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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 31.10.2000
Aktenzeichen: T-83/00 R I
Rechtsgebiete: EGV, Beschluss 88/591/EGKS, EWG, Euratom, Richtlinie 65/65/EWG, Richtlinie 75/319/EWG


Vorschriften:

EGV Art. 242
EGV Art. 243
Beschluss 88/591/EGKS, EWG, Euratom Art. 4
Richtlinie 65/65/EWG
Richtlinie 75/319/EWG
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS

31. Oktober 2000 (1)

"Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die den Stoff .Norpseudoephedrin' enthalten - Richtlinie 75/319/EWG - Dringlichkeit - Interessenabwägung"

Parteien:

In der Rechtssache T-83/00 R-I

Hänseler GmbH, Konstanz (Deutschland), Prozessbevollmächtiger: Rechtsanwalt B. Sträter, Bonn, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Bonn & Schmidt, 7, Val Sainte-Croix, Luxemburg,

Antragstellerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Støvlbæk, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur, Brüssel, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Antragsgegnerin,

wegen Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung der Kommission vom 9. März 2000 über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die u. a. den Stoff "Norpseudoephedrin" enthalten (K[2000] 608),

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

1.

Am 26. Januar 1965 erließ der Rat die Richtlinie 65/65/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369), die mehrfach geändert wurde. Gemäß dem in Artikel 3 der Richtlinie aufgestellten Grundsatz darf ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Richtlinie erteilt hat oder wenn eine solche Genehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. L 214, S. 1) erteilt wurde.

2.

Nach Artikel 4 der Richtlinie 65/65 ist die Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 3 von der für das Inverkehrbringen verantwortlichen Person bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats zu beantragen. Nach Artikel 5 wird die Genehmigung versagt, wenn sich ergibt, entweder dass die Arzneispezialität bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich ist oder dass ihre therapeutische Wirksamkeit fehlt oder vom Antragsteller unzureichend begründet ist oder dass die Arzneispezialität nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist, oder wenn die Angaben und Unterlagen zur Stützung des Antrags nicht den Bestimmungen des Artikels 4 entsprechen. Nach Artikel 10 ist die Genehmigung fünf Jahre gültig und kann für jeweils fünf Jahre verlängert werden; diese Verlängerung erfolgt nach einer von der zuständigen Behördevorzunehmenden Prüfung der Unterlagen, die insbesondere eine Übersicht über den Stand der Angaben zur Pharmakovigilanz und die übrigen für die Arzneimittelüberwachung maßgebenden Informationen enthalten.

3.

Nach Artikel 11 Absatz 1 setzen die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die Genehmigung für das Inverkehrbringen einer Arzneispezialität aus oder widerrufen sie, wenn sich herausstellt, entweder dass die Arzneispezialität bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich ist oder dass ihre therapeutische Wirksamkeit fehlt oder dass die Arzneispezialität nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist. Die therapeutische Wirksamkeit fehlt nach dieser Vorschrift, wenn feststeht, dass sich mit der Arzneispezialität keine therapeutischen Ergebnisse erzielen lassen.

4.

Nach Artikel 21 darf die Genehmigung für das Inverkehrbringen nur aus den in der Richtlinie 65/65 aufgeführten Gründen versagt, ausgesetzt oder widerrufen werden.

5.

Die Zweite Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. L 147, S. 13) in der Fassung der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Änderung der Richtlinien 65/65/EWG, 75/318/EWG und 75/319/EWG betreffend Arzneimittel (ABl. L 214, S. 22) sieht eine Reihe von Schiedsverfahren vor dem Ausschuss für Arzneispezialitäten (im Folgenden: Ausschuss) der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln vor. Ein solches Verfahren wird durchgeführt, wenn ein Mitgliedstaat der Auffassung ist, dass Anlass zu der Annahme besteht, dass die Genehmigung eines Arzneimittels eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen kann (Artikel 10 der Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie 93/39), im Fall abweichender Entscheidungen bezüglich der Erteilung, Aussetzung oder Rücknahme nationaler Genehmigungen (Artikel 11), in besonderen Fällen von Gemeinschaftsinteresse (Artikel 12) sowie bei Änderungen harmonisierter Genehmigungen (Artikel 15, 15a und 15b). Im vorliegenden Fall sind die Verfahren nach den Artikeln 12 und 15a der Richtlinie 75/319 von besonderem Interesse.

6.

