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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 27.02.1992
Aktenzeichen: T-79/89
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Grundsatz der Unantastbarkeit des von der zuständigen Behörde beschlossenen Rechtsakts stellt sowohl für die Gemeinschaftsorgane wie für die Rechtssubjekte, deren rechtliche und sachliche Lage von einer Entscheidung dieser Organe berührt wird, einen wesentlichen Faktor der Rechtssicherheit und der Stabilität der Rechtslagen in der Gemeinschaftsrechtsordnung dar. Nur die strikte, uneingeschränkte Beachtung dieses Grundsatzes erlaubt die Gewißheit, daß der einmal beschlossene Rechtsakt nur unter Beachtung der Zuständigkeits- und Verfahrensregeln geändert werden kann und daß folglich der zugestellte oder veröffentlichte Rechtsakt eine exakte Abschrift des beschlossenen Rechtsakts darstellt, die damit den Willen der zuständigen Behörde getreu wiedergibt.

Änderungen der Begründung einer Entscheidung, die weder orthographischer noch syntaktischer Art sind, machen die gesamte geänderte Entscheidung rechtswidrig, weil solche Änderungen einerseits dem Artikel 190 EWG-Vertrag die praktische Wirksamkeit nehmen und andererseits die Begründung beeinträchtigen, auf der der verfügende Teil einer Entscheidung notwendigerweise beruht. Das gilt erst recht für Änderungen des verfügenden Teils eines solchen Rechtsakts. Solche Änderungen betreffen nämlich unmittelbar den Umfang der den Adressaten im geänderten Rechtsakt möglicherweise auferlegten Pflichten oder eingeräumten Rechte.

2. Eine Entscheidung, mit der ein Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag festgestellt wird, mit der mehreren Unternehmen Verpflichtungen und erhebliche Geldbussen auferlegt werden und die insoweit ein vollstreckbarer Titel ist, berührt die Rechte und Pflichten dieser Unternehmen und ihr Vermögen erheblich. Die Annahme einer solchen Entscheidung in der verbindlichen Sprache lässt sich somit nicht als schlichte Maßnahme der Geschäftsführung oder der Verwaltung ansehen, die ein einzelnes Mitglied der Kommission aufgrund einer Ermächtigung erlassen könnte, ohne daß das in Artikel 27 der Geschäftsordnung der Kommission ausdrücklich anerkannte Kollegialprinzip unmittelbar verletzt würde.

3. Ein Mitglied der Kommission kann die Begleitschreiben zu der von der Kommission angenommenen Entscheidung, mit der ein Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag festgestellt wird, zum Zwecke ihrer Zustellung an die Adressaten und ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften unter den Voraussetzungen des Artikels 12 Absatz 3 der Geschäftsordnung der Kommission unterzeichnen. Eine solche - am letzten Tag der Amtszeit eines Mitglieds der Kommission geleistete - Unterschrift reinigt jedoch den Rechtsakt nicht vom Mangel der Unzuständigkeit, wenn feststeht, daß dieser erst nach Ablauf der Amtszeit des Mitglieds der Kommission fertiggestellt wurde. Ein Rechtsakt, der von keiner zuständigen Stelle handschriftlich unterzeichnet wurde und bei dem die Beweisaufnahme ergeben hat, daß er erst nach Ablauf der Amtszeit des Mitglieds der Kommission endgültig erstellt wurde, ist deshalb wegen fehlender Zuständigkeit der ihn erlassenden Stelle in zeitlicher Hinsicht rechtswidrig.

4. Natürliche und juristische Personen können sich zur Begründung einer Nichtigkeitsklage gegen einen Rechtsakt eines Organs auf einen Verstoß gegen dessen Geschäftsordnung berufen, wenn die Bestimmungen, deren Verletzung gerügt wird, für diese Personen Quelle von Rechten und ein Faktor der Rechtssicherheit sind. So verhält es sich bei den Artikeln 10 und 12 der Geschäftsordnung der Kommission, die Bestimmungen über die Erstellung, die Annahme und die Ausfertigung von Gemeinschaftsrechtsakten enthalten.

5. Lässt sich weder mit hinreichender Sicherheit feststellen, von welchem Zeitpunkt an ein Rechtsakt Rechtswirkungen zeitigen kann und folglich Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist, noch aufgrund späterer Änderungen mit Gewißheit der genaue Inhalt der Begründung erfassen, die der Rechtsakt gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag enthalten muß, noch unzweideutig der Umfang der Verpflichtungen, die er seinen Adressaten auferlegt, noch auch nur deren Bezeichnung bestimmen und überwachen, noch mit Sicherheit feststellen, wer die endgültige Fassung erstellt hat, und steht zudem fest, daß bei dem Rechtsakt das gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Ausfertigungsverfahren völlig missachtet wurde und das Verfahren nach Artikel 192 Absatz 2 EWG-Vertrag nicht durchgeführt werden kann, so kann dieser Rechtsakt nicht als Entscheidung im Sinne des Artikels 189 EWG-Vertrag betrachtet werden.

Für einen Rechtsakt, der mit solchen besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet ist, gilt die Gültigkeitsvermutung nicht mehr, die nach Gemeinschaftsrecht für jede Verwaltungshandlung gilt; er ist als inexistent zu betrachten. Ein solcher Rechtsakt erzeugt keine Rechtswirkungen; er kann ausserhalb der Klagefristen angefochten werden.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ZWEITE KAMMER) VOM 27. FEBRUAR 1992. - BASF AG UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - BEGRIFF DER ABSPRACHE UND DER ABGESTIMMTEN VERHALTENSWEISE - VERFAHREN - ZUSTAENDIGKEIT - GESCHAEFTSORDNUNG DER KOMMISSION - INEXISTENZ DES RECHTSAKTS. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN T-79/89, T-84/89, T-85/89, T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89 UND T-104/89.

Entscheidungsgründe:

Der Sachverhalt, die angefochtene Entscheidung und der allgemeine Verfahrensablauf

1 Nachdem Beamte der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Kommission) am 13. und 14. Oktober 1983 gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 - Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204, nachfolgend: Verordnung Nr. 17) eine Nachprüfung in bezug auf Polypropylen vorgenommen hatten, legte diese eine besondere Akte für Polyvinylchlorid (PVC) an; in der Folge wurden mehrere Nachprüfungen in den Geschäftsräumen der betroffenen Unternehmen vorgenommen und mehrere Auskunftsverlangen an diese gerichtet.

2 Am 24. März 1988 eröffnete die Kommission von Amts wegen das Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 gegen 14 PVC-Hersteller, nämlich die Atochem SA, die BASF AG, die NV DSM und DSM Kunststoffen BV, die Enichem SpA, die Hoechst AG, die Hüls AG, die Imperial Chemical Industries PLC, die NV Limburgse Vinyl Maatschappij, die Montedison SpA, die Norsk Hydro AS, die Société artésienne de vinyle SA, die Solvay et Cie., die Shell International Chemical Company Ltd und die Wacker Chemie GmbH. Am 5. April 1988 wurde allen diesen Unternehmen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) übermittelt. Sämtliche Adressaten beantworteten die Mitteilung der Beschwerdepunkte im Laufe des Juni 1988. Mit Ausnahme der Shell International Chemical Company Ltd, die nicht darum gebeten hatte, wurden sie im Laufe des September 1988 mündlich angehört. Am 1. Dezember 1988 gab der Beratende Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen seine Stellungnahme zu dem Entscheidungsvorschlag der Kommission ab.

3 Am 17. März 1989 wurde im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften die "Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.865, PVC) (89/190/EWG)" veröffentlicht, die den Unternehmen im Februar 1989 zugestellt worden war. Der verfügende Teil der derart zugestellten und veröffentlichten Entscheidung enthält folgende Artikel 1 bis 3:

"Artikel 1

Atochem AS, BASF AG, DSM NV, Enichem SpA, Hoechst AG, Hüls AG, Imperial Chemical Industries plc, Limburgse Vinyl Maatschappij, Montedison SpA, Norsk Hydro AS, Société artésienne de vinyl, Shell International Chemical Co. Ltd, Solvay & Cie und Wacker Chemie GmbH haben gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstossen, indem sie (in den in dieser Entscheidung genannten Zeiträumen) an einer Vereinbarung und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweise beteiligt waren, die etwa im August 1980 beschlossen wurde und auf deren Grundlage die PVC-Hersteller, die die EWG beliefern, an regelmässigen Sitzungen teilnahmen, um Zielpreise und Zielquoten festzusetzen, abgestimmte Initiativen zur Anhebung des Preisniveaus zu planen und die Anwendung der besagten geheimen Vereinbarungen zu kontrollieren.

Artikel 2

Die in Artikel 1 genannten Unternehmen, die nach wie vor auf dem PVC-Sektor in der EWG tätig sind, sind verpflichtet, die festgestellte Zuwiderhandlung unverzueglich abzustellen (falls sie dies noch nicht getan haben) und in Zukunft bezueglich ihrer PVC-Geschäfte von allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Dazu gehört der Austausch von Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen und durch die Teilnehmer direkt oder indirekt über Produktion, Absatz, Lagerhaltung, Verkaufspreise, Kosten oder Investitionspläne anderer Hersteller informiert oder aufgrund derer sie in die Lage versetzt werden, die Befolgung ausdrücklicher oder stillschweigender Preis- oder Marktaufteilungsabsprachen innerhalb der Gemeinschaft zu kontrollieren. Ein Verfahren zum allgemeinen Austausch von den PVC-Sektor betreffenden Informationen, dem sich die Hersteller anschließen, muß unter Ausschluß sämtlicher Informationen geführt werden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten lässt, insbesondere dürfen die Unternehmen untereinander keine zusätzlichen wettbewerbsrelevanten Informationen austauschen, die ein solches System nicht erfasst.

Artikel 3

Gegen die in dieser Entscheidung genannten Unternehmen werden wegen des in Artikel 1 festgestellten Verstosses folgende Geldbussen festgesetzt:

i) Atochem SA: eine Geldbusse von 3 200 000 ECU;

ii) BASF AG: eine Geldbusse von 1 500 000 ECU;

iii) DSM NV: eine Geldbusse von 600 000 ECU;

iv) Enichem SpA: eine Geldbusse von 2 500 000 ECU;

v) Hoechst AG: eine Geldbusse von 1 500 000 ECU;

vi) Hüls AG: eine Geldbusse von 2 200 000 ECU;

vii) Imperial Chemical Industries plc: eine Geldbusse von 2 500 000 ECU;

viii) Limburgse Vinyl Maatschappij: eine Geldbusse von 750 000 ECU;

ix) Montedison SpA: eine Geldbusse von 1 750 000 ECU;

x) Norsk Hydro AS: eine Geldbusse von 750 000 ECU;

xi) Société artésienne de vinyl: eine Geldbusse von 400 000 ECU;

xii) Shell International Chemical Company Ltd: eine Geldbusse von 850 000 ECU;

xiii) Solvay et Cie: eine Geldbusse von 3 500 000 ECU;

xiv) Wacker Chemie GmbH: eine Geldbusse von 1 500 000 ECU."

4 Alle von der Entscheidung betroffenen Unternehmen mit Ausnahme von Solvay et Cie. haben Klagen beim Gerichtshof erhoben, die in der Zeit vom 30. März 1989 (BASF AG) bis zum 25. April 1989 (Norsk Hydro AS) in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen worden sind. Mit Beschlüssen vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof die Rechtssachen gemäß Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften an dieses verwiesen.

5 Mit Beschluß vom 19. Juni 1990 hat das Gericht (Zweite Kammer) die Klage der Norsk Hydro AS wegen Verspätung für unzulässig erklärt. Gegen diesen Beschluß wurde ein Rechtsmittel zum Gerichtshof eingereicht, das später zurückgenommen und folglich aus dem Register gestrichen wurde.

6 Nach Abschluß des schriftlichen Verfahrens mit der Einreichung der Gegenerwiderungen der Kommission in der Zeit vom 29. Juni 1990 bis zum 5. November 1990 sind die Rechtssachen T-79/89, T-84/89, T-85/89, T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89 und T-104/89 durch Beschluß des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts vom 11. Juli 1991 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden worden. Am 11. Juli 1991 hat eine gemäß Artikel 64 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichts einberufene Sitzung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung stattgefunden. Das Gericht (Zweite Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters die mündliche Verhandlung eröffnet und bestimmte prozeßleitende Maßnahmen angeordnet.

7 Die mündliche Verhandlung hat vom 18. bis zum 22. November 1991 und am 10. Dezember 1991 stattgefunden. In ihrem Verlauf hat das Gericht mit Beschluß vom 19. November 1991 der Kommission aufgegeben, bis spätestens 22. November 1991 bestimmte Unterlagen vorzulegen. Mit Beschluß vom 22. November 1991 wurde diese Frist bis zum 5. Dezember 1991 verlängert.

8 Das Gericht hält es, nachdem es die Parteien hierzu in der mündlichen Verhandlung gehört hat, für angebracht, sämtliche genannten Rechtssachen zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.

Die Anträge der Parteien

9 Die Parteien beantragen im wesentlichen,

- die Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.865, PVC) für nichtig zu erklären, hilfsweise, die gegen sie in Artikel 3 der genannten Entscheidung festgesetzte Geldbusse aufzuheben oder herabzusetzen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;

- die Montedison SpA beantragt weiter, die Kommission zum einen zum Ersatz der im Laufe des Verwaltungsverfahrens entstandenen Kosten und zum anderen zum Ersatz des aus der Durchführung der angefochtenen Entscheidung entstandenen Schadens zu verurteilen.

