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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 30.07.2009
Aktenzeichen: 13 K 1831/09
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 1
EStG § 32 Abs. 4
EStG § 32 Abs. 4
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Die Klägerin erhielt für ihre Tochter B, geb. am xx.xx 1983, Kindergeld. B befand sich bis einschließlich September 2005 in Ausbildung, anschließend war sie bis Ende des Jahres arbeitslos. Ihre Einkünfte und Bezüge für den Zeitraum Januar bis September 2005 betrugen abzüglich Werbungskostenpauschale, anteiliger Kostenpauschale für Sonntags- und Nachtarbeit und Arbeitnehmeranteil zu den Sozialversicherungsbeiträgen 5.789,09 EUR, sodass der anteilige Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der in den streitigen Kindergeldmonaten geltenden Fassung in Höhe von 5.760 EUR (9/12 von 7.680 EUR) überschritten war. Mit Bescheid vom 25. April 2006 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für B ab Januar 2005 aus diesem Grunde auf. In der Begründung des Bescheides heißt es, die tariflich/arbeitsvertraglich geregelte Umlage an die VBL (Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder) könne nicht in Abzug gebracht werden und führe nicht zu einer Minderung des zu berücksichtigenden Jahreseinkommens. Unter Berücksichtigung der Arbeitnehmerbeiträge an die VBL in Höhe von 116,20 EUR wäre der Jahresgrenzbetrag unterschritten worden.

Gegen den Aufhebungsbescheid erhob die Klägerin Einspruch und trug vor, das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02) zu den Sozialversicherungsbeiträgen ausgeführt, dass § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfassungskonform so auszulegen sei, dass von den Einkünften und Bezügen nur diejenigen in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einfließen dürften, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet seien. Die Beiträge an die VBL stünden weder dem Auszubildenden noch den Eltern und dementsprechend nicht zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung zur Verfügung. Sie seien daher nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 2006 wies die Beklagte den Einspruch mit der Begründung zurück, der Abzug der VBL-Beiträge beruhe, anders als die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, auf einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung. Es handele sich nicht um einen Abzug von Gesetzes wegen.

Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt ergänzend vor, die Berücksichtigung der VBL-Umlage sei sowohl im Hinblick auf Art. 6 des Grundgesetzes (GG) als auch unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Beruf und Familie rechtsstaatlich notwendig.

Die Klägerin beantragt,

den Aufhebungsbescheid vom 25. April 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 2006 aufzuheben, soweit die Kindergeldfestsetzung für Januar bis September 2005 aufgehoben wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, und bezieht sich zur Begründung auf ihre Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 2006.

Mit Einverständnis der Beteiligten hat das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs in der Sache III R 78/06 (zur Gleichstellung der vom Arbeitgeber einbehaltenen Arbeitnehmeranteile zur VBL mit Sozialversicherungsbeiträgen, Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 24. August 2006 6 K 278/06) geruht. Der Bundesfinanzhof hat die Revision als unzulässig verworfen (Beschluss vom 25. November 2008 III R 78/06, BFH/NV 2009, 407).

In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten u.a. ausgeführt, die vom Niedersächsischen Finanzgericht vorgenommene weite Auslegung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf Beiträge, die nicht von Gesetzes wegen abgezogen würden, führe zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung mit solchen Kindern, die eine private Rentenversicherung abgeschlossen hätten.

Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der beigezogenen Kindergeldakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Der Aufhebungsbescheid vom 25. April 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 2006 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, soweit die Kindergeldfestsetzung auch für die Kindergeldmonate Januar bis September 2005 aufgehoben wurde.

Die Klägerin hat nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG in den Monaten Januar bis September 2005 einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für ihre Tochter, da diese das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und für einen Beruf ausgebildet wurde. Die Berechtigung dem Grunde nach ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Entgegen der Auffassung der Beklagten stehen maßgeblichen Einkünfte und Bezüge des Kindes der Berücksichtigung in den streitigen Monaten nicht entgegen, da sie unter dem -anteiligen- gesetzlichen Grenzbetrag liegen.

Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 EUR im Kalenderjahr hat. Für jeden Monat, in dem sich das Kind nicht in Ausbildung befand, ermäßigt sich dieser Betrag um ein Zwölftel (§ 32 Abs. 4 Satz 7 EStG). Der auf die Ausbildungsmonate Januar bis September 2005 entfallende anteilige Grenzbetrag beträgt demnach 5.760 EUR. Die Tochter der Klägerin hatte im Streitjahr nach Abzug von Werbungskosten, anteiliger Kostenpauschale und den Sozialversicherungsbeiträgen Einkünfte und Bezüge in Höhe von 5.789,09 EUR.

Der Senat folgt dem Niedersächsischen Finanzgericht in der Entscheidung, dass bei der Berechnung der Einkünfte und Bezüge zudem die Beiträge des Kindes zur VBL in Abzug zu bringen sind (vgl. Urteil vom 24. August 2006 6 K 278/06, EFG 2006, 1768).

Ausgangspunkt der Grenzbetragsregelung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist die Überlegung, dass Eltern, deren volljährige Kinder sich in der Ausbildung befinden, durch diese noch finanziell belastet sind. Diese Belastung nimmt jedoch ab, wenn und soweit das Kind aus seinen eigenen Einkünften und Bezügen zu den Kosten seines Unterhalts und seiner Berufsausbildung beitragen kann. Hinsichtlich der Bestimmung dieser Einkünfte und Bezüge hat das Bundesverfassungsgericht in seiner zu den Sozialversicherungsbeiträgen ergangenen Entscheidung vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) herausgestellt, dass die Einkünfte des Kindes, soweit sie als Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber abgeführt werden und deshalb nicht in den Verfügungsbereich des auszubildenden Kindes gelangen, keine Minderung der Unterhaltslasten und somit auch keine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der unterhaltsverpflichteten Eltern bewirken können. Soweit dies unabhängig vom Willen der Kinder und deren Eltern geschehe, sei es gerechtfertigt, jedenfalls diejenigen Beträge, die, wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht verfügbar sind, sondern anderen Zwecken als der Bestreitung des Unterhalts zu dienen bestimmt sind, nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen.

Der Senat stimmt dem Niedersächsischen Finanzgericht auch darin zu, dass die vom Arbeitgeber der Tochter der Klägerin abgeführten Beiträge an die VBL den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung vergleichbar sind. Nach § 3 des zwischen der Tochter der Klägerin und dem ausbildenden Klinikum geschlossenen Ausbildungsvertrages vom 23. August 2002 gelten für das Ausbildungsverhältnis sinngemäß die Bestimmungen des Tarifvertrages zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Krankenpflegerschüler(innen) vom 3. April 1987 in der jeweils geltenden Fassung. Gemeint ist hierbei (wohl) der Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Schülerinnen und Schüler in der Krankenpflegehilfe vom 1. Januar 1967 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 3. April 1987, der mit Wirkung zum 1. März 1988 aufgehoben wurde und u.a. für Schülerinnen und Schüler der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Krankenpflegehilfe, deren Ausbildungsverhältnis nach dem 30. Juni 1985 begonnen hat, durch den Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Schülerinnen/Schüler, die nach Maßgabe des Krankenpflegegesetzes oder des Hebammengesetzes ausgebildet werden, vom 28. Februar 1986 in der Fassung des zu diesem Zeitpunkt geltenden Änderungstarifvertrages abgelöst wurde (vgl. die Erläuterungen in Crisolli/Tiedke, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Teil V b, Stand Februar 2004, S. 302). Nach § 19 der hier maßgeblichen Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 9 vom 31. Januar 2003 wird die Versicherung zum Zwecke einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung durch besonderen Tarifvertrag geregelt. Danach ist der Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung - ATV) vom 1. März 2002 in den Fassungen des 2. Änderungstarifvertrages vom 12. März 2003 und des 3. Änderungstarifvertrages vom 15. September 2005 verpflichtend (vgl. § 1 der Tarifvertrages i.V.m. Anlage 1 Satz 1 Nr. 16, 17).