Nach Artikel 12 können u. a. die Mitgliedstaaten in besonderen Fällen von Gemeinschaftsinteresse den Ausschuss mit der Anwendung des Verfahrens nach Artikel 13 befassen, bevor sie über einen Antrag auf Genehmigung, über die Aussetzung oder den Widerruf einer Genehmigung bzw. über jede andere Änderung der Bedingungen einer Genehmigung für das Inverkehrbringen entscheiden, die für erforderlich gehalten wird, insbesondere zur Berücksichtigung der im Rahmen der Pharmakovigilanz gemäß Kapitel Va der Richtlinie 75/319 gesammelten Informationen.

7.

Artikel 15a bestimmt:

"(1) Ist ein Mitgliedstaat der Ansicht, dass die Änderung der Bedingungen für eine Genehmigung, die gemäß den Bestimmungen dieses Kapitels erteilt worden ist, oder deren Aussetzung oder Rücknahme für den Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich ist, so verweist der betreffende Mitgliedstaat diese Angelegenheit unverzüglich zur Anwendung der Verfahren gemäß den Artikeln 13 und 14 an den Ausschuss.

(2) Ist eine Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dringend erforderlich, so kann der Mitgliedstaat unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 12 in Ausnahmefällen bis zu einer endgültigen Entscheidung das Inverkehrbringen und die Anwendung des betreffenden Arzneimittels in seinem Hoheitsgebiet aussetzen. Er hat die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten spätestens am nächsten Arbeitstag über die Gründe dieser Maßnahme zu unterrichten."

Sachverhalt und Verfahren

8.

Die Antragstellerin ist Inhaberin einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Norpseudoephedrin enthaltenden Arzneimittels.

9.

Am 17. Mai 1995 wandte sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 12 der Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie 93/39 an den Ausschuss und teilte ihm ihre Befürchtungen im Zusammenhang mit Anorektika mit, zu denen auch Norpseudoephedrin enthaltende Arzneimittel gehören und die eine schwere pulmonale Hypertonie hervorrufen können.

10.

Das durch diese Anrufung eingeleitete Verfahren führte zum Erlass der auf Artikel 14 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 75/319 gestützten Entscheidung K(96) 3608 der Kommission vom 9. Dezember 1996, in der den Mitgliedstaaten aufgegeben wurde, bestimmte klinische Angaben zu ändern, die die einzelstaatlichen Zulassungen für das Inverkehrbringen der fraglichen Arzneimittel enthalten mussten.

11.

Mit Schreiben vom 7. November 1997 an den Vorsitzenden des Ausschusses äußerte das belgische Ministerium für soziale Angelegenheiten, Volksgesundheit und Umwelt die Befürchtung, dass es eine Kausalbeziehung zwischen Herzklappenstörungen und der Einnahme von Amfepramon oder Phentermin enthaltenden Anorektika gebe. Das Ministerium ersuchte daher den Ausschuss gemäß den Artikeln 13 und 15a der Richtlinie 75/319, ein begründetes Gutachten zu den betreffenden Arzneimitteln abzugeben.

12.

Mit Schreiben vom 31. August 1998, das ebenfalls an den Vorsitzenden des Ausschusses gerichtet war, wies das österreichische Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales darauf hin, dass nicht nur Phentermin und Amfepramon, sondern auch Clobenzorex, Fenbutrazat, Fenproporex, Mazindol, Mefenorex, Norpseudoephedrin, Phenmetrazin, Phendimetrazin und Propylhexedrin zur gleichen Gruppe dem Amphetamin verwandter Anorektika gehörten. Das österreichische Bundesministerium fügte hinzu, alle diese Stoffe hättenwahrscheinlich die gleichen Eigenschaften und die gleichen Nebenwirkungen, und es ersuchte gemäß Artikel 15a der Richtlinie 75/319 den Ausschuss, ein begründetes Gutachten zu den betreffenden Arzneimitteln abzugeben.

13.

Am 31. August 1999 gab der Ausschuss seine Stellungnahme zu den Clobenzorex, Fenbutrazat, Fenproporex, Mazindol, Mefenorex, Norpseudoephedrin, Phenmetrazin, Phendimetrazin und Propylhexedrin enthaltenden Arzneimitteln ab. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass diese Arzneimittel ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis aufwiesen, und empfahl, die Genehmigung für ihr Inverkehrbringen zu widerrufen.

14.

