Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 27.09.2006
Aktenzeichen: 4 K 133/05
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 91
AO 1977 § 126 Abs. 1 Nr. 3
AO 1977 § 227
FGO § 101 S. 1
FGO § 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

4 K 133/05

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Mineralölsteuer im Billigkeitswege.

Die Klägerin betreibt in Hannover ein Tanklager (Steuerlager). Herr B war dort als Betriebsleiter tätig. Im Zeitraum jedenfalls bis Februar 2001 verkaufte dieser an Herrn A, der Inhaber einer auf den Vertrieb von Mineralölstoffen spezialisierten Firma war, in zahlreichen Fällen Mineralöl. Das Mineralöl hatte er über eine steuerlich nicht zugelassene Entnahmestelle aus dem Tanklager der Klägerin entnommen. Das Zollfahndungsamt Hannover kommt in seinem Schlussbericht vom 22.11.2001 nach der Auswertung von Zeugenaussagen zu dem Ergebnis, dass im Zeitraum von Mai 1999 bis Februar 2001 149.000 l Dieselkraftstoff und 223.000 l Heizöl entnommen worden sein dürften. Die hinterzogene Mineralölsteuer dürfte 145.960 DM betragen.

Am 07.10.2002 erließ der Beklagte gegen die Klägerin einen Steuerbescheid, mit dem Mineralölsteuer in Höhe von 68.814,77 EUR festgesetzt wurde, wobei die Klägerin gesamtschuldnerisch mit Herrn B und Herrn A in Anspruch genommen worden ist.

Die Klägerin beglich die Forderung, ohne gegen den Steuerbescheid Einspruch einzulegen.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 28.11.2003 verurteilte das Amtsgericht Hannover Herrn B und Herrn A wegen Untreue bzw. Hehlerei jeweils zu einer Geldstrafe. Beide Angeklagten waren geständig. In seinem Urteil stellte das Amtsgericht fest, dass der Angeklagte B an den Angeklagten A in mindestens 5 Fällen insgesamt 40.000 l Mineralöl verkauft habe.

Vor dem Hintergrund, dass das Amtsgericht Hannover in seinem Strafurteil von einer deutlich geringeren Mineralölmenge ausgegangen ist, als der Beklagte in seinem Steuerbescheid, beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 11.12.2003 die Erstattung der gezahlten Mineralölsteuer, soweit diese für mehr als 40.000 l Mineralöl gezahlt worden ist. Es seien 64.335,57 EUR zu erstatten.

Den Erstattungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 05.10.2004 ab. Persönliche Billigkeitsgründe lägen nicht vor, da die Ablehnung des Antrags keine wirtschaftliche Notlage zur Folge habe und die Fortführung des Betriebs nicht gefährdet sei. Im Übrigen beruhe der Steuerbescheid auf den Feststellungen des Zollfahndungsamts Hannover. Der Diebstahl sei ermöglicht worden, da von einer Zapfsäule zwar die Messeuhr entfernt worden sei, die Tankanlage an der Zapfsäule selbst sei aber weiterhin voll betriebsfähig belassen worden.

Am 25.10.2004 legte die Klägerin Einspruch ein, beantragte hinsichtlich der versäumten Einspruchsfrist gegen den Steuerbescheid Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und beantragte hilfsweise die Berichtigung des Steuerbescheides vom 7.10.2002 gemäß § 172 Abs. 1 i.V.m. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.

Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 08.09.2005 zurückgewiesen. Da die wirtschaftliche Existenz der Klägerin nicht gefährdet sei, komme eine Erstattung aus persönlichen Gründen nicht in Betracht. Da die Klägerin den Steuerbescheid habe bestandskräftig werden lassen, komme auch eine Korrektur aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht in Betracht.

Mit ihrer am 13.10.2005 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor, sie selbst habe die unzulässige Entnahme von Heizöl aus ihrem Steuerlager angezeigt. Sie habe darauf vertraut, dass die Mengenberechnung im Steuerbescheid vom 07.10.2002 richtig sei und daher darauf verzichtet, Einspruch gegen den Steuerbescheid einzulegen. Erst durch das Strafurteil des Amtsgerichts Hannover vom 28.11.2003 sei ihr bewusst geworden, dass die Mineralölmenge im Steuerbescheid unzutreffend berechnet worden sei. Angesichts der vagen Formulierungen im Schlussbericht des Zollfahndungsamtes hätte der Beklagte eigene Ermittlungen anstellen müssen und sich nicht auf den Schlussbericht verlassen dürfen. Insoweit habe er gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen. Zudem sei das Zollfahndungsamt von einer nicht der Rechtslage entsprechenden Erfassung von Steuerlager-Zugängen ausgegangen. Schließlich sei sie vor Erlass des Steuerbescheides nicht angehört worden, insoweit sei gegen § 91 AO verstoßen worden.

