Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 19.11.2008
Aktenzeichen: 6 K 167/06
Rechtsgebiete: EStG, KStG, AO


Vorschriften:

EStG § 36 Abs. 2
KStG § 44
KStG § 45
KStG § 49 Abs. 1
AO § 130 Abs. 2
AO § 218 Abs. 2
Ist eine Anrechnungsverfügung durch unlautere Mittel eines Dritten erwirkt worden, so kann sie gegenüber dem Steuerpflichtigen nur dann gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO zurückgenommen werden, wenn sich der Steuerpflichtige das unlautere Verhalten des Dritten zurechnen lassen muss.
Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Geltendmachung von Steueranrechnungsbeträgen aus einem mutmaßlichen Dividendenbezug von der A AG.

Die Klägerin war im Streitjahr 1991 als Kreditinstitut tätig.

Ihrer Körperschaftsteuererklärung für 1991 legte die Klägerin zwei von ihr selbst erstellte Steuerbescheinigungen bei und beantragte die Anrechnung der darin ausgewiesenen Steueranrechnungsbeträge in Höhe von 4.754.750 DM aus Ausschüttungen der A AG. Der Beklagte veranlagte die Klägerin für das Jahr 1991 zunächst erklärungsgemäß mit Körperschaftsteuerbescheid vom 27.05.1992. Die festgesetzte Körperschaftsteuer und der festgesetzte Solidariätszuschlag betrugen 0 DM und die Steueranrechnungsguthaben insgesamt 14.170.410 DM. Das sich aus der Abrechnung ergebende Guthaben wurde an die Klägerin erstattet. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheids vom 27.05.1992 verwiesen.

Aufgrund von Feststellungen der Steuerfahndungsstelle B vertrat der Beklagte später die Auffassung, dass es sich bei den Ausschüttungen der A AG um sogenannte "Luftgeschäfte" gehandelt habe. Der der Klägerin gutgeschriebene Betrag in Höhe von 4.182.750 DM könne demgemäß nicht --wie erklärt-- als Dividende der A AG behandelt werden. Die in § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F. genannten Voraussetzungen der Steueranrechnung lägen deshalb nicht vor. Der Beklagte versagte der Klägerin mit nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO geänderter Anrechnungsverfügung zur Körperschaftsteuer 1991 vom 30.10.2001 die Anrechnung der aus dem Vorgang der A geltend gemachten Anrechnungsbeträge in Höhe von 4.754.750 DM und forderte diese von der Klägerin zurück.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Ermittlungsbericht der Steuerfahndungsstelle B vom 06.10.2000 und auf die geänderte Anrechnungsverfügung vom 30.10.2001 verwiesen.

