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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 02.03.2007
Aktenzeichen: 18 K 4115/06 AO
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 37 Abs. 2 S. 1
AO § 44
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

18 K 4115/06 AO

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Rückforderung eines gepfändeten Einkommensteuererstattungsanspruchs rechtmäßig ist.

Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 26.1.2005 pfändete die Beigeladene, die Stadt (im folgenden: Stadt), bei dem beklagten Finanzamt (im folgenden: Finanzamt), unter anderem den Anspruch des Klägers auf Erstattung der Einkommensteuer nebst Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag aus dem Jahr 2004. Der Pfändung lag eine Forderung der Stadt gegen den Kläger in Höhe von rund 7.800,- EUR zu Grunde. Das aus der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 2004 (Bescheid vom 23.06.2005) resultierende Guthaben in Höhe von 1.319,10 EUR erstattete das Finanzamt in der Folgezeit an die Stadt.

Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 23.6.2005 legte der Kläger Einspruch ein, welcher nach Androhung einer Verböserung mit Einspruchsentscheidung vom 7.12.2005 zu einer höheren Einkommensteuerfestsetzung führte. Die Einspruchsentscheidung enthielt als Anlage eine an den Kläger gerichtete Abrechnung, in der der Kläger - unter Berücksichtigung der bereits gegenüber der Stadt erfolgten Erstattung - zur Rückzahlung in Höhe von 1.079,40 EUR aufgefordert wurde.

Anlässlich der Vollstreckung gegenüber dem Kläger vermerkte der Vollziehungsbeamte des Finanzamts, dass hinsichtlich des Rückforderungsbetrags ein Gesamtschuldverhältnis vorliege. Erstattungspflichtig sei ebenfalls die Stadt. Der Kläger sei jedoch in Anspruch zu nehmen. Dies könne schneller erfolgen, weil es eines weiteren Verfahrens in Form eines Rückforderungsbescheids gegenüber der Stadt nicht bedürfe. Im Übrigen habe der Kläger die Rückforderung "verursacht", weil er Einspruch eingelegt bzw. diesen nicht zurückgenommen habe.

Gegen die Inanspruchnahme im Wege der Vollstreckung wandte sich der Kläger und trug vor: Er habe den Anspruch an seine Tochter abgetreten. Die betreffenden Unterlagen habe er damals seiner Steuererklärung beigefügt. Er habe auch auf der Steuererklärung vermerkt, dass der Erstattungsanspruch an die Tochter auszuzahlen sei. Er beantrage den Erlass eines Abrechnungsbescheids, weil die Bestandskraft der Einspruchsentscheidung nicht die zum Erhebungsverfahren gehörende Frage, von welchem Gesamtschuldner die Steuer zurückgefordert werden könne, erfasse. Hierüber könne nur durch einen Abrechnungsbescheid entschieden werden.

Dem folgend erließ das Finanzamt einen Abrechnungsbescheid und führte aus, dass der Kläger als Gesamtschuldner zurecht in Anspruch genommen worden sei.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch. Das Finanzamt zog die Stadt zum Einspruchsverfahren mit der Begründung hinzu, eine Entscheidung könne auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen. Eine Stellungnahme der Stadt erfolgte nicht. Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Zur Begründung des Rückforderungsanspruchs führte das Finanzamt aus: Eine nach § 46 der Abgabenordnung - AO - vorrangig zu beachtende Abtretungserklärung liege dem Finanzamt nicht vor. Die Leistung an die Stadt sei seinerzeit zurecht erfolgt. Hinsichtlich des Rückforderungsanspruchs bestehe ein Gesamtschuldverhältnis. Erstattungsverpflichteter sei sowohl die Stadt als auch gemäß § 37 Abs. 2 Satz 3 AO der Kläger. Mit der Einführung des § 37 Abs. 2 Satz 3 AO habe der Gesetzgeber einen zusätzlichen Rückforderungsanspruch gegen den Pfändungsschuldner eröffnet. Die Vorschrift begründe im Fall der Pfändung einen Haftungstatbestand. Vorrangiges Anliegen des Gesetzgebers sei es gewesen, dem Fiskus einen zweiten Schuldner zu verschaffen. In Ausübung des Auswahlermessens sei der Kläger als Gesamtschuldner in Anspruch genommen worden, weil der Steueranspruch bereits mit Einspruchsentscheidung vom 7.12.2005 gegen den Kläger festgesetzt worden sei und somit eine rasche Erhebung der Steuerschuld ohne Notwendigkeit eines weiteren Verwaltungsverfahrens (Erlass eines Rückforderungsbescheids) möglich sei. Im Übrigen bestehe laut AO-Kartei NRW zu § 46 Karte 803 Nr. 6.1.1. die Weisung, im Fall der nachträglichen Minderung von bereits an den Pfändungsgläubiger ausgezahlten Erstattungsbeträgen die überzahlten Beträge zunächst beim Steuerpflichtigen, d.h. dem Pfändungsschuldner, geltend zu machen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage und führt zur Begründung aus: Der Rückforderungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sei gegen den Pfändungsgläubiger als Leistungsempfänger zu richten und nicht gegen ihn als Pfändungsschuldner. Zwar richte sich der Rückforderungsanspruch seit der Einführung des § 37 Abs. 2 Satz 3 AO nicht nur gegen den Leistungsempfänger, sondern auch gegen den Pfändungsschuldner. Das Finanzamt habe aber das ihm zustehende Auswahlermessen nicht bzw. nicht richtig ausgeübt. In erster Linie habe sich das Finanzamt an die Stadt als Leistungsempfängerin zu halten. Dies entspreche auch der Dienstanweisung der Oberfinanzdirektion Frankfurt (vgl. Verfügung vom 14.6.2000 S 0166 A-1-St II 42). Dabei dürften auch keine Bedenken bestehen, die Stadt als Leistungsempfängerin in Anspruch zu nehmen, weil die Stadt schließlich nicht zahlungsunfähig sei. Im Übrigen sei die Einspruchsentscheidung vom 7.12.2005 (Änderung der Einkommensteuer-Festsetzung) nichtig, weil eine notwendige Beiladung der Stadt seinerzeit unterblieben sei.

