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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 06.03.2007
Aktenzeichen: 16 V 4828/06 A(H(L))
Rechtsgebiete: AO, GG, StPO, FGO


Vorschriften:

AO § 364
GG Art. 103 Abs. 1
StPO § 147 Abs. 1
FGO § 69 Abs. 2 S. 2 Alt. 1
FGO § 69 Abs. 3 S. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

16 V 4828/06 A(H(L))

Tenor:

Die Vollziehung des Lohnsteuer-Nachforderungsbescheides vom 19.1.2006 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 2.11.2006 wird in Höhe von 191.583,25 EUR ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung über den Einspruch ausgesetzt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (Astin) ist eine GmbH mit Sitz in Z-Stadt. Es handelt sich um einen Großhandelsbetrieb, dessen Kerngeschäft im Import und dem europaweiten Vertrieb von elektronischen Geräten wie Scannern, DVD-Playern, Digitalkameras etc. liegt. Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Astin ist seit dem 30.11.1999 Herr B, der die chinesische Staatsangehörigkeit besitzt.

Bei der Astin wurde mit Prüfungsanordnung vom 27.1.2004 für den Zeitraum 1999 bis 2002 eine Prüfung des Finanzamtes für Groß- und Konzernbetriebsprüfung (Groß-BP) eingeleitet. Am 24.2.2005 wandte sich der Prüfer an das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (Steufa), da er gegen B den Verdacht der Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerhinterziehung zugunsten der Astin hegte. Am 18.4.2005 wurde gegen B ein Steuerstrafverfahren eingeleitet. Am 4.5.2005 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Geschäftsräume der Astin und des B an. Bei der Durchsuchung der Geschäftsräume der Astin am 8.6.2005 wurde festgestellt, dass bei Erscheinen der Ermittlungsbeamten mehrere Mitarbeiter fluchtartig das Gelände verließen. Die zurückgelassenen Taschen enthielten Ausweise von chinesischen Studenten. Im Keller des Wohnhauses des B fanden sich Stundenlisten namentlich benannter chinesischer Mitarbeiter. Infolgedessen erweiterte die Steufa am 13.6.2005 das Steuerstrafverfahren gegen B wegen des Verdachts der Hinterziehung von Lohnsteuer (LSt) zugunsten der Astin auf den Zeitraum 1999 bis Mai 2005. Am 4.10.2005 wurde mit einer LSt-Außenprüfung (AP) begonnen. Im AP-Bericht vom 13.1.2006 heißt es zu diesem Punkt (Tz.2 "geringfügig Beschäftigte"):

"Im Rahmen der zur Zeit laufenden Steuerfahndungsprüfung wurden bei Durchsuchungsmaßnahmen Unterlagen sichergestellt, deren Auswertung in großem Umfang unversteuerte Arbeitsentgelte an auch zum Teil festbeschäftigte Arbeitnehmer ergaben. Da insbesondere die Steuermerkmale nicht mehr im Einzelnen festzustellen sind, erfolgt eine einheitliche Versteuerung der gezahlten Entgelte mit dem Nettoeingangssteuersatz für die einzelnen Jahre."

 JahrBetragSteuersatzLStSolZev.KiStrk.KiSt
199916.390,0031,40%5.143,32282,88231,45231,45
200036.207,0029,70%10.753,48591,44483,91483,91
200172,414,0024,80%17.958,67987,73808,14808,14
2002132.437,0024,80%32.844,381.806,441.478,001.478,00
2003198.437,0024,80%49.176,912.704,732.212,962.212,96
2004263.962,0019,00%50.152,782.758,402.256,882.256,88
2005245.005,0017,60%43.120,882.371,651.940,441.940,44
Summe  209.150,4211.503,279.411,789.411,78

Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen ließ sich B in einem (undatierten) Schreiben an die Steufa dahingehend ein, dass die von ihm gegründeten Unternehmen ordnungsgemäß und nicht zum Zwecke der Steuerhinterziehung geführt würden. Es sei zutreffend, dass er, um sich in einem von Verdrängungswettbewerb gekennzeichneten Markt zu behaupten, Verfehlungen begangen habe. Hiermit hätten die in seinem Privathaus geführten Unterlagen jedoch nichts zu tun. Insbesondere ergäben diese Unterlagen keinerlei Aufschluss über tatsächlich angefallene Arbeitsstunden. In den Buchhaltungsunterlagen seien die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden zutreffend wiedergegeben worden. Die in seinem Arbeitszimmer aufbewahrten Unterlagen hätten einem anderen Zweck gedient. Es handle sich um fiktive Arbeitskosten, deren Darstellung dazu diene, die Verhandlungsposition der Astin bei Lieferanten- und Preisgesprächen zu verbessern. Denn bei den von der Astin vertriebenen elektronischen Geräten gebe es einen bestimmten Prozentsatz an Retouren. Angesichts des relativ geringen Wertes lohne es sich nicht, die Waren nach China zurückzusenden. Vielfach übernehme es die Astin, die Geräte zu untersuchen und ggf. zu reparieren. Für diese Tätigkeit erhalte die Astin von den Lieferanten eine Vergütung, die pauschal mit einem bestimmten Prozentsatz des Einkaufspreises bemessen sei. Dieser Prozentsatz müsste, um profitabel arbeiten zu können, bei ca. 5-10% liegen. Die Lieferanten würden jedoch das erheblich niedrigere Preisniveau in China zugrunde legen und zudem Transport- und Verwaltungskosten nicht berücksichtigen. Tatsächlich erhalte die Astin daher nur 2-3% der Kosten vergütet. Er führe daher Listen mit fiktiven Mitarbeitern und Arbeitsstunden, um diese bei den Gesprächen mit den Lieferanten anzugeben. Dass die in den Exceltabellen angegeben Arbeitsstunden nicht den Tatsachen entsprechen können, ergebe schon die Auswertung der bei der Astin tatsächlich angefallenen Reparaturfälle. So habe es beispielsweise in der Zeit vom 30.3.2004 bis zum 14.12.2005 bei DVD-Playern insgesamt 20.124 Reparaturfälle gegeben, von denen 18.662 bei der Astin bearbeitet worden seien. Pro Monat mache dies eine Zahl von 888,56 Fällen aus. Bei 22 Arbeitstagen ergebe dies pro Tag 40,39 Fälle. Im Durchschnitt würden maximal 20 Minuten zur Reparatur benötigt. Bei einem 8-stündigen Arbeitstag würden daher 1,68 Arbeitskräfte zur Reparatur der DVD-Player benötigt. Unter Einschluss der anderen Geräte seien 2,43 Arbeitskräfte für die Reparaturarbeiten notwendig. Dies decke sich mit der tatsächlich hierfür bei der Astin eingestellten und angemeldeten Zahl von Mitarbeitern.

Am 19.1.2006 erließ der Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) aufgrund der von der AP getroffenen Feststellungen einen kombinierten Haftungs- und Nachforderungsbescheid. Die Nachforderung der LoSt betraf dabei ausschließlich den unter der Tz. 2 des AP-Berichts vom 13.1.2006 festgestellten Sachverhalt. Wegen der geprüften Sachverhalte und der Berechnungsgrundlagen wurde auf den AP-Bericht Bezug genommen.

Gegen den Bescheid vom 19.1.2006 legte die Astin fristgemäß Einspruch ein und beantragte zugleich Aussetzung der Vollziehung (AdV). Zur Begründung verwies die Astin bzgl. des hier relevanten Streitpunktes darauf, dass ihr lediglich beispielhaft vier Kopien von aufgefundenen Exceltabellen, anhand deren Auswertung das FA die angeblichen Arbeitsentgelte ermittelt habe, übergeben worden seien. Anhand dieser Kopien würden sich die vom FA für 1999 bis 2005 dargestellten Zahlen jedoch in keiner Weise nachvollziehen lassen. Im Übrigen bestreite die Astin, wie bereits gegenüber der Steufa schriftlich von B dargestellt, dass es sich bei den in den Exceltabellen aufgeführten Zahlen um Arbeitsentgelte handle.

