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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 15.02.2008
Aktenzeichen: 2 K 239/06
Rechtsgebiete: KStG, EStG


Vorschriften:

KStG § 27 Abs. 2
KStG § 36 Abs. 7
EStG § 4 Abs. 1
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 43 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 44 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

2 K 239/06

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kapitalertragsteuerpflicht für Ausschüttungen der Klägerin.

Geschäftsgegenstand der Klägerin ist u.a. das Halten von Beteiligungen an Personengesellschaften.

Mit Gewinnverwendungsbeschluss vom 20.08.2004 (Rechtsbehelfsakte - Rb - Bl. 25) beschloss die Klägerin, für das zum 31.12.2003 endende Geschäftsjahr aus dem Bilanzgewinn von 7.933.369, 07 EUR neben der bereits beschlossenen - und in eine gesonderte Kapitalertragsteueranmeldung eingegangene - Bardividende in Höhe von 600.000 EUR eine weitere Bardividende in Höhe von 7.346.938,78 EUR an die Gesellschafter auszuschütten.

Mit Kapitalertragsteueranmeldung vom 09.02.2004 (Rb Bl. 20) meldete die Klägerin Gewinnanteile in Höhe von 3.235.483 EUR und hierauf nach Berücksichtigung von Freistellungen entfallende Kapitalertragsteuer in Höhe von 551.973,40 EUR zzgl. Solidaritätszuschlag an. Da Steuerbilanzen nicht erstellt worden waren, hatte die Klägerin den steuerlich ausschüttbaren Gewinn in Höhe von 3.235.483 EUR anhand der aufsummierten Steuerbilanzgewinne gemäß den Körperschaftsteuerbescheiden für 1996 bis 2003 abzüglich der erfolgten Ausschüttungen berechnet. In einer Anlage zu der Kapitalertragsteueranmeldung hatte die Klägerin die Berechnung dargelegt und mitgeteilt, dass die über den ausschüttbaren Gewinn von 3.235.483 EUR hinausgehende Ausschüttung von 4.111.455,78 EUR gem. §§ 20 Abs. 1 Nr.1 S.3, 43 Abs.1 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht kapitalertragsteuerpflichtig sei. Insoweit werde das steuerliche Einlagekonto gemindert, da die Summe der im Wirtschaftsjahr erbrachten Leistungen den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteige. Nach dem "klaren" Wortlaut des § 27 Abs.1 S.3 Körperschaftsteuergesetz (KStG) gelte dies selbst dann, wenn das steuerliche Einlagekonto dadurch negativ würde.

Eine Bescheinigung gem. § 27 Abs.3 KStG hat die Klägerin nicht erstellt.

Der Beklagte erließ unter dem 25.02.2003 (Akte betr. Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals -VEK- I Bl. 44) einen Bescheid über die gesonderte Feststellung der Endbestände gem. § 36 Abs.7 KStG in Verbindung mit einem Bescheid zum 31.12.2001 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. §§ 27 Abs.2, § 28 Abs.1 S.3 und § 38 Abs.1 KStG, der unter dem 25.06. 2004 in hier nicht streitiger Hinsicht geändert wurde (VEK I Bl. 53). Hierin ist u.a. ein Endbestand aus Einlagen gem. § 30 Abs.2 Nr.4 KStG a.F. in Höhe von 1.779.592 DM (entspr. 909.879 EUR) aufgeführt und ein steuerliches Einlagekonto in entsprechender Höhe festgestellt. Unter dem 25.06.2004 bzw. dem 07.06.2005 ergingen jeweils ein Bescheid zum 31.12.2002 und 31.12.2003 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 27 Abs.2, § 28 Abs.1 S.3, § 37 Abs.2 und § 38 Abs.1 KStG (VEK I Bl. 59, Akte Feststellungen II Bl. 14), in denen das steuerliche Einlagekonto gem. § 27 Abs.2 KStG unverändert mit 909.879 EUR festgestellt wurde. Der Betrag von 909.879 EUR ergab sich aus dem Bestand des EK 04 zum 31.10.2000 abzüglich der Ausschüttung des Folgejahres.

Mit am 14.09.2004 eingegangenem Schriftsatz vom 09.09.2004 legte die Klägerin gegen den vorerwähnten Bescheid zum 31.12.2002 vom 25.06.2004, gegen den Bescheid vom 25.02.2003 betreffend die gesonderte Feststellung der Endbestände gem. § 36 Abs.7 KStG sowie den Bescheid zum 31.12.2001 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 28 Abs.1 S.3 und § 38 Abs.1 KStG Einspruch ein (VEK I Bl.69). Hierin wendete sich die Klägerin gegen die Höhe des festgestellten steuerlichen Einlagekontos sowie des ausschüttbaren Gewinns. Das steuerliche Einlagekonto sei unter Berücksichtigung handelsrechtlich zulässiger Eigenkapitalzuführungen, also per 31.12.2002 mit einem Bestand von 6.529.810 EUR auszuweisen, der steuerlich ausschüttbare Gewinn betrage per 31.12.2002 unter Berücksichtigung der erwähnten Eigenkapitalzuführungen nach Abzug des Nennkapitals und des steuerlichen Einlagenkontos 643.761 EUR.

Gegen den Bescheid zum 31.12.2003 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 27 Abs.2, § 28 Abs.1 S.3, § 37 Abs.2 und § 38 Abs.1 KStG vom 07.06.2005 legte die Klägerin am 16.06.2005 Einspruch ein (Körperschaftsteuerakten - KSt - IV Bl. 38), mit dem sie beantragte, das steuerliche Einlagekonto auf 5.926.338 EUR festzustellen (KSt IV Bl. 44).

Der Beklagte legte das im Schriftsatz vom 09.09.2004 geäußerte Begehren für die Jahre 2001 und 2002 im Ergebnis entsprechend dem Hilfsantrag der Klägerin als Änderungsantrag gem. § 164 Abgabenordnung (AO) aus und lehnte diesen mit Bescheid vom 14.12.2005 (Rb Bl. 54) ab.

Mit am 30.12.2005 eingegangenen Schriftsatz vom 29.12.2005 legte die Klägerin gegen die Ablehnung der Änderungsanträge vom 14.12.2005 Einspruch ein (Rb Bl. 56).