Auf der Grundlage dieses Gutachtens bereitete die Kommission einen Entscheidungsentwurf vor, der u. a. am 20. Januar 2000 der Antragstellerin zugesandt wurde. Am 9. März 2000 erließ die Kommission die Entscheidung über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die die Stoffe "Clobenzorex", "Fenbutrazat", "Fenproporex", "Mazindol", "Mefenorex", "Norpseudoephedrin", "Phenmetrazin", "Phendimetrazin" und "Propylhexedrin" enthalten (K[2000] 608; im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Artikel 2 dieser Entscheidung verweist auf die in dem Gutachten vorgenommene Beurteilung durch den Ausschuss. Nach Artikel 3 der Entscheidung haben die Mitgliedstaaten die Zulassungen für alle in Anhang I der Entscheidung genannten Arzneimittel innerhalb von 30 Tagen nach der Bekanntgabe der Entscheidung zurückzunehmen.

15.

Mit Schriftsatz, der am 6. April 2000 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin gemäß Artikel 230 Absatz 4 EG Klage erhoben auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung oder, hilfsweise, auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung insoweit, als sie die Rücknahme der Zulassung für Norpseudoephedrin enthaltende Humanarzneimittel in Deutschland zur Folge hat (Rechtssache T-83/00).

16.

Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung gestellt und gemäß Artikel 105 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt, eine Eilentscheidung über den Aussetzungsantrag zu treffen.

17.

Die Parteien haben in der Sitzung vom 13. April 2000 mündlich verhandelt; in dieser Sitzung ist die Antragstellerin aufgefordert worden, bis 27. April 2000 dem Gericht Unterlagen vorzulegen, aus denen sich ein vollständiges Bild ihrer Geschäftstätigkeit und der Geschäftstätigkeit der zu ihrem Konzern gehörenden Unternehmen ergibt.

18.

Am 18. April 2000 hat der Präsident des Gerichts dem Antrag nach Artikel 105 § 2 der Verfahrensordnung stattgegeben und angeordnet, dass der Vollzug derangefochtenen Entscheidung bis zum Erlass des Beschlusses, der das Verfahren der einstweiligen Anordnung beendet, ausgesetzt wird.

19.

Die Antragstellerin hat die in der mündlichen Verhandlung verlangten Unterlagen am 27. April 2000 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht.

Rechtliche Würdigung

20.

Nach den Artikeln 242 EG und 243 EG in Verbindung mit Artikel 4 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) in der Fassung des Beschlusses 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 (ABl. L 144, S. 21) kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

21.

Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung müssen Anträge auf Aussetzung des Vollzugs die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der Aussetzung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen (Fumus boni iuris). Es handelt sich um kumulative Voraussetzungen, so dass der Aussetzungsantrag zurückzuweisen ist, sofern eine Voraussetzung nicht erfüllt ist (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 14. Oktober 1996 in der Rechtssache C-268/96 P[R], SCK und FNK/Kommission, Slg. 1996, I-4971, Randnr. 30). Der Richter der einstweiligen Anordnung nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 29. Juni 1999 in der Rechtssache C-107/99 R, Italien/Kommission, Slg. 1999, I-4011, Randnr. 59; Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 21. Juli 1999 in der Rechtssache T-191/98 R, DSR-Senator Lines/Kommission, Slg. 1999, II-2531, Randnr. 22, und vom 25. November 1999 in der Rechtssache T-222/99 R, Martinez und de Gaulle/Parlament, Slg. 1999, II-3397, Randnr. 22).

Zum Fumus boni iuris

Vorbringen der Parteien

22.

Die Antragstellerin trägt mehrere Gründe vor, um die Notwendigkeit der beantragten Aussetzung glaubhaft zu machen.

23.

Erstens sei die Kommission für den Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht zuständig gewesen. Artikel 15a der Richtlinie 75/319 bilde keine Rechtsgrundlage für das im vorliegenden Fall angewandte Verfahren. Nach dieser Vorschrift dürfe ein Mitgliedstaat das Verfahren gemäß den Artikeln 13 und 14 der Richtlinie 75/319 nur einleiten, wenn es sich um Zulassungen handele, die gemäß Kapitel III der Richtlinie erteilt worden seien. Die Zulassung, die die Antragstellerin innehabe, sei jedoch eine nationale Zulassung und nicht nach diesem Kapitel erteilt worden.Dass diese Zulassung nach einem gemäß Artikel 12 der Richtlinie 75/319 eingeleiteten Verfahren durch die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 geändert worden sei, beeinträchtige nicht diese Feststellung. Über geänderte Zulassungen aufgrund eines Verfahrens nach Artikel 12 treffe Artikel 15a der Richtlinie 75/319 keine Aussage. Außerdem verlange Artikel 15a der Richtlinie 75/319, dass eine Aussetzung oder Rücknahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sei. Diese Voraussetzung sei jedoch nicht erfüllt oder zumindest im Verlauf des Verfahrens entfallen, nachdem festgestellt worden sei, dass die Risikolage gegenüber der Entscheidung der Kommission vom 9. Dezember 1996 unverändert sei und die belgischen Fälle unbeachtlich seien.

