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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 07.05.2008
Aktenzeichen: 13 K 146/04
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 11 Abs. 1 S. 1
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1
AO § 42 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

13 K 146/04

Tatbestand:

Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist zu 1,4615 v.H. am Stammkapital der W-GmbH beteiligt, deren Geschäftsführer er ist. Die Anteile an der W-GmbH werden zu 50,4103 v.H. von der Familie Dr. W. W., zu 32,6795 v.H. von der Familie H. W., zu 13,9872 v.H. von der R..-GmbH und zu je 1,4615 v.H. von den beiden Gesellschafter-Geschäftsführern gehalten. Mit der Einkommensteuererklärung für 2001 erklärte der Kläger Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 118.516,49 DM aus einer von den Beteiligungsverhältnissen abweichenden, sog. inkongruenten Gewinnausschüttung der W-GmbH für 2000 gemäß Gesellschafterbeschluss vom 24. Juli 2001. Die Gesellschafter der W-GmbH hatten zugleich vereinbart, dass sie in einer Abstimmung der Gesellschafterversammlung für einen Nachteilsausgleich stimmen würden, sofern den Gesellschaftern durch die disquotale Ausschüttung gemäß Beschluss vom 24. Juli 2001 Nachteile finanzieller Art (Steuer) entstünden. Mit Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 23. Juli 2002 wurden die Kläger zunächst wie erklärt veranlagt.

Der Beklagte erkannte die inkongruente Gewinnausschüttung nicht an und rechnete dem Kläger im Einkommensteuerbescheid für 2000 eine seiner Beteiligung entsprechende Dividende in Höhe von 256.996 DM zu. Auf den Einspruch des Klägers änderte der Beklagte unter dem 3. März 2003 den Einkommensteuerbescheid für 2000 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO); gleichzeitig erging ein nach § 174 AO geänderter Einkommensteuerbescheid für 2001, in welchem der Beklagte nunmehr die der Beteiligung entsprechende Dividende in Höhe von 256.996 DM erfasste.

Gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2001 erhoben die Kläger Einspruch und beriefen sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. August 1999 I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, wonach von den Beteiligungsverhältnissen abweichende inkongruente Gewinnausschüttungen steuerrechtlich anzuerkennen seien und auch dann keinen Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO darstellten, wenn andere als steuerliche Gründe nicht erkennbar seien. Selbst wenn man davon ausgehe, dass eine gesellschaftsrechtlich wirksam vorgenommene inkongruente Ausschüttung steuerrechtlich nicht anzuerkennen sei, könne dies nicht dazu führen, dass Gesellschafter Einkünfte zu versteuern hätten, die ihnen nicht zugeflossen seien.

Zum Hintergrund der inkongruenten Gewinnausschüttung trugen die Kläger vor, dass die Ausschüttung inkongruent zu Gunsten der R..-GmbH erfolgt sei. Diese sei mit 13,9872 v.H. an der W-GmbH beteiligt, wobei es sich um eine wechselseitige Beteiligung handele, da die R..-GmbH eine 100%ige Tochtergesellschaft und zugleich ein wichtiger Zulieferbetrieb der W-GmbH sei. § 15 B der Satzung der W-GmbH erlaube durch Beschluss der Gesellschafter eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Gewinnausschüttung. In der Gesellschafterversammlung vom 24. Juli 2001 sei für das Jahr 2000 eine Gewinnausschüttung in Höhe von 9.000.000 EUR beschlossen worden. Ferner sei beschlossen worden, die Gewinnausschüttung inkongruent und in Höhe von 6.503.680,06 EUR zu Gunsten der R..-GmbH vorzunehmen, um es dieser zu ermöglichen, die gegenüber der W-GmbH bestehenden Verbindlichkeiten auszugleichen. Die R..-GmbH habe körperschaftsteuerliche Verlustvorträge ausnutzen können, um die inkongruente Dividende ohne Steuerbelastung vereinnahmen zu können. Auf der Ebene der W-GmbH habe eine Wertberichtigung auf Forderungen gegenüber der R..-GmbH zum 31. Dezember 2001 in Höhe von 1.293.086,15 EUR aufgelöst werden können, sonst nicht realisierbare Forderungen hätten auf diesem Weg in Liquidität umgewandelt werden können. Die Verbindlichkeiten der R..-GmbH gegenüber der W-GmbH seien von ca. 6.900.000 EUR auf ca. 2.900.000 EUR reduziert worden. Die inkongruente Ausschüttung habe zum einen der Sanierung der R..-GmbH gedient, zum anderen habe die W-GmbH von der Sanierung der R..-GmbH profitiert, weil diese im Falle einer Liquidation der R..-GmbH Gefahr laufe, Investitionszuschüsse und Altkredite von der Kreditbank zurückzahlen zu müssen.

