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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 24.11.2006
Aktenzeichen: 1 K 530/03 U
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 21a) bb)
UStG § 19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

1 K 530/03 U

Tenor:

Unter Aufhebung der ablehnenden Verfügung vom 17.09.2002 und der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2003 wird der Beklagte verpflichtet, die Umsatzsteuerfestsetzungen 1978 bis 1987 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 15.01.2004 dahingehend abzuändern, dass die Umsatzsteuer auf 23,81 EUR (1978), 104,80 EUR (1979) 0.- EUR (1980 und 1982 bis 1985), 79,86 EUR (1981), 237,17 EUR (1986) und 149,27 EUR (1987) festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens bis zum 18.01.2004 werden dem Kläger zu 88 % und dem Beklagten zu 12 % und für die Zeit danach dem Kläger zu 11 % und dem Beklagten zu 89 % auferlegt.

Der Streitwert wird bis zum 18.01.2004 auf 40.062.- EUR und für die Zeit danach auf 5.551.- EUR festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist Gesamtrechtsnachfolger der A. und B. GbR - im Folgenden: GbR -, die in den Streitjahren 1978 bis 1987 eine Ballettschule betrieb. Ihre Umsätze unterwarf sie in den Veranlagungszeiträumen 1978 bis 1981 dem ermäßigten Steuersatz und in den Veranlagungszeiträumen 1982 bis 1987 dem Regelsteuersatz.

Auf Antrag des Klägers vom 30.01.2002 erteilte ihm die Bezirksregierung am 15.05.2002 eine für die Zeit vom 01.04.1978 bis 31.12.1991 gültige Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 21 a) bb) UStG (heutiger Fassung), dass er mit der Bildungsmaßnahme "Dreijährige Vorausbildung "Bühnentanz und Tanzpädagogik" zur Vorbereitung auf Aufnahmeprüfungen für Bühnentänzer/innen und Tanzpädagogen/innen an Fachhochschulen" ordnungsgemäß auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereitet habe.

Aufgrund dieser Bescheinigung beantragte der Kläger beim Beklagten, die Umsatzsteuerbescheide 1978 bis 1991 abzuändern und die Umsatzsteuer ab 01.04.1978 auf 0.- DM festzusetzen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Verfügung vom 17.09.2002 ab. Zur Begründung führte er aus, eine Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1978 bis 1987 komme nicht in Betracht, weil die entsprechenden Steuerakten bereits vernichtet worden seien und auch der Kläger keine entsprechenden Unterlagen habe vorlegen können. Hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1988 bis 1991 sei nicht erkennbar, dass die GbR in der fraglichen Zeit die in der Bescheinigung der Bezirksregierung genannten Bildungsmaßnahmen durchgeführt habe.

Gegen die Verfügung vom 17.09.2002 legte der Kläger Einspruch ein, den der Beklagte hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1978 bis 1987 mit Einspruchsentscheidung vom 09.01.2003 als unbegründet zurückwies. Darin führte er aus, eine Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1978 bis 1987 sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Steuerakten bereits vernichtet worden seien und der Kläger nach eigenen Angaben auch nicht in der Lage sei, entsprechende Umsatzsteuererklärungen, Umsatzsteuerbescheide und Gewinnermittlungen vorzulegen. Es bestehe deshalb auch kein Anlass, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen, bis über den vom Kläger inzwischen gestellten Antrag auf Erteilung einer weitergehenden Bescheinigung der Bezirksregierung entschieden worden sei.

Hiergegen erhob der Kläger Klage. Im Verlauf des Klageverfahrens legte der Kläger einen Ordner mit die Streitjahre betreffenden Steuererklärungen, Steuerbescheiden und Gewinnermittlungen vor. Außerdem verpflichtete das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Bezirksregierung mit - rechtskräftigem - Urteil vom 10.03.2003 25 K 6938/02, dem Kläger für die Zeit vom 18.02.1974 bis zum 31.12.1991 zu bescheinigen, dass er mit seinem Kursprogramm "Ballett 4 - 5 Jahre", "Ballett 6 - 8 Jahre", "Ballett 9 - 11 Jahre" "Ballett 12 - 14 Jahre" "Ballett 15 - 18 Jahre und Erwachsene", "Jazztanz, Pädagogik, Tanzgeschichte" auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet hat.

