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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 14.01.2009
Aktenzeichen: 4 V 250/08
Rechtsgebiete: FGO, StromStG, AO


Vorschriften:

FGO § 69
StromStG § 2
StromStG § 9 Abs. 3
StromStG § 10
AO § 164 Abs. 2
AO § 172 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Bescheides, mit dem sie zur Entrichtung von Stromsteuer herangezogen wird.

Die Antragstellerin ist ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes im Sinne des § 2 Nr. 3 des Stromsteuergesetzes vom 24.03.1999 (BGBl. I S. 378, geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 18.12.2006, BGBl. I S. 3180) und aufgrund der Erlaubnis des Antragsgegners vom 17.08.1999 gemäß § 9 Abs. 3 StromStG zur Entnahme von steuerbegünstigtem Strom berechtigt.

Im Rahmen einer im Jahre 2007 durchgeführten Außenprüfung gelangte der Antragsgegner zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin für das Kalenderjahr 2006 für Strommengen eine Vergütung nach § 10 StromStG erhalten hatte, die sie nicht selbst zu betrieblichen Zwecken verbraucht, sondern an Dritte geleistet hatte, die nicht im Besitz einer Erlaubnis nach § 9 Abs. 3 StromStG waren. Nachdem der Antragsgegner zunächst mit Bescheid vom 14.08.2008 den bezüglich der Stromsteuervergütung 2006 ausgesprochenen Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben hatte, setzte er gegenüber der Antragstellerin mit Steuerbescheid vom 26.08.2008 die Stromsteuer für das Kalenderjahr 2006 auf EUR 132.770,81 fest.

Die Antragstellerin erhob gegen den Steuerbescheid vom 26.08.2008 Einspruch und beantragte zugleich, die Vollziehung des Bescheides auszusetzen, was der Antragsgegner mit Bescheid vom 13.10.2008 ablehnte.

Am 27.10.2008 hat die Antragstellerin um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Sie habe zwar im Kalenderjahr 2006 ihre Vertragspartner mit der Elterntierhaltung, der Aufzucht und der Mast betraut, die die Aufgabe gehabt hätten, für die Versorgung, Pflege und Überwachung der Tiere, das Auslesen der Bruteier und die Bereitstellung schlachtreifer Tiere zu sorgen. Die Übertragung dieser Aufgaben auf ihre Vertragspartner führe indes noch nicht zu der Annahme, dass eine Stromleistung an ihre Vertragspartner und damit an Dritte gegeben sei. Denn der Betrieb der technischen Anlagen, in die der von ihr - der Antragstellerin - aus dem Netz entnommene Strom unmittelbar gelangt sei, sei nicht auf die Vertragspartner übergegangen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung des Steuerbescheides vom 26.08.2008 auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er meint, dass die Vertragspartner der Antragstellerin den Strom zu eigenen betrieblichen Zwecken nutzten; ein betrieblicher Verbrauch der Antragstellerin sei angesichts der konkreten Vertragsausgestaltungen nicht gegeben.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakten des Antragsgegners verwiesen.

II. Der nach § 69 Abs. 3 FGO zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung führt in dem im Tenor ersichtlichen Umfang zum Erfolg.

1. Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Danach soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Bescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, vgl. nur Beschluss vom 26.08.2004 - V 243/03 -, [...]; Beschluss vom 23.08.2004 - IV S 7/04 -, [...]). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH, Beschluss vom 26.04.2004 - VI B 43/03 -, [...]; Beschluss vom 20.05.1997 - VIII B 108/96 -, [...]). Sie kann vielmehr sogar dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (vgl. BFH, Beschluss vom 23.08.2004 - IV S 7/04 -, [...]). Gemäß § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Steuer- bzw. Abgabenpflichtige glaubhaft zu machen (vgl. BFH, Beschluss vom 23.08.2000 - VII B 145/00 -, [...]).

