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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 18.05.2009
Aktenzeichen: 14 K 1750/08 Kg
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 1408/71, EStG


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 1408/71
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 62 Abs. 3
EStG § 63 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Bescheid vom 22.03.2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 26.03.2008 und der Einspruchsentscheidung vom 16.04.2008 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin für ihren Sohn Elias (geboren am 24.05.1995) ab Juli 2006 Kindergeld in voller Höhe beanspruchen kann.

Die Klägerin besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie übt in Deutschland eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus und wird gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Deutschland als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Der Ehemann der Klägerin und Kindesvater besitzt die belgische Staatsangehörigkeit.

Die Klägerin bezog für Elias fortlaufend in Deutschland Kindergeld. Nach einer Mitteilung der Meldebehörde über den Wegzug der Klägerin und des Sohnes am 30.06.2006 nach Belgien hob die Beklagte im Bescheid vom 22.03.2007 die Kindergeldfestsetzung ab Juli 2006 nach § 70 Abs. 2 EStG mit der Begründung auf, dass ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nach § 62 EStG nicht mehr gegeben seien. Zugleich forderte die Behörde das für den Zeitraum von Juli 2006 bis März 2007 gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.386 Euro zurück.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein und verwies zur Begründung darauf, dass ihr im Hinblick auf ihre unbeschränkte Einkommensteuerpflicht ein Kindergeldanspruch zustehe. Ihr Mann arbeite seit November 2006 bei einer Zeitarbeitsfirma in Belgien. Zuvor habe er in Belgien Arbeitslosengeld bezogen. Ihr Mann habe in Belgien kein Kindergeld erhalten. Zum Nachweis legte die Antragstellerin eine behördliche Bescheinigung vor.

Unter dem 26.03.2008 erließ die Beklagte einen Änderungsbescheid, in dem sie die Rückforderung überbezahlten Kindergeldes auf 702,69 Euro (77,05 Euro x 3 Monate = 231,15 Euro und 78,59 Euro x 6 Monate = 471,54 Euro) herabsetzte. Zur Begründung stellte sie darauf ab, für die Klägerin bestehe in der Zeit von Juli 2006 bis März 2007 ein Kindergeldanspruch nach dem EStG unter Anrechnung von Familienleistungen, die ihr in Belgien zugestanden hätten. Insofern werde für die Zeit von Juli bis September 2006 ein Betrag von monatlich 77,05 Euro und für die Zeit von Oktober 2006 bis März 2007 ein Betrag von monatlich 78,59 Euro angerechnet.

In der Einspruchsentscheidung vom 16.04.2008 wies die Beklagte den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück und führte aus: Die Klägerin erfülle zwar die Anspruchsvoraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 EStG. Für den Sohn der Klägerin bestehe jedoch zugleich in Belgien ein Kindergeldanspruch. Welcher Kindergeldanspruch vorrangig sei, bestimme sich im Verhältnis zu anderen EU-Staaten nach den Regelungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 bzw. der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 576/72. Diese Verordnungen gingen als überstaatliche Vorschriften der deutschen Rechtsordnung vor und seien in Deutschland unmittelbar geltendes Recht. Die Konkurrenz zwischen Kindergeldansprüchen verschiedener Mitgliedstaaten werde durch die Art. 76 bis 79 VO Nr. 1408/71 und Art. 10 VO Nr. 576/72 aufgelöst. Aus den Regelungen der Art. 76 bis 79 VO Nr. 1408/71 und des Art. 10 VO Nr. 576/72 lasse sich eine Rangfolge für Kindergeldansprüche herleiten. Danach bestehe zunächst ein Kindergeldanspruch im Wohnland des Kindes, wenn dort von einer anspruchsberechtigten Person eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde. Nachfolgend bestehe ein Kindergeldanspruch in dem Staat, in dem eine anspruchsberechtigte Person eine Erwerbstätigkeit ausübe. Sei nach dieser Rangfolge ein Anspruch in einem anderen Staat vorrangig, werde der deutsche Kindergeldanspruch in Höhe der ausländischen Familienleistung ausgesetzt und es könne nur der Differenzbetrag ausgezahlt werden. Einer Aussetzung des nachrangigen deutschen Kindergeldanspruchs stehe nach dem Rechtsgedanken aus Art. 76 Abs. 2 VO Nr. 1408/71 nicht entgegen, dass die in dem anderen Staat vorgesehenen Leistungen nicht beantragt worden seien. Die genannte Vorschrift solle gerade verhindern, dass das Zuständigkeitssystem der VO oder DVO durch Verzicht auf die Antragstellung umgangen werde.

Soweit die Konkurrenzregelungen auf eine Erwerbstätigkeit abstellen würden, sei damit nach dem Beschluss Nr. 119 der EG-Verwaltungskommission die tatsächliche Ausübung einer beruflichen Tätigkeit als Arbeitnehmer, aber auch die vorübergehende Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit wegen Arbeitslosigkeit gemeint.