24.

Zweitens sei das Verfahren vor dem Ausschuss und der Kommission durch einen schweren Verstoß gegen die Formvorschriften der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 in der geänderten Fassung gekennzeichnet, da der Ausschuss und die Kommission in keiner Weise die danach vorgeschriebenen Fristen eingehalten hätten. Diese Fristen sollten nicht nur einen raschen Verfahrensablauf im Interesse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gewährleisten, sondern dienten zugleich dem Schutz der von diesem Verfahren betroffenen Zulassungsinhaber oder Antragsteller, deren wirtschaftliche Dispositionen in erheblichem Maß von dem Ausgang des Referral-Verfahrens abhingen. Zudem sei Artikel 14 Absatz 1 Satz 4 der Richtlinie 75/319 dahin auszulegen, dass die Kommission verpflichtet sei, den Entscheidungsentwurf an die Mitgliedstaaten und die Zulassungsinhaber gleichzeitig zu übermitteln. Der Entscheidungsentwurf sei am 5. Januar 2000 an die Mitgliedstaaten, jedoch erst am 20. Januar 2000 an die Zulassungsinhaber übermittelt worden. Schließlich zeige die lange Verfahrensdauer mittelbar, dass eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit der Bevölkerung durch den Vertrieb des fraglichen Arzneimittels nicht bestehe.

25.

Drittens verstoße die angefochtene Entscheidung gegen die Artikel 11 Absatz 1 und 21 der Richtlinie 65/65, weil allein Artikel 11 eine taugliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf oder die Rücknahme von Zulassungen sei. Wenn die Kommission den Mitgliedstaaten nach dem Verfahren der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 die Rücknahme einer Zulassung aufgebe, seien die Voraussetzungen für die Rücknahme gemäß Artikel 11 der Richtlinie 65/65 zu beachten. Im vorliegenden Fall müsste daher festgestellt werden, dass die Norpseudoephedrin enthaltenden Arzneimittel schädlich seien oder dass diese Präparate keine therapeutische Wirksamkeit hätten oder nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufwiesen. Im Gutachten des Ausschusses, das sich die Kommission zur Begründung der angefochtenen Entscheidung zu eigen gemacht habe, würden jedoch zu keiner dieser Voraussetzungen Feststellungen getroffen. Der Ausschuss nehme vielmehr eine Nutzen-Risiko-Abwägung vor, die Artikel 11 der Richtlinie 65/65 nicht vorsehe und die deshalb rechtswidrig sei. Die vom Ausschuss außerdem herangezogene Note for guidance on clinical investigations of drugs used in weight control (Leitlinien für klinische Untersuchungen von im Rahmen der Gewichtskontrolle verwendetenArzneimitteln) könne ebenfalls nicht die Rücknahme einer Zulassung begründen, da damit nur die Prüfungsanforderungen nach der Richtlinie 75/318 konkretisiert würden, die nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Richtlinie nur für Neuzulassungen gälten. Außerdem belegten die Ausführungen des Ausschusses und der Kommission zur Wirksamkeit der betreffenden Arzneimittel eindeutig, dass deren negative Bewertung das Ergebnis einer Abwägung der Sicherheit gegen den Nutzen sei, den die Arzneimittel haben könnten. Im früheren Pharmakovigilanzverfahren aus dem Jahr 1996 seien die Risiken in Abwägung zur Wirksamkeit als unbedeutend eingestuft worden. Vorliegend sei die negative Nutzen-Risiko-Abwägung offensichtlich und maßgeblich dadurch beeinflusst, dass die Wirksamkeit orientiert an den jüngsten Leitlinien nunmehr anders bewertet werde. Diese Abwägung sei im Rahmen eines Pharmakovigilanzverfahrens offensichtlich fehlerhaft und ermessensmissbräuchlich. Hinzu komme, dass die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses gegen die in Artikel 11 der Richtlinie 65/65 enthaltenen Grundsätze über die Verteilung der Beweislast verstießen. Aus dieser Vorschrift ergebe sich nämlich, dass die zuständige Behörde die Darlegungs- und Beweislast für die dort aufgeführten Widerrufsgründe trage. Der Ausschuss habe aber erwartet, dass die Antragstellerin Belege für die Wirksamkeit von Norpseudoephedrin beibringe, während er selbst die mangelnde Wirksamkeit dieses Stoffes hätte nachweisen müssen.

