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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 29.04.2009
Aktenzeichen: 4 K 2995/07
Rechtsgebiete: EStG, SGB XII, BGB


Vorschriften:

EStG § 74 Abs. 1
SGB XII § 94 Abs. 2
BGB § 1603 Abs. 1
Keine Abzweigung von Kindergeld zugunsten des Sozialhilfeempfängers bei erheblichem Betreuungsaufwand der Eltern.
Tatbestand:

Streitig ist, ob das Kindergeld für ein wegen Behinderung vollstationär untergebrachtes Kind auch dann teilweise zugunsten des Sozialhilfeträgers abgezweigt werden kann, wenn die Eltern für das Kind einen erheblichen Betreuungsaufwand erbringen.

Der Kläger (Kl) ist Vater des am 27. Januar 1987 geborenen Sohnes X sowie zweier weiterer, noch minderjähriger Töchter. Daneben ist er Vater einer weiteren, älteren Tochter, für die seit dem Jahr 2000 kein Kindergeld mehr gezahlt wird.

Der Sohn des Kl leidet unter massiven motorischen Störungen und kann weder greifen noch sprechen, sitzen oder gehen. Er ist mit einem vom Versorgungsamt A... festgestellten Grad der Behinderung (GdB) von 100 schwerbehindert und lebt in der Heimsonderschule der "... Körperbehindertenschule" in V...., einem Wohnheim für behinderte Menschen. Den Aufwand für die dortige Unterbringung in Höhe von monatlich 3.800 EUR trägt der zum Klageverfahren beigeladene Landkreis C.. (der Beigeladene) im Rahmen der Leistungen der Sozialhilfe für behinderte Menschen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Der Kl zahlt an den Beigeladenen einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 26 EUR gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII.

Der Kl bewohnt mit seiner Ehefrau und den beiden minderjährigen Kindern ein Einfamilienhaus, in dem er auch für seinen behinderten Sohn ein eigenes Zimmer bereithält, damit der Sohn an den Wochenenden und in den Schulferien am Familienleben teilnehmen kann. Das Bad des Hauses hat der Kl so hergerichtet, dass es den besonderen Bedürfnissen des Sohnes gerecht wird. Der Sohn wird regelmäßig am Freitagmittag von Bediensteten der Behinderteneinrichtung gebracht und am Montagvormittag wieder abgeholt. Gelegentlich werden diese Abholfahrten sowie Fahrten zu den Arztbesuchen des Sohnes auch vom Kl oder seiner Ehefrau übernommen. In der (12 Kilometer vom Wohnhaus des Kl entfernten) Behinderteneinrichtung ist zwar eine Betreuung und Pflege des Sohnes auch an den Wochenenden gewährleistet. Der Sohn stellt indessen nicht unerhebliche Ansprüche an den persönlichen Umgang mit ihm und äußert dies durch Krankwerden, wenn er von seinen Familienangehörigen über einen längeren Zeitraum nicht hinlänglich betreut wird. Für seine Verpflegung an den Wochenenden ist die Anschaffung von Spezialnahrung in Form von Babykost erforderlich, weil der Sohn nur passierte Speisen verzehren kann. Der zwischen den Beteiligten unstreitige monatliche Aufwand des Kl für die häusliche Betreuung des Sohnes beläuft sich auf etwa 162 EUR und beruht auf den Kosten für Nahrung und Pflegemittel von 40 EUR, der anteiligen Zimmermiete von 90 EUR sowie einem Zehntel der im Haushalt des Kl anfallenden Abfallgebühren, Heiz-, Strom- und Wasserkosten (insgesamt gut 32 EUR). Außerdem schafft der Kl für seinen Sohn in regelmäßigen Abständen behindertengerechte Kleidung an, deren Kosten er nicht vollständig aus dem ihm vom Beigeladenen gezahlten Kleidergeld abdecken kann. Den hierfür anfallenden zusätzlichen Aufwand beziffert der Kl auf durchschnittlich etwa 50 EUR je Monat.