Der Kläger beantragt,

den Abrechnungsbescheid des Finanzamts vom 29.06.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.09.2006 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Rückforderung vom Kläger erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Das Finanzamt verbleibt bei seiner Ansicht, dass die Rückforderung gegenüber dem Kläger rechtmäßig ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Steuerakten und die Schriftsätze der Beteiligten im Klageverfahren Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 2.2.2007 hat das Gericht die Stadt..., vertreten durch den Oberbürgermeister, zum Klageverfahren beigeladen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Finanzamt kann den Kläger für die Rückforderung des Einkommensteuererstattungsbetrags in Anspruch nehmen.

1. Durch die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung in Form der (verbösernden) Einspruchsentscheidung vom 7.12.2005 ist der Rechtsgrund für die Leistung an die Stadt im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 2 AO nachträglich teilweise weggefallen und insoweit ein Rückforderungsanspruch des Finanzamts begründet worden. An der Wirksamkeit der Einspruchsentscheidung bestehen keine Bedenken. Entgegen der Ansicht des Klägers folgt eine Nichtigkeit der Einspruchsentscheidung auch nicht aus einer unterlassenen notwendigen Hinzuziehung (§ 360 Abs. 3 Satz 1 AO) der Stadt zum Einspruchsverfahren. Ein Fall der notwendigen Hinzuziehung lag nicht vor, weil der Pfändungsgläubiger nicht befugt ist, gegen den Steuerbescheid Einspruch einzulegen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18.8.1998 VII R 114/97, BFHE 187, 1 BStBl. II 1999, 84). Denn der Pfändungsgläubiger rückt nicht in die Rechtsposition des Pfändungsschuldners im Steuerfestsetzungsverfahren ein. Er erhält lediglich dessen Zahlungsanspruch im Erhebungsverfahren (vgl. hierzu auch Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO/FGO, Rn. 116 zu § 46 AO m.w.N.). Im Übrigen führt eine im Einspruchsverfahren unterlassene notwendige Hinzuziehung nicht zur Nichtigkeit der erlassenen Einspruchsentscheidung (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO-Kommentar, § 361 Rn. 13 m.w.N.).

2. Rückforderungsschuldner und damit Gesamtschuldner (§ 44 AO) für diesen Anspruch des Finanzamts sind sowohl die Stadt als auch der Kläger.

