Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 09.08.2007
Aktenzeichen: 1 K 25/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 3
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

1 K 25/07

Tatbestand:

Es geht in diesem Verfahren um die Frage, ob auch für die Fahrten zu den Orten der Einsatzwechseltätigkeit, deren Entfernungen zur Wohnung weniger als 30 km betragen, Dienstreisegrundsätze zur Anwendung gelangen oder die Entfernungspauschalen des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 EStG anzuwenden sind.

Der Kläger ist Maler und Lackierer. In den Streitjahren erzielte er Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. In der Zeit vom 01.01.2003 bis 25.07.2003 arbeitete der Kläger für die A-GmbH in R., nach seinem Umzug in H. in der Zeit vom 28.07.2003 bis 11.12.2003 für die B-GmbH und vom 24.02.2004 bis zum 31.12.2004 für die C-GmbH in H. Er wurde ausschließlich an ständig wechselnden Einsatzorten tätig und war nicht außerhalb seiner Wohnung untergebracht. Der Kläger fuhr jeweils direkt von seiner Wohnung zu den jeweiligen Einsatzorten. Bezüglich der Entfernungen der einzelnen Einsatzorte zur Wohnung des Klägers wird auf die Anlagen des Klägers zu seinen Einkommensteuererklärungen verwiesen.

In der am 28.10.2005 beim Finanzamt eingegangenen Einkommensteuererklärung 2003 erklärte der Kläger bei den Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit u.a. Reisekosten in Höhe von 3.876 EUR. Dabei legte er seinen Berechnungen 0,60 EUR für jeden Kilometer der einfachen Fahrt, mithin 0,30 EUR für jeden gefahrenen Kilometer zugrunde. In der ebenfalls am 28.10.2005 beim Finanzamt eingegangenen Einkommensteuererklärung 2004 erklärte der Kläger bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit u.a. Werbungskosten in Höhe von 1.416 EUR für Reisekosten auf einer entsprechenden Berechnungsbasis und sonstige Werbungskosten in Höhe von 235 EUR.

Der Beklagte berücksichtigte durch den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 30.11.2005 lediglich um 400 EUR geringere Reisekosten in Höhe von 3.476 EUR. In der Erläuterung ist folgende Begründung enthalten:

Für die Fahrtkosten wurden folgende Kilometerpauschalen gerechnet. Für die ersten 10 km 0,30 EUR, über 10 Km 0,40 EUR. Bei Fahrten über 30 Kilometer 0,60 EUR.

Im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 30.11.2005 berücksichtigte der Beklagte um 708 EUR geringere Reisekosten in Höhe von 708 EUR und sonstige Werbungskosten in Höhe von 176 EUR. In der Erläuterung ist folgende Begründung enthalten:

Bei Fahrten bis zu 30 Entfernungskilometern kann nur eine Pauschale von 0,30 EUR berücksichtigt werden.

Durch Schreiben vom 02.12.2005 legte der Kläger Einspruch ein und begehrte, die geltend gemachten Fahrten im Rahmen der Einsatzwechseltätigkeit gem. der eingereichten Erklärung zu berücksichtigen.

Durch Schreiben vom 13.02.2006 teilte der Beklagte mit, dass den Einsprüchen nicht abgeholfen werden könne, da gem. R 28 LStR bei einer Einsatzwechseltätigkeit Fahrtkosten nur dann als Reisekosten angesetzt werden könnten, wenn die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mehr als 30 km betrage.

Durch Einkommensteuerbescheid 2004 vom 31.01.2007 wurden die versehentlich nicht berücksichtigten Aufwendungen für Materialien in Höhe von 55,93 EUR berücksichtigt. Im Übrigen wurden die Einsprüche durch Einspruchsentscheidung vom 31.01.2007 als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 22.02.2007. Zur Begründung trägt der Kläger vor, auch für die Einsatzstellen, die weniger als 30 km entfernt seien, seien Dienstreisegrundsätze anzuwenden. Der BFH habe seine bisherige Rechtsprechung zur Behandlung der Einsatzwechseltätigkeit in wichtigen Teilbereichen grundlegend geändert. Der BFH habe in seinerEntscheidung vom 11.05.2005 (VI R 34/04) die Anwendung der 30-Kilometer-Grenze für Übernachtungsfälle ausdrücklich für nicht anwendbar betrachtet.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2003 und den Einkommensteuerbescheid 2004, jeweils vom 30.11.2005 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 31.01.2007 dahingehend zu ändern, dass zusätzliche Reisekosten in 2003 in Höhe von 400 EUR und in 2004 in Höhe von 708 EUR berücksichtigt und die Einkommensteuern dementsprechend niedriger festgesetzt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung vom 31.01.2007 und die Regelung im BMF-Schreiben vom 26.10.2005 (IV C 5-S 2353- 211/05, BStBl I 2005, 960) unter III.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Dem Gericht hat die Einkommensteuerakte (...) vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

I. Die zulässige Klage ist begründet.

Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 vom 30.11.2005 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.01.2007 sind abzuändern, weil sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen.

