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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 10.05.2007
Aktenzeichen: 10 K 4132/05
Rechtsgebiete: EStG, AufenthG, GG, BKGG


Vorschriften:

EStG § 52 Abs. 61a S. 2
EStG § 62 Abs. 2 a.F.
AufenthG § 23 Abs. 1
AufenthG § 23a
AufenthG § 24
AufenthG § 25 Abs. 3
AufenthG § 25 Abs. 4
AufenthG § 25 Abs. 5
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 1
BKGG § 1 Abs. 3 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 K 4132/05

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 28.12.2004 und der Einspruchsentscheidung vom 29.09.2005 verpflichtet, für die Kinder der Klägerin für die Monate von Dezember 2000 bis Dezember 2003 mit Ausnahme der Monate Mai 2002 bis Oktober 2003 Kindergeld zu gewähren.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Kindergeld für ihre Kinder

D, geboren am 19.01.1996

M, geboren am 03.04.1997

und H, geboren am 25.04.1999

zusteht.

Die Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige. Sie ist - nach Auskunft der Stadt B -seit dem 21.03.1995 im Besitz einer Duldung und seit dem 23.02.2000 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 31 Ausländergesetz gewesen. Sie hat nunmehr, wie sich aus dem Aufenthaltstitel vom 12.10.2005 ergibt, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz bis zum 12.10.2007.

Mit Bescheid vom 28.12.2004 wurde der Antrag der Klägerin vom 02.12.2004 auf Festsetzung von Kindergeld abgewiesen.

Der hierauf erhobene Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 29.09.2005, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, zurückgewiesen.

Hierauf hat die Klägerin Klage erhoben.

Zur Klagebegründung trägt die Klägerin vor, die Klage stütze sich in erster Linie auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004, 1 BvI 4/97, mit der die Regelung im Bundeskindergeldgesetz, die mit der hier einschlägigen Regelung des Einkommensteuergesetzes inhaltlich identisch sei, für verfassungswidrig erklärt worden sei.

Das Bundesverfassungsgericht habe in den zitierten Entscheidungen bestimmt, sofern bis zum 01.01.2006 keine verfassungskonforme Neuregelung getroffen worden sei, für alle noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren das Bundeskindergeldgesetz in der Fassung gültig bis zum 31.12.1993 anzuwenden sei. Diese Frist habe der Gesetzgeber verstreichen lassen.

Das Gericht sei nicht gehalten, nach Art. 1000 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 62 EStG gegen die Verfassung verstoße. Denn wenn das Bundesverfassungsgericht zu einer vergleichbaren Rechtsvorschrift bereits eine Entscheidung getroffen habe, könnten die Instanzgerichte diese Entscheidung in eigener Entscheidungskompetenz auf die andere Rechtsnorm übertragen. Insoweit werde auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts Az. 16 K 12/04 und die dort in Bezug genommene Entscheidung des BFH vom 01.06.2004 IX R 35/04 verwiesen.

Die Neufassung zum Kindergeld entspreche im Übrigen nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung festgestellt, dass es verfassungswidrig sei, die Kindergeldgewährung bei Ausländern von einer Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen, wenn davon auszugehen sei, dass die Ausländer sich voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten dürften.

Diese Voraussetzung liege in ihrer Person vor. Sie habe seit langem eine Aufenthaltsbefugnis, da ihr Ehemann an einer Nierenerkrankung leide, die in seinem Heimatland nicht behandelt werden könne. Er sei Dialysepatient. In so einem Fall könne mit dem Wegfall eines Ausreisehindernisses dauerhaft nicht gerechnet werden. Es seien keinerlei Anhaltspunkte vorhanden, die die Annahme rechtfertigten, dass ihr und ihrem Ehemann zukünftig die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Form der alten Aufenthaltsbefugnis verweigert werden könne.

Auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom 25.10.2005 werde Bezug genommen.

Sie habe Anspruch auf Nachzahlung des ihr zustehenden Kindergeldes für vier Jahre ab Antragstellung, begrenzt durch die letzte rechtskräftige Entscheidung. Diese sei im November 2000 ergangen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28.12.2004 und der Einspruchsentscheidung vom 29.09.2005 zu verpflichten, ihr Kindergeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit von Dezember 2000 bis Dezember 2004, mit Ausnahme der erledigten Monate, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, die Klägerin habe die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG nicht erfüllt, da sie lediglich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz habe. Das Bundesverfassungsgericht habe sich nur zu den Regelungen des Bundeskindergeldgesetzes geäußert. Auch die Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts 16 K 12/04 sei nicht einschlägig. Danach erhielten Ausländer ohne Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis dann Kindergeld, wenn ein Abschiebungshindernis nach §§ 51, 53 oder 54 Ausländergesetz vorliege. Bei der Klägerin seien solche Abschiebungshindernisse nicht nachgewiesen.