Mit Schreiben vom 16. März 2007 beantragte der Beigeladene bei der beklagten Familienkasse (der Beklagten - Bekl -) die Abzweigung des Kindergelds für den Sohn des Kl in angemessener Höhe, die er in das pflichtgemäße Ermessen der Bekl stellte.

Die Bekl gab dem Kl daraufhin unter Hinweis auf den Abzweigungsantrag des Beigeladenen Gelegenheit mitzuteilen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe er seinem Sohn gegenüber tatsächlich Unterhaltsleistungen erbringe oder das Kindergeld an den Sohn weiterleite. Dem Anhörungsschreiben war ein Formular der Bekl beigefügt, unter dessen Verwendung der Kl am 24. März 2007 geltend machte, der Sohn besuche (zwar) das Internat der Körperbehindertenschule, werde aber auch über 200 Tage im Jahr zuhause betreut. Der Sohn habe zudem die Möglichkeit, im Haushalt des Kl zu wohnen und dort verpflegt zu werden. Weitere Angaben zur Höhe des Aufwands machte der Kl nicht.

Mit Bescheid vom 14. Juni 2007 entschied die Bekl, von dem Kindergeldanspruch des Kl für den Sohn und die beiden minderjährigen Töchter ab April 2007 einen Betrag von 128 EUR monatlich an das Sozialamt des für den Beigeladenen handelnden Landratsamts abzuzweigen. Die Abzweigung in dieser Höhe sei angemessen, weil das Kindergeld insoweit für den Kindesunterhalt bestimmt sei. In der bei ihr geführten Verwaltungsakte vermerkte die Bekl hierzu, der Kl leiste seinem Sohn nur einen Unterhalt in Höhe von monatlich 26 EUR. Einen Abdruck des Bescheids übersandte die Bekl an den Beigeladenen.

Mit bei der Bekl am 25. Juni 2007 eingegangenem Schreiben legte der Kl gegen diese Entscheidung Einspruch mit der Begründung ein, die Vollpflegebetreuung seines Sohnes übernehme er zum größeren Teil in seinem Hause. Dies betreffe jedes Wochenende von Freitag bis einschließlich Montag Vormittag, die kompletten Schulferien sowie Krankentage, in denen er den Sohn aus der Einrichtung holen müsse, bis er wieder gesund sei.

Unter dem 21. November 2007 entschied die Bekl über den Einspruch in der Weise, dass sie den Bescheid vom 14. Juni 2007 dahingehend abänderte, dass ab August 2007 eine Abzweigung in Höhe von 77 EUR erfolge, und den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurückwies. Hierzu führte die Bekl aus, die Vorschrift des § 74 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) diene dem Zweck, im konkreten Bedarfsfall schnell und unbürokratisch Hilfe zu leisten und das Kindergeld an die Personen oder Stellen auszuzahlen, denen es letztendlich zugute kommen solle. Zwar stehe die Abzweigung grundsätzlich im Ermessen der Familienkasse. Im Hinblick auf die Zweckbestimmung des Kindergelds sei das Ermessen jedoch regelmäßig dahingehend auszuüben, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen - wie im Streitfall - eine Abzweigung des Kindergelds zu erfolgen habe. Der Kl erfülle seine gesetzliche Unterhaltspflicht lediglich mit einem Betrag, der geringer sei als das auf das Kind entfallende Kindergeld. Nach der neuesten Rechtsprechung liege es im Ermessen der Familienkasse, ob und in welcher Höhe Kindergeld an den Sozialhilfeträger abgezweigt werde, wenn der Kindergeldberechtigte neben den Leistungen des Sozialhilfeträgers vergleichsweise nur geringe Unterhaltsleistungen erbringe. Danach sei es nicht ermessensfehlerhaft, den gewährten Unterhalt des Unterhaltspflichtigen pauschal zu berücksichtigen und "nur die Hälfte des Kindergeldes an den Sozialhilfeträger zu belassen" (sic).

Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kl das Ziel verfolgt, das Kindergeld für seinen Sohn X ab April 2007 in voller Höhe zu erhalten. Die von den Eltern erbrachten Aufwendungen seien unter Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens von der Familienkasse im Einzelfall und nicht - wie geschehen - pauschal zu bewerten. Damit sei die Ermessensentscheidung der Bekl ermessensfehlerhaft. Seine - des Kl - Unterhaltsleistungen überstiegen deutlich den Kindergeldanspruch, denn sie betrügen - unter Ansatz der Aufwendungen für Miete, Nebenkosten und Spezialnahrung sowie dem sozialrechtlichen Unterhaltsbeitrag - mindestens 188,60 EUR im Monat oder 2.263 EUR im Jahr. Hätte die Bekl im Rahmen der Anhörung oder der Einspruchsbearbeitung deutlich gemacht, dass die Unterhaltsaufwendungen in konkreten Geldbeträgen beziffert werden müssten, so hätte er - der Kl - diese Angaben bereits im Verwaltungsverfahren machen können.

Die Bekl hat den Abzweigungsbescheid vom 14. Juni 2007 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 21. November 2007 nach Klageerhebung mit Bescheid vom 21. Januar 2009 gegenüber dem Kl insoweit geändert, "als dass für die Monate April 2007 bis Juli 2007 Anspruch auf Kindergeld für X in Höhe von 77,- EUR besteht". Eine Kopie dieses Bescheides hat die Bekl dem - mit der Änderung einverstandenen - Beigeladenen übersandt.

Der Kl beantragt (sinngemäß),

den Abzweigungsbescheid vom 14. Juni 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. November 2007 und den Änderungsbescheid vom 21. Januar 2009 ersatzlos aufzuheben.

Sowohl die Bekl als auch der Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene hält eine Abzweigung des Kindergelds von 77 EUR unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Streitfalls für ermessensgerecht. Nachdem die Bekl zunächst in den Raum gestellt hatte, aufgrund der vom Kl nachgewiesenen Aufwendungen komme eventuell eine Klaglosstellung in Betracht, hat sie sich hierzu im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr geäußert.

Der Berichterstatter des erkennenden Senats hat die Sach- und Rechtslage am 4. Dezember 2008 mit den Beteiligten erörtert. Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet. Ergänzend wird auf den Beiladungsbeschluss vom 17. Juni 2008 und auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 5. Dezember 2008 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die Abzweigungsentscheidung der Bekl vom 14. Juni 2007 ist ersatzlos aufzuheben, da sie auch in der Gestalt, die sie durch die Einspruchsentscheidung vom 21. November 2007 und durch den Änderungsbescheid vom 21. Januar 2009 erfahren hat, rechtswidrig ist und den Kl dadurch in seinen Rechten verletzt ( § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Obschon der Kl seinem Sohn gegenüber seiner Pflicht zur Gewährung des notwendigen Unterbringungsunterhalts nicht in ihren wesentlichen Zügen nachgekommen ist, durfte die Bekl das ihr deshalb eröffnete Entschließungsermessen wegen des umfänglichen eigenen Betreuungsaufwands des Kl allein in der Weise ausüben, dass von einer Abzweigung des Kindergelds an den Beigeladenen insgesamt abzusehen war.

1.

Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann das für ein Kind festgesetzte Kindergeld an das Kind ausgezahlt werden (sog. Abzweigung), wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Dies gilt nach Satz 3 der genannten Vorschrift auch dann, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG bestimmt ergänzend, dass die Auszahlung auch an die Stelle erfolgen kann, die dem Kind Unterhalt gewährt.

2.

In Anwendung dieser Regelung waren im Streitfall die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergelds an den Beigeladenen gegeben, da der Kl seiner zivilrechtlichen Pflicht zur Übernahme der Kosten für die erforderliche vollstationäre Unterbringung seines Sohnes - abgesehen von der Zahlung von monatlich 26 EUR gemäß § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII - nicht nachgekommen ist und der Beigeladene dem Sohn insoweit anstelle des Kl den notwendigen Unterhalt gewährt hat.

a)