10 Die Kommission beantragt,

- die Klage der Shell International Chemical Company Ltd als verspätet und damit unzulässig abzuweisen,

- die Klagen als unbegründet abzuweisen,

- den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Maßnahmen der Prozeßleitung und der Beweisaufnahme, die das Gericht angeordnet hat

A - Das schriftliche Vorbringen der Parteien, das das Gericht zum Beschluß der prozeßleitenden Maßnahme vom 11. Juli 1991 veranlasst hat

11 Unter Punkt A V. ihrer Klageschrift (Verletzung der Begründungspflicht zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung) macht die BASF AG unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofes vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 131/86 (Vereinigtes Königreich/Rat, "Legehennen", Slg. 1988, 905) geltend, Artikel 190 EWG-Vertrag verpflichte die Kommission, bei Erlaß einer Entscheidung auch die Gründe zu beschließen, die deren integraler Bestandteil seien. Die Klägerin folgert hieraus, es fehle an einer wirksamen Entscheidung, wenn eine Entscheidung ohne jede oder ohne ausreichende oder ohne vollständig fertiggestellte Begründung ergangen sei oder wenn die Begründung einer Entscheidung nachträglich geändert worden sei.

12 Im vorliegenden Fall sei die angefochtene Entscheidung auf den 21. Dezember 1988 datiert. Das Anschreiben, mit dem die Entscheidung übermittelt worden sei, trage das Datum vom 5. Januar 1989 und sei unterzeichnet "für die Kommission P. Sutherland, Mitglied der Kommission". Die Beklagte habe aber der Klägerin am 21. Dezember 1988 ein Fernschreiben geschickt, in dem sie behaupte, sie habe am 22. Dezember 1988 eine Entscheidung erlassen. Es möge sein, daß es sich hierbei um einen Schreibfehler handele; fest stehe jedenfalls, daß am 21. Dezember 1988 die Entscheidung entweder keine oder eine andere Begründung gehabt habe als die, die der Klägerin zugestellt worden sei. Das ergebe sich aus folgendem: Bei einem Versuch der Klägerin, zwischen dem 21. Dezember 1988 und dem 3. Februar 1989, dem Tag der Zustellung der Entscheidung, eine offizielle Zustellung der Entscheidung zu bekommen, sei ihr von Beamten der Kommission mitgeteilt worden, es gebe keinen fertiggestellten Text in deutscher Sprache; infolgedessen könne man ein Zustellung nicht vornehmen. Allein die Zeitspanne zwischen der Beschlußfassung über die Entscheidung und deren Zustellung beweise, daß eine inhaltliche Überarbeitung der Gründe der Entscheidung durchgeführt worden sei. Die Entscheidung sei daher nichtig. In ihrer Erwiderung regt die Klägerin an, "die Beklagte möge den deutschen Text vorlegen, wie er der Kommission am 21. Dezember 1988 vorgelegen hat. Alsdann sind sowohl der Gerichtshof wie die Klägerin in der Lage, zu vergleichen, ob zwischen diesem Text und demjenigen, welcher der Klägerin am 3. Februar 1989 ausgehändigt wurde, Unterschiede bestehen, welche über blosse sprachliche Korrekturen hinausgehen."

13 Die Hüls AG macht in ihrer Klage geltend, sie habe Grund zu der Annahme, daß die ihr zugestellte Entscheidung in wesentlichen Punkten von dem Entscheidungsentwurf abweiche, der Grundlage der Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 gewesen sei. Dafür spreche schon rein optisch die Tatsache, daß wesentliche Passagen der Entscheidung nachträglich eingefügt oder korrigiert worden seien. Der Gerichtshof werde deshalb gebeten, der Kommission aufzugeben, "den Entscheidungsvorschlag vom 21. Dezember 1988 zu den Gerichtsakten zu reichen und der Klägerin zur Einsicht zur Verfügung zu stellen, damit überprüft werden kann, ob die Abweichungen sich im zulässigen Rahmen... halten".

14 Die Klägerinnen Wacker Chemie GmbH und Hoechst AG haben in ihrer Klageschrift und ihrer Erwiderung jeweils vorgetragen, daß die in Artikel 190 EWG-Vertrag vorgeschriebene Begründung der Entscheidung die wichtigsten rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen darlegen müsse, auf denen die Entscheidung beruhe. Diese Begründung müsse im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen. Es sei mit Artikel 190 EWG-Vertrag unvereinbar, diese Begründung nachträglich zu ändern, wenn die Änderungen über Berichtigungen orthographischer Art hinausgingen (Urteil des Gerichtshofes vom 23. Februar 1988, a. a. O). Es bestehe in der vorliegenden Rechtssache begründete Veranlassung zu der Annahme, daß diese Verfahrensgrundsätze verletzt worden seien. Es gebe Gerüchte, daß die Entscheidung vor dem 21. Dezember 1988 getroffen worden sei. An diesem Tag hätten die Klägerinnen ein Fernschreiben der Kommission erhalten, das den Tenor der Entscheidung, nicht aber die Begründung enthalte und als Tag der Entscheidung den 22. Dezember 1988 angebe. Weitere Informationen, die die Klägerinnen von anderen Unternehmen, die auch Adressaten der angegriffenen Entscheidung gewesen seien, erhalten hätten, ließen begründete Zweifel daran aufkommen, ob der Beschlußfassung ein vollständiger Entscheidungsvorschlag einschließlich der notwendigen Begründung in der Verfahrenssprache zugrunde gelegen habe. Diese Klägerinnen beantragten deshalb, der Kommission aufzugeben, den Entscheidungsvorschlag vorzulegen, auf dessen Grundlage die Kommission am 21. Dezember 1988 die angegriffene Entscheidung beschlossen habe. Sie entnehmen der Klagebeantwortung der Kommission, daß keine Entscheidung in spanischer, italienischer und niederländischer Sprache angenommen worden sei. Die Entscheidung hätte jedoch in jeder der Sprachen der Adressaten beschlossen werden müssen. Es werde daher "zur Überprüfung des Gerichts gestellt, ob die Entscheidung der Kommission nicht auch auf der Grundlage der entsprechenden Texte ergehen musste". Mit Rücksicht auf die Darlegung des Entscheidungsablaufs durch die Kommission in der Klagebeantwortung ergebe sich weiter die Frage, ob das für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissionsmitglied die Entscheidungen in den weiteren Amtssprachen wirksam habe annehmen können oder angenommen habe. Der letzte Tag der Amtszeit dieses Kommissionsmitglieds sei nämlich auf den 5. Januar 1989 gefallen, während die Übersetzungen in den weiteren Amtssprachen erst elf Tage später dem Generalsekretariat der Kommission vorgelegt worden seien. Die Klägerinnen seien daher der Ansicht, "daß die Entscheidung, die gegenüber allen Adressaten einheitlich ergehen sollte, damit im Ganzen in Frage steht".

15 Die Enichem SpA macht in ihrer Klageschrift geltend, zwischen der Annahme der Entscheidung und ihrer Zustellung sei ein erheblicher Zeitraum verstrichen, so daß der zugestellte und veröffentlichte Text möglicherweise nicht dem beschlossenen entspreche, was die Nichtigkeit der den Parteien zugestellten Entscheidung zur Folge habe. Der Gerichtshof solle der Kommission aufgeben, in der Arbeitssprache der Kommission den Text vorzulegen, auf dessen Grundlage die Entscheidung vom 21. Dezember 1988 getroffen worden sei. Im übrigen sei die Entscheidung vor der Erstellung des endgültigen Protokolls der Anhörung der Klägerinnen durch die Kommission ergangen; dieses sei nämlich erst am 13. Februar 1989 fertiggestellt worden. Folglich habe weder der Beratende Ausschuß noch das Kommissionskollegium noch das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission vom endgültigen Protokoll der Anhörung Kenntnis nehmen können, so daß der Anhörung vor der Kommission jede Bedeutung genommen worden sei.

16 In ihren Klagebeantwortungen und Gegenerwiderungen hebt die Kommission in Beantwortung dieses Vorbringens zunächst hervor, es handele sich um eine völlig ungerechtfertigte Rüge, die keinerlei Grundlage in der Wirklichkeit habe. Die Entscheidungsentwürfe seien dem Kommissionskollegium in sechs Sprachen (Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Niederländisch) vorgelegt worden; aus dem Protokoll der Kommissionssitzung Nr. 945 gehe hervor, daß die Entscheidung auf der Grundlage des deutschen, englischen und französischen Textes angenommen worden sei und daß die Kommission das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied zur Annahme des Textes der Entscheidung in allen anderen Amtssprachen der Gemeinschaft ermächtigt habe; eine solche Ermächtigung entspreche Artikel 27 der Geschäftsordnung, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 23. September 1986 in der Rechtssache 5/85 (Akzo Chemie BV/Kommission, Slg. 1986, 2585, Randnr. 40) entschieden habe. Eine derartige Ermächtigung umfasse notwendigerweise das Recht, eine erforderliche Abgleichung der verschiedenen Sprachfassungen vorzunehmen. Im Anschluß an die Beratung des Kommissionskollegiums seien Übersetzungen in die drei noch nicht verfügbaren Amtssprachen (Dänisch, Griechisch, Portugiesisch) angefertigt worden. Diese Übersetzungen seien dem Generalsekretariat der Kommission am 16. Januar 1989 vorgelegt worden. An diesem Tag seien die verschiedenen, in allen Amtssprachen der Gemeinschaft verfügbaren Fassungen zur Sicherstellung ihrer Übereinstimmung den Rechts- und Sprachsachverständigen unterbreitet worden. Diese Überprüfung sei Ende Januar 1989 abgeschlossen worden. Die Kommission sei selbstverständlich auf Verlangen des Gerichts jederzeit bereit, die von ihr in Bezug genommenen Dokumente vorzulegen. Sie fügt hinzu, daß die Ermächtigung nicht Herrn P. Sutherland namentlich, sondern dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission erteilt worden sei.

17 Angesichts dieses widersprüchlichen schriftlichen Vorbringens war es für das Gericht, um auf die Rügen der Klägerinnen eingehen zu können, notwendig, den den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakt mit dem beschlossenen Rechtsakt zu vergleichen. Mit Rücksicht auf das Beweisangebot der Kommission selbst hat es daher im Rahmen seiner Untersuchungsbefugnis (Urteil des Gerichtshofes vom 23. September 1986, a. a. O.) der Kommission am 11. Juli 1991 als prozeßleitende Maßnahme aufgegeben, das Protokoll der Kommissionssitzung vom 21. Dezember 1988 und den Text der vom Kommissionskollegium angenommenen Entscheidung vorzulegen.

18 Die Kommission hat als Anlagen 4 und 5 zu ihrer am 12. September 1991 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragenen Antwort auf die prozeßleitende Maßnahme zum einen die Seiten 41 bis 43 des französisch abgefassten Protokolls der Sitzung Nr. 945 des Kommissionskollegiums vom 21. Dezember 1988 (Az.: Com(88) PV 945; Anlage 4), andererseits drei Entscheidungsentwürfe vom 14. Dezember 1988 in deutsch, englisch und französisch (Az.: C(88) 2497; Anlage 5) vorgelegt.

19 Im Anschluß daran hat die BASF AG am 24. Oktober 1991 einen Schriftsatz eingereicht, mit dem sie - wie sie erklärte - ihre schriftlich vorgebrachten Rügen stützen und einen vereinfachten Ablauf der mündlichen Verhandlung vorbereiten wollte. Diesem Schriftsatz, der der Beklagten am 29. Oktober 1991 zugestellt wurde, war als Anlage eine vergleichende Tabelle angefügt, in der gewisse, von der BASF AG hervorgehobene Abweichungen zwischen der der Klägerin zugestellten Entscheidung und dem am 12. September 1991 vorgelegten deutschen Entscheidungsentwurf vom 14. Dezember 1988 zusammengestellt worden waren.

B - Das Vorbringen der Parteien in der mündlichen Verhandlung, das das Gericht zum Beweisbeschluß vom 19. November 1991 veranlasst hat

20 In ihrem gemeinsamen Vortrag vom 18. November 1991 haben sämtliche klagenden Unternehmen mit Ausnahme der Shell International Chemical Company Ltd und der Montedison SpA, die sich am gemeinsamen Vortrag nicht beteiligt haben, ausgeführt, daß zwischen zwei Arten von Fehlern der Entscheidung unterschieden werden müsse.

21 Zunächst entbehre der zugestellte Rechtsakt der Rechtsgrundlage, soweit er in seiner italienischen und seiner niederländischen Fassung zugestellt worden sei, da aus den von der Kommission am 12. September 1991 vorgelegten Unterlagen hervorgehe, daß diese Fassungen der angegriffenen Entscheidung allein von dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission angenommen worden seien. Nach Ansicht der Klägerinnen stellt Artikel 27 der Geschäftsordnung der Kommission vom 31. Januar 1963 in seiner aufgrund der Entscheidung 75/461/Euratom, EGKS, EWG der Kommission vom 23. Juli 1975 (ABl. L 199, S. 43) geltenden Fassung, der gemäß Artikel 1 der Entscheidung vom 6. Juli 1967 vorläufig gelte (Geschäftsordnung der Kommission) und dessen erster Absatz sich auf mögliche Ermächtigungen der Mitglieder der Kommission beziehe, keine hierfür geeignete Rechtsgrundlage dar. Die Klägerinnen haben in der mündlichen Verhandlung insbesondere vorgetragen, daß die Praxis der Kommission Artikel 12 Absatz 1 und 2 der Geschäftsordnung der Kommission widerspreche. Da nämlich in Italienisch und Niederländisch keine Entscheidung angenommen worden sei, sei die Beratung nicht durch die Unterschriften des Präsidenten und des Exekutivsekretärs "besiegelt" worden. Die Klägerinnen haben abschließend vorgetragen, die Beachtung des Artikels 12 der Geschäftsordnung der Kommission stelle eine wesentliche Formvorschrift dar, deren Verletzung gemäß Artikel 173 und 174 EWG-Vertrag die Nichtigerklärung der Entscheidung zur Folge habe.

