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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 29.01.2008
Aktenzeichen: 4 K 83/07
Rechtsgebiete: AO, EStG, BGB, AdWirkG


Vorschriften:

AO § 8
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 3
BGB § 1754
AdWirkG § 2 Abs. 1
AdWirkG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

4 K 83/07

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger (Kl) für die Zeit von August 2005 bis Januar 2006 einen Anspruch auf Kindergeld hat.

Aufgrund des Adoptionswunsches des Kl und seiner Ehefrau wurde ihnen von den zuständigen deutschen in Zusammenarbeit mit den ghanaischen Behörden das Kind Z, geb. am 16. Juni 2005 in -C-/Ghana, zur Adoption vermittelt. Am 15. August 2005 erließ der Circuit Court von -C- einen Adoptionsbeschluss des Inhalts, dass das genannte Kind vom Kl und seiner Ehefrau "adoptiert wird und als ihr rechtmäßiges Kind angesehen wird". Außerdem wurde dem Kl und seiner Ehefrau damit die Genehmigung erteilt, "das Kind aus dem Gerichtsbezirk mit sich zu nehmen". Mit Beschluss vom 24. Februar 2006 stellte das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - -T- fest, dass die durch Entscheidung des Circuit Court von -C- am 15. August 2005 ausgesprochene Adoption anzuerkennen und das Eltern-Kind-Verhältnis des angenommenen Kindes zu seinen leiblichen Eltern durch die Annahme als Kind erloschen sei (§ 2 Abs. 1 Adoptionswirkungsgesetz - AdWirkG -). Das durch die Adoptionsentscheidung des Circuit Court ausgesprochene Annahmeverhältnis nach dem Recht der Republik Ghana stehe einem nach den deutschen Sachvorschriften begründeten Annahmeverhältnis gleich (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AdWirkG).

Am 18. August 2005 wurde das Kind vom Kl und seiner Ehefrau in Ghana in Obhut genommen. Die deutsche Auslandsvertretung verweigerte jedoch zunächst das für die Verbringung des Kindes nach Deutschland erforderliche Visum für das Kind, weshalb zunächst ein weiterer Aufenthalt des Kindes sowie der Ehefrau des Kl in Ghana erforderlich wurde. Während dieses weiteren Aufenthalts in Ghana betreute die Ehefrau des Kl - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - das Kind ununterbrochen. Auch der Kl verblieb - soweit es seine beruflichen Verpflichtungen in Deutschland erlaubten - zeitweise weiterhin in Ghana, um - gemeinsam mit seiner Ehefrau - das Kind zu betreuen und die Ausreise des Kindes in die Wege zu leiten. Erst im Februar 2006 konnte dann, nachdem das Visum für das Kind erteilt worden war, die gemeinsame Ausreise der (Adoptiv-)Eltern und des Kindes in die Bundesrepublik Deutschland erfolgen. Seit dem 22. Februar 2006 ist das Kind in der Wohnung des Kl und seiner Ehefrau in -K gemeldet.

Am 27. März 2006 (Eingang bei der Beklagten - Bekl -) beantragte der Kl die Gewährung von Kindergeld.

Mit Bescheid vom 26. April 2006 setzte die Bekl daraufhin Kindergeld ab Februar 2006 fest. Für die Zeit davor lehnte sie die Festsetzung von Kindergeld ab, da das Kind erst im Februar 2006 in das Bundesgebiet gebracht worden sei und daher erst ab diesem Zeitpunkt einen Wohnsitz in Deutschland habe.

Mit Schreiben vom 9. Mai 2006 legte der Kl Einspruch gegen den Bescheid vom 26. April 2006 ein, mit dem er sich gegen die Versagung des Kindergelds für die Zeit von August 2005 bis Januar 2006 wandte.

Mit Einspruchsentscheidung vom 1. März 2007 wies die Bekl den Einspruch des Kl als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, ein Wohnsitz des Kindes im Inland, der nach § 63 Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) für die Gewährung von Kindergeld erforderlich sei, habe vor Februar 2006 nicht bestanden.

Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 2. April 2007 erhob der Kl Klage, mit der er weiterhin die Festsetzung von Kindergeld für die Zeit von August 2005 bis Januar 2006 begehrt. Zur Begründung lässt er im Wesentlichen vortragen, mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 1751 Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) (Inobhutnahme durch die Pflegeeltern, Vorliegen der Einwilligungserklärungen der Eltern beim Vormundschaftsgericht, bestehende Adoptionsabsicht) beginne die vorrangige Unterhaltsverpflichtung der Adoptiveltern und es entstehe der Anspruch auf Sozialleistungen, z.B. auf Aufnahme in die Familienkrankenversicherung sowie der Anspruch auf Kindergeld. Im Streitfall sei der Aufenthalt des Kindes in Ghana nur vorübergehender Natur gewesen. Der Kl, seine Ehefrau und das Kind hätten sich trotz entgegenstehenden Willens in Ghana aufhalten müssen, um die Erteilung des Visums für das Kind abzuwarten. Es sei vom Kl und seiner Ehefrau von vornherein beabsichtigt gewesen, das Kind unverzüglich nach Deutschland zu bringen, was dann auch nach Erhalt des Visums wie vorgesehen erfolgt sei. Der Kl und seine Ehefrau hätten auch während des unvorhergesehenen und ungewollten weiteren Aufenthalts in Ghana ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in -K- gehabt. Gleiches habe für das adoptierte Kind zu gelten, da Kinder grundsätzlich den Wohnsitz der Eltern teilten. Weil der Auslandsaufenthalt ausschließlich durch das Adoptionsverfahren bedingt gewesen sei, sei in Ghana kein Wohnsitz begründet worden. Weiter lässt der Kl vortragen, nach Ansicht des FG Nürnberg, Urteil vom 28. September 2005 III 130/2005, komme ein inländischer Wohnsitz unmittelbar mit der Geburt im Ausland dann in Betracht, wenn die Eltern zur Geburt des Kindes in Ausland reisten oder das Kind während eines kurzfristigen Aufenthalts geboren werde, mithin auch die Eltern in dieser Zeit keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hätten. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Das Kind sei zwar in Ghana geboren, jedoch hätten die Eltern in dieser Zeit keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland gehabt. Eine entgegenstehende Auffassung würde Adoptivkinder gegenüber leiblichen Kindern diskriminieren. Außerdem befinde sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in der Regel beim gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern. Im Streitfall sei absehbar gewesen, dass das Kind nach Deutschland komme und nach der Adoption seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben würde.

Der Kl beantragt sinngemäß,

die Bekl unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 1. März 2007 zu verpflichten, den Bescheid vom 26. April 2006 dahingehend abzuändern, dass dem Kl Kindergeld für das Kind Z für die Zeit von August 2005 bis Januar 2006 gewährt wird, sowie im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.

Die Bekl beantragt,

die Klage abzuweisen sowie im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.

Sie bezieht sich zur Erwiderung auf die Gründe ihrer Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, das Vorliegen eines Wohnsitzes im Sinne des § 8 Abgabenordnung (AO) sei für jeden Familienangehörigen gesondert zu prüfen. Das Kind sei in Ghana geboren und habe nach Auffassung der Bekl bis zur Anmeldung in Deutschland keinen Wohnsitz im Sinne des § 8 AO im Inland gehabt. Auch ein gewöhnlicher Aufenthalt nach § 9 AO sei im streitigen Zeitraum nicht gegeben, da sich das Kind von seiner Geburt bis zur Einreise nach Deutschland in Ghana aufgehalten habe. Ob die Voraussetzungen des § 1751 Abs. 4 BGB vorgelegen hätten, sei für die Frage nach einem Kindergeldanspruch des Kl nicht entscheidungserheblich. Ob ein solcher Kindergeldanspruch bestehe, ergebe sich aus den Vorschriften der §§ 62 ff des Einkommensteuergesetzes (EStG). Adoptionen, die durch ausländischen Gerichtsbeschluss zustande gekommen seien, könnten kindergeldrechtlich erst ab dem Monat berücksichtigt werden, ab dem das angenommene Kind die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG erfülle. Insoweit verweist die Bekl auf ihre Dienstanweisung (DA-EStG) Nr. 63.2.1.3 Abs. 5.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat verzichtet (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Dem Kl steht für die Zeit von August 2005 bis Januar 2006 Kindergeld für das Kind Z zu.

Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG in Verbindung mit (i.V.m.) § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG werden als Kinder im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandte Kinder berücksichtigt. Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsverkehr Anwendung findet, haben, nicht berücksichtigt, es sei denn - was vorliegend nicht in Betracht kommt - sie leben im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Abs. 1 Nr. 2a EStG.

Einen Wohnsitz im Sinne des § 63 EStG hat jemand gemäß § 8 AO dort, wo er eine Wohnung unter Umständen inne hat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Melderechtliche Normen sowie bürgerlich-rechtliche Vorschriften über die Begründung, Beibehaltung und Aufgabe eines Wohnsitzes sind für die Auslegung der genannten Vorschriften unmaßgeblich (BFH-Urteile vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BFHE 178, 294; BStBl II 1996, 2 und vom 19. März 2002 VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146; BFH-Beschluss vom 19. März 2002 VIII R 52/01, [...]). Für die steuerliche Beurteilung anhand § 8 AO kommt es vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse an (BFH-Urteil vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523; BStBl II 1994, 887). Kinder teilen grundsätzlich den Wohnsitz der Eltern, solange sie sich noch nicht persönlich und wirtschaftlich vom Elternhaus gelöst haben(Buciek, in: Beermann/Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 8 AO, Rn. 33; FG Düsseldorf, Urteil vom 28. April 1999 14 K 613/98 Kg, EFG 1999, 716). Die selbständige Begründung eines Wohnsitzes im Sinne des § 8 AO durch einen Minderjährigen, die unabhängig vom Willen des gesetzlichen Vertreters erfolgt, ist zwar möglich, setzt aber die natürliche Willensfähigkeit des Minderjährigen voraus (BFH-Urteil vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523; BStBl II 1994, 887).