Unter dem 12.09.2005 hatte der Beklagte zwischenzeitlich einen Haftungsbescheid erlassen (Rb Bl. 15; Postaufgabevermerk vom 09.09.2005 Rb Bl. 18). Hierin legte er ausgehend von der Gewinnausschüttung in Höhe von 7.346.938,78 EUR nach Abzug eines als "freigestellt" bezeichneten Betrages von 946.247,78 EUR und einem Einlagekonto in Höhe von 909.879 EUR kapitalertragsteuerpflichtige Beträge in Höhe von 5.490.812 EUR zugrunde und berechnete hierauf Kapitalertragsteuer gem. § 43a Abs.1 Nr.1 EStG von 20% sowie Solidaritätszuschlag. Abzüglich des schon von der Klägerin angemeldeten Betrages verblieben Kapitalertragsteuer in Höhe von 546.189 EUR und Solidaritätszuschlag in Höhe von 30.040,40 EUR, die der Beklagte nunmehr mit dem Haftungsbescheid geltend machte. Die Rechtsauffassung der Klägerin sei unzutreffend. Die Unterschiedsbeträge zwischen der jeweiligen Handelsbilanz und der Steuerbilanz seien nicht als Einlage in das steuerliche Einlagekonto anzusehen. Die Verringerung des steuerlichen Einlagekontos sei auf den positiven Bestand des Einlagekontos zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres begrenzt. Das Ermessen sei fehlerfrei ausgeübt. Die Haftungsschuldnerin habe nach Auskunft des Geschäftsführers A. die nachzuerhebenden Steuerbeträge in geschätzter Höhe zurückgehalten. Im Übrigen sei die Inanspruchnahme der Haftungsschuldnerin auch insoweit ermessensfehlerfrei wie der gegen den Steuerschulder zu richtende Nachforderungsbescheid im Ausland vollstreckt werden müsste.

Gegen den Haftungsbescheid legte die Klägerin am 11.10.2005 Einspruch eingelegt (Rb Bl. 28). Ungeachtet dessen, dass dem Haftungsbescheid eine unzutreffende Rechtsauffassung zugrunde liege, sei die Inanspruchnahme der Klägerin auch ermessenswidrig. Zwar habe die Klägerin die Dividenden an die ausländischen Anteilseigner nicht vollständig ausgezahlt; etwas anderes gelte indes für die inländischen Anteilseigner.

Mit Einspruchsentscheidung vom 25.09.2006 (Rb Bl. 120) wies der Beklagte die Einsprüche gegen den Haftungsbescheid, gegen die Ablehnung der Änderungsanträge und gegen den Bescheid zum 31.12.2003 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen als unbegründet zurück.

Hierauf hat die Klägerin am 19.10.2006 Klage erhoben.

Die Klägerin trägt vor:

Die unterschiedlichen Gewinnermittlungen nach Handelsrecht einerseits und Steuerrecht andererseits hätten bei der Klägerin zu unterschiedlichen Ergebnissen des Geschäfts- bzw. Wirtschaftsjahres geführt, die sich in der Zeit des Beginns der Tätigkeit der Klägerin von 1996 bis zum 31.12.2001 sukzessive zu einer Differenz in Höhe von 7.050.325 EUR zwischen dem Eigenkapital nach Handelsbilanz (8.322.865,18 EUR = 16.278.109,41 DM) und Steuerbilanz (1.272.540,18 EUR) aufgebaut hätten. Diese Differenz sei zum 31.12.2001 als Zugang zum steuerlichen Einlagekonto zu erfassen. In den Folgejahren sei das steuerliche Einlagekonto um die Differenzen aus der unterschiedlichen Gewinnermittlung nach Handelsrecht und nach Steuerrecht des jeweiligen Geschäfts- bzw. Wirtschaftsjahres anzupassen. Danach ergäben sich Bestände des steuerlichen Einlagekontos per 31.12.2001 in Höhe von 7.960.206 EUR, per 31.12.2002 in Höhe von 6.529.810 EUR, per 31.12.2003 in Höhe von 5.926.337 EUR. Die entsprechenden Differenzen seien als Zugang bzw. Abgang zum steuerlichen Eigenkapital gem. § 27 Abs.1 KStG zu erfassen. Der Begriff des Zugangs i.S.v. § 27 Abs.1 KStG sei weiter als der Begriff der Einlage. Er setze keine gewollte und zielgerichtete Handlung voraus; vielmehr genüge eine tatsächliche Mehrung des steuerlichen Eigenkapitals. Ebenso wenig sei es erforderlich, dass der Gesellschaft Vermögen aus der Sphäre der Anteilseigner zugeführt werde. Das steuerliche Einlagekonto stelle ein Auffangkonto für Vermögensmehrungen und Vermögensminderungen dar, die nicht aus den Steuerbilanzen resultierten. Da das steuerliche Einlagekonto die einzige variable Position im Eigenkapital der Steuerbilanz sei, komme allein sie zur Lösung des Widerspruchs aus der systembedingten Differenz im Eigenkapital zwischen Handels- und Steuerrecht in Betracht. Verbuche man das handelsrechtliche Mehr bereits als Zugang zum steuerlichen Einlagekonto, sei für die Verbuchung der Ausschüttung genügend Volumen auf dem steuerlichen Einlagekonto vorhanden, so dass dieses nicht negativ würde.