22 An zweiter Stelle haben die Klägerinnen geltend gemacht, zwischen sämtlichen den Klägerinnen zugestellten Rechtsakten und den von der Kommission am 12. September 1991 vorgelegten Schriftstücken, die diese selbst als die angenommene Entscheidung qualifiziere, bestuenden Abweichungen. Neben syntaktischen und orthographischen Berichtigungen ließen sich drei Arten wesentlicher Änderungen unterscheiden. Es handele sich um Ergänzungen auf Seite 6 des zugestellten Rechtsakts, die die deutschen Unternehmen beträfen, um die Einfügung eines neuen Absatzes auf Seite 24 des in deutsch zugestellten Rechtsakts (S. 22 des in englisch zugestellten und S. 23 des in französisch zugestellten Rechtsakts) und um andere Änderungen, die die deutsche Fassung beträfen. Insbesondere unter Berufung auf das zitierte Urteil des Gerichtshofes vom 23. Februar 1988 machen die Klägerinnen geltend, das Verbot, Rechtsakte, die von der zuständigen Behörde beschlossen worden seien, nachträglich zu ändern, gelte unbedingt. Das Vertrauen in die Organe der Gemeinschaft werde im übrigen erschüttert, wenn die Unverbrüchlichkeit dieser Rechtsgrundsätze nicht vorbehaltslos gewährleistet werde.

23 In ihrer Antwort auf diesen Vortrag hat die Kommission am selben Tag, ohne die Einfügung eines neuen Absatzes in Nr. 27 der Gründe der zugestellten Entscheidung zu bestreiten, angeboten, die Rechtmässigkeit dieses Zusatzes durch eine Verweisung auf die Niederschrift einer Sondersitzung der Kabinettschefs der Kommissionsmitglieder vom 19. Dezember 1988 darzulegen. Allerdings könne sie diese Niederschrift angesichts der vertraulichen Informationen, die sie enthalte, nicht zu den Akten reichen. Das Gericht hat der Kommission nahegelegt, entweder von jeder Bezugnahme auf eine Urkunde Abstand zu nehmen, die den Klägerinnen nicht zugänglich gemacht werden könne, oder den Inhalt dieser Urkunde vorzutragen, ohne sie zu den Akten zu reichen.

24 Die Kommission hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Im Anschluß an die Inhaltswiedergabe haben die Klägerinnen sich mit der Antwort der Kommission nicht voll zufriedengestellt erklärt, da sie das streitige Papier nicht kännten, dem ihres Erachtens grosse Bedeutung zukomme. Weiter haben sie die Kommission gefragt, ob die Entscheidung gemäß den Bedingungen von Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission ausgefertigt worden sei; ferner haben sie erklärt, die vorgelegten Auszuege aus den Niederschriften stellten keine angemessene Antwort auf die Fragen des Gerichts dar; schließlich haben sie beantragt, den mit den Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs der Kommission versehenen Text der Entscheidung zu sehen.

25 In ihrem Vortrag vom 19. November 1991 hat die Kommission dargelegt, sie könne weitere Papiere über die dem Gericht bereits vorliegenden hinaus nur auf gerichtlichen Beschluß vorlegen. Daraufhin hat das Gericht mit Beschluß vom 19. November 1991 der Kommission aufgegeben, "eine beglaubigte Abschrift der Urschrift der Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.865, PVC; 89/190/EWG) vorzulegen, wie sie das Kommissionskollegium in seiner Sitzung vom 21. Dezember 1988 beschlossen hat und wie sie gemäß der Geschäftsordnung der Kommission festgestellt wurde, und zwar in den sprachlichen Fassungen, in denen diese Entscheidung gefasst wurde. Die Abschrift muß dem Gericht spätestens am Freitag, dem 22. November 1991, um 12 Uhr vorliegen".

26 Aufgrund dieses Beschlusses hat die Kommission am 21. November 1991 vorgelegt

- die Seiten 41 bis 43 des Protokolls der Sitzung des Kommissionskollegiums, die sie bereits am 12. September 1991 vorgelegt hatte, in einer vom Generalsekretär der Kommission beglaubigten Abschrift (S. 2 bis 4);

- vom Generalsekretär der Kommission beglaubigte Abschriften der Entwürfe der Entscheidung vom 14. Dezember 1988 in deutsch, englisch und französisch (S. 5 bis 148);

- ein Dokument, Az.: SEC(88) 0J 945, Nr. 15, vom 19. Dezember 1988 mit der Überschrift "Note á l' attention de MM. les membres de la Commission" (Note zur Kenntnis der Mitglieder der Kommission), dessen Übereinstimmung mit der Urschrift vom Generalsekretär der Kommission beglaubigt ist (S. 149);

- ein Dokument, bezeichnet: "Anlage III", mit der Überschrift "modifications to be included in point 27 - PVC, in point 34 - LDPE" (Änderungen einzufügen in Nr. 27 - PVC, in Nr. 34 - LDPE) (S. 150);

- ein vom Generalsekretär der Kommission unterzeichnetes Schriftstück folgenden Wortlauts:

"I certify that the attached is a trü copy of the decision of the Commission in case IV/31.865-PVC, as adopted by the Commission at its meeting of 21 December 1988.

The text of the decision comprises the attached documents:

1) pages 41 to 43 of the minutes of the Commission' s meeting of 21 december 1988, COM(88) PV 945;

2) the following documents which were before the Commission at that meeting:

i) document C(88) 2497 of 14 december 1988, being a draft decision, in the three language versions (German, English, French) available to the Commission;

ii) a document entitled 'Modifications to be included in point 27 - PVC, in point 34 - LDPE' and bearing the reference 'ANNEXE III' , which was attached as Annexe III to document SEC(88) 2033 referred to in point 2 of the abovementioned Commission minutes, page 41, being the minutes of the special meeting of the Chefs de cabinet held on 19 December 1988."

(Ich bescheinige, daß die Anlagen eine wahrheitsgemässe Abschrift der Entscheidung der Kommission in der Sache IV/31.865 - PVC darstellen, wie sie von der Kommission auf ihrer Sitzung vom 21. Dezember 1988 beschlossen wurde.

Der Text der Entscheidung umfasst folgende anliegende Dokumente:

1) die Seiten 41 bis 43 des Protokolls der Kommissionssitzung vom 21. Dezember 1988, COM(88) PV 945;

2) die folgenden Dokumente, die der Kommission in dieser Sitzung vorlagen:

i) das Dokument C(88) 2497 vom 14. Dezember 1988, ein Entscheidungsentwurf in den drei der Kommission verfügbaren Sprachfassungen (Deutsch, Englisch, Französisch);

ii) ein Dokument mit der Überschrift "Änderungen einzufügen in Nr. 27 - PVC, in Nr. 34 - LDPE" mit dem Bezug "Anlage III", das als Anlage III dem Papier SEC(88) 2033 beigelegt war, auf das in Punkt 2 des erwähnten Protokolls auf Seite 41 Bezug genommen wird; es handelt sich dabei um die Niederschrift der Sondersitzung der Kabinettschefs vom 19. Dezember 1988.)

27 Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, angesichts des Umzugs am Sitz der Kommission könne sie innerhalb der im Beschluß vom 19. November 1991 gesetzten Frist nur die an diesem Tag zu den Akten gereichten Unterlagen vorlegen; eine Ergänzung sei bis zum 5. Dezember 1991 möglich. Es erging daraufhin Beschluß, daß "angesichts der besonderen Umstände, auf die sich die Kommission beruft,... der Termin, bis zu dem eine beglaubigte Abschrift der Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 vorzulegen [war], auf den 5. Dezember 1991 verschoben [wird]".

28 Am 5. Dezember 1991 hat die Kommission vorgelegt

- die Seiten 41 bis 43 des Protokolls der Sitzung Nr. 945 des Kommissionskollegiums vom 21. Dezember 1988 sowie das Deckblatt dieses Protokolls. Aus diesem ergibt sich zum einen, daß die Seiten 41 bis 43 zum Teil I der Sitzung gehören, dessen Protokoll 60 Seiten umfasst, zum anderen, daß dieses Protokoll am 22. Dezember 1988 vom Kommissionskollegium genehmigt wurde. Dieses erste Blatt ist mit den Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs der Kommission versehen. Die Übereinstimmung der vorgelegten Abschrift mit dem Original ist vom Generalsekretär der Kommission beglaubigt und mit einer amtlichen Siegelmarke der Kommission versehen;

- eine Erklärung des Generalsekretärs der Kommission David F. Williamson vom 5. Dezember 1991 folgenden Wortlauts:

"Pursuant to the Order of the Court of First Instance of 19 november 1991, I certify that the attached is a trü copy of pages 41 to 43 of the authenticated minutes of the Commission' s meeting of 19 december 1988, COM(88) PV 945, together with a copy of page 1 of those minutes, which bears the signatures of the President of the Commission and myself, in accordance with article 10 of the Commission' s Rules of Procedure. These pages record the adoption by the Commission of the decision in Case IV/31.865 - PVC, which comprises this entry in the minutes, together with the documents before the Commission on that occasion and listed on page 41, of which certified copies were furnished to the Court on 21 november 1991."

(Gemäß dem Beschluß des Gerichts erster Instanz vom 19. November 1991 bescheinige ich, daß die Anlagen eine wahrheitsgemässe Abschrift der Seiten 41 bis 43 des genehmigten Protokolls der Kommissionssitzung vom 19. Dezember 1988, COM(88) PV 945, sowie eine Abschrift der S. 1 dieses Protokolls enthalten, welche gemäß Artikel 10 der Geschäftsordnung der Kommission die Unterschrift des Präsidenten der Kommission sowie meine eigene Unterschrift trägt. Diese Seiten geben die Annahme der Entscheidung in der Sache IV/31.865 - PVC durch die Kommission wieder, die diesen Eintrag in das Protokoll zusammen mit den der Kommission bei dieser Gelegenheit vorliegenden, auf Seite 41 aufgeführten Papieren umfasst, von denen dem Gericht am 21. November 1991 beglaubigte Abschriften zugeleitet wurden.)

- ein von dem Bevollmächtigten der Kommission J. Currall, Juristischer Dienst, unterzeichnetes, vom 5. Dezember 1991 datiertes Begleitschreiben folgenden Wortlauts:

"In compliance with the Court' s Order of 19 november 1991, please find enclosed a certified copy of the authenticated version of the minutes of the Commission' s meeting of 21 december 1988, to be read with the other documents of which certified copies have already been supplied to the Court, the whole constituting the Commission' s decision as adopted that day."

(Gemäß dem Beschluß des Gerichts vom 19. November 1991 überreiche ich beiliegend eine beglaubigte Abschrift des genehmigten Protokolls der Kommissionssitzung vom 21. Dezember 1988, das zusammen mit den anderen Papieren zu lesen ist, von denen dem Gericht bereits beglaubigte Abschriften vorgelegt wurden, wobei das Ganze die Entscheidung der Kommission darstellt, wie sie an diesem Tag angenommen wurde.)

29 In ihrem Vortrag vom 10. Dezember 1991 hat die Montedison SpA angesichts der in der mündlichen Verhandlung neu aufgetretenen Gesichtspunkte ausgeführt, sie sei berechtigt, ihre ursprünglichen Anträge zu ergänzen. Sie unterbreitete dem Gericht die Frage der Feststellung, daß der angefochtene Rechtsakt inexistent sei, und damit die Frage der Zulässigkeit ihrer Klage. Hilfsweise hält die Montedison SpA ihre ursprünglichen Anträge aufrecht.

Entscheidungsgründe

30 Die Klägerinnen haben ihre Anträge im wesentlichen auf drei Gruppen von Rügen gestützt, nämlich auf die Verletzung von Grundrechten, auf die Verletzung wesentlicher Formvorschriften sowie darauf, daß die Kommission im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag den Sachverhalt ungenügend und irrig gewürdigt und rechtlich eingeordnet habe. Eine dieser Rügen betrifft Abweichungen zwischen den vom Kommissionskollegium angenommenen Entscheidungen und den den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakten. Diese Rüge ist in der mündlichen Verhandlung im Anschluß an den Vortrag der Kommission und die von ihr zu den Akten gereichten Schriftstücke einerseits um die in den Schriftsätzen einiger Klägerinnen bereits skizzierte Rüge der Unzuständigkeit der erlassenden Stelle, andererseits um die Rüge ergänzt worden, der Rechtsakt sei inexistent.

31 Um den Rügen der Klägerinnen gerecht werden zu können, ist zunächst die Rüge eines Verstosses gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des beschlossenen Rechtsakts, dann die Rüge der Unzuständigkeit der erlassenden Stelle und schließlich die Rüge der Inexistenz des Rechtsakts zu prüfen. Dabei sind die Frage der Unzuständigkeit der erlassenden Stelle und diejenige der Inexistenz des Rechtsakts Fragen des ordre public, die als solche in jedem Fall von Amts wegen zu prüfen sind.