Vorliegend bestehen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des von der Antragstellerin angefochtenen Steuerbescheides. Insoweit merkt der beschließende Senat im Einzelnen Folgendes an:

Der in Rede stehende Steuerbescheid vom 26.08.2008 dürfte im Zeitpunkt des Ergehens dieser gerichtlichen Entscheidung weder in der Vorschrift des § 164 Abs. 2 AO noch in der Bestimmung des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO eine Rechtsgrundlage finden. Nach § 164 Abs. 2 AO kann zwar eine Steuerfestsetzung, solange der Vorbehalt der Nachprüfung wirksam ist, (jederzeit) aufgehoben oder geändert werden. Die Wirksamkeit eines Vorbehalts mit der Folge, dass der gesamte Steuerfall offen bleibt, besteht indes nur solange, wie der Vorbehalt der Nachprüfung wirkt. Wird der Vorbehalt der Nachprüfung durch die Behörde aufgehoben (§ 164 Abs. 3 AO), kann die Steuerfestsetzung nicht mehr nach § 164 Abs. 2 AO, sondern nur noch nach Maßgabe der §§ 172 ff. AO aufgehoben oder geändert werden. So liegt der Fall nach dem Prüfungsmaßstab dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auch hier: Der Antragsgegner dürfte mit Bescheid vom 14.08.2008 den Vorbehalt der Nachprüfung bezüglich der Stromsteuervergütung 2006 gemäß § 164 Abs. 3 AO aufgehoben haben. In dem Bescheid vom 14.08.2008 heißt es insoweit: " Die Prüfung hat ansonsten nicht zu Änderungen von Besteuerungsgrundlagen geführt. Ich hebe den Vorbehalt der Nachprüfung der Steueranmeldungen für den geprüften Zeitraum gemäß § 164 Abs. 3 Abgabenordnung auf. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich."

Der beschließende Senat hat bedacht, dass der Antragsgegner eventuell eine Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nur insoweit anordnen wollte, als sich aufgrund der Außenprüfung keine Anhaltspunkte für eine Änderung der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung ergeben haben. Abgesehen davon, dass ein solcher Wille der Behörde im Bescheid vom 14.08.2008 keinen Anhalt findet, ist eine Teilaufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung, erfasst dieser doch regelmäßig den ganzen Bescheid, nicht zulässig (ebenso Tipke, in: Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 164 AO, Rz. 46).

Nach dem Prüfungsmaßstab dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens kommt auch die Vorschrift des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO als Rechtsgrundlage für den Steuerbescheid vom 26.08.2008 - jedenfalls derzeit - nicht in Betracht. Nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO dürfen zwar Steuerbescheide über Verbrauchsteuern innerhalb der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO ohne Vorliegen weiterer Voraussetzungen als der Fehlerhaftigkeit des Bescheides sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert werden. Auch ist im Streitfall davon auszugehen, dass die Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO, deren Lauf durch die im November 2007 begonnene Außenprüfung gemäß § 171 Abs. 4 AO gehemmt wurde, bezüglich der Stromsteuer 2006 bei Erlass des Bescheides vom 26.08.2008 noch nicht abgelaufen war. Allerdings liegt die Korrektur eines Steuerbescheides nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO im (pflichtgemäßen) Ermessen der Behörde (allgemeine Ansicht, vgl. nur BFH, Urteil vom 30.8.1988, VII R 159/85, BFH/NV 1989, 335; Loose, in: Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 172 AO, Rz. 13; von Wedelstädt, in: Beermann/Gosch, Kommentar zur AO und FGO, § 172 AO, Rz. 52) mit der Folge, dass diese bei der Ausübung ihrer Korrekturbefugnis nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht nur erkennen muss, dass ihr Ermessen eingeräumt ist, sondern ihre Ermessensentscheidung auch am Zweck der Ermächtigung auszurichten hat. Zweck des § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO ist es, im Interesse der Rechtsrichtigkeit die Überprüfung und Korrektur solcher Bescheide zu ermöglichen, die wegen der nur summarischen Prüfung unter Zeitdruck rechtswidrig (fehlerhaft) erlassen worden sind (vgl. BFH, Urteil vom 12.05.1987, VII R 115/84, BFH/NV 1988, 84; Loose, in: Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 172 AO, Rz. 13). Diesen Anforderungen wird der angefochtene Steuerbescheid vom 26.8.2008 jedenfalls im Zeitpunkt des Ergehens dieser gerichtlichen Entscheidung nicht gerecht, wobei der beschließende Senat ausdrücklich ungeprüft lässt, ob eine Fehlerhaftigkeit der Stromsteuervergütung 2006 gegeben ist.