Auf den hiergegen eingelegten Einspruch vom 27.11.2001 erließ der Beklagte am 12.01.2005 einen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO. Mit dem Erlass des Abrechnungsbescheides erledigte sich das Einspruchsverfahren gegen die Anrechnungsverfügung. Die streitige Frage wurde stattdessen mit Einspruch vom 14.02.2005 in ein Einspruchsverfahren gegen den Abrechnungsbescheid übergeleitet. Zu diesem Verfahren wurde der Beigeladene, der zuvor mit Haftungsbescheid vom 31.10.2001 für den gegen die Klägerin geltend gemachten Rückforderungsbetrag gemäß § 191 i.V.m. § 71 AO in Haftung genommen worden war, gemäß § 360 AO hinzugezogen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 28.08.2006 stellte der Beklagte die verbleibende Körperschaftsteuer und den verbleibenden Solidaritätszuschlag nach Anrechnung in Höhe von insgesamt - 9.415.660 DM fest. Im Übrigen wies er den Einspruch vom 14.02.2005 als unbegründet zurück. Die in Rede stehenden "Aktien" seien am 11.07.1991, dem Tag der Hauptversammlung der A AG, Gegenstand mehrerer An- und Verkaufsgeschäfte gewesen, welche von dem Börsenmakler C --dem Beigeladenen-- initiiert worden seien. Die "Aktien" seien cum Dividende von dem Beigeladenen über das Konto Nr. .... der D AG an die Bank C, von dieser an die Bank D, von der Bank D an die Klägerin veräußert und von der Klägerin ex Dividende in der Veräußerungskette zurück auf den Beigeladenen rückveräußert worden. Dabei habe der Beigeladene wissentlich mit nicht vorhandenen "Aktien" gehandelt. Die Klägerin habe aufgrund der besonderen börsentechnischen Abwicklungsmodalitäten von der fehlenden Existenz der "Aktien" indes keine Kenntnis haben können. Da den An- und Verkaufsgeschäften vom 11.07.1991 keine Aktien der A AG zugrunde gelegen hätten, habe es sich bei den Geschäften nicht um ein reguläres Dividendenstripping gehandelt und seien die in § 49 Abs. 1 KStG a.F. i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 und 3 EStG a.F. genannten Voraussetzungen für eine Anrechnung der strittigen Beträge nicht erfüllt gewesen. Denn der der Klägerin durch D AG überwiesene Betrag stelle keine Dividende i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar. Die Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 habe nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO geändert werden können; die Verfügung sei durch den Beigeladenen, der das gesamte Geschehen beherrscht habe, durch unlautere Mittel erwirkt worden. Denn die Klägerin habe die für den Streitfall relevanten Steuerbescheinigungen im guten Glauben auf der Grundlage der von der D AG übermittelten Daten erstellt. Die Steuerbescheinigungen und diesen folgend die Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 seien die zwangsläufige Folge des von dem Beigeladenen bewusst in Gang gesetzten Verfahrens. Zudem sei für den Rückforderungsbetrag im Zeitpunkt der Änderung der Anrechnungsverfügung noch keine Zahlungsverjährung eingetreten gewesen. Die geänderte Anrechnungsverfügung stelle einen besonderen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 Satz 2 AO dar, für den die Zahlungsverjährung gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2 AO nicht vor Ablauf der Bekanntgabe der geänderten Anrechnungsverfügung beginne.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 28.08.2006 verwiesen.

Sowohl die Klägerin als auch der Beigeladene (Az. 6 K 166/06) haben gegen den Abrechnungsbescheid vom 12.01.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 28.08.2006 am 26.09.2006 Klage erhoben.

Der Beigeladene hat seine Klage --nach einem gerichtlichen Hinweis zu der Frage der Zulässigkeit der Klage-- am 25.09.2007 zurückgenommen und gleichzeitig die Beiladung zu dem vorliegenden Verfahren beantragt. Dem kam der erkennende Senat mit Beschluss vom 01.10.2007 nach.

Die Klägerin trägt vor: Die Rücknahme der Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 sei aus mehreren Gründen rechtswidrig. Zum einen sei der Rückforderungsbetrag zahlungsverjährt; zum anderen sei die Anrechnungsverfügung nicht durch unlautere Mittel i.S.v. § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO erwirkt worden; und schließlich handele es sich um rechtmäßige Anrechnungsbeträge aus einem zulässigen Dividendenstripping. Der angebliche Rückforderungsanspruch sei mit der Steuerfestsetzung für 1991 im Jahr 1992 fällig geworden; § 220 Abs. 2 Satz 2 AO könne auf den vorliegenden Sachverhalt nicht angewandt werden. Denn der Rückforderungsanspruch beruhe nicht auf einer geänderten Steuerfestsetzung, sondern auf einer korrigierten Steuerabrechnung. Gemäß § 220 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AO wäre der angebliche Rückforderungsanspruch mit seiner tatsächlichen Erstattung im Jahr 1992 gemäß § 38 AO entstanden. Die Zahlungsverjährungsfrist hätte daher gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen und wäre am 31.12.1997 abgelaufen. Bestätigt werde diese Auffassung durch das Urteil des BFH vom 12.02.2008 VII R 33/06 (BStBl II 2008, 504).

