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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.02.2009
Aktenzeichen: 10 K 501/08 Kg
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, EStG


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71
EStG § 65 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Bewilligung von Kindergeld für ein in Polen lebendes Kind.

Der Kläger ist polnischer Staatsbürger. Er wohnt zusammen mit seiner Ehefrau und der am 25.4.1991 geborenen Tochter Polen. Nach eigenen Angaben unterliegt er in seinem Heimatland auch der dort bestehenden Sozialversicherungspflicht (Bl. 8 der Kindergeldakte).

Im Kalenderjahr 2006 war der Kläger allerdings beruflich in Deutschland tätig und hatte am Beschäftigungsort auch eine Wohnung erhalten. Als Arbeitgeberin hatte der Kläger zunächst eine Firma "X GmbH" angegeben. Nach dem Inhalt einer zu den Gerichtsakten (Bl. 26) gereichten Lohnsteuerbescheinigung für den Zeitraum vom 1.1. bis 1.12. 2006 hatte er von dem genannten Betrieb für die im Inland ausgeübte Tätigkeit einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 12.894,93 EUR bezogen. Davon waren lediglich die Lohnsteuer und der Solidaritätszuschlag einbehalten worden, nicht jedoch Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag und zur gesetzlichen Rentenversicherung. Die Steuern waren an das Finanzamt (FA) abgeführt worden und dort war auch für den Kläger und seine Ehefrau für das Jahr 2006 eine Veranlagung zur Einkommensteuer erfolgt (Bl. 9 der Kindergeldakte).

Nach der Beendigung seiner Tätigkeit im Inland beantragte der Kläger bei der Beklagten, für seine Tochter Kindergeld zu bewilligen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 18.12.2007; Bl. 12 der Kindergeldakte). Den dagegen eingelegten Einspruch, in dem der Kläger insbesondere auf die während seiner Tätigkeit in Deutschland eingetretene unbeschränkte Einkommensteuerpflicht hingewiesen hatte, wies sie durch Einspruchsentscheidung vom 14.1.2008 als unbegründet zurück. Dazu führte sie aus, dass der Kläger während seiner Tätigkeit nicht in Deutschland, sondern nur in Polen sozialversichert gewesen sei. Nach der Regelung des Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a der unter dem 14. Juni 1971 erlassenen Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO <EWG> 1408/71), sei daher deutsches Kindergeldrecht nicht anwendbar.

Mit der Klage hat der Kläger zunächst geltend gemacht, dass ihm für das Kalenderjahr 2006 Kindergeld in Höhe von 1.694,70 EUR zustehe (Bl. 6 der Gerichtsakte). Dieser Betrag errechne sich aus dem nach den Regelungen der §§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu zahlenden Beträgen (1.848,-- EUR) abzüglich des für seine Tochter in Polen gewährten Kindergeldes (153,30 EUR).

Nach einer Bitte des Gerichts, den Sachverhalt weiter aufzuklären und insbesondere auch den für die Tätigkeit in Deutschland maßgeblichen Arbeitsvertrag vorzulegen, hat der Kläger seine Angaben korrigiert und trägt nunmehr abschließend Folgendes vor:

Der ursprüngliche Vortrag, dass in Polen Kindergeld ausgezahlt worden sei, beruhe auf einem Irrtum. Tatsächlich habe ihm ein solcher Anspruch nicht zugestanden. Folglich mache er das in der Bundesrepublik Deutschland zu zahlende Kindergeld nicht nur in einer verminderten, sondern in voller Höhe (1.848,-- EUR) geltend.

