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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Entscheidung verkündet am 02.09.2008
Aktenzeichen: 11 K 131/02
Rechtsgebiete: VO 2913/92/EG, EGV


Vorschriften:

VO 2913/92/EG Art. 220 Abs. 1
EGV Art. 234 Unterabs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

Tatbestand:

I.

1. Die Beteiligten streiten über die zolltarifliche Einreihung von VegaGelkapseln. Jede Kapsel enthält 580 mg Weizenkeimöl. Die Kapselhülle besteht aus 250 mg Stärkegranulat, das Hüllengewicht beträgt feucht 250 mg, trocken dagegen lediglich 245 mg.

2. Die Klägerin meldete am 30. April 2001 eine Palette "VegaGelkapseln, 21,14% Stärke enthaltend, nicht in Aufmachung für den Einzelverkauf" unter der Unterposition 2106 9098 des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 (Amtsblatt der EG Nr. 1 267/1) - Kombinierte Nomenklatur (KN) - in der zum Einfuhrzeitpunkt gültigen Fassung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Das beklagte Hauptzollamt (HZA) nahm die Zollanmeldung an und entnahm eine mitgelieferte Probeschachtel zur Einholung eines Einreihungsgutachtens. Mit Bescheid vom 3. Mai 2001 setzte es Abgaben in Höhe von insgesamt 100,10 DM fest (8,14 DM pro 100 kg Zoll in Höhe von 10,13 DM sowie 7% Einfuhrumsatzsteuer - EUSt - in Höhe von 89,97 DM). In ihrem Einreihungsgutachten kam die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt München der Oberfinanzdirektion Nürnberg (ZPLA) zu dem Ergebnis, dass die Kapseln unter der Unterposition 1515 9099 KN einzureihen seien. Das HZA erhob daraufhin gem. Artikel 220 Abs. 1 des Zollkodex ( Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften) mit Bescheid vom 13. Dezember 2001 Einfuhrabgaben in Höhe von 125,74 Euro (245,93 DM) nach (9,6% Zoll in Höhe von 62,59 Euro sowie 16% EUSt in Höhe von 114,33 Euro). Den Einspruch der Klägerin wies das HZA mit Bescheid vom 3. April 2002 als unbegründet zurück.

3. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage. Eine Einreihung in die Position 1515 KN komme nicht in Betracht. Nach deren Wortlaut dürfe es sich ausschließlich um Fette oder Öle handeln. Andere Bestandteile fänden innerhalb der gesamten Position keine Erwähnung. Weizenkeimöl VegaGelkapseln bestünden jedoch nicht nur aus Öl, sondern auch aus Stärkegranulat. Die Kapselhülle sei für die Frage der Einreihung des Präparates zu berücksichtigen. Insbesondere handle es sich bei der Kapselhülle nicht um eine Verpackung im Sinne der allgemeinen Vorschriften (AV) 5 b.

4. Da die Weizenkeimölkapseln keine spezielle therapeutische oder pharmakologische Wirkung hätten, sondern dem Ausgleich fehlender Nahrung und der Besserung des Wohlbefindens dienten, würden sie auch nicht von den Positionen 3003 oder 3004 KN erfasst. Demzufolge komme nur eine Einreihung in die Position 2106 KN in Betracht. Die VegaGelkapseln erfüllten alle Voraussetzungen für ein Ergänzungslebensmittel im Sinne der Erläuterungen zu dieser Position.

5. Das HZA ist dagegen der Ansicht, die Einreihung in die Position 1515 KN sei zu Recht erfolgt. Die in der Kapselhülle enthaltenen Hilfsstoffe seien unbeachtlich, da sie für die in Rede stehenden Waren nicht charakterbestimmend seien und darüber hinaus als Verpackungen im Sinne der AV 5 b anzusehen seien. Die Bedeutung des Stärkeanteils in der Kapselhülle trete hinter das charakterbestimmende Füllmaterial (Weizenkeimöl) zurück, da die Kapseln gerade nicht als Stärkeprodukte, sondern in erster Linie im Hinblick auf die im Weizenkeimöl enthaltenen Bestandteile vertrieben werden sollten.

