Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 09.05.2008
Aktenzeichen: 8 V 1535/08
Rechtsgebiete: FGO, EStG


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 3 S. 2
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e) S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

8 V 1535/08

Tatbestand:

I.

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um die Bildung von Rückstellungen für die weitere Betreuung bereits vermittelter Lebensversicherungsverträge.

Der bilanzierende Antragsteller betreibt als Einzelunternehmer ein Versicherungsbüro in Gestalt einer Hauptvertretung eines namhaften Versicherungsunternehmens. In der Bilanz zum 31. Dezember 2003 bildete der Antragsteller erstmals eine Rückstellung zur Bestandspflege von bereits vermittelten Lebensversicherungen in Höhe von 50.597 EUR. Der Antragsteller legte hierbei eine Anzahl von 1.605 Lebensversicherungen im Bestand und geschätzte Mitarbeiterkosten in Höhe von 1,5 Stunden zu je 20,87 EUR der Rückstellungsbildung zugrunde. In der Bilanz zum 31. Dezember 2004 wies der Antragsteller zur Bestandspflege von bereits vermittelten Lebensversicherungen eine Rückstellung in Höhe 70.895 EUR aus und führte den Rückstellungen im Wirtschaftsjahr 2004 einen Betrag in Höhe von 20.648 EUR zu. Der Rückstellung für das Wirtschaftsjahr 2004 liegt ein Bestand von 1.938 Lebensversicherungen und Mitarbeiterkosten in Höhe von 1,5 Stunden zu je 24,39 EUR zugrunde. Eine Abzinsung der Rückstellungen erfolgte weder im Wirtschaftsjahr 2003 noch im Wirtschaftsjahr 2004.

Der Antragsgegner erkannte die Bildung dieser Rückstellungen nicht an. Gegen die Bescheide über die gesonderte Feststellung des Gewinns im Feststellungszeitraum 2003 und 2004, jeweils vom 28. November 2007, legte der Antragsteller mit Schreiben vom 30. November 2007 jeweils Einspruch ein und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung der angegriffenen Feststellungsbescheide. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2007 wurde der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Gewinnfeststellungsbescheide 2003 und 2004 als unbegründet zurückgewiesen. Gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung durch den vorgenannten Bescheid des Antragsgegners erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 28. Dezember 2007 Einspruch. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung des Antragsgegners vom 31. März 2008 als unbegründet zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat bisher - nach Kenntnis des zur Entscheidung berufenen Senats - über die Einsprüche gegen die Bescheide über die gesonderte Feststellung des Gewinns im Feststellungszeitraum 2003 und 2004, jeweils vom 28. November 2007, noch nicht entschieden.

Mit Schriftsatz vom 1. April 2008 beantragte der vertretene Antragsteller beim Finanzgericht

die Aussetzung der Vollziehung der Gewinnfeststellungsbescheide 2003 und 2004.

Der Antragsgegner tritt dem Aussetzungsbegehren des Antragstellers entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags des Antragstellers und des Antragsgegners wird auf die Schriftsätze vom 1. April 2008, 21. April 2008, 24. April 2008 und 8. Mai 2008 in der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

II.

Der zulässige Antrag ist teilweise begründet.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist zulässig. Nach § 69 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann ein Aussetzungsantrag - wie im Streitfall - schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Der Antrag ist gem. § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässig, wenn die Behörde - wie im Streitfall mit Bescheid vom 27. Dezember 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. März 2008 - einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bereits ganz oder zum Teil abgelehnt hat.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist teilweise auch begründet. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht die Vollziehung eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 2 bis 6 FGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, Bundessteuerblatt - BStBl - III 1967, 182; ständige Rechtsprechung). Im Aussetzungsverfahren ist das Gericht der Hauptsache grundsätzlich auf präsente Beweismittel beschränkt und kann seiner Entscheidung in der Regel nur solche Tatsachen zugrunde legen, die sich entweder aus dem unstreitigen Sachvortrag oder zweifelsfrei aus dem Inhalt der vorgelegten Akten ergeben oder deren Vorbringen von dem Beteiligten, deren Vorbringen sich auf diese Tatsachen stützt, im Einzelnen glaubhaft gemacht wurde (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Juli 1998 VIII B 38/98 Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFHE - 186, 379).

Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Verwaltungsakte liegen im Aussetzungsverfahren hiernach vor. Die Nichtanerkennung der streitigen Rückstellungen in den Gewinnermittlungen des Antragstellers in den Streitjahren - bereits dem Grunde nach - ist ernstlich zweifelhaft. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide der Streitjahre bestehen im Streitfall bereits deshalb, weil der Rechtsauffassung des Antraggegners die höchstrichterliche Rechtsprechung entgegensteht. Erhält - wie im Streitfall - ein Versicherungsvertreter vom Versicherungsunternehmen die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags, so hat er für die Verpflichtung zu künftiger Vertragsbetreuung eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juli 2004 XI R 63/03, BStBl II 2006, 866; BFH-Beschluss vom 16. November 2007 X B 167/07, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2008, 244). Der Antragsteller ist zwar durch das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 28. November 2006 IV B 2-S 2137-73/06, BStBl I 2006, 765 daran gebunden, die Grundsätze des vorgenannten Urteils des BFH vom 28. Juli 2004 XI R 63/03, BStBl II 2006, 866 nicht über den Einzelfall hinaus anzuwenden. Auch wenn dieses BMF-Schreiben - aus der Sicht der Verwaltung - geeignet sein mag, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auffassung des BFH zu begründen, kann es jedoch umgekehrt hierdurch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines von der höchstrichterlichen und inzwischen bestätigten Rechtsprechung des BFH bewusst abweichenden Steuerbescheids nicht ausräumen (vgl. Schleswig-Holsteinisches FG, Beschluss vom 9. Februar 2007 2 V 233/06, [...]; siehe auch BFH-Beschluss vom 1. Oktober 2007 VII B 130/07, BFH/NV 2008, 231).

Die Höhe der Aussetzung der Vollziehung der angegriffenen Feststellungsbescheide ist - entgegen der Ansicht des Antragstellers - jeweils auf den festzustellenden Gewinn zu begrenzen, der sich unter Berücksichtigung abgezinster Rückstellungsbeträge ermittelt. Rückstellungen sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe e) Satz 1 EStG mit einem Zinssatz von 5,5 Prozent abzuzinsen, soweit - wie im Streitfall - weder verzinsliche noch - mangels zu einem späteren Zeitpunkt noch zu vollziehender Rechtsgeschäfte - auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruhende Verbindlichkeitsrückstellungen bestehen. Hierbei sind die streitigen Rückstellungen entsprechend der Laufzeit des einzelnen Lebensversicherungsvertrags abzuzinsen (vgl. Oberfinanzdirektion - OFD - Koblenz, Kurzinformation vom 25. Juli 2007 S 2137 A-St 31 4, [...]). Zu den einzelnen Laufzeiten der Lebensversicherungsverträge im Bestand ist von dem Antragsteller weder vorgetragen noch sind hierzu Anhaltspunkte aus den Akten ersichtlich. Zwar bleibt die Ermittlung des rückstellungsfähigen Betreuungsaufwands dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Der Senat, der bei seiner Entscheidung im Aussetzungsverfahren auf präsente Beweismittel beschränkt ist und dieser nur solche Tatsachen zugrunde legen kann, die sich entweder aus dem unstreitigen Sachvortrag oder zweifelsfrei aus dem Inhalt der vorgelegten Akten ergeben oder deren Vorbringen von dem Beteiligten, deren Vorbringen sich auf diese Tatsachen stützt, im Einzelnen glaubhaft gemacht wurde, schätzt jedoch für Zwecke des Verfahrens der Aussetzung der Vollziehung der angegriffenen Gewinnfeststellungsbescheide mangels näherer Angaben des Antragstellers die verbleibenden Laufzeiten der einzelnen Lebensversicherung im Bestand des Antragstellers mit durchschnittlich 15 Jahren. Hiernach sind die Rückstellungen mit dem Vervielfältiger "0,448" in den Bilanzen der Streitjahre anzusetzen (vgl. BMF-Schreiben vom 26. Mai 2005 IV B 2-S 2175-7/05, BStBl I 2005, 699, Tabelle 2). Die Bildung der Rückstellung zur Bestandspflege von bereits vermittelten Lebensversicherungen zum 31. Dezember 2003 ist in Höhe von 22.667 EUR (50.597 EUR x 0,448) und die Zuführung zum 31. Dezember 2004 in Höhe von 9.250 EUR (20.648 EUR x 0,448) der Gewinnfeststellung zugrunde zulegen. Dies führt im Feststellungszeitraum 2003 zu einem Gewinn in Höhe von 67.263 EUR (89.930 EUR ./. 22.667 EUR) und im Feststellungszeitraum 2004 zu einem Gewinn in Höhe von 76.151 EUR (85.401 EUR ./. 9.250 EUR).

Der Senat entscheidet nicht über die Anordnung einer Sicherheitsleistung. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung der Vollziehung eines Grundlagenbescheids - wie im Streitfall - nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO i. V. mit § 69 Abs. 2 Satz 6 FGO erst bei der Aussetzung des Folgebescheids zu entscheiden, wenn die Anordnung einer Sicherheitsleistung nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden ist.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Kosten waren hiernach, wenn - wie im Streitfall - ein Beteiligter teils obsiegt und teils unterliegt, verhältnismäßig im Umfang des Obsiegens (31.917 EUR) und des Unterliegens (39.328 EUR) zu teilen.

3.

Die Beschwerde wird gem. § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht zugelassen. Revisionsgründe i. S. des § 115 Abs. 2 FGO, die für die Zulassung der Beschwerde gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung gem. § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO entsprechend gelten, sind nicht ersichtlich.



Ende der Entscheidung

Zurück