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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin
Urteil verkündet am 26.10.2004
Aktenzeichen: 7 K 7302/03
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977, BGB, UStDV


Vorschriften:

FGO § 100 Abs. 1 S. 1
AO 1977 § 37 Abs. 2
AO 1977 § 47
AO 1977 § 157 Abs. 2
AO 1977 § 226 Abs. 1
AO 1977 § 226 Abs. 2
BGB § 387
BGB § 389
UStDV § 48 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin

7 K 7302/03

Abrechnungsbescheid

betr. Umsatzsteuer

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht Berlin, 7. Senat,

am 26. Oktober 2004

ohne mündliche Verhandlung

in der Besetzung mit

dem Vorsitzenden Richter am Finanzgericht Käwert,

den Richtern am Finanzgericht Röhricht und Dr. Herbert sowie

den ehrenamtlichen Richterinnen Derwanz-Dahlmann und Dr. Wünnemann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert beträgt 13 313,85 EUR.

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der ... -E-GmbH-. Das Verfahren wurde am 17. Mai 2002 durch Beschluss des Amtsgerichts ...Geschäftszeichen ... eröffnet. Am 28. Februar 2002 beschloss die Gesellschafterversammlung der E-GmbH die Umfirmierung in ... X-GmbH, was am 17. Juni 2002 in das Handelsregister eingetragen wurde.

Die E-GmbH meldete am 11. Februar 2002 ihre Sondervorauszahlung 2002 in Höhe von 34 733,00 DM (= 17 758,00 EUR) an und bezahlte sie auch.

Am 21. August 2002 reichte der Kläger beim Beklagten die Umsatzsteuervoranmeldung Mai 2002 für den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung (1. Mai bis 16. Mai 2002) ein und meldete damit eine Umsatzsteuer in Höhe von 33 632,39 EUR an. Diesen Betrag meldete der Beklagte am 6. September 2002 zur Insolvenztabelle an. Am 17. Oktober 2002 wurde diese Forderung zur Tabelle festgestellt.

Am 4. April 2003 erging gegenüber dem Kläger ein Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid Dezember 2002 für das so genannte Massekostenkonto (Steuernummer ...), womit nach Anrechnung der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung eine Umsatzsteuer von ./. 13 313,85 EUR "festgesetzt" wurde. Die Umsatzsteuer vor Anrechnung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung betrug 4 444,15 EUR. Die Abrechnung wies ein Guthaben von 17 758,11 EUR zugunsten des Klägers aus.

Am gleichen Tag erklärte der Beklagte die Aufrechnung mit der von ihm ebenfalls zur Tabelle angemeldeten Forderung auf Umsatzsteuer-Vorauszahlung Dezember 2001 in Höhe von 13 313,85 EUR und erstattete den Differenzbetrag von 4 444,26 EUR an den Kläger. Nachdem der Kläger dagegen Einwendungen erhoben hatte, erließ der Beklagte insoweit einen Abrechnungsbescheid, den der Kläger mit dem Einspruch angriff. Diesem Einspruch half der Beklagte mit Aufhebungsbescheid vom 15. Mai 2003 ab, erklärte jedoch gleichzeitig die Aufrechnung mit der Umsatzsteuerforderung Mai 2002 in Höhe des Guthabens von 13 313,85 EUR.

Ferner erließ er einen Abrechnungsbescheid, wonach der Erstattungsanspruch auf Umsatzsteuer Dezember 2002 in Höhe von 13 313,85 EUR durch Aufrechnung erloschen sei.

Den dagegen am 5. Juni 2003 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 6. Juni 2003, die dem Kläger am 13. Juni 2003 zugestellt wurde, zurück.

Dagegen hat der Kläger am Montag, den 14. Juli 2003 Klage erhoben.

Der Kläger macht geltend, die vom Beklagten vorgenommene Aufrechnung verstoße gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung -InsO-. Danach sei die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Es komme daher auf den Zeitpunkt der Entstehung des streitigen Erstattungsanspruches an. Dieser entstehe nach § 48 Abs. 4 Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung -UStDV-erst, wenn nach Anrechnung der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung auf die Umsatzsteuerschuld des letzten Monats ein Restguthaben verbleibe. Dies sei im Streitfall erst nach der Verrechnung mit der angemeldeten Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Dezember 2002, mithin nach Insolvenzeröffnung, geschehen.

