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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 30.11.2007
Aktenzeichen: 12 K 2172/06 AO
Rechtsgebiete: KO, AO, BGB


Vorschriften:

KO § 53
KO § 54
AO § 226
BGB § 388
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

12 K 2172/06 AO

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist, ob das Finanzamt im Konkursverfahren gegen einen Vorsteuererstattungsanspruch des Konkursverwalters aufrechnen kann.

Der Kläger ist Konkursverwalter über der Vermögen der "A" GmbH. Bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens am 1.6.1997 bestand ein Organschaftsverhältnis zwischen der Gemeinschuldnerin als Organgesellschaft und der Fa. "A" Holding GmbH als Organträgerin.

Während des Bestehens des Organschaftsverhältnisses bestanden zwischen der Gemeinschuldnerin und diversen Kunden schriftliche, auf mehrjährige Lieferbeziehungen angelegte Lieferverträge, nach denen die Abnehmer unter anderem berechtigt waren, nach Ablauf der jeweiligen Saison für Sämereien die nicht verkaufte Ware an die Gemeinschuldnerin zurückzugeben. Über die Rücklieferungen erteilte die Gemeinschuldnerin den Abnehmern Gutschriften. Die Gemeinschuldnerin war ihrerseits zum Vorsteuerabzug aus diesen Gutschriften berechtigt.

Nach Eröffnung des Konkursverfahrens teilte der Kläger den Abnehmern mit, dass diese weiterhin die nicht verkaufte Ware an die Gemeinschuldnerin zurückgeben könnten, jedoch die Ware selbst verpacken und dem Konkursverwalter unter Beifügung vorgefertigter Formulare hinsichtlich Art und Menge der zurückgelieferten Ware zusenden mussten. Auf der Grundlage der von den Kunden ausgefüllten Retour-Formulare wurden anschließend wiederum Gutschriften erstellt. Die ursprünglich nur leihweise überlassenen Verkaufsständer durften die Abnehmer behalten.

Nach Erledigung des Klageverfahrens 5 K 509/01 U ist unstreitig, dass es sich bei den nach Eröffnung des Konkursverfahrens abgewickelten Rücklieferungen um umsatzsteuerlich eigenständige Rücklieferungen handelt, die den Kläger zum Vorsteuerabzug berechtigen.

Im Hinblick auf § 73 der Abgabenordnung (AO) Haftung der Organgesellschaft für Steuerschulden der Organträgerin berechnete das Finanzamt einen Haftungsanspruch gegen die Gemeinschuldnerin in Höhe von 1.387.044,28 DM, den es zur Konkurstabelle anmeldete. Diese Forderung rechnete es in Höhe von 918.986,85 DM gegen Umsatzsteuererstattungsansprüche der Gemeinschuldnerin auf, die sich infolge des Klageverfahrens 5 K 509/01 U ergeben hatten.

Gegen den hier wegen seiner Einzelheiten in Bezug genommenen Abrechnungsbescheid vom 16.12.2005, mit dem das Finanzamt die Rechtmäßigkeit der vorgenannten Aufrechnung festgestellt hat, richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage.

Der Kläger ist der Ansicht, dass im Streitfall keine Aufrechnungslage bestanden habe. Der Hinweis, dass es für die Aufrechenbarkeit im Konkursverfahren nicht auf die steuerrechtliche Entstehung des Anspruchs ankomme, sondern darauf, wann die zivilrechtliche Grundlage für die Entstehung des Steueranspruchs gelegt worden sei, sei in Anbetracht der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar grundsätzlich zutreffend. Bei den Retourlieferungen, die Grundlage der Umsatzsteuerguthaben seien, handele es sich jedoch um neue Lieferungen auf der Grundlage eigenständiger, nach Eröffnung des Konkursverfahrens abgeschlossener Verträge. Eine Rückbeziehung des Leistungsaustauschs auf den Zeitraum vor Abschluss der geänderten Rückgabevereinbarung mit dem Konkursverwalter sei nicht möglich.