Aus den Schriftsätzen der Klägerin ergibt sich der Antrag,

den Beklagten unter Aufhebung des Steuerbescheides vom 07.10.2005 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 08.09.2005 zu verpflichten, Mineralölsteuer in Höhe von 66.360,57 EUR zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf die Einspruchsentscheidung vom 08.09.2005 und trägt ergänzend vor, er hätte keine eigenen Ermittlungen hinsichtlich der Menge anstellen müssen, da die Mengenermittlung im Rahmen der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen erfolgt sei. Das Zollfahndungsamt habe ermittelt, welche Mengen aus dem Lager der Klägerin entfernt worden seien, durch die Entfernung sei die Mineralölsteuer gemäß § 9 Abs. 1 MinöStG entstanden. Während der Dauer der Einspruchsfrist sei die Mengenermittlung von der Klägerin nicht angegriffen worden. Etwaige Mengenberechnungen durch das Amtsgericht Hannover seien im Steuerverfahren unerheblich. Der Erstattungsantrag scheitere auch an der Erlassbedürftigkeit. Mangels entsprechenden Vortrags könne nicht davon ausgegangen werden, dass die wirtschaftliche Existenz der Klägerin gefährdet sei. Da es ihr möglich und zumutbar gewesen sei, gegen den Steuerbescheid vorzugehen, käme die Korrektur selbst einer offensichtlich fehlerhaften Steuerfestsetzung im Billigkeitsverfahren nicht in Betracht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Da die ordnungsgemäß geladene Klägerin in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass bei ihrem Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 91 Abs. 2 FGO), konnte verhandelt und entschieden werden, obwohl sie in der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2006 nicht vertreten war.

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.

I. Die Ablehnung des Erstattungsantrags mit Steuerbescheid vom 07.10.2005 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 08.09.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 101 Satz 1 FGO. Die Klägerin hat keinen Erstattungsanspruch.

Ein Verstoß gegen das Anhörungserfordernis nach § 91 AO, den die Klägerin rügt, führt nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des Steuerbescheides. Ein derartiger Anhörungsmangel wurde nach § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO durch das Einspruchsverfahren, in dem die Klägerin die Möglichkeit hatte, sich zu der Steuerforderung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu äußern, geheilt.

Die Versagung der Erstattung ist auch materiell rechtmäßig, da die Voraussetzungen des § 227 AO nicht vorliegen. Nach dieser Bestimmung kann die Finanzbehörde einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen bzw. erstatten, wenn dessen Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre.

Die Entscheidung über einen Erlassantrag ist, wie sich schon aus der Formulierung "können" in § 227 AO ergibt, eine Ermessensentscheidung. Behördliche Ermessensentscheidungen kann das Gericht nach § 102 FGO grundsätzlich nur daraufhin überprüfen, ob eine Ermessensüber- oder -unterschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (vgl. z.B. BFH, Urteil v. 07.05.1981, VII R 64/79), und zwar bezogen auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (BFH, Urteil v. 26.07.1972, I R 158/71). Die gerichtliche Prüfung hat sich - anders ausgedrückt - mit Ausnahme des hier aber offensichtlich nicht gegebenen Falles der Ermessensreduzierung auf nur eine mögliche ermessensfehlerfreie Entscheidung (sog. Ermessensreduzierung auf null) auf die Prüfung zu beschränken, ob die Ablehnung des Erlassgesuchs unter dem Gesichtspunkt von Recht und Billigkeit vertretbar war, d.h. ob den Verwaltungsbehörden daraus ein Vorwurf gemacht werden kann, dass sie am gesetzlichen Steuertatbestand festgehalten haben. Das Gericht muss die Ablehnung des Erlasses bestätigen, wenn die Entscheidung ohne Verstoß gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit unter Abwägung der Interessen des Steuergläubigers am Einzug der nach dem Gesetz entstandenen und festgesetzten Steuern einerseits und der Verhältnisse des Steuerschuldners andererseits so getroffen werden konnte, wie sie getroffen wurde. Dem Gericht steht es nicht zu, an die Stelle der nach Recht und Billigkeit vertretbaren Verwaltungsentscheidungen als Ausfluss eigenen Ermessens eine ebenso gut mögliche, für den Steuerpflichtigen günstigere Entscheidung zu setzen (vgl. BFH, Urteil v. 19.01.1965, VII 22/62 S).

