Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 24.02.2009
Aktenzeichen: 6 K 122/07
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die von den Klägerinnen erbrachten Leistungen gem. § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) von der Umsatzsteuer befreit sind.

Die Klägerinnen sind approbierte Psychotherapeutinnen i. S. d § 1 Abs. 1 Satz 1 Psychotherapeutengesetz (PsychThG). Sie verfügen über einen Heilkunde-Nachweis i.S.d. § 1 Heilpraktikergesetzes sowie über eine Kassenzulassung; sie sind zudem ins Arztregister eingetragen (s. Nachweise Bl. 19 ff. der Betriebsprüfungsakte). Die Klägerinnen arbeiten ausschließlich mit Erwachsenen.

Neben ihrer jeweiligen Einzelpraxis unterhalten sie unter der Bezeichnung "... Verkehrstherapie" eine gemeinsame psychotherapeutische Praxis in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, mit der sie die hier streitigen Umsätze erwirtschaftet haben. In die gemeinsame Praxis kommen Menschen, denen aufgrund ihres Verhaltens im Straßenverkehr der Führerschein entzogen wurde und die ihren Führerschein zurückerlangen wollen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Menschen mit Suchtproblemen (vor allem Alkoholkranke), aber auch um solche mit posttraumatischen Störungen oder Anpassungsstörungen. Allen gemein ist, dass ihnen ärztlicherseits entweder die Nichteignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs attestiert worden ist oder aber eine solche Attestierung ansteht (sog. Medizinisch Psychologische Untersuchung).

In den Streitjahren boten die Klägerinnen im Rahmen der "... Verkehrstherapie" neben einem individuellen Beratungsgespräch einen zweistündigen "Check-up" vor einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung und eine Verkehrstherapie in zwei Teilen an. In den Vertragsunterlagen, die die Klägerinnen benutzten, wurde die zu erbringende Leistung als "verkehrstherapeutische Maßnahme zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung" beschrieben (s. Anlagenband, Anlage K 5 Bl. 10). In einem Faltblatt, das die Klägerinnen erstellt hatten, und auf der Homepage der "... Verkehrstherapie" im Internet wurde der Gegenstand des einleitenden Beratungsgespräche wie folgt umschrieben (s. Ausdruck in der Betriebsprüfungsakte, Bl. 3 ff.): "Warum wurde gerade mir der Führerschein entzogen? Wie geht es jetzt weiter mit meinem Führerschein? Was erwartet die Verkehrsbehörde von mir? Was erwartet mich bei einer medizinisch-psychologischen Untersuchung? Warum hat mich der Gutachter negativ beurteilt? Wie komme ich zu einer positiven Beurteilung? Warum wurde mir eine Verkehrstherapie empfohlen?" In den Unterlagen, die den Interessierten im Anschluss an das Beratungsgespräch ausgehändigt wurden, heißt es zu dem "Check-up": "Ziel dieses Check-up ist es, Ihnen in einer simulierten Untersuchungssituation eine fachpsychologische Einschätzung Ihrer Ist-Situation zu geben, die als eine Entscheidungshilfe zur Teilnahme an einer sofortigen oder späteren MPU dienen kann. Der Check-up beinhaltet: Fragebogen zur Alkoholvorgeschichte; diagnostische Exploration; Auswertung der Ergebnisse und Beratung". Der erste Teil der Verkehrstherapie erfolgte entweder in einer Kleingruppe (2-6 Teilnehmer) zu fünf Doppelstunden oder als Einzeltherapie in fünf Einzelstunden. Der Inhalt wurde in den ausgehändigten Unterlagen wie folgt beschrieben: "Zielvereinbarungen; Delikt- und Alkoholanalyse; Wissensvermittlung; Rückmeldung und Selbsteinschätzung; Selbstbeobachtung; Erarbeitung eines Lebenspanoramas; Zwischen-Check up". Der zweite Teil der Verkehrstherapie umfasste entweder neun Doppelstunden in einer Kleingruppe oder zehn Einzelstunden. Er beinhaltete den Unterlagen zufolge: "Zielvereinbarungen; Erkennen der eigenen Fähigkeiten; Einsetzen der eigenen Fähigkeiten; Rückmeldung und Selbsteinschätzung; eine Analyse der Bedingungen, die zu Ihrer/n Verkehrsauffälligkeit/en geführt hat; bei Alkoholdelikten: Erarbeitung der Trinkanlässe und -motive; Ihre Zukunftsplanung; Abschluss-Check up". Den Teilnehmern wurde im Falle einer positiven Abschlussdiagnostik eine Bescheinigung erteilt, die neben einer Beschreibung der durchgeführten verkehrstherapeutischen Maßnahmen eine abschließende Beurteilung enthielt, ob aus verkehrstherapeutischer Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Teilnehmer künftig "ein angepasstes Verhalten im Straßenverkehr zeigen" könne. Ergänzend wurde ein gesondert berechnetes ausführliches Gutachten angeboten (s. Bl. 80 ff. der Gerichtsakte). Die Behandlungen erfolgten weder aufgrund von Verschreibungen durch einen Arzt noch unter ärztlicher Verantwortung. Ihre Leistungen rechneten die Klägerinnen nach der Gebührenordnung für Psychotherapeuten (GOP) ab.