Entscheidungsgründe:

II.

6. Der Senat setzt das Klageverfahren aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Artikel 234 Unterabs. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft die im Orientierungssatz formulierten Fragen zur Vorabentscheidung vor. Die Entscheidung über die beim Finanzgericht anhängige Klage hängt davon ab, wie die Weizenölkapseln in die KN einzureihen sind, da die in Frage kommenden Tarifpositionen zu unterschiedlichen Zoll- und EUSt-Sätzen führen.

7. Nach den AV A 1 sind maßgeblich für die Einreihung der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und - soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist - die AV.

8. Die Überschrift zu Kapitel 15 KN heißt: "Tierische und pflanzliche Fette und Öle, Erzeugnisse ihrer Spaltung; genießbare verarbeitete Fette; Wachse tierischen und pflanzlichen Ursprungs". Position 1515 KN hat den Wortlaut: "Andere pflanzliche Fette und fette Öle (einschließlich Jojobaöl) sowie deren Fraktionen, auch raffiniert, jedoch nicht chemisch modifiziert".

9. Kapitel 21 KN lautet: "Verschiedene Lebensmittelzubereitungen". Position 2106 hat die Überschrift "Lebensmittelzubereitungen, anderweitig weder genannt noch inbegriffen".

10. In der AV 2 b heißt es: "Jede Anführung eines Stoffes in einer Position gilt für diesen Stoff sowohl in reinem Zustand als auch gemischt oder in Verbindung mit anderen Stoffen. Jede Anführung von Waren aus einem bestimmten Stoff gilt für Waren, die ganz oder teilweise aus diesem Stoff bestehen. Solche Mischungen oder aus mehr als einem Stoff bestehenden Waren werden nach den Grundsätzen der AV 3 eingereiht.

11. In den AV 3 b ist bestimmt: "Mischungen, Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen, und für den Einverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die nach der Allgemeinen Vorschrift 3 a nicht eingereiht werden können, werden nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann."

Zu Frage 1:

12. Die Weizenkeimölkapseln sind von der Position 1515 dann erfasst, wenn die Kapselhülle bei der Betrachtung unberücksichtigt bleibt und als Verpackung im Sinne der AV 5 b anzusehen wäre.

13. Die AV 5 lauten:

"Zusätzlich zu den vorstehenden Allgemeinen Vorschriften gilt für die nachstehend aufgeführten Waren folgendes:

a) Behältnisse für Fotoapparate, Musikinstrumente, Waffen, Zeichengeräte, Schmuck und ähnliche Behältnisse, die zur Aufnahme einer bestimmten Ware oder Warenzusammenstellung besonders gestaltet oder hergerichtet und zum dauernden Gebrauch geeignet sind, werden wie die Waren eingereiht, für die sie bestimmt sind, wenn sie mit diesen Waren gestellt und üblicherweise zusammen mit ihnen verkauft werden. Diese Allgemeine Vorschrift wird nicht angewendet auf Behältnisse, die dem Ganzen seinen wesentlichen Charakter verleihen.

b) Vorbehaltlich der vorstehenden Allgemeinen Vorschrift 5 a werden Verpackungen wie die darin enthaltenen Waren eingereiht, wenn sie zur Verpackung dieser Waren üblich sind. Diese Allgemeine Vorschrift gilt nicht verbindlich für Verpackungen, die eindeutig zur mehrfachen Verwendung geeignet sind."

14. Nach Fußnote 1 zu den AV 5 b gelten als Verpackungen "innere und äußere Behältnisse, Aufmachungen, Umhüllungen und Unterlagen mit Ausnahme von Beförderungsmitteln - insbesondere Behälter -, Planen, Lademitteln und des bei der Beförderung verwendeten Zubehörs. Der Ausdruck "Verpackungen" umfasst nicht die in der Allgemeinen Vorschrift 5 a) angesprochenen Behältnisse."

15. Unstreitig handelt es sich bei der Kapselhülle nicht um Behältnisse der AV 5 a. Die Kapselhüllen sind insbesondere nicht, wie nach der AV 5 a erforderlich, zum dauernden Gebrauch bestimmt.