26.

Abschließend trägt die Antragstellerin vor, der Ausschuss habe zu der Bewertung verschiedene Leitlinien herangezogen, die die von ihm gestellten Anforderungen entweder nicht unterstützten oder rechtfertigten oder aber objektiv nicht erfüllt werden könnten, und somit bei der Anwendung dieser Richtlinien einen Beurteilungsfehler begangen. Insbesondere habe der Ausschuss nicht berücksichtigt, dass es für einen Zulassungsinhaber objektiv unmöglich sei, im Zeitpunkt der Verabschiedung neuer Leitlinien entsprechende Daten aus klinischen Prüfungen vorzulegen, die den Vorgaben dieser Leitlinien entsprächen, da die Durchführung derartiger Studien mehrere Jahre in Anspruch nehme. Selbst wenn man die Verpflichtung eines Zulassungsinhabers bejahe, den Stand seines Dossiers fortlaufend den neuesten Anforderungen anzupassen, müsse ihm zumindest ein angemessener Zeitraum eingeräumt werden, um diese zu erfüllen. Außerdem habe der Ausschuss für die von der angefochtenen Entscheidung betroffenen Arzneimittel Studien über eine Mindestbehandlungsdauer von einem Jahr verlangt, obwohl sich dieses Erfordernis aus keiner der genannten Leitlinien ableiten lasse. Dies stelle einen gravierenden Bewertungsfehler dar.

27.

Nach Ansicht der Kommission ist die Voraussetzung in Bezug auf den Fumus boni iuris nicht erfüllt.

28.

Die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 sei eine Genehmigung, die gemäß den Bestimmungen des Kapitels III der Richtlinie 75/319 erteilt worden sei. Diese Entscheidung sei auf der Grundlage des Artikels 12 der Richtlinie 75/319 erlassen worden und führe zu einer gemeinschaftsweiten Harmonisierung der nationalen Zulassungen der in ihr genannten Arzneimittel, darunter des von derAntragstellerin hergestellten Präparats. Die Entscheidung bewirke eine gemeinschaftsrechtliche Änderung der nationalen Zulassungen, und zwar in der Weise, dass die betreffenden Arzneimittel nach Ablauf der in Artikel 3 der Entscheidung gesetzten Frist nur noch mit den darin bestimmten klinischen Angaben in den Verkehr gebracht werden dürften. Überdies bewirke diese Harmonisierung der klinischen Angaben eine substantielle Änderung der nationalen Genehmigungen. Die Genehmigungen müssten in jedem Fall als in allen Mitgliedstaaten harmonisiert betrachtet werden, wenn ein Arzneimittel Gegenstand der in Artikel 12 der Richtlinie 75/319 vorgesehenen Verfahren gewesen sei, was vorliegend über die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 geschehen sei. Schließlich sei die Behauptung der Antragstellerin, wonach Artikel 15a der Richtlinie 75/319 verlange, dass eine Aussetzung oder Rücknahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sei, und diese Voraussetzung nicht erfüllt sei, unzutreffend, da es erstens nach dem Wortlaut von Artikel 15a genüge, dass ein Mitgliedstaat aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit einen Antrag stelle, und zweitens dieser Antrag, wenn sich im Laufe oder am Ende des durch ihn eingeleiteten Verfahrens herausstellen sollte, dass eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit nicht in der von dem Mitgliedstaat vermuteten Form bestehe, hierdurch nicht rückwirkend unzulässig werde.

29.