Nach §§ 1601 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) war der Kl seinem Sohn gegenüber zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet, da sich der Sohn nicht selbst unterhalten konnte. Dieser Unterhaltsanspruch umfasste den gesamten Lebensbedarf ( § 1610 Abs. 2 BGB) und damit auch die krankheitsbedingten Mehrkosten, und zwar auch, soweit sie durch die Behinderung und die dauernde Pflegebedürftigkeit des Sohnes veranlasst waren.

b)

Die solchermaßen begründete Pflicht des Kl zur Unterhaltsgewährung ist ungeachtet dessen bestehen geblieben, dass der Unterhaltsanspruch des Sohnes gegen den Kl gemäß § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII nur in Höhe von monatlich 26 EUR auf den Beigeladenen übergegangen ist. Denn diese sozialgesetzliche Regelung soll nicht bezwecken, die Eltern mit Zahlung des übergegangenen Betrags von ihrer Unterhaltspflicht gegenüber ihrem behinderten Abkömmling zu befreien, sondern sie lediglich von weitergehenden sozialhilferechtlichen Ansprüchen des Sozialhilfeträgers verschonen (Reuß, Anmerkung in Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2009, 494, unter 2.). Wegen der Begründung im Einzelnen verweist der erkennende Senat auf seine Ausführungen im Senatsurteil vom 11. November 2008 4 K 2281/07 (EFG 2009, 492, unter 2. b.; gleicher Ansicht: Greite, Anmerkung in Finanzrundschau - FR - 2006, 896, und Ettlich, Anmerkung in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 2006, 889, jeweils unter Hinweis auf das noch zu § 91 Abs. 2 a.F. des Bundessozialhilfegesetzes ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Februar 2006 III R 65/04, BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753).

c)

Dieser bestehen gebliebenen gesetzlichen Unterhaltspflicht ist der Kl nicht im erforderlichen Umfang nachgekommen, so dass die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergelds gemäß § 74 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG vorgelegen haben.

Nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt (vgl. bereits Senatsurteil in EFG 2009, 492, unter 2. c.), ist hierfür maßgebend, ob der Kindergeldberechtigte objektiv und dauerhaft für den wesentlichen Unterhalt des Kindes nicht aufkommt (BFH-Urteil in BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753, unter II. 1. b.). Der Kl hat zwar einen erheblichen finanziellen Aufwand im Zusammenhang mit der ergänzenden Betreuung seines Sohnes im Familienhaushalt tragen müssen; die ebenfalls - und zwar wesentlich - zum Lebensbedarf seines Sohnes gehörenden laufenden Kosten für die Unterbringung in der Pflegeeinrichtung hat er indessen allenfalls in Höhe von 26 EUR monatlich übernommen. Damit war die Abzweigung des Kindergelds im Grundsatz möglich, da die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG bereits dann gegeben sind, wenn der Kindergeldberechtigte den geschuldeten Unterhalt nicht in voller Höhe leistet, und der Umstand, dass er den Unterhaltsanspruch des Kindes jedenfalls teilweise erfüllt, erst auf der Rechtsfolgenseite der Norm bei der Ausübung des Abzweigungsermessens Bedeutung zu erlangen vermag (vgl. Ettlich, Anmerkung in HFR 2006, 889).

d)

Nicht zu erörtern ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Kl mangels eigener Leistungsfähigkeit zur Gewährung des Unterbringungsunterhalts von monatlich 3.800 EUR möglicherweise nicht in voller Höhe verpflichtet war.

Zwar ist die zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtung gegenüber erwachsenen Kindern gemäß § 1603 Abs. 1 BGB auf das vom unterhaltsverpflichteten Elternteil ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts erbringbare Maß beschränkt. Unter Hinweis darauf wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass nicht § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG, sondern Satz 3 dieser Vorschrift anzuwenden sei, wenn die Eltern aus wirtschaftlichen Gründen außerstande sind, für den Unterhalt des vollstationär untergebrachten Kindes aufzukommen (Reuß, Anmerkungen in EFG 2008, 869, unter 5., und in EFG 2009, 494, unter 3.).

