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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 12.12.2007
Aktenzeichen: T-86/05
Rechtsgebiete: VO (EG) Nr. 40/94


Vorschriften:

VO (EG) Nr. 40/94
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

12. Dezember 2007(*)

"Gemeinschaftsmarke - Widerspruchsverfahren - Anmeldung der Bildmarke CORPO LIVRE - Nationale und internationale Wortmarken LIVRE - Verspäteter Nachweis der Benutzung der älteren Marken"

Parteien:

In der Rechtssache T-86/05

K & L Ruppert Stiftung & Co. Handels-KG mit Sitz in Weilheim (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte D. Spohn und A. Kockläuner,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch G. Schneider als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des HABM:

Natália Cristina Lopes de Almeida Cunha, wohnhaft in Vila Nova de Gaia (Portugal),

Cláudia Couto Simões, wohnhaft in Vila Nova de Gaia,

Marly Lima Jatobá, wohnhaft in Vila Nova de Gaia,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des HABM vom 7. Dezember 2004 (Sache R 328/2004-1) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen der K & L Ruppert Stiftung & Co. Handels-KG einerseits sowie Natália Cristina Lopes de Almeida Cunha, Cláudia Couto Simões und Marly Lima Jatobá andererseits

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Richters A. W. H. Meij in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, der Richterin I. Pelikánová und des Richters S. Papasavvas,

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 22. Februar 2005 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 23. Juni 2005 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Am 16. August 2000 meldeten Natália Cristina Lopes de Almeida Cunha, Cláudia Couto Simões und Marly Lima Jatobá nach der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) die nachstehend abgebildete Gemeinschaftsbildmarke an.

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2 Die Marke wurde für folgende Waren des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

- "Reiseschrankkoffer; Handtaschen; Strandtaschen; Reisetaschen; Lederschachteln oder Schachteln aus Lederpappe (Lederimitationen); Schutzhüllen für die Reise (Lederwaren); Schlüsseletuis (Lederwaren); Dokumentenmappen, Aktentaschen; Geldbeutel, nicht aus Edelmetall" (Klasse 18);

- "Bekleidungsartikel; insbesondere Strand- oder Sportanzüge; Schuhwaren, insbesondere Strand- oder Sportschuhe; Kopfbedeckungen" (Klasse 25).

3 Die Anmeldung wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 33/2001 vom 9. April 1999 veröffentlicht.

4 Am 4. Juli 2001 legte die Klägerin auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 Widerspruch gegen die Eintragung der angemeldeten Marke ein. Der Widerspruch richtete sich gegen die Waren der Klasse 25.

5 Der Widerspruch stützte sich auf folgende ältere Marken (im Folgenden: ältere Marken):

- die deutsche Wortmarke Nr. 1 173 609 LIVRE, angemeldet am 23. März 1990, eingetragen am 5. März 1991 und erneuert mit Wirkung vom 24. März 2000 für Waren der Klasse 25, nämlich "Bekleidungsstücke und Schuhe";

- die internationale Wortmarke Nr. 568 850 LIVRE, angemeldet am 27. März 1991 und eingetragen am 3. Juni 1991 mit Wirkung in Österreich, Frankreich und Italien für Waren der Klasse 25, nämlich "Bekleidungsstücke, Schuhe".

6 Auf Antrag der Anmelderinnen der Gemeinschaftsmarke vom 19. April 2002 setzte das HABM der Klägerin mit Schreiben vom 8. Mai 2002 gemäß Art. 43 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 sowie Regel 20 Abs. 4 und Regel 22 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung Nr. 40/94 (ABl. L 303, S. 1) in der auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbaren Fassung eine Frist bis zum 9. Juli 2002 zum Nachweis der Benutzung der älteren Marken.