Auf Anfrage des FA teilte die Steufa mit Schreiben vom 10.3.2006 mit, dass es die Einlassung des B, es handle sich bei den aufgefundenen Unterlagen um Listen mit fiktiven Mitarbeiter und Arbeitsstunden, für eine Schutzbehauptung halte. Bei der Durchsuchung der Wohnräume seien Aufzeichnungen für den Zeitraum Januar 2002 bis Mai 2005 aufgefunden worden. Es handle sich dabei um monatliche Aufstellungen, aus denen sich die Anzahl der Stunden und Tage ergebe, an denen die namentlich genannten Mitarbeiter gearbeitet hätten. Der jeweils ausgezahlte Arbeitslohn sei in der letzten Spalte aufgeführt und die Auszahlung durch einen Stempel mit Datum und dem Vermerk "bezahlt" durch den zuständigen Lagerleiter C mit Namenszeichen bestätigt worden. Eine Überprüfung für das Jahr 2005 habe ergeben, dass in diesem Zeitraum ca. 80 Namen aufgelistet worden seien. Von diesen angeblich fiktiven Mitarbeitern seien 6 bei der Durchsuchung angetroffen worden. 9 Mitarbeiter hätten sich durch Flucht der Feststellung ihrer Personalien entziehen können. Deren Namen habe die Steufa aber im Laufe der Durchsuchung ermittelt. Die Namen von weiteren 17 Mitarbeitern hätten sich auf einer Telefonliste befunden. Nach Auskunft des Lagerleiters C hätten diese bei Bedarf angefordert werden können. Mehr als 30 Mitarbeiter könne daher eine reale Identität zugeordnet werden. Weiterhin sei auch drei der angeblich fiktiven Mitarbeitern lt. Buchführung der Astin ein Aushilfslohn gezahlt worden. Schließlich solle nicht unerwähnt bleiben, dass auch an festangestellte Mitarbeiter in den Jahren 2002 bis 2005 unversteuerte Arbeitsentgelte ausgezahlt worden seien, was B auch eingeräumt habe. Dass der B schwarze Kassen auch in den Jahren 1999 bis 2001 gebildet habe, aus denen Mitarbeiter bezahlt worden seien, habe sich aus den über Datensicherungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnissen ergeben, so dass auf deren Basis die nicht versteuerten Lohnzahlungen für 1999 bis 2001 nach § 162 der Abgabenordnung (AO) geschätzt worden seien. Das FA teilte die Stellungnahme der Steufa im Wesentlichen inhaltsgleich auch der Astin mit (Schreiben vom 7.4.2006). Auf den folgenden Schriftwechsel mit der Gegenäußerung der Astin (Schreiben vom 6.4.2006) und der erneuten Stellungnahme des FA (Schreiben vom 18.4.2006) wird Bezug genommen.

Am 30.8.2006 gewährte das FA für den Haftungs- und Nachforderungsbescheid AdV ab Fälligkeit in folgender Höhe (Beträge in EUR).

 SteuerartBetragDavon AdV HaftungDavon AdV Nachforderung
LoSt78.325,3936.495,3941.830,00
SolZ4.307,232.007,232.300,00
EvKiSt3.524,281.642,281.882,00
RkKiSt3.524,281642,281.882,00

Dies entsprach einer Aussetzung des Haftungsbescheides in voller Höhe und einer Aussetzung des Nachforderungsbescheides in Höhe von ca. 20% der nachgeforderten Beträge. Als Fälligkeitszeitpunkt für die nicht ausgesetzten Beträge in Höhe von 191.583,25 EUR war der 13.9.2006 genannt.

Am 12.9.2006 beantragte die Astin unter Bezugnahme auf die Verfügung des FA vom 30.8.2006 erneut AdV, und zwar "über den 13.9.2006 hinaus (...) bis einen Monat nach Eintritt der Rechtskraft über den eingelegten Einspruch". Zugleich beantragte sie, die Besteuerungsgrundlagen gem. § 364 AO mitzuteilen.