Dem kann sich der erkennende Senat - im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte - nicht anschließen. So hat es der BFH in seinem Urteil in BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753 für die Erfüllung des Abzweigungstatbestands nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG gleichfalls bereits ausreichen lassen, dass der dortige Kläger die laufenden Kosten für die Unterbringung seines Sohnes im Pflegeheim von dort fast 3.500 EUR je Monat nicht übernommen hatte (gleicher Ansicht: Urteile des Hessischen Finanzgerichts - FG - vom 1. Februar 2007 13 K 2752/06, Rechtsdienst der Lebenshilfe - RdLH - 2008, 40, Az. des BFH: III R 20/07, und des Thüringer FG vom 13. Januar 2008 3 K 177/07, EFG 2008, 865, unter 1. b., Az. des BFH: III R 26/08, sowie Senatsurteil in EFG 2009, 492, unter 2. c.). Außerdem räumt auch die genannte Literaturmeinung ein, dass eine Abzweigung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG bereits dann erfolgen kann, wenn "der tatsächlich geleistete Unterhalt nennenswert hinter dem nach der Leistungsfähigkeit der Eltern zivilrechtlich geschuldeten Unterhalt zurückgeblieben ist" (Reuß, Anmerkung in EFG 2008, 869, unter 5.) bzw. wenn der Kindergeldberechtigte die auf der Grundlage seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ermittelte konkrete Unterhaltsverpflichtung nicht "im Wesentlichen erfüllt hat" (Reuß, Anmerkung in EFG 2009, 494, unter 3.). Dies ist indessen schon dann der Fall, wenn der Elternteil ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts auch einen finanziellen Beitrag zur vollstationären Unterbringung seines Kindes aufbringen könnte, der nicht unerheblich über den tatsächlich geleisteten Unterhaltsbeitrag von 26 EUR je Monat hinausgeht, von der Zahlung des erbringbaren Mehrbetrags jedoch im Hinblick darauf absieht, dass ihn der Sozialhilfeträger von ihm nach § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ohnehin nicht einfordern kann. Dass es sich im Streitfall anders verhalten hätte und er außerstande gewesen wäre, auch einen nennenswert höheren Betrag als 26 EUR monatlich für die stationäre Pflege seines Sohnes aufzubringen, hat der Kl selbst nicht vorgetragen. Auf die Feststellung des konkreten Ausmaßes seiner finanziellen Leistungsfähigkeit kommt es damit für die Anwendbarkeit des in § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG geregelten Abzweigungstatbestands nicht an.

3.

Indessen ist die Entscheidung der Bekl, in Anwendung von § 74 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG das zugunsten des Kl festgesetzte Kindergeld in Höhe von monatlich 77 EUR an den Beigeladenen abzuzweigen, auch unter Beachtung des nur eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabs ( § 102 Satz 1 FGO) nicht ermessensgerecht.

a)

Die Bekl hatte bei der Ausübung des ihr in § 74 Abs. 1 EStG eingeräumten Ermessens den Zweck des Kindergelds zu berücksichtigen ( § 5 der Abgabenordnung - AO -). Das Kindergeld ist zur steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes bestimmt und dient, soweit es dafür nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie ( § 31 Sätze 1 und 2 EStG). Da das Kindergeld die Eltern wegen ihrer Unterhaltsleistungen steuerlich entlasten soll, waren bei der der Bekl obliegenden Prüfung, ob und inwieweit das Kindergeld abzuzweigen war, auch geringe Unterhaltsleistungen des kindergeldberechtigten Kl mit einzubeziehen.

b)