7 Am 9. Juli 2002 beantragte der Vertreter der Klägerin um 16.56 Uhr per Fax eine Fristverlängerung bis zum 9. September 2002. Dieser Antrag wurde wie folgt begründet:

"Leider haben wir die Unterlagen, die für den Nachweis der Benutzung der älteren Marke notwendig sind, noch nicht erhalten; wir werden die Widerspruchsführerin jedoch daran erinnern, diese zügig zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund beantragen wir, uns diese Verlängerung zu gewähren."

8 Mit Schreiben vom 15. Juli 2002 benachrichtigte das HABM die Klägerin, dass es dem Antrag auf Fristverlängerung nicht stattgeben könne, da die von ihr vorgetragenen Gründe keine außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Umstände erkennen ließen.

9 Am 6. September 2002 übermittelte die Klägerin dem Amt gleichwohl verschiedene Unterlagen zum Nachweis der Benutzung der älteren Marken. Am 9. September 2002 protestierte sie gegen die Ablehnung der Fristverlängerung und beantragte, die übermittelten Unterlagen trotz des Ablaufs der ursprünglichen Frist zu berücksichtigen.

10 Am 11. Oktober 2002 teilte das HABM den Beteiligten mit, dass weder die am 6. September 2002 übersandten Unterlagen noch die Ausführungen vom 9. September 2002 berücksichtigt werden könnten.

11 Mit Entscheidung vom 2. März 2004 wies die Widerspruchsabteilung des HABM den Widerspruch der Klägerin wegen fehlenden Nachweises der Benutzung der älteren Marken zurück.

12 Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin am 29. April 2004 Beschwerde ein. Darin machte sie geltend, dass sie angesichts der Praxis des HABM bei der Einräumung von Fristverlängerungen davon habe ausgehen dürfen, dass ihr eine erstmalige Verlängerung im vorliegenden Verfahren gewährt werde. Darüber hinaus habe sich die in der Firma für die Unterzeichnung der eidesstattlichen Erklärung - einer der Beweise für die Benutzung der älteren Marken - zuständige Person zum Zeitpunkt des Fristablaufs auf Reisen befunden.

13 Mit Entscheidung vom 7. Dezember 2004 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Erste Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde zurück. Im Kern führte sie aus:

- Nach Regel 71 der Verordnung Nr. 2868/95 könne das HABM einen Antrag auf Fristverlängerung zurückweisen, wenn diese unter den gegebenen Umständen nicht angezeigt sei. Im vorliegenden Fall sei der Antrag auf Fristverlängerung erst wenige Stunden vor Fristablauf und ohne Angabe besonderer Gründe eingereicht worden;

- die nach Fristablauf vorgebrachte Begründung (urlaubsbedingte Abwesenheit) sei außerdem kein außergewöhnlicher Umstand und sei bereits vor Fristablauf vorhersehbar gewesen;

- eine Berücksichtigung der nach Fristablauf vorgelegten Unterlagen durch die Beschwerdekammer sei angesichts des Wortlauts von Regel 22 der Verordnung Nr. 2868/95 in der auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbaren Fassung und der dazu ergangenen Rechtsprechung (Urteile des Gerichts vom 23. Oktober 2002, Institut für Lernsysteme/HABM - Educational Services [ELS], T-388/00, Slg. 2002, II-4301, und vom 8. Juli 2004, MFE Marienfelde/HABM - Vétoquinol [HIPOVITON], T-334/01, Slg. 2004, II-2787) nicht gerechtfertigt.

Verfahren und Anträge der Parteien

14 Der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichts hat das Verfahren nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 24. April 2006 bis zur abschließenden Entscheidung in der Rechtssache C-29/05 P (HABM/Kaul) ausgesetzt. Das Urteil des Gerichtshofs in dieser Rechtssache ist am 13. März 2007 ergangen (Slg. 2007, I-0000). Im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme sind die Parteien gebeten worden, in ihren mündlichen Ausführungen auf die Frage einzugehen, welche Folgerungen ihrer Ansicht nach für die vorliegende Rechtssache aus dem Urteil HABM/Kaul abzuleiten sind.