Mit der wirksamen Adoption erlangt das Kind gemäß § 1754 BGB die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der adoptierenden Ehegatten und ist ab diesem Zeitpunkt mit dem Kl gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG im ersten Grad verwandt.

Seit dem 18. August 2005 - dem Zeitpunkt der Inobhutnahme des Kindes auf der Grundlage des Beschlusses des Circuit Court vom 15. August 2005 - ist auch ein Wohnsitz des Kindes gemäß § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG i.V.m. § 8 AO in Deutschland gegeben. Das Kind teilte seit diesem Zeitpunkt den inländischen Wohnsitz des Kl und seiner Ehefrau. Zwar wird der Begriff des Wohnsitzes - wie ausgeführt - von tatsächlichen Umständen geprägt und setzt grundsätzlich voraus, dass der jeweilige Familienangehörige die Wohnung tatsächlich benutzt. Eine solche "Benutzung" einer Wohnung verlangt, dass sich die betreffende Person in ihr ständig oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit tatsächlich aufhält (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 1972 I R 138/70, BFHE 106, 537; BStBl II 1972, 949 und vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2, jeweils mit weiteren Nachweisen - m.w.N. -).

Aus dem Institut des Familienwohnsitzes, wonach Kinder, die sich noch nicht vom Haushalt der Eltern gelöst haben, den elterlichen Wohnsitz grundsätzlich teilen, und der sich hieraus ergebenden engen Verknüpfung mit dem Wohnsitz der Eltern ergibt sich jedoch - gerade für minderjährige Kinder - eine gewisse Erweiterung des Wohnsitzbegriffs. Die Elterneigenschaft hatten der Kl und seine Ehefrau bereits mit der Verkündung des Adoptionsbeschlusses am 15. August 2005 erlangt, denn der im Inland zu fassende Beschluss des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - -Tvom 24. Februar 2006 hatte nur deklaratorischen Charakter und bestätigte, dass der Beschluss des Circuit Court inländischen Grundsätzen entsprach. Der Wohnsitz der Eltern, also des Kl und seiner Ehefrau, befand sich auch während des streitgegenständlichen Zeitraums, nämlich ob dem Zeitpunkt der Inobhutnahme und der damit verbundenen Eingliederung des Kindes in die Sphäre des Kl und seiner Ehefrau ausschließlich im Inland. Denn während des - unstreitig unfreiwilligen - Aufenthalts in Ghana wurde dort kein Wohnsitz des Kl und seiner Ehefrau begründet. Zwar befand sich das Kind im streitgegenständlichen Zeitraum nicht im Inland, doch ist zu berücksichtigen, dass es unverzüglich in den Wohnsitz des Kl und seiner Ehefrau im Inland verbracht werden sollte und dies - entgegen deren Absicht - zunächst nicht möglich war. Der weitere Aufenthalt in Ghana erfolgte - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - gegen den Willen des Kl und seiner Ehefrau. Die Annahme eines seit der Inobhutnahme bestehenden Wohnsitzes des Kindes im Inland ist auch aufgrund der Gleichstellung des Adoptivkindes mit einem leiblichen Kind geboten, da es - wie ausgeführt - gemäß § 1754 BGB mit der Adoption die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der adoptierenden Ehegatten erlangt. Da ein im Ausland geborenes leibliches Kind, dessen Mutter einen Wohnsitz im Inland hat, von Geburt an den Wohnsitz der Mutter im Inland teilt, wenn es innerhalb angemessener Zeit nach der Geburt ins Inland verbracht wird(vgl. Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rn. 163;Buciek, in: Beermann/Gosch, AO/FGO, § 8 AO, Rn. 33 mit Fn. 10; offengelassen in FG Nürnberg, Urteil vom 28. September 2005 III 130/2005, [...]), kann im Fall eines im Ausland adoptierten Kindes, das - wie im Streitfall - so zügig, wie es den Adoptiveltern unter den gegebenen Umständen möglich ist, ins Inland gebracht wird, nichts Anderes gelten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3; 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11; 711 bzw. 709 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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