A - Die Rüge eines Verstosses gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des beschlossenen Rechtsakts

32 Mehrere Klägerinnen haben vorgetragen, der zugestellte und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichte Rechtsakt weiche in mancher Hinsicht von dem beschlossenen Rechtsakt ab. Diese Abweichungen gingen über grammatikalische Berichtigungen hinaus; sie stellten einen offenkundigen Verstoß gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des beschlossenen Rechtsakts dar und machten die angefochtene Entscheidung insgesamt nichtig (vgl. Randnrn. 11 bis 15).

33 Die Kommission macht geltend, diese Änderungen seien teils rein syntaktischer oder grammatikalischer Art, teils beruhten sie auf den Vorschlägen der Sondersitzung der Kabinettschefs vom 19. Dezember 1988. Zur Stützung ihres Vorbringens hat sie die bereits erörterten Schriftstücke eingereicht (vgl. Randnrn. 16, 23, 26 und 28).

34 Der Gerichtshof hat in seinem "Legehennen"-Urteil vom 23. Februar 1988 zu einer Richtlinie, die der Rat beschlossen, das Generalsekretariat des Rates aber später geändert hatte, entschieden, daß die Begründung eines Rechtsakts dessen wesentlicher Bestandteil sei, da sie dem Gemeinschaftsrichter die Ausübung seiner Rechtskontrolle und den Mitgliedstaaten sowie deren betroffenen Staatsangehörigen die Unterrichtung darüber ermögliche, in welcher Weise die Gemeinschaftsorgane den EWG-Vertrag angewandt haben; "folglich sind weder der Generalsekretär des Rates noch die Bediensteten seines Generalsekretariats befugt, die Begründung von Rechtsakten zu ändern, die der Rat beschlossen hat" (Randnrn. 37 und 38). Diese Erwägung war auch auf eine Untersuchung der Geschäftsordnung des Rates gestützt, die solche Änderungen verbietet. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof die fragliche Richtlinie für nichtig erklärt.

35 Der Grundsatz der Unantastbarkeit des von der zuständigen Behörde beschlossenen Rechtsakts stellt sowohl für die Gemeinschaftsorgane wie für die Rechtssubjekte, deren rechtliche und sachliche Lage von einer Entscheidung dieser Organe berührt wird, einen wesentlichen Faktor der Rechtssicherheit und der Stabilität der Rechtslagen in der Gemeinschaftsrechtsordnung dar. Nur die strikte, uneingeschränkte Beachtung dieses Grundsatzes erlaubt die Gewißheit, daß der einmal beschlossene Rechtsakt nur unter Beachtung der Zuständigkeits- und Verfahrensregeln geändert werden kann und daß folglich der zugestellte oder veröffentlichte Rechtsakt eine exakte Abschrift des beschlossenen Rechtsakts darstellt, die damit den Willen der zuständigen Behörde getreu wiedergibt.

36 Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, daß die von der Kommission am 12. September 1991 aufgrund der prozeßleitenden Maßnahme vom 11. Juli 1991 ebenso wie die im Laufe der mündlichen Verhandlung am 21. November 1991 und am 5. Dezember 1991 vorgelegten, oben (Randnrn. 26 bis 28) erörterten Schriftstücke belegen, daß die drei vom 14. Dezember 1988 datierenden Entwürfe, die dem Kommissionskollegium zur Annahme vorlagen, in bestimmten Punkten von den den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakten abweichen. Diese Abweichungen bestreitet die Beklagte im Grundsatz nicht, teils, weil sie von äusserst geringer Bedeutung seien, teils, weil sie sich, wie aus den von Herrn Williamson und Herrn Currall am 21. November und am 5. Dezember 1991 vorgelegten, vorstehend (Randnrn. 26 und 28) erörterten Erklärungen folgt, aus dem Umstand erklären sollen, daß sich die vom Kommissionskollegium angenommenen Entscheidungen aus einer Gesamtschau dieser drei Entwürfe, des Protokolls der Sitzung Nr. 945 des Kommissionskollegiums und der Niederschrift der Sitzung der Kabinettschefs vom 19. Dezember 1988 mit dem darin enthaltenen Änderungsvorschlag sowie aus den anderen von der Kommission vorgelegten Unterlagen ergeben.

37 Weiter ist festzustellen, daß ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 des Kommissionskollegiums die von dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission P. Sutherland am 21. Dezember 1988 mit den Entscheidungsentwürfen unter dem Aktenzeichen C(88) 2497 befasste Kommission an diesem Tag

- beschlossen hat, daß die vierzehn in der PVC-Sache benannten Unternehmen gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstossen haben, die gegen diese Unternehmen zu verhängenden Geldbussen der Höhe nach festgesetzt hat und den Grundsatz gebilligt hat, daß diese Unternehmen zu verpflichten seien, die Zuwiderhandlungen abzustellen;

- in der Sache IV/31.865 - PVC eine Entscheidung in Deutsch, Englisch und Französisch angenommen hat, die für einige der Klägerinnen maßgebend ist, wobei diese Entscheidungen den Akten C(88) 2497 entsprachen (ces décisions étant "reprises" aux documents);

- das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission ermächtigt hat, den Text der Entscheidung in den anderen Amtssprachen der Gemeinschaft anzunehmen;

- von der Prüfung der Sache durch die Kabinettschefs der Kommissionsmitglieder während deren Sondersitzung und während der wöchentlichen Sitzung vom 19. Dezember 1988 Kenntnis genommen hat.

38 Auf der Grundlage dieser Sachverhaltsfeststellungen hat die rechtliche Würdigung der Rüge des Verstosses gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des beschlossenen Rechtsakts zu erfolgen. Dabei erscheint es angezeigt, zwischen der deutschen Fassung und der Fassung in sämtlichen anderen verbindlichen Sprachen zu unterscheiden.

1. Die Änderungen des Textes der in deutscher Sprache angenommenen Entscheidung

39 Ein Vergleich des Entscheidungsentwurfs vom 14. Dezember 1988, wie er ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 vom Kommissionskollegium am 21. Dezember 1988 in deutscher Sprache angenommen wurde, mit der zugestellten und veröffentlichten Entscheidung zeigt, daß die letztere nach ihrer Annahme in vielfacher Hinsicht geändert wurde. Dieser Vergleich bestätigt, daß die von der BASF AG am 24. Oktober 1991 vorgelegte Liste der Abweichungen, die die Kommission im übrigen nicht bestreitet, korrekt ist; die Kommission hat sich darauf beschränkt, hervorzuheben, die Änderungen seien nicht wesentlich.

40 Ein Vergleich der drei ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 von der Kommission am 21. Dezember 1988 in Deutsch, Englisch und Französisch angenommenen Entwürfe vom 14. Dezember 1988 zeigt, daß die Entscheidung in deutscher Sprache erheblich und nicht nur in grammatikalischer oder syntaktischer Hinsicht von den Entscheidungen in englischer und französischer Sprache einerseits und von der zugestellten und veröffentlichten Entscheidung andererseits abweicht. Selbst wenn die Änderungen des vom Kommissionskollegium in deutscher Sprache beschlossenen Rechtsakts zum Ziel gehabt haben mögen, die zugestellten und veröffentlichten Texte in den verbindlichen Sprachen zu harmonisieren, so sind diese Änderungen gleichwohl unzulässig, da sie nach der Annahme des Rechtsakts erfolgten, teilweise die Grenzen schlichter orthographischer oder syntaktischer Berichtigungen bei weitem überschreiten und damit dem Grundsatz der Unantastbarkeit des von der zuständigen Behörde beschlossenen Rechtsakts direkt zuwiderlaufen.

41 Von den Abweichungen, die sowohl in der vergleichenden Liste der BASF AG wie auch im gemeinsamen Vortrag der Klägerinnen und im Vortrag der Wacker GmbH und der Hoechst AG aufgeführt sind, können folgende nicht als rein syntaktische oder orthographische Berichtigungen betrachtet werden:

- Seite 6, Nr. 7 Absatz 4 (bezogen auf den von der Kommission am 12. September 1991 vorgelegten, vom 14. Dezember 1988 datierenden Entscheidungsentwurf in deutscher Sprache): Der Entwurf vom 14. Dezember 1988 enthält weder die Fußnote 2 ("Jedenfalls wurden sowohl Hüls als auch Hoechst von ICI und BASF als Sitzungsteilnehmer identifiziert") noch den Satz "Hoechst als der einzige andere in Frage kommende Hersteller war nur ein unbedeutender PVC-Produzent", die in den zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt eingefügt wurden;

- Seite 17, Nr. 21 Absatz 1: Der Satzteil: "die Unternehmen streiten offensichtlich nicht ab", der sich im Entwurf vom 14. Dezember 1988 findet, wurde im zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt durch den Satzteil: "die Unternehmen bestreiten zwar nicht" ersetzt;

- S. 32, Nr. 42 Absatz 1: Die Bezugnahme auf einen Rationalisierungsprozeß, die sich im Entwurf vom 14. Dezember 1988 findet, erscheint im zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt nicht mehr, wie der Vergleich zwischen dem beschlossenen Text ("Die europäische Petrochemie-Industrie einschließlich des PVC-Sektors hat in dem von dieser Entscheidung erfassten Zeitraum einen grundlegenden Umstrukturierungs- und Rationalisierungsprozeß durchlaufen, der von der Kommission unterstützt worden ist") und dem zugestellten und veröffentlichten Text ("Die europäische Petrochemie-Industrie einschließlich des PVC-Sektors hat in dem von dieser Entscheidung erfassten Zeitraum einen grundlegenden Umstruktierungsprozeß durchlaufen, der von der Kommission unterstützt worden ist") aufzeigt.

42 Da diese Änderungen nach der Annahme des Rechtsakts am 21. Dezember 1988 erfolgten und nicht rein orthographischer oder syntaktischer Art sind, müssen sie von einer hierzu nicht zuständigen Person vorgenommen worden sein; damit verletzen sie die Unantastbarkeit des vom Kommissionskollegium beschlossenen Rechtsakts, ohne daß die Reichweite, die Bedeutung oder die Wesentlichkeit dieser Änderungen geprüft werden müssten, wie sich aus dem erwähnten Urteil des Gerichtshofes vom 23. Februar 1988 ergibt.

2. Die Änderungen sämtlicher vom Kommissionskollegium ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 am 21. Dezember 1988 angenommener Entscheidungen

43 Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß sich in den den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakten bestimmte Änderungen finden, die über die eben untersuchten Änderungen, die nur den in deutscher Sprache zugestellten und veröffentlichten Rechtsakt betreffen, hinausgehen und sämtliche ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 am 21. Dezember 1988 in Deutsch, Englisch und Französisch beschlossenen Fassungen betreffen. Diese Änderungen berühren sowohl die Begründung der Rechtsakte als deren verfügenden Teil.

a) Die Änderung der Begründung der zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte

44 Hinsichtlich der Änderungen der Begründung der entsprechend dem Protokoll der Sitzung Nr. 945 beschlossenen Rechtsakts stellt das Gericht fest, daß in Nr. 27 der Begründung der zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakte ein völlig neuer Absatz 4 eingefügt wurde, was sich in bestimmten verbindlichen Sprachen im übrigen klar aus dem insoweit abweichenden Schriftbild des zugestellten Rechtsakts ergibt. Diese typographische Abweichung ist etwa in der italienischen Fassung besonders deutlich und wird im übrigen von der Kommission nicht bestritten, wie sich aus der mündlichen Verhandlung ergibt. Dieser neue Absatz betrifft die Frage, ob die Kommission in Fällen wie dem vorliegenden, wo ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag mehrere Unternehmen betrifft, im Hinblick auf die übrigen verfahrensbeteiligten Unternehmen dem Verzicht eines der Unternehmen auf die Vertraulichkeit der dieses Unternehmen betreffenden Informationen entsprechen kann oder ob ganz im Gegenteil Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses dem entgegenstehen, daß die Kommission in einem solchen Fall dem Antrag des Unternehmens stattgibt, zu dessen Gunsten sich die Vertraulichkeit auswirkt. Dieses schwierige und umstrittene Problem hat die Kommission auf Seite 52 ihres 18. Berichts zur Wettbewerbspolitik angesprochen.

45 Der eingefügte Absatz lautet in den zugestellten Entscheidungen wie folgt: "Hinzu kommt, daß ein Verzicht der Unternehmen auf die Vertraulichkeit ihrer internen Geschäftsunterlagen unter dem Vorbehalt des vorrangigen öffentlichen Interesses steht, das besagt, daß Wettbewerber sich nicht gegenseitig über ihre geschäftlichen Tätigkeiten und Pläne in einer den Wettbewerb zwischen ihnen beschränkenden Weise unterrichten." Dagegen enthält die im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in deutscher Sprache veröffentlichte Entscheidung nicht die Verneinung im zitierten zweiten Satzteil und legt fest, daß es im öffentlichen Interesse liege, wenn sich die Wettbewerber gegenseitig über ihre geschäftlichen Tätigkeiten und Pläne unterrichten.

