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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 06.09.2007
Aktenzeichen: 14 K 2130/06 Kg
Rechtsgebiete: EStG, BGB


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 2
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 2
EStG § 70 Abs. 4
BGB § 133
BGB § 157

Entscheidung wurde am 10.06.2008 korrigiert: das Verkündungsdatum wurde korrigiert
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

14 K 2130/06 Kg

Tenor:

Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 02.09.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.04.2006 verpflichtet, Kindergeld für den Sohn BA für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2001 festzusetzen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten des Verfahrens vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist der Vater des Sohnes BA (geb. am 25.07.1979), der nach Beendigung seiner Schulausbildung vom 01.08.1999 bis zum 31.01.2002 eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolvierte. Streitig ist das Bestehen eines Kindergeldanspruches für das Jahr 2001.

Auf Aufforderung des Beklagten legte der Kläger eine Ausbildungsbescheinigung für den Sohn vom 19.02.1999 vor, aus der sich u.a. die voraussichtlichen monatlichen Bruttoarbeitsvergütungen ab August 1999 bis zum Ausbildungsende ergeben. Ab dem 01.01.2000 stellte der Beklagte die Kindergeldzahlungen ein. Mit Schreiben vom 08.11.2001 forderte der Beklagte den Kläger zur abschließenden Prüfung der Zahlungen auf, für das Jahr 1999 Nachweise über die erzielten Bruttoeinkünfte vorzulegen. Ferner wies der Beklagte darauf hin, dass der Sohn im Kalenderjahr 2000 Einkünfte i. H. v. 13.500 DM hätte verdienen dürfen, um weiterhin Kindergeld zu erhalten. Nach einer der Familienkasse vorliegenden Ausbildungsbescheinigung aus dem Jahr 1999 liege der Sohn über der Einkommensgrenze. Sollte der Sohn erhöhte Werbungskosten geltend machen können, so werde gebeten, die anliegenden Vordrucke vollständig auszufüllen. Im Schreiben vom 09.07.2002 forderte der Beklagte den Kläger nach vorausgegangenen unbeantworteten weiteren Anfragen nochmals auf, Nachweise über das Einkommen des Sohnes vom 01.08.1999 bis 31.12.1999 vorzulegen. Der Kläger übermittelte dem Beklagten darauf die Gehaltsabrechungen des Sohnes für das Jahr 1999. Der Beklagte stellte anschließend anhand einer internen Berechnung der Einkünfte und Bezüge fest, dass der Grenzbetrag für 1999 nicht überschritten werde. Im Bescheid vom 01.08.2002 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab dem 01.01.2000 auf. Zur Begründung stellte der Beklagte darauf ab, dass die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien, weil der Sohn Einkünfte und Bezüge von mehr als 13.500 DM im Kalenderjahr 2000 bezogen habe.

Mit Schreiben vom 13.07.2005 teilte der Kläger mit, dass die Ausbildungsvergütung für BA für das Jahr 2001 unterhalb der Höchstgrenze liege. Er bitte deshalb um Mitteilung, ob eine nachträgliche Auszahlung des Kindergeldes möglich sei und welche Unterlagen für eine Bewilligung vorzulegen seien. Der Beklagte forderte den Kläger darauf hin für den Fall, dass die Leistungen für 2001/2002 unter Berücksichtigung erhöhter Werbungskosten beantragt würden, auf, diese durch die Ausfüllung der beigefügten Vordrucke und die Vorlage entsprechender Nachweise darzulegen.

Der Kläger teilte im Schreiben vom 15.08.2005 mit, dass er für das Jahr 2001 keine Leistung mehr beantragt habe, da nach der damaligen Auffassung das Bruttoeinkommen des Sohnes auch nach Abzug der Werbungskosten zu hoch ausfalle. Nach dem zwischenzeitlich veröffentlichten Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) habe sich die Situation dahingehend geändert, dass das Jahreseinkommen des Sohnes die Bemessungsgrenze von 14.040 DM unterschreite. Zugleich legte der Kläger eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen des Sohnes für das Jahr 2001 und den Einkommensteuerbescheid 2001 vor.

Im Bescheid vom 02.09.2005 lehnte der Beklagte eine Kindergeldfestsetzung ab. Der Bescheid enthält zugleich die Ablehnung eines Kindergeldantrages für die Tochter CA des Klägers, die jedoch nicht streitgegenständlich ist. Zur Begründung der Ablehnung bzgl. des Sohnes BA verwies er auf die Bestandskraft des Bescheides vom 01.08.2002, dessen Bindungswirkung bis einschließlich des Monats seiner Bekanntgabe reiche. Die Bestandskraft des Bescheides stehe auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG vom 11.01.2005 einer erneuten Entscheidung entgegen.

Gegen den Bescheid legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein und führte zur Begründung aus: Aus der Entscheidung des BVerfG vom 11.01.2005 folge, dass § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der damals vorgenommenen Auslegung verfassungswidrig sei. Da die Regelung die Grundlage für den vorausgegangenen Bescheid darstelle, bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung wegen Änderung der Sach- und Rechtslage.

In der Einspruchsentscheidung vom 13.04.2006 (Eingang beim Bevollmächtigten des Klägers am 19.05.2006) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und stellte ergänzend darauf ab, dass die Voraussetzung einer Rechtsnorm zur Änderung der bestandskräftigen Festsetzung nicht erfüllt seien.