Daraufhin erließ der Beklagte am 15.01.2004 geänderte Umsatzsteuerbescheide 1978 bis 1987, mit denen er die Umsatzsteuer auf 154,43 EUR (1978), 139,89 EUR (1979), 207,94 EUR (1980), 399,30 EUR (1981), 686,55 EUR (1982), 725,33 EUR (1983), 533,00 EUR (1984), 970,23 EUR (1985), 988,21 EUR (1986) und 746,37 EUR (1987) festsetzte. Grundlage der Änderungsbescheide war eine tatsächliche Verständigung der Beteiligten dahingehend, dass die Umsätze der GbR in den Jahren 1978 bis 1981 zu 85 % und in den Jahren 1982 bis 1987 zu 90 % auf gemäß § 4 Nr. 21 b UStG 1980 steuerfreie Umsätze entfielen.

Der Kläger begehrt weiterhin, die Umsatzsteuer für die Streitjahre auf jeweils 0.- EUR festzusetzen. Er ist der Auffassung, soweit seine Umsätze dem Grunde nach steuerpflichtig seien, finde die Kleinunternehmerregelung in § 19 Abs. 1 UStG Anwendung, da die in dieser Vorschrift geregelten Umsatzgrenzen nicht überschritten seien. Weder habe er auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG verzichtet noch Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis erteilt.

Nachdem der Berichterstatter die Beteiligten auf das Urteil des FG München vom 18.11.2004 14 K 5057/01 (EFG 2005, 740) und das insoweit anhängige Revisionsverfahren (Az. des BFH: V R 3/05) hingewiesen hat, hat der Kläger ergänzend vorgetragen:

I.

Der Streitfall sei mit dem dem BFH zur Entscheidung vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Während der Kläger vorliegend eine ganz spezifische Bescheinigung besitze, zu deren Erteilung das Verwaltungsgericht die Bezirksregierung verpflichtet habe, verfüge der Kläger des beim BFH anhängigen Verfahrens lediglich über eine allgemein gehaltene Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde. Darüber hinaus bestehe in Nordrhein-Westfalen seit 1989 Übereinstimmung zwischen dem Kultus- und dem Finanzministerium, dass Ballettschulen zu den begünstigungsfähigen Einrichtungen i. S. v. § 4 Nr. 21 b UStG 1980 gehörten.

II.

Das Urteil des FG München verkenne den Begriff der allgemein bildenden Einrichtung i. S. dieser Vorschrift und widerspreche insbesondere dem eine private Musiklehrerin betreffenden BFH-Urteil vom 03.05.1989 V R 83/84 (BStBl II 1989, 815). Während der BFH in dem genannten Urteil lediglich darauf abgestellt habe, dass ein geistiges Gut vermittelt werde, welches Gegenstand der Allgemeinbildung sei, fordere das FG München zu Unrecht, dass ein breit gefächertes Wissen wie in einer Schule vermittelt werde. Diese enge Auslegung des Begriffs der allgemein bildenden Einrichtung führe nicht nur dazu, dass auch privater Musikunterricht nicht mehr von der fraglichen Steuerbefreiung umfasst werde. Auch ein privater Lehrer, der lediglich Unterricht in einem bestimmten Fach, welches er studiert habe, erteile, fiele nicht mehr unter diese Steuerbefreiung, weil er kein breit gefächertes Wissen vermittle. Die enge Auslegung durch das FG München lasse sich nicht auf das eine "Jagdschule" betreffende BFH-Urteil vom 18.12.2003 V R 62/02 (BStBl II 2004, 252) stützen. In diesem Fall habe der BFH die Steuerbefreiung deshalb abgelehnt, weil die "Jagdschule" lediglich jagdspezifische Kenntnisse vermittelt und nur auf die Jägerprüfung, nicht aber auf einen bestimmten Beruf vorbereitet habe. Schließlich rechtfertige auch das Urteil des BVerwG vom 03.12.1976 VII C 73.75 (BStBl II 1977, 334) nicht die enge Auslegung des FG München. Vielmehr umfasse der Begriff der allgemein bildenden Einrichtungen nach Auffassung des BVerwG alle Einrichtungen, die Allgemeinbildung vermittelten, ohne die Organisationsform der Schule zu haben. Nicht erforderlich sei, dass die Einrichtung eigenen Lehrstoff anbiete oder dies in der gleichen umfassenden Weise tue wie die Schule; ausreichend sei auch eine die Schule unterstützende und sich auf die Verarbeitung oder Repetition des von der Schule angebotenen Stoffes beschränkende Tätigkeit.

III.