46 Das Protokoll der Sitzung des Kommissionskollegiums vom 21. Dezember 1988, das dem Gericht am 12. September, am 21. November und am 5. Dezember 1991 vorgelegt wurde, weist aus, daß die Kommission zwar ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 die vom 14. Dezember 1988 datierenden Entwürfe angenommen hat, die in der in den drei verbindlichen Sprachen beschlossenen Fassung den streitigen Absatz nicht enthalten, daß die Kommission aber von der Prüfung der Sache durch die Kabinettschefs anläßlich von deren Sondersitzung vom 19. Dezember 1988 nur Kenntnis genommen hat. Die Kommission hat zwar am 21. November 1991 Schriftstücke zu den Akten gereicht, die sie als beglaubigte Auszuege aus der Urschrift der Niederschrift der Sitzung der Kabinettchefs vom 19. Dezember 1988 bezeichnet; unter diesen Schriftstücken findet sich in Anlage III ein Papier, das den streitigen Absatz in Englisch und Französisch wiedergibt; die vorgelegten Schriftstücke beweisen jedoch nicht - was die Kommission in der mündlichen Verhandlung übrigens zugestanden hat -, daß diese Ergänzung von den Kabinettschefs angenommen oder vorgeschlagen worden sei, mit dem Ziel, sie dem Kommissionskollegium zur Beratung vorzulegen.

47 Selbst wenn diese Ergänzung dem Kommissionskollegium am 21. Dezember 1988 zur Annahme hätte vorgelegt und vorgeschlagen werden können - für die deutsche Fassung der Entscheidung ist das nicht der Fall, da die Anlage III, wie eben dargestellt und von der Hüls AG in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, nur in Englisch und Französisch abgefasst ist -, folgt doch aus dem vorstehend (Randnr. 37) erörterten Wortlaut des Protokolls der Sitzung, daß das Kommissionskollegium mit der Annahme der Entwürfe vom 14. Dezember 1988, die diesen Absatz nicht enthalten, stillschweigend beschlossen hat, die Ergänzung nicht anzunehmen. Folglich ist dieser Absatz in sämtliche den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakte notwendig nach dem 21. Dezember 1988 aufgenommen worden; dies stellt einen offenkundigen Verstoß gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des von der zuständigen Behörde beschlossenen Rechtsakts dar. Dieser Zusatz zur Begründung der Entscheidung, der weder syntaktischer noch grammatikalischer Art ist, macht somit sämtliche zugestellten Rechtsakte sowie den im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften verkündeten Rechtsakt ungültig, wie der Gerichtshof in seinem erwähnten Urteil vom 23. Februar 1988 entschieden hat, ohne daß zu untersuchen wäre, ob er wesentlicher Art ist, was im übrigen nicht zu bestreiten ist.

b) Die Änderung des verfügenden Teils der zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte

48 Hinsichtlich der Änderungen des verfügenden Teils der Entscheidungen stellt das Gericht fest, daß - wie die BASF AG vorgetragen hat und wie es im gemeinsamen Vortrag der Unternehmen hervorgehoben wurde - in Artikel 1 des verfügenden Teils der Entscheidungen, in der sämtlichen Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Fassung, der Hinweis auf die Zugehörigkeit der Société artésienne de vinyle SA zum Konzern des Entreprise chimique et minière ("EMC Groupe") fehlt, der sich in den vom Kommissionskollegium ausweislich des Protokolls Nr. 945 am 21. Dezember 1988 angenommenen Entwürfen vom 14. Dezember 1988 fand.

49 Wenn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes Änderungen der Begründung einer Entscheidung die gesamte geänderte Entscheidung rechtswidrig machen, weil solche Änderungen einerseits dem Artikel 190 EWG-Vertrag die praktische Wirksamkeit nehmen und andererseits die Begründung beeinträchtigen, auf der der verfügende Teil einer Entscheidung notwendigerweise beruht, so macht eine Änderung des verfügenden Teils eines solchen Rechtsakts diesen erst recht rechtswidrig. Änderungen des verfügenden Teils einer Entscheidung betreffen nämlich unmittelbar den Umfang der den Adressaten im geänderten Rechtsakt möglicherweise auferlegten Pflichten oder eingeräumten Rechte. Im vorliegenden Fall kann eine solche Änderung die Zurechenbarkeit des vorgeworfenen Verstosses berühren oder sogar zur Abwälzung der finanziellen Belastung führen, die die auferlegte Geldbusse darstellt. Solche Änderungen des verfügenden Teils des beschlossenen Rechtsakts müssen deshalb als besonders schwerwiegender und offenkundiger Verstoß gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit des beschlossenen Rechtakts betrachtet werden, der zu den Grundlagen der Rechtssicherheit in der Gemeinschaftsrechtsordnung gehört. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0079.1

50 Die vom Gerichtshof in seinem erwähnten Urteil vom 23. Februar 1988 gewählte Lösung ist deshalb erst recht anzuwenden, wenn der angefochtene Rechtsakt, wie im vorliegenden Fall, den Adressaten Geldbussen und Pflichten auferlegt und wenn die Änderung die Bezeichnung der verpflichteten juristischen Personen berühren kann. Eine solche Folgerung muß aus der genannten Änderung des Artikels 1 des verfügenden Teils der Entscheidungen notwendigerweise gezogen werden, mit dem die Kommission im Wege der Schlußfolgerung aus der Begründung die rechtliche Subsumtion des streitigen Sachverhalts unter Artikel 85 EWG-Vertrag und die Bezeichnung der verstossenden Unternehmen vornimmt. Eine solche Änderung wirkt sich somit unmittelbar und unabdingbar auf die anderen Artikel des verfügenden Teils aus, die den Klägerinnen Pflichten und Geldbussen auferlegen und die Modalitäten bestimmen, nach denen die Adressaten ihre Pflichten erfuellen können, und die damit nur die notwendigen Folgerungen aus Artikel 1 des verfügenden Teils ziehen, der im vorliegenden Fall eben gerade geändert worden ist.

B - Die Rüge der Unzuständigkeit der erlassenden Stelle

51 Einige Klägerinnen haben ausdrücklich die Rüge der Unzuständigkeit der Stelle erhoben, die die zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte beschlossen hat. Die Wacker Chemie GmbH und die Hoechst AG haben vorgetragen, daß die Verteidigung der Kommission gegen die Rüge der Klägerinnen, der Grundsatz der Unantastbarkeit des Rechtsakts sei verletzt worden, zu der Frage führe, ob das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission die Entscheidungen in bestimmten verbindlichen Sprachen wirksam habe annehmen können. Diese Klägerinnen haben auch hervorgehoben, daß die Amtszeit von Herrn P. Sutherland am 5. Januar 1989 abgelaufen sei, daß aber die Entscheidungen in den einzelnen Amtssprachen nach den Angaben der Kommission deren Generalsekretariat erst am 16. Januar 1989 und somit elf Tage später vorgelegt worden seien. Die Hüls AG hat in der mündlichen Verhandlung noch angemerkt, daß Herr P. Sutherland am 16. Januar 1989 nicht mehr Mitglied der Kommission gewesen sei.

52 Die Kommission hält dem entgegen, daß die Rechtsakte in drei der verbindlichen Sprachen vom Kommissionskollegium ordnungsgemäß beschlossen worden seien und daß Artikel 27 ihrer Geschäftsordnung die Rechtsgrundlage für die Annahme der Entscheidungen in italienischer und in niederländischer Sprache sei, die von dem für Wettbewerbsfragen zuständigen, hierzu vom Kollegium ordnungsgemäß ermächtigten Kommissionsmitglied im Rahmen seiner Zuständigkeit erlassen worden seien. Nicht Herr P. Sutherland persönlich, sondern das für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissionmitglied sei ermächtigt worden.

53 Die Prüfung der ersten Rüge hat, wie eben dargelegt, Abweichungen zwischen den beschlossenen und den zugestellten und veröffentlichten Rechtsakten ergeben, wobei diese Änderungen notwendig nicht vom Kommissionskollegium, sondern nach der Annahme der streitigen Rechtsakte durch das Kollegium von Dritten vorgenommen wurden. Im Lichte dieser Feststellungen ist die von den Klägerinnen erhobene Rüge der Unzuständigkeit der Stelle zu prüfen, von der die zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte herrühren. Diese Rüge gehört in jedem Fall zum ordre public; sie umfasst zwei Teile. Zu unterscheiden ist nämlich zwischen der sachlichen und der zeitlichen Zuständigkeit der Stelle, von der die von den Klägerinnen der Prüfung des Gerichts unterbreiteten, zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte herrühren.

1. Die sachliche Zuständigkeit des für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglieds der Kommission zur Annahme der in Italienisch und Niederländisch zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte

54 Nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385), zuletzt geändert durch Punkt XVII des Anhangs I zur Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge (ABl. 1985, L 302, S. 242), sind "Schriftstücke, die ein Organ... an eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterstehende Person richtet,... in der Sprache dieses Staates abzufassen". Nach Artikel 12 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission ist ein von der Kommission in einer Sitzung oder im schriftlichen Verfahren gefasster Beschluß in der Sprache oder in den Sprachen, in denen er verbindlich ist, durch die Unterschriften des Präsidenten und des Exekutivsekretärs auszufertigen.

55 Aus diesen Bestimmungen ergibt sich zusammengenommen, daß die Kommission in einem Fall der vorliegenden Art, in dem sie durch eine der Sache nach einheitliche Handlung eine Entscheidung treffen will, die für mehrere juristische Personen verbindlich ist, die unterschiedlichen Sprachenregelungen unterliegen, die Entscheidung in jeder der verbindlichen Sprachen beschließen muß, soll nicht jede Ausfertigung unmöglich werden. Im vorliegenden Fall wurde die angefochtene Entscheidung ausweislich des vom Kommissionskollegium am 22. Dezember 1988 gebilligten Protokolls seiner Sitzung Nr. 945 von diesem nicht in italienischer und niederländischer Sprache angenommen, von denen die erste für die Enichem SpA und die Montedison SpA, die zweite für die NV Limburgse Vinyl Maatschappij sowie die NV DSM und DSM Kunststoffen BV allein verbindlich ist.

56 Artikel 27 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission lautet wie folgt: "Die Kommission kann - unter der Voraussetzung, daß der Grundsatz kollegialer Verantwortlichkeit voll und ganz gewahrt bleibt - ihre Mitglieder ermächtigen, in ihrem Namen und vorbehaltlich ihrer Kontrolle eindeutig umschriebene Maßnahmen der Geschäftsführung und der Verwaltung zu treffen."

57 Anders als Ermittlungs- und Verfahrensmaßnahmen, die während der verwaltungsmässigen Vorbereitung der Entscheidung zu treffen sind, beispielsweise die Mitteilung der Beschwerdepunkte (Urteile des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972, 619, Randnrn. 16 bis 19; vom 17. Oktober 1972 in der Rechtssache 8/72, Cementhandelaren/Kommission, Slg. 1972, 977, Randnrn. 10 bis 14; vom 17. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 43/82 und 63/82, VBVB und VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19) oder Maßnahmen im Rahmen der allgemeinen Ermittlungsbefugnisse der Kommission nach der Verordnung Nr. 17 (Urteil des Gerichtshofes vom 23. September 1986, a. a. O., Randnrn. 28 bis 40, und vom 17. Oktober 1989 in den verbundenen Rechtssachen 97/87, 98/87 und 99/87, Dow Chemical Iberica/Kommission, Slg. 1989, 3181, Randnrn. 57 bis 59), stellt die Annahme einer Entscheidung betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag keine Maßnahme der Geschäftsführung oder der Verwaltung im Sinne des Artikels 27 der Geschäftsordnung der Kommission dar.

58 Aus Artikel 27 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission ergibt sich nämlich in Verbindung mit Absatz 2, der Ermächtigungen von Beamten betrifft, daß das Kommissionskollegium eines seiner Mitglieder nur dazu ermächtigen kann, die Entscheidung in den in Artikel 1 der Verordnung Nr. 1 aufgeführten Amtssprachen der Gemeinschaft anzunehmen, die nicht verbindlich sind, im vorliegenden Falle also in dänisch, spanisch, griechisch und portugiesisch, da die in diesen vier Sprachen angenommenen Entscheidungen hier keine Rechtswirkungen zeitigen und keine vollstreckbaren Titel gegen eines oder mehrere der im verfügenden Teil der Entscheidung genannten Unternehmen sind.

59 Die Annahme der Entscheidung in der verbindlichen Sprache ist von ganz anderem Gewicht. Eine Entscheidung, mit der ein Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag festgestellt wird, mit der mehreren Unternehmen Verpflichtungen und erhebliche Geldbussen auferlegt werden und die insoweit ein vollstreckbarer Titel ist, berührt die Rechte und Pflichten dieser Unternehmen und ihr Vermögen erheblich. Sie lässt sich nicht als schlichte Maßnahme der Geschäftsführung oder der Verwaltung ansehen und kann somit von einem Mitglied der Kommission nicht im Rahmen seiner Zuständigkeit erlassen werden, ohne daß das in Artikel 27 ausdrücklich anerkannte Kollegialprinzip unmittelbar verletzt würde.

60 Nach alledem wurde der von dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission auf italienisch und niederländisch gemäß der ihm in der Beratung vom 21. Dezember 1988 erteilten Ermächtigung beschlossene Rechtsakt jedenfalls von einer unzuständigen Stelle erlassen.