Darüber hinaus sei Ziel der Ausschüttung die Realisierung von Körperschaftsteuerguthaben vor dem Systemwechsel vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren gewesen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 21. April 2004 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Zur Begründung ist ausgeführt, die Finanzverwaltung wende das BFH-Urteil vom 19. August 1999 I R 77/96 (a.a.O.) über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht an (Nichtanwendungserlass, BMF-Schreiben vom 7. Dezember 2000 IV A 2-S 2810-4/00, BStBl I 2001, 47). Nach dem Nichtanwendungserlass könnten inkongruente Gewinnausschüttungen anzuerkennen sein, wenn für eine vom gesetzlichen Verteilungsschlüssel abweichende Gewinnverteilung besondere Leistungen eines oder mehrerer Gesellschafter für die Kapitalgesellschaft ursächlich seien. Sei dies nicht der Fall, seien die Ausschüttungen den Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligung am Nennkapital der Gesellschaft zuzurechnen. Werde beispielsweise die inkongruente Gewinnausschüttung zu Gunsten eines Gesellschafters mit einer inkongruenten Einlage dieses Gesellschafters ausgeglichen, habe dies zur Folge, dass der auf die Gewinnbeteiligung verzichtende Gesellschafter seine Gewinnbeteiligung gegen die Zusage einer disquotalen Einlage veräußert habe und er dadurch den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllt habe. Im Streitfall lägen keine wirtschaftlich beachtlichen Gesellschafterleistungen für die inkongruente Gewinnausschüttung vor. Dem Kläger sei daher zu Recht eine Dividende entsprechend seinem Beteiligungsverhältnis zugerechnet worden.

