Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 30.01.2008
Aktenzeichen: 4 K 224/07
Rechtsgebiete: VO Nr. 404/93/EWG, ZK


Vorschriften:

VO Nr. 404/93/EWG Art. 17
VO Nr. 404/93/EWG Art. 18 Abs. 2
ZK Art. 220 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

4 K 224/07

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich dagegen, dass das seinerzeit zuständige Hauptzollamt Hamburg-1 mit Steueränderungsbescheid vom 29.08.1995 von der Klägerin insgesamt 11.813.552,19 DM Zoll-Euro nachgefordert hat. Die Nachforderung war erfolgt, weil die Klägerin im Rahmen des ihr bewilligten Sammel-Zollverfahrens bei der Abrechnungsstelle des HZA Hamburg-1 für die Einfuhr Monate Mai bis Juli 1995 mehrere Partien frische Bananen, die aus Ecuador eingeführt worden waren, zum Kontingent-Zollsatz von 75 ECU/to abgerechnet hat, ohne in Besitz einer für die Anwendung des Kontingent-Zollsatzes erforderlichen Einfuhrlizenz zu sein.

Die Klägerin hatte zunächst beim Hauptzollamt Hamburg-1 mit Schreiben vom 13.03.1995 eine verbindliche Zusicherung beantragt, wonach der Drittlandszollsatz von 850 ECU/to auch ohne Vorlage einer Einfuhrlizenz nicht zur Anwendung kommen sollte. Eine solche Zusicherung lehnte das Hauptzollamt Hamburg-1 mit Schreiben vom 17.03.1995 ab. Die Klägerin beantragte daraufhin beim Finanzgericht Hamburg mehrere einstweilige Anordnungen nach § 114 FGO, durch die das Hauptzollamt Hamburg-1 verpflichtet werden sollte, bei der Einfuhr von Drittlandsbananen aus Ecuador auf die Vorlage von Einfuhrlizenzen zu verzichten und den Kontingent-Zoll anzuwenden. Das Finanzgericht Hamburg entsprach diesen Anträgen durch vier Beschlüsse vom 19.05., 08.06., 21.06. und 28.06.1995. Der BFH hob die einstweiligen Anordnungen des FG Hamburg mit Beschluss vom 22.08.1995 auf. Das Hauptzollamt Hamburg-1 war dadurch nicht länger durch die Gerichtsbeschlüsse des FG Hamburg daran gehindert, hinsichtlich der von dem vorliegenden Steuerstreit betroffenen Einfuhrpartien die gesetzlich bestimmten Einfuhrabgaben, hier den Drittlandszoll von 850 ECU/to bzw. ab dem 01.07.1995 von 822 ECU/to buchmäßig zu erfassen.

Mit Steueränderungsbescheid vom 29.08.1995 forderte das Hauptzollamt Hamburg-1 hinsichtlich der in der Anlage zu diesem Steueränderungsbescheid aufgeführten Sammel-Zollanmeldungen den bisher nicht buchmäßig erfassten Differenzbetrag zwischen dem Drittlandszoll und dem bereits entrichteten Kontingentszoll, insgesamt 11.813.552,19 DM Zoll-Euro, nach. Gegen diesen Steueränderungsbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 01.09.1995 Einspruch ein, den das zwischenzeitlich zuständig gewordene Hauptzollamt Hamburg-2 mit seiner Einspruchsentscheidung vom 02.06.2001 als unbegründet zurückwies. Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage vom 09.07.2001, die sich - nach Umbenennung des Hauptzollamtes Hamburg-2 - gegen das Hauptzollamt Hamburg-3 richtet. Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin u.a. folgendes vor:

Der Kontingent-Zoll sei der geschuldete Zoll.

Die buchmäßige Erfassung sei nach Art. 218 Abs. 1, Art. 220 Zollkodex (ZK) verfristet.

Die nachträgliche buchmäßige Erfassung sei nach Artikel 220 Abs. 2 lit. b ZK unzulässig.

Bei den einstweiligen Anordnungen des FG Hamburg handele es sich um endgültige Regelungen, die Vertrauensschutz begründeten.

Die Bananenmarktordnung sei als "ausbrechender Rechtsakt" verfassungswidrig.

Die Klägerin regt an, den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren Fragen zur unmittelbaren Wirkung von DSB-Entscheidungen (Entscheidungen des Dispute Settlement Body der WTO) vorzulegen.