2. Die zeitliche Zuständigkeit des für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglieds der Kommission zur Annahme der den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakte

61 Das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission hatte somit keine Zuständigkeit, in den verbindlichen Sprachen allein eine Entscheidung über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag anzunehmen. Hingegen war er zweifellos dafür zuständig, die Abschriften des vom Kommissionskollegium beschlossenen Rechtsakts für deren Zustellung an die Adressaten unter den Voraussetzungen des Artikels 12 Absatz 3 der Geschäftsordnung der Kommission zu unterzeichnen. Im vorliegenden Fall ergibt sich jedoch sowohl aus den Schriftsätzen der Kommission wie aus deren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung, daß der Text des Rechtsakts in den einzelnen Sprachen, und zwar sowohl in den fünf verbindlichen als auch in den vier anderen Amtssprachen, erst am 16. Januar 1989 endgültig fertiggestellt und dem Generalsekretariat der Kommission zugeleitet worden war, das es dann gemäß den vom Gerichtshof in seinem erwähnten Urteil vom 23. Februar 1988 festgestellten Voraussetzungen den Rechts- und Sachverständigen zur Revision zuleitete; deren Arbeiten waren gegen Ende Januar 1989 abgeschlossen.

62 Damit ist festzustellen, daß die Beklagte nicht in der Lage war, als Antwort auf das substantiierte Vorbringen der Klägerinnen die Existenz eines fertiggestellten, zustellungs- und veröffentlichungsfähigen Rechtsakts vor einem Zeitpunkt, der im Zeitraum vom 16. Januar 1989 bis zum 31. Januar 1989 liegt, nachzuweisen. Die in den fünf verbindlichen Sprachen zugestellten Rechtsakte müssen daher notwendig nach dem 5. Januar 1989 und damit nach Ablauf der Amtszeit von Herrn P. Sutherland beschlossen worden sein.

63 Der maschinenschriftliche Vermerk "für die Kommission, Peter Sutherland, Mitglied der Kommission", der sich am Ende der zugestellten Rechtsakte findet, muß also, selbst wenn er in Ermangelung jedes handschriftlichen Zeichens von Herrn P. Sutherland als dessen Unterschrift gelten könnte, notwendig entweder nach dem Ablauf von dessen Mandat oder aber vor dem 5. Januar 1989 angebracht worden sein, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Rechtsakte in ihrer verkündeten und veröffentlichten Fassung noch nicht vorlagen. Daß Herr P. Sutherland am 5. Januar 1989 die an die Klägerinnen gerichteten Begleitschreiben zu noch nicht endgültig beschlossenen Rechtsakten unterzeichnete, ist ohne rechtliche Bedeutung, da diese Begleitschreiben nicht Teil des streitigen Rechtsakts sind und keine Rechtswirkungen haben. Auch das Vorbringen der Kommission, daß die Ermächtigung dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Kommissionsmitglied und nicht Herrn P. Sutherland persönlich erteilt worden sei, ist ohne Einfluß auf die Entscheidung über diese Rüge. Selbst wenn dieses Vorbringen nämlich begründet wäre, hätte der Nachfolger von P. Sutherland als für Wettbewerbsfragen zuständiges Mitglied der Kommission, dessen Amtszeit am 6. Januar 1989 begann, die Rechtsakte unterzeichnen müssen, falls er dazu zuständig gewesen wäre. So verhielt es sich aber im vorliegenden Fall nicht. Somit ist festzustellen, daß die den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften am 17. März 1989 veröffentlichten Rechtsakte notwendig von einer in zeitlicher Hinsicht unzuständigen Stelle herrühren.

64 Dieser Mangel könnte nur dann geheilt sein, wenn die Beklagte nachwiese, daß er nur die den Adressaten zugestellte oder die dem Amt für amtliche Veröffentlichungen zum Zweck der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften zugeleitete Abschrift betrifft, daß aber die Urschrift der Entscheidung ordnungsgemäß im Rahmen der Zuständigkeit unterzeichnet worden ist. In diesem Fall könnte nämlich der Rüge der Unzuständigkeit des Unterzeichners der zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte mit Erfolg entgegengetreten werden. Nur eine solche Vorlage, die die Gültigkeitsvermutung von Gemeinschaftsakten als Folge der strengen Förmlichkeit des bei ihrem Erlaß zu beachtenden Verfahrens bestätigte, wäre im vorliegenden Fall geeignet, den Mangel der offenkundigen Unzuständigkeit zu beheben, mit dem die angefochtene Entscheidung, wie sie den Klägerinnen zugestellt und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurde, behaftet ist. Aus den noch darzulegenden Gründen ist festzustellen, daß die Beklagte im vorliegenden Fall diesen Nachweis nicht hat erbringen können; sie hat vielmehr eingeräumt, eine ausgefertigte Urschrift des streitigen Rechtsaktes nicht vorlegen zu können.

65 Nach alledem müssten die sämtlichen dargelegten Mängel des Rechtsakts, nämlich die Änderungen der Begründung und des verfügenden Teils des Rechtsakts nach seiner ausweislich der Niederschrift Nr. 945 erfolgten Annahme durch das Kommissionskollegium sowie die Unzuständigkeit der erlassenden Stelle, zur Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung wegen Unzuständigkeit und Verletzung wesentlicher Formvorschriften führen. Im vorliegenden Fall ist jedoch vor dem Ausspruch einer solchen Nichtigerklärung die letzte Rüge der Klägerinnen, der Rechtsakt sei inexistent, zu prüfen. Sollte diese Rüge nämlich begründet sein, so sind die Klagen als unzulässig abzuweisen (Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 1957 in den Rechtssachen 1/57 und 14/57, Société des usines à tubes de la Sarre/Hohe Behörde, Slg. 1957, 213).

C - Die Rüge der Inexistenz des Rechtsakts

66 In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen im gemeinsamen Vortrag geltend gemacht, Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission sei verletzt worden; deshalb könne die Echtheit des angefochtenen Rechtsakts nicht geprüft werden (Randnrn. 21 und 24). Die Atochem SA hat dem Gericht die Frage vorgelegt, ob im vorliegenden Fall eine formgerecht erlassene Entscheidung vorliege. Die BASF AG hat Zweifel an der tatsächlichen Existenz der angefochtenen Entscheidung geäussert. Die Wacker Chemie GmbH und die Hoechst AG haben in ihrem abschließenden Vortrag, dem sich die Imperial Chemical Industries plc und die Société artésienne de vinyle SA ausdrücklich angeschlossen haben, vorgetragen, die Kommission habe am 21. Dezember 1988 keine Entscheidung erlassen, da der Rechtsakt weder unterzeichnet noch ausgefertigt worden sei. Die Hüls AG hat einerseits hervorgehoben, daß ihr eine niemals angenommene Entscheidung zugestellt worden sei, die folglich nicht vollstreckbar sei, andererseits, daß diese Entscheidung nur eine schlichte maschinenschriftliche Unterschrift, nicht aber eine echte handschriftliche Unterschrift von Herrn P. Sutherland trage. Die Montedison SpA hat geltend gemacht, die angegriffene Entscheidung habe niemals existiert, da sie weder vom Kommissionskollegium noch von dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission angenommen worden sei. Sie hat angesichts der neuen Tatsachen, die sich aus den von der Kommission vorgelegten Schriftstücken und den von ihr abgegebenen Erklärungen ergäben, ausdrücklich erklärt, ihre Anträge ändern zu wollen. Sie beantragt nunmehr, das Gericht möge über die Existenz der angegriffenen Entscheidung und über die Zulässigkeit der Klage erkennen (vgl. Randnr. 29). Schließlich haben die NV Limburgse Vinyl Maatschappij sowie die NV DSM und DSM Kunststoffen BV die Nichtigkeit der Entscheidung ihnen gegenüber gerügt, da eine niederländische Fassung bei der Beratung vom 21. Dezember 1988 nicht vorgelegen haben.

67 Die Kommission hat dem entgegengehalten, die Entscheidung vom 21. Dezember 1988, wie sie vom Kommissionskollegium angenommen worden sei, ergebe sich nach den am 21. November 1991 und am 5. Dezember 1991 vorgelegten, oben (vgl. Randnrn. 26 und 28) erörterten Erklärungen aus einer Gesamtschau der vom 14. Dezember 1988 datierenden Entscheidungsentwürfe, des Protokolls der Sitzung Nr. 945 des Kommissionskollegiums und der Schriftstücke, die als Niederschrift der Sondersitzung der Kabinettschefs vom 19. Dezember 1988 gelten. Sie hat weiter vorgetragen, die Klägerinnen könnten sich auf eine Verletzung des Artikels 12 der Geschäftsordnung nicht berufen. Jedenfalls aber müssten die den Klägerinnen zugestellten Rechtsakte als Urschriften des beschlossenen Rechtsakts betrachtet werden. Schließlich hat sie in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, daß das Kommissionskollegium in seiner Sitzung vom 21. Dezember 1988 den "Grund", den "Inhalt" und das "Wesen" der Entscheidung beschlossen habe und daß die zugestellten Rechtsakte als mit diesem Willen der erlassenden Stelle übereinstimmend zu gelten hätten.

68 Der Gemeinschaftsrichter erklärt Rechtsakte, die mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet sind, für inexistent, wobei er sich von den Grundsätzen leiten lässt, die sich in den nationalen Rechtsordnungen finden (zum Begriff der rechtlichen Inexistenz von Gemeinschaftsakten vergleiche die Urteile des Gerichtshofes vom 10. Dezember 1957 in den verbundenen Rechtssachen 1/57 und 14/57, Société des usines à tubes de la Sarre/Hohe Behörde, a. a. O.; vom 21. Februar 1974 in den verbundenen Rechtssachen 15/73 bis 33/73, 52/73, 53/73, 57/73 bis 109/73, 116/73, 117/73, 123/73, 132/73 und 135/73 bis 137/73, Kortner/Rat, Kommission und Parlament, Slg. 1974, 177; vom 26. Februar 1987 in der Rechtssache 15/85, Consorzio Cooperative d' Abruzzo/Kommission, Slg. 1987, 1005; vom 30. Juni 1988 in der Rechtssache 226/87, Kommission/Griechische Republik, Slg. 1988, 3611, sowie das Urteil des Gerichts vom 27. Juni 1991 in der Rechtssache 156/89, Valverde Mordt/Gerichtshof, Slg. 1991, II-407). Eine solche Rüge gehört zum ordre public, die Parteien können sie deshalb im Laufe des Verfahrens ohne Bindung an Fristen erheben; ausserdem ist sie von Amts wegen zu prüfen. So hat der Gerichtshof in seinem erwähnten Urteil vom 26. Februar 1987 entschieden, "daß für einen - auch fehlerhaften - Verwaltungsakt im Gemeinschaftsrecht wie im nationalen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten die Vermutung der Gültigkeit spricht, bis er aufgehoben oder von der Stelle, die ihn erlassen hat, ordnungsgemäß zurückgenommen worden ist. Die Qualifizierung eines Verwaltungsakts als inexistent erlaubt - ausserhalb der Klagefrist - die Feststellung, daß dieser Akt keine Rechtswirkung entfaltet hat. Aus offenkundigen Gründen der Rechtssicherheit muß diese Qualifizierung daher... Akten vorbehalten bleiben, die mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet sind." Es ist somit zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung im vorliegenden Fall mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern im Sinne dieses Urteils des Gerichtshofes behaftet ist, mit der Folge, daß das Gericht ihre Inexistenz festzustellen hat.

69 Das Gericht hat angesichts der Rüge, die angenommene weiche von der zugestellten und veröffentlichten Entscheidung ab, sowie des hinreichend substantiierten Vorbringens der Klägerinnen (vgl. Randnr. 11 bis 15) von der Beklagten zunächst mit der prozeßleitenden Maßnahme vom 11. Juli 1991, dann mit dem Beschluß vom 19. November 1991 die Übermittlung der angenommenen, gemäß der Geschäftsordnung der Kommission ordnungsgemäß ausgefertigten Entscheidung in ihrer ursprünglichen Fassung verlangt (vgl. Randnrn. 17 und 25).

70 Auf diese Maßnahmen der Prozeßleitung und der Beweiserhebung hin hat die Kommission drei Entscheidungsentwürfe vom 14. Dezember 1988 in Deutsch, Englisch und Französisch sowie zwei oben (vgl. Randnrn. 18, 26 und 28) bereits erörterte Auszuege aus Niederschriften vorgelegt. Die Untersuchung dieser Schriftstücke bestätigt, daß, wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, ausser den zu den Akten gereichten Niederschriften nur das Begleitschreiben vom 5. Januar 1989 zu den den Klägerinnen zugestellten Entscheidungen von einem Mitglied der Kommission unterzeichnet wurde. Das gesteht die Beklagte im übrigen zu, da sie selbst vorgetragen hat, sie sei nicht in der Lage, eine ordnungsgemäß unterzeichnete und ausgefertigte Urschrift der Entscheidung vorzulegen, und da nach den am 21. November 1991 und am 5. Dezember 1991 vom Generalsekretär der Kommission und einem als Bevollmächtigten handelnden Mitglied ihres Juristischen Dienstes gefertigten Erklärungen (vgl. Randnrn. 26 und 28) der Text der streitigen Entscheidung aus einer Gesamtschau der einzelnen vorgenannten Schriftstücke zu erschließen ist.

1. Der Verstoß gegen Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission

71 Nach Artikel 12 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission werden "die von der Kommission in einer Sitzung... gefassten Beschlüsse in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlich sind, durch die Unterschriften des Präsidenten und des Exekutivsekretärs festgestellt". Die Klägerinnen rügen in ihrem Vortrag vom 18. November 1991 im Anschluß an die Vorlage von Schriftstücken durch die Beklagte die Verletzung dieser Bestimmung.

