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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Gerichtsbescheid verkündet am 27.04.2006
Aktenzeichen: 6 K 120/02
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 15
EStG § 18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Es ist streitig, ob der Kläger im Sinne von § 18 EStG selbständig tätig ist oder ob er einen Gewerbebetrieb unterhält.

Der Kläger ist seit 1998 selbständiger EDV-Berater.

Nach der Mittleren Reife in 1967 und dem anschließenden Besuch einer kaufmännischen Privatschule bildete sich der Kläger seit 1972 kontinuierlich auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung fort. Die Kenntnisse für seine verschiedenen Positionen im EDV-Bereich bis hin zu den Tätigkeitsschwerpunkten im Bereich Datenbankadministration, Datenbankdesign, Systemprogrammierung, Projektleitung, Rechenzentrum-Untersuchung, Anwendungsdesign und Anwendungsentwicklung erwarb sich der Kläger neben dem Selbststudium durch die Teilnahme an diversen Seminaren der Firmen A, B und C GmbH.

Nach Beendigung der nichtselbständigen Tätigkeit in 1997 war der Kläger in den Streitjahren 1998 und 1999 im Auftrag der D GmbH und der A Hamburg/E GmbH mit der Planung, Konstruktion und Überwachung von IT-Projekten bei Banken, Versicherungen, Handelsbetrieben und der Öffentlichen Verwaltung befasst. Diese Tätigkeiten umfassten die Installation verschiedenartiger SAP-Systeme, die Korrekturen von SAP-Systemen, die Einweisung und Beratung von Systemprogrammierern/Systemtechnikmitarbeitern in die DB2-Datenbankadministration, die Einrichtung und Verwaltung von allgemeinen DB2-Systemen, den Releasewechsel/Upgrade von DB2-Systemen, die Performance-Analyse und das Tuning von DB2-Systemen, die Unterstützung der Anwendungsentwicklung bei der Durchführung von Optimierungsmaßnahmen, die Erstellung standardisierter Sicherungs- und Wiederherstellungsverfahren und die Anpassung von DB2-Systemparametern/DB2-Systemdateien an die aktuellen Erfordernisse.

Der Beklagte erließ gegen den Kläger unter dem 11.11.1999 und 30.01.2001 für die Streitjahre Gewerbesteuermessbetragsbescheide. Auf die hiergegen erhobenen Einsprüche vom 07.12.1999 und 31.01.2001, mit denen der Kläger geltend machte, eine ingenieurähnliche und also freiberufliche Tätigkeit auszuüben, entschied der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 02.05.2002. Die Tätigkeit des Klägers sei nicht mit der eines Ingenieurs bzw. Diplom-Informatikers vergleichbar. Der Kläger habe weder nachgewiesen, über Kenntnisse in der Breite und Tiefe eines Diplom-Informatikers zu verfügen, noch dass er ausschließlich im Bereich der Entwicklung von Systemsoftware tätig gewesen sei.

Hiergegen richtet sich die am 30.05.2002 erhobene Klage. Er, der Kläger, sei nicht gewerbesteuerpflichtig, weil seine Qualifikation und seine Tätigkeit als selbständiger Systemberater der eines Ingenieurs bzw. Informatikers i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG entsprächen. Als Autodidakt arbeite er seit 1972 im EDV-Bereich und zähle - vergleichbar dem Urteilsfall des FG Niedersachsen vom 14.05.2003 (EFG 2004, 1059) und ausweislich der erstellten Ausbildungsdokumentation - zu den Pionieren der EDV-Entwicklung. Des Weiteren verlange der BFH, dass der freiberufliche EDV-Berater auf dem Gebiet der Entwicklung komplexer Anwendersoftware bzw. der Systemsoftware tätig sein müsse, wobei hierzu das Betriebssystem selbst, Hilfs- und Dienstprogramme, Compiler, Übersetzer, Datenbanksysteme und als weitere Teilgebiete die Datenfernübertragungssoftware, Programmiersprachen, Hardwarekonfiguration und Datenübertragungsnetze gehörten (vgl. BFH-Urteile vom 07.12.1989,BStBl II 1990, 338; vom 07.11.1991, BStBl II 1993, 324; vom 04.05.2004, BStBl II 2004, 989). In diesen Bereichen sei er, der Kläger, ganz überwiegend tätig, was die Projekt- und Tätigkeitsbeschreibungen belegen würden.

Der Kläger beantragt, die Einspruchsentscheidung vom 02.05.2002 und die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 1998 und 1999 vom 11.11.1999 und 30.01.2001 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist im Wesentlichen auf die Gründe der Einspruchsentscheidung.

Das Gericht hat über die Art der vom Kläger in den Streitjahren ausgeübten Tätigkeit Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens zu folgendem Beweisthema: "Ob die berufliche Tätigkeit des Klägers in den Streitjahren als selbständiger EDV-Berater im Gesamtbild (oder in einem abgrenzbaren Tätigkeitsbereich) derjenigen eines an einer Fachhochschule oder wissenschaftlichen Hochschule ausgebildeten Diplom-Informatikers entsprach und somit als freiberufliche Tätigkeit zu qualifizieren ist."