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mitgeteilt, es werde um Vortrag bzw. um Vorlage geeigneter Nachweise dafür gebeten, ob die Klägerin im Streitzeitraum berechtigt erwerbstätig gewesen sei oder sonst die weiteren Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 b EStG in ihrer Person vorgelegen hätten.

Nach derzeitiger Weisungslage könne lediglich für Zeiten Kindergeld festgesetzt werden, in denen der Antragsteller eine sozialversicherungspflichtige Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeübt habe. Hinsichtlich der Tätigkeiten beim G-Dienst und beim Hotel L in der Stadt N werde um Übersendung der Arbeitsverträge gebeten, damit festgestellt werden könne, ob es sich um eine Vollzeiterwerbstätigkeit gehandelt habe.

Das Gericht hat die Klägerin gebeten, die vom Beklagten erbetenen Unterlagen zu übersenden.

Hierzu teilte die Klägerin mit, es könnten nicht für alle Beschäftigungszeiten Belege vorgelegt werden. Dieser Umstand könne nicht zu ihren Lasten gewertet werden. Denn sie habe vor Jahren nicht wissen können, dass es für ihren Anspruch auf Kindergeld einmal auf Nachweise, in welchem Umfang sie zum Beispiel auch geringfügig beschäftigt gewesen sei, ankommen werde

Sie sei im Jahr 2000 erstmals erwerbstätig gewesen. Sie habe als Reinigungskraft für die Firma P in der Stadt O gearbeitet. Verdienstabrechnungen habe sie nicht erhalten. Das Entgelt für ihre Tätigkeit zwei Stunden täglich von Montags bis Freitags sei auf ihr Konto überwiesen worden. Sie habe dort von Oktober 2000 bis Februar 2001 gearbeitet.

Sie habe von der Versicherungsanstalt S einen Versicherungsverlauf erhalten, der als Anlage A1 beigefügt sei. Dort sei eine weitere Beschäftigungszeit als geringfügig Tätige notiert für den Zeitraum 01.02. bis 16.05.2001.

Im Anschluss daran habe sie bei der Firma G-Dienst in der Stadt O im Zeitraum 17.05.01 bis Februar 2002 gearbeitet. Zum Nachweis werde als Anlage A2 die Verdienstabrechnung vom Februar 2002 in der das Eintrittsdatum aufgeführt sei, vorgelegt.

Vom 15.03. bis 02.05.2002 habe sie im Hotel L in der Stadt N gearbeitet. Zum Nachweis werde als Anlage A3 die Verdienstabrechnung für Mai, die Eintritts- und Austrittsdatum enthalte, eingereicht.

Vom 05. bis 26.11.2003 sei sie bei der Firma R tätig gewesen, was durch die Meldung zur Sozialversicherung Anlage A5 nachgewiesen werde.

Danach habe sie für die Firma Z in der Zeit vom 27.11. bis 21.12.2003 gearbeitet, wie sich aus der Anlage A6 ergebe.

Nach dem Gesetz sei im Übrigen Voraussetzung nur eine rechtmäßige Erwerbstätigkeit. Von einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeittätigkeit rede das Gesetz nicht. Im übrigen ergebe sich der Umfang der Beschäftigung aus den vorgelegten Verdienstbescheinigungen, jedenfalls für die Beschäftigung bei G-Dienst. Denn diese enthielten Angaben zum Stundenlohn, so dass eine Rückrechnung vorgenommen werden könne.

Auf Grund der übersandten Nachweise über rechtmäßige Vollzeiterwerbstätigkeiten hat die Beklagte sich in der mündlichen Verhandlung verpflichtet, der Klägerin für die Zeit Mai 2002 bis Oktober 2003 und von Januar bis Dezember 2004 Kindergeld zu gewähren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist insgesamt zulässig und begründet. Der Klägerin steht das beantragte Kindergeld zu, weil die Ausweisung der Klägerin auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und sie sich seit über einem Jahr geduldet in der BRD aufhält.

I. Die Kindergeldberechtigung der Klägerin ergibt sich aus § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996, der vor dem Hintergrund des BVerfG-Beschlussesvom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entgegen seinem Wortlaut einschränkend dahin auszulegen ist, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.