Wenn man die Differenzen zwischen dem Eigenkapital nach Handels- und Steuerbilanz nicht als Zugang zum steuerlichen Einlagekonto werten wollte, wäre, so die Klägerin weiter, die Ausschüttung insoweit wie sie den ausschüttbaren Gewinn übersteigt, jedenfalls vollen Umfangs als Minderung des Einlagekontos zu erfassen. Dies ergebe sich aus der Struktur des steuerlichen Eigenkapitals, das aus drei Kategorien bestehe, nämlich dem Nennkapital, dem ausschüttbaren Gewinn und dem steuerlichen Einlagekonto. Da das Nennkapital nicht ausgeschüttet werden könne und der ausschüttbare Gewinn unstreitig durch die Ausschüttung verbraucht sei, verbliebe nur noch das steuerliche Einlagekonto, aus dem die Auszahlung bewirkt werden könne. Nach dem Wortlaut des Gesetzes könne das steuerliche Einlagekonto auch negativ werden. Dies ergebe sich auch aus dem Vergleich zu dem früheren sog. Anrechnungsverfahren. § 28 Abs.4 KStG a.F. enthalte eine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass die bereits versteuerten Eigenkapitalanteile nicht ausreichten, um die handelsrechtlich zulässige Ausschüttung darzustellen. In dieses Fällen sei das dem steuerlichen Einlagekonto entsprechende sog. EK 02 negativ geworden. Im Halbeinkünfteverfahren müsse Entsprechendes gelten. Anderenfalls könnte die Ausschüttung nicht vollständig im körperschaftsteuerlichen System der Eigenkapitalgliederung gem. § 27 Abs.1 KStG dargestellt werden. Der Gesetzgeber des aktuellen Körperschaftsteuerrechts habe erkannt, dass das steuerliche Einlagekonto negativ werden könne und keine Regelung getroffen, die dies ausschließe. Denn eine Eigenkapitalposition, die dem EK 02 des früheren Anrechnungsverfahrens vergleichbar wäre, kenne das Halbeinkünfteverfahren nicht.

Ungeachtet dessen, dass ein Schreiben des BMF für den Steuerpflichtigen nicht bindend sei, gehe auch das BMF-Schreiben vom 04.06.2003 (BStBl I 2003, 366) unter Rn. 10 davon aus, dass ein negatives Einlagekonto entstehen könne. Die in den Rn. 10, 28 und 29 erwähnten Ausnahmen seien ausdrücklich ("insbesondere") nicht als abschließend aufgeführt.

Selbst wenn man die Differenz zwischen dem Eigenkapital laut Handels- und Steuerbilanz nicht als Zu- bzw. Abgang auf dem steuerlichen Einlagekonto behandeln wolle und die Auszahlung der Differenz nicht zu einem negativen Einlagekonto führen sollte, so sei die Auszahlung des Differenzbetrages dennoch steuerlich unbeachtlich. Für eine andere Rechtsauffassung fehle es an einer Rechtsgrundlage wie sie § 28 Abs.4 KStG a.F. für die Ausschüttung von EK 02 enthalte. Würde die Differenz weder als ausschüttbarer Gewinn noch als Zugang zum steuerlichen Einlagekonto erfasst und die Auszahlung der Differenz nicht ein negatives steuerliches Einlagekonto bewirken, so handele es sich um ein steuerliches Nullum. Es verstoße gegen Art. 20 Abs.3 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem hieraus herzuleitenden Gebot der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung gem. § 3 Abs.1 Hs. 1 AO, ein solches Nullum der Besteuerung zu unterwerfen.

Wenn das SEStEG für die Veranlagungszeiträume ab 2007 in § 27 Abs.1 S.4 Hs 1 normiere, dass das Einlagekonto nicht negativ werden könne, folge hieraus zwingend, dass das hier in Rede stehende handelsrechtliche Mehr nach dem Willen des Gesetzgebers als Zugang zum steuerlichen Einlagekonto zu verbuchen sei. Anders ließe sich die vorliegende Konstellation ohne Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip nicht lösen. Anderenfalls, wenn man das Mehr nicht als Zugang im steuerlichen Einlagekonto erfasste, bliebe die handelsrechtliche Ausschüttung steuerlich zunächst unbeachtlich; steuerlich läge keine Ausschüttung vor. Dies werde durch § 27 Abs.1 S.3 KStG i.d.F. des SEStEG deutlich, wonach die handelsrechtliche Beurteilung der Ausschüttung für die steuerliche Beurteilung nicht maßgeblich sei. Der Gesetzgeber habe sich offenbar dafür entschieden, Ausschüttungen der in Rede stehenden Art steuerlich nicht als Dividende zu erfassen. Es könnten ggf. Minderungen der Anschaffungskosten der Anteilseigner vorliegen. Diese etwaige Regelungslücke könne nicht durch Analogie zu Lasten des Steuerpflichtigen geschlossen werden. Die Ausschüttung dürfe mithin nicht besteuert werden.

Die Inanspruchnahme der Klägerin aus dem Haftungsbescheid sei ermessensfehlerhaft. Die Klägerin könne die Exkulpationsmöglichkeit gem. § 44 Abs.5 S.1 EStG für sich in Anspruch nehmen.

Die Gesellschafter hätten einen Anspruch auf Auszahlung der handelsrechtlich erwirtschafteten Überschüsse, so dass die Ausschüttung selbst keine Pflichtverletzung darstelle. Die Klägerin habe lediglich eine von der des Beklagten abweichende Rechtsmeinung zur steuerlichen Behandlung der Auszahlung vertreten. Dies könne jedoch nicht als grob fahrlässige Pflichtverletzung gewertet werden. Hinzu komme, dass die Klägerin eine von ihr auszustellende Steuerbescheinigung gem. § 45a EStG grundsätzlich nicht berichtigen könne und damit für das Risiko einer zu hoch oder zu niedrig ausgestellten Steuerbescheinigung hafte. Zudem habe die Klägerin ihre abweichende Rechtsauffassung in der Anlage zur Kapitalertragsteueranmeldung offen gelegt.

Schließlich sei die Inanspruchnahme der Klägerin aus dem Haftungsbescheid wegen Verstoßes gegen Art. 43, 48 EGV rechtswidrig.

Zu den Gesellschaftern der Klägerin gehörten im streitgegenständlichen Zeitraum die Unternehmen B und C, die in Großbritannien ansässig seien. Diese könnten gem. Art. 18 Abs.1a des zwischen Großbritannien und der Bundesrepublik geltenden Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) die Kapitalertragsteuer, die in der Bundesrepublik auf die Dividende einer deutschen Gesellschaft einbehalten werde, mit der in Großbritannien auf Dividenden erhobenen Steuer verrechnen. Für die britischen Anteilseigner bestehe das Risiko, dass die dortigen Behörden die Anrechnung der Kapitalertragsteuer versagen, weil es sich aus Sicht der britischen Behörden um einen Vorgang handele, der in Großbritannien nicht als Dividende, sondern ggf. als Veräußerung zu besteuern sei. Betrachteten die britischen Behörden den Vorgang mithin zutreffend als Einlagerückgewähr, träfe die britischen Anteilseigner das Risiko, definitiv mit der deutschen Kapitalertragsteuer belastet zu bleiben. Ein entsprechendes Risiko hätten die deutschen Anteilseigner nicht zu tragen, da etwaige zuviel entrichtete Kapitalertragsteuer bei der Einkommensteuerveranlagung geltend gemacht werden könne.

Ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit liege auch darin, dass von der Klägerin ausgestellte Steuerbescheinigungen nicht mehr geändert werden könnten. Für den Fall, dass die Klägerin die volle Ausschüttung der Kapitalertragsteuer unterworfen und eine entsprechende Steuerbescheinigung ausgestellt hätte, könnten die ausländischen anders als die inländischen Anteilseigner auch bei einer gerichtlichen Entscheidung zugunsten der Klägerin die einmal entrichtete Kapitalertragsteuer nicht zurückerhalten.

Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen sei der Haftungsbescheid insoweit rechtswidrig als er die Klägerin ohne Berücksichtigung der bereits der Kapitalertragsteuer unterworfenen Beträge in Anspruch nehme. Der Kapitalertragsteuer könne allenfalls noch der Differenzbetrag aus 4.111.455,78 EUR abzüglich der Freistellungen in Höhe von 946.247,78 EUR und des unstreitigen Einlagekontos von 909.879 EUR, insgesamt also 2.255.329 EUR unterliegen; demgegenüber lege der Haftungsbescheid einen Betrag von 5.490.812 EUR zugrunde.

Die Klägerin beantragt,

1. den Haftungsbescheid vom 12.09.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.09.2006 aufzuheben,

2. den Ablehnungsbescheid vom 14.12.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.09.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten,

a) den Bescheid zum 31.12.2001 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. §§ 27 Abs.2, 28 Abs.1 S.3, 37 Abs.2 und 38 Abs.1 KStG vom 25.06.2004 dahingehend zu ändern, dass das steuerliche Einlagekonto gem. § 27 Abs.2 KStG auf 7.960.206 EUR und festgestellt wird,

b) den Bescheid zum 31.12.2002 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. §§ 27 Abs.2, 28 Abs.1 S.3, 37 Abs.2 und 38 Abs.1 KStG vom 25.06.2004 dahingehend zu ändern, dass das steuerliche Einlagekonto gem. § 27 Abs.2 KStG auf 6.529.810 EUR festgestellt wird,

3. den Bescheid zum 31.12.2003 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 27 Abs.2, § 28 Abs.1 S.3, § 37 Abs.2 und § 38 Abs.1 KStG vom 07.06.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.09.2006 dahingehend zu ändern, dass das steuerliche Einlagekonto gem. § 27 Abs.2 KStG per 31.12.2003 auf 5.926.337 EUR festgestellt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor:

Bei den Unterschiedsbeträgen zwischen der Handelsbilanz und der Steuerbilanz handele es sich weder um eine Einlage in das steuerliche Einlagekonto noch um einen steuerlich ausschüttbaren Gewinn. Mit Ausnahme der in dem Schreiben des BMF vom 04.06.2003 genannten und hier nicht vorliegenden Ausnahmefälle könne das steuerliche Einlagekonto nicht negativ werden. Damit habe die Klägerin eine höhere Ausschüttung bewirkt als steuerlich möglich sei. Diese höhere Ausschüttung stelle auch keine Einlagenrückgewähr dar; denn diese sei laut Gewinnverwendungsbeschluss nicht beschlossen worden. Die Inanspruchnahme der Klägerin im Haftungsbescheid sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Die Klägerin habe wenigstens grob fahrlässig, angesichts des bei Abgabe der Kapitalertragsteuererklärung bekannten BMF-Schreibens schon fast vorsätzlich gegen die steuerlichen Regelungen verstoßen.

Die angemeldete und entrichtete Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag sei in dem Haftungsbescheid von der Haftungssumme abgezogen, die Klägerin nur für den Differenzbetrag in Anspruch genommen worden.

Dem Senat haben folgende Akten vorgelegen:

Band II und II der Bilanzakten, Band I der Rechtsbehelfsakten, 1 Band Betriebsprüfungsakten, Band II, II und IV der Körperschaftsteuerakten, Band I der Akten betr. das verwendbare Eigenkapital, Band II der Feststellungen gem. §§ 27ff KStG, Band I Akte Allgemeines.

Auf die Sitzungsprotokolle des Erörterungstermins vom 07.11.2007 und der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2008 wird verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage hat teilweise Erfolg.

1. Die Klage ist zulässig. Klaggegenstand waren bei sachgerechter Auslegung neben dem Haftungsbescheid die Feststellungen des steuerlichen Einlagekontos per 31.12.2001, 31.12.2002 und 31.12.2003. Soweit im Zusammenhang mit den Feststellungen zum 31.12.2001 die gesonderte Feststellung der Endbestände gem. § 36 Abs.7 KStG erwähnt war, geschah dies entsprechend der Klarstellung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nur als Wiedergabe der Bescheidüberschrift.

2. Die Bescheide über die gesonderte Feststellung des steuerlichen Einlagenkontos gem. § 27 Abs.2 KStG zum 31.12.2001, 31.12.2002 und 31.12.2003 sind rechtmäßig, die entsprechenden Ablehnungsbescheide zu Recht ergangen. Insoweit ist die Klage unbegründet.

Gem. § 27 Abs.2 KStG wird der unter Berücksichtigung der Zu- und Abgänge des Wirtschaftsjahres ermittelte Bestand des steuerlichen Einlagekontos gesondert festgestellt.

Der Beklagte hat den Bestand des steuerlichen Einlagekontos zum31.12.2001, 31.12.2002 und 31.12.2003 zutreffend festgestellt.