Da das Kind in Belgien lebe, also einem Land, in dem der Kindergeldanspruch von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhänge, sei die Anspruchskonkurrenz nach Art. 76 VO Nr. 1408/71 aufzulösen. Seit dem 01.11.2006 übe der Kindesvater als anspruchsberechtigte Person im Wohnland des Kindes eine Erwerbstätigkeit aus. Zuvor sei er arbeitslos gewesen. Der Kindergeldanspruch im Wohnland sei deshalb nach Art. 76 VO Nr. 1408/71 gegenüber dem deutschen Kindergeldanspruch vorrangig. Der Kindergeldanspruch in Belgien betrage von Juli bis September 2006 monatlich 77,05 Euro und von Oktober 2006 bis März 2007 monatlich 78,59 Euro und sei auf das deutsche Kindergeld anzurechnen.

Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Klägerin am 19.05.2008 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 22.03.2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 26.03.2008 und der Einspruchsentscheidung vom 16.04.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor: Nach ihrer Dienstanweisung DA-EG 206.1 (2) sei für die Lösung der Anspruchskonkurrenz eine zwingende Rangfolge vorgesehen. Danach seien Ansprüche von Arbeitnehmern, Selbständigen und Arbeitslosen im Wohnland der Kinder vorrangig u. a. vor Ansprüchen von Arbeitnehmern, Selbständigen und Arbeitslosen in einem EU/EWR-Staat für Kinder, die in einem anderen EU/EWR-Staat lebten. Der belgische Kindergeldanspruch sei deshalb so zu berücksichtigen, als ob Kindergeld tatsächlich gewährt worden sei.

Der Senat hat im Verfahren 14 V 4256/08 A (Kg) einem Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung im Beschluss vom 09.02.2009 stattgegeben. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid in ihren Rechten verletzt ( § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Es sind zwar nach den maßgeblichen gesetzlichen Regelungen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine nur anteilige Gewährung deutschen Kindergeldes erfüllt. Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab Juli 2006 ist jedoch wegen des Fehlens der von der Beklagten nach Art. 76 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern ( VO Nr. 1408/71; Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - AblEG - 1971 Nr. L 149/2 - Konsolidierte Fassung AblEG Nr. L 28 vom 27.03.1972) zu treffenden Ermessensentscheidung rechtswidrig. Dies hat zugleich die Rechtswidrigkeit der Rückforderung gezahlten Kindergeldes für die Monate Juli 2006 bis März 2007 zur Folge.

Der Klägerin steht für ihren minderjährigen Sohn in Deutschland ein Kindergeldanspruch zu, da sie in Deutschland als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird ( §§ 62 Abs. 1 Nr. 2 b, 1 Abs. 3 EStG) und der Sohn seinen Wohnsitz in einem EU-Land im Haushalt der Klägerin hat ( § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Zugleich besaß der Kindesvater ab November 2006 auf Grund seiner Tätigkeit als Arbeitnehmer und zuvor als Arbeitsloser einen Anspruch auf Familienleistungen in Belgien (vgl. Anhang 7 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG -, Anlage Belgien).

Bestehen sowohl im Wohnland als auch im Beschäftigungsland Ansprüche auf Familienleistungen, ist nach den Bestimmungen der Verordnung VO Nr. 1408/71 sowie der dazu ergangenen Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21.03.1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (VO Nr. 571/72; AblEG Nr. L 74 vom 27.03.1972), die Anwendungsvorrang gegenüber den einfachen inländischen Regeln haben, zu entscheiden, welche Leistungen vorrangig sind (Bundesfinanzhof - BFH -, EuGH-Vorlage vom 30.10.2008 III R 92/07, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2009, 456).

Die VO Nr. 1408/71 findet nach ihrem sachlichen und persönlichen Geltungsbereich Anwendung. Das Kindergeld ist eine Familienleistung gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h i. V. m. Art. 1 Buchst. u Ziffer i VO Nr. 1408/71 (vgl. BFH-Urteil vom 13.08.2002 VIII R 54/00, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE - 200, 204, Bundessteuerblatt - BStBl - 2002, 869) und die Klägerin ist unstreitig Arbeitnehmerin i.S. des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Buchst. a Ziffer ii) VO Nr. 1408/71, Anhang I Teil I Buchst. E VO Nr. 1408/71.

Die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen der VO und der DVO lösen den Konkurrenzkonflikt der jeweils einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften nach dem Prinzip der grundsätzlichen Anwendung der Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. So regelt Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 1408/71, dass alle Personen, die von der VO erfasst werden, den Rechtsvorschriften ausschließlich eines Mitgliedstaates unterliegen (Ausschließlichkeitsprinzip), so dass die Kumulierung anwendbarer Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten vermieden wird. Die Frage, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, richtet sich nach dem Beschäftigungslandprinzip. So gilt gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. a VO Nr. 1408/71 für Personen, welche in dem Gebiet eines Mitgliedstaates tätig sind und dort in einem Lohn- und Gehaltsverhältnis stehen, ohne Rücksicht auf den Wohnstaat das Recht des Beschäftigungsstaates. Nach Art. 73 VO Nr. 1408/71 hat ein Antragsteller für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach dem Beschäftigungsstaat, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten. Dementsprechend gilt für die Klägerin die Kindergeldregelung ihres Beschäftigungslandes (Deutschland).

