nachweise für eine Fortdauer der Zuwiderhandlungen vorlägen, so daß dem Antrag nicht stattgegeben werden könne (Absatz 5). Zur Stützung ihrer Schlußfolgerung beruft sich die Kommission auf das Grünbuch über die Entwicklung des Binnenmarktes für Postdienste und die Leitlinien für die Entwicklung der gemeinschaftlichen Postdienste. Sie betont, daß "diese Dokumente nur Vorschläge für das künftige Recht enthalten", die dazu dienen sollen, eine "rechtliche Regelung für den künftigen Markt für Postdienste" zu schaffen (Absatz 6).

48.

Die Kommission stützt sich außerdem auf ihre Entscheidung "GD Net" vom 2. Dezember 1991, mit der sie die Bildung eines auf dem Gebiet der internationalen Eilkurierdienste tätigen Gemeinschaftsunternehmens durch mehrere Postverwaltungen, darunter die Post, für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärte (Absatz 7). Sie führt mehrere Punkte dieser Entscheidung an, nämlich die Einschränkung des ausschließlichen Zugangs der SMFI zu den Anlagen der Post, der "auf zwei Jahre nach Vollendung des Zusammenschlusses befristet" worden sei, und die Verpflichtung der Post, anderen Kurierdiensten, mit denen sie in einer Vertragsbeziehung stehe, Zugangsrechte anzubieten, die den der SMFI eingeräumten entsprächen (Absatz 8). Ferner betont die Kommission, daß dieses Ergebnis in jeder Hinsicht den vom SFEI für die Zukunft vorgeschlagenen Lösungen entspreche (Absatz 9).

49.

Hier ist festzustellen, daß weder den erwähnten Absätzen der angefochtenen Entscheidung noch der Entscheidung GD Net zu entnehmen ist, daß sich die Kommission ein Urteil über die Schwere und die Dauer der mit der Beschwerde geltend gemachten Zuwiderhandlungen und die mögliche Fortdauer ihrer Wirkungen gebildet hat. In der angefochtenen Entscheidung geht es nämlich allein um die zukünftige Entwicklung des fraglichen Marktes, von der die Kommissiongeltend macht, sie im Grünbuch, in den Leitlinien und in der Entscheidung GD Net analysiert zu haben.

50.

Unter diesen Umständen muß der als Schlußfolgerung präsentierte Absatz 10 der angefochtenen Entscheidung, wonach die "Probleme für den gegenwärtigen und künftigen Wettbewerb auf dem Gebiet der internationalen Eilkurierdienste ... also offensichtlich durch die von der Kommission nunmehr getroffenen Maßnahmen in angemessener Weise geregelt worden" sind, als eine nicht belegte Behauptung betrachtet werden. Da die ersten neun Absätze der angefochtenen Entscheidung sich allein zur zukünftigen Entwicklung des fraglichen Marktes äußern, kann auf sie keine Feststellung zum "gegenwärtigen Wettbewerb" gestützt sein.

51.

Auch den folgenden Absätzen der angefochtenen Entscheidung läßt sich nicht entnehmen, daß die Kommission den Pflichten nachgekommen ist, die ihr im Rahmen der Behandlung der Beschwerde obliegen. Sie beschränkt sich darauf, die Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, daß sie eine neue Beschwerde erheben könnten, wenn sie der Auffassung sein sollten, daß die Post die ihr in der Entscheidung GD Net auferlegten Bedingungen nicht eingehalten habe (Absatz 11), und daß sie neue Informationen über etwaige Verstöße gegen Artikel 86 des Vertrages beibringen könnten (Absatz 2).

52.

Die Kommission hat es im vorliegenden Fall somit unterlassen, sich ein Urteil über die Schwere und die Dauer der geltend gemachten Zuwiderhandlungen und die mögliche Fortdauer ihrer Wirkungen zu bilden. Indem sie sich schließlich nicht für verpflichtet hält, vergangene Zuwiderhandlungen zu untersuchen, wenn eine solche Untersuchung nur bezweckt oder bewirkt, daß den individuellen Interessen der Parteien gedient wird (Absatz 13), hat sie ihre Aufgabe im Bereich des Wettbewerbs verkannt. Diese bestand zwar nicht darin, sich darum zu bemühen, alle Voraussetzungen für den Ersatz des angeblich von einem oder mehreren Unternehmen erlittenen finanziellen Schadens zu schaffen; sie hätte aber auf die Beschwerde eines Verbandes hin, der beinahe alle auf dem fraglichen Markt tätigen französischen Privatunternehmen vertritt, für eine unverfälschte Wettbewerbslage sorgen müssen.

53.

Nach alledem hat die Kommission dadurch gegen die Pflichten, die ihr im Rahmen der Behandlung einer Beschwerde wegen Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung obliegen, verstoßen, daß sie die Behandlung der Beschwerde auf der Grundlage der in der angefochtenen Entscheidung dargelegten Gesichtspunkte wegen fehlenden Gemeinschaftsinteresses eingestellt hat.

54.

Die Vertreter der Kommission haben zwar gegenüber dem Gericht erklärt, daß die Würdigung der geltend gemachten Zuwiderhandlungen und der möglichen Fortdauer ihrer Wirkungen tatsächlich erfolgt sei. Diese Erklärung kann aber die oben durchgeführte Würdigung der angefochtenen Entscheidung nicht in Frage stellen. Eine Entscheidung muß nämlich aus sich heraus verständlich sein und ihre Begründung darf nicht erst später, wenn die Entscheidung bereits Gegenstand einerKlage vor dem Gemeinschaftsrichter ist, schriftlich oder mündlich nachgeholt werden (siehe z. B. Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-16/91 RV, Rendo u. a./Kommission, Slg. 1996, II-1827, Randnr. 45, und sinngemäß Urteil des Gerichts vom 6. April 2000 in der Rechtssache T-188/98, Kuijer/Rat, Slg. 2000, II-0000, Randnrn. 38 und 43).

55.

Die angefochtene Entscheidung ist daher für nichtig zu erklären, ohne daß der Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 86 des Vertrages und der hilfsweise geltend gemachte Klagegrund eines Ermessensmißbrauchs zu prüfen wären.

Kostenentscheidung:

Kosten

56.

Das Urteil des Gerichts vom 15. Januar 1997, in dem die Kläger zur Tragung der Kosten verurteilt worden sind, ist aufgehoben worden. In seinem Rechtsmittelurteil hat der Gerichtshof die Kostenentscheidung vorbehalten. Somit hat das Gericht im vorliegenden Urteil über sämtliche im Rahmen der verschiedenen Verfahren angefallenen Kosten zu entscheiden.

57.

Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr dem Antrag der Kläger gemäß sämtliche vor dem Gericht und dem Gerichtshof angefallenen Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Entscheidung SG (94) D/19144 der Kommission vom 30. Dezember 1994, mit der die Beschwerde des Syndicat français de l'express international vom 21. Dezember 1990 zurückgewiesen wurde, wird für nichtig erklärt.

2. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten und sämtliche Kosten der Kläger im Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof.

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. Mai 2000.

Ende der Entscheidung

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