Am 2.11.2006 erließ das FA einen nach § 131 AO geänderten Haftungs- und Nachforderungsbescheid. Die mit Haftungsbescheid geforderte Summe wurde auf Null DM herabgesetzt, während die Nachforderungsbeträge unverändert blieben. Allerdings gab das FA als Zeitraum für die Nachforderung nunmehr den 1.1.1999 bis zum 30.11.2005 an. Im Erstbescheid hatte es als Zeitraum den 1.1.1999 bis zum 30.8.2005 genannt. Am gleichen Tag erließ das FA darüber hinaus eine weitere AdV-Verfügung, die allein noch die nachgeforderten Beträge betraf. Die ausgesetzten Beträge entsprachen insoweit denjenigen, die das FA in punkto Nachforderungsbescheid bereits in der ersten AdV-Verfügung vom 30.8.2006 ausgesetzt hatte.

Über den Einspruch der Astin gegen den Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 19.1.2006 hat das FA, soweit diesem nicht ohnehin in Bezug auf die Haftungsanspruchnahme bereits abgeholfen wurde, bislang nicht entschieden.

Gegen die teilweise Ablehnung der AdV in Bezug auf den Nachforderungsbescheid richtet sich der AdV-Antrag beim FG gem. § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Astin trägt vor, dass ihr bislang weder die Besteuerungsgrundlagen mitgeteilt worden seien noch ihr das FA Einsicht in die Beweismittel gewährt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien aber schon dann ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts gegeben, wenn dem Steuerpflichtigen auf einen Antrag nach § 364 AO hin keine Besteuerungsgrundlagen mitgeteilt und keine Einsicht in die beschlagnahmten Unterlagen gewährt würden. Die Übersendung des BP-Berichts ändere hieran nichts. Denn daraus sei nicht erkennbar, wie sich die Lohnsteuer im einzelnen berechne. Der Bericht enthalte lediglich den Hinweis, dass die Besteuerung der gezahlten Entgelte mit dem Nettoeingangssteuersatz der einzelnen Jahre angesetzt worden sei. Wie das angeblich gezahlte Entgelt ermittelt wurde, bleibe dagegen unklar. Insbesondere werde nicht klar, wie das FA zu seiner Schlussfolgerung gelange, dass die bei B aufgefundenen Stundennachweise unversteuerte Mitarbeiter der Astin betreffen solle, zumal B auch an anderen Gesellschaften beteiligt sei. Schließlich sei auch nicht erkennbar, warum für die offensichtlich chinesischen Mitarbeiter Kirchensteuer in Ansatz gebracht worden sei. Die taiwanesische Bevölkerung sei zu mehr als 99% nichtchristlichen Glaubens. Schließlich unterlägen die aufgefundenen Unterlagen einem Verwertungsverbot. Der Prüfer der Groß-BP habe mehr als ein Jahr mit der Einleitung des Strafverfahrens zugewartet. Die Astin habe während des gesamten Prüfungszeitraums mitgewirkt, da ihr der gegen sie bestehende Anfangsverdacht nicht bekannt gegeben worden sei.

Die Astin beantragt wörtlich,

"die Vollziehung des Haftungsbescheides vom 19.1.2006 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 2.11.2006 in Höhe von 191.583,25 EUR bis einen Monat nach rechtskräftiger Entscheidung über den Einspruch vom 14.2.2006 gem. § 69 Abs. 3 FGO auszusetzen/aufzuheben,

hilfsweise

gegen die Entscheidung des Finanzgerichts die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zuzulassen".

Das FA beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheides seien nicht erkennbar. Es treffe nicht zu, dass der Astin Akteneinsicht verweigert worden sei. Allen Anträgen auf Akteneinsicht und Einsichtnahme in die Beweismittel sei von den jeweils zuständigen Dienststellen zeitnah stattgegeben worden. Es seien daher nicht nur die Besteuerungsgrundlagen gem. § 364 AO mitgeteilt, sondern auch eine darüber hinausgehende Akteneinsicht gewährt worden. Aus der von dem Bevollmächtigten der Astin eingesehenen Handakte der AP hätten sich sämtliche für die Berechnung der Lohnsteuer notwendigen Besteuerungsgrundlagen entnehmen lassen. Soweit die Astin von der zweimal gewährten Einsichtnahme (Verfügung der Steufa vom 3.7.2006 und der Staatsanwaltschaft vom 11.12.2006) in die Beweismittel keinen Gebrauch gemacht habe, liege dies nicht im Verantwortungsbereich des FA.