1. Entgegen den Ausführungen des BFH in dem zur Veröffentlichung bestimmtenUrteil vom 15. März 2007 III R 93/03 (auf der Homepage des BFH erschienen am 9. Mai 2007) lehnt der erkennende Senat die Anwendung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG vom 13. Dezember 2006 auf den Streitfall ab, weil er deren Erstreckung auf Altfälle durch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG für verfassungsrechtlich unzulässig hält.

a) Gemäß § 62 Abs. 2 EStG, der durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (AuslAnsprG - BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) an die Systematik der Aufenthaltstitel nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (AufenthG - BGBl I 2004, 1950) angepasst worden ist, hängt die Kindergeldberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern, denen lediglich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt worden ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG) davon ab, dass sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG).

b) Die Regelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten, erfasst aber darüber hinaus alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld - wie auch im Streitfall - noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG). Wegen der Anknüpfung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG an die Aufenthaltstitel nach den AufenthG einerseits und wegen der rückwirkenden Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005 verwirklichte Sachverhalte (Altfälle) andererseits, in denen sich die Aufenthaltstitel noch nach dem AuslG richteten, müsste nach dieser Regelung für Altfälle jeweils geklärt werden, inwieweit die Aufenthaltsrechte nach dem AuslG 1990 den in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstiteln entsprechen (BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, zur Veröffentlichung bestimmt, Homepage des BFH vom 9. Mai 2007 für einen geduldeten Aufenthalt in der BRD seit 1992 betreffend Kindergeld für die Monate von Juli 1997 bis Juli 1999). Ein Aufenthalt aufgrund einer Duldung berechtigte danach nicht zum Bezug von Kindergeld; bei einer bloßen Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen hinge die Kindergeldberechtigung in aller Regel davon ab, ob sich der Ausländer seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufgehalten hat und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig war bzw. laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen hat.

c) Danach müsste die Kindergeldberechtigung im Streitfall versagt und die Klage abgewiesen werden. Der erkennende Senat wendet die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG vom 13. Dezember 2006 jedoch nicht auf den Streitfall an.

aa) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entschieden, dass § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2353), durch den Ausländer von Kindergeld ausgeschlossen wurden, die lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis waren, mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Ausländer ihren ausländerrechtlichen Status nicht beeinflussen könnten, befand das BVerfG, dass eine an der Art des Aufenthaltstitels ausgerichtete Differenzierung zwischen ausländischen Eltern nicht durch Gründe von hinreichendem Gewicht gerechtfertigt sei. Denn der Gesetzgeber dürfe bei der Bestimmung der Art und Weise des Familienleistungsausgleichs nicht allein aus fiskalischen Erwägungen eine Gruppe von Personen, gegenüber denen der Staat aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich zu einem Ausgleich verpflichtet sei, von einer bestimmten Leistung ausschließen, die anderen gewährt werde. Bei Ausländern, die legal in Deutschland lebten, sei unabhängig von der Art des Aufenthaltstitels zu berücksichtigen, dass sie - wie auch Deutsche - in gleicher Weise durch die persönlichen und finanziellen Aufwendungen bei der Kindererziehung belastet seien. Soweit es Ziel der gesetzlichen Neuregelung gewesen sei, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, die sich auf Dauer in Deutschland aufhalten, sei die Regelung ungeeignet, dieses Ziel zu erreichen, weil einerseits diejenigen, die über eine Aufenthaltsbefugnis verfügten, sich nicht typischerweise nur kurzfristig in Deutschland aufhielten, andererseits eine Aufenthaltserlaubnis auch befristet bei kurzfristigem Aufenthalt erteilt werde. Ebenso hat der EuGHMR mit Urteil vom 25. Oktober 2005 in der Sache 59140/00 (DStR 2006, 1404 , BFH/NV 2006, Beilage 3, 357) entschieden, dass der Ausschluss von im Inland lebenden Ausländern ohne Aufenthaltsberechtigung vom deutschen Kindergeld gegen das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt.

bb) Das BVerfG hat dem Gesetzgeber in seinem o. a. Beschluss vom 6. Juli 2004 eine Frist bis zum 1. Januar 2006 gesetzt, die verfassungswidrige Norm durch eine Neuregelung zu ersetzen. Andernfalls sollte auf alle noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren das bis zum 31. Dezember 1993 geltende Recht anzuwenden sein, d.h., das BKGG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I 1990, 1354). Nach dieser Regelung haben Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in der BRD aufhalten, einen Kindergeldanspruch, wenn sie nach den §§ 51, 53 und 54 AuslG auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können, frühestens jedoch für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr.

cc) Vor diesem Hintergrund teilt der erkennende Senat nicht die Auffassung des III. Senats des BFH, der sowohl die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG als auch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG über die rückwirkende Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005 verwirklichte Sachverhalte (Altfälle) für verfassungsrechtlich unbedenklich hält (BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, a.a.O.).