Zu den solchermaßen zu berücksichtigenden Unterhaltsleistungen des Kl rechnete auch der finanzielle Aufwand, der dem Kl im Zusammenhang mit der Aufnahme seines Sohnes in den Familienhaushalt an den Wochenenden und in den Schulferien entstanden ist (sog. "Betreuungsunterhalt" i. S. des BFH-Urteils in BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753, unter II. 3.). Zwar mögen Eltern ihren noch unterhaltsberechtigten volljährigen Kindern regelmäßig keine Betreuungsleistungen, sondern nur noch Barunterhalt schulden (vgl. hierzu Hollatz, Anmerkung in EFG 2009, 267, m.w.N.). Dies kann indessen nicht bei schwerbehinderten Kindern gelten, die in besonderem Maße der persönlichen Betreuung durch Familienangehörige auch außerhalb der Pflegeeinrichtung bedürfen, in der sie zur Entlastung der Eltern im Laufe der Arbeitswoche stationär untergebracht sind. Holen die Eltern ihr Kind unter solchen Voraussetzungen an den Wochenenden zu sich nach Hause und verbringen sie den Ferienurlaub mit ihm, so befriedigen sie dadurch einen durch die Behinderung des Kindes bedingten Mehrbedarf und erbringen damit im Rahmen der Abzweigungsentscheidung berücksichtigungsfähige Sachunterhaltsleistungen (so auch Reuß, Anmerkung in EFG 2009, 494, unter 4.). Nur dieses Verständnis des Unterhaltsbegriffs entspricht zudem der Zweckbestimmung des Kindergelds, jedenfalls auch der Förderung der Familie des behinderten Kindes zu dienen und seinen Angehörigen den Umgang mit ihm zu erleichtern (vgl. Urteile des FG Berlin vom 15. September 2006 10 K 10352/05, nicht veröffentlicht, [...], Az. des BFH: III R 37/07, des Hessischen FG in RdLH 2008, 40, und des Thüringer FG in EFG 2008, 865, unter 2. c.; anderer Auffassung: FG Münster, Urteil vom 10. August 2006 14 K 4461/05 Kg, EFG 2006, 1684, Az. des BFH: III R 6/07).

c)

Dies vorausgeschickt, erweist sich die von der Bekl getroffene Abzweigungsentscheidung als ermessensfehlerhaft.

Entgegen der in der Einspruchsentscheidung zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung der Bekl ist eine pauschale Berücksichtigung der elterlichen Sachunterhaltsleistungen mit dem Ergebnis einer hälftigen Abzweigung des Kindergelds jedenfalls dann nicht zulässig, wenn der finanzielle Aufwand für diese Leistungen bei ordnungsgemäßer Sachverhaltsermittlung die Höhe des gesetzlichen Kindergeldanspruchs erkennbar übersteigt. Denn unter diesen Voraussetzungen ist der Ermessensspielraum der Familienkassen regelmäßig dahingehend reduziert, dass jede andere Entscheidung als die Abstandnahme von einer Abzweigung nicht ermessensgerecht wäre.

aa)

Eine solche sog. "Ermessensreduktion auf Null" in Fällen erheblichen Betreuungsaufwands entnimmt der erkennende Senat der Rechtsprechung des BFH in dessen Urteilen vom 17. November 2004 VIII R 30/04 (BFH/NV 2005, 692, unter II. 2.) und in BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753 (unter II. 2.). Dort hat der BFH unter Berufung auf einen Umkehrschluss aus § 74 Abs. 1 Satz 3 Alternative 2 EStG ausgeführt, dass eine Abzweigung im Ermessenswege nicht zulässig ist, soweit der Kindergeldberechtigte seiner Unterhaltsverpflichtung entsprechend Unterhalt in Höhe des Kindergelds oder darüber hinaus leistet. Der Senat sieht sich mit dieser Auslegung im Einklang mit der überwiegenden Auffassung der Finanzgerichte und des Schrifttums (vgl. Urteile des FG Berlin vom 15. September 2006 10 K 10102/06, nicht veröffentlicht, [...], Az. des BFH: III R 36/07, des Hessischen FG in RdLH 2008, 40, des FG München vom 14. Februar 2007 9 K 202/06, EFG 2007, 1178, unter 2. - bestätigt durch BFH-Beschluss vom 13. August 2007 III B 51/07, BFH/NV 2007, 2276 -, und des Thüringer FG in EFG 2008, 865, unter 2. e.; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 28. Aufl., § 74 Rz. 4; vgl. auch Treiber in Blümich, § 74 EStG Rz. 36; anderer Ansicht: Reuß, Anmerkung in EFG 2008, 869, unter 7., und Greite, Anmerkung in FR 2006, 896).