Die Klägerin beantragt,

den Abrechnungsbescheid vom 15. Mai 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Juni 2003 aufzuheben und festzustellen, dass ein Guthaben aus Umsatzsteuer Dezember 2002 in Höhe von 13 313,85 EUR besteht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage für unbegründet. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO stehe der streitbefangenen Aufrechnung nicht entgegen. Der Anspruch auf Erstattung der Sondervorauszahlung sei nach insolvenzrechtlichen Maßstäben aufschiebend bedingt und daher vor Insolvenzeröffnung begründet gewesen. Daher sei er - der Beklagte - insoweit nicht erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens nimmt das Gericht auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und der beigezogenen Akten Bezug. Dem Gericht haben je eine Umsatzsteuer-Voranmeldungs-und Vollstreckungsakte zur Steuernummer 29/005/03805 sowie eine Umsatzsteuer-Voranmeldungsakte zur Steuernummer ... (Massekostenkonto) des Beklagten vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Entsprechend dem Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-ohne mündliche Verhandlung, da die Sach-und Rechtslage bereits schriftlich eingehend erörtert wurde.

Auch wenn die E-GmbH aufgrund der inzwischen im Handelsregister eingetragenen Änderung Ihres Firmennamens in ... X-GmbH umfirmiert haben dürfte, bleibt das Gericht zur Vermeidung von Missverständnissen bei der bisher im Insolvenzverfahren und im hiesigen Verfahren praktizierten Benennung der Insolvenzschuldnerin.

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid nicht im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO in seinen Rechten verletzt. Ihm bzw. der E-GmbH steht kein Erstattungsanspruch im Sinne des § 37 Abs. 2 Abgabenordnung -AO-in Höhe von 13 313,85 EUR aus der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2002 bzw. der Umsatzsteuer-Vorauszahlung Dezember 2002 zu. Dieser Anspruch ist gemäß §§ 47, 226 Abs. 2 AO in Verbindung mit § 389 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-durch die Aufrechnungserklärung des Beklagten vom 15. Mai 2003 erloschen.

Entgegen der vom Beklagten im Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid Dezember 2002 vom 4. April 2003 gewählten Terminologie stellt die Anrechnung der Umsatzsteuer-

Sondervorauszahlung keine Besteuerungsgrundlage im Sinne des § 157 Abs. 2 AO bei der Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung Dezember 2002, sondern einen Anrechnungsvorgang im Rahmen des Erhebungsverfahrens dar (Bundesfinanzhof -BFH-, Urteile vom 18. Juli 2002 V R 56/01, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE-199, 71, Bundessteuerblatt -BStBl-II 2002, 705; vom 6. November 2002 V R 21/02, BFHE 200, 156, BStBl II 2003, 39). Der Beklagte hat die Sondervorauszahlung auch entsprechend § 48 Abs. 4 UStDV vorrangig auf die Umsatzsteuer Dezember 2002 angerechnet. Die Erstattung der 4 444,26 EUR stellt sich als Erstattung der vom Kläger geleisteten Zahlung auf die Umsatzsteuer-Vorauszahlung Dezember 2002 dar. Von dem an den Kläger erstatteten Betrag abgesehen stellte das im Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid Dezember 2002 vom 4. April 2003 ausgewiesene Restguthaben daher einen Erstattungsanspruch im Sinne des § 37 Abs. 2 AO auf die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2002 dar, die die E-GmbH vor Insolvenzeröffnung geleistet hatte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705).

Die vom Beklagten am 15. Mai 2003 vorgenommene Aufrechnung mit seiner Forderung aus Umsatzsteuer-Vorauszahlung Mai 2002 in Höhe von 33 632,39 EUR (Zeitraum vor Insolvenzeröffnung) gegen den Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2002 in Höhe von 13 313,85 EUR war wirksam. Dass der Beklagte den Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2002 als Anspruch auf Erstattung von Umsatzsteuer Dezember 2002 bezeichnete, ist unbeachtlich, da zwischen den Beteiligten Einvernehmen darüber bestand, um welchen Anspruch es sich handelte.

Das Gericht geht mit den Beteiligten davon aus, dass die zuvor am 4. April 2003 erfolgte Aufrechnung mit der Umsatzsteuerforderung aus Umsatzsteuer-Vorauszahlung Dezember 2001 unwirksam war, weil die Sondervorauszahlung vorrangig auf die Umsatzsteuerschulden des Jahres 2002 anzurechnen war (BFH-Urteile in BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705; BFHE 200, 156, BStBl II 2003, 39). Jedenfalls entsprach es dem Willen der Beteiligten, dass die Umsatzsteuerforderung Dezember 2001 nicht durch die Aufrechnung gegen den Erstattungsanspruch auf die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2002 erlosch.

