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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 31.07.2008
Aktenzeichen: 15 K 4375/07 Kg
Rechtsgebiete: EStG, VO 1408/71/EG


Vorschriften:

EStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
VO 1408/71/EG Art. 4 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

15 K 4375/07 Kg

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Kindergeld in Höhe von insgesamt 2.156 EUR zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Der seit dem Jahre 1995 verheiratete Kläger ist polnischer Staatsbürger. Er hat seinen (Familien-) Wohnsitz in Polen, wo er als (selbständiger) Landwirt tätig ist. Zum Haushalt des Klägers gehören die Kinder "K", geboren am 6.01.2000 und "N", geboren am 25.08.2004. Für die beiden Kinder erhält der Kläger seit Januar 2005 in Polen keine Familienbeihilfe (vgl. Bescheinigung nebst Übersetzung Bl. 90 u. 91 FG-Akte).

In der Zeit vom 11.01.2005 bis 1.04.2005 sowie vom 9.01.2006 bis 4.03.2006 war der Kläger vorübergehend in Deutschland als sog. Saisonarbeitskraft in einem Gemüsebaubetrieb tätig. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 2.529 Euro in 2005 und 2.287 Euro in 2006. Das Finanzamt "W-Stadt" behandelte den Kläger als unbeschränkt steuerpflichtig, und setzte mit Steuerbescheiden vom 1.06.2007 die Einkommensteuer für die Jahre 2005 und 2006 auf jeweils 0 Euro fest.

Ausweislich der Bescheinigungen des Arbeitgebers war der Kläger in Deutschland im Hinblick auf seine selbständige Tätigkeit in Polen nicht sozialversicherungspflichtig. Nach einer Bestätigung der polnischen landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 17.05.2007 unterlag er in Polen vom 1.04.1991 bis 9.01.2006 sowie vom 5.03.2006 bis auf weiteres kraft Gesetzes der Renten-, Unfall- und Krankenversicherung.

Am 25.03.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten Kindergeld für seine beiden Kinder. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Anspruch auf Kindergeld sei nach Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - AblEG - 1971 Nr. L 149/2 - Konsolidierte Fassung AblEG Nr. L 28 vom 30.01.1997) -- VO Nr. 1408/71 - ausgeschlossen, weil er weiterhin in Polen sozialversicherungspflichtig gewesen sei.

Hiergegen hat der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben.

Zur Begründung hat er zunächst vorgetragen, dass sich das anzuwendende Recht gemäß Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 a der VO Nr. 1408/71 nach dem sog. Beschäftigungslandprinzip bestimme. Danach sei allein entscheidend, an welchem Ort der jeweilige Arbeitnehmer beschäftigt sei. Vorliegend sei im maßgebenden Zeitraum das Beschäftigungsland unzweifelhaft die Bundesrepublik Deutschland gewesen. Damit kämen im Streitfall die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes, insbesondere die §§ 62 ff EStG zur Anwendung. Die Voraussetzungen des § 62 EStG lägen bei ihm vor.

Anschließend hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend "präzisiert", dass es nicht auf die Regelung in Art. 13 der VO Nr. 1408/71 ankommen, sondern sich der Kindergeldanspruch unmittelbar nach Art. 73 der VO Nr. 1408/71 richte. Hiernach richte sich der Anspruch auf Familienleistungen von Arbeitnehmern, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats, als ob die Familienangehörigen dort wohnten. Hiervon gehe nunmehr auch die aktuelle Rechtsprechung des Bundsfinanzhofs aus, der in Befolgung der sog. Petroni-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) den Kindergeldanspruch aus der EWG-DVO Nr. 574/72 in Verbindung mit §§ 62 ff EStG herleite, nachdem er die Rechtsprechung des EuGH zunächst falsch interpretiert habe. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 25.03.2008 (Bl. 56 GA) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 19.09.2007 den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld für die Kinder "K" und "N" in Höhe von insgesamt 2.156 EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er weist darauf hin, dass der Kläger der Sozialversicherungspflicht seines Heimatlandes unterliege, so dass das deutsche Sozialrecht und damit auch das deutsche Kindergeldrecht auf ihn keine Anwendung finde. Die VO Nr. 1408/71 wolle verhindern, dass eine Person gleichzeitig den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedssaaten unterliege und mehrfach Leistungen gleicher Zweckbestimmung beziehe.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

1. Der Anspruch des Klägers auf Kindergeld in Deutschland ergibt sich aus § 62 EStG. Hiernach ist kindergeldberechtigt, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Der Kläger ist im streitigen Zeitraum vom zuständigen Finanzamt als unbeschränkt Steuerpflichtiger behandelt und zur Einkommensteuer veranlagt worden. Dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht tatsächlich vorgelegen haben, wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

Der Anspruch wird auch nicht durch § 62 Abs. 2 EStG eingeschränkt. Denn der Kläger ist seit dem Beitritt Polens zur EU am 01.05.2004 gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) i.V. mit § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügigkeitsG/EU) freizügigkeitsberechtigter Ausländer (vgl. auch DA 62.4.4 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des EStG -DA-FamEStG- vom 05.04.2004, BStBl I 2004, 742).