Der streitgegenständliche Steuerbescheid beschränkt sich hinsichtlich seiner Begründung auf die Feststellung, laut Prüfungsbericht habe die Antragstellerin für das Kalenderjahr 2006 auch für Strommengen die Vergütung nach § 10 StromStG beantragt und erhalten, die sie nicht selbst zu betrieblichen Zwecken verbraucht habe. Diese Ausführungen des Antragsgegners, die eine Ermessensauübung nicht ansatzweise erkennen lassen, zeigen deutlich, dass dieser sich bei Erlass des Bescheides vom 26.08.2008 gebunden fühlte, was freilich vor dem Hintergrund erklärlich ist, dass der Antragsgegner (rechtsirrig) davon ausgegangen ist, in der Vorschrift des § 164 Abs. 2 AO eine Rechtsgrundlage für eine Korrektur der Stromsteuervergütung zu finden. Dieser Ermessensausfall lässt den Steuerbescheid vom 26.08.2008 a limine als rechtswidrig erscheinen.

Der beschließende Senat ist sich bewusst, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. etwa Urteil vom 26.09.1989, VII R 10/87, BFHE 158, 200; Urteil vom 30.08.1988, VII R 159/85, BFH/NV 1989, 335) ein nach § 102 FGO gerichtlich nachprüfbarer Ermessensfehler grundsätzlich nicht vorliegt, wenn sich aus der Begründung des angefochtenen Änderungsbescheides ergibt, dass die nachgeforderten Abgaben bzw. Steuern geschuldet werden und dass keine besonderen Gründe - scil. insbesondere Treu und Glauben - gegeben sind, die der Korrektur und Nachforderung entgegenstehen. Abgesehen davon, dass diese Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht frei von Bedenken ist (vgl. hierzu insbesondere Loose, in: Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 172 AO, Rz. 14), ist sie im Streitfall dem Antragsgegner schon deshalb nicht behilflich, weil sich dem Bescheid vom 26.08.2008 nicht entnehmen lässt, ob in concreto besondere Gründe eine Korrektur hindern.

2. Eine Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides kommt im Streitfall aber lediglich bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung in Betracht. Zwar kann das Gericht, wird der gerichtliche Aussetzungsantrag - wie hier - im Zeitpunkt zwischen Erlass des Bescheides und Einspruchsentscheidung gestellt, eine Aussetzung auch bis zum Abschluss eines eventuellen erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens anordnen. Die Ermessensentscheidung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO darüber, ob eine Aussetzung der Vollziehung nur bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung oder auch darüber hinaus wirken soll, hängt indes maßgeblich davon ab, ob sich die ernstlichen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes voraussichtlich im Einspruchsverfahren beheben lassen. Da vorliegend der Antragsgegner die unterlassene Ermessensausübung im Einspruchsverfahrens nachholen kann, erachtet der beschließende Senat eine Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides lediglich bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung für ermessensgerecht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Da die Antragstellerin ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 26.08.2008 in zeitlicher Hinsicht nicht beschränkt hat, stellt die vom Senat ausgesprochene zeitliche Begrenzung der Aussetzung der Vollziehung bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ein teilweises Unterliegen im Sinne des § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO dar. Im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner die unterbliebene Ermessensausübung aller Voraussicht nach im Einspruchsverfahren nachholen wird, ist es sachgerecht, dass die Beteiligten die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte tragen.

Gründe, die Beschwerde zuzulassen (§ 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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