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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 05.05.2008
Aktenzeichen: 6 K 97/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 17 Abs. 1 S. 1
EStG § 17 Abs. 2 S. 4
EStG § 17 Abs. 2 S. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

6 K 97/06

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Verlustberücksichtigung nach § 17 EStG.

Der Kläger erwarb am 10.12.1999 einen Geschäftsanteil von 900 DM an der "A Gesellschaft mbH" (GmbH) zu einem Preis von 145.396,44 DM. Das Stammkapital der GmbH betrug zum damaligen Zeitpunkt 86.300 DM, sodass der Kläger mit dem erworbenen Geschäftsanteil zu 1,043% an der GmbH beteiligt war. Nach Erwerb der Beteiligung wurde das Stammkapital der GmbH insgesamt dreimal erhöht; die neuen Geschäftsanteile wurden jeweils durch neue Gesellschafter übernommen. Infolge der Kapitalerhöhungen entwickelte sich die relative Beteiligung des Klägers an der GmbH wie folgt:

 GeschäftsanteilStammkapitalBeteiligung (v. H.)
 DMDM 
10.12.199990086.3001,043
22.11.199990087.8001,025
02.03.2001900104.6000,860
30.06.2001900109.9000,819

Über das Vermögen der GmbH ist am 01.01.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Bereits am 02.01.2002 teilte der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit --§ 208 InsO-- mit.

In der Folge beantragte der Kläger im Rahmen eines Lohnsteuerermäßigungsverfahrens die Eintragung eines Freibetrags wegen eines Verlusts aus der GmbH-Beteiligung auf der Lohnsteuerkarte für 2002. In dem diesbezüglichen finanzgerichtlichen Verfahren (FG Hamburg Az. VI 103/02) erzielten die Beteiligten eine tatsächliche Verständigung hinsichtlich der Höhe des geltend gemachten Verlusts sowie hinsichtlich der Verlustentstehung in 2002 und einigten sich auf die Eintragung des beantragten Freibetrags von 74.341 EUR (Euro-Umrechnungswert des Anteils-Anschaffungspreises von 145.396,44 DM) auf der Lohnsteuerkarte. Streitig blieb dagegen, ob dieser Verlust dem Grunde nach zu berücksichtigen war.

Den dann mit der Einkommensteuererklärung für 2002 erklärten Verlust aus der GmbH-Beteiligung in Höhe von 78.009 EUR erkannte der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 04.02.2004 nicht an. Die Beteiligung an der GmbH sei nicht "wesentlich" i. S. von § 17 EStG gewesen. Der Gesamtbetrag der Einkünfte betrug danach 24.936 EUR, das zu versteuernde Einkommen 19.161 EUR und die festzusetzende Einkommensteuer 2.422 EUR.

Den Einspruch der Kläger vom 11./12.02.2004 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 19.05.2006 zurück. Die Anerkennung eines Beteiligungsverlusts setze nach § 17 Abs. 2 Satz 4 lit. b) (heute Satz 6 lit. b) EStG voraus, dass die Beteiligung innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre zu einer Beteiligung im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört habe. Dies sei vorliegend nicht der Fall.

Die Kläger haben am 21.06.2006 Klage erhoben und tragen vor:

Der Beklagte erkenne den erklärten Verlust zu Unrecht nicht an. Die Regelung des § 17 Abs. 2 Satz 4 lit. b) EStG stehe dem Verlustabzug nicht entgegen. Die Vorschrift sei zur Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen in das Gesetz aufgenommen worden. Der klassische Missbrauchsfall bei einer Verlustbeteiligung im Rahmen des § 17 EStG liege nach Auffassung der Finanzverwaltung und des Gesetzgebers darin, dass ein Steuerpflichtiger in Ansehung eines drohenden Beteiligungsverlusts seine bisher unwesentliche Beteiligung zunächst auf eine wesentliche Beteiligung aufstocke und mehr oder weniger zeitnah danach den Verlust aus der Gesamtbeteiligung realisiere und steuermindernd geltend mache. In Fällen, in denen der Steuerpflichtige von vornherein eine wesentliche Beteiligung erwerbe, sei eine solche Missbrauchsvermutung denklogisch ausgeschlossen. Dementsprechend stelle die Rückausnahme in § 17 Abs. 2 Satz 4 lit. b Satz 2 EStG allein darauf ab, ob ein Steuerpflichtiger innerhalb der letzten fünf Jahre vor Verlusteintritt eine wesentliche Beteiligung entgeltlich erworben habe. Dazu, dass diese Beteiligung auch im gesamten Zeitraum zwischen Erwerb und Verlusteintritt wesentlich geblieben sein müsse, finde sich in der aktuellen Gesetzesfassung kein Wort.

