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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 21.08.2007
Aktenzeichen: 10 K 121/04 L
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 1 Abs. 3
EStG § 39 Abs. 5a S. 4
EStG § 39c Abs. 4
EStG § 50 Abs. 5 S. 2 Nr. 1
AO 1977 § 110 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

10 K 121/04 L

Tenor:

Der Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid für 1998 vom 20. Dezember 2002 und die Lohnsteuer-Nachforderungsbescheide für 1999 bis 2001 vom 2. Mai 2003 sowie die Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2003 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I. Strittig ist, ob der Beklagte für die Streitjahre (1998 bis 2001) gemäß § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. d. F. des Art. 1 Nr. 35 des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 (zuvor: § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 EStG) i. V. m. § 39 Abs. 5 a Satz 4 EStG Lohnsteuer nachfordern durfte, weil die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht i. S. von § 1 Abs. 3 EStG nicht vorlagen.

Der Kläger und seine Ehefrau haben ihren Wohnsitz in den Niederlanden. Der Kläger war in den Streitjahren bei der "A" AG in "B" mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden als Controller beschäftigt. In gleichem Umfang war er in dieser Funktion bei der "A" BV in den Niederlanden tätig.

Der Beklagte erteilte dem Kläger für die Streitjahre Bescheinigungen gemäß § 39 c Abs. 4 EStG. In seinen Anträgen auf Erteilung einer Bescheinigung für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer aus den Niederlanden (1998) bzw. auf Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtiger Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3, § 1 a EStG (1999 bis 2001) hatte der Kläger seinen voraussichtlichen Bruttoarbeitslohn im Inland und in den Niederlanden auf folgende Beträge beziffert:

Inland Niederlande

1998 93.600 DM 96.000 hfl

1999 98.400 DM 115.000 hfl

2000 110.000 DM 121.500 hfl

2001 110.000 DM 121.500 hfl

Die "A" AG behielt aufgrund der Bescheinigungen des Beklagten Lohnsteuer nach Steuerklasse III ein und berücksichtigte dabei die in den Bescheinigungen ausgewiesenen Freibeträge gemäß § 39 a Abs. 1 Nr. 1 und 6 EStG.

Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei der "A" AG wies der Prüfer die Lohnsteuerstelle Arbeitgeber des Beklagten darauf hin, dass der Kläger in den Streitjahren sein Gehalt je zur Hälfte von der "A" AG und der "A" BV bezogen habe und bat darum, den Lohnsteuerabzug für diese Jahre zu überprüfen.

Der Beklagte erließ daraufhin Einkommensteuerbescheide für 1999 und 2000 vom 16. Oktober 2002 und für 2001 vom 6. Januar 2003, hob jedoch die Bescheide für 1999 und 2000 auf Einsprüche des Klägers hin mit Verfügung vom 8. Januar 2003 wieder auf. Für das Jahr 1998 hatte er zuvor bereits durch Nachforderungsbescheid vom 20. Dezember 2002 Lohnsteuer gemäß § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 i. V. m. § 39 Abs. 5 a EStG nachgefordert. Für die Jahre 1999 bis 2001 ergingen Nachforderungsbescheide vom 26. Februar 2003.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 14. Februar 2003 gegen den Nachforderungsbescheid für 1998 und mit Schreiben vom 6. März 2003 gegen die Nachforderungsbescheide für 1999 bis 2001 Einsprüche ein. Das Einspruchsschreiben vom 14. Februar 2003 ging nach dem Eingangsstempel am 21. Februar 2003 beim Beklagten ein. Der Kläger machte mit den Einsprüchen geltend, der Beklagte habe nicht nachträglich i. S. von § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG festgestellt, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht i. S. von § 1 Abs. 3 EStG nicht vorgelegen hätten. Er - der Kläger - habe in seinen Anträgen gemäß § 39 c Abs. 4 Satz 2 EStG die zur Prüfung der unbeschränkten Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG erforderlichen Angaben zur Höhe seiner Einkünfte gemacht. Nur bei einer nachträglichen Änderung hinsichtlich der Höhe der Einkünfte dürfe Lohnsteuer nachgefordert werden. Die Finanzbehörde dürfe keine Lohnsteuer nacherheben, wenn sie aufgrund zutreffender Angaben im Antrag gemäß § 39 c Abs. 4 Satz 2 EStG in der Lage gewesen sei, festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 EStG nicht vorlagen.