Was den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht angehe, werde auf den strafrechtlichen Ermittlungsbericht der Steufa vom 31.10.2006 verwiesen. Durch die darin getroffenen Feststellungen werde die Einlassung des B, die aufgefundenen Lohnlisten würden keinen Hinweis auf bei ihr beschäftigte Mitarbeiter enthalten, widerlegt. Soweit sich B dahingehend eingelassen habe, es sei Inhaber mehrerer nicht näher genannter Firmen, sei dem entgegenzuhalten, dass im Aufzeichnungszeitraum von Januar 2002 bis Juli 2004 keine inländischen Firmen des B bekannt geworden seien.

Der Umstand, dass im Nachforderungsbescheid auch für die überwiegend chinesischen Mitarbeiter Lohnkirchensteuer festgesetzt worden sei, sei darauf zurückzuführen, dass sich im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen nicht nur Hinweise auf die Zahlung von unversteuerten Arbeitsentgelten an geringfügig Beschäftigte, sondern auch zum Teil an festbeschäftigte Arbeitnehmer ergeben hätten. Da die Steuermerkmale nicht im Einzelnen hätten festgestellt werden können, sei eine pauschale Lohnversteuerung der gezahlten Entgelte mit dem Nettoeingangssteuersatz für die einzelnen Jahre gem. § 40 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfolgt. Die pauschale Lohnversteuerung ziehe zwingend eine pauschale Versteuerung des SolZ und der Kirchensteuer nach sich. Da für die Pauschalierung der KiSt u.a. in NRW ein niedrigerer Prozentsatz als beim normalen KiSt-Abzug nach der Steuertabelle gelte, sei die KiSt mit 7% statt mit 9% berechnet worden.

Soweit sich die Astin auf ein Verwertungsverbot berufe, sei dem entgegenzuhalten, dass die Durchsuchung bei B zu einer Vielzahl von Verdachtsmomenten geführt habe, die zu einer Erweiterung des bereits eingeleiteten Strafverfahrens um die Lohnsteuer geführt hätten. Die Lohnsteuerstelle des FA sei hierüber mit Schreiben vom 15.7.2005 informiert und gebeten worden, im Rahmen des laufenden Strafverfahrens die lohnsteuerlichen Sachverhalte zu ermitteln. Die Erweiterung habe man dem B in einer Besprechung vom 16.6.2005 bekannt gemacht. Es sei nicht nachvollziehbar, wie sich bei dieser Sachlage ein Verwertungsverbot für Unterlagen ergeben solle, die bis zum Durchsuchungstermin völlig unbekannt gewesen seien.

Abschließend sei festzuhalten, dass das FA, obwohl es keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheides habe, zur Abdeckung aller Unwägbarkeiten einen Betrag von 20% der geforderten Summe mit Verfügung vom 30.8.2006 ausgesetzt habe.

II.

Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.

I.

Der Senat hat den Antrag der Astin dahingehend ausgelegt, dass AdV bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung beantragt wird. Ist das außergerichtliche Vorverfahren noch nicht abgeschlossen, ist AdV im Allgemeinen nur bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung zu gewähren (vgl. Koch, in Gräber, Kommentar zur FGO, 6. Aufl. 2006, § 69 Rn. 151).

II.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 1. Alt. FGO soll das FG die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs -- BFH-- vom 6.6.2002 V B 110/01, Sammlung amtlich nicht zur Veröffentlichung bestimmter Entscheidungen des BFH --BFH/NV-- 2002, 1736, unter II. 1., m.w.N.).

III.

Im Streitfall bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheides vom 2.11.2006. Die AdV ist vorliegend deshalb in vollem Umfang zu gewähren, weil das FA die Pflicht zur Mitteilung von Besteuerungsunterlagen gem. § 364 AO missachtet und damit einen schweren Verfahrensfehler begangen hat.