Der Kläger beantragt,

den Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer 1997 vom 16.12.2005 aufzuheben und das beklagte Finanzamt zu verurteilen, an den Kläger Guthaben aus Umsatzsteuer 1997 und Zinsen zur Umsatzsteuer 1997 in Höhe von 469.870,51 EUR auszuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Hinweis auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vertritt das Finanzamt die Ansicht, dass der Anspruch der Gemeinschuldnerin auf Umsatzsteuererstattung die Hauptforderung bereits vor Eröffnung des Konkursverfahrens in dem für eine Aufrechnung maßgeblichen Sinne "entstanden" sei. Hierbei komme es nicht auf den steuerrechtlichen Entstehungszeitpunkt der Hauptforderung an, sondern vielmehr darauf, dass der Rechtsgrund für den Erstattungsanspruch nach konkursrechtlichen Grundsätzen bereits vor Konkurseröffnung geschaffen worden sei. Diese Voraussetzung sei im Streitfall erfüllt, indem die zivilrechtliche Grundlage, die zur Rücklieferung der Waren und somit zum Vorsteueranspruch geführt habe, bereits in den ursprünglichen Verträgen der Gemeinschuldnerin mit den Abnehmern gelegt worden sei.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der vom Kläger sinngemäß verfolgte Anspruch, den angefochtenen Abrechungsbescheid dahingehend zu ändern, dass darin wegen Nichtbestehens einer Aufrechnungslage ein Erstattungsanspruch des Klägers in Höhe von 548.500,99 EUR ausgewiesen wird, besteht nicht. Denn der Abrechnungsbescheid vom 16.12.2005 ist rechtmäßig, weil der Vorsteuererstattungsanspruch des Klägers im Umfang der aus § 73 AO folgenden Haftung der "A" GmbH als Organträgerin durch Aufrechnung gemäß § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erloschen ist.

Nach §§ 53, 54 der Konkursordnung (KO), die nach Art. 103 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung im Streitfall weiterhin anzuwenden ist, ist ein Gläubiger des Gemeinschuldners außerhalb des Konkursverfahrens zur Aufrechnung befugt, wenn die aufzurechnenden Forderungen bereits zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens bestanden haben. Dies ist hier der Fall. Zutreffend weist der Kläger zwar darauf hin, dass sein Vorsteuererstattungsanspruch aus den erst nach Eröffnung des Konkursverfahrens ausgeführten Rücklieferungen resultiert und daher steuerrechtlich erst zu diesem Zeitpunkt entstanden ist. Gleichwohl folgt hieraus kein Aufrechnungsverbot. Vielmehr hängt die Beantwortung der Frage, ob die Hauptforderung bereits vor Konkurseröffnung bestand, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs davon ab, wann sie im konkursrechtlichen Sinne begründet worden ist. Maßgeblich ist, dass sie ihrem Kern nach bereits vor der Eröffnung des Konkursverfahrens entstanden ist, der Rechtsgrund für den Anspruch also bereits gelegt war. Hierfür kann auch von Belang sein, ob der zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung des Anspruchs führt, bereits vor Eröffnung des Konkursverfahrens verwirklicht worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 31.5.2005, VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist im Streitfall dem Umstand, dass bereits die ursprünglichen Lieferverträge den Kunden der Gemeinschuldnerin ein Rückgaberecht für nicht verkaufte Sämereien einräumten, entscheidende Bedeutung beizumessen. Nur vor dem Hintergrund dieser Rechtsstellung der Kunden vor Konkurseröffnung, die an die beiderseitige Ungewissheit über den genauen Umfang des tatsächlichen Bedarfs anknüpfte, kam die Weitergewährung eines Rückgaberechts überhaupt in Betracht - denn es bedarf keiner Begründung, dass ein solches ohne eine entsprechende Ursprungsvereinbarung nicht eingeräumt worden wäre. Dem entspricht es, dass der Kläger mit der Weitergewährung des Rückgaberechts nach seinem Vorbringen zum einen wirtschaftliche Risiken, die aus einem Erfüllungsverlangen nach § 17 KO hätten resultieren können, vermeiden wollte; zum anderen fürchtete er, im Falle einer Ablehnung der Vertragserfüllung Schadenersatzansprüchen praktisch kaum kontrollierbaren Umfangs ausgesetzt zu sein. Der Bewältigung dieser von ihm als "Dilemma" bezeichneten Situation sollte die fortbestehende Rückgabemöglichkeit dienen.