Die Klägerin beantragt,

den Steueränderungsbescheid des Hauptzollamtes Hamburg-1 vom 29.08.1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung des Hauptzollamtes Hamburg-2 vom 12.06.2001 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung des Hauptzollamtes Hamburg-2 vom 12.06.2001, worauf Bezug genommen wird.

Die Sachakten des Beklagten haben vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat zu Recht Eingangsabgaben in Höhe von insgesamt 11.813.552,19 DM nacherhoben.

1. Rechtsgrundlage für die Abgabennacherhebung ist Art. 220 Abs. 1 ZK i.V.m. Art. 18 Abs. 2 Verordnung (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13.02.1993 - Amtsblatt EG-Nr. 147/1 vom 25.2.1993 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3290/94 - Amtsblatt EG-Nr. 1349/105 vom 31.12.1994, wonach auf außerhalb eines Zollkontingents eingeführte Drittlandsbananen der Regelzollsatz von 850 ECU/to bzw. ab 01.07.1995 von 822 ECU/to anzuwenden ist und bei Nichterfassung des entsprechenden Abgabenbetrages dieser nachzuerheben ist.

Nach Art. 17 VO (EWG) Nr. 404/93 bedürfen alle Einfuhren von Bananen in die Gemeinschaft der Vorlage einer Einfuhrbescheinigung (= Einfuhrlizenz). Das Zollkontingent für Bananen (Art. 2 VO (EWG) Nr. 404/93) ist begrenzt und wird durch Lizenzen überwacht. Bananensendungen aus Drittländern wie Ecuador, für die keine oder keine im Rahmen des Zollkontingents erteilte Einfuhrlizenz vorgelegt wird, können nicht in den Genuss des günstigen Kontingentzollsatzes kommen.

Auf außerhalb des Kontingents eingeführte Bananen ist nach Art. 18 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 404/93 der Drittlandszollsatz anzuwenden.

Da die Klägerin für die aus dem Drittland Ecuador eingeführten Bananen keine Lizenzen vorlegen konnte, ist nach den vorgenannten Vorschriften die Nacherhebung der Differenz zwischen dem Drittlandszollsatz und dem abgerechneten Kontingent-Zollsatz von 75 ECU/to zu Recht erfolgt. Der nachgeforderte Abgabenbetrag ist Teil der gesetzlich geschuldeten, bis dahin aber noch nicht buchmäßig erfassten Einfuhrabgaben.

2. Die von der Klägerin gegen die Abgabenerhebung vorgebrachten Einwendungen greifen nicht durch.

a) Keine verfristete Nacherhebung

Es ist keine Verfristung eingetreten. Die nach der Verordnung (EWG) 404/93 geschuldeten Drittlandszölle sind nicht verfristet nacherhoben worden. Die Fristenregelung der Art. 218 bis 220 ZK hat nur Bedeutung für die Abführung der Eigenmittel an die Kommission. Eine verspätete buchmäßige Erfassung hat auf deren Rechtmäßigkeit keinen Einfluss. Es handelt sich nicht um Vorschriften, die im Interesse des jeweiligen Zollschuldners erlassen wurden (Witte/Alexander, Zollkodex, Art. 218 Rz. 2, Art. 220 Rz. 2).

Die Zollschuld ist der Klägerin innerhalb der Festsetzungsfrist von 3 Jahren (Art. 221 Abs. 3 ZK), hier noch im Jahr der Entstehung der Zollschuld mitgeteilt worden.

b) Keine unzulässige Nacherhebung

Die Klägerin beruft sich zu Unrecht auf Art. 220 Abs. 2 lit. b ZK. Diese Vorschrift setzt voraus, dass sich die Zollstelle geirrt hat. Das trifft im Streitfall nicht zu. Das Hauptzollamt Hamburg-1 hat sich nicht geirrt, sondern war vielmehr aufgrund der einstweiligen Anordnungen des FG Hamburg daran gehindert, den Drittlandszoll gleich bei der Abrechnung der Einfuhren des betreffenden Einfuhrmonats zu erheben.

c) Keine endgültige Regelung durch die einstweiligen Anordnungen und kein Vertrauensschutz

Durch die einstweiligen Anordnungen des FG Hamburg sind auch keine endgültigen Regelungen der Einfuhrbedingungen für die Klägerin getroffen worden. Die einstweiligen Anordnungen gewähren nur vorläufigen Rechtsschutz. Im Übrigen sind die einstweiligen Anordnungen des FG Hamburg durch Beschluss des BFH vom 22.08.1995 wieder aufgehoben worden, so dass die Klägerin aus den einstweiligen Anordnungen keine Rechte für sich herleiten kann. Der BFH hat in seinem Beschluss vom 22.08.1995 in den Gründen, Seite 13, zutreffend festgestellt, dass das Risiko, im Falle endgültigen Unterliegens in dem Hauptverfahren die Abgabenlast zu tragen, der Antragstellerin nicht abgenommen werden kann.