Mit ihrer Klage tragen die Kläger vor, die inkongruente Gewinnausschüttung an einen Gesellschafter, der die Dividende mit Verlusten ausgleichen könne bei anschließender Rückführung des Geldes in die Gesellschaft, stelle keinen Gestaltungsmissbrauch dar. Ein solcher liege nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt werde, die zur Erreichung des wirtschaftlichen Ziels unangemessen sei, der Steuerminderung dienen solle und durch wirtschaftliche oder außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen sei. Ein solcher Fall liege hier nicht vor. Die Anwendung von § 42 AO sei auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Gestaltung eines anderen Sachverhalts verdeckt würde. Die inkongruente Ausschüttung bei Zurückführung der Liquidität an die ausschüttende Gesellschaft stelle keine Veräußerung von Gewinnbezugsrechten nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG dar. Denn zwischen den Gesellschaftern bestehe keine vertragliche Abrede, deren Leistungsinhalt die Zuwendung eines Gewinnbezugsrechts gegen Erbringung einer Gegenleistung sei. Es handele sich vielmehr um ein zwischen den Gesellschaftern abgestimmtes Verhalten im Interesse der Gesellschaft auf der Ebene der Gesellschaft. Die dem Nichtanwendungserlass zu Grunde liegenden Modelle beinhalteten die der Ausschüttung vor- oder nachgeschaltete inkongruente Einlage. Diese Gestaltung sei hier nicht gegeben. Die durch die inkongruente Ausschüttung erlangten Gelder seien nicht inkongruent der ausschüttenden Gesellschaft wieder zugeführt worden. Es seien bestehende Verbindlichkeiten ausgeglichen worden. Es sei das Ziel verfolgt worden, bei Realisierung von Körperschaftsteuerguthaben die Liquiditätslage der W-Gruppe insgesamt zu verbessern. Das verfolgte Ziel habe originären wirtschaftlichen Interessen der W-GmbH gedient, es entspreche von seiner Zielsetzung her den Mechanismen des Anrechnungsverfahrens. Eine Umgehung im Sinne des § 42 AO liege bereits deshalb nicht vor, weil eine andere Gestaltung nicht den gleichen Erfolg herbeigeführt hätte. Eine kongruente Ausschüttung an die Gesellschafter mit anschließender Rückführung der ausgeschütteten Liquidität an die W-GmbH wäre nicht mit gleicher Effektivität möglich gewesen, weil die Dividende auf der Ebene der übrigen Gesellschafter mit dem Spitzensteuersatz zu versteuern gewesen wäre, sodass die Ausschüttung nicht in annähernd gleicher Höhe an die W-GmbH hätte zurückgeführt werden können. Darüber hinaus habe es den wirtschaftlichen Interessen der R..-GmbH gedient, da diese durch die erhaltene Ausschüttung ihre gegenüber der ausschüttenden Gesellschaft bestehenden Verbindlichkeiten habe reduzieren können. Dies wiederum habe der W-GmbH gedient, da auf diese Weise ein wichtiger Zulieferer auf eine wirtschaftlich gesunde Grundlage gestellt worden sei. Mit der im Nichtanwendungserlass fingierten Veräußerung von Gewinnbezugsrechten habe dies nichts zu tun. Schließlich komme es auch nicht zu einer ungerechtfertigten Nutzung des Verlustausgleichs. Die durch die R..-GmbH mittels der erhaltenen Dividende getilgten Verbindlichkeiten wären sonst uneinbringlich gewesen. Es hätte auf der Ebene der W-GmbH eine entsprechende Abschreibung vorgenommen werden müssen, die auf diese Weise habe vermieden werden können. Im Ergebnis habe die inkongruente Ausschüttung daher der Schaffung von Liquidität durch Realisierung von Körperschaftsteuerguthaben gedient, bevor dieses zum Ende des Jahres 2000 auf Grund der zum Systemwechsel vorzunehmenden Zwangsumgliederung des verwendbaren Eigenkapitals zumindest anteilig verloren gegangen wäre. Die Realisierung des angesparten Körperschaftsteuerguthabens auf der Ebene der Gesellschaft im Rahmen des Anrechnungsverfahrens sei Kernstück des alten Körperschaftsteuerrechts.

Auch wenn man der im Nichtanwendungserlass vertretenen Auffassung grundsätzlich folge, sei der angefochtene Bescheid aufzuheben, weil eine wirtschaftliche Rechtfertigung für die inkongruente Ausschüttung gegeben sei. Diese liege in der Erfüllung sonst nicht realisierbarer Forderungen und in der Realisierung sonst zumindest anteilig verlorenen Körperschaftsteuerguthabens. Die Tilgung der Verbindlichkeiten der R..-GmbH gegenüber der W-GmbH stelle einen anerkennenswerten wirtschaftlichen Grund dar. Auch weil die R..-GmbH, anders als die anderen Gesellschafter, in ständiger Geschäftsbeziehung zur W-GmbH stehe, sei die Ungleichgleichbehandlung der Gesellschafter wirtschaftlich gerechtfertigt.

Selbst wenn die inkongruente Gewinnausschüttung steuerlich nicht anzuerkennen wäre, dürfe dies nicht dazu führen, dass Gesellschafter Einkünfte zu versteuern hätten, die ihnen nicht zugeflossen seien. § 42 AO biete keine Rechtsgrundlage für die Zurechnung nicht erhaltener Einkünfte. Auf ihrer Seite liege ein Missbrauch im Sinne von § 42 AO nicht vor. Die Zustimmung zu der inkongruenten Gewinnausschüttung sei nicht erfolgt, um Einkünfte zu erzielen, deren Besteuerung habe umgangen werden sollen. Die Ausschüttung müsse im Falle der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs allenfalls in dem Umfang, in dem sie bei der R..-GmbH steuerlich nicht akzeptiert werden könne, einer wirtschaftlich angemessenen Gestaltung weichen. Dies rechtfertige es nicht, die fraglichen Beträge den anderen Gesellschaftern fiktiv zuzurechnen. Allenfalls sei eine Rückabwicklung der Ausschüttung denkbar, nicht jedoch statt dessen die Fiktion einer kongruenten Ausschüttung. Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs lasse § 42 AO es zu, den missbräuchlichen Vorgang zu neutralisieren, nicht aber, Ersatzsachverhalte zu fingieren.