Nach Ansicht des Senats beeinflussen die Differenzbeträge zwischen dem Eigenkapital nach Handelsbilanz und nach Steuerbilanz schon dem Grunde nach nicht den Bestand des steuerlichen Einlagekontos (vgl. a. Frotscher in: Frotscher/Maas KStG Lfg. 11/2007 § 27, 32 , der einen gegenüber dem steuerrechtlichen Gewinn höheren handelsrechtlichen Gewinn gerade als eine typische Situation sieht, in der Auszahlungen vorgenommen werden, denen weder ein ausschüttbarer Gewinn noch ein ausreichender Bestand des steuerlichen Einlagekontos zur Verfügung steht).

Es kann daher dahinstehen, ob die von der Klägerin als Zugang zum steuerlichen Einlagekonto behandelten Differenzbeträge zutreffend ermittelt sind.

Das Einlagekonto ist ein steuerliches Konto, das grundsätzlich außerhalb der handelsrechtlichen Buchführung steht (Frotscher a.a.O. § 27 Rn. 12). Maßgeblich für die Einstellung in das steuerliche Einlagekonto ist folglich nur, ob steuerlich eine Einlage vorliegt.

Der Begriff der Einlage ist gesetzlich nicht definiert. § 4 Abs.1 EStG spricht allein davon, dass die Einlage dem Gesellschaftsvermögen zugeführt wird.

Wirtschaftlich handelt es sich um Mehrungen des Betriebsvermögens durch Vorgänge, die außerhalb des betrieblichen Bereichs liegen, d.h. nicht durch die werbende Tätigkeit des Unternehmens veranlasst sind (Frotscher a.a.O. § 8 Lfg. 5/2007 Rn. 68), sondern durch das Gesellschaftsverhältnis (Antweiler in: Ernst/Young KStG Lfg. Feb. 2007 § 27 Rn.21). Es sind Vorteilszuwendungen des Anteilseigners mit Rücksicht auf dessen Migliedschaftsrecht (Schwedhelm in: Streck KStG 6. Aufl. § 8 Rn. 2). Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 30.05.1990 I R 97/88, BStBl II 1990, 875, 876) ist erforderlich, dass ein einlagefähiger Vermögenswert von einem Gesellschafter (zur möglichen Einlage durch Nichtgesellschafter im Falle nahe stehender Personen oder künftigen Gesellschaftern s. aber Binnewies in: Streck a.a.O. § 27, 3 und Schwedhelm a.a.O. § 8, 34; Antweiler a.a.O. § 27 Rn. 31; Frotscher a.a.O. Rn. 69a) zugeführt wird und dass hierdurch gebundenes, d.h. nicht beliebig wieder abziehbares Kapital und zudem haftendes Kapital entsteht, das im Insolvenzfall vom Gesellschafter nicht als Forderung geltend gemacht werden kann.

Als Zugänge sind die im Wirtschaftsjahr geleisteten steuerlichen Einlagen sowie sonstige Zugänge wie Kapitalherabsetzung mit Einstellung des Herabsetzungsbetrags in die Rücklagen, als Abgänge Auskehrungen aus dem steuerlichen Einlagekonto bzw. sonstige Verwendungen wie z.B. Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln zu erfassen (Frotscher a.a.O. § 27 Rn. 16).

Ein sachlicher Unterschied zwischen dem Begriff der Einlage und dem Begriff des Zugangs besteht nicht.

Dies folgt auch aus der Gesetzessystematik. Gem. § 39 Abs.1 KStG ist der (positive) Endbetrag des Teilbetrags i.S.d. § 30 Abs.2 Nr.4 KStG a.F., mithin die Summe der Einlagen der Anteilseigner, als Anfangsbestand des steuerlichen Einlagekontos zu übernehmen. Wenn gem. § 27 Abs.1 S.2 KStG dieser Anfangsbestand durch Zu- und Abgänge des Wirtschaftsjahres fortzuschreiben ist, so ist hieraus zu schließen, dass auch die zu berücksichtigenden Zu- und Abgänge ihrer Art nach dem Inhalt des Anfangsbestands entsprechen müssen. Ein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff "Zugang" im Sinne des § 27 Abs.1 S.2 KStG eine Erweiterung des Gegenstands des steuerlichen Einlagekontos über die Ansammlung von Einlagen i.o.g. Sinne hinaus bewirken und ausdrücken wollte, ist nicht ersichtlich.

Der Begriff der Zuführung und entsprechend der Zugang bzw. Abgang setzt eine Verschiebung zwischen unterschiedlichen Vermögensbereichen, des Gesellschafters auf der einen Seite und der Gesellschaft auf der anderen Seite voraus (vgl. Frotscher a.a.O. § 8 Rn. 68). Hierzu gehört nach Ansicht des Senats eine Entscheidung über den Wechsel der Vermögenszugehörigkeit.

An einer solchen Vermögensverlagerung aus dem Vermögensbereich der Anteilseigner in den Vermögensbereich der Klägerin und erst recht an einer Entscheidung hierüber fehlt es hinsichtlich der von der Klägerin angeführten, auf den unterschiedlichen Gewinnermittlungen beruhenden Differenz zwischen dem Eigenkapital nach Handelsbilanz und nach Steuerbilanz. Der handelsrechtliche Gewinn hat zu jeder Zeit dem Vermögensbereich der Klägerin angehört.

Gegen die Berücksichtigung handels- bzw. steuerrechtlicher Bewertungsdifferenzen spricht zudem, dass der Gesetzgeber auch im Rahmen der Berechnung des § 27 Abs.1 S.3 (i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes - StSenkG - vom 23.10.2000, BGBl. I 1433) bzw.4 (i.d.F. des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes - UntStFG - vom 20.12.2001 BGBl. I 3858) ausdrücklich auf die Steuerbilanz abgestellt hat und insoweit auf Empfehlung des Finanzausschusses von dem Wortlaut des Entwurfs eines StSenkG (s. BTDrs 14/2683 S. 125) abgewichen ist (s. BT Drs. 14/3366 S. 124; wenngleich man hiermit ausweislich der Begründung die Einbeziehung von nicht in der Handelsbilanz erfassten Teile des Eigenkapitals erreichen wollte /"auch"/, es mithin bei der Änderung nicht um die Frage der Einbeziehung oder des Ausschlusses von nur handelsrechtlichem Eigenkapital ging).