Die angefochtene Entscheidung sei daher nicht mit einem Verfahrensfehler behaftet. Zum Vorbringen der Antragstellerin, die Fristen der Artikel 13 und 14 der Richtlinie 75/319 seien nicht eingehalten worden, bemerkt die Kommission, dass die eingetretenen Verzögerungen auf der großen Zahl von Arzneimitteln, die der betreffenden Prüfung unterzogen worden seien, und auf der Tatsache beruhten, dass das Prüfungsverfahren gründlich gewesen sei. Auch sei der Antragstellerin durch diese Verzögerungen kein Schaden entstanden. Zur Ansicht der Antragstellerin, die Kommission habe gegen Artikel 14 Absatz 1 der Richtlinie 75/319 verstoßen, weil sie den Entwurf ihrer Entscheidung nicht gleichzeitig an die Mitgliedstaaten und die Zulassungsinhaber übermittelt habe, macht die Kommission geltend, dass nach dieser Vorschrift keine Verpflichtung bestehe, den Entscheidungsentwurf den Inhabern von Zulassungen zuzustellen. Was schließlich das Vorbringen der Antragstellerin angehe, wonach die lange Verfahrensdauer zeige, dass die Kommission und der Ausschuss keine nennenswerte Gefahr für die öffentliche Sicherheit hätten erkennen können, so habe der Ausschuss festgestellt, dass die von der angefochtenen Entscheidung betroffenen Arzneimittel nicht die für die Behandlung von Fettleibigkeit erforderliche therapeutische Wirksamkeit hätten, und diesem Umstand im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung Rechnung getragen.

30.

Sodann stellt die Kommission in Abrede, dass die angefochtene Entscheidung rechtswidrig sei, weil die Voraussetzungen des Artikels 11 der Richtlinie 65/65 nicht vorlägen. Der Ausschuss habe eindeutig festgestellt, dass Norpseudoephedrin enthaltende Arzneimittel nicht über die erforderliche therapeutische Wirksamkeit verfügten. Die Nutzen-Risiko-Abwägung sei daher ungünstig ausgefallen. Außerdemsei der Ausschuss nicht nur berechtigt gewesen, sich auf die genannten Leitlinien zu stützen, sondern er sei auch verpflichtet gewesen, die Nutzen-Risiko-Abwägung hinsichtlich des Stoffes Norpseudoephedrin nach dem neuesten Stand der Wissenschaft vorzunehmen.

31.

Zur Ansicht der Antragstellerin schließlich, der Ausschuss habe bei der Anwendung der verschiedenen Leitlinien einen Beurteilungsfehler begangen, bemerkt die Kommission, dass der Ausschuss in seiner Stellungnahme, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegen habe, festgestellt habe, dass nach dem Stand der Wissenschaft, wie er z. B. in den Leitlinien seinen Niederschlag gefunden habe, Norpseudoephedrin enthaltende Arzneimittel nicht über die zur Behandlung von Fettleibigkeit erforderliche therapeutische Wirksamkeit verfügten und daher ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis hätten.

Würdigung durch den Richter der einstweiligen Anordnung

32.

Zum Fumus boni iuris ist festzustellen, dass die von der Antragstellerin vorgebrachten Gründe dem ersten Anschein nach nicht völlig von der Hand zu weisen sind. Zum einen hängt die Zuständigkeit der Kommission für den Erlass der angefochtenen Entscheidung von der Natur der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 ab, die streitig ist. Zum anderen hat die Kommission keine überzeugenden Gesichtspunkte vorgetragen, die erklären können, weshalb die Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und die angefochtene Entscheidung zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen gelangen. Die von der Antragstellerin vorgebrachten Gründe verdienen daher eine gründliche Prüfung, die jedoch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den Rahmen des vorliegenden Verfahrens der einstweiligen Anordnung überschreitet.

33.

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Voraussetzung in Bezug auf den Fumus boni iuris im vorliegenden Fall erfüllt ist (Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 17. Februar 1995 in der Rechtssache T-308/94 R, Cascades/Kommission, Slg. 1995, II-265, Randnrn. 49 und 50).

Zur Dringlichkeit

Vorbringen der Parteien

34.

Die Antragstellerin macht geltend, wenn der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht ausgesetzt werde, erleide sie einen schweren und irreparablen Schaden.

35.

Die Rücknahme der Zulassung ihres Arzneimittels hätte zur Folge, dass die Ärzte gezwungen wären, auf Konkurrenzprodukte umzusteigen. Auch wenn die Rücknahme der Zulassung wieder aufgehoben werde, dürfte eine Wiedereinführung des betroffenen Arzneimittels zu ähnlichen Bedingungen unmöglich sein, da es erfahrungsgemäß sehr schwierig und häufig unmöglich sei, ein Arzneimittel, daseinmal für längere Zeit vom Markt verschwunden sei, wieder auf dem Markt zu etablieren. Diese Schwierigkeit beruhe darauf, dass es nicht leicht sei, die verordnenden Ärzte von Präparaten zu überzeugen, die bereits einmal vom Markt genommen worden seien, vor allem dann, wenn diese Präparate aufgrund eines Pharmakovigilanzverfahrens vom Markt genommen worden seien.

36.