Im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vom 15. Mai 2003 bestand die nach § 226 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 387 BGB erforderliche Aufrechnungslage. Die Forderung auf Umsatzsteuer-Vorauszahlung Mai 2002 war fällig. Es kann dahinstehen, ob sich dies, wie der BFH (Urteil vom 4. Mai 2004 VII R 45/03, Deutsches Steuerrecht -DStR-2004, 1172) meint, aus § 220 Abs. 2 Satz 1 AO ergibt. Denn der Kläger hatte eine entsprechende Umsatzsteuer-Vorauszahlung angemeldet, und diese wurde auch am 17. Oktober 2002 in gleicher Höhe zur Insolvenztabelle festgestellt. Jedenfalls diese Feststellung ersetzt eine etwaige nach § 220 Abs. 2 Satz 2 AO erforderliche Festsetzung (vgl. BFH, Urteil vom 18. Dezember 2002 I R 33/01, BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630).

Der Erstattungsanspruch des Klägers war mit Ablauf des Jahres 2002 entstanden und daher erfüllbar.

Der Aufrechnung stand auch kein Aufrechnungsverbot entgegen.

Der Beklagte war nicht gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO an der von ihm ausgesprochenen Aufrechnung gehindert. Nach dieser Vorschrift ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Hauptforderung unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. Die Gegenforderung des Beklagten wurde spätestens mit der Eintragung zur Tabelle am 17. Oktober 2002 fällig, die Hauptforderung des Klägers jedoch erst mit Erlass des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids Dezember 2002 am 4. April 2003.

Entgegen der Auffassung des Klägers war der Beklagte auch nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO an der Aufrechnung gehindert. Nach dieser Vorschrift ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Nach § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO wird die Aufrechnung jedoch nicht dadurch aufgeschlossen, dass die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder noch nicht fällig sind. Daher reicht es aus, wenn die Gegenforderung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde. An dieser - zu § 55 Konkursordnung -KO-entwickelten - Rechtsprechung hält der BFH fest (BFH, Urteil in DStR 2004, 1172).

Die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung als Vorauszahlung auf die Jahresumsatzsteuer begründet mit ihrer Zahlung einen Erstattungsanspruch, der dadurch bedingt ist, dass nach Ablauf des Veranlagungszeitraums, für den sie geleistet wurde, die entstandene Jahresumsatzsteuer getilgt ist. Es gilt insoweit die gleiche Rechtslage wie bei anderen Steuerarten (vgl. aus jüngerer Zeit: BFH, Urteile vom 9. Februar 1993 VII R 12/92, BFHE 170, 300, BStBl II 1994, 207 zur Kraftfahrzeugsteuer und Vermögensteuer; vom 4. Mai 1993 VII R 96/92, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV1994, 287 zur Kraftfahrzeugsteuer; vom 6. Februar 1996 VII R 116/94, BFHE 179, 547, BStBl II 1996, 557 zur Einkommensteuer). Es besteht kein Anlass für die Umsatzsteuer insoweit abweichende Grundsätze zugrunde zu legen (vgl. auch die BFH-Urteile vom 4. August 1987, VII R 11/84, BFH/NV 1987, 707; vom 20. Juli 2004 VII R 28/03, veröffentlicht unter www.bundesfinanzhof.de/Entscheidungen).

Zugunsten des Klägers folgt nichts daraus, dass für die E-GmbH noch keine Umsatzsteuer- Jahresfestsetzung ergangen ist. Denn der Kläger hat kein rechtlich schützenswertes Interesse daran, dass der Erstattungsanspruch aus der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2002 an die Insolvenzmasse ausgekehrt wird, solange noch Umsatzsteuerverbindlichkeiten betreffend den Veranlagungszeitraum 2002 - und sei es in Form von Vorauszahlungsschulden - offen sind (vgl. BFH, Urteile in BFHE 199, 71, BStBl II, 2002, 705; in BFHE 200, 156, BStBl II 2003, 39). In dem Urteil in BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705 hat der BFH klar zum Ausdruck gebracht, dass der Unternehmer die Erstattung der Sondervorauszahlung nur verlangen kann, soweit er die übrigen Vorauszahlungen für das Kalenderjahr gezahlt hat.

Es kann dahinstehen, ob die Äußerungen des BFH in den Urteilen in BFHE 199, 71, BStBl II, 2002, 705 und BFHE 200, 156, BStBl II 2003, 39 dahingehend zu verstehen sind, dass vor einer vollständigen Tilgung der Umsatzsteuer 2002 kein Anspruch auf Erstattung der Sondervorauszahlung 2002 zugunsten des Klägers fällig wird. Denn § 387 BGB setzt für eine wirksame Aufrechnung nicht die Fälligkeit der Hauptforderung, sondern nur deren Erfüllbarkeit voraus. Letztere wäre jedenfalls gegeben.

Das Gericht hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Der Streitwert beträgt 13 313,85 EUR.

Das Gericht hat den Streitwert ausgehend von den Sachanträgen der Beteiligten bestimmt (§§ 13, 25 Gerichtskostengesetz -GKG-in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung).

Ende der Entscheidung

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