In seinem Gutachten führt der Sachverständige u. a. aus: "Zwar ist ein Vergleich mit den gesamten Kenntnissen eines Dipl. Inform. (FH) wegen des Fehlens insbesondere der mathematischen und hardwaretechnischen Komponenten nicht möglich. Jedoch ist mit guter Gewissheit davon auszugehen, dass die methodischen und praktischen Kenntnisse des Autors der analysierten Software und Unterlagen in dem abgegrenzten Fachgebiet "Systemsoftware-Technologie" mindestens dem Stand eines Absolventen eines Studienganges Diplom-Informatik (FH) entsprechen. Zusammenfassung: nach Sachstand besitzt der Autor gute Kenntnisse auf dem Stand der Kenntnisse eines Dipl.-Inform. (FH) in dem Fachgebiet "Technologie von Systemsoftware".

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Sachverständigen-Gutachten verwiesen.

Dem Gericht lagen 5 Bände Steuerakten vor:

- 1 Bd. Gewerbesteuerakten

- 1 Bd. Rechtsbehelfsakten

- 1 Bd. Bilanz- und Bilanzberichtsakten

- 1 Bd. Umsatzsteuerakten

- 1 Bd. Einkommensteuerakten.

Gründe

Das Gericht entscheidet durch Gerichtsbescheid, § 90a FGO.

Die Klage ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Kläger übt eine dem Ingenieurberuf ähnliche Tätigkeit im Sinne des § 18 EStG aus und unterhält keinen Gewerbebetrieb. Die angefochtenen Bescheide waren daher aufzuheben.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG i.V.m. § 15 Abs. 2 EStG unterhält einen Gewerbebetrieb, wer eine selbständige nachhaltige Betätigung ausübt, die mit der Absicht unternommen wird, Gewinn zu erzielen und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufes noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist.

Neben den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ausdrücklich genannten sog. Katalogberufen gehören zu der freiberuflichen Tätigkeit auch die den Katalogberufen ähnlichen Berufe. Ein Beruf ist einem Katalogberuf ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit diesem verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit der Ausbildung und die Vergleichbarkeit der beruflichen Tätigkeit. Das gilt auch für einen dem Katalogberuf des Ingenieurs ähnlichen Beruf (vgl. BFH-Urteile vom 05. Oktober 1989, IV R 154/86, BFHE 158/409, BStBl II 1990, 73; vom 04. Mai 2004, XI R 9/03, BStBl II 2004, 989).

Der BFH hat entschieden, dass ein selbständiger Diplom-Informatiker eine dem Ingenieurberuf ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausüben kann (vgl. z.B. Urteile vom 04. August 1983, IV R 6/80, BFHE 139, 84 , BStBl II 1983, 677; vom 07. Dezember 1989, IV R 115/87, BStBl II 1990, 337; vom 07. November 1991, IV R 17/90, BStBl II 1993, 324; vom 04. Mai 2004, XI R 9/03, BStBl II 2004, 989). Voraussetzung ist, dass der Informatiker im Bereich der Systemtechnik bzw. der Entwicklung von (komplexer) Anwendersoftware tätig wird und dass die derart qualifizierten Arbeiten den Schwerpunkt der Tätigkeit des Steuerpflichtigen bilden (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteile vom 25. April 2002, IV R 4/01, BFHE 199, 176, BStBl II 2002, 475; vom 04. Mai 2004, XI R 9/03, BStBl II 2004, 989). Der Begriff der Systemtechnik umfasst insofern die Bereiche der Betriebssysteme, Datenbanksoftware, Datenfernverarbeitungssoftware, Programmiersprachen, Hardware-Konfigurationen, Datenübertragungsnetze, wobei dem Steuerpflichtigen auf mindestens einem Teilgebiet der Entwurf, die Auswahl, Bereitstellung, Implementierung, Überwachung (Fehleranalyse und -beseitigung), Optimierung oder Fortentwicklung der einzusetzenden bzw. eingesetzten Hardware- oder Software-Komponenten sowie die Beratung und Unterstützung obliegen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 07. November 1991, IV R 17/90, BFHE 166, 443, BStBl II 1993, 324).