1. Der Anspruch auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen ist Ausfluss des in Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz verbürgten Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BFH-Urteil vom 4.4.1978 VII R 71/77, Bundessteuerblatt --BStBl-- II 1978, 402). Gemäß § 364 AO sind den Beteiligten, soweit es noch nicht geschehen ist, die Unterlagen der Besteuerung auf Antrag oder, wenn die Begründung des Einspruchs dazu Anlass gibt, von Amts wegen mitzuteilen. Unterlagen der Besteuerung in diesem Sinne sind alle Beweismittel und Beweisergebnisse im weiteren Sinne, die geeignet sind, das Ergebnis des Verfahrens zu beeinflussen (vgl. Tipke, in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, FGO, § 364 AO Rn. 2). Hierzu gehören etwa Gutachten, Zeugenaussagen, Urkunden, Schätzungs- und Bewertungsunterlagen, Berechnungsgrundlagen etc. (vgl. etwa das Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 22.6.1921 IVa A 70/21, Sammlung der Entscheidungen des RFH, Bd. 6, 248 sowie die Zusammenstellung bei Loschelder, AO-Steuerberater --AO-StB-- 2003, 126, 127).

Solange die Finanzbehörde ihrer Verpflichtung aus § 364 AO nicht nachkommt, kann nach allgemeiner Auffassung allein deshalb die AdV gerechtfertigt sein (vgl. etwa BFH-Urteil vom 4.4.1978 VII R 71/77, Bundessteuerblatt --BStBl-- II 1978, 402, Tipke, in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, § 364 AO Rz. 7). Allgemein zur Verletzung der Mitteilungs- und Begründungspflicht hat der BFH mit Beschluss vom 14.2.1984 VIII B 112/83 (BStBl II 1984, 443) entschieden, dass eine AdV wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids auch dann gerechtfertigt sein kann, wenn das FA den Besteuerungssachverhalt nicht geschlossen darstellt und den Steueranspruch in rechtlich schwierig liegenden Fällen nicht schlüssig begründet. Die Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen und in rechtlich schwierig liegenden Fällen der schlüssigen Begründung des Steueranspruchs müssen dabei allerdings nicht im Steuerbescheid selbst erfolgen. Es genügt die Bezugnahme auf einen bekannt gemachten Prüfungsbericht, wenn dieser so viele Angaben enthält, dass sich das Gericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ein Bild von dem geltend gemachten Anspruch machen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 14.2.1984 VIII B 112/83, BStBl II 1984, 443; vgl. auch Beschluss des Hessischen FG vom 9.3.2004 6 V 4121/03, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2004, 1001 ).

2. Gemäß § 364 AO war das FA auf den von der Astin nach Einspruchseinlegung ausdrücklich gestellten Antrag hin (vgl. etwa die Schreiben vom 14.2.2006, vom 12.5.2006 oder vom 12.9.2006) dazu verpflichtet, dieser die angeforderten Unterlagen der Besteuerung - hier speziell die im Wohnhaus des B aufgefundenen Exceltabellen - vollständig mitzuteilen. Das FA kam diesem Begehren nicht nach, da es, wie etwa dem Schreiben vom 22.3.2006 zu entnehmen ist, offenbar davon ausging, dass die Astin insoweit einen Antrag auf Akteneinsicht stellen müsse. Die unterbliebene Mitteilung der Besteuerungsunterlagen hat zur Folge, dass nach Maßgabe der o.g. Rechtsprechung allein aus diesem Grund eine AdV gerechtfertigt ist, zumal die Zusammenstellung der in den Exceltabellen niedergelegten (angeblichen) Zahlungen weder dem AP-Bericht vom 13.1.2006 noch dem strafrechtlichen Ermittlungsbericht vom 31.10.2006 zu entnehmen sind.

3. Einer Verletzung des § 364 AO lässt sich nach Auffassung des Senats auch nicht entgegenhalten, dass der Bevollmächtigte der Astin Akteneinsicht hätte nehmen können. Durch die Vorschrift des § 364 AO soll die Rechtsverteidigung des Steuerpflichtigen im Einspruchsverfahren sichergestellt werden. Denn zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen kann der Steuerpflichtige nur dann Stellung nehmen, wenn er die Grundlagen kennt, aufgrund derer das FA die Steuer festgesetzt hat. § 364 AO betrifft daher alle Fälle, in denen das FA gegenüber dem Steuerpflichtigen über einen Wissensvorsprung verfügt (vgl. Loschelder, AO-StB 2003, 126, 127). Die Besteuerungsunterlagen sind dann zwingend mitzuteilen. Es besteht nicht nur kein Ermessensspielraum des FA, sondern das FA muss im Einzelfall sogar von Amts wegen tätig werden, wenn die Unterlagen für die Durchführung des Rechtsbehelfsverfahrens erforderlich sind.

