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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 16.03.2007
Aktenzeichen: 18 K 12/05 E
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

18 K 12/05 E

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wird für das Streitjahr 1996 nunmehr getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielte positive Einkünfte aus selbständiger Arbeit und Kapitalvermögen, daneben Verluste aus gewerblichen Beteiligungen und aus Vermietung und Verpachtung. In der gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann eingereichten Einkommensteuererklärung, in der noch eine Zusammenveranlagung beantragt war, erklärte die Klägerin anteilige Einkünfte aus Spekulationsgeschäften, die sie zusammen mit ihrem Ehemann erzielt hatte, in Höhe von 55.621 DM. Diese Überschüsse stammten insbesondere aus dem An- und Verkauf von Aktienoptionen, die die Eheleute unter der Vermittlung und Beratung eines Börsenmaklers getätigt hatten. Die Einkünfte sind vom Finanzamt gemäß § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO nicht gesondert festgestellt worden. Nach mehreren Änderungen setzte der Beklagte -das Finanzamt- die Einkommensteuer für 1996 gegenüber der Klägerin schließlich unter Ansatz der Spekulationseinkünfte in erklärter Höhe auf 376.518 DM fest (Bescheid vom 14.12.2000).

Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch. Sie machte u. a. geltend, dass sie im Folgejahr 1997 aus Spekulationsgeschäften (aus Aktienoptionen und sog. Stillhaltergeschäften) insgesamt Verluste von ca. 1,194 Mio. DM erlitten habe, die gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 Einkommensteuergesetz in der für 1997 geltenden Fassung - EStG 1997- steuerlich unberücksichtigt geblieben seien. Dies sei verfassungswidrig (in Anlehnung an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 30.09.1998 2 BvR 1818/91). Die Verluste seien bei verfassungsmäßiger Besteuerung nach Verrechnung mit anderen Einkünften des laufenden Jahres u. a. auf das Streitjahr 1996 zurückzutragen; zumindest seien die Spekulationsverluste aus 1997 aber mit dem Spekulationsgewinn aus 1996 zu verrechnen. Das Einspruchsverfahren ruhte bis zu der Entscheidung des BVerfG in der Sache 2 BvL 17/02 (Beschluss vom 9.03.2004 2 BvL 17/02, BStBl II 2005, 56). Im Anschluss daran verwies die Klägerin auf das BFH-Urteil vom 1.06.2004 (IX R 35/01, BStBl II 2005, 26), wonach auch für vor 1999 erzielte Spekulationsverluste die allgemeinen einkommensteuerlichen Vorschriften über Verlustausgleich und Verlustabzug anwendbar seien. Dem stehe die Entscheidung des BVerfG 2 BvL 17/02 nicht entgegen, weil das gerügte strukturelle Vollzugsdefizit auch im Jahr 1996 bestanden habe. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, zwar sei -wie der BFH in der Sache IX R 35/01 entschieden habe- das Verlustausgleichsverbot des § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG 1987 (entspricht § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG 1997) mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar; jedoch könnten Verluste aus Spekulationsgeschäften nur (ggf. im Wege des Verlustrücktrags) berücksichtigt werden, soweit die Verlustentstehung überhaupt einen steuerbaren Vorgang dargestellt habe. Im Streitfall sei die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG 1997 nichtig mit der Folge, dass die entsprechenden Veräußerungsgeschäfte nicht zu den sonstigen Einkünften i. S. d. § 22 EStG gezählt hätten, somit Gewinne und Verluste hieraus nicht steuerbar seien.

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die steuerliche Berücksichtigung der im Jahr 1996 erzielten Spekulationseinkünfte. Zur Begründung führt sie näher aus, es habe -wie in den Folgejahren 1997 und 1998- ein strukturelles Erhebungsdefizit bestanden, das auch bereits im Streitjahr dem Gesetzgeber zuzurechnen gewesen sei. Dies bewirke die Verfassungswidrigkeit der materiellen Besteuerungsnorm. Auf Anregung der Beteiligten wurde das Klageverfahren ausgesetzt bis zur Entscheidung des BVerfG über die Richtervorlage des FG Münster (Beschluss vom 5.04.2005 8 K 4710/01 E, EFG 2005, 1117). Nachdem das BVerfG die Richtervorlage als unzulässig verworfen hat (Beschluss vom 18.04.2006 2 BvL 8/05, BFH/NV Beilage 2006, 364), hält die Klägerin an ihrer Auffassung fest. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Vernehmung von namentlich benannten 9 Mitgliedern des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages in den Jahren 1995 und 1996 beantragt, zum Beleg der Tatsache, dass diese bereits in den Jahren 1995 und 1996 Kenntnis eines strukturellen Vollzugsdefizits im Bereich der einkommensteuerlich relevanten Spekulationsgeschäfte gehabt hatten, haben konnten oder haben mussten. Außerdem hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Finanzamt den Antrag auf abweichende Festsetzung der Einkommensteuer 1996 aus Billigkeitsgründen gestellt, in der Weise, dass die Einkünfte aus Spekulationsgewinnen unberücksichtigt bleiben. Die Klägerin hat im Hinblick darauf die Fortführung des vorliegenden Klageverfahrens befürwortet. In einem nachgereichten Schriftsatz hat sie allerdings unter Hinweis auf neu beim Finanzamt gestellte Anträge auf Abänderung des Einkommensteuerbescheids für 1997 um die Aussetzung bzw. das Ruhen des Klageverfahrens gebeten.