Zudem habe der Beklagte die Anrechnungsverfügung nicht nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO zurücknehmen können. Denn ihr --der Klägerin-- könne ein --unterstellt-- unlauteres Verhalten des Beigeladenen nicht zugerechnet werden. Sie habe den Beigeladenen weder als Vertreter bestellt noch habe sie ihn gekannt noch habe eine faktische Nähebeziehung zu diesem bestanden. Das schutzwürdige Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts könne jedoch nicht durch die Verwendung von unlauteren Mitteln durch irgendeine, dem Begünstigten unbekannte Person, zu der keinerlei Nähebeziehung bestehe, zerstört werden.

Entgegen der Ansicht des Beklagten habe sie --die Klägerin-- tatsächlich existente Aktien der A AG erworben. Die Aktien seien aus dem Ausland in die inländische Wertpapierkette eingeführt worden. Das bloße Fehlen eines entsprechenden Anfangs- und Endbestandes auf dem Konto Nr. .... der D AG vermöge nichts über die Existenz und die tatsächliche Lieferung der Aktien auszusagen. Denn die Aktien seien mittels Wertpapiercheck / Wertpapierrechnung in die inländische Abrechnungskette einbezogen worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 26.06.2006, 26.03., 29.10.2007, 06.03., 29.08. und 20.10.2008 verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Einspruchsentscheidung vom 28.08.2006 und den Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO vom 12.01.2005 zu ändern und zusätzliche Steueranrechnungsbeträge in Höhe von 4.754.750 DM zu berücksichtigen und die verbleibende Körperschaftsteuer und den verbleibenden Solidaritätszuschlag für 1991 auf insgesamt -14.170.410 DM und eine verbleibende Zahllast in Höhe von 0 DM festzustellen.

Der Beigeladene schließt sich den Ausführungen der Klägerin an und verweist im Übrigen auf sein Vorbringen in der Klagesache 6 K 166/06, das er zum Gegenstand dieses Verfahrens macht.

Der Beigeladene beantragt,

die Einspruchsentscheidung vom 28.08.2006 und den Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO vom 12.01.2005 zu ändern und zusätzliche Steueranrechnungsbeträge in Höhe von 4.754.750 DM zu berücksichtigen und die verbleibende Körperschaftsteuer und den verbleibenden Solidaritätszuschlag für 1991 auf insgesamt -14.170.410 DM und eine verbleibende Zahllast in Höhe von 0 DM festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor: Die strittigen Aktien hätten nicht existiert. Mit den An- und Verkaufsgeschäften vom 11.07.1991 hätten die Vertragsparteien deshalb kein zulässiges "Leergeschäft", sondern ein unzulässiges "Luftgeschäft" getätigt. Die Klägerin sei deshalb nicht berechtigt gewesen, die in Rede stehenden Steueranrechnungsbeträge geltend zu machen. Der aus der unberechtigten Anrechnung resultierende Rückforderungsanspruch sei zum Zeitpunkt der Änderung der Anrechnungsverfügung im Oktober 2001 noch nicht zahlungsverjährt gewesen. Denn der Anspruch sei erst mit dem Erlass der geänderten Abrechnungsverfügung vom 30.10.2001 gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2 AO fällig geworden. Die ursprüngliche Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 habe nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO zurückgenommen werden können. Der Beigeladene habe vorsätzlich unlautere Mittel angewandt, um die Verfügung zu erwirken. Die Klägerin müsse sich das Verhalten des Beigeladenen zurechnen lassen, auch wenn sie selbst von den Umständen keine Kenntnis gehabt habe. Dies folge nicht zuletzt aus dem BFH-Urteil vom 09. Oktober 1992 VI S 14/92 in BFHE 169, 197.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 28.06. und 10.12.2007 und vom 22.09.2008 verwiesen.

Das Gericht hat die Gerichtsakte 6 K 166/06 beigezogen.