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der zivilrechtliche Sachverhalt, der in der Folgezeit zu Rücklieferungen an den Konkursverwalter führte, bereits vor Konkurseröffnung verwirklicht war. Auch die vom Kläger in Bezug auf die Weitergewährung des Rückgaberechtes in seinem Anschreiben an die Kunden der Gemeinschuldnerin gewählte Formulierung knüpft zweifelsfrei an den bereits verwirklichten Sachverhalt an. Dort heißt es nämlich einleitend: "Im Rahmen des Konkursverfahrens über das Vermögen der "A" GmbH soll die Retourenabwicklung wie folgt erfolgen: ...". Ob es sich hierbei angesichts der Tatsache, dass die Rücksendemodalitäten gegenüber der ursprünglichen Vereinbarung nur in geringem Umfang modifiziert wurden, tatsächlich um eine grundlegend neue, eigenständige und zweiseitige Vereinbarung handelt, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Entstehung des daraus resultierenden Vorsteuerguthabens hätte ihren Kern in jedem Fall in dem vor Konkurseröffnung verwirklichten Sachverhalt gehabt.

Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass sich das Verfahren 5 K 509/01 U in der Hauptsache erledigt hat, nachdem sich das Finanzamt der dort vom Kläger vertretenen Rechtsansicht angeschlossen hatte. Aufrechnungsfragen waren dort nämlich nicht im Streit. Das Finanzamt hatte vielmehr den Standpunkt vertreten, dass ein Vorsteuerguthaben aus den Rücklieferungen an den Kläger schon deshalb nicht zur Masse gezogen werden könne, weil der Sachverhalt so zu behandeln sei, als habe die Gemeinschuldnerin von vornherein nur einen um den Wert der späteren Rücklieferungen geminderten Umsatz ausgeführt. Wäre das Gericht dieser Ansicht gefolgt, so hätte für das Finanzamt kein Anlass bestanden, die Möglichkeit einer Aufrechnung zu prüfen.

Der demnach bereits vor Konkurseröffnung begründeten Hauptforderung des Klägers stand eine ebenfalls bereits vor Konkurseröffnung begründete Gegenforderung des Finanzamtes aus § 73 AO gegenüber. Der Senat sieht an dieser Stelle nach § 105 Abs. 5 FGO von eigenen Ausführungen ab und verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 12.5.2006, denen es sich anschließt.

Für die Aufrechnungserklärung ist gemäß § 226 AO i.V.m. § 388 BGB keine besondere Form vorgeschrieben. Sie kann mündlich, schriftlich oder durch schlüssige, dem Erklärungsempfänger erkennbare Handlung erfolgen (BFH-Urteil vom 3.11.1983, VII R 153/82, BStBl. II 1984, 184).

Grundsätzlich kann eine Aufrechnung daher auch in der Weise erfolgen, dass das Finanzamt Beträge umbucht und dem Aufrechnungsgegner hierüber eine Umbuchungsmitteilung zusendet (BFH-Urteil vom 26.7.2005, VII R 72/04, BStBl. II 2006, 350). Im Streitfall hat der Kläger ausweislich seines Schreibens vom 8.11.2005 eine solche Mitteilung nicht erhalten. Allerdings hat er bereits wenig später aus Anlass eines Telefonats erfahren, dass das Finanzamt von einer Aufrechnungslage ausging. Spätestens mit dem Abrechnungsbescheid vom 16.12.2005 und der darin enthaltenen Konkretisierung der Beträge, die sich nach Ansicht des Finanzamts aufrechenbar gegenüberstanden, hat das Finanzamt aber seinen Willen zur Tilgung und Verrechnung klar und eindeutig erklärt. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.



Ende der Entscheidung

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