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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 07.06.2006
Aktenzeichen: 10 K 4546/05
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 356 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Der Kläger bezog Kindergeld für seine am 10.10.1981 geborene Tochter N. Diese befand sich bis zum 31.07.2004 in der Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten.

Mit Bescheid vom 16.08.2004 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes ab dem Monat Januar 2004 auf. Zur Begründung gab sie an, das Kind sei im Kalenderjahr 2004 von Januar bis Juli in Ausbildung. Das Einkommen in dieser Zeit übersteige voraussichtlich den anteiligen Grenzbetrag von 4.480,- EUR (7/12 aus 7.680,- EUR).

Auf dem Bescheid findet sich hinter der Rechtsbehelfsbelehrung folgende Anmerkung:

"Wichtiger Hinweis:

Falls nach Ablauf des Jahres feststeht, dass die Einkünfte und Bezüge Ihres Kindes den Grenzbetrag nicht überschritten haben, können sie einen erneuten Antrag auf Festsetzung des Kindergeldes stellen".

Mit Schreiben vom 23.08.2005 wandte sich der Kläger an die Beklagte. Er teilte mit, aufgrund der neuen Rechtslage seien beim anzurechnenden Einkommen auch die Gesamtbeiträge zur Sozialversicherung zu berücksichtigen. Da die Tochter N nunmehr gemäß der beigefügten Anlage (inklusive der Entgeltnachweise Januar bis Juli 2004) die maßgebliche Einkommensgrenze für das Jahr 2004 unterschreite, beantrage er hiermit für den Zeitraum 01.01.2004 bis 31.07.2004 die Nachzahlung des Kindergeldes in Höhe von 1.078,- EUR.

Der Kläger hat eine Aufstellung eingereicht, wonach die Einkünfte der Tochter N im betreffenden Zeitraum 4.128,70 EUR betragen.

Mit Bescheid vom 23.09.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, der Antrag werde als Antrag auf rückwirkende Neufestsetzung angesehen. Eine Änderung des Aufhebungsbescheids vom 16.08.2004 könne jedoch nicht erfolgen. Der Bescheid vom 16.08.2004 sei mangels Einspruchs bestandskräftig geworden. Dies bedeute, dass die Familienkasse an die getroffene Entscheidung gebunden sei.

Gegen diesen Bescheid vom 23.09.2005 legte der Kläger mit Schreiben vom 11.10.2005 Einspruch ein. Zur Begründung verwies er auf den "besonderen Hinweis" in dem Bescheid vom 16.08.2004.

Mit Einspruchsentscheidung vom 02.11.2005, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wurde dieser Einspruch zurückgewiesen.

Hierauf hat der Kläger Klage erhoben.

Zur Begründung trägt er vor, in der Begründung des Beklagten werde u.a. ausgeführt, dass der Aufhebungsbescheid vom 16.08.2004 nicht bzw. erfolglos mit dem Einspruch angefochten worden sei. Da dieser Bescheid darauf abgezielt habe, dass die Tochter die maßgebliche Einkommensgrenze nicht unterschreiten werde, sei für ihn dies nachvollziehbar gewesen. Darum habe er zum damaligen Zeitpunkt einen Einspruch nicht als notwendig erachtet, da im besagten Bescheid ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass, sofern sich im Folgejahr ergebe, dass die Tochter die Einkommensgrenze unterschreite, erneut Kindergeld beantragt werden könne.

Nach der Aussage des Beklagten hätte der Bescheid vom 16.08.2004 grundsätzlich angefochten werden müssen, um eventuell im Nachhinein bei Nachweis der Voraussetzungen eine rückwirkende Gewährung des Kindergelds zu beantragen. Diesem Sachverhalt könne die Rechtsprechung nicht folgen, da sich hier eine Institution durch die Rechtsunsicherheit bzw. Unwissenheit eines einzelnen einen Vorteil verschaffe, um eine spätere Geltendmachung von Ansprüchen abzulehnen. Hier müsse dem Kindergeldberechtigten die Möglichkeit gegeben werden, dass er sich auf die Aussage im Bescheid vom 16.08.2004 "Sofern die Einkommensgrenze unterschritten wird, kann erneut Kindergeld beantragt werden", verlassen könne.

Der Bescheid vom 16.08.2004 habe nur der Irreführung der Kindergeldberechtigten gedient. Die Aussage in diesem Bescheid unter dem Punkt "Wichtiger Hinweis" habe nur darauf abgezielt, den Kindergeldberechtigten zu täuschen und in dem Glauben zu lassen, dass ein Einspruch gegen den Bescheid vom 16.08.2004 nicht erforderlich sei.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihm Kindergeld für Januar bis Juli 2004 für das Kind N zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt sie vor, auch negative Prognoseentscheidungen entfalteten bis einschließlich des Bekanntgabemonats Bestandskraft. Eine Korrektur nach § 70 Abs. 4 EStG aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts sei ebenfalls nicht möglich, weil eine Änderung der Rechtsauffassung durch die Rechtsprechung kein nachträgliches Bekannt werden im Sinne dieser Vorschrift sei.

Es liege keine Prognoseentscheidung vor, da der Bescheid nach Abschluss der Ausbildung ergangen sei.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger das beantragte Kindergeld zu gewähren.

Im Streitfall kann dahinstehen, ob der Ablehnungsbescheid vom 16.08.2004 trotz bereits erfolgter Beendigung der Ausbildung noch als Prognoseentscheidung anzusehen und unter welchen Voraussetzungen er im Bejahensfalle abänderbar war.

Denn falls eine Änderungsmöglichkeit nicht bestehen sollte, wäre der der Rechtsbehelfsbelehrung beigefügte "wichtige Hinweis" eine unzutreffende Belehrung gewesen, derzufolge die Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen begonnen hätte. Denn es wäre damit der Eindruck erweckt worden, der Kläger könne untätig bleiben, ohne Rechtsnachteile befürchten zu müssen (BFH-Urteil vom vom 1. März 2000, Az: VI R 32/99, BFH/NV 2000, 1083 und BFH-Urteil vom 19. September 1997 VI R 273/94, BFH/NV 1998, 592).

Auch der Ablauf der Jahresfrist gem. § 356 Abs 2 AO ist im Streitfall unschädlich, da ein Fall der höhreren Gewalt vorliegt. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 8. Februar 2001, Az: VII R 59/99, BStBl II 2001, 506) ist höhere Gewalt nämlich auch dann anzunehmen, wenn die Fristversäumnis auf das rechtswidrige Verhalten der Behörde zurückgeführt werden kann und der Beteiligte das unsachgemäße Verhalten der Behörde trotz aller ihm zumutbaren Anstrengungen nicht erkennen konnte.

Das Klagebegehren ist auch in der Sache begründet.

Nach der vom Kläger eingereichten und vom Beklagten nicht bestrittenen Aufstellung haben die Einkünfte der Tochter N im betreffenden Zeitraum 4.128,70 EUR betragen. Sie haben damit den anteiligen Grenzbetrag von 4.480,- EUR nicht überschritten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war zuzulassen, weil die Frage, in welchen Fällen die von den Familienkassen oftmals beigefügten Zusätze zur Rechtsbehelfsbelehrung den Anlauf der regulären Rechtsbehelfsfrist hindern, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Ende der Entscheidung

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