Sollte die angefochtene Entscheidung vollzogen werden, würde dies im Ergebnis ein dauerhaftes Verschwinden des betroffenen Arzneimittels vom Markt bedeuten. Der Antragstellerin drohe daher ein schwerer und nicht im Wege des Schadensersatzes wieder gutzumachender dauerhafter Schaden, der weit über den Umsatzverlust für die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht hinausgehe.

37.

Die Kommission macht geltend, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfüllt sei.

38.

Zunächst zähle die Möglichkeit des Widerrufs einer Zulassung zu den normalen Geschäftsrisiken jedes pharmazeutischen Unternehmens. Es sei Sache des jeweiligen Unternehmens, sich durch eine entsprechende Unternehmenspolitik, z. B. eine Produktdiversifizierung und einen entsprechenden Umsatz, vor den finanziellen Auswirkungen eines solchen Widerrufs zu schützen.

39.

Sodann habe die Antragstellerin bereits seit der Einleitung des Verfahrens nach Artikel 15a der Richtlinie 75/319 und jedenfalls seit Erstellung des endgültigen Gutachtens des Ausschusses vom 31. August 1999 damit rechnen können, dass die Kommission die Mitgliedstaaten in Form einer Entscheidung auffordern würde, die Genehmigung für Norpseudoephedrin enthaltende Arzneimittel zu widerrufen.

40.

Schließlich sei aus den von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen nicht erkennbar, ob sie durch eine Rücknahme der Zulassung für ihr Arzneimittel "existenziell betroffen" wäre.

Würdigung durch den Richter der einstweiligen Anordnung

41.

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Dringlichkeit eines Aussetzungsantrags danach zu beurteilen, ob die einstweilige Entscheidung notwendig ist, um zu verhindern, dass der Partei, die die Aussetzung beantragt, ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden entsteht. Dazu genügt es, insbesondere wenn der Eintritt des Schadens von mehreren Faktoren abhängt, dass dieser mit einem hinreichenden Grad von Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist (u. a. Beschluss des Gerichtshofes vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache C-280/93 R, Deutschland/Rat, Slg. 1993, I-3667, Randnrn. 32 und 34, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 7. Juli 1998 in der Rechtssache T-65/98 R, Van den Bergh Foods/Kommission, Slg. 1998, II-2641, Randnr. 62).

42.

Im vorliegenden Fall bedeutet der sofortige Vollzug der angefochtenen Entscheidung, dass die in deren Artikel 1 genannten Arzneimittel ganz vom Markt genommen werden. Wird der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht ausgesetzt, werden daher sehr wahrscheinlich Ersatzarzneimittel, die es, wie beide Parteien einräumen, gibt, an die Stelle der zurückgenommenen Arzneimittel treten. Das Vertrauen der Verbraucher, der Ärzte und der Apotheker in ein Arzneimittel ist aber besonders empfindlich gegenüber Erklärungen, wonach das betreffende Arzneimittel eine Gefahr für die Gesundheit des Patienten darstellt. Selbst wenn diese Erklärungen später widerlegt werden, kann das Vertrauen in das zurückgenommene Produkt häufig nicht mehr wiederhergestellt werden, außer in speziellen Fällen, nämlich dann, wenn die Eigenschaften des Arzneimittels von den Verbrauchern besonders geschätzt werden und es kein vollwertiges Ersatzprodukt gibt oder wenn der Hersteller einen außergewöhnlich guten Ruf genießt, so dass nicht behauptet werden kann, dass er die Marktanteile, die er vor der Rücknahme besessen hat, nicht zurückerobern könnte. Ein solcher spezieller Fall liegt hier jedoch nicht vor.

43.

Sollte das Gericht die angefochtene Entscheidung für nichtig erklären und die Antragstellerin somit ihr Arzneimittel erneut vertreiben dürfen, ließe sich zudem der finanzielle Schaden, den sie aufgrund des Absatzrückgangs infolge eines Vertrauensverlustes in Bezug auf ihr Präparat erlitten hat, im Hinblick auf einen Ersatz tatsächlich nicht vollständig genug quantifizieren.

44.

Der Schaden, der durch den sofortigen Vollzug der angefochtenen Entscheidung entstehen könnte, ist daher ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden.

Zur Interessenabwägung

45.

Nachdem die Antragstellerin das Vorliegen eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens dargetan hat, hat der Richter der einstweiligen Anordnung außerdem ihr Interesse an der Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung gegen das Interesse der Gemeinschaft am sofortigen Widerruf der Zulassung des betreffenden Arzneimittels und, allgemeiner betrachtet, am Schutz der öffentlichen Gesundheit abzuwägen.