72 Das Ausfertigungsverfahren nach Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission, die ihre Rechtsgrundlage unmittelbar in den Artikeln 15 und 16 des Fusionsvertrages vom 8. April 1965 hat, wo im übrigen die Veröffentlichung dieser Geschäftsordnung vorgesehen ist, ist ein wesentlicher Faktor für die Rechtssicherheit und die Stabilität der Rechtslagen in der Gemeinschaftsrechtsordnung. Nur dieses Verfahren kann gewährleisten, daß die Rechtsakte des Organs von der zuständigen Stelle unter Beachtung der im EWG-Vertrag und seinen Durchführungsvorschriften vorgesehenen Formen, insbesondere unter Beachtung der Begründungspflicht nach Artikel 190 EWG-Vertrag, beschlossen worden sind. Es gewährleistet die Unantastbarkeit des beschlossenen Rechtsakts, der nur unter Beachtung dieser Verpflichtungen geändert oder aufgehoben werden kann, und erlaubt damit den Rechtssubjekten, natürlichen und juristischen Personen ebenso wie den Mitgliedstaaten oder anderen Gemeinschaftsorganen, mit Gewißheit und in jedem Zeitpunkt den genauen Umfang ihrer Rechte oder Pflichten sowie die Gründe zu kennen, aus denen die Kommission ihnen gegenüber eine Entscheidung erlassen hat.

73 Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof kürzlich entschieden, auf Gebieten wie dem Wettbewerbsrecht, auf denen die Kommission komplexe wirtschaftliche Beurteilungen vornehmen müsse und über einen weiten Beurteilungsspielraum verfüge, "kommt eine um so grössere Bedeutung der Beachtung der Garantien zu, die die Gemeinschaftsrechtsordnung in Verwaltungsverfahren gewährt. Zu diesen Garantien gehören insbesondere... das Recht des Betroffenen... auf eine ausreichende Begründung der Entscheidung", wobei diese Pflicht unabdingbare Voraussetzung für die gerichtliche Überprüfung ist (Urteil des Gerichtshofes vom 21. November 1991 in der Rechtssache C-269/90, Technische Universität München, Slg. 1991, I-5469). Folglich würde jedes Verwaltungsverfahren zur Vorbereitung und Annahme von Rechtsakten, das spätere Änderungen der Begründung des beschlossenen Rechtsakts erlaubte, unmittelbar zu einem Verstoß gegen diese fundamentalen Garantien führen.

74 Aus diesen Gründen heisst es in Artikel 12 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Kommission: "Der Wortlaut dieser Beschlüsse wird dem Protokoll der Kommission beigefügt, in dem ihre Annahme vermerkt ist." Dieser Verpflichtung kommt wesentliche Bedeutung zu, da sie die Übereinstimmung des ausgefertigten mit dem beschlossenen Rechtsakt und damit dessen Unantastbarkeit gewährleistet, zumal gemäß Artikel 10 der Geschäftsordnung das Protokoll der Sitzung in der nächsten Sitzung des Kommissionskollegiums genehmigt werden muß. Die Genehmigung des Protokolls ist ihrerseits nach denselben Bestimmungen durch eine Ausfertigung gewährleistet, die der Präsident und der Generalsekretär der Kommission durch Zeichnung und Gegenzeichnung vornehmen. Nur die Gegenüberstellung des vom Kommissionskollegium beschlossenen, mit den Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs ordnungsgemäß ausgefertigten Rechtsakts einerseits und des Protokolls der Sitzung der Kommission, in dem die Annahme der beschlossenen Entscheidung vermerkt ist, andererseits erlaubt mit Gewißheit die Feststellung der physischen Existenz und des Inhalts des Rechtsakts sowie des Umstands, daß dieser in vollem Umfang dem Willen des Kommissionskollegiums entspricht.

75 Zunächst bestätigt die Ausfertigung des Rechtsakts mit Gewißheit dessen Existenz und die exakte Übereinstimmung seines Inhalts mit dem des vom Kommissionskollegium beschlossenen Rechtsakts. Dann erlaubt sie durch die Datierung des Rechtsakts und die Anbringung der Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs, sich der Zuständigkeit der erlassenden Stelle zu vergewissern. Schließlich macht die Ausfertigung die Entscheidung vollstreckbar und gewährleistet damit ihre Inkorporation in die Gemeinschaftsrechtsordnung.

76 Diese strenge Förmlichkeit des bei der Erstellung, der Annahme und der Ausfertigung der Rechtsakte zu beachtenden Verfahrens ist insgesamt erforderlich, um die Stabilität der Rechtsordnung und die Rechtssicherheit der Rechtssubjekte zu gewährleisten, die von Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane betroffen werden. Die Einhaltung dieser Förmlichkeit ist für die Erhaltung eines Rechtssystems unumgänglich, das auf der Hierarchie der Normen beruht. Sie garantiert die Beachtung der Grundsätze der Gesetzmässigkeit, der Rechtssicherheit und der ordnungsgemässen Verwaltung (Urteile des Gerichtshofes vom 5. Dezember 1963 in den Rechtssachen 53/63 und 54/63, Lemmerz/Hohe Behörde, Slg. 1963, 517, und in den Rechtssachen 23/63, 24/63 und 52/63, Usines Emile Henriot/Hohe Behörde, Slg. 1963, 467). Jeder Verstoß gegen diese Regeln würde zu einem wesentlich unsicheren System führen, in dem die Bezeichnung der Adressaten der Organhandlungen, der Umfang ihrer Rechte und Pflichten und die erlassende Stelle nur annähernd bekannt wären, so daß die gerichtliche Kontrolle selbst in Frage gestellt wäre. Deshalb hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 68/86 (Vereinigtes Königreich/Rat, "hormonale Stoffe", Slg. 1988, 855), in dem er ebenso wie in dem erwähnten Urteil vom selben Tage in der Rechtssache "Legehennen" die bindende Wirkung der Geschäftsordnung der Gemeinschaftsorgane betont hat, entschieden, "daß die Grundsätze über die Willensbildung der Gemeinschaftsorgane im Vertrag festgelegt sind und nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten oder der Organe selbst stehen".

77 Diese Grundsätze finden ihre volle Bestätigung in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß natürliche und juristische Personen sich gegen einen Rechtsakt eines Gemeinschaftsorgans auf einen Verstoß gegen dessen Geschäftsordnung berufen können (vgl. hierzu die zahlreichen Urteile zum Dienstrecht der Gemeinschaft: namentlich die Urteile vom 9. Juni 1964 in den verbundenen Rechtssachen 94/63 und 96/63, Bernusset/Kommission, Slg. 1964, 645; vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 178/80, Bellardi Ricci u. a./Kommission, Slg. 1981, 3187; vom 4. Februar 1987 in der Rechtssache 324/85, Bouteiller/Kommission, Slg. 1987, 529, hinsichtlich der Geschäftsordnung der Kommission; vgl. aus anderen Gebieten des Gemeinschaftsrechts die Urteile vom 29. Oktober 1980 in der Rechtssache 138/79, Roquette Fréres/Rat, Slg. 1980, 3333, Randnr. 26; vom 30. Juni 1988 in der Rechtssache 297/86, CIDA/Rat, Slg. 1988, 3531; und vom 11. Oktober 1990 in der Rechtssache C-200/89, FUNOC/Kommission, Slg. 1990, I-3669).

78 Die Kommission hat sich in der mündlichen Verhandlung auf das Urteil des Gerichtshofes vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-69/89 (Nakajima All Precision/Rat, Slg. 1991, I-2069, Randnrn. 49 und 50) berufen und daraus hergeleitet, daß die Geschäftsordnungen der Gemeinschaftsorgane nicht bindend seien und daß sich natürliche oder juristische Personen auf ihre Verletzung nicht berufen könnten. Dem ist nicht zu folgen. Das fragliche Urteil ist vielmehr dahin zu verstehen, daß zu unterscheiden ist zwischen den Bestimmungen der Geschäftsordnung eines Organs, auf deren Verletzung sich natürliche oder juristische Personen nicht berufen können, weil sie nur die Modalitäten des organinternen Verwaltungsablaufs regeln, die die Rechtslage dieser Personen nicht berühren können, und denjenigen Bestimmungen, auf die sich diese Personen berufen können, weil sie, wie Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission, für diese Personen Quelle von Rechten und ein Faktor der Rechtssicherheit sind.

79 Ausserdem hat sich der Gerichtshof in seinen erwähnten Urteilen vom 23. September 1986 und vom 17. Oktober 1989 bei der Prüfung der Frage, ob die Ermächtigung des für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglieds der Kommission vom 5. November 1980 gültig ist, überprüft, daß diese Ermächtigung unter Artikel 27 der Geschäftsordnung der Kommission fiel. Zudem hat sich die Kommission selbst im vorliegenden Fall in ihren Schriftsätzen auf Artikel 27 ihrer Geschäftsordnung berufen, um die Gültigkeit der Ermächtigung des für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglieds der Kommission darzutun. Da die Geschäftsordnung der Kommission den Klägerinnen entgegengehalten worden ist und werden kann, können diese sich auch zur Stützung ihrer Anträge gegen eine Entscheidung der Kommission auf sie berufen.

80 Schließlich kommt wegen Artikel 192 EWG-Vertrag bei Rechtsakten, mit denen, wie im vorliegenden Fall, eine Geldbusse auferlegt wird, dem Begriff des vollstreckbaren Rechtsakts eine besondere Bedeutung zu. Nach Artikel 189 EWG-Vertrag ist die Entscheidung eines Gemeinschaftsorgans "in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet"; im übrigen sind die den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Entscheidungen, wie in ihnen ausdrücklich erwähnt wird, vollstreckbare Titel, weil sie Geldbussen auferlegen. Nach Artikel 192 Absatz 1 EWG-Vertrag sind "die Entscheidungen... der Kommission, die eine Zahlung auferlegen,... vollstreckbare Titel; dies gilt nicht gegenüber Staaten".

81 Artikel 192 Absatz 2 schreibt folgendes vor: "Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach den Vorschriften des Zivilprozeßrechts des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sie stattfindet. Die Vollstreckungsklausel wird nach einer Prüfung, die sich lediglich auf die Echtheit des Titels erstrecken darf, von der staatlichen Behörde erteilt, welche die Regierung jedes Mitgliedstaats zu diesem Zweck bestimmt und der Kommission und dem Gerichtshof benennt." Damit ergibt sich aus dem Wortlaut des EWG-Vertrags, daß die Klägerinnen im Rahmen einer gemäß Artikel 192 Absatz 2 EWG-Vertrag erhobenen Klage vor dem nationalen Gericht gegen eine Entscheidung der zuständigen nationalen Behörde über die Zwangsvollstreckung wegen der von der Kommission auferlegten Geldbusse einen Verstoß gegen Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission zum Zwecke der Prüfung der Echtheit des Titels rügen können. Die Grundsätze der Verfahrensökonomie und der geordneten Rechtspflege verlangen somit, daß die Klägerinnen diese Rüge auch in einem Verfahren vor dem Gemeinschaftsrichter unter den in Artikel 173 EWG-Vertrag genannten Voraussetzungen gegen die Rechtmässigkeit einer Entscheidung erheben können, die eine Geldbusse auferlegt, wegen der die Zwangsvollstreckung möglich ist. Da die Beweisaufnahme ergeben hat, daß eine Ausfertigung der Entscheidung gemäß Artikel 12 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission unmöglich ist, könnte das Verfahren der Prüfung der Echtheit des Titels, also der ausgefertigten Urschrift des Rechtsakts, wie es in Artikel 192 Absatz 2 EWG-Vertrag vorgesehen ist, im vorliegenden Fall nicht durchgeführt werden.

82 Aus allen diesen Gründen ist das Vorbringen der Kommission in der mündlichen Verhandlung, die Klägerinnen könnten sich auf den Verstoß gegen Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission nicht berufen, zurückzuweisen.

83 Daß das Vorbringen der Klägerinnen begründet ist, folgt schon daraus, daß die Kommission selbst zugestanden hat, sie könne dem Gericht keine Abschrift der gemäß ihrer Geschäftsordnung ausgefertigten Urschriften der Rechtsakte vorlegen.

2. Die Qualifizierung des angefochtenen Rechtsakts als "Entscheidung" im Sinne des Artikels 189 EWG-Vertrag

84 Da somit festeht, daß die den Klägerinnen zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakte nicht formgerecht ausgefertigt werden und somit keine vollstreckbaren Titel darstellen können, für die das Verfahren nach Artikel 192 Absatz 2 EWG-Vertrag durchgeführt werden könnte, stellt sich bereits nach dem Wortlaut des Artikels 192 Absatz 1 die Frage, ob diese Rechtsakte, wie sie dem Gericht vorliegen, rechtlich als "Entscheidung" angesehen werden können.

85 Nach der Kommission, die in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zugestanden hat, daß sie nicht in der Lage sei, eine gemäß Artikel 12 ihrer Geschäftsordnung ausgefertigte Urschrift der angefochtenen Entscheidungen vorzulegen, ergeben sich diese Entscheidungen gemäß den oben behandelten Erklärungen vom 21. November 1991 und vom 5. Dezember 1991 aus einer Gesamtschau der Entscheidungsentwürfe und der Auszuege aus den Niederschriften, die dem Gericht vorgelegt worden sind.