Die Klägerin beantragt,

den Einkommensteueränderungsbescheid für 1996 vom 14.12.2000 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3.12.2004 in der Weise zu ändern, dass Einkünfte aus Spekulationsgeschäften unberücksichtigt bleiben;

hilfsweise:

dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b und § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG 1996 mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar und nichtig sind, als die Durchsetzung des Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt wird;

hilfsweise:

dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG in der für das Streitjahr 1996 gültigen Fassung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als nach den Regelungen des StraBEG Steuerunehrliche, die nach dem StraBEG begünstigt werden, ohne sachlichen Grund besser gestellt werden als Steuerpflichtige, die von den Regelungen des StraBEG keinen Gebrauch machen können;

hilfsweise:

die Revision zuzulassen.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise:

die Revision zuzulassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Steuerakten und die Schriftsätze der Beteiligten im Klageverfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Das Finanzamt hat die von der Klägerin im Jahr 1996 erzielten Einkünfte aus Spekulationsgeschäften zu Recht der Besteuerung unterworfen; die zugrundeliegende Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst b EStG 1996 ist weder wegen eines strukturellen Erhebungsdefizits nichtig noch kann der in 1997 behauptete Verlust aus Spekulationsgeschäften im Wege der Verlustverrechnung die in 1996 erzielten Spekulationseinkünfte auf 0 DM herabsetzen.

1. Ein strukturelles Erhebungsdefizit im Bereich der Besteuerung der Einkünfte aus privaten Spekulationsgeschäften, wie es der Bundesfinanzhof in seinem Vorlagebeschluss vom 16. Juli 2002 (IX R 62/99, BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74) dargelegt und das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 9. März 2004 (2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) festgestellt haben, bestand nicht erst ab 1. Januar 1997, sondern auch bereits im Jahr 1996. Dass es in diesem Bereich Probleme mit der tatsächlichen Durchsetzung des staatlichen Besteuerungsanspruchs gab und deshalb für den Gesetzgeber ein zunehmender Handlungsbedarf entstand, war den interessierten Kreisen in der Finanzverwaltung und den fachkundigen Experten in den Parlamenten des Bundes und der Länder bekannt oder hätte ihnen bekannt sein müssen, auch bereits im Jahr 1996 (vgl. BVerfG-Beschluss in BStBl II 2005, 56, 70 unter C. IV., insbesondere mit Hinweis auf den bereits 1994 vorgelegten Abschlussbericht der vom Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen eingesetzten Arbeitsgruppe "Steuerausfälle", StB 1994, 446, 449 f., worin allerdings die mögliche Höhe der Steuerausfälle nicht benannt ist). Die von der Klägerin beantragte Beweisaufnahme (Vernehmung von 9 namentlich benannten Parlamentariern, die dem Finanzausschusses des Deutschen Bundestages in den Jahren 1995 und 1996 angehört haben) ist insofern nicht geboten, weil diese Behauptung (Kenntnis bzw. Kennen - Müssen eines Vollzugsdefizits bereits im Streitjahr 1996) als wahr unterstellt werden kann.