Der Beklagte setzte die für die Jahre 1999 bis 2001 nachgeforderte Lohnsteuer durch Bescheide vom 2. Mai 2003 herab. Mit Schreiben vom 21. Mai 2003 wies er den Kläger darauf hin, dass er den Einspruch gegen den Bescheid für 1998 für verfristet halte, weil die Einspruchsfrist am 20. Februar 2003 abgelaufen, der Einspruch jedoch erst am 21. Februar 2003 eingegangen sei. Die Nachforderung der Lohnsteuer sei rechtmäßig. Eine Veranlagung des Klägers nach § 46 Abs. 2 Nr. 7 EStG komme nicht in Betracht, weil er nicht unbeschränkt steuerpflichtig sei. Das Merkmal "nachträglich festgestellt" in § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG sei dahin gehend auszulegen, dass eine Nachforderung immer dann durchzuführen sei, wenn nach Ablauf des Lohnzahlungszeitraums festgestellt werde, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht nicht vorgelegen hätten. Was Anlass für die nachträgliche Feststellung sei, sei unerheblich. Wegen der Stellungnahme des Klägers zu diesem Schreiben wird auf sein Schreiben vom 11. Juni 2003 verwiesen. Der Beklagte verwarf durch Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2003, auf die Bezug genommen wird, den Einspruch gegen den Bescheid für 1998 als unzulässig. Die Einsprüche gegen die Nachforderungsbescheide für 1999 bis 2001 wies er als unbegründet zurück.

Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben, mit der er an seiner Rechtsauffassung festhält. Er ist der Ansicht, dass ihm hinsichtlich der Versäumung der Einspruchsfrist bezüglich des Nachforderungsbescheides für 1998 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Er habe den Einspruch gegen diesen Bescheid am 14. Februar 2003 in den Niederlanden zur Post gegeben und auf einen rechtzeitigen Zugang vertraut. Verzögerungen im Postverkehr, wie sie insbesondere bei der grenzüberschreitenden Beförderung von Schriftstücken vorkämen, dürften ihm nicht angelastet werden. § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG beziehe sich nur auf deutsche Staatsangehörige, wie die Bezugnahme auf § 1 Abs. 2 und 3 EStG zeige. Der Beklagte habe trotz wahrheitsgemäßer Angaben in den Anträgen gemäß § 39 c Abs. 4 Satz 2 EStG unzutreffende Bescheinigungen ausgestellt. Diese Bescheinigungen hätten nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden. Dem Beklagten seien weder Tatsachen noch Beweismittel nachträglich bekannt geworden, die die Nachforderung rechtfertigten. Es fehle daher an der Befugnis, entgegen den Bescheinigungen, auf deren Richtigkeit er vertraut habe, Lohnsteuer nachzufordern.

Der Kläger beantragt,

1. die Lohnsteuer-Nachforderungsbescheide für 1998 vom 20. Dezember 2002 und für 1999 bis 2001 vom 2. Mai 2003 sowie die Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2003 aufzuheben,

2. hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

1. die Klage abzuweisen,

2. hilfsweise die Revision zuzulassen.

Er hält an seiner in der Einspruchsentscheidung vertretenen Ansicht fest.

II. Die Klage ist begründet.

Entgegen der Auffassung des Beklagten lagen nicht alle Voraussetzungen für eine Nachforderung von Lohnsteuer gemäß § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG vor. Die angefochtenen Bescheide sind deshalb rechtswidrig. Sie verletzen den Kläger in seinen Rechten und waren daher nach § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben. Da die Änderungsbescheide für 1999 bis 2001 die Erstbescheide ihrem Regelungsgehalt nach in sich aufgenommen haben und es auch für den Erlass dieser Bescheide an den dafür erforderlichen Voraussetzungen fehlte, bedurfte es keiner ausdrücklichen Aufhebung auch der Erstbescheide für 1999 bis 2001. Ihre Regelungswirkungen entfallen vielmehr mit der Aufhebung der Änderungsbescheide.

1. Der Nachforderungsbescheid für 1998 ist nicht bestandskräftig geworden, so dass das Gericht nicht daran gehindert war, seine Rechtmäßigkeit zu prüfen. Der dagegen eingelegte Einspruch ist zwar - wie der Beklagte zutreffend angenommen hat - nach dem Eingangsstempel erst einen Tag nach Ablauf der Einspruchsfrist eingegangen. Dem Kläger ist jedoch entgegen der Ansicht des Beklagten gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden verhindert war, die Einspruchsfrist einzuhalten.

Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger - wie er behauptet - das Einspruchsschreiben vom 14. Februar 2003 an diesem Tag zur Post gegeben hat. Der Beklagte hat diese Behauptung des Klägers nicht bestritten, sondern sie lediglich für nicht nachgewiesen gehalten. Er hat jedoch dem Kläger dadurch, dass er den Briefumschlag, in dem der Kläger das Schreiben versandt hat, nicht aufbewahrt hat, die einzige Möglichkeit genommen, den behaupteten Aufgabezeitpunkt nachzuweisen. Dies darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 26. März 1997 2 BvR 842/96, Steuerrechtsprechung in Karteiform FGO § 56 R.166, m. w. N.) nicht zu Lasten des Klägers gehen, weil keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass seine Darstellung unglaubhaft ist.

Der Kläger durfte auch darauf vertrauen, dass die Postlaufzeit nicht länger als sechs Tage betragen würde. Er hat zwar keine Auskunft der niederländischen Post vorgelegt, aus der hervorgeht, mit welchen Postlaufzeiten beim Versand eines Briefs von den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland zu rechnen ist. Dem Gericht liegen jedoch sowohl im vorliegenden Verfahren als auch im Verfahren 10 K 2793/04 H (U) internationale Rückscheine vor, nach denen Schriftstücke von der Bundesrepublik Deutschland zu Empfängern in den Niederlanden innerhalb von drei bzw. vier Tagen befördert wurden. Auch wenn es sich dabei um die umgekehrte Beförderungsrichtung handelt, ändert dies nichts daran, dass dieselben Postunternehmen beteiligt sind. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass diese Beförderungsdauer nur für das Jahr 2007 repräsentativ ist und nicht schon im Jahr 2003 üblich war. Der Kläger durfte deshalb nach den gerichtsbekannten Tatsachen zur Beförderungsdauer einer Briefsendung von den Niederlanden nach Deutschland von einer Postlaufzeit von nicht mehr als sechs Tagen ausgehen. Die Verzögerung um einen weiteren Tag und damit die Versäumung der Einspruchsfrist ist ihm daher nicht anzulasten.

2. a) Die Lohnsteuer-Nachforderungsbescheide für 1999 bis 2001 sind nicht schon deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte den Kläger für diese Jahre zur Einkommensteuer veranlagt hat, eine Einkommensteuerveranlagung aber die Höhe der Einkommensteuerschuld abschließend regelt und damit einen daneben ergangenen Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid rechtswidrig macht; denn der Beklagte hat die Einkommensteuerbescheide für 1999 und 2000 vom 16. Oktober 2002 durch Bescheid vom 8. Januar 2003 und den Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 6. Januar 2003 durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung aufgehoben.

b) Nach § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG gilt die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen, bei beschränkt Steuerpflichtigen durch den Steuerabzug als abgegolten. Dies gilt nach § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht, wenn nachträglich festgestellt wird, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht i. S. des § 1 Abs. 2 oder 3 EStG oder des § 1 a EStG nicht vorgelegen haben; § 39 Abs. 5 a EStG ist sinngemäß anzuwenden.

aa) Der Kläger war in den Streitjahren beschränkt steuerpflichtig. Er hatte im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt, erzielte jedoch inländische Einkünfte i. S. von § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a EStG (vgl. § 1 Abs. 4 EStG). Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG erfüllte er nicht. Nach dieser Vorschrift werden auf Antrag auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte i. S. des § 49 EStG haben. Dies setzt jedoch voraus, dass ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 12.000 DM im Kalenderjahr betragen. In den Streitjahren unterlagen weder 90 % der Einkünfte des Klägers der deutschen Einkommensteuer noch lagen seine nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte unter dem Betrag von 12.000 DM. Das Gericht hat keine Erkenntnisse dazu, dass der Kläger in den Niederlanden negative Einkünfte erzielt hat, die nach Verrechnung mit seinen Einkünften aus der Beschäftigung bei der "A" BV dazu geführt haben könnten, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG erfüllt waren. Der Kläger hat dazu nichts vorgetragen; das Gericht hatte daher keinen Anlass zu Ermittlungen in dieser Hinsicht.

bb) Der Beklagte hat auch erst nachträglich i. S. von § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG festgestellt, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht i. S. des § 1 Abs. 3 EStG nicht vorgelegen haben.

Der Kläger hat zwar in seinen Anträgen nach § 39 c Abs. 4 Satz 2 EStG stets Angaben zur Höhe seines in den Niederlanden zu erwartenden Bruttoarbeitslohns gemacht. Dies steht jedoch der nachträglichen Feststellung, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht i. S. des § 1 Abs. 3 EStG nicht vorgelegen haben, nicht entgegen. Das Merkmal "nachträglich festgestellt" ist nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe des Antrags gemäß § 39 c Abs. 4 Satz 2 EStG zu beziehen, sondern auf den Ablauf des letzten Lohnzahlungszeitraums des Kalenderjahres, für das die Bescheinigung gemäß § 39 c Abs. 4 Satz 1 EStG erteilt wird (so auch Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 5. Dezember 2002 8 K 4619/02 L, Entscheidungen der Finanzgerichte EFG - 2003, 979; Herkenroth, in: Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz, § 50 EStG Anm. 339).

Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass sich dies nicht explizit aus dem Wortlaut ergibt. Diese Auslegung ist jedoch nach dem erkennbaren Sinn und Zweck des § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG geboten. Dadurch sollte die Nacherhebung von Lohnsteuer für Fälle sichergestellt werden, in denen beim Lohnsteuerabzug zu Unrecht zu wenig Lohnsteuer einbehalten wurde, z. B. durch Anwendung einer Steuerklasse, deren Voraussetzungen nicht vorlagen (vgl. Bundestags-Drucks. 10/1636, 64). Die Nachforderung ergänzt in diesen Fällen den Lohnsteuerabzug (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Mai 1994 I R 21/93, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE - 174, 430, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1994, 697).

In der Tat kann erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums verbindlich beurteilt werden, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG vorgelegen haben. Ein Arbeitnehmer kann zwar zu Beginn des Veranlagungszeitraums nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einnahmen in einer Größenordnung erwarten, die der Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG entgegenstünden. Wird sein Arbeitsverhältnis allerdings während des Veranlagungszeitraums durch Kündigung, Insolvenz oder andere Umstände aufgelöst, so können die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 EStG vorliegen, ohne dass damit zu rechnen war. Auch durch andere negative Einkünfte, etwa aus Gewerbebetrieb oder Vermietung und Verpachtung, deren Höhe erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums feststeht, kann es zu nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünften kommen, die weder 10 % der insgesamt erzielten Einkünfte noch den absoluten Betrag in Höhe von 12.000 DM überschreiten. Die Angaben im Antrag gemäß § 39 c Abs. 4 Satz 2 EStG beruhen daher auf einer Prognose, wie dies auch die Formulierungen "voraussichtlicher Bruttoarbeitslohn" bzw. "voraussichtliche andere Einkünfte" im Antragsvordruck zum Ausdruck bringen. Demgegenüber verlangt § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG eine nachträgliche Feststellung, d. h. eine abschließende Prüfung, die erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums möglich ist. Die Angaben im Antragsvordruck können daher, auch wenn sie zutreffend sind und sich bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraums keine Änderung ergibt, keinen die Nachforderung hindernden Vertrauensschutz auslösen.

cc) Der Beklagte war auch nicht im Hinblick auf die Bescheinigungen gemäß § 39 c Abs. 4 Satz 1 EStG an der Nachforderung der Lohnsteuer gehindert. Für diese Bescheinigungen gelten die Vorschriften über Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte entsprechend (§ 39 c Abs. 4 Satz 3 EStG). Die Angaben in der Bescheinigung stellen daher gesonderte Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen dar, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen (§ 39 Abs. 3 b Satz 4, § 39 a Abs. 4 Satz 1 EStG). Ihre Wirkungen entfallen, wenn der Arbeitgeber das Lohnkonto des Arbeitnehmers abschließt (§ 41 b Abs. 1 Satz 1 EStG) und Änderungen des Lohnsteuerabzugs durch den Arbeitgeber nicht mehr zulässig sind (§ 41 c Abs. 3 Sätze 1 und 3, § 42 b EStG). Dies war hier zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der angefochtenen Bescheide der Fall (vgl. auch Strunk, in: Korn, Einkommensteuergesetz, § 50 Rz. 50).

dd) Der Beklagte durfte die angefochtenen Bescheide aber deshalb nicht erlassen, weil die Voraussetzungen des sinngemäß anzuwendenden § 39 Abs. 5 a Satz 1 EStG nicht erfüllt sind.

§ 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG regelt unmittelbar nur, dass der Steuerabzug vom Arbeitslohn unter den gegebenen Voraussetzungen keine Abgeltungswirkung hat. Die Zulässigkeit der Nachforderung der zu Unrecht zu wenig einbehaltenen Lohnsteuer beim Arbeitnehmer kann sich im Hinblick auf die angeordnete sinngemäße Anwendung von § 39 Abs. 5 a EStG nur aus § 39 Abs. 5 a Satz 4 EStG ergeben.

Aus § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG geht nicht eindeutig hervor, ob die Anordnung, § 39 Abs. 5 a EStG sinngemäß anzuwenden, als Rechtsgrund- oder als Rechtsfolgenverweisung gedacht ist. Gegen eine Rechtsfolgenverweisung spricht, dass es dafür lediglich einer Verweisung auf § 39 Abs. 5 a Satz 4 EStG oder auf § 39 a Abs. 5 EStG bedurft hätte. Der in § 39 Abs. 5 a Satz 1 EStG geregelte Sachverhalt unterscheidet sich zwar insoweit von dem Sachverhalt, der Gegenstand der Regelung in § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG ist, als es in diesem Fall mit der Höhe der im In- und Ausland erzielten Einkünfte um ein Merkmal geht, das erst am Ende des Jahres feststeht, und bis dahin je nach Entwicklung der Einkünfte § 1 Abs. 3 EStG anwendbar sein kann oder auch nicht, während § 39 Abs. 5 a Satz 1 EStG bei unmittelbarer Anwendung mit dem Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt als Anknüpfungskriterium der unbeschränkten Steuerpflicht an ein Merkmal anknüpft, das zu jedem beliebigen Zeitpunkt abschließend beurteilt werden kann. § 39 Abs. 5 a EStG soll allerdings auch nur "sinngemäß" gelten. Eine sinngemäße Anwendung ist in der Weise möglich, dass darauf abgestellt wird, ob es während des Kalenderjahres zu einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse kommt, die dem Arbeitnehmer Anlass geben muss, die Lohnsteuerbescheinigung gemäß § 39 c Abs. 4 EStG vom Arbeitgeber zurückzuverlangen, um sie der Finanzbehörde zur Entwertung vorzulegen. Da nicht anzunehmen ist, dass es sich bei der Verweisung auf § 39 Abs. 5 a EStG um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers handelt, d. h. nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Gesetzgeber eine sinngemäße Anwendung von § 39 a Abs. 5 EStG anordnen wollte, und eine sinngemäße Anwendung des § 39 Abs. 5 a Satz 1 EStG in der Weise in Betracht kommt, dass im Anwendungsbereich des § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG damit nur Fälle geregelt werden sollten, in denen für den Arbeitnehmer Anlass besteht, aufgrund einer Veränderung der für die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG maßgeblichen Einkünfteverhältnisse eine zunächst zutreffende Bescheinigung nach § 39 c Abs. 4 EStG, die durch diese Veränderung unrichtig wird, zurückzufordern, entscheidet sich das Gericht für die Auslegung, dass es sich um eine Rechtsgrundverweisung handelt (so wohl auch Gosch, in: Kirchhof, Einkommensteuergesetz, § 50 Rn. 24; Herkenroth, in: Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz, § 50 EStG Anm. 352; anders wohl Nieland, in: Lademann, Das Einkommensteuerrecht, § 50 Anm. 99).

In den für die Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen des Klägers, d. h. bezogen auf seine in den Streitjahren erzielten Einkünfte, sind keine Änderungen eingetreten. Der Kläger hatte daher keinen Anlass, die Lohnsteuerbescheinigungen von seinem Arbeitgeber zurückzufordern und dem Beklagten vorzulegen. Diese Bescheinigungen waren vielmehr von vornherein unzutreffend, ohne dass dies auf fehlerhaften Angaben des Klägers beruht. Eine derartige Situation ist auch bei sinngemäßer Anwendung nicht Gegenstand der Regelung in § 39 Abs. 5 a Satz 1 EStG. Es fehlt daher an den Voraussetzungen für eine Nachforderung nach § 39 Abs. 5 a Satz 4 EStG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Der BFH hat bislang - soweit ersichtlich - nicht geklärt, ob die Verweisung in § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG als Rechtsgrund- oder als Rechtsfolgenverweisung zu verstehen ist und wie § 39 Abs. 5 a Satz 1 EStG für den Fall, dass es sich um eine Rechtsgrundverweisung handelt, anzuwenden ist, wenn die Finanzbehörde aufgrund eines Versehens eine von Anfang an unrichtige Lohnsteuerbescheinigung nach § 39 c Abs. 4 EStG ausstellt. Ungeklärt ist ferner, ob § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG auch dann anwendbar ist, wenn nicht während des Veranlagungszeitraums ein Wechsel der für die Behandlung als unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig maßgebenden Verhältnisse eintritt, sondern der Steuerpflichtige zu Beginn des Veranlagungszeitraums beschränkt steuerpflichtig war und dies den gesamten Veranlagungszeitraum hindurch geblieben ist (vgl. dazu auch Strunk, in: Korn, Einkommensteuergesetz, § 50 Rz. 49 f.; Nieland, in: Lademann, Das Einkommensteuerrecht, § 50 Anm. 97).

Ende der Entscheidung

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