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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 22.11.2006
Aktenzeichen: 6 V 124/06
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 2
FGO § 69 Abs. 3
AO 1977 § 71
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

6 V 124/06

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über Haftung wegen Teilnahme an einer Steuerhinterziehung.

Der Antragsteller war von Oktober 1995 bis Juli 1999 Gesellschafter der ... Handels GmbH (GmbH). Sein Gesellschaftsanteil betrug 49 v.H.; weiterer Gesellschafter war Herr E mit einem Anteil von 51. v.H. Gegenstand des Unternehmens war die Herstellung von ... (Backwaren), die an Einzelhandelsgeschäfte in Hamburg und Umland verkauft wurden.

Den Feststellungen der Steuerfahndungsstelle FA Hamburg-... zufolge gab es für die GmbH neben der offiziellen Buchführung noch eine weitere, inoffizielle Buchführung. Letztere soll nach dem Bericht der Steuerfahndung vom 26.1.2004 (u.a.) für die Jahre 1996 bis 1998 erhebliche Umsätze aufweisen, die in der offiziellen Buchführung nicht aufgeführt waren; auch soll die offizielle Buchführung hinsichtlich der Wareneinkäufe unvollständig gewesen und sollen Löhne unversteuert gezahlt worden sein. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht der Steuerfahndung Bezug genommen.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen erließ der Antragsgegner am 11.3.2004 gegen die GmbH entsprechend geänderte Bescheide über Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschläge. Mit Schreiben vom 6.5.2004 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller unter Hinweis auf die festgestellten Steuerrückstände der GmbH mit, dass er für den Zeitraum von 1996 bis Juli 1999 als Haftender in Betracht komme, und gab ihm Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Der Antragsteller machte geltend, dass er lediglich Gesellschafter der GmbH gewesen sei, nicht aber deren Geschäftsführer, und verwies im Übrigen auf seine Aussagen im Rahmen eines gegen ihn geführten Steuerstrafverfahrens.

Am 30.6.2006 erließ der Antragsgegner gegen den Antragsteller einen Haftungsbescheid nach §§ 69, 71 AO über insgesamt 318.062,07 EUR wegen Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 1996 bis 1998 nebst Zinsen. Dagegen legte der Antragsteller am 3.7.2006 Einspruch ein und beantragte, die Vollziehung des Haftungsbescheids auszusetzen.

Der Antragsgegner lehnte letzteres mit Bescheid vom 24.7.2006 ab. In der Begründung dieses Bescheides heißt es, der Antragsteller sei seiner eigenen Aussage zufolge über die wirtschaftliche Lage der GmbH informiert gewesen, demnach auch über die erzielten Erträge; dies ergebe sich aus dem Bericht der Steuerfahndung. Dennoch habe der Antragsteller im Haftungszeitraum erhebliche Geldbeträge erhalten, der Steuerfahndung zufolge insgesamt 360.064,00 DM. Weder im Rahmen der Steuerfahndung, noch im Besteuerungsverfahren noch schließlich im Haftungsverfahren habe der Antragsteller den Zugang dieser Geldmittel erklären können. Er habe ihn schlicht bestritten, obwohl der Steuerfahndung die Kontoauszüge der Privatkonten des Antragstellers vorgelegen hätten, aus denen sich die genannten Beträge ergäben. Diese Beträge seien der offiziellen Buchführung der GmbH nach nicht auszahlbar gewesen; weder der Jahresüberschuss noch der Stand des Bankkontos hätten hierfür ausgereicht. Schon im ersten Jahr des Haftungszeitraums sei der Unterschied zwischen dem maximal auszahlbaren Betrag laut Buchführung und dem tatsächlich ausgezahlten Betrag so eklatant gewesen, dass eine Unwissenheit des Antragstellers ausgeschlossen werden könne.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Antrag an das Finanzgericht vom 26.7.2006. Seiner Auffassung nach bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides. Er trägt im Wesentlichen vor: § 71 AO sei nicht anwendbar, wenn der Haftungsschuldner zugleich Steuerschuldner sei. Wegen der bei der GmbH festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen seien bei ihm Einkünfte aus Kapitalvermögen angesetzt und daraus resultierende Einkommensteuer für die Jahre 1996 bis 1999 festgesetzt worden; eine Ausschüttungsbelastung habe der Antragsgegner nicht angerechnet. Er schulde also bereits durch die gegen ihn festgesetzte Einkommensteuer die Körperschaftsteuer, die bei der GmbH auf die festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen entfalle. Des Weiteren habe der Antragsgegner die Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme nicht hinreichend ermittelt. Es sei nicht ersichtlich, wer konkret eine Steuerstraftat begangen habe und ob er - der Antragsteller - als Mittäter oder Teilnehmer gehandelt haben solle. Der Antragsgegner behaupte lediglich, dass "der Antragsteller Schwarzeinkäufe und Einnahmenverkürzungen aktiv mitgestaltet" und die Buchführung habe fälschen lassen, bleibe aber jeglichen Beweis schuldig. Auch der Umstand, dass er selbst Zahlungen von der GmbH erhalten habe, die diese ihrerseits nicht versteuert habe, erfülle nicht den Tatbestand einer Steuerhinterziehung. Darüber hinaus verstoße es gegen rechtsstaatliche Grundsätze, wenn eine Verwaltungsbehörde Feststellungen zum Vorliegen eines Straftatbestandes treffe; dies sei der rechtsprechenden Gewalt vorbehalten. Schließlich habe der Antragsgegner im Rahmen seiner Prüfungen festgestellt, dass bei der GmbH Liquiditätsprobleme bestanden hätten. Demnach müsse der Antragsteller - wenn überhaupt - nur für einen Teil der aufgeführten Steuerschulden einstehen.

