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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 08.12.1999
Aktenzeichen: T-79/99
Rechtsgebiete: EG-Satzung, Verfahrensordnung


Vorschriften:

EG-Satzung Art. 17 Abs. 3
EG-Satzung Art. 19 Abs. 1
Verfahrensordnung Art. 43 § 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Für die Erhebung einer Klage vor dem Gericht muß eine Partei im Sinne von Artikel 17 Absatz 3 der Satzung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 46 dieser Satzung auch für das Gericht gilt, die Dienste eines Dritten in Anspruch nehmen, der berechtigt ist, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum aufzutreten.

Ein hierzu berechtigter Rechtsanwalt, der einer der beiden Geschäftsführer der klagenden Gesellschaft und damit ihr Organ ist, kann nicht als ein von der Klägerin unabhängiger Dritter angesehen werden; eine von ihm unterzeichnete Klageschrift führt deshalb zur Unzulässigkeit der Klage.


Beschluss des Gerichts Erster Instanz (Zweite Kammer) vom 8. Dezember 1999. - Euro-Lex European Law Expertise GmbH gegen Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle). - Gemeinschaftsmarke - Vertretung durch einen Rechtsanwalt, der Geschäftsführer des Klägers ist - Unzulässigkeit. - Rechtssache T-79/99.

Parteien:

In der Rechtssache T-79/99

Euro-Lex European Law Expertise GmbH, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Emmerich (Deutschland), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Eckhard Benkelberg, Emmerich und Kleve, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Faltz und Kremer, 6, rue Heinrich Heine, Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle), vertreten durch Detlef Schennen, Leiter der Dienststelle für Gesetzgebung und internationale Rechtsangelegenheiten, und Emmanuel Joly, Verwaltungsrat in der

Dienststelle Juristischer Dienst und Gerichtsverfahren, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagter,

wegen Aufhebung der der Klägerin am 1. Februar 1999 zugestellten Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) vom 26. Januar 1999 (Beschwerdesache R 114/1998-1)

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Pirrung sowie der Richter A. Potocki und A. W. H. Meij,

Kanzler: H. Jung

aufgrund der am 8. April 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der schriftlichen Frage des Gerichts an die Parteien vom 21. Juni 1999,

aufgrund der am 14. und 15. Juli 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Stellungnahmen,

aufgrund der am 16. August 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

folgenden

Beschluß

Entscheidungsgründe:

Verfahren

1 Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung der Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (im folgenden: Amt) vom 26. Januar 1999 (Beschwerdesache R 114/1998-1), soweit darin der Bescheid des Prüfers vom 20. Mai 1998, mit dem ihre Gemeinschaftsmarkenanmeldung zurückgewiesen wurde, bestätigt wird.

2 Die angemeldete Marke besteht aus der Wortbildung Eu-Lex.

3 Zur Behebung eines Mangels der Klageschrift gemäß Artikel 44 § 6 der Verfahrensordnung des Gerichts hat die Klägerin gemäß § 5 Buchstabe b dieses Artikels einen Handelsregisterauszug vorgelegt.

4 Diesem Auszug hat das Gericht entnommen, daß Rechtsanwalt Benkelberg, der die Klägerin vertritt und die Klageschrift unterzeichnet hat, einer der beiden Geschäftsführer der Klägerin ist.

5 Mit Schreiben der Kanzlei vom 21. Juni 1999 sind die Parteien aufgefordert worden, unter Berücksichtigung der Artikel 17 Absätze 3 und 4 und 19 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes, des Artikels 43 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts und des Beschlusses des Gerichtshofes vom 5. Dezember 1996 in der Rechtssache C-174/96 P (Lopes/Gerichtshof, Slg. 1996, I-6401) zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Klage ordnungsgemäß erhoben und damit zulässig ist.

6 Die Klägerin und das Amt haben ihre Stellungnahmen fristgemäß eingereicht.

Anträge der Parteien

7 Die Klägerin beantragt, Nummer 3 der Entscheidungsformel der Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des Amtes vom 26. Januar 1999 aufzuheben.

8 Das Amt beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit

9 Ist eine Klage offensichtlich unzulässig, so kann das Gericht gemäß Artikel 111 der Verfahrensordnung ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluß entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist.

10 Im vorliegenden Fall hält das Gericht die sich aus den Akten ergebenden Angaben für ausreichend und beschließt, gemäß dieser Bestimmung zu entscheiden.

Vorbringen der Parteien

Vorbringen der Klägerin

11 Die Klägerin trägt vor, sie sei eine Gesellschaft, in der sich mehrere Rechtsanwälte zusammengeschlossen hätten. Nach deutschem Recht seien die Geschäftsführer einer solchen Gesellschaft - die Rechtsanwälte sein müßten - befugt, diese vor Gericht zu vertreten.

12 Das in der Bundesrechtsanwaltsordnung für Rechtsanwälte festgelegte Verbot der Vertretung eines Unternehmens beziehe sich nur auf den Syndikus-Anwalt", also einen angestellten Juristen (Rechtsanwalt), dessen Aufgabe es sei, das Unternehmen in Rechtsfragen zu vertreten.

13 Rechtsanwalt Benkelberg sei dagegen weder Syndikus noch Angestellter der klagenden Gesellschaft. Als Geschäftsführer sei er vielmehr ihr Organ".

14 Er unterliege deshalb keinem Verbot, als Rechtsanwalt die Klägerin vor einem deutschen Gericht zu vertreten.

15 Nach den Artikeln 17 Absätze 3 und 4 und 19 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes sei es lediglich erforderlich, daß die in Frage stehende Gesellschaft vor den Gemeinschaftsgerichten durch einen Rechtsanwalt vertreten sei, der sie vor den nationalen Gerichten vertreten könne.