15 Der Präsident des Gerichts hat mit Entscheidung vom 21. März 2007 Richter A. W. H. Meij mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten für den an der Mitwirkung verhinderten Richter J. Pirrung beauftragt und Richter S. Papasavvas zur Ergänzung des Spruchkörpers bestimmt.

16 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

- dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

17 Das HABM beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Gründe

18 Die Klägerin stützt ihre Klage auf fünf Gründe: fehlerhafte Anwendung von Regel 71 der Verordnung Nr. 2868/95 in Verbindung mit Regel 22 dieser Verordnung, Verletzung der Begründungspflicht nach Art. 73 der Verordnung Nr. 40/94, Verstoß gegen Art. 74 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 40/94 sowie Verletzung der Dispositionsmaxime und allgemeiner Bestimmungen, die sich aus der Natur des Inter-partes-Verfahrens ergäben.

Erster Klagegrund: Fehlerhafte Anwendung von Regel 71 der Verordnung Nr. 2868/95 in Verbindung mit Regel 22 dieser Verordnung

Vorbringen der Parteien

19 Die Klägerin trägt vor, sie habe bei der Widerspruchsabteilung einen den Anforderungen von Regel 71 der Verordnung Nr. 2868/95 entsprechenden Antrag auf Verlängerung der Frist für die Vorlage der Beweise für die Benutzung der älteren Marken gestellt. Dieser Antrag - der erste Fristverlängerungsantrag im Verfahren - sei damit begründet worden, dass das Beweismaterial nicht innerhalb der gesetzten Frist habe zusammengestellt werden können. Er sei beim HABM auch vor Ablauf der Frist, nämlich an ihrem letzten Tag, eingegangen. Es gebe keinen Rechtssatz, wonach Fristgesuche nicht am letzten Tag der Frist gestellt werden dürften. Die Begründung ihres Antrags sei für ein erstes Fristverlängerungsgesuch ausreichend, zumal es während der Urlaubszeit gestellt worden sei. Die in der Firma für die Bearbeitung von Markenangelegenheiten zuständige Person habe sich auf einer längeren Reise befunden und sei daher nicht in der Lage gewesen, die Unterlagen beizubringen, die die Benutzung der älteren Marken belegten. Es sei im Übrigen gewohnheitsmäßige Praxis beim HABM gewesen, ersten Fristverlängerungsgesuchen in jedem Fall stattzugeben, auch wenn sie nicht ausführlich begründet seien.

20 Das HABM vertritt unter Berufung auf den Wortlaut von Regel 71 der der Verordnung Nr. 2868/95 die Auffassung, dass die Umstände, auf die der Fristverlängerungsantrag gestützt werde, besonderer Art sein müssten, damit sie eine Verlängerung rechtfertigen könnten. Das HABM verweist hierfür auf die auf seiner Website veröffentlichten Verfahrensrichtlinien sowie auf die verschiedenen Sprachfassungen von Regel 71. Die Begründung, die im vorliegenden Verfahren von der Klägerin vorgebracht worden sei, wonach man das Beweismaterial noch nicht habe beschaffen können, sei nichts anderes als die Aussage, dass man die Frist nicht einhalten könne, und könne deren Verlängerung daher nicht rechtfertigen.

Würdigung durch das Gericht

21 Regel 71 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 2868/95 lautet: "Das [HABM] kann, wenn dies unter den gegebenen Umständen angezeigt ist, eine bestimmte Frist verlängern, wenn der Beteiligte dies beantragt und der betreffende Antrag vor Ablauf der ursprünglichen Frist gestellt wird." Die Fristverlängerung erfolgt somit nicht automatisch, sondern hängt davon ab, dass die Umstände des jeweiligen Falles sie rechtfertigen und dass ein Antrag auf Verlängerung gestellt wird. Das gilt erst recht im Inter-partes-Verfahren, in dem ein Vorteil, der dem einen Beteiligten gewährt wird, einen Nachteil für den anderen Beteiligten darstellt. In einem solchen Fall muss das HABM folglich darauf achten, dass es seine Unparteilichkeit gegenüber den Beteiligten wahrt.