Den Erlass der streitigen Mineralölsteuerforderung hat der Beklagte ermessensfehlerfrei abgelehnt. Insbesondere hat er fehlerfrei festgestellt, dass im Falle der Klägerin keine hinreichenden Billigkeitsgründe ersichtlich sind. Dabei ist zwischen sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen für einen Steuererlass zu unterscheiden.

Sachliche Billigkeitsgründe liegen im Streitfall nicht vor: Sachliche Billigkeitsgründe sind dann gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte, oder wenn angenommen werden kann, dass die Einziehung den Wertungen des Gesetzgebers widerspricht (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 227, Tz. 40). Die Funktion des Billigkeitserlasses aus sachlichen Gründen ist es nicht, fehlerhafte Steuerfestsetzungen zu korrigieren (BFH, Beschluss v. 24.04.1992, IX B 71/91, juris). Dafür, dass die Steuerfestsetzung im vorliegenden Fall nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ist nichts ersichtlich. Die Erhebung der Mineralölsteuer ist dem Grunde nach zwingende gesetzliche Folge der Entnahme des Mineralöls aus dem Steuerlager. Die Argumentation der Klägerin, das Zollfahndungsamt Hannover hätte in seinem Schlussbericht vom 22.11.2001 die entnommene Menge fehlerhaft zu hoch ermittelt, so dass der Beklagte die Mineralölsteuer - der fehlerhaften Mengenermittlung des Zollfahndungsamtes folgend - zu hoch festgesetzt habe, mag für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Steuerforderung erheblich sein. Insofern hätte die Klägerin in einem Einspruchsverfahren und einem sich ggf. anschließenden Klageverfahren gegen die Festsetzung der Mineralölsteuer eine Überprüfung der Steuerfestsetzung der Höhe nach erreichen können. Diese Möglichkeit hat die Klägerin jedoch nicht genutzt, vielmehr hat sie den Steuerbescheid vom 07.10.2002 bestandskräftig werden lassen. Einer Korrektur einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung dient das Erlassverfahren nicht (FG Hamburg, Urteil v. 18.01.2005, IV 134/04). Selbst die Korrektur einer offensichtlich fehlerhaften Steuerfestsetzung ist im Billigkeitsverfahren aus verfahrensrechtlichen Gründen unzulässig, wenn es dem Steuerpflichtigen möglich und zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zur Wehr zu setzen (FG Hamburg, Urteil v. 04.03.1999, VI 324/97). Dass es der Klägerin unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, gegen den Steuerbescheid vom 07.10.2002 Einspruch einzulegen, ist nicht ersichtlich. Zwar war ihr zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt, welche Mengen das Amtsgericht Hannover in seinem Strafurteil zugrunde legen würde, andererseits wäre sie ohne weiteres in der Lage gewesen, den Steuerbescheid anzufechten und hinsichtlich der Mengen an Hand ihrer eigenen Bestandsaufzeichnungen zumindest eine Plausibilitätsprüfung vorzunehmen, um die Erfolgsaussichten eines Einspruchs abzuschätzen. Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid vom 07.10.2002 ist wegen Fristablaufs mittlerweile unzulässig, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO), wie mit Schreiben vom 22.08.2004 beantragt, kann nicht gewährt werden. Auf die Kenntnis vom amtsgerichtlichen Urteil vom 28.11.2003 kann die Klägerin ihren Wiedereinsetzungsantrag nicht stützen, da sie den Antrag nicht innerhalb von zwei Wochen ab Kenntniserlangung gestellt hat. Bereits aus ihrem Schreiben vom 11.12.2003 ergibt sich, dass sie bereits mehrere Monate vor ihrem Schreiben vom 22.08.2004 Kenntnis von diesem Urteil hatte. Aus diesem Grund kann die von der Klägerin geltend gemachte Rechtswidrigkeit der Erhebung der Mineralölsteuer im Billigkeitsverfahren nicht berücksichtigt werden.

Ein Billigkeitserlass aus persönlichen Gründen setzt Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit voraus. Erlassbedürftigkeit ist dann gegeben, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernsthaft gefährden würde. Mangels entsprechenden substantiierten Vortrags der Klägerin kann von Erlassbedürftigkeit in diesem Sinne nicht ausgegangen werden. Da schon die Erlassbedürftigkeit zu verneinen ist, kommt es auf die Frage der Erlasswürdigkeit nicht mehr an.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Gründe des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

Zurück