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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 07.08.2007
Aktenzeichen: 1 K 15/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 9a
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a
EStG § 32 Nr. 2b S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

1 K 15/05

Tatbestand:

I. Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Kindergeld für das Kalenderjahr 2003. Insbesondere ist streitig, ob der Grenzbetrag der Einkünfte überschritten wurde.

Der Kläger ist Beamter der Freien und Hansestadt Hamburg. Für seine am ..... 1983 geborene Tochter (Frau J. H.) beantragte der Kläger am 30.09.2001 bei der Beklagten die Zahlung von Kindergeld über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus. Diesem Antrag gab die Beklagte statt.

Frau J. H. erlitt am 24.11.2001 einen Unfall, bei dem sie schwer verletzt wurde. Der Unfall ereignete sich auf dem Rückweg von der Schule. Die Tochter wurde von einem Auto angefahren. Sie erlitt ein offenes Hirntrauma, eine Gehirnblutung und weitere schwere Verletzungen. Sie lag deswegen mehrere Wochen im Krankenhaus und musste anschließend mehrere Therapien durchführen. Die Tochter konnte infolge des Unfalls den Anforderungen der Schule nicht mehr entsprechen und ließ sich beurlauben. Hierdurch hat sie insgesamt ein Schuljahr verloren und konnte ihre Abiturprüfung erst in 2004 statt, wie geplant, in 2003 ablegen.

Ein Gutachter stellte aufgrund der schweren Schädel-Hirn-Verletzung eine erheblich depressive Reaktion bei J. H. fest. In der Folge begab sich die Tochter bei einer Diplom-Psychologin in psychotherapeutische Behandlung. Die Therapie wurde zwei Mal wöchentlich durchgeführt. Auf Anregung der Therapeutin absolvierte die Tochter des Klägers einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt (April 2003 bis August 2003) in Schottland. Soweit der Aufenthalt in die Schulzeit fiel, wurde J. H. von der Schule beurlaubt.

Durch den Aufenthalt in Schottland sollte das Ziel verfolgt werden, das Selbstbewusstsein der Klägerin zu stärken, welches infolge des Unfalls geschwächt war. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichte Bescheinigung der behandelnden Psychologin vom 21.11.2005 (FGA Bl. 66) verwiesen.

Im Zusammenhang mit dem Aufenthalt in Schottland sind folgende Kosten entstanden:

Kosten für Organisation durch "S. I." in Höhe von 700 EUR

Wohnungskosten in Höhe von 1.260 EUR

Kosten für Verpflegungsmehraufwand in Höhe von 1.575 EUR

Flugkosten in Höhe von 500 EUR

Insgesamt in Höhe von 4.035 EUR

Eine Erstattung dieser Kosten durch die Landesunfallkasse erfolgte nicht, da nach Ansicht der Unfallversicherung die geltend gemachten Kosten nicht im Leistungskatalog der Unfallversicherung vorgesehen waren. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Schreiben der Landesunfallkasse vom 13.02.2007 (FGA Bl. 153) verwiesen.

In Schottland jobbte J. H. als Kellnerin. Dabei erzielt sie Einkünfte in Höhe von 573,58 EUR. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Beweisaufnahme vom 12.10.2006 verwiesen.

Im Anschluss an den Auslandsaufenthalt besuchte J. H. aus Therapiezwecken eine Malschule, für die sie 120,00 EUR aufwenden musste. Für ihre Therapiestunden sind ihr Fahrtkosten in Höhe von 184,00 EUR entstanden.

Am 25.11.2003 erließ die Landesunfallkasse einen Bescheid über die Rente als vorläufige Entschädigung gegenüber der Tochter des Klägers, in dem die Höhe der zu zahlenden Verletztenrente festgesetzt wurde. Frau H. erhielt im Jahr 2003 eine Rentenzahlung in Höhe von insgesamt 10.047,35 EUR, wobei 4.516,26 EUR auf das Jahr 2003 und der Rest auf die Jahre 2001 und 2002 entfielen. Für das Jahr 2003 wurde im Rentenbescheid von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 40 % ausgegangen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Rentenbescheid vom 25.11.2003 verwiesen (FGA Bl. 6).