Ferner sei nach den Feststellungen des Gerichts in einem anderweitigen Verfahren (10 K 404/08 Kg), das der Beklagten und auch seinem Prozessvertreter bekannt sei, eine Firma "X GmbH" in Deutschland offenbar nicht existent. Es müsse daher davon ausgegangen werden, so der Prozessvertreter des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 17.2.2009, dass im Streitfall ein Sachverhalt vorliege, der nach den zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen abgeschlossenen Vereinbarungen zur Entsendung polnischer Arbeitnehmer ins Inland vielfach anzutreffen gewesen sei. Danach habe er (der Kläger) seine Tätigkeit im Auftrag eines zumindest formal in Polen angesiedelten Kooperationspartners des inländischen Auftraggebers ausgeführt. Mit der in verschiedenen Unterlagen auftauchenden Bezeichnung "X GmbH" habe man deshalb wohl lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass dieses Unternehmen in einer der deutschen GmbH vergleichbaren Rechtsform geführt werde.

In jedem Fall sei er für den Zeitraum seines Aufenthalts in Deutschland als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln, denn während dieser Zeit sei er in einem Quartier untergebracht gewesen, das ihm der deutsche Auftraggeber gestellt habe. Hierfür habe der (formale) polnische Arbeitgeber keine Miete gezahlt, folglich habe insoweit nur der deutsche Auftraggeber eine Leistung erbracht und sei deshalb gleichsam als Entleiher anzusehen. Daher sei auch zweifelhaft, ob eine arbeitsrechtliche Bindung (allein) zu seinem (formalen) polnischen Arbeitgeber bestanden habe. Dort sei er nämlich nur während seiner Entsendung nach Deutschland beschäftigt gewesen, in der Zeit davor und danach sei er arbeitslos gewesen. Eine Montagetätigkeit im Ausland unter Beibehaltung eines einheitlichen Arbeitsverhältnisses liege daher nicht vor. Außerdem habe der polnische Arbeitgeber keine auf das Direktionsrecht gestützte arbeitsrechtliche Kontrolle ausgeübt, Anweisungen für seine Tätigkeit habe er vielmehr allein durch Führungskräfte des deutschen Auftraggebers erhalten.

Ob der sich bei diesem Sachverhalt ergebende Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld allein auf der Anwendung der deutschen Regelungen zum Kindergeld beruhe oder ob er sich aus der VO <EWG> 1408/71 ergebe bzw. aus der unter dem 21. März 1972 erlassenen Verordnung <EWG> Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung <EWG> Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie ihrer Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO <EWG> Nr. 574/72 >), könne letztlich dahinstehen. Nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH; Entscheidung vom 20. Mai 2008 in der Rechtssache C-352/06 Bosmann, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008, 877) stehe ihm jedenfalls das Kindergeld unabhängig davon zu, ob im Streitfall Polen oder Deutschland als Beschäftigungsland anzusehen sei. Dem Wohnsitzstaat (hier Deutschland) sei es nämlich unbenommen, Familienleistungen in Anknüpfung an diesen Wohnsitz zu gewähren, auch wenn Beschäftigungsland im Sinne der VO (EWG) 1408/71 ein anderer Staat sei. Hierbei schließe die Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG den Anspruch nicht aus, weil bei Ansprüchen auf Familienleistungen in mehreren Mitgliedstaaten der EU ausschließlich die Kollisionsregelungen der Art. 76 VO (EWG) 1408/71 und Art. 10 VO (EWG) 574/72 anwendbar seien.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 18.12.2007 und der Einspruchsentscheidung vom 14.1.2008 die Beklagte zu verpflichten, ihm für seine Tochter Kindergeld für 2006 zu gewähren,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger wird durch den ablehnenden Bescheid vom 18.12.2007 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung <FGO>), denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, Kindergeld festzusetzen.

Allerdings ist es richtig, dass der Kläger im Streitjahr 2006 einen Wohnsitz im Inland gehabt hat und deshalb im Prinzip eine Anwendung deutscher Kindergeldregelungen in Betracht kommt. Im Streitfall können die Bestimmungen des EStG den Anspruch des Klägers jedoch nicht stützen, denn sie sind neben den durch übergeordnetes EU-Recht als maßgeblich bestimmten polnischen Rechtsvorschriften nicht anwendbar.

1. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus der VO (EWG) 1408/71.