Der Antragsteller beantragt,

die Vollziehung des Haftungsbescheides vom 30.6.2006 in voller Höhe auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsgegner erwidert, der Antragsteller habe sich an der von dem geschäftsführenden Gesellschafter der GmbH begangenen Steuerhinterziehung beteiligt. Dieser habe planmäßig und damit vorsätzlich die Einnahmen und die Ausgaben der GmbH verkürzt und dem FA gegenüber unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht. Die Richtigkeit der diesbezüglichen Ausführungen habe der Antragsteller bislang nicht widerlegt. Ob er als Mittäter oder Gehilfe gehandelt habe, sei im Rahmen der Haftung nach § 71 AO unerheblich. Sollte das FG gleichwohl die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung bejahen, käme diese nur gegen Sicherheitsleistung in Betracht.

Dem Gericht haben eine Haftungsakte (Bd. I, angelegt am 3.8.06) und eine Rechtsbehelfsakte (Bd. I, angelegt im August 2006) vorgelegen.

II.

Der Antrag ist zulässig und in Höhe von 20.081 EUR begründet. Hinsichtlich des verbleibenden Betrags in Höhe von 297.981 EUR ist der Antrag unbegründet.

1.

Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden (§ 69 Abs. 2 Satz 3 FGO). Sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Durchsetzung des Steueranspruchs im Falle des Unterliegens des Steuerpflichtigen im Hauptsacheverfahren gefährdet wäre, ist die Vollziehung des Verwaltungsaktes regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen (BFH-Beschluss vom 3.2.2005, I B 208/04, BStBl. II 2005, 351).

2.

Ernstlich zweifelhaft ist zunächst, ob der Antragsteller als Vertreter nach § 69 AO i.V.m. §§ 34, 35 AO haftet. In dem Bericht der Steuerfahndung vom 26.1.2004, auf den sich der Haftungsbescheid bezieht, wird der Antragsteller nur als Gesellschafter der GmbH aufgeführt, ebenso in der Begründung des Haftungsbescheids. Aus welchen sonstigen Erwägungen heraus die Haftung auf § 69 AO gestützt werden soll, ist nicht ersichtlich. Allerdings kommt es darauf nicht an, da sich der Bescheid auch auf § 71 AO stützt und beide Haftungsgründe gleichzeitig nebeneinander bestehen können (vgl. dazu Klein/Rüsken AO § 71 Rz. 18, m.w.N.).