Ebenso wie der EDV-Berater mit Hochschulabschluss kann aber auch der Autodidakt einen ingenieurähnlichen Beruf ausüben. Der Autodidakt ist somit im Bereich der EDV ebenso zu behandeln wie im Bereich anderer technischer Berufe (vgl. BFH-Urteile vom 5.Oktober 1989, IV R 154/86, BFHE 158, 409 , BStBl II 1990, 73; vom 12.Oktober 1989, IV R 118-119/87, BFHE 158, 413, BStBl II 1990, 64; vom 07. November 1991, IV R 17/90, BFHE 166, 443, BStBl II 1993, 324). Es müssen jedoch theoretische Kenntnisse vorhanden sein, die in ihrer Breite und Tiefe denen an einer Fachhochschule oder Hochschule Ausgebildeten entsprechen (BFH-Beschluss vom 14. November 2000, IV B 156/99, BFH/NV 2001, 593). Den Nachweis der erforderlichen theoretischen Kenntnisse kann der Autodidakt insbesondere anhand eigener praktischer Arbeiten erbringen. Diese Arbeiten müssen den Schluss auf das Wissensspektrum eines an einer Fachhochschule oder wissenschaftlichen Hochschule ausgebildeten Diplom-Informatikers rechtfertigen (vgl. BFH-Urteil vom 07. November 1991, IV R 17/90, BFHE 166, 443, BStBl II 1993, 324).

Diese Voraussetzungen für eine freiberufliche Tätigkeit sind im Streitfall erfüllt. Der Kläger ist nicht Ingenieur im Sinne von § 18 EStG; er übt jedoch eine ingenieurähnliche Tätigkeit aus. Denn seine Gesamttätigkeit ist mit der eines Diplom-Informatikers im Bereich der Entwicklung und Handhabung von Systemsoftware und komplexer Anwendersoftware vergleichbar.

Dies hat der Sachverständige zur Überzeugung des Gerichts in seinem Gutachten bestätigt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die analysierten Arbeitsproben des Klägers den Schluss zulassen, dass dessen Kenntnisse in dem Fachgebiet "Technologie von Systemsoftware" mindestens dem Stand eines Diplom-Informatikers (FH) entsprechen. Diesem vom Sachverständigen überzeugend und in sich schlüssig begründeten Ergebnis schließt sich das Gericht an. Aus der Schlussfolgerung des Sachverständigen - wie auch aus den sonstigen Feststellungen des Gutachtens - folgt weiter, dass die analysierte Software dem Bereich der Systemtechnik (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 07. November 1991, IV R 17/90, BFHE 166, 443, BStBl II 1993, 324) zuzuordnen ist. Diese Feststellung wird im Übrigen durch die Tätigkeitsbeschreibungen des Klägers bestätigt. Die Arbeitsproben stammen darüber hinaus - was inzwischen unstreitig ist - aus den Streitjahren und bilden den Tätigkeitsschwerpunkt des Klägers in diesem Zeitraum ab. Der Kläger hat damit insgesamt die Voraussetzungen erfüllt, die von der Rechtsprechung des BFH an die ingenieurähnliche Tätigkeit eines Diplom-Informatikers gestellt werden.

Soweit der Sachverständige dagegen einen Vergleich der klägerischen Kenntnisse mit den gesamten Kenntnissen eines Diplom-Informatikers wegen des Fehlens insbesondere der mathematischen und hardwaretechnischen Komponenten ausschließt, spielen diese Wissens-Defizite nach Überzeugung des Gerichts für die freiberufliche Qualifikation des Klägers keine Rolle.

Voraussetzung für die Anerkennung eines Diplom-Informatikers als eines ingenieurähnlich tätigen Freiberuflers ist, dass er im Bereich der Systemtechnik und der Entwicklung komplexer Anwendersoftware tätig ist (zu den Rechtsprechungsnachweisen vgl. oben). Die Betätigung in diesem Bereich erlaubt den Schluss auf eine ingenieurähnliche, wissenschaftliche Arbeitsweise. Gelingt dieser Tätigkeitsnachweis nicht, so kommt es nicht mehr darauf an, ob der Diplom-Informatiker im Übrigen über die mit einem Ingenieurberuf vergleichbaren Kenntnisse verfügt. Das im Studium der Informatik erworbene Grundlagenwissen ist mit anderen Worten für die steuerrechtliche Qualifikation des EDV-Beraters mit Hochschulabschluss nicht ausschlaggebend. Die gleichen Grundsätze gelten nach Auffassung des Gerichts auch für den Autodidakten. Auch für diesen muss aus einem gelungenen Tätigkeitsnachweis der Schluss auf eine insgesamt ingenieurähnliche Berufsausübung zulässig sein. Das Gericht verzichtet deshalb bei der Prüfung der ingenieurähnlichen Tätigkeit eines EDV-Beraters ohne Hochschulabschluss auf das Erfordernis des ingenieurähnlichen Grundlagenwissens (ähnlich FG Niedersachsen, Urteil vom 13. Dezember 2005, 1 K 407/02, StE 2006, 166, zur ingenieurähnlichen Tätigkeit eines Technikers).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 155, § 151 Abs. 3 FGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Wegen der Rechtsauffassung des Gerichts über die Bedeutung des Grundlagenwissens eines Autodidakten bei den Anforderungen an eine ingenieurähnliche Tätigkeit war die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.

Anmerkung

Revision eingelegt (BFH XI R 29/06)

Ende der Entscheidung

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