16. Aber auch der Wortlaut der AV 5 b trifft auf Kapselhüllen der bezeichneten Art nicht eindeutig zu. Schon die Begriffsbestimmung "Verpackung" legt nahe, dass die Ware nicht dauerhaft mit ihr verbunden ist, sondern spätestens beim Ge- oder Verbrauch der Ware von dieser getrennt wird. Dies ist auch nach dem vom HZA zitierten EuGH-Urteil vom 11. Februar 1982 in der Rechtssache C-278/80 Chem-Tec B.H. Naujoks gegen HZA Koblenz der Fall (EuGHE 1982 S. 439).

17. Noch am ehesten trifft der Begriff der "Umhüllung" aus der Fußnote 1 zur AV 5 b auf die Kapselhüllen zu. Auch die ErlHS zur AV 5 b, die als wichtiges Hilfsmittel zur Auslegung herangezogen werden können (s.o.), nennen als Gegenstand der AV 5 b die Einreihung von "Verpackungsmaterial und Behältern, wie sie gewöhnlich zum Verpacken von Waren verwendet werden, zu denen sie gehören" (ErlHS zu AV 5 b Rz. 16). In beiden Fällen liegt keine feste Verbindung zwischen Ware und Verpackung vor. Auch ist zweifelhaft, ob Kapselhüllen eine übliche Verpackung für Weizenkeimöl darstellen.

18. Gegen die Annahme einer Verpackung könnte auch sprechen, dass die Kapselhülle in der Regel nicht nur eine Umhüllung einer Flüssigkeit, eines Granulats oder Ähnlichem in einer bestimmten Dosierung zur Aufnahme in den Körper darstellt, sondern auch darüber entscheidet, an welcher Stelle im Körper die Aufnahme des Wirkstoffes erfolgt. So werden Kapseln grundsätzlich unzerkaut mit etwas Flüssigkeit eingenommen. Dabei hängt es von der Art der Kapselhülle ab, ob die Aufnahme der Wirkstoffe in den Körper im Magen oder im Darm erfolgt, je nachdem ob die Kapseln sich bereits im Magen auflösen oder magensaft-resistent sind und den enthaltenen Wirkstoff erst im Darm freisetzen. Den Kapseln kommt damit eine eigenständige Funktion zu.

Zu Frage 2:

19. Wären die Bestandteile der Kapselhülle nicht Verpackung im Sinne der AV 5 b, wäre das Weizenkeimöl gemäß der AV 2 b als Stoff in Verbindung mit anderen Stoffen anzusehen.

20. Nach der AV 3 b wären sie dann nach dem charakterbestimmenden Bestandteil einzureihen, soweit dieser ermittelt werden kann.

21. Anders als bei ölhaltigen Kapseln mit Zusätzen an Vitaminen o.ä. ergibt sich vorliegend lediglich aus der Darreichungsform als Kapsel die vom Hersteller bezweckte Funktion als Nahrungsergänzungsmittel, die gleichzeitig über die Dosierung und Ort der Aufnahme im Körper bestimmt. Sie könnte damit zumindest neben dem Weizenkeimöl charakterbestimmend sein.

22. Sollte eine Einreihung unter die Position 1515 KN nicht in Betracht kommen, wären die Kapseln als Lebensmittelzubereitungen unter die Position 2106 KN, "verschiedene Lebensmittelzubereitungen, anderweitig weder genannt noch inbegriffen", zu tarifieren. Unstreitig handelt es sich bei den Kapseln um Lebensmittelzubereitungen.

23. Eine Einreihung in eine andere Position außer 1515 KN kommt nicht in Betracht. Die einzig denkbare Position wäre 3004 "Arzneiwaren (ausgenommen Erzeugnisse der Position 3002, 3005 oder 3006), die aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestehen, dosiert (einschließlich solcher, die über die Haut verabreicht werden) oder in Aufmachung für den Einzelverkauf". Ein therapeutischer oder prophylaktischer Zweck ist nicht ersichtlich und wird von den Beteiligten auch ausgeschlossen.



Ende der Entscheidung

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