Mit seiner am 19.05.2006 erhobenen Klage macht der Kläger geltend: Der Bescheid vom 01.08.2002 sei im Hinblick aus die Entscheidung des BVerfG vom 11.01.2005 rechtswidrig, da der Beklagte bei der Grenzbetragsberechnung die Einkünfte rechtsfehlerhaft nicht um die angefallenen Sozialversicherungsbeiträge gemindert habe. Nach Auffassung des BVerfG seien die steuerlichen Vorschriften schon immer in diesem Sinne auszulegen gewesen. Auf Grund dessen könne dem genannten Bescheid keine Bestandskraft beigemessen werden.

Schließlich greife die Korrekturvorschrift des § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nach der die Behörde zur Korrektur einer rechtswidrigen Entscheidung verpflichtet sei. Die genannte Vorschrift finde als allgemeine verwaltungsrechtliche Norm auch auf Kindergeldfestsetzungen Anwendung, da die Kindergeldvorschriften des EStG eine reine Rechtswegzuweisung darstellten.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 02.09.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.04.2006 zu verpflichten, für das Kind BA Kindergeld für die Zeit von 01.01.2001 bis 31.12.2001 festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Er bezieht sich auf die Gründe der ablehnenden Verwaltungsentscheidungen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht für die Zeit vom 01.01.2001 bis 31.12.20001 ein Kindergeldanspruch für den Sohn BA zu.

Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch sind erfüllt. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein in Ausbildung befindliches und über 18 Jahre altes Kind nur dann, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Ausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 14.040 DM im Kalenderjahr 2001 hat. Der genannte Grenzbetrag wird - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nach Abzug der gesetzlichen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht überschritten. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist nach dem Beschluss des BVerfG vom 11.01.2005 2 BvR 167/02 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2005, Beilage 3, 260) fassungskonform so auszulegen, dass nicht nur Bezüge, sondern auch Einkünfte des Kindes nur dann in den Jahresgrenzbetrag der Vorschrift einfließen, wenn sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind. Die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge sind nicht zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt, da sie von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken.

Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Anspruch auf rückwirkende Festsetzung des Kindergeldes nicht die Bestandskraft des Bescheides vom 01.08.2002 entgegen. Der Regelungsgehalt des Bescheides beschränkt sich auf die Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2000. Dem Bescheid ist keine Bindungswirkung für das Jahr 2001 beizumessen.

Der Umfang der Bindungswirkung eines Bescheides ergibt sich aus seinem Regelungsgehalt. Nach dem Entscheidungssatz (Tenor) des Bescheides vom 01.08.2002 hat der Beklagte die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom 01.01.2000 gemäß § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben. Angaben zu einem konkreten Zeitraum der Kindergeldaufhebung enthält der Bescheid nicht. Aus dem Wortlaut des Tenors lässt sich nur entnehmen, dass die Aufbebung der Kindergeldfestsetzung auch in die Zukunft reicht. Die Dauer der Bindungswirkung ist deshalb ungewiss und durch Auslegung des Bescheides zu ermitteln.

Für die Auslegung eines Bescheides ist neben dem Tenor auf den materiellen Regelungsgehalt einschließlich der Begründung des Bescheides abzustellen (vgl. BFH-Beschluss vom 09.03.1995 X B 242/94, BFH/NV 1995, 858; BFH-Urteil vom 11.07.2006 VIII R 10/05, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2007, 96; Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, § 118 Rdnr. 50 f., § 119 Rdnr. 5; Beermann/Gosch, AO/FGO und Nebengesetze, Kommentar, § 119 Rdnr. 5). Dabei kommt es gemäß den auch für öffentlich-rechtliche Willensbekundungen geltenden Auslegungsregeln der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht darauf an, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat, sondern darauf, wie der Kläger nach den ihm bekannten Umständen - nach seinem objektiven Verständnishorizont - den materiellen Gehalt der Erklärungen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Im Zweifel ist das den Kläger weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden darf (vgl. BFH-Urteile vom 27.11.1996 X R 20/95, BStBl II 1997, 791;vom 11.07.2006 VIII R 10/05, BStBl II 2007, 96 und BFH-Beschluss vom 25.08.1981 VII B 3/81, BStBl II 1982, 34). Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger als Bescheidadressat seine Entscheidung, ob er mit einem Rechtsbehelf gegen den Bescheid vorgehen will, anhand der von ihm verstandenen Regelung einschätzt.

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ausschließlich damit begründet, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag im Kalenderjahr 2000 übersteigen. Unter Berücksichtigung dieser Begründung konnte der Kläger den Bescheid dahin gehend verstehen, dass der Beklagte die Kindergeldfestsetzung ausschließlich für das Jahr 2000 geprüft hat und ausschließlich bindend für das Jahr 2000 das Kindergeld aufheben wollte.

Eine Ausdehnung der Bindungswirkung des Bescheides bis zum Ende des Monats, in dem der Bescheid bekannt gegeben wurde, vorliegend also bis Ende August 2002, würde eine Auslegung zu Lasten des Klägers darstellen. Aus diesem Grund ist die Rechtsprechung des BFH, wonach die im in einem Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid getroffene Regelung grundsätzlich Bindungswirkung bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe hat (vgl. BFH-Urteil vom 28.01.2004 VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786 m.w.N.), nach der Auffassung des Senates auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar (vgl. ebenso Senatsurteil vom 23.08.2007 14 K 5328/05 Kg, n.v.).

Dementsprechend ist dem Kläger Kindergeld für das Jahr 2001 zu gewähren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Ende der Entscheidung

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