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass das Ergebnis einer solchen Ermessensreduktion unbillig wäre, weil der Sozialhilfeträger, obgleich er die hohen Kosten für die vollstationäre Pflege aufzubringen hat, im Rahmen der Zuweisung des Kindergelds gegenüber den - im Verhältnis gesehen - finanziell erheblich geringer belasteten Kindeseltern vollständig leer ausgeht. Denn die Höhe der Sozialhilfeleistungen ist für die Ermessensausübung hinsichtlich der Höhe des abzuzweigenden Kindergelds nicht entscheidend, weil es aufgrund der Zweckbestimmung des Kindergelds, Eltern wegen ihrer Unterhaltsaufwendungen für ihre Kinder zu entlasten, allein auf die Höhe der Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten ankommt (vgl. Ettlich, Anmerkung in HFR 2006, 889).

bb)

Macht der Kindergeldberechtigte im Anhörungsverfahren wegen der beabsichtigten Abzweigung einen erheblichen finanziellen Betreuungsaufwand substantiiert geltend und besteht danach eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass eine Abzweigung des Kindergelds im Ergebnis nicht in Betracht kommen wird, so ist die Familienkasse - entgegen der Auffassung der Bekl - nicht berechtigt, den Betreuungsunterhalt gleichwohl pauschal mit der Rechtsfolge einer hälftigen Abzweigung zu berücksichtigen. Denn anderenfalls liefe die genannte Ermessensreduktion in der Verwaltungspraxis leer.

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den beiläufigen, die konkrete Entscheidung nicht tragenden Äußerungen des BFH (sog. "obiter dictum") in dessen Urteil in BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753 (unter II. 3.), die die Bekl für sich in Anspruch nimmt. Denn diese Ausführungen gelten nur in den dem Sachverhalt der BFH-Entscheidung vergleichbaren Fällen (gleicher Ansicht: Urteile des Hessischen FG in RdLH 2008, 40, und des Thüringer FG in EFG 2008, 865, unter 2. e.; Ettlich, Anmerkung in HFR 2006, 889; Grube, Anmerkung in jurisPR-SteuerR 33/2006, Anm. 5, unter D.). Dieser Sachverhalt war dadurch gekennzeichnet, dass der dortige Kläger - anders als im Streitfall - nicht mit dem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 26 EUR belastet war und auch insgesamt erheblich geringere Aufwendungen - die sich zudem (es lagen mehr als drei Jahre zwischen dem Bezugszeitraum des Kindergelds in 1997 und der Verwaltungsentscheidung über die Abzweigung im Jahre 2000) nicht mehr exakt nachweisen ließen, aber bei "deutlich über 1.000 DM im Jahr" gelegen haben sollen - getragen hatte. Unter diesen Voraussetzungen mag eine hälftige Abzweigung des Kindergeldanspruchs von (damals) jährlich 2.640 DM auch im Ergebnis angemessen gewesen sein. Für Fälle erheblichen elterlichen Betreuungsaufwands - der sich im Streitfall auf das Vierfache des im BFH-Urteil in BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753 in Rede stehenden Betrags beläuft - lässt sich eine solche Ergebnisrichtigkeit indessen nicht mehr anführen.

cc)

Die angefochtenen Abzweigungsentscheidungen der Bekl genügen diesen rechtlichen Vorgaben nicht.