Allerdings war dem Gesetzgeber trotz des sich aufbauenden Vollzugsdefizits eine Übergangsfrist zuzubilligen, die im Streitjahr 1996 noch nicht abgelaufen war und innerhalb der die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG wegen des rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebots noch anzuwenden ist. Im Hinblick auf den Zeitbedarf für gesetzgeberische Regelungen und die weitreichenden Folgen einer Nichtigerklärung (gemäß §§ 82 Abs. 1, 78 Satz 1 BVerfGG) muss das gesetzgeberische Versäumnis offenkundig und schwerwiegend sein. Dies war es jedenfalls im Streitjahr 1996 noch nicht. Erst der im Jahr 1996 grundgelegte Börsenaufschwung machte die Steuerausfälle evident (ebenso FG Münster Urteil vom 14. September 2006 8 K 4710/01 E, EFG 2007, 133; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums gegenüber dem BVerfG im Verfahren 2 BvL 8/05, BVerfG-Beschluss vom 18. April 2006, BFH/NV Beilage 2006, 364, unter I. 4. aa der Gründe). Der erkennende Senat teilt insoweit die Beurteilung, die das FG Münster (EFG 2007, 133, 135) für das Streitjahr 1996 getroffen hat (vgl. auch für das Vorjahr 1995: FG München, Beschluss vom 27. April 2005 1 V 885/05, EFG 2005, 1199; BFH-Beschluss vom 29. November 2005 IX B 80/05, BFH/NV 2006, 719; für 1994 und die Vorjahre: BFH-Urteile vom 1. Juni 2004 IX R 35/01, BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26 und vom 29. Juni 2004 IX R 26/03, BFHE 206, 418, BStBl II 2004, 995).

In Anbetracht dessen kommt es nicht auf die Frage an, ob das strukturelle Vollzugsdefizit im Jahr 1996 rückwirkend als behoben anzusehen ist (bejahend FG Münster, Urteil vom 14. September 2006 8 K 4710/01 E, EFG 2007, 133 mit ablehnender Anm. Müller EFG 2007, 137). Für Zeiträume ab 1999 hat der Bundesfinanzhof (Urteil vom 29. November 2005 IX R 49/04, BFHE BStBl II 2006, 178) jedenfalls dargelegt, dass das Vollzugsdefizit entfallen ist durch das gesetzliche Kontenabrufverfahren ( § 93 Abs. 7 AO, § 93 b AO), das zwar erst mit Wirkung ab dem 1. April 2005 durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit (vom 23. Dezember 2003, BGBl I 2003, 2928; BStBl I 2004, 22, 25) eingeführt worden ist, allerdings eingebettet ist in eine Vielzahl von Maßnahmen, die der Gesetzgeber seit 1999 unternommen hat, um die Steuererhebung auf Einkünfte aus Kapitalvermögen wirksamer zu gestalten (BFH-Urteil vom 7. September 2005 VIII R 90/04, BFHE 211, 183, BStBl II 2006, 61) und die sich auch auf die Besteuerung privater Veräußerungsgewinne auswirken (BFH-Urteil in BStBl II 2006, 178, 182 unter II. 2. c).

2. Die mit Ablauf des Kalenderjahres 1996 nach dem EStG wirksam entstandene Einkommensteuer auf die Spekulationseinkünfte ist auch durch das Gesetz über die strafbefreiende Erklärung vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2928; BStBl I 2004, 22) - StraBEG- nicht rückwirkend entfallen. Selbst wenn die Besteuerung der Kapitaleinkünfte sowie der privaten Veräußerungsgeschäfte infolge der Einführung des StraBEG durch Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig geworden wäre, weil durch das StraBEG eine nicht zu rechtfertigende Benachteiligung der "steuerehrlichen" gegenüber den "steuerunehrlichen" Steuerpflichtigen ausgelöst worden wäre (vgl. Finanzgericht Köln, Vorlagebeschluss vom 22. September 2005 10 K 1880/05, EFG 2005, 1878), hätte dies auf die Besteuerung der Klägerin keine Auswirkung. Weder würde durch eine Nichtigerklärung des StraBEG eine Besserstellung der Klägerin erreicht (vgl. VG Minden Urteil vom 16. Februar 2005 11 K 1528/04, juris), noch wäre zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht Vorschriften des EStG 1996 für nichtig erklären und der Gesetzgeber daraufhin eine die Klägerin begünstigende Neuregelung treffen würde (vgl. BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvL 3/89, BverfGE 84, 233, BStBl II 1991, 652), zumal bereits vor Inkrafttreten des StraBEG fast alle Veranlagungen für 1996 bestandskräftig und festsetzungsverjährt gewesen sind.

3. Der von der Klägerin geltend gemachte Verlust aus Spekulationsgeschäften im Jahr 1997 kann nicht im Wege der Verlustverrechnung die für 1996 festgesetzte Einkommensteuer beeinflussen; er führt insbesondere nicht dazu, dass die in 1996 erzielten Spekulationseinkünfte auf 0 DM herabzusetzen sind.