a) Insoweit kann der Steuerpflichtige nicht auf ein etwaiges Akteneinsichtsrecht verwiesen werden. Die Abgabenordnung sieht, anders als das Verwaltungsverfahrensgesetz, ein Akteneinsichtsrecht nicht ausdrücklich vor. Insbesondere kann ein solches Recht nicht aus § 364 AO abgeleitet werden. Von ihrer Konzeption her dient die Vorschrift des § 364 AO vielmehr gerade dazu, den vom Gesetzgeber bewusst nicht in die AO aufgenommenen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht zu kompensieren; § 364 AO tritt damit im Rechtsbehelfsverfahren i.d.R. gleichsam an die Stelle eines Akteneinsichtsrechts (gl.A. Streck, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1996, 183, zustimmend Heißenberg, Kölner Steuerdialog --KÖSDI-- 2000, 12310, 12319). Wenn der BFH ungeachtet dessen in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, dass dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen zumindest ein Anspruch darauf zusteht, dass das FA nach pflichtgemäßem Ermessen über seinen Antrag auf Akteneinsicht entscheidet (vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 4.6.2003 VII B 138/01, BStBl II 2003, 790; vom 28.5.2003 VII B 119/01, AO-StB 2004, 41 und vom 8.6.1995 IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64), ändert dies nichts daran, dass beide Ansprüche prinzipiell unabhängig voneinander existieren.

Hieraus folgt jedoch nicht, dass beide beliebig parallel nebeneinander geltend gemacht werden können. Kommt das FA einem Begehren gem. § 364 AO nach und teilt dem Steuerpflichtigen bestimmte Unterlagen mit, dürfte in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis für einen auf die gleichen Unterlagen abzielenden Antrag auf Akteneinsicht entfallen (gl.A. Heißenberg, KÖSDI 2000, 12310, 12319). Umgekehrt dürfte das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag gem. § 364 AO grds. entfallen, wenn der Steuerpflichtige Akteneinsicht genommen hat und ihm daher die Unterlagen, die er zum Gegenstand eines Anspruchs aus § 364 AO machen will, bereits bekannt sind und er sich im Rahmen der Akteneinsicht selbst entsprechende Abschriften fertigen konnte. Eine derartige Ausschlusswirkung kann demzufolge jedoch frühestens nach tatsächlicher Durchführung der Akteneinsicht eintreten. Der Senat hält es insoweit zwar grundsätzlich für denkbar, dass das FA den Anspruch aus § 364 AO aus Praktikabilitätserwägungen gerade durch die Gewährung von Akteneinsicht erfüllen kann (so etwa Loschelder, AO-StB 2003, 126, 128 li.Sp.). Nach Auffassung des Senats dürfte es insoweit aber jedenfalls einer entsprechenden Verständigung mit dem Steuerpflichtigen bedürfen, da das FA diesem nicht einseitig das Recht auf Mitteilung der Unterlagen entziehen kann.

b) Dass dem Steuerpflichtigen nicht einseitig sein Anspruch gem. § 364 AO entzogen werden kann, gilt erst Recht im Verhältnis zum hier beantragten strafprozessualen Akteneinsichtsrecht gem. § 147 Abs. 1 der Strafprozessordnung (im Ergebnis gl.A. Mack/Olbing, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1996, 445, 446 li. Sp.). Es handelt sich hierbei nicht nur um ein gänzlich anderes Verfahren, sondern die Entscheidungsbefugnis obliegt auch einer anderen Behörde als dem Veranlagungs-FA (i.d.R. der StraBu oder Staatsanwaltschaft). Hinzu kommt, dass das strafprozessuale Akteneinsichtsrecht anderen Regeln als die Akteneinsicht im Rahmen des Besteuerungsverfahrens unterliegt. So besteht etwa bis zum Abschluss der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft (§ 169a StPO) ein Spielraum, ob Akteneinsicht zu gewähren ist. Dabei sind allein die Erfordernisse des Strafprozesses maßgeblich, nämlich ob durch die Einsichtnahme der Untersuchungszweck gefährdet wird (vgl. § 147 Abs. 2 StPO). Ob die Unterlagen für die Rechtsverteidigung im Einspruchsverfahren benötigt werden, spielt dagegen keine Rolle. Darüber hinaus kann das Akteneinsichtsrecht im Strafprozess in der Regel nur vom Strafverteidiger - hierbei kann es sich freilich gem. § 392 AO auch um einen Steuerberater handeln - wahrgenommen werden. Bleibt der Steuerpflichtige unverteidigt, können ihm gem. § 147 Abs. 7 StPO lediglich Abschriften oder Ablichtungen der Akten ausgehändigt werden, soweit nicht der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte und nicht überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen.