46.

Im Rahmen dieser Prüfung hat der Richter der einstweiligen Anordnung festzustellen, ob die Nichtigerklärung des streitigen Rechtsakts im Hauptsacheverfahren eine Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch den sofortigen Vollzug dieses Rechtsakts entstanden wäre, und ob umgekehrt die Aussetzung des Vollzugs dieses Rechtsakts dessen volle Wirksamkeit behindern könnte, falls die Klage abgewiesen würde (u. a. Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 11. Mai 1989 in den Rechtssachen 76/89 R, 77/89 R und 91/89 R, RTE u. a./Kommission, Slg. 1989, 1141, Randnr. 15, des Gerichtshofes vom 12. Juli 1996 in der Rechtssache C-180/96 R, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1996, I-3903, Randnr. 89, und des Präsidenten desGerichts vom 21. März 1997 in der Rechtssache T-41/97 R, Antillean Rice Mills/Rat, Slg. 1997, II-447, Randnr. 42).

47.

Diese Interessenabwägung fällt im vorliegenden Fall zugunsten einer Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung aus.

48.

Es ist nämlich sehr wahrscheinlich, dass der Vollzug der angefochtenen Entscheidung zur Folge hätte, dass die Antragstellerin ihre Marktposition endgültig verlieren würde, auch wenn die angefochtene Entscheidung im Hauptsacheverfahren für nichtig erklärt würde.

49.

Gegenüber den geschäftlichen Interessen der Antragstellerin führt die Kommission an, dass die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung die öffentliche Gesundheit beeinträchtigen könnte. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen unbestreitbar Vorrang einzuräumen ist (Beschluss Vereinigtes Königreich/Kommission, Randnr. 93, Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-183/95, Affish, Slg. 1997, I-4315, Randnr. 43, Beschluss des Gerichts vom 15. September 1998 in der Rechtssache T-136/95, Infrisa/Kommission, Slg. 1998, II-3301, Randnr. 58, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 30. Juni 1999 in der Rechtssache T-70/99 R, Alpharma/Rat, Slg. 1999, II-2027, Randnr. 152).

50.

In diesem Zusammenhang kann jedoch der Hinweis auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit für sich allein nicht eine Prüfung der Umstände des konkreten Falles und insbesondere des betreffenden Sachverhalts ausschließen.

51.

Im vorliegenden Fall hat die Kommission überzeugend dargetan, dass Unsicherheiten bezüglich der Risiken bestehen, die mit Norpseudoephedrin enthaltenden Arzneimitteln verbunden sind, auch wenn diese Risiken gering sind. Während jedoch der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 und der angefochtenen Entscheidung genau die gleichen Informationen zugrunde liegen, unterscheiden sich die Maßnahmen, die die Kommission 1996 und 2000 zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gegenüber diesen Risiken getroffen hat, grundlegend. Die Kommission musste daher nachweisen, dass sich die in der Entscheidung vom 9. Dezember 1996 enthaltenen Schutzmaßnahmen als für den Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht ausreichend erwiesen hatten, so dass die Schutzmaßnahmen, die sie in der angefochtenen Entscheidung getroffen hat, nicht offensichtlich unverhältnismäßig sind. Dieser Nachweis ist der Kommission indessen nicht gelungen.

52.

Außerdem lässt der Umstand, dass die für den Erlass der angefochtenen Entscheidung ausschlaggebenden Gesundheitsrisiken bereits in der Entscheidung der Kommission vom 9. Dezember 1996 berücksichtigt worden waren und zu einer Änderung der obligatorischen Angaben bei verschreibungspflichtigen Arzneimittelngeführt hatten, darauf schließen, dass die Durchführung der angefochtenen Entscheidung nicht dringend ist.

53.

Nach alledem sind die Voraussetzungen für die beantragte Aussetzung erfüllt.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1. In Bezug auf die Antragstellerin wird der Vollzug der Entscheidung der Kommission vom 9. März 2000 über die Rücknahme der Zulassung von Humanarzneimitteln, die die Stoffe "Clobenzorex", "Fenbutrazat", "Fenproporex", "Mazindol", "Mefenorex", "Norpseudoephedrin", "Phenmetrazin", "Phendimetrazin" und "Propylhexedrin" enthalten (K[2000] 608), ausgesetzt.

2. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 31. Oktober 2000

Ende der Entscheidung

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