Dem steht der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für 1997 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3.12.2004 entgegen, wodurch gegenüber der Klägerin rechtsbindend eine positive Einkommensteuerfestsetzung für 1997 ohne Berücksichtigung eines Verlustes aus Spekulationsgeschäften erfolgt ist. Zur Begründung hierfür hat das Finanzamt zutreffend dargelegt, dass zwar grundsätzlich das Verlustausgleichsverbot des § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG 1997 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sei, was zur Folge habe, dass für Verluste aus Spekulationsgeschäften i. S. d. § 23 EStG in noch offenen Altfällen für die Jahre vor 1999 die allgemeinen einkommensteuerlichen Regeln über den Verlustabzug und Verlustausgleich anzuwenden seien (BFH-Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/01, BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26). Jedoch sei die Vorschrift des § 23 EStG a. F., soweit sie Spekulationsgeschäfte mit Wertpapieren erfasse, u. a. für das Jahr 1997 nicht mehr anwendbar, weil das BVerfG sie für nichtig erklärt habe; nach Wegfall dieses Steuertatbestandes sei weder für den Ansatz eines Spekulationsgewinns, noch -wie hier- für die Berücksichtigung eines Spekulationsverlustes eine Rechtsgrundlage vorhanden (BFH-Urteil vom 14. Juli 2004 IX R 13/01, BFHE 206, 316, BStBl II 2005, 125).

Der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für 1997, der einen positiven Einkommensteuerbetrag ausweist, ist auch nicht mehr abänderbar, weil bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Dies hat zur Folge, dass ein erstmaliger Feststellungsbescheid i. S. d. § 10 d Abs. 3 EStG 1997 hinsichtlich eines verbleibenden Verlustabzuges für 1997 bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht ergehen kann (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97, BFHE, BStBl II 2000, 3). Der Senat hält es unter diesen Umständen nicht für geboten, im Hinblick auf den nachgereichten Schriftsatz der Klägerin vom 27.03.2007, worin sie Bezug nimmt auf einen beim Finanzamt gestellten Antrag auf Änderung der festgesetzten Einkommensteuer 1997 und auf Feststellung eines verbleibenden Verlustes für 1997, das Klageverfahren (nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung) auszusetzen bzw. ruhen zu lassen. Es ist auch weder zu prüfen, in welchem Umfang der von der Klägerin behauptete Spekulationsverlust in 1997 von ca. 1,2 Mio. DM nachvollziehbar ist, noch ist über die Rechtsfrage zu befinden, ob durch die Einführung des sog. Kontenabrufverfahrens mit Wirkung zum 1.04.2005 ( § 93 Abs. 7 AO, § 93 b AO i. d. F. des StraBEG) die vom BVerfG ausgesprochene Nichtigerklärung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG 1997 -wie die Klägerin meint- rückwirkend entfallen ist.

4. Das vorliegende Klageverfahren war im Einverständnis mit den Beteiligten zur Klärung streitiger Rechtsfragen, die für das von der Klägerin nunmehr beantragte Billigkeitsverfahren vorgreiflich erscheinen, weiter zu betreiben und nicht auszusetzen. Soweit die Klägerin die sachliche Unbilligkeit der Besteuerung des in 1996 erzielten Spekulationsgewinns angesichts der Nichtberücksichtigung des Spekulationsverlustes aus 1997 geltend macht, wird dem Finanzamt die Vornahme einer Billigkeitsmaßnahme durch das vorliegende Urteil nicht verwehrt.

Eine solche Maßnahme ist auch ernstlich erwägenswert: Die Klägerin war steuerehrlich; sie hat ihre Spekulationseinkünfte regelmäßig erklärt. Ausgerechnet für das Jahr, in dem sie einen nennenswerten Verlust hieraus erzielt hat, wurde dieser Besteuerungstatbestand durch das BVerfG sozusagen rückwirkend aus dem Gesetz entfernt. Dies hätte die Klägerin im Ergebnis nicht betroffen, wenn § 23 EStG 1997 eine (verfassungsrechtlich gebotene) Verlustverrechnungsvorschrift enthalten hätte, die zumindest die überperiodische Verlustverrechnung innerhalb der Einkunftsart (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 7 EStG 1999) ermöglicht hätte. In diesem Falle wäre im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen ein Verlustausgleich innerhalb der Einkunftsart jedenfalls zwischen 1997 und 1996 erfolgt. Vor negativen Folgen der Entscheidung des BVerfG 2 BvL 17/02 wäre die Klägerin durch § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO hinreichend geschützt gewesen. Erst die "doppelte Verfassungswidrigkeit" des § 23 EStG a. F. und das zeitliche Zusammenfallen der Entscheidungen des BVerfG vom 9. März 2004 (strukturelles Vollzugsdefizit) und des BFH vom 1. Juni 2004 (Verlustausgleich) führen dazu, dass bei der Besteuerung der Klägerin ein unsystematischer Verstoß gegen das Nettoprinzip bestehen bleibt, der sich in erheblicher Höhe zu ihren Lasten auswirkt.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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