16 Da Rechtsanwalt Benkelberg für die Klägerin vor deutschen Gerichten auftreten könne, sei er auch zu ihrer Vertretung vor den Gemeinschaftsgerichten befugt.

17 Es sei ausgeschlossen, daß der Gerichtshof oder das Gericht zu einem anderen Ergebnis gelange, durch das das Berufsrecht der deutschen Rechtsanwälte eingeschränkt würde.

18 Nach Ansicht der Klägerin ist die Klage daher ordnungsgemäß erhoben und damit zulässig.

Vorbringen des Amtes

19 Das Amt führt aus, das vor den Gemeinschaftsgerichten geltende Verfahrensrecht unterscheide sich vom deutschen Zivilprozeßrecht darin, daß letzteres die Selbstvertretung von Rechtsanwälten vor Gericht ausdrücklich zulasse. Auch die Voraussetzungen der deutschen Rechtsvorschriften, die die Vertretung Dritter unter dem Gesichtspunkt von Interessenkonflikten einschränkend regelten, seien im vorliegenden Fall nicht erfuellt.

20 Anders als in der Rechtssache, die zum Beschluß Lopes/Gerichtshof geführt habe, bestehe im vorliegenden Fall keine Identität zwischen der Prozeßpartei und ihrem Vertreter. Vielmehr seien die Klägerin als juristische Person und Rechtsanwalt Benkelberg als natürliche Person zwei verschiedene Personen. Der Umstand, daß Rechtsanwalt Benkelberg Geschäftsführer und damit Organ" der Klägerin sei, ändere hieran nichts.

21 Sicherlich seien die wirtschaftlichen Interessen von Rechtsanwalt Benkelberg und der Klägerin gleichgelagert. Rechtsanwalt Benkelberg könne sich auch, wenn er im Verfahren für die Klägerin auftrete, als deren Geschäftsführer für die Prozeßführung selbst Instruktionen geben. Daraus ergebe sich aber kein Hindernis für die Zulässigkeit der Klage.

22 Nach Auffassung des Amtes ist die Klage deshalb unter diesem Gesichtspunkt ordnungsgemäß erhoben und zulässig. Das Amt äußert jedoch Zweifel, ob die Rechtsanwalt Benkelberg von der Klägerin erteilte Vollmacht den Formerfordernissen genüge.

Würdigung durch das Gericht

23 In Artikel 17 Absätze 3 und 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 46 dieser Satzung auch für das Gericht gilt, heißt es:

Die... Parteien müssen durch einen Anwalt vertreten sein.

Nur ein Anwalt, der berechtigt ist, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum aufzutreten, kann vor dem Gerichtshof als Vertreter oder Beistand einer Partei auftreten."

24 Außerdem bestimmt Artikel 19 Absatz 1 der Satzung:

Die Klageerhebung beim Gerichtshof erfolgt durch Einreichung einer an den Kanzler zu richtenden Klageschrift. Die Klageschrift muß Namen und Wohnsitz des Klägers [und] die Stellung des Unterzeichnenden... enthalten."

25 Schließlich heißt es in Artikel 43 § 1 Absatz 1 der Verfahrensordnung des Gerichts:

Die Urschrift jedes Schriftsatzes ist vom Bevollmächtigten oder vom Anwalt der Partei zu unterzeichnen."

26 Da diese Bestimmungen zum Gemeinschaftsrecht gehören, sind sie soweit wie möglich autonom und ohne Bezugnahme auf das nationale Recht auszulegen.

27 Aus diesen Bestimmungen, insbesondere aus der Verwendung des Begriffes vertreten" in Artikel 17 Absatz 3 der Satzung, ergibt sich, daß eine Partei" im Sinne dieses Artikels für die Erhebung einer Klage vor dem Gericht die Dienste eines Dritten in Anspruch nehmen muß, der berechtigt ist, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum aufzutreten (vgl. Beschluß Lopes/Gerichtshof, Randnr. 11).

28 Dieses Erfordernis, sich eines Dritten zu bedienen, entspricht der Vorstellung von der Funktion des Rechtsanwalts, nach der dieser als Mitarbeiter der Rechtspflege betrachtet wird, der in völliger Unabhängigkeit und im höheren Interesse der Rechtspflege die rechtliche Unterstützung zu gewähren hat, die der Mandant benötigt. Diese Vorstellung entspricht den gemeinsamen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten und hat, wie sich gerade aus Artikel 17 der Satzung ergibt, auch in der Gemeinschaftsrechtsordnung ihren Niederschlag gefunden (in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 18. Mai 1982 in der Rechtssache 155/79, AM & S/Kommission, Slg. 1982, 1575, Randnr. 24).

29 Daraus folgt, daß Rechtsanwalt Benkelberg, der die Klägerin vertritt, im vorliegenden Verfahren nicht als ein von ihr unabhängiger Dritter" im Sinne des Beschlusses Lopes/Gerichtshof angesehen werden kann. Denn er ist einer ihrer beiden Geschäftsführer. Dies bedeutet, wie beide Parteien hervorheben, daß er Organ" der Klägerin ist. Unter diesen Umständen ist Rechtsanwalt Benkelberg nicht befugt, die Klägerin im vorliegenden Verfahren zu vertreten.

30 Da Rechtsanwalt Benkelberg die Klageschrift unterzeichnet hat, ist die vorliegende Klage somit nicht gemäß den Artikeln 17 Absätze 3 und 4 sowie 19 Absatz 1 der Satzung und Artikel 43 § 1 der Verfahrensordnung erhoben worden.

31 Die Klage ist deshalb als offensichtlich unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

32 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

33 Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag des Amtes die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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