Deren Anwendung wiederum ist geboten, weil wegen der den Streitfall kennzeichnenden grenzüberschreitende Merkmalekeinsogenannter reiner Inlandssachverhalt vorliegt (vergl. dazu Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach D, I. Kommentierung Europarecht, Art. 73 Rz. 5). Der Kläger ist vielmehr als Arbeitnehmer im Sinne des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Buchstabe a der genannten VO einzustufen. Nach seinem eigenen Vortrag unterliegt er nämlich den polnischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit, ist aber während des Streitjahres 2006 in einem anderen Mitgliedstaat der EU, nämlich Deutschland, einer nichtselbständigen Tätigkeit nachgegangen. Damit handelt es sich aus Sicht der VO (EWG) 1408/71 um einen innerhalb der Gemeinschaft zugewanderten Arbeitnehmer.

Dabei geht das Gericht davon aus, dass mit der Regelung in Anhang I Teil I E der VO (im Streitzeitraum: Anhang I Teil I D) keine Einschränkung des allgemeinen persönlichen Anwendungsbereichs der VO (EWG) 1408/71 verbunden ist, sondern lediglich eine Einschränkung ihres persönlichen Anwendungsbereichs hinsichtlich der Familienleistungen. Zwar "verdrängt" die Definition in Anhang I Teil I E die Definition in Art. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71, jedoch nicht mit Wirkung für die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften (vergl. die Überschrift des Titels II), sondern nur für die Bestimmung des Personenkreises, der Anspruch auf Familienleistungen hat (vergl. dazu auch das EuGH-Urteil vom 5. März 1998 in der Rechtssache C-194/96, Kulzer, Slg. I 1998, 895). Auch nach dem Einleitungssatz des Anhangs I Teil I E gilt die Definition ausdrücklich nur "für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung". Die Regelung in Anhang I Teil I E soll folglich nicht über die Anwendbarkeit eines gesamten Sozialversicherungssystems eines Mitgliedstaates, das heißt über den gesamten sachlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 im Sinne ihres Art. 4 entscheiden, sondern nur über den persönlichen Anwendungsbereich hinsichtlich der Leistungsart "Familienleistung" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) 1408/71. Damit ist vorrangig zu prüfen, welche Rechtsvorschriften nach den Art. 13 ff. VO (EWG) 1408/71 anzuwenden sind.

Grundsätzlich sind dies nach Art. 13 Abs. 2 VO (EWG) 1408/71 die Bestimmungen desjenigen Mitgliedsstaates der EU, in dessen Gebiet ein Arbeitnehmer im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt wird, hier die Bundesrepublik Deutschland. Im Streitfall wird jedoch die Grundregel des Art. 13 Abs. 2 VO (EWG) 1408/71 durch die Ausnahmebestimmung des Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 überlagert. Danach unterliegt nämlich eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt wird, zur Ausführung einer bestimmten Arbeit aber von diesem Unternehmen für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaates, hier Polen, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ablöst, für welche die Entsendungszeit abgelaufen ist.

Diese Voraussetzungen haben nach der Überzeugung des Gerichts (§ 96 Abs. 1 FGO) für den Streitzeitraum vorgelegen.

Der Kläger hat nämlich, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass er im Zeitraum vom 1.1. bis 1.12. 2006 nicht von einem deutschen Unternehmen als Arbeitnehmer angestellt gewesen sei, sondern von einer in Polen ansässigen Firma X. Diese wiederum hat ihn zur Ausführung einer Arbeit für deren Rechnung nach Deutschland entsandt. Das hat der Kläger schriftsätzlich (z. B. Schriftsatz vom 7.8.2008; Bl. 75) und auch in der mündlichen Verhandlung selbst vorgetragen. Zwar hat er ausgeführt, dass das Arbeitsverhältnis zur Firma X in Polen lediglich einen formalen Charakter gehabt habe, diesem Vortrag vermag das Gericht aber nicht zu folgen. Zum einen hat der Kläger seine Darstellung des Sachverhalts nicht mit konkreten Tatsachen untermauert, denn er hat weder mitgeteilt, mit welchem deutschen Auftraggeber die Firma X "kooperiert" hat, noch hat er den von der Firma X ausgeführten Auftrag nach Ort und Zeit oder die hierbei maßgeblichen Vertragsverhältnisse näher bezeichnet. Zum anderen haben sich Zweifel an der Richtigkeit des vom Kläger behaupteten Sachverhalts ergeben. So war er offenbar nicht nur für die Zeit seines Einsatzes in Deutschland bei der Firma X beschäftigt, sondern bereits seit dem 19.10. 2005. Das ergibt sich aus der vom Kläger selbst zu den Gerichtsakten (Bl. 49, 50) gereichten Bescheinigung vom 7.12.2005 (Übersetzung des Vordrucks: Bl. 51, 52).