Die einstweiligen Anordnungen des FG Hamburg ersetzen deshalb nicht die fehlenden Einfuhrlizenzen und die Klägerin kann nicht so gestellt werden, als hätte sie die Bananen innerhalb des bestehenden Kontingents eingeführt.

Da die einstweiligen Anordnungen nur vorläufigen Rechtsschutz gewähren, können sie keinen Vertrauensschutz zugunsten der Klägerin begründen.

d) Gültigkeit von Art. 18 VO (EWG) Nr. 404/93

Trotz der Gattwidrigkeit der VO (EWG) Nr. 404/93 ist deren Art. 18, da das GATT nicht unmittelbar anwendbar ist, gemeinschaftsrechtlich gültig, wie der EuGH in seinem Urteil vom 05.10.1994, Rechtssache C 280/93 (EuZW 1994, 688) festgestellt hat.

e) Kein Anwendungsvorrang des GATT

Aus Art. 234 EGV a.F. (jetzt Art. 307 EGV in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02.10.1997, in Kraft seit dem 01.05.1999, Amtsblatt EG-Nr. C340/1; 1999 Nr. 1114/56) ergibt sich kein Anwendungsvorrang des GATT gegenüber (u.a.) Art. 18 Verordnung (EWG) Nr. 404/93, wie der EuGH in seinem Urteil vom 10.03.1998, verbundene Rechtssachen C364/95 und C 265/95 (EuZW 1998, Seite 247, 250, Tz. 58 ff. der Entscheidungsgründe) entschieden hat.

Auch nach Aufhebung der Bananenmarktordnung ist nach Ansicht des Senats davon auszugehen, dass der EuGH an seiner früheren Rechtsprechung festhält.

Der Senat hält es deshalb nicht für erforderlich, die Frage der Gültigkeit des Art. 18 VO (EWG) Nr. 4040/93 bzw. der unmittelbaren Wirkung des Gatt oder der DSB-Entscheidungen dem EuGH erneut zur Vorabentscheidung vorzulegen.

f) Kein ausbrechender Rechtsakt

Nach Auffassung des Senates stehen auch verfassungsrechtliche Gründe der Anwendung des Art. 18 Verordnung (EWG) Nr. 404/93 in der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 07.06.2000 - 2 BVL 1/97 (EuZW 2000, 702) klargestellt, dass die Bananen-Marktordnung in Deutschland nicht deshalb unanwendbar ist, weil sie angeblich Grundrechte deutscher Importeure verletze. Der Senat geht davon aus, dass der GATT-widrige Regelzollsatz nach Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EWG) 404/93 nicht als ein ausbrechender Rechtsakt und damit als eine Kompetenzüberschreitung der Gemeinschaft zu beurteilen ist. Die Kategorie "ausbrechender Rechtsakt" ist nach Auffassung des Senats begrenzt auf die - hier nicht vorliegenden - Überschreitung der sachlichen Kompetenz; sie begründet keinen allgemeinen Prüfungsvorbehalt des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich der allgemeinen Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsrecht.

Der Senat legt deshalb die Frage einer möglichen gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzüberschreitung (ausbrechender Rechtsakt) nicht dem Bundesverfassungsgericht in entsprechender Anwendung von Art. 100 Grundgesetz zur verfassungsrechtlichen Prüfung vor. Denn der Senat ist nicht, wie eine solche Vorlage voraussetzt, von der Verfassungswidrigkeit des Gemeinschaftsrechtes bzw. der Kompetenzüberschreitung der Gemeinschaft in Form eines ausbrechenden Rechtsaktes überzeugt, auch wenn insoweit Zweifel verbleiben, wie diese auch im Beschluss des BFH vom 09.01.1996, Az. VII B 225/95 bestätigt worden sind.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Problematik (ausbrechender Rechtsakt) zugelasen, § 115 Abs. 2 FGO.



Ende der Entscheidung

Zurück