3.

a) Ernstlich zweifelhaft ist des Weiteren, ob der Haftungsbescheid im Hinblick auf die Haftung für Körperschaftsteuer 1996 bis 1998 bezogen auf einen Betrag von 20.081 EUR rechtmäßig ist. Zwar ist der Vorwurf des Antragstellers, er werde im Hinblick auf die gegen die GmbH festgesetzte Körperschaftsteuer wegen der vom Antragsgegner angenommenen verdeckten Gewinnausschüttung und der insoweit bei ihm erfassten Einkünfte aus Kapitalvermögen sowohl als Steuerschuldner als auch als Haftungsschuldner in Anspruch genommen, - formal - unberechtigt. Denn die Haftung bezieht sich auf die aus der Sicht des Antragstellers fremden Steuerschulden der GmbH (vgl. hierzu auch Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 69 FGO Tz. 11, m.w.N.). Es bestehen aber gleichwohl nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel, ob es nicht ermessenswidrig ist, den Antragsteller wegen Körperschaftsteuer auf die von der GmbH nicht erklärten Gewinne in Anspruch zu nehmen, während ihm gleichzeitig die Anrechnung der Körperschaftsteuer bei der Erfassung der nämlichen Gewinne als verdeckte Gewinnausschüttungen im Rahmen seiner Einkünfte aus Kapitalvermögen versagt wird (Verstoß gegen Treu und Glauben als Ermessensmissbrauch, vgl. dazu Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Tz. 51 f.). Denn tatsächlich - materiell - wird der Antragsteller mit der Inhaftungnahme für die Körperschaftsteuer, soweit diese auf die ihm zugerechneten verdeckten Gewinnausschüttungen entfällt, zum zweiten Mal für eine nach dem System des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens nur als einmalige Definitivbelastung vorgesehene Ausschüttungsbelastung herangezogen.

b) Bei der - ebenfalls summarischen - Ermittlung der Höhe der auf den Antragsteller entfallenden Körperschaftsteuer hat sich der Senat an dem Bericht der Steuerfahndung vom 26.1.2004 und der dort vorgenommen Schätzung zu den in den Streitjahren nicht versteuerten Mehreinnahmen orientiert (Tz. 13.1.2. des Berichts, S. 28). Dieser Schätzung zufolge entfielen 1996 bis 1998 etwa 35 v.H. der Mehreinnahmen der GmbH auf Barentnahmen der Gesellschafter (Mehreinnahmen: 1.851.000,00 DM; davon Barentnahmen: 651.904,00 DM) bzw. auf verdeckte Gewinnausschüttungen zu deren Gunsten (s. Anlage 7 zum Bericht der Steuerfahndung vom 26.1.2004). 40 v.H. dieser Barentnahmen sind dem Antragsteller zugerechnet worden (255.464,00 DM von 651.904,00 DM). Dementsprechend sind ihm 14 v.H. (40 v.H. von 35 v.H.) der festgesetzten Körperschaftsteuer zuzurechnen, also 20.081 EUR (14 v.H. von 143.432,71 EUR).

c) Eine Sicherheitsleistung wird insoweit nicht verlangt, da der Senat eine Gefährdung des Steueranspruchs nicht zu erkennen vermag. Es wäre Sache des Finanzamts gewesen, entsprechende Gesichtspunkte vorzutragen und glaubhaft zu machen (BFH-Beschluss vom 10.10.2002, VII S 28/01, BFH/NV 2003, 12).

4.

Im Übrigen bestehen nach den Unterlagen, die dem Gericht vorliegen, keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides. Dabei stützt sich das Gericht vor allem auf die - eingangs wiedergegebene - Begründung des Antragsgegners zu dem Bescheid vom 24.7.2006, mit dem der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung unter Bezugnahme auf den Bericht der Steuerfahndung abgelehnt worden ist. Insbesondere mit der Darlegung, dem Antragsteller seien nachweislich Gelder in einer Größenordnung zugeflossen, die der "offiziellen" Buchführung zufolge nicht auszahlbar gewesen seien, hätte sich der Antragsteller zur Begründung seines Aussetzungsbegehren eingehend auseinandersetzen müssen. Das schlichte Bestreiten des vom Antragsgegner dargelegten und glaubhaft gemachten Sachverhalts genügt insoweit nicht. Eine im Hinblick auf die Höhe der Haftung zu berücksichtigende Überschuldung der GmbH hat der Antragsteller ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Schließlich verstößt die Inanspruchnahme eines Steuerpflichtigen durch Haftungsbescheid wegen Steuerhinterziehung nach § 71 AO durch das Finanzamt auch nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Es handelt sich um ein abgabenrechtliches Verfahren, das eine Haftung auf Schadenersatz begründet, keine strafrechtliche Verurteilung. Zuständig sind die Finanzbehörde und (gegebenenfalls) das Finanzgericht.

5.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO und §§ 115 Abs. 2 i.V.m 128 Abs. 3 FGO.



Ende der Entscheidung

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