Dem Gericht hat ein Ordner mit Auszügen aus der Steuerakte der Klägerin vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Beklagte hat zu Unrecht die Anrechnung von Steueranrechnungsbeträgen i.S.v. § 49 Abs. 1 KStG a.F. i.V.m. § 36 Abs. 2 EStG a.F. in Höhe von insgesamt 4.754.750 DM versagt. Selbst wenn man mit dem Beklagten davon ausgeht, dass die ursprüngliche Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 insoweit materiell-rechtlich unzutreffend war, so durfte sie nicht zu Lasten der Klägerin geändert werden.

1. a. Nach § 218 Abs.2 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, durch Verwaltungsakt. Der nach § 218 Abs. 2 AO zu erteilende Abrechnungsbescheid ergeht im Steuererhebungsverfahren. Er hat nur die Feststellung zum Inhalt, ob eine bestimmte Zahlungsverpflichtung erloschen ist (§ 47 AO), d.h. ob wirksam gezahlt, aufgerechnet, verrechnet, erlassen, ob Verjährung eingetreten, die Schuld bereits vor der Begründung der Zahlungspflicht erloschen oder der Forderungsausgleich durch Vollstreckungsmaßnahmen erreicht worden ist. Die Begründung der Zahlungsverpflichtung ist hingegen nicht Gegenstand des Abrechnungsbescheids; sie wird vorausgesetzt. Deshalb können Gründe, die gegen die Steuerfestsetzung selbst erhoben werden, nicht im Abrechnungsverfahren geltend gemacht werden (vgl. BFH-Urteile vom 21. November 2006 VII R 68/05, BStBl II 2007, 291; vom 04. Mai 1993 VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285 m.w.N.). Im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung hat das Gericht die zutreffende Abrechnung selbst zu ermitteln.

b. Nach § 49 Abs. 1 KStG a.F. i.V.m. § 36 Abs. 2 EStG a.F. werden auf die Körperschaftsteuer die in den genannten Vorschriften näher bezeichneten Steueranrechnungsbeträge angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfallen und nicht deren Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist. Um die hiernach vorzunehmenden Anrechnungen geht es im Streitfall.

c. Die im Steuererhebungsverfahren ergehende Anrechungs- oder Abrechnungsverfügung des FA stellt nicht lediglich eine formlose Kassenmitteilung ohne jede Bindungswirkung dar, sondern einen von der Steuerfestsetzung gesonderten Verwaltungsakt (vgl. BFH-Urteile vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83 BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405; vom 26. Juni 2007 VII R 35/06, BFHE 218, 10, BStBl II 2007, 742; vom 12. Februar 2008 VII R 33/06, BStBl II 2008, 504). Die Anrechnungsverfügung wirkt nicht rechtsbegründend (konstitutiv), da sie keine Rechte und Pflichten zur Entstehung bringt, die der Steuerpflichtige nicht auch ohne sie hätte (vgl. BFH, a.a.O.); vielmehr handelt es sich um einen deklaratorischen (bestätigenden) Verwaltungsakt, dessen Außenwirkung sich je nach dem Ergebnis der Anrechnung in einem Leistungsgebot oder in einer Erstattungsverfügung äußert (vgl. BFH, a.a.O.).

d. Aus der rechtlichen Einordnung der Anrechnungsverfügung als deklaratorischer Verwaltungsakt folgt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 130 Abs.2 AO, dass diese, wenn sie einen Fehler zugunsten des Steuerpflichtigen enthält, nur zurückgenommen bzw. geändert werden kann, wenn eine der hierfür im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen gegeben ist. Denn die Definition des begünstigenden Verwaltungsakts im Sinne dieser Vorschrift umfasst ausdrücklich auch Verwaltungsakte, die ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil nur bestätigen. Sind auf die festgesetzte Steuerschuld zuviel Steuern angerechnet worden, so wird dadurch ein rechtlich erheblicher Vorteil --zu geringe Abschlusszahlung-- zu Unrecht bestätigt. Der dadurch beim Steuerpflichtigen --möglicherweise-- begründete Vertrauenstatbestand wird im Rahmen des § 130 Abs.2 AO geschützt; denn unter einer Begünstigung im Sinne dieser Vorschrift ist jede Rechtswirkung zu verstehen, an deren Aufrechterhaltung der von dem Verwaltungsakt Betroffene ein schutzwürdiges Interesse hat (vgl. BFH-Urteil vom 22.Januar 1985 VII R 112/81, BFHE 143, 203, BStBl II 1985, 562).

e. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO darf ein Verwaltungsakt, der einen rechtserheblichen Vorteil begründet, außerhalb der Jahresfrist des § 130 Abs. 3 Satz 2 AO nur zurückgenommen werden, wenn er durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung erwirkt worden ist. Dadurch erhält der Grundsatz des Vertrauensschutzes Vorrang vor der materiellen Richtigkeit des Verwaltungsakts (vgl. Schwarz in Schwarz, AO/FGO, § 130 AO Rz. 33). Wer aber einen begünstigenden Verwaltungsakt durch unlautere Mittel erwirkt hat, ist in seinem Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts nicht schutzwürdig, weil er die Ursachen für die Rechtswidrigkeit selbst gesetzt hat (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 130 AO Rz. 21). "Erwirken" bedeutet, etwas durch Bemühungen erreichen, durchsetzen (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 2: Cl - F, "erwirken"); "argliste Täuschung" beinhaltet die bewusste und vorsätzliche Irreführung, wie jedes vorsätzliche Verschweigen oder Vortäuschen von Tatsachen, durch das die Willensbildung der Behörde unzulässig beeinflusst wird (vgl. von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 130 AO Rz. 10). Ein Verwaltungsakt ist danach durch arglistige Täuschung erwirkt worden, wenn die Fehlvorstellung der Behörde --beim positiven Tun-- durch eine intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild der Behörde entstanden ist oder --beim Unterlassen-- entgegen einer Rechtspflicht nicht beseitigt wurde. Darüber hinaus kommt jedes andere vorsätzliche Mittel in Betracht, das die Willensbildung der Behörde beeinflusst hat (vgl. BFH-Urteil vom 05. Februar 1975 I R 85/72, BFHE 115, 173, BStBl II 1975, 677). Der Begünstigte muss das unlautere Mittel nicht selbst angewandt haben und sich das arglistige Verhalten eines Dritten ggf. zurechnen lassen. Die bewusste und vorsätzliche Einwirkung des Täuschenden beinhaltet auch den bedingten Vorsatz; grobe Fahrlässigkeit genügt indessen nicht. Zwischen dem unlauteren Mittel und der Verfügung der Behörde muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juli 1998 VII R 141/97, BFH/NV 1999, 433). Dabei ist nicht erforderlich, dass sich die unlauteren Mittel auf Tatsachen oder Umstände beziehen, die eine rechtliche Voraussetzung für die Verfügung sind. Ohne Bedeutung ist, ob die Verfügung auch ohne Anwendung des unlauteren Mittels hätte erwirkt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 05. Februar 1975 I R 85/72, BFHE 115, 173, BStBl II 1975, 677, m.w.N.). Auch muss sich der Vorsatz des Täuschenden nicht auf den Kausalzusammenhang zwischen seinen Angaben und der Willensbildung der Behörde beziehen; die Vorschrift des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO verlangt lediglich, dass durch ein unlauteres Mittel die Verfügung der Behörde (objektiv) "veranlasst" wurde (vgl. BFH-Urteil vom 05. Februar 1975 I R 85/72, BFHE 115, 173, BStBl II 1975, 677).