Die von der GbR betriebene Ballettschule sei eine allgemein bildende Einrichtung i. S. v. § 4 Nr. 21 b UStG 1980. Auch die kulturelle Bildung, zu deren wesentlichen Elementen u. a. Musik, Kunst, Theater und Tanz gehörten, sei Gegenstand der Allgemeinbildung. Da der BFH eine private Musiklehrerin als allgemein bildende Einrichtung anerkannt habe, könne auch eine Einrichtung, die Schülerinnen und Schülern aller Altersstufen Tanzunterricht in den Fächern klassisches und modernes Ballett anbiete, nicht anders eingestuft werden. Auch der Kulturausschuss der Kultusministerkonferenz - KMK - habe bereits im Jahre 1993 die Empfehlung ausgesprochen, private Musik- und Ballettschulen umsatzsteuerrechtlich gleich zu behandeln. Diese Empfehlung habe die KMK im Jahre 2005 - in Kenntnis der Entscheidung des FG München - ausdrücklich bestätigt. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass künstlerischer Tanz bereits traditionell zum Inhalt des Schulfaches Sport gehöre. An einigen öffentlichen Schulen - z. B. dem Gymnasium Essen-Werden und der Staatlichen Ballettschule Berlin - sei der künstlerische Tanz neben dem Sport in den Katalog der Pflichtschulfächer aufgenommen worden. Ferner sei künstlerischer Tanz in einigen Bundesländern Bestandteil des ergänzenden Fächerkatalogs für Grundschulen.

IV.

Die von der GbR betriebene Ballettschule sei darüber hinaus eine berufsbildende Einrichtung i. S. v. § 4 Nr. 21 b UStG 1980. Die GbR habe Leistungen erbracht, die ihrer Art nach den Zielen der Berufsaus- und Berufsfortbildung dienten. Dafür sei ausreichend, dass die Leistungen allein oder zusammen mit den Leistungen anderer Unternehmer die Ausbildung ermögliche, fördere, ergänze oder erleichtere. Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob die Kurse berufs- bzw. prüfungsvorbereitend seien, sei nicht, ob von den Teilnehmern bereits eine Entscheidung für einen bestimmten Beruf getroffen worden sei, sondern ob die Ausbildung für die Ergreifung des Berufs bzw. die Ablegung der Prüfung erforderlich und geeignet sei. Dies sei im Streitfall zu bejahen, wie sich insbesondere aus den Ausführungen des VG Düsseldorf im Urteil vom 10.03.2003 25 K 6938/02 ergebe. Es komme nicht darauf an, wie viele Schüler der GbR später tatsächlich den Beruf des Tänzers ergriffen hätten.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der ablehnenden Verfügung vom 17.09.2002 und der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2003 zu verpflichten, die Umsatzsteuerfestsetzungen 1978 bis 1987 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 15.01.2004 dahingehend abzuändern, dass die Umsatzsteuer auf 0.- EUR festgesetzt wird, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Er ist der Auffassung, eine Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG komme nicht in Betracht. Die Bescheinigung der Bezirksregierung stelle einen Grundlagenbescheid dar. Das für den Erlass der Folgebescheide zuständige Finanzamt habe die Folgerungen aus dem Erlass des Grundlagenbescheides zu ziehen und die Folgebescheide anzupassen, soweit die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides es verlange. Eine Wiederaufrollung der gesamten Steuerveranlagung komme aber nicht in Betracht. Die ursprünglichen bestandskräftigen Umsatzsteuerveranlagungen 1978 bis 1987 seien materiell fehlerhaft. Es habe sich auch damals zum überwiegenden Teil um Umsätze i. S. v. § 4 Nr. 21 b UStG 1980 gehandelt. Der Kläger habe unrichtige Steuererklärungen abgegeben, die das Finanzamt übernommen habe. Wenn der Kläger die Umsätze zutreffend erklärt hätte, wären materiell richtige Bescheide unter Berücksichtigung von § 19 Abs. 1 UStG ergangen. Eine entsprechende Bescheinigung wäre von der Bezirksregierung erwirkt worden.

In der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2006 hat der Beklagte ausgeführt, er sei nunmehr entsprechend den Ausführungen des FG München im Urteil vom 18.11.2004 14 K 5057/01 der Ansicht, dass die von der GbR betriebene Ballettschule weder eine allgemein bildende noch eine berufsbildende Einrichtung sei.