2. Soweit der Kläger sein Klagebegehren darauf stützen will, dass deutsches Kindergeldrecht neben den nach Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 anzuwendenden polnischen Rechtsvorschriften einschlägig sei, folgt das Gericht dem ebenfalls nicht.

Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO (EWG) 1408/71 unterliegen Personen, für die diese VO gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Dadurch sollen nach der ständi-gen Rechtsprechung des EuGH die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden (Urteil vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache C-60/85, Luijten, Slg. 1986, 2365). Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist im Beschluss vom 8. Juni 2004 - 2 BvL 5/00 (Entscheidungen des BVerfG 110, 412) von diesem Zweck der Bestimmungen des Titels II der VO (EWG) 1408/71 ausgegangen.

Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des EuGH vom 20. Mai 2008 (Rechtssache C-352/06 Bosmann, a.a.O.) beruft, ergibt sich daraus keine andere Beurteilung.

Dieser Entscheidung kommt nämlich nicht die Bedeutung zu, die ihr der Kläger zumisst, denn der EUGH hat auch in dieser Entscheidung erneut betont, dass nach den Regelungen der VO (EWG) 1408/71 Arbeitnehmer grundsätzlich nur dem sozialen Sicherungssystem eines Mitgliedstaates unterliegen sollen und deshalb in diesem Fall grundsätzlich niederländisches Recht anzuwenden sei. Allerdings sei damit, so der EuGH, dem Wohnsitzstaat (Bundesrepublik Deutschland) "nicht die Befugnis abgesprochen", den in seinem Gebiet wohnhaften Personen Familienbeihilfen zu gewähren. Ob das deutsche Recht ausgehend von dieser Befugnis, einen entsprechenden Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld vorsehe, sei dann aber ausschließlich nach nationalen Vorschriften zu entscheiden.

Im Streitfall besteht ein solcher Anspruch nicht.

Zwar mag es sein, dass nach den Ausführungen des EuGH der deutsche Staat durch die VO (EWG) 1408/71 nicht gehindert wird, neben den nach dieser VO anzuwendenden polnischen Rechtsvorschriften auch deutsches Kindergeldrecht zur Anwendung zu bringen, von dieser Befugnis hat der deutsche Staat aber keinen Gebrauch gemacht.

In den Regelungen der §§ 62 ff. EStG ist keine Bestimmung enthalten, nach deren Inhalt Kindergeld (auch) nach Maßgabe deutscher Rechtsvorschriften bewilligt werden kann, wenn nach dem Wortlaut der VO (EWG) 1408/71 ausschließlich die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates Anwendung finden. Eine solche Anwendungsbestimmung zugunsten des nationalen Rechts ist jedoch erforderlich (so auch schon das Urteil des erkennenden Senats vom 22. Dezember 2008 - 10 K 404/08 Kg, abruf-bar bei [...] und unter www.justiz.nrw.de; anderer Ansicht offenbar Finanzgericht <FG> Niedersachsen , Urteil vom 24. Januar 2008 - 1 K 83/07, Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1570, und FG Köln, Urteil vom 25. September 2008 - 10 K 4830/05, abrufbar bei [...]). Die Bestimmungen der EU gehen nämlich als überstaatliches Recht regelmäßig den nationalen Rechtsvorschriften vor und begrenzen deren Anwendungsbereich. Das gilt nach ihrem Wortlaut gerade für die VO (EWG) 1408/71, denn danach werden durch den ausdrücklichen Anwendungsbefehl bezüglich der "Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates" zwangsläufig die Bestimmungen eines anderen Staates gleichsam ausgeschaltet. Für dessen weitere (auch nur teilweise) Anwendung bedarf es deshalb, zumindest in Deutschland, einer gesetzlichen Regelung, welche die Anwendung dieser Rechtsvorschriften wieder zulässt.

Eine solche gesetzliche Regelung ergibt sich nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht schon daraus, dass das EStG für den Regelfall die Bewilligung von Kindergeld nur von einem Wohnsitz im Inland abhängig macht (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und im Übrigen die Anwendung deutschen Rechts neben ausländischem Recht nicht ausdrücklich untersagt. Der Wohnsitz ist nämlich zunächst nur das Kriterium, das der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland für das in seinem Verantwortungsbereich liegende Rechtssystem zur Bewilligung des Kindergeldes vorgegeben hat, wobei diese Leistung in das gesamte System eingebettet ist, das auch Steuern, Sozialabgaben und Sozialleistungen umfasst. Soweit es um Sachverhalte mit Auslandsbezug geht, sieht dieses System eine Reihe von Beschränkungen vor, etwa für den Bezug von Kindergeld durch Ausländer (§ 62 Abs. 2 EStG) oder die Versagung der Bewilligung von Kindergeld bei vergleichbaren Leistungen im Ausland (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Derartige Beschränkungen dienen in der Regel der Koordinierung von Ansprüchen, die bei grenzüberschreitenden Sachverhalten entstehen können. In einer Vielzahl von Staaten ist nämlich im Zusammenhang mit der Bewilligung von Kindergeld das sogenannte Beschäftigungslandprinzip verbreitet, das heißt, der Familienleistung wird die Funktion einer Ergänzung zum Arbeitseinkommen zugewiesen. Angesichts dieser abweichenden Regelungen kann folglich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ein gänzlicher Ausfall von Familienleistungen oder eine doppelte Begünstigung eintreten. Diesen Schwierigkeiten begegnet man im internationalen Recht vielfach über eine vorrangige Anwendung des Beschäftigungslandprinzips, das heißt, der auf einem Beschäftigungsverhältnis beruhende Anspruch auf Familienleistungen, namentlich Kindergeld, geht einem Anspruch im Wohnland vor. Stimmt also die Bundesrepublik Deutschland in internationalen Verträgen der vorrangigen Anwendung des Beschäftigungslandprinzips zu, führt diese Entscheidung nicht zu einer Ausweitung der Bewilligungskriterien, das heißt, selbst für Grenzgänger ist im Wohnland Kindergeld regelmäßig nicht zu zahlen, sondern es ist ausschließlich das Recht des Beschäftigungslandes anwendbar (vergl. auch dazu die bereits erwähnte Entscheidung des BVerfG vom 8. Juni 2004 <2 BvL 5/00, a.a.O.>). Das zeigt auch die bereits erwähnte Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, die eine Begrenzung deutscher Familienleistungen vorsieht, wenn im Ausland, etwa in Anwendung des dort geltenden Beschäftigungslandprinzips, Familienleistungen zu bewilligen sind.

Für das EU-Recht ist von den gleichen Überlegungen auszugehen. Auch das in der VO (EWG) 1408/71 verankerte Beschäftigungslandprinzip dient lediglich dazu, Familienleistungen im EU-Raum nach möglichst einheitlichen Kriterien zu gewähren, nicht aber dazu, Ansprüche auszuweiten. Das zeigt schon die bereits erwähnte Regelung in Anhang I Teil I E der VO (EWG) 1408/71 (im Streitzeitraum: Anhang I Teil I D), nach deren Inhalt eine nach Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 mögliche (auf dem Beschäftigungslandprinzip beruhende) Zuweisung zum deutschen Recht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Außerdem wäre es kaum verständlich, dass bei denjenigen Staaten der EU, die sich hinsichtlich der Bewilligung von Familienleistungen im jeweiligen Inland für das Wohnlandprinzip entschieden haben, allein dies dafür sprechen soll, dass sie diese Regelung neben den nach der EU-VO maßgeblichen Bestimmungen eines anderen Staates haben bestehen lassen wollen, während bei anderen Staaten, die im jeweiligen Inland Familienleistungen nach dem Beschäftigungslandprinzip bewilligen, ein solcher Wille nicht festgestellt werden kann. Dieses unterschiedliche Ergebnis ist vielmehr nur auf die Auswahl der Kriterien zur Auszahlung von Familienleistungen zurückzuführen, nicht aber auf den Willen eines Staates, neben dem Beschäftigungsprinzip auf jeden Fall auch dem Wohnlandprinzip Geltung zu verschaffen.

Soweit der Kläger demgegenüber geltend macht, dass er in Polen keinen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld gehabt habe und sich deshalb der beschriebene Zweck der EU-Regelungen gar nicht auswirken könne, folgt das Gericht seiner Argumentation ebenfalls nicht. Auch wenn das Gericht den Klagevortrag als richtig unterstellt, kann die Bewilligung von Kindergeld in Deutschland nur im Wege einer Durchbrechung der Regelungen der VO (EWG) 1408/71 erfolgen. Dies wiederum ist, selbst wenn diese Durchbrechung nicht schon aus sich heraus als ein Verstoß gegen EU-Recht einzustufen wäre, nur mit einer eindeutigen gesetzlichen Bestimmung möglich.

Richtig ist allerdings, dass in zwischenstaatlichen Verträgen die im ersten Staat begründeten Ansprüche in der Weise hinter die im zweiten Staat entstandenen Ansprüche zurückgestellt werden können, dass sie wieder "aufleben", wenn Ansprüche im zweiten Staat, etwa wegen des Erreichens einer dort geltenden Altersgrenze, fortfallen. Eine solche Möglichkeit sieht die VO (EWG) 1408/71 jedoch nicht vor. Diese koordiniert mögliche Ansprüche vielmehr in der Weise, dass die Anwendung von "Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates" vorgesehen wird. Das aber heißt, dass in demjenigen Staat, dessen "Rechtsvorschriften" nicht (mehr) anwendbar sind, Ansprüche, die wieder "aufleben" könnten, gar nicht erst entstehen. Dies wird gerade im Streitfall in besonderer Weise deutlich, weil er, wie schon der unter dem 22. Dezember 2008 vom erkennenden Senat entschiedene Rechtsstreit (10 K 404/08 Kg), in einem wesentlichen Punkt von dem Sachverhalt, den der EuGH beurteilt hat, abweicht. Der Kläger hat nämlich bis zu seiner Entsendung nach Deutschland ausschließlich den polnischen Rechtsvorschriften unterlegen, ihm war in Deutschland also kein Kindergeld bewilligt worden. Folgt man dem Wortlaut der Regelung des Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71 hat sich an diesem Zustand während der Entsendung nichts geändert, denn der Kläger hat "weiterhin" den polnischen Rechtsregelungen unterlegen. Durch die Anwendung des EU-Rechts sind ihm also keine bereits erworbenen Ansprüche wieder entzogen worden (vergl. dazu die ergänzenden Ausführungen des EuGH in der bereits erwähnten Entscheidung vom 20. Mai 2008 in der Rechtssache C-352/06, a.a.O.)., vielmehr ist die Entstehung von Ansprüchen in der Bundesrepublik Deutschland verhindert worden. Das aber ist gerade die von VO (EWG) 1408/71 angewandte Form der "Koordinierung" unterschiedlicher Ansprüche in verschiedenen Staaten, denn für Rechte, die gar nicht erst entstehen, bedarf es keiner weiteren Abgrenzung mehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war schon im Hinblick auf die beim Bundesfinanzhof bereits anhängigen Verfahren (III R 12/08 und III R 5/09) nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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