22 Es ist Sache des Beteiligten, der die Verlängerung beantragt, die Umstände geltend zu machen, die die Verlängerung rechtfertigen können, da diese in seinem Interesse beantragt und möglicherweise gewährt wird. Liegen außerdem diese Umstände, wie hier, in der Sphäre des die Verlängerung beantragenden Beteiligten unterrichten, ist dieser der Einzige, der das HABM sachdienlich darüber informieren kann. Damit die Widerspruchsabteilung also beurteilen kann, ob Umstände gegeben sind, die eine Verlängerung rechtfertigen, müssen diese im Verlängerungsantrag angegeben werden.

23 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin den Antrag auf Fristverlängerung mit den oben in Randnr. 7 wiedergegebenen Worten begründet. Der Vertreter der Klägerin hat erläutert, dass diese ihm die notwendigen Unterlagen noch nicht zur Verfügung gestellt habe und dass er sie daran erinnern werde, dass dies zügig zu tun sei. Er hat somit angegeben, weshalb er nicht in der Lage war, dem HABM fristgemäß die Unterlagen zuzusenden, die die Benutzung der älteren Marken belegten. Er hat jedoch nicht erklärt, aus welchen Gründen die Klägerin nicht imstande gewesen war, ihm diese Unterlagen zukommen zu lassen. Genau darüber hätte er die Widerspruchsabteilung aber informieren müssen, damit sie beurteilen konnte, ob Umstände vorlagen, die eine Fristverlängerung rechtfertigten. Zwar hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 9. September 2002 erläutert, dass sich die für die Angelegenheit zuständige Person in der Firma zum Zeitpunkt des Fristablaufs auf Reisen befunden habe, doch ging diese Erläuterung unabhängig von der Frage, ob die betreffende Tatsache allein zur Rechtfertigung der beantragten Verlängerung genügt hätte, erst zwei Monate nach dem am Tag des Fristablaufs gestellten Verlängerungsantrag beim HABM ein. Die Klägerin hatte mithin in ihrem Antrag auf Verlängerung nicht angegeben, weshalb diese erforderlich sei. Die Begründung, die sie in ihrem Verlängerungsantrag anführte, entsprach demnach nicht den oben genannten Anforderungen von Regel 71 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 2868/95.

24 Zum Vorbringen der Klägerin, nach ständiger Praxis des HABM werde eine erste Fristverlängerung automatisch auf einen einfachen, nicht mit Gründen versehenen Antrag hin gewährt, genügt die Feststellung, dass die Klägerin keinerlei Beweis für eine solche Praxis vorgelegt hat.

25 Die Widerspruchsabteilung hat somit Regel 71 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 2868/95 ordnungsgemäß angewandt, als sie die Verlängerung der gesetzten Frist ablehnte. Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zweiter Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht nach Art. 73 der Verordnung Nr. 40/94

Vorbringen der Parteien

26 Die Klägerin macht geltend, das HABM habe weder in der ersten noch in der zweiten Instanz Gründe genannt, aus denen sich verständlich ergebe, warum ihrem Antrag auf Verlängerung der Frist für die Vorlage der Beweise für die Benutzung der älteren Marken nicht entsprochen worden sei. Dadurch habe das HABM gegen Art. 73 der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen. Nach Art. 73 seien die Gründe darzulegen, aus denen die im Antrag gemachten Angaben den gesetzlichen Voraussetzungen nicht genügten. Die bloße Behauptung, dass die Begründung für das Fristgesuch der Klägerin nicht ausreichend gewesen sei, erfülle diese Voraussetzung nicht.

27 Nach Ansicht des HABM genügt dann, wenn der Beteiligte seinen Fristverlängerungsantrag nicht durch Angabe besonderer Umstände begründet, für die Begründung der Zurückweisung die Feststellung, dass eine Begründung des Antrags fehle.