Die Kosten wurden von den Teilnehmern selbst getragen; eine Übernahme durch die Krankenversicherungen erfolgte nicht.

Die Klägerinnen erzielten mit der "... Verkehrstherapie" Umsätze in Höhe von (letztlich unstreitig) 176.978,00 DM (2001), 111.419,00 DM (2002) und 120.372,00 DM (2003).

Diese erfassten sie getrennt nach Beratungsgesprächen, Einzelsitzungen, Gruppensitzungen, MPU-Check-up und "Punkteabbau" (s. EinnahmenÜberschussrechnungen, Bl. 10 ff. der Bilanz- und Bilanzberichtsakte). Die Klägerinnen behandelten diese Umsätze als umsatzsteuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 UStG.

Der Beklagte vertrat demgegenüber im Anschluss an eine für die Streitjahre durchgeführte Betriebsprüfung die Auffassung, dass die Umsätze in vollem Umfang umsatzsteuerpflichtig seien. Der Zweck der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG liege im Wesentlichen darin, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken bzw. eine Kostensenkung im Gesundheitswesen zu erreichen. Nicht befreit seien Leistungen, die sich nicht als unmittelbare heilberufliche Tätigkeiten qualifizieren ließen, auch wenn sie eine heilberufliche Ausbildung voraussetzten. Maßgebend sei das Ziel der Leistung, das auf die Aufrechterhaltung der Gesundheit gerichtet sein müsse. Die Klägerinnen erbrächten ihre Leistungen nicht an Menschen, die eine Krankheit im versicherungstechnischen Sinne hätten (vgl. Betriebsprüfungsbericht vom 25.04.2006, Bl. 35 ff. der Betriebsprüfungsakte).

Die Klägerinnen erwiderten, es handle sich bei der von ihnen durchgeführten Verkehrstherapie um eine rehabilitative Maßnahme, die sowohl von gutachterlichen als auch beratenden Tätigkeiten abzugrenzen sei wie etwa der sog. Verkehrspsychologischen Beratung nach § 4 StVG. Sie würden außerhalb der verkehrspsychologischen Beratung nach einem von ihnen erarbeiteten und mit Erfolg seit zehn Jahren durchgeführten Therapie-Konzept tätig. Bundesweit hätten Finanzämter, die verkehrspsychologische Praxen überprüft hätten, die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG anerkannt. Die Landes-Psychotherapeuten-Kammer Rheinland-Pfalz habe zudem ausdrücklich festgestellt, dass die Tätigkeit einer Verkehrspsychologin unter § 1 Abs. 3 des PsychThG falle (s. Bl. 15 ff. der Betriebsprüfungsakte, mit Anlagen).

Der Beklagte folgte dem Vorbringen der Klägerinnen nicht. Mit Bescheiden vom 08.06.2006 setzte er auf der Grundlage der unstreitigen Umsätze Umsatzsteuer in Höhe von 11.737,22 EUR (2001), von 16.417,26 EUR (2002) und von 16.289,27 EUR (2003) fest.

Die Klägerinnen erhoben dagegen am 04.07.2006 Einspruch, über den bis heute nicht entschieden wurde.

Am 03.08.2007 (Eingang bei Gericht) haben die Klägerinnen Klage erhoben. Sie tragen im Wesentlichen vor: Der Beklagte habe auch nach mehr als zwölf Monaten ohne Angabe von Gründen und ohne dass solche ersichtlich seien über den Einspruch nicht entschieden. Es sei daher eine Untätigkeitsklage geboten. Bei den im Rahmen der "... Verkehrstherapie" erbrachten Leistungen handele es sich um psychotherapeutische Leistungen, die unter die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG fielen. Die sog. Verkehrstherapie ergänze die herkömmliche Psychotherapie im Hinblick auf Besonderheiten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr; therapiert würden neurotische und andere psychologische Störungen.

Die Verkehrstherapie werde als klinisches Berufsfeld verstanden, in dem "methodisch durch eine allgemeine biopsychosoziale Sichtweise von Krankheiten die Störungen des Erlebens, des Verhaltens, der Einstellungen und der sozialen Beziehungen innerhalb und außerhalb des Straßenverkehrs evaluiert, diagnostiziert und therapiert" würden. Im Vordergrund der Verkehrstherapie stünden insbesondere Alkohol- und andere Suchtprobleme, des weiteren Aggressionsauffälligkeiten und Regelablehnungen. Solche Störungen äußerten sich speziell im Straßenverkehr durch zu schnelles und aggressives Fahren, Nötigungen, Rotlicht- und Vorfahrtsmissachtungen bis hin zu Unfallflucht und Fahren ohne Fahrerlaubnis. Dabei müsse man wie folgt unterscheiden: Sie, die Klägerinnen, therapierten keine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Sie erbrächten vielmehr Leistungen, die an die straßenverkehrsrechtliche Voraussetzung der "Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen" anknüpften. Diese Eignung sei bei ihren Klienten durch Vorfälle in der Vergangenheit in Frage gestellt worden, weshalb im Rahmen einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung eine Prognose erstellt werden müsse, ob die betreffende Person in Zukunft geeignet sein werde, ein Kraftfahrzeug zu führen. Wenn aber das bisherige Verhalten des Klienten eine solche Prognose ausschließe, müsse nach den Gründen geforscht werden, die für dieses Verhalten verantwortlich seien, und nach Wegen, sich mit diesen Gründen auseinanderzusetzen. Es treffe zwar zu, dass die Klienten nicht deshalb zu ihnen kämen, weil sie dächten, dass sie krank seien, sondern weil sie ihren Führerschein zurück haben wollten. Daher würden sie, die Klägerinnen, auch mit entsprechenden Leistungen werben und - jedenfalls zunächst - nicht die Therapie als den eigentlichen Gegenstand ihrer Arbeit in den Vordergrund stellen; denn das würde die (potentiellen) Klienten im Zweifel eher abschrecken. Gleichwohl erbrächten sie auf der Grundlage der zugegebenermaßen eher oberflächlichen Motivation der Klienten echte therapeutische Leistungen, die sich im Wesentlichen nicht von den Leistungen unterschieden, die sie im Rahmen ihrer - unstreitig dem Regelungsbereich des § 4 Nr. 14 UStG unterfallenden - Einzelpraxen erbrächten. Sie ließen ihre Klienten auch nicht im Unklaren darüber, was der eigentliche Gegenstand ihrer Arbeit sei. Entsprechende Hinweise fänden sich schon in dem ausgelegten Faltblatt bzw. auf ihrer Homepage. Im diagnostischen Vorgespräch würden zudem die Einzelheiten der Verkehrstherapie genau erläutert. Zusätzlich erhielten die Klienten eine Mappe mit weiteren, detaillierten Informationen, und es würden in der Regel drei probatorische Sitzungen durchgeführt. Auf dieser Grundlage müssten die Klienten dann entscheiden, ob sie die angebotenen psychotherapeutischen Leistungen in Anspruch nehmen wollten oder nicht. Etwa 65% der zunächst interessierten Klienten würden im Anschluss an das Vorgespräch bzw. an die probatorischen Sitzungen keine weiteren Leistungen in Anspruch nehmen, etwa die Hälfte aus eigenem Entschluss und die andere Hälfte aufgrund einer negativen Prognose ihrerseits. Vor diesem Hintergrund dürfe der "werbestrategischen" Entscheidung, die Wiedererlangung des Führerscheins in den Vordergrund zu stellen, keine überzogene Bedeutung beigemessen werden. Überhaupt habe der Beklagte den Internetauftritt und das Faltblatt, mit dem sie geworben hätten, zu stark gewichtet.

Tatsächlich komme der Kontakt mit den Klienten fast ausschließlich durch Empfehlungen der Verkehrsbehörden und der Gutachterstellen, von Rechtsanwälten und über "Mund-zu- Mund-Propaganda" zustande. Ohnehin sei nicht die Außendarstellung entscheidend, sondern die inhaltliche Arbeit, und diese müsse als psychotherapeutische Intervention dem § 4 Nr. 14 UStG zugeordnet werden. Sie unterscheide sich damit von ihrer sonstigen Arbeit in den Einzelpraxen im Grunde nur dadurch, dass eine therapeutische Behandlung im Rahmen der "... Verkehrstherapie" deutlich kürzer sei als etwa eine mittellange oder lange Behandlung im Rahmen der Einzelpraxen. Letztlich habe auch die Bundesanstalt für Straßenwesen in einem Bericht vom August 2008 festgestellt, dass sich die Verkehrstherapie zwischen den Polen "verkehrspädagogischer Beeinflussungsversuche" sowie standardisierter Gruppenmaßnahmen einerseits und einer klassischen Psychotherapie andererseits bewege (s. Bl. 74 ff. der Gerichtsakte). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Klägerinnen samt Anlagen Bezug genommen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Bescheide über Umsatzsteuer für 2001, 2002 und 2003 vom 08.06.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte macht geltend, dass die von den Klägerinnen erbrachten Leistungen keine Heilbehandlung zum Gegenstand hätten, und verweist wegen der Einzelheiten auf den Bericht der Betriebsprüfung vom 25.04.2006 (Bl. 35 ff. der Betriebsprüfungsakte).

Der Streitfall ist mit den Beteiligten am 04.11.2008 erörtert worden. Zudem haben die Klägerinnen anonymisierte Auszüge aus Patientenakten als Beispiele für die von ihnen erbrachten Leistungen vorgelegt. Auf die Niederschrift über den Erörterungstermin (s. Bl. 51 ff. der Gerichtsakte) sowie auf die vorgelegten Unterlagen (s. Anlagenband) wird Bezug genommen.

Dem Gericht haben neben der Gerichtsakte samt Anlagenband folgende Akten vorgelegen:

Band Umsatzsteuerakten, 1 Band Betriebsprüfungsakten, 1 Band Bilanz- und Bilanzberichtsakten, 1 Band Gewinnfeststellungsakten und Gewerbesteuerakten sowie 1 Band Rechtsbehelfsakten.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Klage ist gemäß § 46 Abs. 1 FGO ohne vorherigen Abschluss des Einspruchsverfahrens zulässig, weil der Beklagte über den rechtzeitig eingelegten Einspruch der Klägerinnen ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes auch nach Ablauf von mehr als zwölf Monaten nicht entschieden hat.

2. Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig; sie verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Zutreffend hat der Beklagte die von den Klägerinnen im Rahmen ihrer "Praxis für Verkehrstherapie" erzielten Umsätze der Umsatzsteuer unterworfen. Diese Umsätze sind nicht nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei.

a) Gemäß § 4 Nr. 14 UStG sind steuerfrei die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker. Dies entspricht der Regelung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG, die "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" begünstigt (jetzt: Art. 132 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem - Mehrwertsteuersystemrichtlinie-).

aa) Zweck der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG ist es, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken. Daher setzt die Vorschrift nach ständiger Rechtsprechung bei richtlinienkonformer Auslegung voraus, dass der betreffende Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und dass er dafür die erforderlichen Befähigungsnachweise besitzt (vgl. beispielsweise BFH-Urteil vom 07.07.2005 - V R 23/04, BStBl. II 2005, 904 mit weiteren Nachweisen).

Heilbehandlungen in diesem Sinne sind Tätigkeiten, die zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden. Demgegenüber fallen Tätigkeiten, die nicht Teil eines konkreten, individuellen, der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzeptes sind, nicht unter die Befreiung (BFH a.a.O.). Es muss also im Einzelfall festgestellt werden, ob die erbrachten Leistungen der medizinischen Behandlung einer Krankheit bzw. einer anderen Gesundheitsstörung dienen oder ob es sich um "nichtmedizinische" Hilfen im Bereich der allgemeinen Lebensführung handelt.

Ausgehend von diesen Grundsätzen werden beispielsweise Leistungen eines Heilpädagogen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und Kinderheilkunde als Heilbehandlungen im Sinne von § 4 Nr. 14 UStG anerkannt, wenn die Leistungen direkt an der Krankheit und deren Ursachen ansetzen und nicht nur darauf abzielen, die Auswirkungen der Erkrankung auf die Lebensgestaltung aufzufangen oder abzumildern (vgl. BFH-Urteil vom 01.02.2007 - V R 64/05, BFH/NV 2007, 1203). Heilbehandlung in diesem Sinne ist ferner eine von Physiotherapeuten (Krankengymnasten) mit entsprechender Zusatzausbildung auf ärztliche Verordnung durchgeführte Hippotherapie (BFH-Urteil vom 30.01.2008 - XI R 53/06, BStBl. II 08, 647). Des Weiteren sind Ernährungsberatungen, die ein Diplom-Oecotrophologe (Ernährungsberater) aufgrund ärztlicher Anordnung oder im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchführt, steuerbefreit, nicht hingegen Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe ohne unmittelbaren Krankheitsbezug, die lediglich den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern (BFH-Urteile vom 07.07.2005 - V R 23/04, BStBl. II 2005, 904; vom 10.03.2005 - V R 54/04, BStBl. II 2005, 669; BFH-Beschluss vom 06.06.2008 - XI B 11/08, BFH/NV 08, 1547). Nicht unter § 4 Nr. 14 UStG fallen schließlich Leistungen einer Krankenschwester, die (mit entsprechender Zusatzausbildung) im Auftrag des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung für Zwecke der Pflegeversicherung Gutachten zur Feststellung von Art und Umfang der Pflegebedürftigkeit der Versicherten erstellt (BFH-Urteil vom 08.10.2008 - V R 32/07, BFH/NV 09, 100).

Ob die Kosten der Behandlung durch die Sozialversicherungsträger erstattet werden, ist unerheblich (BFH-Urteil vom 30.01.2008 - XI R 53/06, BStBl. II 08, 647), ebenso, ob die Heilbehandlungsleistungen in der Rechtsform einer Personengesellschaft erbracht werden (BFH-Urteil vom 26.09.2007 - V R 54/05).

bb) Was Gegenstand einer bestimmten Leistung ist, muss im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung ermittelt werden. Entscheidend ist, welche Leistungselemente unter Berücksichtigung des Willens der Vertragsparteien den wirtschaftlichen Gehalt einer Leistung ausmachen. Werden mehrere Leistungen erbracht, gilt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung. Danach ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck hat, sondern lediglich das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. etwa Husmann in: Rau/Dürrwächter, UStG, § 1 Anm. 133 ff.).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen stellen die von den Klägerinnen erbrachten Leistungen keine ähnliche heilberufliche Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG dar.