2. Die beiden Kinder "K" und "N" sind auch nach § 63 EStG i.V. mit § 32 EStG berücksichtigungsfähig. Sie haben ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG), sind leibliche Kinder des Klägers i.S. des § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG und haben das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet.

3. Der Anspruch auf Kindergeld ist nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen.

Der Senat hat zwar im PKH-Beschluss vom 30.01.2008 Erfolgsaussichten für das Klageverfahren verneint, weil dem Kläger schon im Hinblick auf die Gewährung von polnischem Kindergeld für seine beiden Kinder nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG kein Anspruch auf deutsches Kindergeld zustehe. Der Senat ist hierbei jedoch von einem unzutreffendem Sachverhalt ausgegangen. Denn nach der vom Kläger im Klageverfahren eingereichten Bescheinigung vom 26.04.2007 des Stadt- und Gemeindezentrums Rychwal (Bl. 91 FG-Akte), die sich mit identischem Wortlaut im Übrigen auch in der Kindergeldakte befindet (dort allerdings mit einer fehlerhaften Übersetzung des Wortes stycznia: "September" statt richtigerweise "Januar"), steht hinreichend sicher fest, dass ab Januar 2005 für die Kinder des Klägers in Polen kein Kindergeld gewährt worden ist. Gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger und/oder dessen Ehefrau auf einen ihnen zustehenden Anspruch auf Familienbeihilfen verzichtet haben, ergeben sich nach Aktenlage nicht. Auch der Beklagte hat seine ablehnende Entscheidung hierauf nicht gestützt.

4. Soweit der Senat im PKH-Beschluss vom 30.01.2008 ausgeführt hat, der Kläger könne seinen Kindergeldanspruch auch nicht auf die VO Nr. 1408/71 stützen, kommt es hierauf im Hinblick auf den sich bereits nach inländischem Recht ergebenden Anspruch nicht (mehr) an.

Im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 20.05.2008 C-352/06, Informationsdienst Europäisches Arbeits- und Sozialrecht 2008, 92 (siehe auch [...]) in der Sache Bosmann hält es der Senat auch nicht mehr für entscheidungserheblich, ob der Kläger in Bezug auf die in Art. 4 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 genannten Zweigen der Sozialversicherung ausschließlich den polnischen Rechtsvorschriften unterliegt. Denn der EuGH hat in der vorgenannten Entscheidung klar gestellt, dass allein der Umstand, dass eine Person aufgrund der in der VO Nr. 1408/71 getroffenen Zuweisungsentscheidung den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats unterliegt, einen anderen Mitgliedsstaat (im Urteilsfall Wohnsitzstaat) nicht hindert, dieser Person nach seinem Recht Familienbeihilfen, zu denen auch das Kindergeld rechnet, zu gewähren. Nach dem Verständnis des EuGH kommt der VO Nr. 1408/71 damit nicht die Bedeutung einer abschließenden Zuweisung des Kindergeldanspruchs an einen von mehreren betroffenen Ländern zu. Dann muss es dem betroffenen Staat aber auch verwehrt sein, einen unstreitig bestehenden innerstaatlichen Kindergeldanspruch allein mit Hinweis auf die Regelungen der VO Nr. 1408/71 zu versagen.

Damit dürfte es im Ergebnis auch nicht mehr darauf ankommen, ob für die Prüfung der Voraussetzungen eines Kindergeldanspruch zunächst die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen, so wohl die derzeitige Rechtsauffassung des Beklagten, oder die Regelungen des EStG maßgebend sind, und in diesem Zusammenhang allenfalls die Frage zu klären ist, ob die Ausschlussklausel des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG von speziellem europäischen Recht verdrängt wird (so Senatsurteil vom 12.06.2008 15 K 4271/07, ebenso FG Düsseldorf, Urteile vom 15.11.2007 14 K 2642/07, und vom 02.01.2008 14 K 2546/07, jeweils [...]).

5. Dem Kläger steht Kindergeld für beide Kinder für die Monate Januar bis April 2005 sowie Januar bis März 2006 zu. Dies ergibt einen Betrag von insgesamt 2.156 EUR (7 x 2 x 154 EUR).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.



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