Würdigung durch das Gericht

28 Da sich die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung darauf beschränkt hat, die durch die Widerspruchsabteilung erfolgte Ablehnung der Verlängerung der Frist für die Vorlage der Beweise für die Benutzung der älteren Marken aufrechtzuerhalten, ist der zweite Klagegrund anhand der von der Widerspruchsabteilung angeführten Begründung für die Ablehnung zu prüfen.

29 Nach Art. 73 Satz 1 der Verordnung Nr. 40/94 sind die Entscheidungen des HABM mit Gründen zu versehen. Diese Verpflichtung hat den gleichen Umfang wie die Begründungspflicht aus Art. 253 EG. Nach ständiger Rechtsprechung soll die Verpflichtung zur Begründung von Einzelfallentscheidungen dem doppelten Ziel dienen, die Beteiligten über die Gründe für die erlassene Maßnahme zu unterrichten, damit sie ihre Rechte verteidigen können, und es außerdem dem Gemeinschaftsrichter zu ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen (Urteil des Gerichtshofs vom 14. Februar 1990, Delacre u. a./Kommission, C-350/88, Slg. 1990, I-395, Randnr. 15, und Urteil des Gerichts vom 28. April 2004, Sunrider/HABM - Vitakraft-Werke Wührmann und Friesland Brands [VITATASTE und METABALANCE 44], T-124/02 und T-156/02, Slg. 2004, II-1149, Randnr. 72].

30 Im vorliegenden Fall hatte die Widerspruchsabteilung ihre Ablehnung im Schreiben vom 15. Juli 2002 wie folgt begründet:

"Ihr Antrag auf Fristverlängerung vom 9. Juli 2002 ist vom HABM zurückgewiesen worden, da die von Ihnen genannten Gründe für eine Fristverlängerung nicht als ausreichend angesehen wurden.

Nach Regel 71 [Abs. 1] der Verordnung [Nr. 2868/95] werden Fristverlängerungen nur gewährt, wenn dies unter den gegebenen Umständen angezeigt ist. Sie hatten zwei Monate Zeit, um die angeforderten Beweise für die Benutzung vorzulegen. Nach Ansicht des HABM war diese Frist ausreichend bemessen. Eine Verlängerung wäre nur dann vertretbar, wenn außergewöhnliche und unvorhersehbare Umstände eingetreten wären."

31 Diesem Schreiben zufolge war die Widerspruchsabteilung der Ansicht, dass die Gründe, auf die die Klägerin ihren Verlängerungsantrag stützte, keine Umstände erkennen ließen, die eine Fristverlängerung gerechtfertigt hätten, und dass eine Verlängerung in Ermangelung solcher Umstände nicht möglich sei.

32 Angesichts des oben in Randnr. 23 festgestellten Umstands, dass der Verlängerungsantrag keine im Hinblick auf Regel 71 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 2868/95 ausreichende Begründung enthielt, kann die Klägerin dem HABM keinen Vorwurf daraus machen, dass es nicht erläuterte, weshalb die Umstände des vorliegenden Falles - die von der Klägerin nicht geltend gemacht worden waren - keine Verlängerung rechtfertigten. In der ablehnenden Entscheidung brauchte deshalb lediglich festgestellt zu werden, dass keine ausreichenden Gründe vorlägen, die eine Verlängerung rechtfertigten, was genügte, um der Klägerin begreiflich zu machen, weshalb ihr Antrag zurückgewiesen wurde.

33 Der zweite Klagegrund ist folglich zurückzuweisen.

Dritter und vierter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 74 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 40/94

34 Da die Bestimmungen, deren Verletzung im Rahmen des dritten und des vierten Klagegrundes geltend gemacht wird, eng miteinander verknüpft sind, sind diese beiden Klagegründe zusammen zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

35 Die Klägerin führt in ihren Schriftsätzen aus, das HABM hätte gemäß dem vom Gericht im Rahmen der Anwendung von Art. 74 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 entwickelten Grundsatz der funktionalen Kontinuität die von ihr am 6. September 2002 vorgelegten Beweise für die Benutzung der älteren Marken berücksichtigen müssen. Die Beschwerdekammer habe ihre Entscheidung auf das gesamte Vorbringen und die Anträge des Beschwerdeführers sowohl im Verfahren vor der Widerspruchsabteilung als auch im Beschwerdeverfahren zu stützen.

36 In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin eingeräumt, dass Art. 74 der Verordnung Nr. 40/94 ihr keinen Anspruch auf Berücksichtigung der am 6. September 2002 vorgelegten Unterlagen verleihe, hat ihren dritten Klagegrund jedoch nicht förmlich zurückgenommen.

37 Weiter macht die Klägerin geltend, dass die Beschwerdekammer nach der Auslegung von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 durch den Gerichtshof im bereits angeführten Urteil HABM/Kaul ein Ermessen in Bezug auf die Berücksichtigung der betreffenden Unterlagen habe. Durch die Nichtberücksichtigung der am 6. September 2002 nach Fristablauf vorgelegten Beweise für die Benutzung der älteren Marken habe das HABM seine nach dieser Bestimmung bestehende Pflicht zur Ermessensausübung verletzt. Der angefochtenen Entscheidung sei nicht zu entnehmen, dass die Beschwerdekammer von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht habe, sondern sie enthalte nur Ausführungen dazu, dass das Verhalten der Klägerin eine gewisse Unvorsichtigkeit und einen Mangel an Wachsamkeit erkennen lasse. Dadurch habe die Beschwerdekammer gegen Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen.

38 In Anbetracht der Tatsache, dass nach der Mitteilung vom 11. Oktober 2002 an die Klägerin, dass ihre Beweise nicht berücksichtigt würden, mehr als anderthalb Jahre bis zum Erlass der Entscheidung der Widerspruchsabteilung vergangen seien, erscheine es außerdem ungebührlich, dass die nach Fristablauf vorgelegten Beweise für die Benutzung der älteren Marken abweichend von der Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer am 15. Dezember 2000 in der Sache R 714/1999 2, SAINCO/SAINCOSA, nicht berücksichtigt worden seien.

39 Das HABM widerspricht der Auffassung der Klägerin, dass es verpflichtet sei, die verspätet vorgelegten Unterlagen zu berücksichtigen.

40 Zu dem ihm eingeräumten Ermessen hat das HABM in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, Regel 22 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 2868/95 in der auf den Sachverhalt anwendbaren Fassung bestimme eindeutig, dass das HABM den Widerspruch zurückweise, wenn der Widersprechende den Nachweis der Benutzung nicht fristgemäß erbringe. Im Urteil HIPOVITON (Randnr. 56) habe das Gericht bereits entschieden, dass diese Regel nicht dahin ausgelegt werden dürfe, dass die Vorlage neuer Beweise nach Fristablauf völlig ausgeschlossen sei. Diesen Ansatz habe der Gerichtshof im Urteil HABM/Kaul (Randnr. 43) bestätigt, indem er zu Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 festgestellt habe, dass das HABM über ein weites Ermessen in Bezug auf die Berücksichtigung verspätet vorgelegter Beweise verfüge.

41 Das HABM macht in diesem Zusammenhang geltend, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs werde, wenn die Verwaltung über ein weites Ermessen verfüge, im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle der von ihr vorgenommenen Beurteilung lediglich geprüft, ob kein offensichtlicher Beurteilungsfehler und kein Ermessensmissbrauch vorlägen.

42 In Randnr. 44 des Urteils HABM/Kaul habe der Gerichtshof beispielhaft bestimmte Aspekte genannt, die das HABM bei der Ausübung des Ermessens im Rahmen von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 berücksichtigen müsse, und zwar u. a. das Verfahrensstadium, in dem das verspätete Vorbringen erfolge. Darüber hinaus ist nach Ansicht des HABM zu berücksichtigen, dass die Frist nach Regel 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2868/95 in der auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbaren Fassung als Ausschlussfrist gestaltet sei. Je strikter aber die Bestimmungen anzuwenden seien, auf die sich Art. 74 Abs. 2 beziehe, desto einschränkender sei dieser auszulegen. Der Gerichtshof habe im Urteil HABM/Kaul außerdem festgestellt, dass die praktische Wirksamkeit der Fristvorschriften gewahrt werden müsse. Um im vorliegenden Fall die praktische Wirksamkeit von Regel 22 Abs. 1 zu wahren, müsse Art. 74 Abs. 2 einschränkend ausgelegt werden.

43 Die Beschwerdekammer habe in der angefochtenen Entscheidung von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht. Sie habe insbesondere erklärt, dass die Angaben der Klägerin nicht genügten, um eine Fristverlängerung zu rechtfertigen, und dass Regel 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2868/95 eine Ausschlussfrist enthalte, die eine strikte Auslegung von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 erforderlich mache.

Würdigung durch das Gericht

44 Erstens folgt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus dem Wortlaut von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94, dass die Beteiligten als allgemeine Regel und vorbehaltlich einer gegenteiligen Vorschrift Tatsachen und Beweise auch dann noch vorbringen können, wenn die für dieses Vorbringen nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 40/94 geltenden Fristen abgelaufen sind, und dass es dem HABM keineswegs untersagt ist, solche verspätet vorgebrachten Tatsachen und Beweise zu berücksichtigen (Urteil HABM/Kaul, Randnr. 42).

45 Andererseits ergibt sich aus diesem Wortlaut ebenso eindeutig, dass ein solches verspätetes Vorbringen von Tatsachen und Beweise dem Beteiligten, von dem es stammt, keinen unbedingten Anspruch darauf verleihen kann, dass diese Tatsachen oder Beweise vom HABM berücksichtigt werden (Urteil HABM/Kaul, Randnr. 43).

46 Danach hatte das HABM jedenfalls keine unbedingte Verpflichtung, die von der Klägerin am 6. September 2002 verspätet vorgelegten Unterlagen zu berücksichtigen.

47 Zweitens haben die Beteiligten des Verfahrens vor dem HABM nicht uneingeschränkt die Möglichkeit, Tatsachen und Beweise nach Ablauf der dafür gesetzten Fristen vorzulegen; vielmehr hängt diese Möglichkeit nach Randnr. 42 des Urteils HABM/Kaul davon ab, dass keine gegenteilige Vorschrift besteht. Nur wenn diese Voraussetzung vorliegt, hat das HABM ein Ermessen in Bezug auf die Berücksichtigung verspätet vorgelegter Tatsachen und Beweismittel, das ihm der Gerichtshof im Wege der Auslegung von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 zuerkannt hat.

48 Im vorliegenden Fall gibt es aber eine Vorschrift, die der Berücksichtigung der dem HABM von der Klägerin am 6. September 2002 vorgelegten Beweise entgegensteht, nämlich Art. 43 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 in seiner Konkretisierung durch Regel 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2868/95 in der auf den Sachverhalt anwendbaren Fassung. Regel 22 Abs. 1 bestimmt nämlich:

"Hat der Widersprechende gemäß Artikel 43 Absatz 2 oder 3 der Verordnung [Nr. 40/94] den Nachweis der Benutzung oder den Nachweis zu erbringen, dass berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen, so fordert das [HABM] ihn auf, die angeforderten Beweismittel innerhalb einer vom [HABM] festgesetzten Frist vorzulegen. Legt der Widersprechende diese Beweismittel nicht fristgemäß vor, so weist das [HABM] den Widerspruch zurück."