Entgegen der Ansicht der Klägerin führte die fehlende Erfassung der Bewertungsdifferenz in dem steuerlichen Einlagekonto selbst für den Fall, dass die Entstehung eines negativen steuerlichen Einlagekontos durch die Verrechnung gem. § 27 Abs.1 S.3 KStG nicht anerkannt würde, nicht dazu, dass ohne gesetzliche Grundlage ein steuerliches "Nullum" besteuert würde. Vielmehr würde eine reale Zuwendung an die Gesellschafter besteuert. Ein für die Gesellschaft nicht der Besteuerung unterliegender handelsrechtlich erwirtschafteter Gewinn in Höhe der Differenz zwischen dem Gewinn nach Handels- und nach Steuerbilanz würde damit im Fall der Ausschüttung an die Anteilseigner für diese gem. § 20 Abs.1 Nr. 1 EStG kapitalertragsteuerpflichtig. Ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien wäre hierin nicht zu erkennen.

3. Der Haftungsbescheid ist rechtswidrig und daher aufzuheben. Insoweit ist die Klage begründet.

Gem. § 44 Abs.5 EStG haften die Schuldner der Kapitalerträge für die Kapitalertragsteuer, die sie einzubehalten und abzuführen haben, es sei denn, sie weisen nach, dass sie die ihnen auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt haben.

Zwar hat der Beklagte dem Haftungsbescheid die im Ergebnis zutreffende Höhe der Kapitalertragsteuer zugrunde gelegt. Jedoch war die Inanspruchnahme der Klägerin rechtswidrig, weil sich die Klägerin im Hinblick auf die von ihr vertretene abweichende Berechnungsmethode auf die Exkulpationsmöglichkeit berufen kann.

a) Gem. § 43 Abs.1 Nr.1 EStG wird die Einkommensteuer durch Abzug von Kapitalertragsteuer bei den Kapitalerträgen i.S.v. § 20 Abs.1 Nr. 1 EStG erhoben. Ausschüttungen einer Kapitalgesellschaft sind Kapitalerträge i.S.v. § 20 Abs.1 Nr.1 EStG. Die Klägerin ist Schuldnerin der in Rede stehenden Kapitalerträge i.S.v. § 20 Abs.1 Nr.1 EStG und hat den Steuerabzug vorzunehmen, d.h. mit dem Zufluss entstehende Kapitalertragsteuer gem. § 44 Abs.1 S. 2-5 EStG einzubehalten und die einbehaltene Steuer bis zum 10. des Folgemonats an das Finanzamt abzuführen.

b) Der Beklagte hat die Kapitalertragsteuer im Ergebnis zutreffend berechnet.

aa) Wenngleich im Eingang des Bescheids die volle Summe der Kapitalerträge ohne Abzug der schon geleisteten Kapitalerträge genannt wird, enthält der Tenor des Bescheids nur die - auf S. 3 berechnete - Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag nach Abzug der vorangemeldeten Beträge. Da die Haftung sich gem. § 44 Abs.5 EStG nur auf die Steuer selbst bezieht, ist die Benennung des Betrags der Kapitalerträge selbst unbeachtlich.

bb) Gem. § 20 Abs.1 Nr. 1 S.3 EStG i.d.F. des UntStFG v. 20.12.2001 gehören zu den Kapitalerträgen i.S.v. Nr. 1 nicht Einnahmen, soweit sie aus Ausschüttungen einer Körperschaft stammen, für die die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG als verwendet gelten.

Nach dem ausdrücklichen Hinweis in der Gesetzesbegründung zu § 27 i.d.F. des StSenkG vom 23.10.2000 (BTDRs. 14/2683 S. 125) sollte auch nach der Abschaffung des körperschaftlichen Anrechnungsverfahrens an der bisherigen Praxis festgehalten werden, dass die Rückgewähr von Einlagen an die Anteilseigner - d.h. die Rückführung eines Teils der von den Anteilseignern überlassenen Substanz im Gegensatz zu der Ausschüttung realisierter Gewinne (vgl. Antweiler a.a.O. § 27 Rn. 12.7-14) - nicht zu steuerbaren Beteiligungserträgen führt.

Gem. § 27 Abs.1 S.3 KStG in der nicht sachlich, sondern nur redaktionell geänderten Fassung des UntStFG v. 20.12.2001 mindern Leistungen der Kapitalgesellschaft mit Ausnahme der - hier nicht vorliegenden - Rückzahlung von Nennkapital i.S.v. § 28 Abs.2 S.2 das steuerliche Einlagekonto nur, soweit die Summe der im Wirtschaftsjahr erbrachten Leistungen den auf den Schluss des Wirtschaftsjahres ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigt. Dabei gilt gem. S. 4 als ausschüttbarer Gewinn das um das gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestands des steuerlichen Einlagekontos.

Infolge der hierdurch festgelegten Verwendungsreihenfolge ist ein Direktzugriff auf das Einlagekonto - von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen - nicht möglich (Dötsch in: Dötsch, Jung, Pung, Witt KStG § 27 nF Lfg. Juli 2006 Rn 28a).

cc) Der über den ausschüttbaren Gewinn nebst freigestellter Beträge und tatsächlichen Bestand des steuerlichen Einlagekontos hinausgehende Teil der Ausschüttung in Höhe von 2.255.329 EUR ist nicht als Rückgewähr von Einlagen, d.h. als Ausschüttung, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.v. § 27 KStG als verwendet gelten, zu behandeln.

Dass die Klägerin eine Bescheinigung gem. § 27 Abs.3 KStG nicht ausgestellt hat, steht der Einordnung der Auszahlung als nichtsteuerbare Kapitalrückzahlung allerdings nicht entgegen. Die Bescheinigung ist keine materielle Voraussetzung für die Nichtsteuerbarkeit (Frotscher a.a.O. § 27 Rn. 59; Antweiler a.a.O. § 27 Rn. 117.1, 117.2; i.Erg. wohl nicht abw. Dötsch a.a.O. § 27 nF Rn. 34, der allerdings die Anteilseigner erst durch die Steuerbescheinigung, nicht schon durch den Bescheid gem. § 27 Abs.2 KStG gebunden sieht).