Die Schuldnerstellung der Stadt als Pfändungsgläubigerin folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO. Da das Erstattungsguthaben an sie aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ausgezahlt worden ist, ist sie als Leistungsempfängerin zur Rückzahlung verpflichtet (vgl. zur Stellung des Pfändungsgläubigers als Leistungsempfänger auch den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 29.9.1999 VII B 35/99, BFH/NV 2000, 305 m.w.N.). Das Vorbringen des Klägers, das Erstattungsguthaben sei bereits vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an das Finanzamt abgetreten worden beziehungsweise es habe eine Weisung bestanden, das Guthaben an die Tochter des Klägers auszuzahlen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn im Streitfall kann von einer der wirksamen Pfändung entgegenstehenden Erstattungspflicht des Finanzamts an die Tochter aufgrund einer der Pfändung vorangegangenen Abtretungserklärung nicht ausgegangen werden, weil bereits nicht ersichtlich ist, dass eine Abtretung in der Form des § 46 Abs. 3 AO gegenüber dem Finanzamt wirksam erklärt worden ist. Eine solche ist den Akten nicht zu entnehmen. Die bloße Anweisung, ein Erstattungsguthaben an einen Dritten auszuzahlen, steht der Pfändbarkeit eines Erstattungsanspruchs jedoch nicht entgegen. Im Übrigen ist der Pfändungsgläubiger auch dann, wenn die Pfändung unwirksam war, als Leistungsempfänger nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO zur Rückzahlung der aufgrund der Pfändung erhaltenen Beträge verpflichtet (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13.02.1996 VII R 89/95 BFHE 180, 1, BStBl II 1996, 436). Die Schuldnerstellung des Klägers folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 3 AO. Danach richtet sich der Rückforderungsanspruch im Fall der Pfändung auch gegen den Pfändungsschuldner.

3. Besteht demnach zwischen dem Kläger und der Stadt ein Gesamtschuldverhältnis, so steht die Entscheidung, welcher von mehreren Gesamtschuldnern in Anspruch genommen werden soll, nicht im freien Belieben der Behörde, sondern unterliegt vielmehr dem pflichtgemäßen Auswahlermessen des Finanzamts. Für dieses Auswahlermessen gelten die allgemeinen Grundsätze des § 5 AO. Die Ermessensentscheidung ist nach § 102 FGO jedoch vom Gericht nur daraufhin zu überprüfen, ob der Verwaltungsakt deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Demzufolge kann der einzelne Schuldner nur aufgrund einer Ermessensentscheidung in Anspruch genommen werden, welche den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie die wirtschaftliche Bedeutung der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung zu beachten hat. Dabei muss die Ermessensentscheidung spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet werden, anderenfalls ist sie grundsätzlich fehlerhaft (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 2.12.2003 VII R 17/03 BFHE 204, 380, BFH/NV 2004, 597).

Im Streitfall hat das Finanzamt in der Sache und dem Antrag des Klägers entsprechend eine Ermessensentscheidung zu der Frage, ob der Kläger in Anspruch genommen werden kann, treffen wollen und auch getroffen.

Unerheblich ist, ob eine derartige Auswahlentscheidung bereits bestandskräftig mit der Einspruchsentscheidung vom 7.12.2005 getroffen worden ist, wofür indes die mit diesem Bescheid ergangene Zahlungsaufforderung gegenüber dem Kläger spricht. Denn auf die Bestandskraft einer vorherigen Entscheidung kann sich das Finanzamt nicht mehr berufen, weil es sich durch den Erlass des vom Kläger beantragten Abrechnungsbescheids jedenfalls auf eine erneute Sachprüfung eingelassen hat.

Das Finanzamt hat sein Auswahlermessen dahingehend ausgeübt, dass es nur den Kläger in Anspruch genommen hat. Hierin vermag das Gericht keinen Ermessensfehler zu erkennen.

Denn das Finanzamt war nicht verpflichtet, den Kläger erst nachrangig nach der Stadt als Leistungsempfängerin in Anspruch zu nehmen. Allerdings wird eine grundsätzlich nur subsidiäre Inanspruchnahme des nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO Verpflichteten in der Literatur teilweise mit der Begründung vertreten, dass es sich bei der durch das Jahressteuergesetz 1996 eingeführten Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 3 AO um einen (vom Gesetzgeber nicht erkannten) Haftungstatbestand handle (vgl. hierzu Drüen in Tipke/Kruse, AO, § 37 Rn. 119; Seer/Drüen, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1988, 208, 210; ähnlich Schmieszek in Beermann/Gosch, AO/FGO-Kommentar - § 37 AO Rn. 77 ff. m.w.N.; zustimmend auch FG Berlin, Urteil vom 21.12.1999 7 K 7262/98, EFG 2000, 403 sowie FG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.9.2003 1 V 52/03, DStRE 2005, 292). Innerhalb der Finanzverwaltung wird die Frage, welcher von den Gesamtschuldnern zunächst in Anspruch zu nehmen ist, dagegen nicht einheitlich beantwortet. So ist nach der Weisung der Oberfinanzdirektion Frankfurt vom 14.6.2000 (Az.: S 01166 A -1-St II 42, AO-Kartei HE § 46 Abs. 6 und 7 AO Karte 1, Tz 3.3.2, zu finden unter juris) im Falle der Pfändung der Erstattungsbetrag, der sich nach einer Korrektur der Steuerfestsetzung ergibt, grundsätzlich zunächst vom Pfändungspfandgläubiger zurückzufordern. Nur wenn dies nicht zum Erfolg führe, sei der Betrag vom Steuerpflichtigen selbst zurückzufordern. Im Gegensatz hierzu ist nach der Weisung des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen (AO-Kartei NRW, Karte 803 Tz. 6.1.1 zu § 46 AO) in diesem Fall zunächst der Steuerpflichtige, d.h. der nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO Verpflichtete, in Anspruch zu nehmen. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob der nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO Verpflichtete nur nachrangig in Anspruch genommen werden soll, ist bisher nicht ergangen. Soweit Entscheidungen des Bundesfinanzhofs zu der Neuregelung vorliegen, betreffen diese lediglich die Frage, ob die rückwirkende Einführung des Satzes 3 gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 9.7.1988 V B 142/97 BFH/NV 1999, 151 sowie vom 31.8.2000 VII B 297 und 298/99, BFH/NV 2001, 730) oder ob die Vorschrift in den Fällen des § 74 Abs. 1 EStG entsprechend anwendbar ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofsvom 24.8.2001 VI R 83/99 BFHE 196, 278, BStBl. II 2002, 47).