§ 2 ATV bestimmt, dass die Beschäftigten mit Beginn des Beschäftigungsverhältnisses bei der öffentlichen Zusatzversorgungseinrichtung, bei der ihr Arbeitgeber Mitglied/Beteiligter ist, zu versichern sind. Da das ausbildende Krankenhaus durch eine Beteiligungsvereinbarung der VBL als Beteiligter beigetreten ist, handelt es sich für die Tochter der Klägerin um eine Pflichtversicherung (siehe auch § 26 der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder -VBLS- in der Fassung vom 28. November 2003). Aufgrund des Charakters als Pflichtversicherung ist es gerechtfertigt, die Beiträge bei der Ermittlung der maßgeblichen Einkünfte und Bezüge im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in Abzug zu bringen.

Der Unterschied zu den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung liegt darin, dass die Verpflichtung zur Beitragszahlung an die VBL nicht gesetzlich geregelt ist. Dies allein sieht der erkennende Senat ebenso wie das Niedersächsische Finanzgericht nicht als entscheidend an. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die Tochter der Klägerin - wie bei den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung auch - der Pflicht zur Beitragszahlung nicht durch eine eigene Willensentscheidung entziehen konnte. Zu einer tatsächlichen Entlastung der unterhaltsverpflichteten Eltern kommt es nämlich nicht nur dann nicht, wenn die fraglichen Einkünfte dem Kind von Gesetzes wegen nicht zur Verfügung stehen, sondern auch dann nicht, wenn sie nicht verfügbar sind, weil die Einkünfte durch unvermeidbare, zwangsläufige Aufwendungen gebunden sind und daher nicht zur Bestreitung des Existenzminimums zur Verfügung stehen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 2006 III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530). Die streitigen Beiträge zur VBL in Höhe von 116,20 EUR waren für die Tochter der Klägerin wegen ihres Charakters als Pflichtversicherung in den streitigen Monaten in diesem Sinne unvermeidbar. Bei Abzug dieser Beiträge wird der anteilige Grenzbetrag nicht überschritten.

Die dadurch entstehende Ungleichbehandlung mit Beiträgen eines Kindes zu einer privaten Rentenversicherung ist sachlich gerechtfertigt. Zwar hat der Bundesfinanzhof Beiträge eines in Ausbildung befindlichen Kindes zu einer privaten Rentenversicherung dann nicht als unvermeidbare Aufwendungen beurteilt, wenn das Kind - wie hier auch - gesetzlich rentenversichert ist, weil diese Beiträge zur aktuellen Existenzsicherung nicht erforderlich und somit für das Kind vermeidbar seien (vgl. BFH-Urteile vom 26. September 2007 III R 4/07, BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738; vom 29. Mai 2008 III R 54/06, BFH/NV 2008, 1821). Der Differenzierungsgrund zu den Beiträgen an die VBL besteht darin, dass die Beiträge für eine private Rentenversicherung aus Einkünften des Kindes geleistet werden, die zuvor in seinen Verfügungsbereich gelangt waren und daher grundsätzlich zur Bestreitung des Unterhalts zur Verfügung standen. Hingegen gelangen weder die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge der Tochter der Klägerin noch deren Beiträge an die VBL in ihren Verfügungsbereich, weil sie vom Arbeitgeber abgeführt werden. Sie können daher eine effektive Entlastung der unterhaltsverpflichteten Eltern nicht bewirken (in diesem Sinne auch: BFH-Urteil vom 14. Dezember 2006 III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151, 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen (§ 115 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Ende der Entscheidung

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