aaa) Die Anordnung einer derartigen Rückwirkung auch auf Altfälle ist weder verfassungsgemäß noch entspricht sie dem Grundsatz der gegenseitigen Achtung von Verfassungsorganen. Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber in seinemBeschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) einen klaren, bis zum 1. Januar 2006 befristeten Regelungsauftrag erteilt und die Nichterfüllung dieses Auftrags mit der Anordnung der Anwendbarkeit des bis zum 31. Dezember 1993 gültigen Rechts sanktioniert. Daraus ergibt sich, dass sämtliche offenen Altfälle ab Januar 2006 entscheidungsreif waren, da der Gesetzgeber den verfassungsgerichtlichen Regelungsauftrag ignoriert hat. In einer Vielzahl der offenen Fälle hätte deshalb das Kindergeld auf der Grundlage des bis 1993 gültigen Rechts gewährt werden müssen, wenn die Gerichte dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot entsprochen hätten. Der erkennende Senat hat - wie viele andere Finanzgerichte und der BFH - von einer Entscheidung der Fälle nur deshalb abgesehen, weil die beklagte Behörde immer wieder um ein Zuwarten mit der Entscheidung im Hinblick auf die zu erwartende Neuregelung gebeten hatte. Wenn der Gesetzgeber es in einer solchen Situation in der Hand hätte, durch eine rückwirkende Anwendungsregelung eines verspätet erlassenen Gesetzes den klaren Sanktionsausspruch des Verfassungsgerichts zu umgehen, hätte dies zur Konsequenz, dass Kindergeld in allen Fällen hätte gewährt werden müssen, in denen die Gerichte sogleich unter Beachtung des Beschleunigungsgebotes entschieden hätten, während es in allen anderen Fällen, in denen die Gerichte im Vertrauen auf die zu erwartende Neuregelung gewartet hätten, nicht zu gewähren wäre. Eine derart unterschiedliche Behandlung gleicher Tatbestände hält der erkennende Senat für verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar.

bbb) Darüber hinaus hält der erkennende Senat auch die Neuregelung selbst für nicht verfassungsgemäß. Insoweit wird Bezug genommen auf die zur Veröffentlichung bestimmten Vorlagebeschlüsse betreffend das Kindergeld für die Monate ab Januar 2005 in den Sachen 10 K 1689/07 und 10 K 1690/07 vom heutigen Tage.

ccc) Die rückwirkende Anwendung der Neuregelung ist auch nicht aufgrund der Verwerfungskompetenz des BVerfG gemäß Art. 100 GG geboten. Ein unterinstanzliches Gericht kann einer für verfassungswidrig gehaltenen Norm in eigener Zuständigkeit die Anwendung versagen, wenn das BVerfG bereits eine Entscheidung zu einer vergleichbaren Rechtsvorschrift getroffen hat (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/04, BStBl II 2005, 26; Niedersächsisches FG, Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04, EFG 2006, 751). Dies muss auch gelten, wenn der Gesetzgeber eine verfassungsgerichtliche Regelungsfrist dadurch umgeht, dass er den Anwendungsbereich einer Neuregelung auf bereits abgeschlossene Sachverhalte vorverlagert.

2. Aus diesem Grund richtet sich die Kindergeldberechtigung der Klägerin im Streitfall für die Monate bis einschließlich Dezember 2004 nach § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996. Nach dieser Vorschrift hing der Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld davon ab, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG 1990) oder Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG 1990) war. Eine Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29 AuslG 1990), Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG 1990) oder eine Duldung (§§ 55, 56 AuslG 1990) reichte nicht aus. Entgegen ihrem Wortlaut ist die Vorschrift allerdings einschränkend dahin auszulegen, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung für nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten (Anschluss an das Urteil des Niedersächsischen FG vom 23. Januar 2006 16 K 12/04, EFG 2006, 751).