Nach Ansicht des Gerichts ist die Entscheidung, welcher von den Gesamtschuldnern in Anspruch zu nehmen ist, nicht dahingehend vorgeprägt, dass der nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO Verpflichtete grundsätzlich nur nachrangig in Anspruch zu nehmen und daher der Leistungsempfänger der in erster Linie zur Rückzahlung Verpflichtete ist. Vielmehr besteht zwischen dem Leistungsempfänger und dem nach § 37 Abs. 2 Satz 3 Verpflichteten eine gleichrangige Gesamtschuldnerschaft.

Bereits der Gesetzeswortlaut bietet für eine nur subsidiäre Inanspruchnahme des nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO Verpflichteten keinen Anhaltspunkt. Denn die Formulierung, dass der Pfändungsschuldner, Abtretende und Verpfänder "auch" Erstattungsschuldner ist, bringt lediglich zum Ausdruck, dass dem Finanzamt ein weiterer Schuldner zur Verfügung steht, trifft jedoch zu dem Rangverhältnis selbst keine Aussage. Auch die systematische Stellung des § 37 Abs. 2 Satz 3 AO spricht nicht für eine nur nachrangige Inanspruchnahme. Der nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO Verpflichtete ist Erstattungs- und nicht Haftungsschuldner. Zudem ist eine dem § 219 AO vergleichbare Regelung, die dem Grundgedanken der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners entsprechend (vgl. hierzu Kruse in Tipke/Kruse, AO-Kommentar, Rn. 1 zu § 219 AO) eine nur subsidiäre Inanspruchnahme nahe legen könnte, in § 37 Abs. 2 Satz 3 AO nicht vorgesehen. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Willen des Gesetzgebers. Eine nur nachrangige Inanspruchnahme des nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO Verpflichteten sieht die Gesetzesbegründung nicht ausdrücklich vor. Hauptanliegen des Gesetzgebers war es vielmehr, den Finanzbehörden einen weiteren Schuldner zu vermitteln. Denn wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, war Anlass für die Einführung des § 37 Abs. 2 Satz 3 AO die Vermeidung verfahrensrechtlicher und organisatorischer Schwierigkeiten, die sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Leistungsempfänger in den Fällen der Abtretung ergaben. Der Rückforderungsanspruch sollte sich deshalb auch gegen den Abtretenden richten. Gleiches sollte im Fall der Pfändung und Verpfändung gelten (vgl. BT-Drucksache 13/901, Seite 160). Diese Intention des Gesetzgebers würde jedoch in ihr Gegenteil verkehrt, könnte das Finanzamt den nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO Verpflichteten - einem Haftenden vergleichbar - grundsätzlich nur dann in Anspruch nehmen, wenn es zuvor erfolglos gegen den Leistungsempfänger vorgegangen ist.