Durch Bescheid vom 16.06.2004 entzog die Beklagte dem Kläger das Kindergeld für das Jahr 2003 nachträglich wegen der Überschreitung der Einkunftsgrenze bei der Tochter im Kalenderjahr 2003. Das Gehalt des Klägers wurde in Höhe des zuvor gezahlten Kindergeldes von 1.848,00 EUR einbehalten.

Mit Schreiben vom 25.06.2004 legte der Kläger hiergegen Einspruch ein. Dieser wurde durch Einspruchsentscheidung vom 28.12.2004 von der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am 26.01.2006 bei Gericht eingegangene Klage. Der Kläger trägt vor, dass der Grenzbetrag in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nur deshalb überschritten worden sei, weil die Rentenfestsetzung verzögert erfolgt sei. Dieser Umstand sei weder in der Person des Klägers noch in der Person seiner Tochter begründet. Wären die Renten für die Jahre 2001 und 2002 zeitnah festgesetzt und ausgezahlt worden, hätte der Kläger auch für 2003 einen Anspruch auf Kindergeld gehabt. Der Grenzbetrag wäre dann nicht überschritten worden, da der Tochter des Klägers dann nur Rentenzahlungen zugeflossen wären, die unterhalb des Grenzbetrages liegen. Der Kläger werde gegenüber denjenigen benachteiligt, deren Kinder in vergleichbaren Fällen ihre Rente zeitnah ausgezahlt bekommen. Der Sinn und Zweck der Verletztenrente könne so nicht mehr erreicht werden. Die Renten sollen die durch den Unfall eingetretenen Nachteile ausgleichen. Im Ergebnis stelle die Rückforderung des Kindergeldes eine Kürzung der Rente dar.

Auch müsse einbezogen werden, dass der Tochter unfallbedingter Mehraufwand entstanden sei, da sie die Kosten für den Schottlandaufenthalt nicht erstattet bekommen habe. Das der Tochter zur Verfügung gestandene Einkommen habe den Grenzbetrag deshalb nicht überstiegen. Es widerspreche dem Sinn und Zweck einer Verletztenrente, wenn der Verletzte nicht berechtigt sei, die Rente zur Kompensation bzw. Linderung der Beeinträchtigung oder zum Zwecke der Therapie einzusetzen, mit der Folge, dass die unfallbedingten Aufwendungen das Einkommen entsprechend minderten.

Der Kläger beantragt,

den Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 16.06.2004 und die Einspruchsentscheidung vom 28.12.2004 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, bei der Rentenzahlung sei auf den Zufluss des gezahlten Betrages abzustellen. Zugeflossen sei die Rente im Jahr 2003, sodass diese Zahlung bei der Anwendung von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG voll zu berücksichtigen sei.

Hinsichtlich der Aufwendungen für den Auslandsaufenthalt und der Malschule fehle es an der Erforderlichkeit dieser Maßnahmen. Diesbezügliche Aufwendungen könnten auch deshalb nicht berücksichtigt werden, weil der Kläger für seine Tochter das Kindergeld nicht gem. § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG zustehen würde. Nur bei § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG bestünde die Möglichkeit sog. behinderungsbedingten Mehraufwand zu berücksichtigen.

Auch müsse einbezogen werden, dass die Tochter Einkünfte als Kellnerin erzielt habe. Die Höhe der Einkünfte sei nicht überzeugend nachgewiesen worden. Die im Zusammenhang mit den Einnahmen aus der Kellnertätigkeit erklärten Werbungskosten seien nicht abzugsfähig, da sowohl Kleidungs- als auch Taxifahrten dem privaten Lebensbereich zuzuordnen seien.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beklagten verwiesen.

Durch Beschluss vom 04.08.2006 wurde die Sache der Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.

Die Tochter des Klägers wurde als Zeugin gehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll der Beweisaufnahme vom 12.10.2006 verwiesen.

