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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 30.06.2009
Aktenzeichen: 4 K 154/09
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 78 Abs. 1
FGO § 78 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin beantragten mit der Klageschrift zugleich die Gewährung von Einsicht in die den Streitfall betreffenden Sachakten des beklagten Hauptzollamtes. Diesem Antrag entsprach der stellvertretende Vorsitzende des Senats unter dem 18.06.2009 mit der Maßgabe, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Gericht benennen mögen, bei dem Akteneinsicht genommen werden solle.

Mit Schriftsatz vom 24.06.2009 haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin beantragt, ihnen die Akten zur Einsichtnahme in ihre Kanzleiräume zu übersenden. Unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 31.10.2008 (V B 29/08) verweisen sie darauf, dass der Akteninhalt schon mit Blick auf die fünf weiteren Parallelverfahren umfangreich und unübersichtlich sei, so dass ausnahmsweise eine Übersendung der Akten in die Kanzleiräume gerechtfertigt sei.

II. Das Gesuch der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, ihnen die den Streitfall betreffenden Akten in ihre Kanzleiräume zu übersenden, bleibt ohne Erfolg. Die Prozessbevollmächtigten haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen die Akten zur Einsichtnahme in die Kanzleiräume übersandt werden.

In § 78 Abs. 1 FGO ist bestimmt, dass die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen können. Die Beteiligten können sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen (§ 78 Abs. 2 Satz 1 FGO). Diese gesetzlichen Regelungen - Akten "einsehen", Erteilung von Abschriften durch die Geschäftsstelle - zeigen, dass die Akteneinsicht grundsätzlich auf der Geschäftsstelle des zuständigen Senats zu nehmen ist. Der Gesetzgeber mutet daher den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten grundsätzlich zu, sich zur Ausübung ihres Rechts auf Akteneinsicht zu dem Gericht zu begeben, das mit der Streitsache befasst ist (vgl. nur BFH, Beschluss vom 25.09.2006, VI B 136/05, BFH/NV 2007, 86). Allerdings kann die Einsichtnahme in die Prozessakten ausnahmsweise auch an einem anderen Ort als auf der Geschäftsstelle des zuständigen Senats erfolgen. Die Entscheidung darüber, ob die Akten einem Prozessbevollmächtigten zur Akteneinsicht in dessen Geschäftsräume überlassen werden können, ist eine gerichtliche Ermessensentscheidung. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung hat der zuständige Senat nicht nur die für und gegen eine Aktenübersendung sprechenden Interessen - scil. insbesondere Zeit- und Kostengesichtspunkte auf Seiten des Prozessbevollmächtigten einerseits sowie die Vermeidung von Aktenverlusten, die Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber Dritten und die jederzeitige Verfügbarkeit der Akten im Gericht andererseits - gegeneinander abzuwägen, sondern auch das in § 78 Abs. 1 FGO normierte Regel-Ausnahme-Verhältnis zu beachten (vgl. BFH, Beschluss vom 25.09.2006, VI B 136/05, BFH/NV 2007, 86; Beschluss vom 26.09.2003, III B 112/02, BFH/NV 2004, 210; Beschluss vom 01.08.2002, VII B 65/02, BFH/NV 2003, 59). Ein Ausnahmefall, der eine Übersendung der Akten in das Büro des Prozessbevollmächtigten ausnahmsweise rechtfertigt, ist nach der Rechtsprechung etwa gegeben, wenn die Akten, in die Einsicht genommen werden soll, außergewöhnlich umfangreich und unübersichtlich sind und es dem Prozessbevollmächtigten deshalb und wegen der Dienstzeit der Mitarbeiter des Finanzgerichts auch bei intensivem Bemühen voraussichtlich nicht möglich sein wird, sich innerhalb eines angemessenen Zeitraumes über den Akteninhalt zu informieren (vgl. BFH, Beschluss vom 31.10.2008, V B 29/08, BFH/NV 2009, 194; Beschluss vom 26.09.2003, III B 112/02, BFH/NV 2004, 210). Eine weitere Ausnahme kann in Betracht kommen, wenn der mit der Streitsache betraute Prozessbevollmächtigte auf einen Rollstuhl angewiesen ist (vgl. BFH, Beschluss vom 29.10.2008, III B 176/07, BFH/NV 2009, 192). Unbequemlichkeiten, die regelmäßig mit der Akteneinsicht außerhalb der Kanzleiräume verbunden sind, begründen dagegen keine Ausnahme von der gesetzgeberischen Grundentscheidung, wonach die Einsichtnahme in die Akten bei Gericht die Regel ist (vgl. BFH, Beschluss vom 23.05.2008, III B 107/07, [...]).