49 Aus Satz 2 dieser Bestimmung geht hervor, dass eine Vorlage von Beweisen für die Benutzung der älteren Marke, die nach Ablauf der dafür gesetzten Frist erfolgt, grundsätzlich zur Zurückweisung des Widerspruchs führt, ohne dass das HABM insoweit über ein Ermessen verfügt. Ob die ältere Marke ernsthaft benutzt wurde, ist nämlich eine Vorfrage, die daher beantwortet werden muss, bevor eine Entscheidung über den Widerspruch selbst getroffen wird (Urteil des Gerichts vom 16. März 2005, L'Oréal/HABM - Revlon [FLEXI AIR], T-112/03, Slg. 2005, II-949, Randnr. 26).

50 Zwar hat das Gericht, wie das HABM vorgetragen hat, im Urteil HIPOVITON (Randnr. 56) entschieden, dass Regel 22 Abs. 1 Satz 2 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie der Berücksichtigung zusätzlicher Beweise im Hinblick auf neu zutage getretene Gesichtspunkte entgegenstünde, und zwar auch dann nicht, wenn die Beweise nach Ablauf dieser Frist vorgelegt werden. Die Voraussetzungen für eine solche Berücksichtigung liegen hier jedoch nicht vor. Zum einen handelte es sich bei den von der Klägerin am 6. September 2002 vorgelegten Beweisen nicht um zusätzliche Beweise, sondern um die ersten und einzigen Beweise für die Benutzung der älteren Marken, die die Klägerin beigebracht hat. Zum andere waren im vorliegenden Fall keine neuen Gesichtspunkte zutage getreten, die die verspätete Vorlage zusätzlicher oder sonstiger Beweise gerechtfertigt hätten.

51 Das HABM hatte demnach im vorliegenden Fall kein Ermessen in Bezug auf die Berücksichtigung der von der Klägerin am 6. September 2002 vorgelegten Beweise.

52 Der dritte und der vierte Klagegrund sind folglich zurückzuweisen.

Fünfter Klagegrund: Verletzung der Dispositionsmaxime und allgemeiner Bestimmungen, die sich aus der Natur des Inter-partes-Verfahrens ergeben sollen

Vorbringen der Parteien

53 Die Klägerin macht geltend, das HABM habe die Dispositionsmaxime sowie allgemeine Bestimmungen verletzt, die sich aus der Natur des Inter-partes-Verfahrens ergäben und es geböten, eine Gleichbehandlung von Widersprechendem und Anmelder der Gemeinschaftsmarke zu gewährleisten. Insbesondere beanstandet die Klägerin, dass das HABM die Frage der Fristverlängerung nicht gemäß Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95 dem anderen Beteiligten zur Prüfung vorgelegt habe.

54 Das HABM tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

Würdigung durch das Gericht

55 Nach Regel 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95 kann das HABM bei zwei oder mehr Beteiligten die Verlängerung einer Frist von der Zustimmung der anderen Beteiligten abhängig machen.

56 Das Vorbringen der Klägerin, die etwaige Zustimmung des anderen Beteiligten im Verfahren vor dem HABM zur Verlängerung der für die Vorlage der Benutzungsnachweise gesetzten Frist hätte die Widerspruchsabteilung zur Fristverlängerung veranlassen können, beruht auf einem fehlerhaften Verständnis dieser Bestimmung. Aus der Systematik von Regel 71 ergibt sich nämlich, dass ihr Abs. 2 nicht die alleinige Voraussetzung für die Verlängerung einer Frist festlegt, sondern die in Abs. 1 genannten Voraussetzungen - die Verlängerung muss von dem Beteiligten vor Ablauf der gesetzten Frist beantragt worden sein und unter den gegebenen Umständen angezeigt sein - um eine weitere Voraussetzung ergänzt.

57 Das HABM hat daher zu Recht die Auffassung vertreten, dass, da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Fristverlängerung nicht erfüllt waren (siehe oben, Randnr. 23), die Frage der Verlängerung dem anderen Beteiligten nicht vorzulegen war.

58 Der fünfte Klagegrund ist somit zurückzuweisen.

59 Da alle Klagegründe zurückgewiesen worden sind, ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

60 Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des HABM die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die K & L Ruppert Stiftung & Co. Handels-KG trägt die Kosten.

Ende der Entscheidung

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