Die Kläger beantragen,

die Einspruchsentscheidung vom 19.05.2006 und den Bescheid für 2002 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag dahingehend zu ändern, dass ein Verlust des Klägers aus § 17 EStG in Höhe von 39.005 EUR anerkannt und dass die festzusetzende Einkommensteuer auf 0 EUR herabgesetzt werde.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor:

Die Verlustabzugsregelung des § 17 Abs. 2 Satz 4 verlange, dass der Veräußerer innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre vor der Veräußerung --und damit auch noch am Tag der Veräußerung-- wesentlich an der Gesellschaft beteiligt gewesen sei. Die Regelung weiche von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ab, wonach es für die Erfassung von Veräußerungsgewinnen ausreichend sei, wenn der Steuerpflichtige "innerhalb der letzten fünf Jahre" vor der Veräußerung, also auch nur vorübergehend, eine relevante Beteiligung gehalten habe. Eine Verlustberücksichtigung sei deshalb auch dann ausgeschlossen, wenn --wie im Streitfall-- eine ursprünglich wesentliche Beteiligung bis zur Veräußerung auf einen Prozentsatz unterhalb der Relevanzschwelle abgesenkt worden sei.

Ergänzend wird auf die Sitzungsniederschrift vom 05.05.2008 Bezug genommen.

Dem Gericht lag die den Streitfall betreffende Einkommensteuer- und Rechtsbehelfsakte vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Berücksichtigung des geltend gemachten Beteiligungsverlusts steht die Regelung des § 17 Abs. 2 Satz 6 lit. b) EStG (S. 4 lit. b) i. d. Fassung des StEntlG 1999/2000/2002) entgegen.

1. Mit dem Jahressteuergesetz 1996 wurde dem § 17 Abs. 2 EStG ein neuer Satz 4 angefügt, der die bis dahin uneingeschränkt mögliche Geltendmachung von Verlusten aus der Veräußerung von Anteilen bei wesentlicher Beteiligung erheblich einschränkte. Zweck der Neuregelung war es, missbräuchliche Gestaltungen zu erschweren, mit deren Hilfe es möglich war, "durch kurzfristigen Zukauf weniger Anteile eine im Privatvermögen entstandene Wertminderung in den steuerlichen Verlustausgleich einzubeziehen" (vgl. BT-Drs. 13/901, 133). Die Neuregelung ging aber weit über das hinaus, was zur Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen erforderlich gewesen wäre und warf eine Vielzahl von Zweifelsfragen auf (vgl. Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz. C 351; Herzig/Förster, DB 1999, 711/6; Wendt, FR 1999, 333, 345; jeweils m.w.N.).

Durch das StEntlG 1999/2000/2002 ist die Vorschrift neu gefasst worden. Nach der neuen Fassung ist "ein Veräußerungsverlust ... nicht zu berücksichtigen, soweit er auf Anteile entfällt, die ... b) ... entgeltlich erworben worden sind und nicht innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre zu einer wesentlichen Beteiligung des Steuerpflichtigen gehört haben. Dies gilt nicht für innerhalb der letzten fünf Jahre erworbene Anteile, deren Erwerb zur Begründung einer wesentlichen Beteiligung des Steuerpflichtigen geführt hat oder die nach Begründung der wesentlichen Beteiligung erworben worden sind." Die Neuregelung soll zwar wie die vorangegangene verhindern, dass Veräußerungsverluste bei nicht wesentlichen Beteiligungen durch bestimmte Gestaltungen steuerlich geltend gemacht werden können (vgl. Herzig/Förster, DB 1999, 711/6); sie erweitert aber als Reaktion auf die Kritik an der Vorgängerregelung die Möglichkeit des Verlustausgleichs wieder und soll nach der Gesetzesbegründung "treffsicherer und zugleich sprachlich einfacher gestaltet" sein (vgl. BT-Drs. 14/23, 179; Wendt, FR 1999, 333, 346).

Doch auch die Neufassung wirft, wie der Streitfall zeigt, Fragen zum Normverständnis auf.

Bei strenger Wortlautinterpretation des § 17 Abs. 2 Satz 6 lit. b) HS 1 EStG und des Merkmals "...nicht innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre..." ist ein Verlustabzug nur zulässig, wenn die veräußerten Anteile in den fünf Jahren vor der Veräußerung ununterbrochen Teil einer relevanten Beteiligung waren. Die Fünfjahresfrist gestattet durch das Merkmal "gesamte" keine Unterbrechung des Zeitraums und keine nur für kurze Zeit bestehende relevante/wesentliche Beteiligung (vgl. Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz. C 417 m.w.N.). Hiernach ist eine Verlustberücksichtigung auch dann ausgeschlossen, wenn eine ursprünglich relevante Beteiligung zwischenzeitlich auf einen Prozentsatz unterhalb der Relevanzschwelle abgesenkt wurde (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 17. April 2002 9 K 55/98, EFG 2002, 1520; BFH-Urteil vom 14. Juni 2005 VIII R 20/04, BFH/NV 2005, 2202, HFR 2006, 274; Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 17 Rz. 266; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 26. Aufl., § 17 Rz. 197; Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz. C 417/8). Damit weicht die Regelung von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ab, wonach es für die Frage der Steuerverstrickung der Anteile ausreichend ist, wenn der Steuerpflichtige "...innerhalb der letzten fünf Jahre..." vor der Veräußerung wesentlich an der Kapitalgesellschaft beteiligt war, sodass es genügt, dass die qualifizierte Beteiligung zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre einmal, wenn auch nur für kurze Zeit bestanden hat (vgl. Schneider a.a.O.; vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die darin liegende Ungleichbehandlung von Veräußerungsgewinnen einerseits und Veräußerungsverlusten andererseits Eilers/R. Schmidt in Herrmann /Heuer /Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Rz. 247 m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage nach dem Regelungsgehalt der in § 17 Abs. 2 Satz 6 lit. b) Satz 2 EStG formulierten Rückausnahme, wonach eine Berücksichtigung von Verlusten aus der Veräußerung entgeltlich erworbener Anteile in zwei Alternativen möglich ist.