Unter Berücksichtigung der vorstehend skizzierten Vorgaben können die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Streitfall nicht beanspruchen, dass ihnen die Akten in die Kanzlei zur Einsichtnahme übersandt werden. Dem berechtigten Interesse der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, angesichts der Entfernung von etwa 200 km zwischen Kanzlei und Gericht den mit der Akteneinsicht verbundenen Zeit- und Kostenaufwand möglichst gering zu halten, hat der Senat bereits durch das Angebot Rechnung getragen, die Akten an ein Gericht nach Wahl der Bevollmächtigten zu übersenden. Dass am Sitz der Prozessbevollmächtigten in A kein Gericht ansässig ist, ist insoweit unbeachtlich. Das nächste Amtsgericht befindet sich ca. 20 km von A entfernt in B und lässt sich in zumutbarer Weise in etwa 20 Minuten mit dem Auto erreichen.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin können sich im Streitfall auch nicht darauf berufen, dass mit Rücksicht auf die umfangreichen und unübersichtlichen Akten eine Einsichtnahme in zumutbarer Weise allein in den Kanzleiräumen in Betracht kommt. Das beklagte Hauptzollamt hat mit Schreiben vom 15.06.2009 zwei Hefter Sachakten vorgelegt. Die Hefter sind jeweils paginiert und umfassen 34 bzw. 85 Blatt. Sachakten dieses Umfangs lassen sich nicht nur ohne große Mühe und Aufwand, sondern auch in sehr überschaubaren Zeiträumen einsehen. Im vorliegenden Zusammenhang kommt hinzu, dass der umfangreichere Hefter II sich im Wesentlichen auf das behördliche bzw. gerichtliche AdV-Verfahren bezieht, das bereits abgeschlossen ist.

Der Umstand schließlich, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin in fünf Parallelverfahren ebenfalls Akteneinsicht beantragt haben, vermag gleichfalls eine Übersendung der Akten in das Büro der Prozessbevollmächtigten nicht zu rechtfertigen. Abgesehen davon, dass sich die Prüfung, ob ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände eine Ausnahme von der gesetzlichen Grundentscheidung in Betracht kommt, grundsätzlich auf das jeweilige Gerichtsverfahren und das in diesem Verfahren geltend gemachte Recht auf Akteneinsicht bezieht, lässt sich vorliegend auch nicht erkennen, dass angesichts des Umfangs der Sachakten in ihrer Gesamtheit eine Einsichtnahme in den Räumen eines Gerichtes nach Wahl der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht zumutbar erscheint. Das beklagte Hauptzollamt hat zu den einzelnen Klageverfahren Sachakten im nachstehenden Umfang vorgelegt: 4 K 155/09: 2 Hefter, 10 bzw. 80 Blatt , 4 K 156/09: 2 Hefter, 10 bzw. 67 Blatt , 4 K 157/09: 2 Hefter, 10 bzw. 80 Blatt , 4 K 158/09: 2 Hefter, 50 bzw. 86 Blatt , 4 K 159/09: 2 Hefter, 122 bzw. 65 Blatt. Auch die Sachakten in diesen Verfahren sind ordnungsgemäß geheftet und durchgängig paginiert, was ihr Studium erleichtert. Die Hefter II beziehen sich im Wesentlichen ebenfalls auf bereits abgeschlossene gerichtliche AdV-Verfahren, so dass es den Prozessbevollmächtigten der Klägerin möglich ist, sich innerhalb kürzester Zeit über deren Inhalt zu informieren. Lediglich der Hefter I der zum Verfahren 4 K 159/09 vorgelegten Sachakten fällt mit einem Umfang von 122 Blatt im Vergleich zu den anderen Sachakten (Heft I) ein wenig aus dem Rahmen. Freilich ist insoweit zu berücksichtigen, dass Sachakten mit mehr als 100 Seiten nicht als außergewöhnlich umfangreich erscheinen, sondern einen Umfang einnehmen, der in Verfahren der in Rede stehenden Art üblich ist.

Sofern die Prozessbevollmächtigten den Umfang der einzusehenden Sachakten gleichwohl als beträchtlich empfinden, merkt der beschließende Senat lediglich an, dass sich die von der Klägerin erteilte Prozessvollmacht auf die Sozietät bezieht. Akteneinsicht muss daher nicht zwingend allein von der den Streitfall betreuenden Rechtsanwältin durchgeführt werden. Einsicht in die Akten können vielmehr auch mehrere Kollegen gemeinsam nehmen.

Die Entscheidung ergeht durch den Senat (arg. e contrario §§ 79 Abs. 1, 79 a Abs. 1 FGO). Gegen die Entscheidung ist gemäß § 128 Abs. 1 FGO der Rechtsbehelf der Beschwerde gegeben.

Ende der Entscheidung

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