Die Kläger stellen den Antrag lt. Schriftsatz vom 30. Juli 2004.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

für den Fall der Klagestattgabe, die Revision zuzulassen.

Er hält an der in dem Nichtanwendungserlass vertretenen Auffassung fest und trägt vor, eine unangemessene Gestaltung liege auch dann vor, wenn ein wirtschaftlich sinnvoller Zweck erst im Anschluss an die gewählte Gestaltung mit den dadurch ersparten Steuermitteln erreicht werde. Es müsse also, wenn man den Zweck der Steuerersparnis hinwegdenke, noch ein vernünftiges anderes wirtschaftliches Ziel zu erkennen sein, sonst sei die Gestaltung unangemessen. Im vorliegenden Fall habe die W-GmbH disquotal an die R..-GmbH ausgeschüttet, um durch deren Verlustvortrag das realisierte Anrechnungsguthaben zu Liquidität werden zu lassen. Die Erfüllung von Verbindlichkeiten der R..-GmbH gegenüber der W-GmbH sei daher mit dem bei der R..-GmbH durch inkongruente Gewinnausschüttung mobilisierten Anrechnungsguthaben und somit mit freigewordenen Steuermitteln finanziert worden. Dasselbe gelte für die Erhöhung der Liquidität auf der Ebene der W-GmbH sowie die Sanierung der R..-GmbH. Für sich genommen könnten diese Ziele als wirtschaftlich sinnvoll angesehen werden. Letztlich würden sie jedoch ausschließlich durch die Ersparnis von Steuermitteln erreicht. Eine solche Sachverhaltsgestaltung sei unangemessen. Diese Vorgehensweise werde auch nicht dem Grundsatz gerecht, dass Verluste nur von demjenigen genutzt werden sollten, der sie wirtschaftlich zu vertreten habe. Im Ergebnis seien die Verluste der R..-GmbH durch die W-GmbH genutzt worden. Aus diesen Gründen habe die Finanzverwaltung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. August 1999 mit einem Nichtanwendungserlass reagiert. Der Nichtanwendungserlass betreffe auch den vorliegenden Fall. Hier sei die inkongruente Gewinnausschüttung nicht mit einer Wiedereinlage, sondern mit der Erfüllung von Verbindlichkeiten durch die R..-GmbH verknüpft worden. Auch in einer solchen Konstellation werde letztlich ein nicht verteilter Gewinn begünstigt. Die inkongruente Gewinnausschüttung wäre dem Nichtanwendungserlass zufolge anzuerkennen, wenn für eine vom gesetzlichen Verteilungsschlüssel abweichende Gewinnverteilung besondere Leistungen der R..-GmbH für die W-GmbH ursächlich gewesen wären. Die Ausschüttung an die R..-GmbH sei erfolgt, damit diese unter Ausnutzung von Verlustvorträgen ihre Verbindlichkeiten gegenüber der W-GmbH habe erfüllen können. Darin liege keine, über das unter Gesellschaftern übliche hinausgehende besondere Leistung.

Die Kläger haben hierauf noch vorgetragen, der Vorwurf einer ungerechtfertigten Verlustnutzung widerspreche den gesetzlichen Regelungen. Der Bundesfinanzhof habe wiederholt erkannt, dass die Ausschöpfung eines bestehenden Verlustabzugs letztlich der Vermeidung einer im Ergebnis überhöhten Gesamtbesteuerung diene und somit nicht rechtsmissbräuchlich sein könne. Der Verlustausgleich sei auch bei dem Steuersubjekt erfolgt, bei dem der Verlust entstanden sein, nämlich der R..-GmbH. Die Realisierung des Körperschaftsteuerguthabens als "Steuerersparnis" zu bezeichnen, sei verfehlt. Unter dem Anrechnungsverfahren habe die Entrichtung der Körperschaftsteuer auf der Ebene der Körperschaft wirtschaftlich eine Vorauszahlung auf die Ertragsteuer der Gesellschafter dargestellt. Es habe in der Dispositionsfreiheit der Gesellschafter gelegen, bei entsprechender Liquidität durch Ausschüttung die Voraussetzungen für die Körperschaftsteueranrechnung zu schaffen. Mit der Abführung der Körperschaftsteuer auf der Ebene der Körperschaft und dem Festhalten an der Tarifbelastung der thesaurierten Gewinne hätten die Gesellschafter nach alten Recht eine Vermögensdisposition erlangt, die sie hätten verwerten und nutzen können. Das Körperschaftsteuerguthaben werde als anwartschaftsähnliches Recht vom Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 des Grundgesetzes (GG) erfasst. Weiterhin werde auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 28. Juni 2006 I R 97/05, BFHE 214, 276, BFH/NV 2006, 2207, hingewiesen, in welcher das Gericht einen Rechtsmissbrauch im Zusammenhang mit der Durchführung inkongruenter Ausschüttungen auch auf der Ebene der Gesellschafter ausdrücklich ablehne.