c) Übertragen auf den Streitfall folgt hieraus, dass der Anspruch der Astin gem. § 364 AO nicht ausgeschlossen ist. Das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nach § 364 AO ist im Streitfall nicht entfallen. Zwar wurde den jeweiligen Bevollmächtigten der Astin Akteneinsicht sowohl in die Ermittlungsakten als auch in die Akten der AP gewährt. In den betreffenden Akten befanden sich die fraglichen Exceltabellen, deren Mitteilung die Astin beantragt hatte, jedoch nicht, so dass diese der Astin auch nach Akteneinsicht nicht bekannt waren. Ein Ausschluss des Anspruchs aus § 364 AO folgt auch nicht aus dem Umstand, dass zwei Anträge der Bevollmächtigten der Astin auf Einsichtnahme in die Beweismittelordner, in denen die Exceltabellen aufbewahrt wurden, durch die Steufa am 3.7.2006 bzw. durch die Staatsanwaltschaft am 11.12.2006 positiv beschieden wurden. Die Akteneinsicht wurde tatsächlich nicht durchgeführt, so dass die Astin keine Kenntnis von den fraglichen Unterlagen erlangte. Darüber hinaus kann aus den dargestellten Gründen das strafprozessuale Akteneinsichtsrecht - jedenfalls ohne eine entsprechende Vereinbarung des Steuerpflichtigen mit den beteiligten Behörden - den Anspruch gem. § 364 AO nicht ausschließen.

d) Letztlich kann die Astin die Einsicht in die Unterlagen auch nicht über das Akteneinsichtsrecht im gerichtlichen Verfahren gemäß § 78 FGO erlangen, da auch in den dem Gericht im Rahmen dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorgelegten Akten die fraglichen Unterlagen nicht vollständig enthalten.

4. Dem Anspruch aus § 364 AO kann schließlich auch nicht entgegengehalten werden, dass der Astin die Unterlagen jedenfalls ursprünglich bekannt waren, da sie der B als Organ der Astin erstellt hatte bzw. hatte erstellen lassen. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob er der Auffassung des FA folgt, dass die Unterlagen von dem B für bei der Astin beschäftigte Schwarzarbeiter bzw. für über offizielle Löhne hinausgehende Schwarzlöhne erstellt wurden. Selbst wenn die Unterlagen der Astin "zuzurechnen" sein sollten, führt dies nicht zu einem Ausschluss des Anspruchs aus § 364 AO, da die Unterlagen im Zuge der Durchsuchung bei K durch die Steufa beschlagnahmt wurden. Ohne Kenntnis dieser Unterlagen kann die Astin sich jedoch im Einspruchsverfahren nicht gegen den vom FA erlassenen Nachforderungsbescheid zur Wehr setzen, da sich - wie bereits dargestellt - weder dem AP-Bericht vom 13.1.2006 noch dem strafrechtlichen Ermittlungsbericht vom 31.10.2006 im einzelnen entnehmen lässt, wie sich die angeblich gezahlten Entgelte zusammen setzen. Um zu den nachgeforderten Beträgen Stellung nehmen zu können, bedarf die Astin daher der vollständigen Exceltabellen, die das FA etwa in Form von Kopien zur Verfügung stellen könnte. Sofern das FA nicht über die Unterlagen verfügt, wird es diese zu beschaffen haben.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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