2. a. Nach diesen Grundsätzen hätte die Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 nicht zurückgenommen werden dürfen und war der angefochtene Abrechnungsbescheid wie erkannt zu ändern. Die Rücknahme der mit dem Körperschaftsteuerbescheid für 1991 vom 27.05.1992 verbundenen Steuerabrechnung und damit der Erlass des von dieser abweichenden Abrechnungsbescheids gemäß § 218 Abs. 2 AO vom 12.01.2005 war unzulässig, weil die --hier allein in Betracht kommenden-- in § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO aufgeführten Voraussetzungen nicht vorlagen. Die Klägerin hat deshalb einen Anspruch darauf, dass die in der Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 ausgewiesenen Steueranrechnungsbeträge auf ihre Körperschaftsteuerschuld für 1991 angerechnet werden.

b. Unterstellt man, dass es sich bei dem Aktien-Erwerb durch die Klägerin um ein "Luftgeschäft" gehandelt hat und dass die Klägerin aus diesem Erwerb keine Einnahmen i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG a.F. beziehen konnte, sodass die Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 insoweit tatsächlich objektiv rechtswidrig war, so ist die Verfügung nicht i.S.v. § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO "durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden".

c. Die Klägerin selbst hatte von den unterstellten Vorgängen keine Kenntnis und war bei der Einreichung der Steuerbescheinigungen i.S.d. §§ 44, 45 KStG a.F. in gutem Glauben.

d. Zweifelhaft ist zudem, ob der Beigeladene die Anrechnungsverfügung als Dritter i.S.v. § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO "erwirkt" hat. Denn der Beigeladene war in das Besteuerungsverfahren der Klägerin nicht einbezogen. Zu keinem Zeitpunkt hatte der Beigeladene Kontakt mit dem Beklagten und wohl auch keine Vorstellung von dessen örtlicher und sachlicher Zuständigkeit für die Besteuerung der Klägerin. Der Beigeladene hat damit nicht aktiv und unmittelbar auf das Vorstellungsbild des Beklagten eingewirkt und bei diesem eine Fehlvorstellung über die Abzugsfähigkeit der in Rede stehenden Steueranrechnungsbeträge hervorgerufen.

Offen ist auch, ob der Beigeladene die Steuerbescheinigungen nach §§ 44, 45 KStG a.F. mittelbar durch die Klägerin als "Werkzeug" erwirkt hat. Denn der Beigeladene hat das weitere Geschehen mit den An- und Verkaufskontrakten vom 11.07.1991, der Dividendengutschrift und der Übermittlung der Steuerdaten durch die D AG an die Klägerin als Käuferbank "aus der Hand gegeben". Das Ob, Wann und Wie der Erstellung von Steuerbescheinigungen und deren Einreichung durch die Klägerin bei dem Beklagten war von dem Beigeladenen somit nicht bestimmbar. Es war für dessen persönlichen Geschäftserfolg aus den Kontrakten vom 11.07.1991 wohl auch unerheblich. Denn der von dem Beigeladenen zu erzielende Gewinn aus der Veräußerung der Aktien cum Dividende und dem Rückerwerb der Aktien ex Dividende stand nicht unter der formalen Bedingung der Realisierung von Steueranrechnungsguthaben durch die Klägerin als letzte Käuferbank in der inländischen Lieferkette. Das mag auch daran deutlich werden, dass zwischen den Kontrakten und der Veranlagung der Klägerin für 1991 ein Zeitraum von zehn Monaten gelegen hat.

Wären dem Beigeladenen die von der Klägerin gemäß §§ 44, 45 KStG a.F. erstellten Steuerbescheinigungen hiernach nicht zuzurechnen, so hätte er auch nicht mittelbar auf den Willen des Beklagten eingewirkt und die Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 durch ein unlauteres Mittel i. S. von § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO erwirkt.