Der Senat hat die Akten des VG Düsseldorf 25 K 6938/02 beigezogen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, bei der aufgrund der Bescheinigung der Bezirksregierung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gebotenen Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 1978 bis 1987 auch die sog. Kleinunternehmerregelung in § 19 UStG anzuwenden. Allerdings führt die Anwendung der Kleinunternehmerregelung in § 19 UStG (in den in den jeweiligen Streitjahren gültigen Fassungen) nur in den Streitjahren 1980 und 1982 bis 1985 zu einer Herabsetzung der Umsatzsteuer auf 0.- EUR. In den übrigen Streitjahren ermäßigt sich die Steuer lediglich auf die aus dem Tenor ersichtlichen Beträge.

I.

Eine weitere Herabsetzung der bisher festgesetzten Steuer scheitert nicht bereits an der fehlenden Anwendbarkeit der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 b UStG 1980. Entgegen der nunmehr vom Beklagten vertretenen Auffassung findet die genannte Vorschrift auf die von der GbR betriebene Ballettschule Anwendung. Gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemein bildender oder berufsbildender Einrichtungen steuerfrei, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Dabei hat die Entscheidung der zuständigen Landesbehörde - hier: der Bezirksregierung -, dass eine Einrichtung auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet, den Charakter eines Grundlagenbescheides i. S. v. § 171 Abs. 10 AO und ist somit für die Finanzverwaltung und die Finanzgerichte bindend. Demgegenüber hat die fragliche Landesbehörde nicht darüber zu befinden, ob eine private Schule oder eine andere allgemein bildende oder berufsbildende Einrichtung vorliegt. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht Gegenstand der in § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 genannten Bescheinigung. Hierüber entscheiden die Finanzbehörden - bei voller Nachprüfbarkeit durch die Finanzgerichte - in eigener Zuständigkeit (BFH, Urteile vom 18.12.2003 V R 62/02, BStBl II 2004, 252 und vom 03.05.1989 V R 83/84, BStBl II 1989, 815).

Die von der GbR betriebene Ballettschule ist eine berufsbildende Einrichtung i. S. v. § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980. Berufsbildend i. S. dieser Vorschrift sind solche Einrichtungen, die Leistungen erbringen, die ihrer Art nach den Zielen der Berufsaus- oder der Berufsfortbildung dienen. Sie müssen spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die zur Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten notwendig sind (BFH, Urteile vom 18.12.2003 V R 62/02, BStBl II 2004, 252 und vom 10.06.1999 V R 84/98, BStBl II 1999, 578; BVerwG, Urteil vom 03.12.1976 VII C 73.75, BStBl II 1977, 334). Da lediglich auf die Art der erbrachten Leistungen und ihre generelle Eignung, den Zielen der Berufsaus- oder der Berufsfortbildung zu dienen, abzustellen ist, kommt es nicht darauf an, welche konkreten Ziele die jeweiligen Besucher der fraglichen Einrichtung mit ihrer Teilnahme an den angebotenen Kursen verfolgen. Es ist deshalb im Streitfall ohne Belang, wie hoch der Anteil der Schüler/innen ist, die den Ballettunterricht der GbR im Hinblick auf eine Berufsausbildung oder eine Prüfungsvorbereitung besucht oder später tatsächlich den Beruf des Tänzers bzw. der Tänzerin ergriffen haben.

Nach diesen Grundsätzen ist die von der GbR betriebene Ballettschule eine berufsbildende Einrichtung. Entscheidend ist, dass die von ihr erbrachten Leistungen ihrer Art nach erforderlich und geeignet sind, um den Beruf des Tänzers bzw. der Tänzerin ausüben zu können. Maßgebend ist insoweit, dass die Berufsausbildung zum Tänzer bzw. zur Tänzerin - insoweit vergleichbar mit der Berufsausbildung zum Musiker - bereits im Kindesalter begonnen werden muss. Wie auch das VG Düsseldorf mit Urteil vom 10.03.2003 25 K 6938/02 (n. v., Fundstelle: juris) unter Bezugnahme auf Ausbildungspläne staatlicher und staatlich anerkannter Ballettschulen sowie eine fachliche Stellungnahme des Deutschen Berufsverbandes für Tanzpädagogik e. V. überzeugend ausgeführt hat, beginnt eine Berufsausbildung zum Tänzer bzw. zur Tänzerin in der Regel im Alter von etwa fünf bis sechs Jahren. Ein bereits ab diesem Alter erteilter qualifizierter Ballettunterricht ist regelmäßig unerlässliche Voraussetzung, um den Beruf des Tänzers bzw. der Tänzerin später erfolgreich ausüben zu können. Insofern unterscheidet sich dieser Beruf von vielen anderen Berufen, bei denen die Berufsausbildung regelmäßig erst nach Beendigung der allgemeinen Schulausbildung beginnt. Da die für den Beruf des Tänzers bzw. der Tänzerin erforderlichen und bereits im Kindesalter zu erwerbenden Fertigkeiten im Rahmen einer herkömmlichen Schulausbildung nicht vermittelt werden, ist es unerlässlich, zu diesem Zweck an einem Ballettunterricht in der von der GbR erteilten Form teilzunehmen. Die GbR hat in den Streitjahren ganz überwiegend solche Kurse erteilt, die in diesem Sinne auf den Beruf des Tänzers bzw. der Tänzerin vorbereitet haben. Es kann deshalb offen bleiben, ob eine Einrichtung auch dann als berufsbildend angesehen werden kann, wenn sie nur zu einem geringen Teil derartige Leistungen erbringt.