Einschlägige Antikumulierungsvorschrift ist im Streitfall Art. 76 Abs. 1 VO Nr. 1408/71. Die Vorschrift findet Anwendung, wenn neben dem Anspruch, der außerhalb des Wohnlandes der Familienangehörigen auf Grund einer Erwerbstätigkeit i. S. des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a VO Nr. 1408/71 besteht, auch im Wohnland auf Grund einer Erwerbstätigkeit eines anderen Elternteils ein Kindergeldanspruch gegeben ist (Ansprüche bei mehrfacher Erwerbstätigkeit im Unterschied zu Art. 10 VO Nr. 574/72). Unter eine Erwerbstätigkeit fällt auch die vorübergehende Unterbrechung einer beruflichen Tätigkeit (vgl. Beschluss Nr. 119 vom 24.02.1993 und Beschluss Nr. 147 vom 10.10.1990 abgedruckt in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D, Europäische Verordnungen/Abkommen). Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit der Klägerin sowie des Kindesvaters bzw. dessen vorheriger Arbeitslosigkeit erfüllt.

Rechtsfolge des Art. 76 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 ist das Ruhen des Anspruchs auf die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gemäß Art. 73 VO Nr. 1408/71 geschuldete Familienleistung - hier das deutsche Kindergeld - bis zu dem in den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates vorgesehenen Betrages.

Werden in dem Wohnland keine Familienleistungen beantragt, kann der zuständige Träger des anderen Landes nach dem seit dem 01.05.1990 geltenden Art. 76 Abs. 2 VO Nr. 1408/71 den Abs. 1 der Regelung so anwenden, als ob Leistungen im Wohnland gewährt würden und braucht daher, wenn der Anspruch auf Familienleistung im Wohnland geringer ist, nur den Differenzbetrag auszuzahlen.

Im Streitfall sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein teilweises Ruhen des inländischen Kindergeldanspruches nach Art. 76 Abs. 1 und 2 VO Nr. 1408/71 erfüllt. Der Kindesvater hat trotz des Bestehen eines Kindergeldanspruches in Belgien dort kein Kindergeld beantragt.

Bei der Befugnis nach § 76 Abs. 2 VO Nr. 1408/71 handelt es sich nach der vom BFH in der EuGH-Vorlage vom 30.10.2008 im Verfahren III R 92/07 (BFH/NV 2009, 456) vertretenen Auffassung - der sich der Senat im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der VO anschließt (ebenso Helmke/Bauer, a.a.O., Fach D, I. Kommentierung Europarecht, Art. 76 VO Nr. 1408/71 Rz 21) - jedoch um eine Ermessensentscheidung. Grundlage für diese Beurteilung ist die Terminologie der Verordnung in Art. 76 Abs. 2 VO Nr. 1408/71 als "kann"-Regelung. Im Falle der fehlenden Beantragung von Kindergeld kann die Behörde eine Anrechnung auf das inländische Kindergeld vornehmen. Die Rechtsfolge der Anrechnung ist mithin im Gegensatz zu Art. 76 Abs. 1 VO Nr. 1408/71, wonach der inländische Kindergeldanspruch im Falle einer Zahlung ausländischen Kindergeldes ruht, in das Rechtsfolgeermessen der Behörde gestellt. Der von der Beklagten im Einklang mit ihrer Dienstanweisung (RdErl 65/96 - 04/00 - DA 206.41 Abs. 2 Satz 1, aufrufbar unter www.arbeitsagentur.de - Gesetze und Verordnungen -) vertretenen gegenteiligen Auffassung einer gebundenen Behördenentscheidung auch in Fällen des Art. 76 Abs. 2 VO Nr. 1408/71 ist deshalb nicht zu folgen.

Behördliche Ermessensentscheidungen sind durch das Gericht nur in den Grenzen des § 102 Satz 1 FGO überprüfbar. Ein die Rechtswidrigkeit der Ermessensentscheidung begründender Ermessensfehler liegt u. a. dann vor, wenn die Behörde ihr Ermessen nicht ausgeübt hat (sog. Ermessensausfall; vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO, 16. Aufl., § 102 FGO Tz 21). Das Gericht darf nach § 102 FGO keine eigene, gerichtliche Ermessensentscheidung an die Stelle der fehlenden bzw. fehlerhaften behördlichen Ermessensentscheidung setzen. Es darf fehlende Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen nicht nachholen, um damit die Entscheidung der Behörde zu rechtfertigen (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 102 FGO Tz 5 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn trotz eines Ermessensspielraums nur eine ermessensgerechte Entscheidung getroffen werden könnte (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Gesichtspunkte solcher Art liegen im Streitfall nicht vor. Im Rahmen der Ermessensentscheidung dürfte insoweit auch zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin keine Kenntnis von einem vorrangigen belgischen Anspruch auf Familienleistungen hatte.

Die Beklagte hat das ihr eingeräumte Ermessen - entsprechend der Vorgabe in ihrer Dienstanweisung - weder in den Ausgangsbescheiden noch in der Einspruchsentscheidung ausgeübt, woraus die Rechtswidrigkeit folgt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich auch §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung ( § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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