a) Die Erwägungen, aus denen das BVerfG § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG i. d. F. des 1. SKWPG vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2353), durch den wegen der Anknüpfung an den Aufenthaltstitel Ausländer vom Kindergeld ausgeschlossen wurden, die lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis waren, für verfassungswidrig erklärt hat(Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114; s.o. 1. c aa), treffen wegen der Identität der Tatbestandsmerkmale in gleicher Weise auf § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG i. d. F. des JStG 1996 zu (ebenso die Gesetzesbegründung der Neuregelung vom 13. Dezember 2006, BT-Drucks. 16/1368, S. 8; ferner BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, a.a.O.). Deshalb ist es unerheblich, dass die Regelung aufgrund der Systemänderung durch das JStG 1996 nunmehr in § 62 EStG eingebettet wurde. § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996 verstößt ebenso gegen Art. 3 Abs. 1 GG wie § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der Fassung vom 21. Dezember 1993. Aus diesem Grund ist § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996 entsprechend dem Entscheidungsausspruch des BVerfG entgegen seinem Wohnort einschränkend dahin auszulegen, dass ausländischen Eltern, die sich ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalten, Kindergeld zu gewähren ist, wenn sie nach den §§ 51, 53 und 54 AuslG auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können, dies allerdings frühestens für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr (so bereits Niedersächsisches FG, Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04, EFG 2006, 751).

b) Wie bereits das Niedersächsische FG a.a.O. ist auch der erkennende Senat der Auffassung, keine Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG darüber einzuholen zu müssen, ob die Vorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Denn wenn das BVerfG bereits eine Entscheidung zu einer vergleichbaren Rechtsvorschrift getroffen hat (im Streitfall zu § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG), kann das unterinstanzliche Gericht diese Entscheidung in eigener Entscheidungszuständigkeit auf die andere Rechtsnorm übertragen (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/04, BStBl II 2005, 26).

3. Danach war das Kindergeld im Streitfall wie beantragt zu gewähren, weil die Klägerin, die sich seit 1995 bis auf den heutigen Tag ununterbrochen in der BRD aufhält, trotz ihrer bloßen Duldung unstreitig jedenfalls faktisch auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden konnte und ihr Aufenthalt im Jahr 2000 bereits über mehrere Jahre andauerte.

4. Im Streitfall war die Verpflichtung der beklagten Behörde auszusprechen, das Kindergeld für die Monate Dezember 2000 bis April 2002 und November 2003 bis Dezember 2003 zu gewähren.

a) Zwar hat der BFH im Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04 (BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184) den Standpunkt vertreten, dass mit einer Klage gegen einen das Kindergeld ablehnenden Bescheid neben der Aufhebung der Ablehnungsentscheidung grundsätzlich lediglich eine Verpflichtung der Familienkasse zur erneuten Bescheidung des Kindergeldantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erreicht werden kann (Bescheidungsurteil). Eine Verpflichtung zur Festsetzung von Kindergeld sei nur möglich, wenn nach der für den Streitfall maßgeblichen Sach- und Rechtslage der Anspruch auf den Erlass des begehrten Verwaltungsakts bestehe. Die Behörde habe aber die Sach- und Rechtslage in den Monaten nach ihrer letzten Entscheidung naturgemäß noch nicht prüfen können. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktion auszuüben und von der Verwaltung bisher noch nicht geprüfte Sachverhalte aufzugreifen und durch eigene Ermittlungen zu klären, damit dem Kläger keine außergerichtliche Instanz genommen werde.

b) Diese Sorge teilt der erkennende Senat jedoch zumindest in den Fällen nicht, in denen die Kinder minderjährig sind, ihr Wohnsitz im Haushalt der Eltern und damit im Inland unstreitig ist und auch sonst keine Zweifel an der Kindergeldberechtigung bestehen. Denn unter diesen Voraussetzungen ist der Kindergeldanspruch - wie auch im Streitfall - ohne weiteres zu bejahen, sodass die Sache spruchreif ist und die Verpflichtung zur Festsetzung des begehrten Kindergelds ausgesprochen werden kann.

c) Etwas anderes gilt allerdings nach der völligen Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG durch Art. 2 des AuslAnsprG vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) für die zunächst vom Klageantrag mitumfassten Monate ab Januar 2005. Da das Gesetz in seiner Neufassung zum einen dem BVerfG noch nicht zur Prüfung vorgelegen hat und es sich zum anderen wegen des ab Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetz hinsichtlich dieser Monate auch nicht um einen Altfall handelt, für den die verfassungsrechtlichen Bedenken des Senats betreffend die Anwendungsregelung eingreifen, sieht sich der erkennende Senat an einer Gewährung von Kindergeld ohne vorherige Einholung einer Entscheidung des BVerfG gehindert. Er hat deshalb das Verfahren auf Gewährung von Kindergeld für die Monate ab Januar 2005 abgetrennt und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt (vgl. FG Köln, Vorlagebeschluss vom 9. Mai 2005 10 K 1690/07, zur Veröffentlichung bestimmt).

II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Die Revision wird sowohl wegen grundsätzlicher Bedeutung als auch wegen Abweichung von dem BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03 (a.a.O.) zugelassen.

Ende der Entscheidung

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