Der Beklagte hat erwidert, die Ausschöpfung eines bestehenden Verlustabzugs begründe für sich allein keinen Gestaltungsmissbrauch. Der Vorwurf richte sich im vorliegenden Fall auch nicht gegen die Nutzung des Verlustabzugs, sondern dagegen, dass für die gewählte Gestaltung - inkongruente Gewinnausschüttung - außer der Nutzung des Verlustabzugs und des Körperschaftsteuerguthabens - ein ausschließlich steuerlich motivierter Grund - keine beachtlichen wirtschaftlichen und damit außersteuerlichen Gründe erkennbar seien. Soweit die W-GmbH bei der R..-GmbH, einer 100%igen Tochtergesellschaft, auf Grund der gegenseitigen Beteiligung eine Kapitalverstärkung für erforderlich gehalten habe, hätte sie dies auf schuldrechtlicher Ebene durch Gesellschafterdarlehen oder auf gesellschaftsrechtlicher Ebene durch eine entsprechende Einlage tun können. Eine Gewinnausschüttung sei hierfür kein geeignetes Instrument und zeige deutlich, dass allein die Nutzung des Verlustvortrags bei der R..-GmbH und die Realisierung des Körperschaftsteuerguthabens Grund für die konkrete Vorgehensweise gewesen seien.

In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger auf Frage erklärt, dass die Kläger mit den übrigen Gesellschaftern der W-GmbH nicht verwandt seien.

Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Akten des Beklagten (je 1 Heft Einkommensteuer- und Rechtsbehelfsakten) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Beklagte hat dem Kläger zu Unrecht bei den Einkünften aus Kapitalvermögen eine seiner Beteiligung an der W-GmbH entsprechende Gewinnbeteiligung in Höhe von 256.996 DM zugerechnet. Der dahingehend geänderte Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 3. März 2003 und die Einspruchsentscheidung vom 21. April 2004 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Sie sind ersatzlos aufzuheben.

Zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören Gewinnanteile (Dividenden) und andere Kapitalerträge, die der Gesellschafter einer GmbH erhalten hat oder deren Ausschüttung von der Gesellschaft beschlossen wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist als Kapitalertrag jede Zuwendung der Kapitalgesellschaft an den Gesellschafter anzusehen, durch die das Vermögen der Gesellschaft ohne Kapitalherabsetzung gemindert wird, wobei es gleichgültig ist, ob die Zuwendung dem Reingewinn der Gesellschaft entspricht oder das Vorhandensein von Reserven oder andere Umstände die Ausschüttung ermöglichen. Für die Einordnung einer Einnahme unter die Einkunftsart Kapitalvermögen ist es unerheblich, ob aufgrund eines ordnungsgemäß gefassten Gewinnverteilungsbeschlusses geleistet wurde oder ob der Gewinnverwendungsbeschluss seinem Inhalt nach so ergehen durfte oder sollte. Ohne Einfluss auf die Zurechnung zu dieser Einkunftsart bei dem Empfänger der Ausschüttung ist es auch, ob der Gewinnverteilungsbeschluss rückgängig gemacht werden kann oder aufgehoben wird. Dies ist ertragsteuerrechtlich nur für die Kapitalgesellschaft von Bedeutung. Davon, ob die Gesellschaft eine berücksichtigungsfähige Ausschüttung vorgenommen hat, ist die hier allein maßgebende Frage zu unterscheiden, ob oder wann dem Gesellschafter ein Kapitalertrag zugeflossen ist, der der Einkommensteuer unterliegt.