Die die Steuerfreiheit verneinenden BFH-Entscheidungen zu Fahr- und Jagdschulen, soweit sie auf Fahrprüfungen (BFH, Urteil vom 14.03.1974 V R 54/73, BStBl II 1974, 527) und die Jägerprüfung vorbereiten (BFH, Urteil vom 18.12.2003 V R 62/02, BStBl II 2004, 252), stehen der Anerkennung einer Ballettschule als berufsbildende Einrichtung nicht entgegen. Angesichts der aufgezeigten Besonderheiten der Berufsausbildung zum Tänzer bzw. zur Tänzerin sind die jeweiligen Sachverhalte - entgegen der Ansicht des FG München im Urteil vom 18.11.2004 14 K 5057/01 (EFG 2005, 740) - nicht miteinander vergleichbar. Vielmehr weist die im Streitfall zu beurteilende Erteilung von Ballettunterricht mehr Gemeinsamkeiten mit der Erteilung von Musikunterricht auf, welcher - bei Vorliegen der entsprechenden Bescheinigung - unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 21 b UStG 1980 fällt (BFH, Urteil vom 03.05.1989 V R 83/84, BStBl II 1989, 815).

II.

Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, bei der aufgrund der Bescheinigung der Bezirksregierung (Grundlagenbescheid) gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gebotenen Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 1978 bis 1987 auch die sog. Kleinunternehmerregelung in § 19 UStG anzuwenden. Die Anpassung des Folgebescheides gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO reicht zwar einerseits nur soweit, wie es die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides verlangt, so dass eine Gesamtaufrollung des Folgebescheides nicht zulässig ist (BFH, Urteile vom 31.10.1991 X R 126/90, BFH/NV 1992, 363 und vom 11.04.1990 I R 82/86, BFH/NV 1991, 143). Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides fordert jedoch andererseits, dass der Folgebescheid vollständig und zutreffend an den Regelungsgehalt des Grundlagenbescheides angepasst wird (BFH, Urteile vom 04.09.1996 XI R 50/96, BStBl II 1997, 261 und vom 17.02.1993 II R 15/91, BFH/NV 1994, 1). Die Anpassung des Folgebescheides besteht dabei nicht nur in der Änderung von Zahlen, die dem geänderten Grundlagenbescheid zu entnehmen sind, sondern kann eine neue selbstständige Würdigung eines für das Folgeverfahren (hier: die Umsatzsteuerveranlagung) relevanten Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einschließen (BFH, Beschluss vom 08.09.1998 IX B 71/98, BFH/NV 1999, 157). Eine Anpassung an den die Steuerfreiheit bestimmter Umsätze auslösenden Grundlagenbescheid ist deshalb auch insoweit erforderlich, als sich als weitere Folge dieser Anpassung ergibt, dass nunmehr die Voraussetzungen der Kleinunternehmerregelung in § 19 UStG erstmals gegeben sind. Dies ist hier der Fall. Da die Bescheinigung der Bezirksregierung nach § 4 Nr. 21 b UStG materiellrechtliche Voraussetzung der Steuerbefreiung ist, führt erst ihre Erteilung dazu, dass auf die dann noch verbleibenden steuerpflichtigen Umsätze § 19 UStG Anwendung findet. Die Annahme des Beklagten, die ursprünglichen Umsatzsteuerfestsetzungen seien von vornherein materiell fehlerhaft gewesen, lässt den materiellrechtlichen Charakter der Bescheinigung außer Acht. Da die Anwendung der Kleinunternehmerregelung auch nicht antragsabhängig, sondern die gesetzliche Folge des Unterschreitens der jeweiligen Umsatzgrenzen ist, sind die Bescheide entsprechend anzupassen. Die GbR hat weder auf ihre Anwendung verzichtet noch Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis erteilt.

III.

Die Anwendung der Kleinunternehmerregelung in § 19 UStG (in den in den jeweiligen Streitjahren gültigen Fassungen) führt jedoch nur in den Streitjahren 1980 und 1982 bis 1985 zu einer Herabsetzung der Umsatzsteuer auf 0.- EUR. In den übrigen Streitjahren ermäßigt sich die Steuer lediglich auf die aus dem Tenor ersichtlichen Beträge. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1.

Nach der für die Veranlagungszeiträume 1978 und 1979 geltenden Fassung des § 19 Abs. 1 UStG 1973 beträgt die Umsatzsteuer für Kleinunternehmer 4 % der steuerpflichtigen Bruttoumsätze, wobei gemäß § 19 Abs. 2 UStG 1973 ein Umsatzfreibetrag von 12.000.- DM abzusetzen ist. Somit ergibt sich folgende Berechnung:

1978: stpfl. Umsätze (brutto) 13.164,53 DM ./. 12.000.- DM = 1.164,53 DM x 4 % = 46,58 DM = 23,81 EUR

1979: stpfl. Umsätze (brutto) 17.124,34 DM ./. 12.000.- DM = 5.124,34 DM x 4 % = 204,97 DM = 104,80 EUR

2.

Für die Veranlagungszeiträume 1980 und 1982 bis 1985 beträgt die Umsatzsteuer gemäß § 19 Abs. 1 UStG 1980 0.- EUR. Der Gesamtumsatz (§ 19 Abs. 4 UStG 1980) zuzüglich der darauf entfallenden Steuer überstieg in den jeweils vorangegangenen Kalenderjahren nicht den Betrag von 20.000.- DM.

3.

Für die Veranlagungszeiträume 1981, 1986 bis 1987 findet § 19 Abs. 1 UStG 1980 keine Anwendung, da der Gesamtumsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer in den jeweiligen Vorjahren mehr als 20.000.- DM betrug (1980: 20.789.- DM, 1985: 22.143.- DM, 1986: 25.331). Anwendbar ist jedoch die Regelung über den Steuerabzugsbetrag in § 19 Abs. 3 UStG 1980, da der maßgebliche Umsatz der jeweils laufenden Kalenderjahre den Betrag von 60.000.- DM nicht überstieg. Somit ergibt sich folgende Berechnung:

1981: stpfl. Umsatz 18.104.- DM; Steuerabzugsbetrag 80 %

Umsatzsteuer 399,30 EUR; davon 20 % = 79,86 EUR

1986: stpfl. Umsatz 22.221.- DM; Steuerabzugsbetrag 76 %

Umsatzsteuer 988,21 EUR; davon 24 % = 237,17 EUR

1987: stpfl. Umsatz 17.975.- DM; Steuerabzugsbetrag 80 %

Umsatzsteuer 746,37 EUR; davon 20 % = 149,27 EUR

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 136, 137 Finanzgerichtsordnung - FGO -. Soweit der Kläger deshalb obsiegt hat, weil er die die Streitjahre betreffenden Steuererklärungen, Steuerbescheide und Gewinnermittlungen erst im Verlauf des Klageverfahrens vorgelegt hat, waren ihm die Kosten des Verfahrens gemäß § 137 Satz 1 FGO aufzuerlegen. Im Übrigen waren die Kosten den Beteiligten gemäß § 136 Abs. 1 FGO nach dem Verhältnis des Unterliegens und Obsiegens aufzuerlegen.

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Ob und unter welchen Voraussetzungen Ballettschulen zu den begünstigungsfähigen Einrichtungen i. S. v. § 4 Nr. 21 b UStG 1980 bzw. § 4 Nr. 21 a) bb) UStG heutiger Fassung gehören, bedarf der höchstrichterlichen Klärung.

Der Streitwert wird bis zum 18.01.2004 auf 40.062.- EUR und für die Zeit danach auf 5.551.- EUR festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13, 25 des Gerichtskostengesetzes a. F.



Ende der Entscheidung

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