Nach Ansicht des Senats setzt § 20 Abs.1 Nr.1 S.3 EStG ebenso wenig voraus, dass tatsächlich ein steuerliches Einlagekonto bei der Klägerin geführt wurde; ausreichend ist vielmehr, dass Einlagen im Sinne des steuerlichen Einlagekontos verwendet werden (s.a. Frotscher § 27 Lfg.3/06 Rn. 10a).

Indes entspricht die Ausschüttung in Höhe von 2.255.329 EUR sachlich keiner Einlagenrückgewähr.

(1) Der Beklagte hat zum einen den der Berechnung zugrunde liegenden Bestand des steuerlichen Einlagekontos zutreffend angesetzt (s.o. 2.).

(2) Den den von der Klägerin ermittelten ausschüttbaren Gewinn ( 3.235.483 EUR) übersteigenden Teil der Ausschüttung (7.346.938,78 EUR) in Höhe von 4.111.544,78 EUR hat der Beklagte zu Recht nur insoweit als gem. § 20 Abs.1 Nr.1 S.3 EStG nicht steuerbar angesehen, wie er dem Betrag des steuerlichen Einlagekontos in Höhe von 909.879 EUR bzw. der berücksichtigten Freistellung in Höhe von 946.247,78 EUR entsprach. Eine Einlagenrückgewähr, die den Betrag des positiven Bestands des steuerlichen Einlagekontos überschreitet, m.a.W. eine Minderung des steuerlichen Einlagekontos über dessen positiven Bestand hinaus, ist nicht anzuerkennen.

Die in § 27 Abs.1 KStG i.d.F. des StSenkG bzw. des UntStFG enthaltene Berechnungsformel enthält nach Ansicht des Senats allerdings keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die Verrechnung von Leistungen der Gesellschaft mit dem steuerlichen Einlagekonto nur bis zur Höhe des zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres festgestellten positiven Bestands des steuerlichen Einlagekontos erfolgen kann und damit die Minderung/Verwendung des steuerlichen Einlagekontos auf den positiven Bestand dieses Kontos beschränkt ist (van Lishaut FR 2002, 1205, 1210 will dies aus dem Wort "mindern" statt "abziehen - s. § 28 Abs.2 S.2 KStG - schließen; Förster Anm. FR 2002, 1210 sieht im Gegenteil in dem Wortlaut einen eindeutigen Hinweis auf die Möglichkeit eines negativ werdenden Einlagekontos). Eine solche Beschränkung ist aber aus dem Zusammenhang mit § 39 Abs.1 KStG zu schließen, wonach ausdrücklich nur ein positiver Endbetrag des EK 04 als Anfangsbestand des steuerlichen Einlagekontos zu erfassen ist. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass dann in der Folgezeit das steuerliche Einlagekonto über den positiven Bestand hinaus als Folge der Verrechnung in einen negativen Saldo gemindert werden kann (Antweiler a.a.O. § 27 Rn. 67; Dötsch a.a.O. Lfg. Juli 2006 Rn. 28f; Frotscher a.a.O. § 27 KStG Lfg. 3/2006 Rn. 27f: die Verwendung für Ausschüttungen setze gedanklich voraus, dass ein Betrag vorhanden ist, der verwendet werden kann; demggü and. Rn. 24f.; in letzterem Sinne jetzt Lfg. 11/2007 Rn.33: materiell werde in den Fällen, in denen das Einlagekonto durch die Verwendung negativ werde, Nennkapital zurückgezahlt. Zudem komme es angesichts der Fiktion des § 27 Abs.1 S.4 auf den tatsächlichen Bestand an Einlagen nicht an). Andernfalls hätte eine ausdrückliche Erwähnung wie in § 28 Abs.4 KStG a.F. nahegelegen. Diese Auslegung entspricht zudem dem allgemeinen steuerrechtlichen Grundsatz, wonach (nur) die Rückgewähr von Einlagen des Anteilseigners, also die Rückführung der von den Anteilseignern überlassenen Substanz nicht steuerbar sein soll. Ist ein Einlagebestand nicht (mehr) vorhanden, kann von einer solchen Rückführung keine Rede sein.

Dementsprechend hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 07.12.2006 (BGBl. I, 2782) in § 27 Abs.1 KStG den Hinweis aufgenommen, dass der Bestand des steuerlichen Einlagekontos durch Leistungen nicht negativ werden kann. Nach den vorstehenden Ausführungen kann dieser Hinweis entsprechend der Formulierung in der Gesetzesbegründung (BRDrs 542/06 S. 50) in der Tat nur als "Klarstellung" zu der schon bislang geltenden Rechtslage verstanden werden.

Dass der über den ausschüttbaren Gewinn und den Bestand des steuerlichen Einlagekontos hinausgehende Teil der Leistung auf diese Weise nicht in dem System der Eigenkapitalgliederung "dargestellt" werden kann, ist ohne Bedeutung. Insbesondere bedarf es nach Aufgabe des Anrechnungsverfahrens keiner umfassenden Feststellung, aus welchen Mitteln die Ausschüttung finanziert wurde; denn es ist für die steuerliche Behandlung ohne Bedeutung, in welcher Weise Ausschüttungen, die nicht aus dem steuerlichen Einlagekonto erbracht wurden, tatsächlich finanziert wurden (s.a Frotscher a.a.O. Lfg. 11/2007 Rn. 34 zur Situation nach dem SEStEG).

Im Übrigen hätte auch auf der Grundlage der Gesetzeslage zu Zeit der Geltung des Anrechnungsverfahrens ein gem. § 28 Abs.4 KStG a.F. negativer Bestand des EK 02 im Falle der Ausschüttung zu einer Körperschaftsteuererhöhung geführt (s. Frotscher zu § 28 KStG a.F. Lfg. 7/2000 Rn. 42h).

Auch wenn der Überhang der nicht durch den ausschüttbaren Gewinn und das steuerliche Einlagekonto gedeckten Leistung aus der Differenz zwischen Handels- und Steuerbilanz resultieren mag, folgt hieraus nicht, dass keine steuerlich relevante Einnahme vorliegt. Vielmehr sind Auskehrungen, die weder aus dem ausschüttbaren Gewinn noch aus dem steuerlichen Einlagekonto finanziert wurden, sonstige Bezüge i.S.v. § 20 Abs.1 Nr.1 EStG (s.a. Frotscher a.a.O. Lfg. 11/2007 Rn. 34).

dd) Ob der ausschüttbare Gewinn seitens der Klägerin richtig berechnet wurde, kann im Ergebnis offen bleiben.

Denn der den Betrag des steuerlichen Einlagekontos bzw. der Freistellung überschreitende Teil der Ausschüttung ist in jedem Fall als nicht von der Verwendungsfiktion gem. § 20 Abs.1 S.3 KStG erfasster Kapitalertrag kapitalertragsteuerpflichtig.

c) Allerdings kann die Klägerin nach Ansicht des Senats die Exkulpationsmöglichkeit gem. § 44 Abs.5 EStG für sich in Anspruch nehmen.

Die Rechtslage der Zusammensetzung und Verwendung des steuerlichen Einlagekontos seit der Neuregelung des KStG durch das StSenkG ist bzw. war zur Zeit der maßgeblichen Anmelde- und Abführungspflicht der Klägerin noch nicht durch Rechtsprechung geklärt. In der Literatur wurden und werden zur Frage des negativen Einlagekontos unterschiedliche Ansichten vertreten. Die in dem Schreiben des BMF vom 04.06.2006 (IV A 2 - S 2836 - 2/03, DStR 2003, 1027) vertretene von der der Klägerin abweichende Rechtsansicht ist keineswegs bindend oder vorrangig. Ebenso wenig war die Klägerin verpflichtet, vorsorglich die Anmeldung auf der Grundlage der für sie ungünstigsten Rechtsauffassung abzugeben - auch wenn sie teilweise vorsorglich entsprechende Steuerbeträge zurückgehalten hat. Spätestens der auch von dem Gesetzgeber erkannte Klarstellungsbedarf spricht nach Ansicht des Senats dafür, dass die von der Klägerin vertretene und zudem in der Kapitalertragsteueranmeldung offen gelegte Rechtsauffassung zu der Frage eines möglichen negativen steuerlichen Einlagekontos einer vertretbaren Rechtsauffassung entsprach, deren Verfolgung trotz der Existenz eines gegenteiligen BMF-Schreibens nicht eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzung begründen kann.

Damit ist der Haftungsbescheid ungeachtet dessen aufzuheben, ob der Beklagte das ihm im Übrigen eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

d) Da der Haftungsbescheid aufzuheben war, ist die von der Klägerin aufgeworfene Frage des Verstoßes gegen Art. 43, 48 EGV nicht entscheidungserheblich.

Im Übrigen kann nach Ansicht des Senats eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass für ausländische Anteilseigner das Risiko besteht, dass die dort über die Anrechnung entscheidenden Behörden zu Unrecht die Anrechnung der nach dem auch gem. Art. 18 Abs.1a DBA maßgeblichen deutschen Recht im Abzugswege zu zahlenden Steuer versagen.

II.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs.1 S.1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Der Senat hat den zugrunde liegenden Streitwert in Bezug auf die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos gem. § 27 Abs.2 KStG nach den steuerlichen Auswirkungen im Wesentlichen auf der Grundlage der streitigen steuerlichen Auswirkungen der Ausschüttungen des Jahres 2004 bemessen.

Als Bemessungsgrundlage hat er zunächst den streitigen Betrag des begehrten steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2003 gewählt, da die begehrten Bestände zum 31.12.2001 und zum 31.12.2002 hierin eingeflossen waren und allein der Bestand zum 31.12.2003 für die Ausschüttung des Jahres 2004 zur Verfügung stand.

Die Höhe der steuerlichen Auswirkungen hat der Senat mit dem Kapitalertragsteuersatz von 20% bezogen auf einen Teilbetrag des beantragten Mehrbetrags des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2003 in Höhe von 2.255.329 EUR bewertet, also der Differenz zwischen den nach Ansicht des Beklagten auf der einen und der Klägerin auf der anderen Seite der Kapitalertragsteuerpflicht unterliegenden ausgeschütteten Beträge.

Da das zukünftige Ausschüttungsverhalten und damit die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos ungewiss ist, hat der Senat für den Restbetrag von 2.761.129 EUR der begehrten Erhöhung des steuerlichen Einlagekontos den Streitwert auf 10% geschätzt.

Den Streitwert der begehrten Feststellungen zum 31.12.2001 und 31.12.2002 hat der Senat mangels erkennbarer Auswirkungen mit dem Mindestwert der Gebührentabelle bewertet.

Auf dieser Grundlage ergab sich folgende Berechnung des Streitwerts und der Anteile des Obsiegens bzw. Unterliegens:

1) Haftungsbescheid vom 12.09.2005

 Kapitalertragsteuer Aug.04 546.189,00 EUR 
Soli 30.040,40 EUR 
Haftungssumme 576.229,40 EUR576.229 EUR

2) steuerliches Einlagekonto gem. § 27 II S.1 KStG Bescheid vom 25.06.2004

 bisherbegehrtDifferenz
31.12.2001 909.879 EUR 7.960.206 EUROhne Auswirkung /Eingangswert 300,00 EUR
31.12.2002 909.879 EUR 6.529.810 EUROhne Auswirkung/Eingangswert 300,00 EUR
31.12.2003 909.879 EUR 5.926.337 EUR 5.016.458 EUR

 Ausschüttung 7.346.938,78 EUR
unstreitig 3.235.483,00 EUR
aus Einl.Kto. 909.879,00 EUR
freigestellt 946.247,78 EUR

 verbleiben/strittig 2.255.329,00 EUR   
Einl-Kto.-Verbrauch2.255.329 EUR 20% 451.065,80 EUR
Rest Einlagekonto2.761.129 EUR10%276.112,90 EUR
   727.778,70 EUR

Streitwert 1.304.008 EUR

Anteil des Obsiegens der Klägerin: 576.229 EUR : 1.304.008 EUR = 44,19%

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 155, 151 Abs.3 FGO, 708 Nr.10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

3. Der Senat hat die Revision gem. § 115 Abs.2 Nr. 1 FGO zugelassen.



Ende der Entscheidung

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