Unstreitig handelt es sich nicht um Maßnahmen zur Therapie von Alkoholkranken oder sonstigen Drogenabhängigen. Ferner geht es unstreitig auch nicht um die Rehabilitation solcher Menschen.

Ungeachtet dessen ist den Klägerinnen zuzugeben, dass im Hinblick auf ihre Ausbildung und auf die jeweiligen Tätigkeiten in ihren Einzelpraxen, die (wohl unstreitig) der Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG unterfallen, der Schluss naheliegt, die Tätigkeit in der Gemeinschaftspraxis müsse, wenn sie grundsätzlich nach den gleichen Methoden und auf der Grundlage der nämlichen psychotherapeutischen Ausbildung erfolgt, umsatzsteuerlich ebenso behandelt werden. Ist die Behandlungsdauer im Rahmen der "... Verkehrstherapie" den Angaben der Klägerinnen im Erörterungstermin zufolge auch deutlich kürzer als eine allgemeine psychotherapeutische Behandlung in einer der Einzelpraxen, beträfe dies doch nur die Quantität, nicht aber die Qualität der erbrachten Leistungen.

Gleichwohl dient die Verkehrstherapie ihrem Hauptzweck nach nicht der Behandlung, Linderung oder Vorbeugung von Krankheiten, sondern der Wiedererlangung der "Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen". Dies ist nach Auffassung des erkennenden Senats nicht nur eine oberflächliche Ausgangsmotivation, die die Klienten der Klägerinnen dazu bewegt, sich an diese zu wenden und psychotherapeutische Leistungen in Anspruch zu nehmen, sondern der eigentliche Gegenstand der von den Klägerinnen erbrachten und von den Klienten entlohnten Leistungen. Das ergibt sich zunächst aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerinnen, wenn es dort etwa heißt, die Klienten suchten die Therapie auf, "um den Führerschein wieder zu erlangen" (Bl. 15 der Gerichtsakte); sie fragten in der Tat in erster Linie eine Dienstleistung nach, die ihnen "bei der Wiedererlangung des Führerscheins behilflich sein" könne (Bl. 26 der Gerichtsakte). Die Schilderungen der Klägerinnen im Erörterungstermin und in der mündlichen Verhandlung bestätigen dies, ebenso die von den Klägerinnen verwendeten Vertragsunterlagen mit der Beschreibung der zu erbringenden Leistung als "verkehrstherapeutische Maßnahmen zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung" sowie schließlich die den Klienten erteilten Abschlussbescheinigungen mit der Prognose eines künftigen "angepassten Verhaltens im Straßenverkehr". Welcher Stellenwert dabei dem Internet-Auftritt der Klägerinnen sowie dem von ihnen erstellten Faltblatt zukommt, kann vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben.

Der erkennende Senat will damit nicht in Abrede stellen, dass die Klägerinnen auch im Rahmen ihrer "... Verkehrstherapie" vollwertige psychotherapeutische Arbeit leisten. Doch kommt es hierauf nicht an. Den Klienten geht es vor allem darum, die Grundlage für eine positive Prognose hinsichtlich ihrer "Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen" zu schaffen, für diese Leistung zahlen sie das vereinbarte Entgelt, und eben diese Leistung wird von den Klägerinnen angeboten und erbracht. Der erkennende Senat wertet dies der wesentlichen Zielsetzung bzw. dem wirtschaftlichen Gehalt nach als eine - einheitliche - "nichtmedizinische" Hilfe im Bereich der allgemeinen Lebensführung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)

Ende der Entscheidung

Zurück