Durch Beschluss vom 21.12.2006 wurde ein Sachverständiger bestellt für die Frage, ob der Schottlandaufenthalt medizinisch indiziert gewesen ist. Auf das Gutachten des Sachverständigen vom 15.03.2007 wird in diesem Zusammenhang verwiesen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und haben sich mit einer Entscheidung der Berichterstatterin gem. § 79a Abs. 3 FGO einverstanden erklärt.

Auf die Protokolle der Erörterungstermine vom 05.07.2005 und 12.10.2006 wird Bezug genommen. Dem Gericht hat die Kindergeldakte der Freien und Hansestadt Hamburg (H., Karl) vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Berichterstatterin entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gem. § 79a Abs. 3 FGO ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

I. Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger begehrt, den Bescheid der Beklagten vom 16.06.2004 und die Einspruchsentscheidung vom 28.12.2004 aufzuheben. Hierfür ist die Anfechtungsklage nach § 40 Abs. 1 FGO die statthafte Klageart. Die Erhebung einer zusätzlichen Leistungsklage ist nicht erforderlich, so dass die Klage dahingehend ausgelegt wird, dass sie sich lediglich auf Aufhebung des Aufhebungsbescheides richtet.

Der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 16.06.2004 und die Einspruchsentscheidung vom 28.12.2004 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Der Kläger hat für das Jahr 2003 Anspruch auf die Zahlung von Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a und 2b EStG. Der Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wurde in 2003 nicht überschritten.

Die Tochter des Klägers ging im Jahr 2003 noch zur Schule und befand sich dementsprechend noch in der Ausbildung. Die Zeit der Beurlaubung unterschritt den Zeitraum von 4 Monaten.

Der Kindergeldanspruch des Klägers scheitert nicht an § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, denn der Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wurde in 2003 nicht überschritten.

Für die Gewährung des Kindergeldes wird ein Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7188,00 EUR im Kalenderjahr hat.

Einkünfte sind der Gewinn oder der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten gemäß § 2 Abs. 2 EStG, die im Rahmen der sieben Einkunftsarten nach § 2 Abs. 1 EStG erzielt werden (BFH v. 21.07.2000, Az. VI R 153/99, BStBl II 2000, 566). Bezüge sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert, die nicht im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkünfteermittlung erfasst werden, d.h. nicht steuerbare oder für steuerfrei erklärte Einnahmen sowie die in § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG genannten steuerfreien Gewinne, steuerfrei bleibende Einkünfte, Sonderabschreibungen und erhöhte Absetzungen. Einkünfte und Bezüge sind insoweit zu berücksichtigen, als sie zugeflossen sind. Es gelten die Grundsätze des § 11 Abs. 1 EStG (vgl. FG Düsseldorf v. 18.03.1999, Az. 14 K 6849/98 Kg, EFG 1999,713).

Die Einkünfte und Bezüge der Tochter überschritten im Kalenderjahr 2003 nicht die Einkunftsgrenze gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

Die Einkünfte der Tochter aus ihrer Kellnertätigkeit in Schottland sind zwar grundsätzlich zu berücksichtigen, sie liegen aber unterhalb des Werbungskostenpauschbetrages, so dass sie sich nicht auswirken.

Die Tochter des Klägers erzielte aus ihrer Kellnertätigkeit in Schottland 573, 58 EUR. Es besteht kein Anlass für das Gericht an der mitgeteilten Höhe der Einnahmen aus der Kellnertätigkeit zu zweifeln. Die Einnahmen aus der Kellnertätigkeit in Schottland sind grundsätzlich auch für die Überprüfung der Kindergeldeinkunftsgrenze relevant, denn die Tochter hatte im Jahr 2003 weiterhin ihren Wohnsitz im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 8 AO in Deutschland und war deswegen in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Zwar unterlagen diese Einnahmen aus § 19 EStG nach dem sog. Arbeitsortsprinzip dem Besteuerungsrecht von Großbritannien (Art. XI Abs. 2 DBA-Großbritannien vom 26.11.1964 in der Fassung des Revisionprotokolls vom 23.03.1970. In Deutschland erfolgt eine Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Freistellung unter Progressionsvorbehalt nach Art. XVIII Abs. 2 lit. a DBA-Großbritannien).