Nach Auffassung der Kläger führt der Erwerb von Anteilen zur Begründung einer wesentlichen Beteiligung des Steuerpflichtigen im Sinne der --hier allein in Betracht kommenden-- 1. Alternative, wenn die erworbenen Anteile selbst eine wesentliche Beteiligung darstellen oder zusammen mit weiteren gehaltenen Anteilen des Steuerpflichtigen die Beteiligungsquote von 1 Prozent erreichen. Zudem soll ein Verlust aus der Veräußerung einer derart erworbenen relevanten Beteiligung unabhängig von einer Behaltefrist und unabhängig davon, ob die Beteiligung im Veräußerungszeitpunkt noch relevant ist, zu berücksichtigen sein. Diese Auffassung vertreten neben den Klägern auch Herzig/Förster (DB 1999, 711/6) und Paus (NWB, Fach 3, S. 10850).

Dem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Zum einen bezieht sich der Erwerbstatbestand des § 17 Abs. 2 Satz 6 lit. b) Satz 2 Alt. 1 EStG nach seiner Entstehungsgeschichte und nach seinem Sinn und Zweck wohl nur auf den Hinzuerwerb von Anteilen, durch deren Zukauf eine bis dahin unwesentliche Beteiligung wesentlich i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG wird (vgl. auch Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz. C 425/6). Denn deren steuerliche Behandlung war Anlass für die Einführung der Verlustabzugsbeschränkung durch das Jahressteuergesetz 1996 und zugleich Gegenstand (auch) der Kritik an der gesetzlichen Neuregelung und damit Gegenstand der Überarbeitung des Gesetzes durch das StEntlG 1999/2000/2002 (vgl. die Nachweise bei Herzig/Förster, DB 1999, 711/6; Wendt, FR 1999, 333, 345). Zum anderen dispensiert die Ausnahmeregelung nach ihrem Wortlaut nicht von der Voraussetzung des Vorliegens einer relevanten Beteiligung im Veräußerungszeitpunkt. Denn das Gesetz beschreibt den Erwerbsvorgang im Perfekt --"...deren Erwerb zur Begründung einer Beteiligung...geführt hat..."-- und bezeichnet damit einen Sachverhalt, der zwar in der Vergangenheit abgeschlossen wurde, dessen Ergebnis oder Folge aber einen Gegenwartsbezug hat und im Sprechzeitpunkt noch relevant ist (vgl. Duden, Die Grammatik, 4. Aufl., Rz. 239). Die durch den (Hinzu)Erwerb der Anteile erworbene relevante Beteiligung darf danach nicht nur zu einem vorübergehenden, in der Vergangenheit abgeschlossenen Zeitpunkt bestanden haben, sondern muss bis zum Veräußerungszeitpunkt als dem maßgeblichen Gegenwartsbezug fortbestehen. Der Dispens in § 17 Abs. 2 Satz 6 lit. b) Satz 2 Alt. 1 EStG bezieht sich danach ausschließlich auf die fünfjährige Behaltefrist, die in den genannten Erwerbsfällen unterschritten werden darf.

In diesem Gesetzesverständnis sieht sich der erkennende Senat auch dadurch bestätigt, dass, wäre die Gegenauffassung zutreffend, die Grundregel des § 17 Abs. 2 Satz 6 lit. b) HS 1 EStG sinnentleert würde. Denn wenn eine relevante Beteiligung weder über den Fünfjahreszeitraum noch im Veräußerungszeitpunkt vorliegen müsste, dann wäre für den ausdrücklich angeordneten Verlustausschluss für eine "...nicht innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre..." bestehende relevante Beteiligung insoweit kein Raum mehr.

Der erkennende Senat verkennt nicht, dass mit dem von ihm vertretenen Gesetzesverständnis auch Beteiligungen von der Verlustberücksichtigung ausgeschlossen werden, die --wie im Streitfall-- ersichtlich nicht in missbräuchlicher Absicht erworben worden sind. Für eine Auslegung des Gesetzes gegen den Wortlaut fehlen indes die Voraussetzungen.

2. Nach den vorstehenden Grundsätzen scheidet im Streitfall eine Verlustberücksichtigung aus. Die Beteiligung des Klägers an der GmbH lag im Zeitpunkt der Verlustentstehung unterhalb der relevanten Beteiligungsschwelle von 1 Prozentpunkt und berechtigt deshalb gemäß § 17 Abs. 2 Satz 6 lit. b) HS 1 EStG nicht zum Verlustausgleich.

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus § 135 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.



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