Die Angaben des Kl im Verwaltungsverfahren mussten aus Sicht der Bekl ohne weiteres den Rückschluss darauf zulassen, dass der Kl infolge der Vollpflegebetreuung seines Sohnes an fast drei Tagen und an drei Nächten wöchentlich durchgängig einen erheblichen finanziellen Betreuungsaufwand zu leisten hatte. Bei dieser Sachlage war der von der Bekl gewählte Weg einer pauschalen Berücksichtigung der Aufwendungen des Kl ohne weitere Sachverhaltsermittlungen mit dem das finanzbehördliche Verfahren bestimmenden Untersuchungsgrundsatz von Amts wegen ( § 88 AO) nicht vereinbar. Die Bekl hätte dem Kl zumindest noch Gelegenheit geben müssen, seinen finanziellen Aufwand im Einzelnen zu beziffern. Daraus hätte sich zur Überzeugung des erkennenden Senats - wie auch der unstreitig gebliebene Sachvortrag des Kl im Klageverfahren zeigt - eine Tatsachengrundlage ergeben, die die Ermessensausübung der Bekl dahingehend eingeschränkt hätte, dass von einer Abzweigung des Kindergelds zugunsten des Beigeladenen zwingend abzusehen war. Denn der monatliche Betreuungsaufwand des Kl belief sich erwiesenermaßen auf mindestens 188 EUR und überstieg damit insgesamt und dauerhaft den auf seinen Sohn entfallenden Kindergeldanspruch.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 3 und § 135 Abs. 5 Satz 1 FGO.

a)

Neben der Bekl hat auch der Beigeladene die Kosten des Verfahrens zu tragen, da er einen Antrag auf Abweisung der Klage gestellt hat ( § 135 Abs. 3 FGO). Der gegenteiligen Auffassung, wonach einem zum Verfahren Beigeladenen keine Kosten auferlegt werden können, wenn er lediglich einen "entbehrlichen Antrag" bzw. einen "Formalantrag", der "zu keinen Mehrkosten" führe, gestellt habe (Urteile des BFH vom 23. Januar 1985 II R 2/83, BFHE 143, 119, BStBl II 1985, 368, und des FG München vom 25. Mai 2007 8 K 3962/03, EFG 2007, 1597, unter II. 3.; Ruban in Gräber, FGO, 6. Aufl., § 135 Rz. 7; Starke in Schwarz, FGO, § 135 Rz. 7), vermag der erkennende Senat - jedenfalls für das Klageverfahren - nicht zu folgen. Denn mit einem Klageantrag in der Sache ( §§ 65 Abs. 1 Satz 2, 92 Abs. 3 FGO) nimmt der Beigeladene, dem die Beteiligtenstellung durch den Beiladungsbeschluss zunächst nur aufgezwungen war, den Streit auf und wird damit zur Streitpartei im eigentlichen Sinne. Eine solche Antragstellung reicht für die Kostentragungspflicht nach der klaren Gesetzeslage auch dann aus, wenn der Antrag nicht über denjenigen der vom Beigeladenen unterstützten Partei hinausgeht. Da der Beigeladene einen über den durch die Anträge der Kläger- und der Beklagtenseite umrissenen Streitgegenstand hinausgehenden Antrag aus verfahrensrechtlichen Gründen ohnehin nicht stellen kann, würde die genannte Gegenansicht zudem dazu führen, dass für die Vorschrift des § 135 Abs. 3 FGO in der Praxis keinerlei Anwendungsbereich mehr verbleibt (Urteile des FG Hamburg vom 5. Oktober 1998 V 318/95, EFG 1999, 303, und des FG Nürnberg vom 4. November 2004 VII 362/2001, nicht veröffentlicht, [...]; Lange, Der Betrieb 2002, 608; Brandt in Beermann/Gosch, § 135 FGO Rz. 143 ff.; Brandis in Tipke/Kruse, § 135 FGO Rz. 10, m.w.N.).

b)

Da der Beigeladene mit seinem Sachantrag unterlegen ist, entspricht es auch nicht der Billigkeit, seine außergerichtlichen Kosten gemäß § 139 Abs. 4 FGO der Bekl oder der Staatskasse aufzuerlegen.

5.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 151 Abs. 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

6.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen ( § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Zu der streitigen Frage nach den Grenzen der Ermessensausübung bei erheblichem Betreuungsaufwand der Eltern sind zudem zwar mehrere Revisionsverfahren beim BFH anhängig, die sich indessen sämtlich mit Sachverhalten befassen, in denen die Familienkasse - anders als im Streitfall - eine Abzweigung zum Nachteil des die Revision betreibenden Sozialhilfeträgers gerade abgelehnt hatte.

Ende der Entscheidung

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