e. Wäre der Tatbestand des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO damit schon begrifflich nicht erfüllt (kein "Erwirken"), so scheidet eine Rücknahme der Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift aus. Denn ein unlauteres Verhalten des Beigeladenen wäre der Klägerin jedenfalls nicht zuzurechnen. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des VII. BFH-Senats ist der Steuerpflichtige in Dreiecksverhältnissen in seinem Vertrauen auf eine begünstigende Anrechnungsverfügung nämlich nur dann nicht schutzwürdig, wenn die Verfügung durch eine arglistige Täuschung eines Dritten erwirkt worden ist, die sich der Steuerpflichtige zurechnen lassen muss (BFH-Urteil vom 18. Juli 2000 VII R 32/99, BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133). Ein solches Zurechnungsverhältnis soll zum Beispiel bei Ehegatten gegeben sein, wenn sie die Zusammenveranlagung gewählt haben und deshalb nach § 25 Abs. 3 Satz 2 EStG gemeinsam eine Einkommensteuererklärung abgeben mussten (BFH-Urteil vom 18. Juli 2000 VII R 32/99, BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133). Der Steuerpflichtige muss sich im Rahmen des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO aber auch das Verhalten Dritter zurechnen lassen, die von ihm eingeschaltet worden oder seine gesetzlichen Vertreter sind und mit seinem Wissen und seiner Billigung handeln (vgl. Rüsken in Klein, AO, 9. Aufl., § 130 Rz. 45; Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 130 AO Rz. 25). Eine weitergehende Auffassung, wonach dem Steuerpflichtigen im Rahmen des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO auch unlautere Mittel "fremder" Dritter zuzurechnen sind (vgl. BFH-Urteil vom 09. Oktober 1992 VI S 14/92, BFHE 169, 197; FG Saarland, Urteil vom 05. Oktober 1990 1 K 12/89, [...], DATEV; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 130 Rz. 14), mag zwar dem Wortlaut, nicht aber dem Sinn der Vorschrift entsprechen (vgl. Rüsken in Klein, AO, 9. Aufl., § 130 Rz. 45) und ist folglich abzulehnen. Denn damit würde der Schutzbedürftigkeit des Steuerpflichtigen und einem etwaigen Vertrauen in die Richtigkeit des ihn begünstigenden Verwaltungsakts nicht die vom Gesetzgeber für geboten erachtete Rechnung getragen (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 2000 VII R 32/99, BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133). Der Steuerpflichtige, der von den unlauteren Mitteln Dritter nichts weiß und sich diese auch aufgrund von Vertretungs- und ähnlichen Zurechnungsverhältnissen (vgl. oben) nicht zurechnen lassen muss, handelt gutgläubig und ist in seinem Vertrauen auf den Bestand des ihn begünstigenden Verwaltungsakts geschützt (vgl. Schwarz in Schwarz, AO/FGO, § 130 AO Rz. 33; Spanner in H/H/Sp, AO/FGO, § 130 AO Rz. 33). Die Gegenansicht könnte, soweit sie es, wie der VI. BFH-Senat in seiner Entscheidung vom 09. Oktober 1992 VI S 14/92 (BFHE 169, 197), für eine Rücknahme nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO genügen lassen will, dass der Einsatz eines unlauteren Mittels zu einer objektiv rechtswidrigen Erstattung an den Steuerpflichtigen führt, bedeuten, dass schon durch die bloße Ingangsetzung eines dolosen Kausalverlaufes, der mit einer ungerechtfertigten Steuererstattung endet, der Schutzbereich des § 130 Abs. 2 AO entfiele. Damit wäre aber das in der Vorschrift geregelte Regel-Ausnahme-Verhältnis (Regel: Vorrang des Vertrauensschutzes; Ausnahme: Wiederherstellung der objektiven Rechtslage) in sein Gegenteil verkehrt; das aber ist nach Auffassung des erkennenden Senats vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Im Streitfall war die Klägerin gutgläubig und es bestand kein Zurechnungsverhältnis zu dem Beigeladenen. Die Klägerin ist deshalb schutzwürdig; die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO liegen nicht vor.

3. Der erkennende Senat musste aus den vorstehenden Gründen nicht über die Frage entscheiden, ob der Beklagte an der Rücknahme der Anrechnungsverfügung vom 27.05.1992 auch aus Gründen der Zahlungsverjährung gehindert war.

4. Die Nebenentscheidungen folgen aus § 135 Abs. 1, § 139 Abs. 4 und § 115 Abs. 2 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 155, § 151 Abs. 3 FGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück