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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 07.06.2001
Aktenzeichen: 11 K 854/99 BG
Rechtsgebiete: BewG 1997


Vorschriften:

BewG 1997 § 145 Abs. 3
BewG 1997 § 146 Abs. 6
BewG 1997 § 152
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

07.06.2001

11 K 854/99 BG

EFG 2001 S. 1180

Zulässige Rückwirkung der im BewG 1997 enthaltenen Mindestbewertungsreglung

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreites.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht für ein am 22.02.1996 auf Grund eines Vermächtnisses erworbenes, bebautes Grundstück einen Mindestwert im Sinne des § 146 Abs. 6 Bewertungsgesetz (BewG) in der Fassung des Jahressteuergesetzes ( JStG) 1997 vom 20.12.1996 festgestellt hat.

Der Kläger hat von der am 22.02.1996 verstorbenen Frau A das 4.819 qm große Grundstück B-Weg in C auf Grund eines Testamentes vom 24.6.1995 als Vermächtnis zugewandt erhalten. Das Grundstück ist mit einem seit 1967 bezugsfertigen von der Vermächtnisgeberin selbstgenutzten Zweifamilienhaus bebaut. Mit Einheitswertbescheid (Wertfortschreibung auf den 1.1.1978) vom 2.1.1978 wurde der Einheitswert für Zweifamilienhausgrundstück auf 108.000,-- DM festgestellt.

Mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts zum 22.02.1996 vom 30.04.1999 wurde der Grundstückswert für das bebaute Grundstück auf 2.120.000,-- DM festgestellt. Eine Wertermittlung nach dem Ertragswertverfahren gemäß § 146 Abs. 2 bis 5 BewG ergab einen Ertragswert in Höhe von 125.724,-- DM. Den Mindestwert im Sinne des § 146 Abs. 6 BewG ermittelte der Beklagte unter Zugrundelegung einer Grundstücksfläche von 4.819 qm und einem Bodenrichtwert von 550,-- DM pro qm auf 2.650.450,-- DM. Unter Berücksichtigung des Abschlages von 20 % ergab sich somit ein Mindestwert von 2.120.360,-- DM. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein.

Mit Schreiben vom 30.10.1998 bat der Beklagte den Gutachterausschuss der Stadt Cum schriftliche Mitteilung des Bodenrichtwertes für das Grundstück B-Weg in C und um die Mitteilung, ob der Bodenwert für das gesamte Grundstück gelte. Daraufhin hat der Gutachterausschuss für Grundstückswerte in C in seiner Sitzung am 24.11.1998 unter Berücksichtigung vorliegender Kauffälle vergleichbarer Objekte folgenden Bodenrichtwert für Grundstücke in B für eine Villenbauweise zum 01.01.1996 beschlossen: 500,-- DM pro qm bei einer Grundstücksgröße von ca. 2.000 qm; bei Grundstücken mit einer Größe von 1.500 qm ist der Preis 50,-- DM pro qm zu erhöhen und bei einer Grundstücksgröße von 2.500 qm um 50,-- DM pro qm zu reduzieren. Mit Einspruchsentscheidung vom 22.01.1999 stellte der Beklagte den Grundstückswert auf 1.734.000,-- DM fest. Diesen Mindestwert im Sinne des § 146 Abs. 6 BewG berechnete der Beklagte auf Grund einer Grundstücksfläche von 4.819 qm und einem Bodenrichtwert von 450,-- DM pro qm unter Berücksichtigung des Abschlages von 20 %.

Der Kläger hat am 11.02.1999 Klage erhoben.

Er ist der Ansicht, dass die Anwendung der im Jahressteuergesetz 1997 vom 20.12.1996 geregelten Bewertungsvorschriften auf den Erbfall vom 22.02.1996 wegen Rückwirkung verfassungswidrig sei. Zur Begründung seiner Rechtsansicht beruft sich der Kläger auf die Aufsätze von Koops/Sensburg, DB 1998, 1299, Meine ZEV 1999, 210 und Schaumburg FAZ vom 24.03.2001. Ferner ist der Kläger der Ansicht, dass eine Erhöhung der Erbschaftsteuer um mehr als 2.500 % außerhalb des Gerechtigkeitsgebotes liege und einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip darstelle. Es könne nicht richtig sein, dass ein Erbe daran gehindert sei, das Erbe selbst zu nutzen und gezwungen sei, es zu verkaufen, nur um die Erbschaftsteuer bezahlen zu können.

Die Vertreterin des Beklagten hat sich im Erörterungstermin am 8.5.2001 verpflichtet, nachdem die Beteiligten sich im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung über den Grundstückswert geeinigt hatten, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts zum 22.02.1996 vom 30.04.1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.01.1999 insoweit zu ändern, als der Grundstückswert auf 1,7 Mio DM herabgesetzt wird. Gegen den daraufhin ergangenen Änderungsbescheid vom 16.05.2001 hat der Kläger Einspruch eingelegt. Diesen begründet er u. a. damit, dass von dem Wert von 1.700.000,-- DM zumindest ein Abschlag von 20 % vorgenommen werden müsse. Den Einspruch hat der Kläger inzwischen zurückgenommen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts zum 22.02.1996 vom 16.05.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt - soweit der Antrag des Klägers über die zugesagte Änderung hinausgeht -,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass das zu bewertende Grundstück zutreffend bewertet worden sei.

Ein Verstoß gegen das Gerechtigkeitsgebot und das Rechtsstaatsprinzip bestehe nicht, denn der sich auf Grund der Neufassung des Erbschaftsteuergesetzes für den Kläger ergebende Steuersatz nach Steuerklasse 3 betrage 35 %, während der Steuersatz nach altem Recht 50 % betragen hätte. Außerdem habe der Gesetzgeber gerade mit der Neuregelung des Bewertungsgesetzes und des Erbschaftsteuergesetzes dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entsprochen, die unterschiedliche steuerliche Belastung von Grundbesitz und sonstigem Vermögen zu beseitigen. Das BVerfG habe dem Gesetzgeber für eine gesetzliche Neuregelung eine Frist bis 31.12.1996 eingeräumt. Darüber hinaus habe das BVerfG keine Bedenken gegen die Weitergeltung der Vermögensteuer bis zum 31.12.1996 geäußert (vgl. BVerfG vom 30. März 1998 1 BvR 1831). Die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit das Erbschaftsteuergesetz verfassungswidrig sei, könne nicht Gegenstand der anhängigen Klage sein, weil sie sich gegen die besondere Feststellung des Grundstückswertes im Sinne des § 138 Abs. 5 BewG richte.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Gründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Beklagte hat den Grundstückswert des streitigen Grundstücks zu Recht auf 1.700.000,-- DM festgestellt.

Zwar hat der Beklagte den Wert des streitigen Grundstücks auf Grund des § 146 Abs. 6 BewG in Verbindung mit § 145 Abs. 3 BewG in der Fassung des JStG 1997 vom 20. Dezember. 1996 festgestellt, obwohl der Kläger das streitige Grundstück durch Vermächtnis bereits am 22.02.1996 erworben hat. Dies ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Das JStG 1997 ist gemäß Art. 32 Abs. 1 des JStG am 28. Dezember 1996, dem auf die Verkündung folgenden Tag, in Kraft getreten. Nach § 152 BewG in der Fassung des JStG 1997 ist diese Fassung des Gesetzes für die Erbschaftsteuer erstmals zum 01.01.1996 anzuwenden. Es handelt sich bei der zeitlichen Anwendungsregelung des § 152 BewG daher um eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen (so genannte echte Rückwirkung) im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67). Grundsätzlich erlaubt das Grundgesetz nach der Rechtsprechung des BVerfG nur ein belastendes Gesetz, dessen Rechtsfolgen für einen frühestens mit der Verkündung beginnenden Zeitraum eintreten. Die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten, ist grundsätzlich unzulässig. Der von einem Gesetz Betroffene muss grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der Verkündung einer Neuregelung darauf vertrauen können, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen wird. Dieser Schutz des Vertrauens in den Bestand der ursprünglich geltenden Rechtsfolgenlage findet seinen verfassungsrechtlichen Grund nach der Rechtsprechung des BVerfG vorrangig in den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen insbesondere des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit . Das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot darf allein aus zwingenden Gründen des gemeinen Wohls oder wegen eines nicht- oder nicht mehr- vorhandenen schutzbedürftigen Vertrauen des Einzelnen durchbrochen werden (vgl. BVerfG-Beschluss, BVerfGE 97, 67).

Eine solche Ausnahme liegt nach Auffassung des Senats im Streitfall vor. Die Anwendung der neuen Bewertungsvorschriften ab dem 01.01.1996 folgt aus den Vorgaben des BVerfG im Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91 BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671, in dem das BVerfG angeordnet hat, dass der Gesetzgeber verpflichtet sei, eine Neuregelung spätestens bis zum 31. Dezember 1996 zu treffen, dass das bisherige Recht längstens bis zum 31. Dezember 1995 anwendbar sei und dass es ab diesem Zeitpunkt bei der Regelung des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO verbleibe, die die Finanzverwaltung ermächtige, im Falle der verfassungsgerichtlichen Feststellung der Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz die Steuer auf der Grundlage dieses Gesetzes vorläufig festzusetzen. Auf Grund der Anordnungen des BVerfG kann nicht davon ausgegangen werden, dass das BVerfG für den Zeitraum vom 01.01.1996 bis zum Inkrafttreten der Neuregelung eine materiell-rechtliche Regelungslücke in Kauf genommen hat. Denn da nach der Entscheidung des BVerfG eine vorläufige Steuerfestsetzung einschließlich ihrer nachträglichen Korrektur zulässig sein soll, kann die Entscheidung nur dahingehend verstanden werden, dass ab dem 01.01.1996 vorläufige Veranlagungen zulässig blieben, die jedoch keinen endgültigen Steueranspruch begründen durften. Daraus folgt, dass die Neuregelung, die bis zum 31. Dezember 1996 herbeizuführen war, zwingend ab dem 01.01.1996 anzuwenden war. Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich im Streitfall somit nicht um eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung eines Steuergesetzes, sondern um eine vom Verfassungsgericht angeordnete Rückwirkung eines Steuergesetzes (vgl. FG Berlin, Urteil vom 22. Juni 2000 5 K 5183/99, EFG 2000, 1344 zu § 37 Abs. 1 ErbStG, Revision eingelegt, Az. des BFH II R 74/00; FG München, Beschluss vom 19. Oktober 1998 4 V 4974/97, DStRE 1999, 268; Wittmann, BB 1997, 548; Meincke, ErbStG, 11. Auflage, § 37 Tz. 2; Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer, § 37, Tz. 2; Halaczinski in Rössler/Troll, BewG, § 152 Tz. 3; Christoffel in Gürsching/Stenger, BewG und VStG, § 152 BewG Tz. 13; anderer Ansicht: Koops/Sensburg, DB 1998, 1299; Meine, ZEV 1999, 210; Klein, in Festschrift für Hans Flick, 327, 337).