Zu den relevanten Bezügen im Sinne von § 32 EStG gehören auch die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte und Leistungen, denn Bezüge sind alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert, die nicht bereits im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkunftsermittlung erfasst werden. Dies sind nicht steuerbare oder im Einzelnen für steuerfrei erklärte Einnahmen (BFH v. 26.09.2000, Az. VI R 85/99, BFH/NV 2001, 117), welche zur Bestreitung des Unterhalts geeignet oder bestimmt sein müssen.

Allerdings müssen von diesen Einnahmen auch Werbungskosten abgezogen werden. Die Berücksichtigung des Werbungskostenpauschbetrages folgt aus dem Grundsatz, dass Bezüge im Ausland, die - wenn sie im Inland anfielen - Einkünfte wären, wie inländische Einkünfte zu ermitteln sind. Anderenfalls würde eine Ungleichbehandlung mit denjenigen bestehen, die genauso hohe Einkünfte aus einer nichtselbständigen Tätigkeit im Inland erzielt hätten und daher Werbungskosten geltend machen könnten.

Die vom Kläger in diesem Zusammenhang erklärten Werbungskosten liegen unterhalb des Pauschbetrages gem. § 9a EStG in Höhe von 1.044 EUR, so dass der Pauschbetrag zur Anwendung gelangt. Da der Pauschbetrag über den erzielten Einnahmen liegt, hat die Tochter des Klägers keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, die im Rahmen von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beachtlich sind. Ob die konkret geltend gemachten Werbungskosten grundsätzlich als Werbungskosten anerkannt werden können, musste nicht entschieden werden.

Auch durch die gezahlte Unfallrente wird der zulässige Höchstbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht überschritten.

Zwar hat die Tochter des Klägers in 2003 aufgrund des Bescheides der Landesunfallkasse vom 25.11.2003 im Jahr 2003 einen Betrag in Höhe von 10.047,35 EUR erhalten. Der gesamte Betrag ist ihr auch in 2003 zugeflossen und stellt daher grundsätzlich eine berücksichtigungspflichtige Einnahme dar. Denn Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung gehören zu den Bezügen im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Hinsichtlich der Prüfung, ob die Höhe des Grenzbetrages von 7.188,00 EUR nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten wurde, ist auf alle während des gesamten Kalenderjahres zufließenden Bezüge des Kindes abzustellen, um dem Jahresprinzip nach § 2 Abs. 7 EStG des Einkommensteuerrechts gerecht zu werden. Damit wird dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprochen, indem die Steuerpflichtigen Eltern von der Gewährung des Kindergeldes ausgenommen werden, deren Kind über Einkünfte und Bezüge in einer den Grenzbetrag übersteigenden Höhe verfügt. Denn Einkünfte und Bezüge über dem Grenzbetrag führen zu einer Minderung der Bedürftigkeit des Kindes, so dass die unterhalspflichtigen Eltern eine Herabsetzung des Unterhalts verlangen können. Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Rentenzahlung entfiele anteilig auf Zeiträume, in denen das Kind noch bedürftig gewesen sei. Die Einkünfte und Bezüge fließen dem Kind zu, wenn es wirtschaftlich darüber verfügen kann. Es kommt nur auf den Zeitpunkt an, in dem die Mittel zur Verfügung stehen und nicht für welchen Zeitraum sie nachgezahlt werden (siehe BFH vom 16.04.2002 VIII R 96/0, BFH/NV 2002, 1027). Da J. H. die gesamte Rentenzahlung im Kalenderjahr 2003 zugeflossen ist, war bei der Ermittlung der Bezüge für das Kalenderjahr 2003 der gesamte Nachzahlungsbetrag grundsätzlich anzusetzen.

Allerdings muss der Grenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG im Fall der Tochter des Klägers um den Betrag erhöht werden, den die Tochter aufwenden musste, um die Folgen ihres Schulunfalls zu überwinden bzw. auszugleichen. Hierbei handelt es sich um unfallbedingten Mehraufwand.

Ähnlich wie dem behinderten Kind behinderungsbedingter Mehrbedarf zugebilligt wird (siehe z.B. BFH vom 17.11.2004 VIII R 18/02, BFH/NV 2005, 691, BFH vom 14.12.2004, VIII R 59/02, BFH/NV 2005, 1090; BFH vom 15.02.2007, III B 145/06, zitiert nach juris), muss auch dem verletzten Kind ein Mehrbedarf zugebilligt werden, der sich durch die Unfallfolgen ergibt, denn auch das verletzte Kind kann einen zusätzlichen individuellen Bedarf haben, welcher über den allgemeinen Grundbedarf hinausgeht. Die Interessenlage des verletzten Kindes unterscheidet sich insofern nicht von dem behinderten Kind.

Im Streitfall sind insbesondere die durch den Schottlandaufenthalt entstandenen Kosten in Höhe von 4.035 EUR durch die Unfallfolgen verursacht worden, so dass sich mindestens in dieser Höhe ein unfallbedingter Mehraufwand ergibt.

Hätte J. H. den Unfall nicht erlitten, dann hätte sie keine Unfallrente bezogen und auch keine Maßnahmen zur Herstellung ihrer Gesundheit durchführen müssen. Die Aufwendungen stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den erhaltenen Bezügen. Sowohl der Erhalt der Unfallrente als auch die Aufwendungen des Auslandsaufenthalts haben ihre Ursache in dem Verkehrsunfall der J. H.. Unschädlich ist, dass die Tochter keine Behinderung im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG hat. Es geht hier nicht um die Berücksichtigung von behinderungsbedingten Mehraufwand. Entscheidend ist im Streitfall der Mehraufwand der durch den Unfall bzw. die Unfallfolgen entsteht. Auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG kommt es nicht an. Der Grenzbetrag in Höhe von 7.188 EUR ist um den unfallbedingten Mehraufwand in Höhe von 4.035 EUR zu erhöhen, so dass sich ein Betrag in Höhe von 11.223 EUR ergibt. Der zugeflossene Rentenbetrag liegt unterhalb der Grenze von 11.223 EUR.

Gegen das Ergebnis spricht auch nicht, dass grundsätzlich Sonderausgaben nicht in die Berechnung der zugeflossenen Beträge im Rahmen des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG einzubeziehen sind. Zwar sind Sonderausgaben nur in Ausnahmefällen bei der Überprüfung des Grenzbetrages berücksichtigungsfähig (siehe z.B. Schmidt-Loschelder § 32 Rn. 51ff). Allerdings liegt hier ein solcher Ausnahmefall vor.

Das Bundesverfassungsgericht hat § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfassungskonform dahingehend ausgelegt, dass von den Bezügen wie von den Einkünften nur diejenigen in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einfließen, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind. Aus dem Erfordernis, dass die Mittel des Kindes zur Bestreitung von Unterhalt und Berufsausbildung bestimmt und geeignet sein müssen, hat das Bundesverfassungsgericht hergeleitet, dass z.B. Sozialversicherungsbeiträge, die im Arbeitslohn enthalten sind, nicht verfügbar seien und deswegen nicht die relevanten Einkünfte erhöhen (BverfGvom 11.01.2005 2 BvR 167/02, BFH/NV 2005, Beilage 3, S. 260, BVERfGE 112, 164). Der BFH hat die Rechtsprechung auch auf Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung erweitert (BFH vom 16.11.2006, III R 74/05, BFH/NV 2007, 559 und BFH vom 14.12.2006 III R 24/06, BFH/NV 2007, 798).

Auf den Streitfall übertragen, folgt hieraus, dass die an die Tochter des Klägers gezahlte Rente ihr nicht in vollem Umfang zur Verfügung stand. Denn die Tochter des Klägers hatte Aufwendungen zu tragen, welche durch die unfallbedingten Folgen verursacht wurden. Diese Aufwendungen müssen von dem zugeflossenen Betrag abgezogen werden, da sie ihr nicht für ihren normalen Lebensunterhalt zur Verfügung standen, so dass die relevanten Einkünfte insgesamt unter dem Grenzbetrag liegen.