Eine nachrangige Inanspruchnahme des nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO Verpflichteten folgt auch nicht aus der weiteren Gesetzesbegründung. Danach wollte der Gesetzgeber ferner den Abtretenden davor schützen, dass der Abtretungsempfänger von der Rückforderung Kenntnis erhält. Schließlich wollte er missbräuchlichen Abtretungen entgegenwirken. Diese weiteren gesetzgeberischen Erwägungen vermögen jedoch eine nachrangige Inanspruchnahme nicht zu begründen, weil sie sich nach dem Wortlaut der Begründung ("Hinzu kommt") im Ergebnis nur als Hilfsbegründung darstellen. Dies zeigt sich auch daran, dass die Begründung im Fall der Pfändung nicht verfängt. Denn an einen Gestaltungsmissbrauch ist im Fall der Pfändung nicht zu denken. Auch eine (weitere) nachteilige Störung des Verhältnisses zwischen dem Pfändungsgläubiger und dem Pfändungsschuldner scheidet in diesem Fall aus. Tragende Begründung bleibt die Intention des Gesetzgebers, den Finanzbehörden anlässlich der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der damit verbundenen verfahrensrechtlichen und organisatorischen Schwierigkeiten einen weiteren Schuldner zu vermitteln.

Darüber hinaus ist eine subsidiäre Inanspruchnahme des nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO Verpflichteten auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, die Inanspruchnahme des Pfändungsschuldners, Verpfänders oder Abtretenden der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners vergleichbar auszugestalten. Eine derartige Einschränkung bei der Normgebung ergibt sich insbesondere nicht aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Denn dem Gesetzgeber steht bei der Rechtsetzung ein weit reichender Ermessenspielraum zu. Eine Einschränkung aufgrund des Gleichheitssatzes ist nur dann geboten, wenn sich die Differenzierung als sachlich nicht rechtfertigungsfähig erweist, weil sie insbesondere gegen das Gebot der Folgerichtigkeit verstößt. Für eine derartige Einschränkung bestehen jedenfalls in Bezug auf die Erstattungspflicht des Pfändungsschuldners keine Gründe. Denn der Pfändungsschuldner ist durch die Erstattung an den Pfändungsgläubiger bei wirtschaftlicher Betrachtung jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - die Pfändung als solche wirksam ist, mittelbar ebenfalls bereichert, weil er in Höhe des ausgezahlten Betrages von einer Verbindlichkeit gegenüber dem Pfändungsgläubiger befreit worden ist.

Besteht demnach ein gleichrangiges Gesamtschuldverhältnis, so steht der Inanspruchnahme des Klägers im Streitfall auch nicht von vornherein entgegen, dass gegen den Kläger Anfang 2005 im Wege der Zwangsvollstreckung vorgegangen worden ist. Hieraus kann nicht mit Sicherheit geschlossen werden, dass der Kläger zurzeit zahlungsunfähig ist, eine Inanspruchnahme des Klägers daher erfolglos erscheint. Denn die im Januar 2005 erfolgte Vollstreckung gegen den Kläger lässt nicht zwingend darauf schließen, dass dieser zahlungsunfähig war beziehungsweise zurzeit (noch) ist. Dies lässt sich erst im Wege der Vollstreckung durch das Finanzamt klären.

Das Finanzamt hat seine Ermessensentscheidung auch ausreichend und mit zutreffenden Erwägungen begründet. Zwar kann die Entscheidung nicht auf die Erwägung gestützt werden, der Kläger habe die Rückforderung mangels Rücknahme des Einspruchs selbst verursacht. Denn der Umstand, dass die materiellrechtlich zutreffende Steuer verfahrensrechtlich auch festgesetzt werden kann, kann nicht als Verschulden des Klägers gewertet und als Grund für die Inanspruchnahme angeführt werden. Das Finanzamt hat jedoch als tragende Begründung für die Inanspruchnahme des Klägers in der Einspruchsentscheidung angeführt, dass eine solche mangels Notwendigkeit einer weiteren Festsetzung gegenüber dem Pfändungsgläubiger einfacher sei und diese Vorgehensweise im Übrigen der für sie geltenden Verwaltungsanweisung entspräche. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden, weil es ausweislich der Gesetzesbegründung gerade der Zweck des § 37 Abs. 2 Satz 3 AO ist, verfahrensrechtliche und organisatorische Schwierigkeiten, die mit einem Vorgehen gegen den Leistungsempfänger verbunden sind, zu vermeiden. Zudem wird durch die Befolgung der Verwaltungsanweisung im Land NordrheinWestfalen eine gleichmäßige Handhabung bei der Auswahl des Gesamtschuldners in gleichgelagerten Fällen gewährleistet.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie mangels eigenen Antrags kein Kostenrisiko getragen hat. Im vom Senat am 16.3.2007 hinterlegten Tenor war versehentlich der im Anschluss an die mündliche Verhandlung beschlossene Ausspruch zur Kostenerstattung der Beigeladenen nicht ausgewiesen. Der Senat hat den hinterlegten Tenor korrigiert. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der dem Verfahren zugrundeliegenden Streitfrage zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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