Die Frage des Zufließens von Kapitalerträgen ist nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zu entscheiden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gelten im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG Einnahmen als zugeflossen, wenn der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter erlangt hat (vgl. BFH-Urteil vom 1. März 1977 VIII R 106/74, BFHE 122, 60, BStBl II 1977, 545).

Nach diesen Grundsätzen sind dem Kläger aus der inkongruenten Gewinnausschüttung der W-GmbH im Streitjahr nur 118.516,49 DM tatsächlich zugeflossen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Zufluss einer den Beteiligungsverhältnissen entsprechenden Gewinnausschüttung beim Kläger kann aber auch nicht allein aus dessen Zustimmung zu der inkongruenten Gewinnausschüttung zu Gunsten der R..-GmbH abgeleitet werden. Die Annahme eines Zuflusses bei dem lediglich zustimmenden Gesellschafter ist nur dann denkbar, wenn man ein eigenes Interesse dieses Gesellschafters an dem Zufluss des Beteiligungsertrags bei dem anderen vermuten kann, wie dies etwa in Fällen nahestehender Personen denkbar ist (vgl. Wassermeyer in Kirchhof/Söhn, EStG, § 20, Stand Januar 2003, Rn. B 60 a). Dafür ist hier nichts ersichtlich.

Ein über diesen Betrag hinausgehender Gewinnanteil ist dem Kläger aber auch nicht deshalb zuzurechnen, weil von einem Missbrauch der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO ausgegangen werden müsste.

Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann das Steuergesetz durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nicht umgangen werden. Eine Umgehung im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 1 AO ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die - gemessen an dem erstrebten Ziel - unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist. Dem Steuerpflichtigen ist es dabei grundsätzlich nicht verwehrt, seine rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine möglichst geringe steuerliche Belastung ergibt. Die vom Steuerpflichtigen gewählte Rechtsgestaltung ist der Besteuerung jedoch dann nicht zugrunde zu legen, wenn sie ausschließlich der Steuerminderung dient und bei sinnvoller, Zweck und Ziel der Rechtsordnung berücksichtigender Auslegung des Gesetzes missbilligt wird (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteil vom 9. November 2006 IV R 21/05, BFHE 216, 57, BFH/NV 2007, 1002, m.w.N.).

Der Beklagte hat dem Kläger gemäß der Regelung des Nichtanwendungserlasses einen seiner Beteiligung an der W-GmbH entsprechenden Gewinnanteil zugerechnet, weil er die inkongruente Gewinnausschüttung der W-GmbH wegen der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs steuerlich nicht anerkannt hat. Die inkongruente Gewinnausschüttung zu Gunsten der R..-GmbH sei nur deshalb erfolgt, weil diese Verlustvorträge habe ausnutzen und Anrechnungsguthaben habe realisieren können. Die Erfüllung der Verbindlichkeiten gegenüber der W-GmbH sei auf diesem Wege mit freigewordenen Steuermitteln finanziert worden. Es kommt für die Entscheidung nicht darauf an, ob der Senat dem zustimmen könnte. Denn selbst wenn der vom Beklagten angenommene Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vorläge, führte dies beim Kläger nicht zu einer Besteuerung nicht zugeflossener Kapitalerträge.

Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass ein und derselbe Vorgang in der Person eines Beteiligten als Gestaltungsmissbrauch beurteilt werden kann, in der Person des anderen hingegen nicht. Einen wirtschaftlichen Vorteil und im Ergebnis auch einen Steuervorteil aus der vorliegenden Gestaltung hat allein die R..-GmbH, die dadurch Verbindlichkeiten gegenüber der W-GmbH tilgen konnte. Beim Kläger selbst kann ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten jedoch nicht festgestellt werden. Sollte die inkriminierte Gesamtgestaltung tatsächlich als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein, so könnte sie allenfalls bei der W-GmbH und der R..-GmbH rückgängig gemacht werden. Die Ausschüttung wäre insoweit als nicht erfolgt anzusehen, der Verlustausgleich zu versagen. Bei dem Kläger ergeben sich jedoch keine (unmittelbaren) steuerlichen Auswirkungen. Denn § 42 Satz 2 AO bestimmt, dass im Falle eines Missbrauchs der Steueranspruch so entsteht, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Abzustellen ist immer nur auf den Steueranspruch aus dem konkreten Steuerschuldverhältnis des einzelnen Steuerpflichtigen.