Das Gericht ist von der Erforderlichkeit der Maßnahme zur erfolgreichen Behandlung der Unfallfolgen überzeugt, denn der Aufenthalt in Schottland war medizinisch indiziert. Das wurde sowohl von der damals behandelnden Ärztin als auch von dem vom Gericht eingesetzten Sachverständigen bestätigt. Das Gutachten des vom Gericht bestimmten Sachverständigen kommt zu dem überzeugenden Ergebnis, dass der Schottlandaufenthalt für die Tochter des Klägers aus neurologisch-psychiatrischer Sicht in engem Zusammenhang mit dem letztlichen Erfolg der medizinisch-psychotherapeutischen Behandlung stand und somit logisch zwingend die hierzu nötigen Aufwendungen erforderlich gewesen sind.

Vor dem Antritt des Auslandsaufenthalts litt J. H. unter erheblich depressive Reaktion und laut ihrer Therapeutin unter mangelnder Eigenständigkeit und wies Rückzugstendenzen in den geschützten familiären Bereich auf. Aufgrund des schweren Verkehrsunfalls konnte J. H. nicht mehr wie gewohnt ihren Alltag bestreiten. Den Anforderungen der Schule war sie nicht mehr gewachsen. Ihre Eigenständigkeit hatte stark Schaden genommen. Um den Therapieerfolg erheblich zu fördern, war es notwendig, dass J. H. als therapeutische Maßnahme einen Auslandsaufenthalt macht. Dieser sollte die Stärkung ihrer Eigenständigkeit fördern, da sie so losgelöst von ihrer Familie gezwungen war, ihren Tagesablauf zu organisieren und ihren Alltag alleine zu bewältigen. Während des Auslandsaufenthalts jobbte J. H. als Kellnerin, einem Beruf in dem es notwendig ist, auf fremde Menschen zuzugehen und mit ihnen zu kommunizieren und der es erfordert, ein gewisses Maß an Organisationsfähigkeit bereitzuhalten. Der Auslandsaufenthalt wirkte sich somit positiv auf das Verhalten und die Psyche der Tochter des Klägers aus.

Zwar stellt der Sachverständige auch fest, dass es sein könne, dass auch noch Alternativen existiert haben könnten, dass es ex post betrachtet jedoch genau der richtige Weg gewesen sei. Ob es sich bei dem Auslandsaufenthalt um die einzige mögliche Maßnahme gehandelt hat, ist jedoch nicht entscheidungsrelevant.

Der Sachverständige war auch in der Lage, die gesundheitliche Situation der Tochter des Klägers im Jahr 2003 zu beurteilen, da er auch mit der Erstellung des medizinischen Gutachtens für die Unfallversicherung beauftragt gewesen war und deshalb die Tochter bereits aus dem Jahr 2003 und vorher kannte.

Die Kosten in Höhe von 4.035 EUR sind vom Kläger substantiiert dargelegt worden und bieten keinen Anlass zu Zweifeln. Soweit die Beklagte die Kosten bestreitet, ist der Vortrag nicht hinreichend substantiiert. Die Beklagte hat trotz Nachfrage des Gerichts nicht konkret dargelegt, welche der vom Kläger dargelegten Kosten sie bestreitet. Unstreitig ist, dass die Tochter in der Zeit vom April bis August 2003 in Schottland gewesen ist. Dass sie nach Schottland hingekommen sein muss, dort Kosten für eine Wohnung und Verpflegungsmehraufwendungen gehabt hat, ist unstreitig. Auch begegnet die Höhe dieser geltend gemachten Kosten keinen Bedenken. Der Betrag, welcher an die Organisation "S. I." gezahlt wurde, ist ebenfalls hinreichend substantiiert worden.

Es bestanden auch keine Erstattungsmöglichkeiten durch die Landesunfallkasse, so dass die Tochter des Klägers mit diesen Kosten endgültig belastet blieb.

Ob auch die weiteren Kosten (Fahrtkosten, Malkurs) zusätzlich von den Einnahmen abzuziehen sind, muss hier nicht entschieden werden, da bereits durch die Berücksichtigung der unfallbedingten Kosten für den Schottlandaufenthalt die zugeflossene Rentenzahlung unterhalb der Einkunftsgrenze liegt.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 151 Abs. 1, 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.

Ende der Entscheidung

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