86 Diese Auffassung ist aus grundsätzlichen wie aus einzelfallspezifischen Gründen unzutreffend.

87 Zunächst stellt die Förmlichkeit des bei Erlaß und Ausfertigung der Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane zu beachtenden Verfahrens eine Garantie dar, die zu den Grundlagen der gemeinschaftlichen Rechtsordnung gehört. Diese Förmlichkeit garantiert die Unantastbarkeit jedes Rechtsakts - Verordnung, Richtlinie, Entscheidung -, der Teil der gemeinschaftlichen Rechtsordnung ist, sowie die Gewißheit, daß dieser nachträglich nur geändert oder aufgehoben werden darf, wenn die Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften, insbesondere das Kollegialprinzip, beachtet werden. Nur die genaue und rigorose Formenstrenge des Artikels 12 der Geschäftsordnung der Kommission, die zum einen die Ausfertigung der beschlossenen Rechtsakte, zum anderen ihre Beifügung zum Protokoll der Sitzung vorsieht, in der sie beschlossen wurden, erlaubt die unwiderlegliche Feststellung der exakten Übereinstimmung zwischen dem später genehmigten Protokoll der Sitzung und der beschlossenen und ausgefertigten Urschrift des Rechtsakts. Das Gefüge des Artikels 12 der Gechäftsordnung der Kommission verbietet es somit, daß schlichte Auszuege aus Protokollen zusammen mit nicht identifizierbaren Entscheidungsentwürfen an die Stelle der Entscheidung treten können.

88 Zum zweiten ist das Vorbringen der Kommission, in der Sitzung vom 21. Dezember 1988 sei als Ergänzung zum Entwurf vom 14. Dezember 1988 der Absatz beschlossen worden, der sich in Nr. 27 Absatz 4 der Begründung der zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte findet (vgl. Randnr. 47), angesichts der zu den Akten gereichten Schriftstücke nicht haltbar.

89 Folglich hätte nur die Vorlage der gemäß Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission ausgefertigten Rechtsakte es erlaubt, den exakten Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers zu kennen. Dieser Wille kann den Klägerinnen nur Pflichten auferlegen, wenn er bekannt ist und im Rahmen der richterlichen Überprüfung durch das Gericht genau festgestellt werden kann.

90 Im übrigen würden, wollte man der vom beklagten Organ vertretenen Auffassung von der nötigen Gesamtschau der verschiedenen von ihr vorgelegten Schriftstücke folgen, die zugestellten und im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Rechtsakte auch nicht dem "Rechtsakt" entsprechen, der sich aus der in den Erklärungen vom 21. November oder 5. Dezember 1991 vorgeschlagenen Gesamtschau der Niederschriften und der Entscheidungsentwürfe in Deutsch, Englisch und Französich ergibt, wie sie ausweislich des Protokolls der Sitzung Nr. 945 vom Kommissionskollegium am 21. Dezember 1988 angenommen wurden. Selbst wenn sich, was nicht der Fall ist, die vom Kommissionskollegium am 21. Dezember 1988 beschlossenen Rechtsakte aus der Gesamtschau mehrerer unzusammenhängender, meistenteils weder unterzeichneter noch ausgefertigter Schriftstücke ergeben könnten, so würden diese "Rechtsakte" doch keinesfalls die oben erörterten Änderungen berücksichtigen, die die deutsche Fassung des zugestellten und veröffentlichten Rechtsakts betreffen (vgl. Randnr. 39 bis 42). Nicht berücksichtigt würde auch die oben (vgl. Randnrn. 48 bis 50) beschriebene Änderung des verfügenden Teils der zugestellten und veröffentlichten Entscheidungen. Diese Rechtsakte ließen schließlich die Frage der in italienischer und niederländischer Sprache zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte offen, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von keiner Stelle beschlossen wurden (vgl. Randnrn. 54 bis 65).

91 Weiter hat einer der Bevollmächtigten der Kommission in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß das Kommissionskollegium am 21. Dezember 1988 keine abschließende Entscheidung getroffen habe und daß dem Protokoll der Sitzung der Kommission damals aus diesem Grund entgegen Artikel 12 der Geschäftsordnung kein Text beigefügt worden sei. Da somit festzustellen ist, daß das Organ selbst, von dem die streitigen Rechtsakte stammen, keine sichere Kenntnis von der tatsächlichen und abschließenden Willensübereinstimmung des Kommissionskollegiums hat, hat die Beweisaufnahme ergeben, daß solche "Rechtsakte" Dritten nicht entgegengehalten werden können und daß sie folglich keine Entscheidung im Sinne des Artikels 189 EWG-Vertrag sind.

92 Das aus der Praxis des Organs, sollte sie existieren, entwickelte Argument steht diesem Ergebnis nicht entgegen, da nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 23. Februar 1988 ("Legehennen") "eine Praxis... die Regeln des Vertrags nicht abzuändern" vermag.

93 Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, daß das Gericht die Rechtsakte nicht präzise datieren kann. Sie wurden kurz vor Ablauf der Amtszeit des für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglieds der Kommission beschlossen, das vom Kollegium zumindest teilweise zum Erlaß ermächtigt worden war. Damit kann das Gericht nicht das Datum feststellen, an dem die streitigen Rechtsakte in der Zeit vom 21. Dezember 1988 bis 16. Januar 1989 tatsächlich beschlossen, Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung und somit verbindlich wurden.

94 Weiter ist festzustellen, daß das Gericht den genauen, gewissen Inhalt der beschlossenen Rechtsakte nicht feststellen kann, weil diese geändert wurden und weil das Ausfertigungsverfahren nach Artikel 12 der Geschäftsordnung völlig missachtet wurde, das allein es erlaubt hätte, mit Gewißheit und gemäß dem Ziel der prozeßleitenden Maßnahme vom 11. Juli 1991 und der Beweisaufnahme vom 19. November 1991 den Willen des Beschlussorgans von den späteren, von einer unbekannten Person zu einem unbekannten Zeitpunkt vorgenommenen Änderungen zu scheiden.

95 Schließlich ist festzustellen, daß das Gericht aufgrund des Zusammenwirkens dieser beiden Mängel nicht mit Gewißheit feststellen kann, wer die Rechtsakte in ihrer endgültigen Fassung beschlossen hat, wobei es sich zum einen um eine Frage des ordre public handelt und diese Rechtsakte zum anderen wegen der beiden genannten Mängel die Vermutung der Rechtmässigkeit verloren haben, die ihnen aufgrund ihres Anscheins zukommt.

96 Kann das Gericht weder mit hinreichender Sicherheit feststellen, von welchem Zeitpunkt an ein Rechtsakt Rechtswirkungen zeitigen kann und folglich Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist, noch aufgrund späterer Änderungen mit Gewißheit den genauen Inhalt der Begründung erfassen, die der Rechtsakt gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag enthalten muß, noch unzweideutig den Umfang der Verpflichtungen, die er seinen Adressaten auferlegt, noch auch nur deren Bezeichnung bestimmen und überwachen, noch mit Sicherheit feststellen, wer die endgültige Fassung erstellt hat, und steht zudem fest, daß bei dem Rechtsakt das gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Ausfertigungsverfahren völlig missachtet wurde und das Verfahren nach Artikel 192 Absatz 2 EWG-Vertrag nicht durchgeführt werden kann, so kann dieser Rechtsakt nicht als Entscheidung im Sinne des Artikels 189 EWG-Vertrag betrachtet werden. Ein solcher Rechtsakt ist mit besonders schweren und offenkundigen Mängeln behaftet und folglich rechtlich inexistent.

3. Der Anschein der zugestellten und veröffentlichten Rechtsakte

97 Schließlich kann die Beklagte die Klägerinnen nicht, wie sie es während der mündlichen Verhandlung getan hat, auf die zugestellten Schriftstücke verweisen und geltend machen, diese stellten die Urschrift des Rechtsakts dar, weil ihre Übereinstimmung mit jenem beglaubigt sei. Wenn auch grundsätzlich eine Vermutung für die Übereinstimmung des zugestellten und veröffentlichten Rechtsakts mit dem ursprünglichen, echten Rechtsakt spricht, so gilt diese Vermutung doch im vorliegenden Fall nicht, weil die Kommission die hinreichend substantiierten Aussagen der Klägerinnen zu den Abweichungen zwischen dem beschlossenen "Rechtsakt" einerseits und dem zugestellten und veröffentlichten "Rechtsakt" andererseits nicht entkräften kann, da sie ausser Protokollen mit schlichten, weder unterzeichneten noch ausgefertigten Entscheidungsentwürfen, die eine Kenntnis vom Inhalt des Rechtsakts nicht erlauben, keine ausgefertigte Urschrift vorlegen kann. Ganz im Gegenteil haben die von der Beklagten vorgelegten Schriftstücke diese Abweichungen, wie sie ursprünglich von den Klägerinnnen behauptet wurden, nur bestätigt und im übrigen einerseits Abweichungen zwischen den drei vom Kommissionskollegium beschlossenen Fassungen, andererseits das Fehlen jeder Beschlußfassung über die Entscheidungen in zwei der fünf verbindlichen Sprachen aufgezeigt.

98 Die Kommission kann auch mit ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht gehört werden, bei der Sitzung vom 21. Dezember 1988 habe das Kommissionskollegium den "Inhalt", den "Grund" oder das "Wesen" des angefochtenen Rechtsakts beschlossen; die zugestellten Rechtsakte müssten daher als diesem Willen der erlassenden Stelle entsprechend angesehen werden. Sowohl die Artikel 189 und 190 EWG-Vertrag als auch Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission beziehen sich nur auf von der Kommission beschlossene Rechtsakte und nicht auf informelle Willensbekundungen dieses Organs, die angeblich ihren Niederschlag in einem Einvernehmen über den "Inhalt", den "Grund" oder das "Wesen" eines Rechtsakts finden, da diese Begriffe dem Gemeinschaftsrecht nicht bekannt sind.

99 Die Wirkung der Beweise bringt somit den Gemeinschaftsrichter dazu, den Rechtsakt zu verwerfen, den er nach der Theorie vom Anscheinsakt wegen der Vermutung der Gültigkeit der Gemeinschaftsakte grundsätzlich ungeprüft lassen müsste. Diese Theorie und diese Vermutung stellen nur die unmittelbare, notwendige Folge der vom Gemeinschaftsrecht geforderten strikten Förmlichkeit des Verfahrens dar: Nur weil ein Rechtsakt eines Organs als unantastbar gilt und davon ausgegangen wird, daß er formgerecht zustande kam, können die zugestellten und veröffentlichten Abschriften grundsätzlich als ihm entsprechend angesehen werden. Mit anderen Worten: Steht fest, daß der "Rechtsakt" nach seiner Annahme geändert wurde, so lässt sich jedenfalls nicht mehr vertreten, daß der zugestellte oder veröffentlichte "Rechtsakt" mit dem beschlossenen "Rechtsakt" übereinstimme, weil er dessen Urschrift sei. Die Kommission kann sich somit nicht auf die Theorie vom Anscheinsakt berufen, da sie das Vorbringen der Klägerinnen zu den Abweichungen zwischen den zugestellten oder veröffentlichten Rechtsakten einerseits und einem echten Rechtsakt andererseits nicht widerlegen konnte, es vielmehr durch die vorgelegten Schriftstücke bestätigt und angereichert hat. Folglich wird die Gültigkeit des Anscheinsakts nicht mehr vermutet, der Akt ist vom Gericht zu verwerfen. Ist aber im vorliegenden Fall der Anscheinsakt, also der zugestellte und veröffentlichte Rechtsakt, verworfen, so ist festzustellen, daß an seine Stelle kein ursprünglicher, formgerecht ausgefertigter Rechtsakt treten kann, der alle Garantien eines echten Rechtsakts böte.

100 Nach alledem muß das Gericht aufgrund der besonders schweren und offenkundigen Mängel des im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 17. März 1989 unter dem Titel "Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.865, PVC) (89/190/EWG)" veröffentlichten, den Klägerinnen im Februar 1989 zugestellten "Rechtsakts" feststellen, daß dieser inexistent ist.

101 Die Klagen gegen einen inexistenten Rechtsakt sind als unzulässig abzuweisen (Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 1957, a. a. O.), ohne daß das Gericht die Einrede der Unzulässigkeit gegen die Klage der Shell International Chemical Compagnie Ltd zu prüfen braucht, die auf deren verspätete Einreichung gestützt wird: Inexistente Rechtsakte können ohnehin ohne Beachtung einer Frist angefochten werden (Urteil des Gerichtshofes vom 26. Februar 1987, a. a. O.); zudem hat der Gemeinschaftsrichter von Amts wegen zu prüfen, ob ein Rechtsakt inexistent ist, da es sich dabei um eine Frage des ordre public handelt. Auch braucht über die Zulässigkeit der von der Montedison SpA im Lauf der mündlichen Verhandlung neu gestellten "Anträge" nicht entschieden zu werden.

102 Somit sind sämtliche Klagen einschließlich der Schadensersatzanträge der Montedison SpA als unzulässig abzuweisen; zudem hat die Klägerin zur Stützung dieser Anträge nichts vorgebracht und auch nicht einmal näherungsweise eine bezifferte Schätzung des angeblichen Schadens vorgenommen.

Kostenentscheidung:

Kosten

103 Angesichts der Umstände des vorliegenden Falles sind die Kosten gemäß Artikel 87 Absatz 3 Verfahrensordnung der Kommission aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Der den Klägerinnen zugestellte, im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 74 vom 17. März 1989 (S. 1) veröffentlichte Rechtsakt mit dem Titel "Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.865, PVC) (89/190/EWG)" ist inexistent.

2) Die Klagen werden als unzulässig abgewiesen.

3) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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