Der Beklagte hat zu Unrecht bei Fahrten zu den ständig wechselnden Tätigkeitsstätten, die weniger als 30 Km vom Wohnsitz des Klägers entfernt sind, den § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG angewandt.

Gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG sind Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Werbungskosten.

Gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG in der in 2003 geltenden Fassung ist zur Abgeltung dieser Aufwendungen für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,36 EUR für die ersten 10 Kilometer und 0,40 EUR für jeden weiteren Kilometer anzusetzen, höchstens jedoch 5112 EUR im Kalenderjahr. Für das Streitjahr 2004 sind 0,30 EUR für jeden Entfernungskilometer anzusetzen.

Die typisierende Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG gelangt im Streitfall nicht zur Anwendung, denn die vom Kläger geltend gemachten Fahrtkosten sind keine Kosten, welche für den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte angefallen sind. Der Kläger übt eine Einsatzwechseltätigkeit aus. Reisekosten, welche im Rahmen einer Einsatzwechseltätigkeit anfallen, sind Reisekosten, welche nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, sondern nach Dienstreisegrundsätzen zu beurteilen sind.

Eine Einsatzwechseltätigkeit liegt bei Arbeitnehmern vor, die bei ihrer individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten eingesetzt werden (LStRL 37 Abs. 5).

Bei den im Streitfall zu beurteilenden Fahrten des Klägers handelt es sich unstreitig um Fahrten zu ständig wechselnden Tätigkeitsstätten anlässlich von Auswärtstätigkeiten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG.

In seinen Entscheidungen vom 11.05.2005 (insbesondere VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785 ) hat der BFH seine Rechtsprechung zu der Beurteilung von Einsatzwechseltätigkeiten geändert und ausdrücklich festgestellt, dass für die Wege eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und ständig wechselnden Tätigkeitsstätten die Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nicht anzusetzen ist und die Aufwendungen für solche Fahrten in der nachgewiesenen oder glaubhaft gemachten Höhe abziehbar sind. Zur Begründung führt der BFH aus, dass Fahrten zu ständig wechselnden Tätigkeitsstätten (Auswärtstätigkeiten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG) nach der Rechtsprechung dem Normalfall der Fahrten von der Wohnung zu der Arbeitsstätte wirtschaftlich nicht vergleichbar sind, weil sie Dienstreisen (Auswärtstätigkeiten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG) ähnlich sind. Maßgebend für die Ähnlichkeit mit Dienstreisen ist nach der Rechtsprechung, dass der Arbeitnehmer bei Einsatzwechseltätigkeit --wie bei Dienstreisen-- im ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers zu ständig wechselnden Tätigkeitsstätten fahren muss, deren Entfernung vom Wohnort oft stark schwankt. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel scheidet in dieser Situation regelmäßig aus. Der Arbeitnehmer ist typischerweise auf ein eigenes Kfz angewiesen, wenn er die vom Arbeitgeber erwartete Beweglichkeit besitzen will. Weil der Arbeitnehmer nicht laufend zur gleichen Arbeitsstätte fährt, hat er auch nicht die Möglichkeit, durch eine entsprechende Wohnsitznahme selbst die Höhe seiner Fahrtaufwendungen zu bestimmen (BFH-Urteile in BFHE 111, 76, BStBl II 1974, 258, sowievom 11. Juli 1980 VI R 198/77, BFHE 131, 64, BStBl II 1980, 654). Überlegungen der privaten Lebensgestaltung scheiden deshalb für die Wahl des Wohnorts im Verhältnis zum Arbeitsort von vornherein aus (BFH-Urteil in BFHE 111, 76, BStBl II 1974, 258). Auch nach Einführung der Entfernungspauschale fallen Fahrten bei Auswärtstätigkeiten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG (Einsatzwechseltätigkeit) --wie bei Auswärtstätigkeiten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG (Dienstreisen)-- grundsätzlich nicht unter § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Grund für die unterschiedliche Beurteilung der Fahrten zur regelmäßigen Arbeitsstätte einerseits und zu ständig wechselnden Tätigkeitsstätten andererseits war der abzugsbeschränkende Charakter des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. bei Fahrten mit dem eigenen Kfz (siehe BFH vom 11.05,2005 VI R 34/04, BFHE 209, 527, BStBl II 2005, 793; BFH vom 11.05.2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; BFH vom 11.05.2005 VI R 25/04, BFHE 209, 523, BStBl II 2005, 791; BFH vom 11.05.2005 VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785 ).

Zwar hat der BFH in seiner Entscheidung vom selben Tag (VI R 34/04, BFHE 209, 527, BStBl II 2005, 793) die Frage ausdrücklich offen gelassen, ob die 30-Km-Grenze, welche nach bisheriger Rechtsprechung bei Arbeitnehmern, die auf ständig wechselnden Einsatzstellen beschäftigt werden, gelten solle und nach der die Aufwendungen für Fahrten zu solchen Arbeitsstätten, die im üblichen Arbeitsstätten-Einzugsbereich zur Wohnung liegen, nur mit dem Kilometer-Pauschbetrag des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 als Werbungskosten zu berücksichtigen seien, noch weiter gelten soll (Senatsurteilevom 10. Mai 1985 VI R 157/81, BFHE 144, 46, BStBl II 1985, 595;vom 20. November 1987 VI R 6/86, BFHE 152, 232, BStBl II 1988, 443;vom 10. Oktober 1994 VI R 2/92, BFHE 175, 553, BStBl II 1995, 137; vgl. auch R 38 Abs. 3 Satz 1 LStR), da der Streitfall keine Veranlassung gebe, zu entscheiden, ob daran nach Einführung der Entfernungspauschale noch festgehalten werden könne.

Allerdings würde es nach Ansicht des erkennenden Senats nicht mit der vom BFH in der Entscheidungsserie vom 11.05.2005 getroffenen Feststellung, nach der die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG gerade nicht bei Einsatzwechseltätigkeiten gelten soll, und den daraus hergeleiteten Rechtsfolgen im Einklang stehen, an der 30-Km-Grenze bei einer Einsatzwechseltätigkeit festzuhalten (siehe auch Schmidt-Drenseck § 9 EStG Rn. 120, 26. Aufl., 2007). Zwar entstehen durch die Aufgabe der 30-km-Grenze Unterschiede bei der Behandlung von Arbeitnehmern mit festem Arbeitsort und Arbeitnehmer mit wechselnden Tätigkeitsorten. Diese Ungleichbehandlung muss jedoch nach der in den Streitjahren geltenden Gesetzesfassung hingenommen werden, da die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nach dem Grundkonzept der geänderten Rechtsprechung des BFH gerade keine Anwendung findet, wenn es sich um eine Dienstreise handelt. Da es sich bei dem § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG um eine abzugsbeschränkende und damit den Steuerpflichtigen belastende Regelung handelt, müsste es ausdrücklich geregelt sein, falls für den Bereich der Einsatzwechseltätigkeiten eine Entfernungsbeschränkung gelten soll. Das BMF-Schreiben vom 26.10.2005 (IV C 5-S 2353- 211/05, BStBl I 2005, 960), welches die 30-km-Grenze ohne weitere Begründung beibehält, kann daher nicht überzeugen, weil diese Regelung keine Stütze im Gesetz findet und der geänderten Rechtsprechung des BFH nicht entspricht.

Der Kläger hat keinen Einzelnachweis geführt, so dass er die pauschalen Kilometersätze gem. H 38 LStR geltend machen kann. Dies sind in den Streitjahren 2003 und 2004 jeweils 0,30 EUR je Fahrtkilometer, was 0,60 EUR je Entfernungskilometer und damit den von dem Kläger geltend gemachten Beträgen entspricht.

Die Anzahl der Fahrten und die Höhe der gefahrenen Kilometer sind zwischen den Beteiligten unstreitig, auch ergeben sich für das Gericht keine Zweifel an der dargelegten Höhe der geltend gemachten Fahrten. Der Kläger hat keine Erstattungen seines Arbeitgebers für die Fahrten erhalten.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 1, 3 und § 155 FGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 FGO wegen des Anwendungserlasses des BMF vom 26.10.2005 (Az: IV C 5-S 2353-211/05) zugelassen.

Ende der Entscheidung

Zurück