Daraus folgt, dass lediglich die Ausschüttung in jenem Umfang, in dem sie bei der R..-GmbH steuerlich nicht akzeptiert werden könnte, einer wirtschaftlich angemessenen Gestaltung weichen müsste. Die Wirkungen von § 42 Satz 1 AO werden indes überdehnt, wenn die fraglichen Beträge bei einem anderen Anteilseigner (hier dem Kläger) fiktiv als zugeflossen behandelt werden. Dies widerspräche auch den Absichten der beteiligten Gesellschafter, wie sie sich in der von diesen geschlossenen Vereinbarung niederschlagen. Nach der Vereinbarung vom 24. Juli 2001 wären nämlich für den Fall der Annahme eines steuerlichen Gestaltungsmissbrauchs die Nachteile der gewählten Gewinnverteilung auszugleichen, nicht jedoch statt dessen die Gewinne der W-GmbH nunmehr kongruent auszuschütten. Da dieses Vorgehen keinem Missbrauchsvorwurf ausgesetzt wäre, hat sich daran im Grundsatz auch die steuerliche Behandlung zu orientieren. § 42 Satz 2 AO lässt es zu, den missbräuchlichen Vorgang zu neutralisieren, nicht aber, Ersatzsachverhalte zu fingieren (vgl. BFH-Urteile vom 19. August 1999 I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43; vom 28. Juni 2006 I R 97/05, BFHE 214, 276, BFH/NV 2006, 2207).

An dieser Einschätzung vermag im Streitfall der Umstand nichts zu ändern, dass dem Kläger das steuerlich bei der R..-GmbH ausgeglichene Verlustpotential über die Tilgung von Verbindlichkeiten bei der W-GmbH als Gesellschafter der W-GmbH ebenfalls zugute gekommen ist. Insoweit hat der Bundesfinanzhof erkannt, dass zum einen nicht verhindert werden kann, dass ein Steuerpflichtiger, der sich einen Steuervorteil zunutze macht, einen Dritten an diesem Vorteil oder dessen Wirkungen teilhaben lässt. Derartige Begünstigungen ziehen keinen Gestaltungsmissbrauch nach sich. Zum weiteren führt bei der im Streitfall in Rede stehenden Gestaltung eine etwaige Wertsteigerung der Anteile an der W-GmbH infolge der Tilgung von Verbindlichkeiten, die sonst hätten wertberichtigt werden müssen, nicht zu einem greifbaren Vermögensvorteil bei den Anteilseignern, also auch nicht bei dem Kläger. Solche Wertsteigerungen, so sie denn bestehen, wären lediglich Reflexwirkungen (vgl. BFH-Urteil vom 19. August 1999 I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43).

Im Falle der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs käme bei der vorliegenden Fallkonstellation auch nicht die weitere im Nichtanwendungserlass dargestellte Variante, dass der auf die Gewinnbeteiligung verzichtende Gesellschafter seine Gewinnbeteiligung gegen die Zusage einer disquotalen Einlage veräußert und dadurch den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG verwirklicht habe, in Betracht. Denn um ein "Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren" handelt es sich hier nicht. Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG gehören Einnahmen aus der Veräußerung von Dividendenscheinen und sonstigen Ansprüchen, wenn die Aktien oder sonstigen Anteile selbst nicht mitveräußert werden, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Der Grund für das Erfassen eines solchen Veräußerungsgeschäfts liegt darin, dass der Anteilseigner mit dem Entgelt für die Veräußerung sonstiger Ansprüche, hier für die Überlassung des Gewinnbezugsrechts, wirtschaftlich den Ertrag seines Kapitals zieht (vgl. BFH-Urteile vom 12. Dezember 1969 VI R 301/67, BFHE 97, 546, BStBl II 1970, 212; vom 22. Mai 2003 IX R 9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712 ). Ein Entgelt oder einen sonstigen Vorteil für die Zustimmung zu der inkongruenten Ausschüttung hat der Kläger im Streitfall aber nicht erhalten, insbesondere wurde keine disquotale Einlage zugesagt, sodass auch kein Veräußerungsgeschäft vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151, 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen (§ 115 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FGO).



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