Die Begründung der Verfassungswidrigkeit des JStG 1997 von Klein, a.a.O., damit, dass das BVerfG zwar eine rückwirkende Inkraftsetzung des ErbStG zur Behebung der Verfassungswidrigkeit zugelassen habe, nicht aber eine Verdoppelung der Erbschaftsteuer, richtet sich nicht gegen die Neuregelung der Bewertung. Auf Grund der Entscheidung des BVerfG musste die Bewertung des Grundvermögens der Bewertung des Kapitalvermögens angepasst werden. Das BVerfG hat im Zurückbleiben der Einheitswerte, die für die Bewertung des Grundvermögens herangezogen wurden, hinter den zeitnahen Werten, die z. B. für die Bewertung von Kapitalvermögen herangezogen wurden, einen Widerspruch zur Konzeption des ErbStG gesehen (vgl. BVerfG-Beschluss BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671, 674). Die erforderlichen Änderungen der Bewertungsvorschriften konnten somit nach Ansicht des BVerfG, auch soweit sie die Steuerpflichtigen belasten, unter Anordnung einer Rückwirkung auf den 01.01.1996 erlassen werden (vgl. auch Meine, a.a.O., 214). Entgegen der Ansicht von Koops/Sensburg, a.a.O., verletzt die Rückwirkung der Bewertungsvorschriften auf den 22.02.1996 auch kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers oder des Erblassers. Zum einen ist im Streitfall keinerlei Vertrauensdisposition der Erblasserin bei Anordnung des Vermächtnisses am 24. Juni 1995 oder des Klägers erkennbar. Zum anderen bestand nach dem Beschluss des BVerfG vom 22. Juni 1995 kein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage mehr. Denn seit diesem Beschluss war bekannt, dass die damals gültige Bewertung des Grundvermögens unter anderem auch für Zwecke der Erbschaftsteuer verfassungswidrig war (vgl. auch FG Berlin, EFG 2000, 1344).

Andere Anhaltspunkte dafür, dass die Bewertung bebauter Grundstücke gemäß § 146 BewG verfassungswidrig sei, sind vom Kläger nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit des Mindestwertes nach § 146 Abs. 6 BewG, Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 09. November 1998 3 V 4925/98, StE 1998, 802, Jurisdokument Nummer: StRE 987186370). Die Auffassung von Graf/Medloff, BB 1997, 1765, dass § 146 Abs. 6 BewG gegen Art. 14 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG und beim sog. Familienwohnheim im Zusammenhang mit § 15 Abs. 1 ErbStG auch gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoße, überzeugt nicht. Denn das von Graf/Medloff beschriebene Problem der Bewertung von Grundstücken im Süden Deutschlands kann man nicht durch die Streichung des § 146 Abs. 6 BewG lösen. Wie oben bereits dargelegt, muss auf Grund der Vorgaben des BVerfG die Bewertung des Grundvermögens der Bewertung anderer Vermögensarten angepasst werden. Da das Ertragswertverfahren im Grunde für die Bewertung von Ein- und Zweifamilienhäusern ungeeignet ist (vgl. Begründung der Bundesregierung zum sog. Wohn-/Nutzflächenverfahren BR-Drs. 390/96 vom 24.5.1996), ist der Mindestwert gemäß § 146 Abs. 6 BewG notwendig, um eine sachgerechte, am Gleichsatz orientiert Bewertungen sicherzustellen.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist von dem auf Grund der tatsächlichen Verständigung feststehenden gemeinen Wert des Grundstücks kein Abschlag von 20 % zu machen. Der Abschlag von 20 % ist gemäß § 146 Abs. 7 BewG i. V. m. § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG nur bei der Ermittlung des Grundstückswertes auf Grund von Bodenrichtwerten zu machen, nicht aber bei Ermittlung des Grundstückswertes auf Grund des gemeinen Wertes gemäß § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG.

Der Änderungsbescheid vom 16.05.2001 ist gemäß § 68 Satz 1 FGO in der Fassung der 2. FGO ÄndG vom 19.12.2000 Gegenstand des Verfahrens geworden.

Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (vgl. auch FG Berlin, EFG 2000, 1344).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

Ende der Entscheidung

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