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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 18.01.2006
Aktenzeichen: 11 K 2199/05
Rechtsgebiete: AO, InsO


Vorschriften:

InsO § 208
AO § 218
InsO § 96 Abs 1 Nr 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit einer vom Beklagten während des laufenden Insolvenzverfahrens erklärten Aufrechnung rückständiger Umsatzsteuer mit einem Vorsteuerguthaben.

Am ...2002 wurde über das Vermögen der ...-Betriebs GmbH (GmbH) das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Kläger ernannt. Dieser zeigte am ...2002 gemäß § 208 Insolvenzordnung (InsO) die Masseunzulänglichkeit an.

Im Laufe des Jahres 2003 verwertete der Kläger mehrere Gegenstände aus der Masse, was zu einer Umsatzsteuerschuld 2003 i.H.v. 4.094,68 EUR führte. Ferner entstanden Lohnsteuerverbindlichkeiten der Masse für die Monate Januar bis März 2003 i.H.v. 5.180,43 EUR. Mit Rechnung vom ...2004 rechnete der Kläger seine Insolvenzverwaltervergütung ab und wies Umsatzsteuer i.H.v. 3.178,08 EUR gesondert aus. Diese machte er als Insolvenzverwalter der GmbH in der Umsatzsteuer-Voranmeldung 2. Quartal 2004 vom ...2004 als Vorsteuer geltend. Mangels weiterer umsatzsteuerrelevanter Vorgänge ergab sich aus dieser Voranmeldung ein Überschuss i.H.v. 3.178,08 EUR. Mit Erklärung vom ...2004 rechnete der Beklagte mit der vorgenannten Umsatzsteuerschuld (Gegenforderung) gegen diesen Überschuss (Hauptforderung) auf. Der Kläger beanstandete dies gegenüber dem Beklagten als unzulässig. Daraufhin erließ der Beklagte am ...2004 einen Abrechnungsbescheid gem. § 218 Abgabenordnung (AO) für Umsatzsteuer 2. Quartal 2004 und ermittelte aufgrund der erfolgten Aufrechnung einen noch zu erstattenden Betrag von 0,00 EUR.

Gegen den Abrechnungsbescheid vom ...2004 legte der Kläger Einspruch ein (Einspruchsentscheidung vom ...2005).

Der Kläger teilte dem Beklagten mit Schriftsatz vom 10.01.2005 mit, dass auf die (Neu-) Masseverbindlichkeiten gegenüber dem Beklagten i.H.v. 9.275,11 EUR eine Quote von 46,6 %, also 4.322,20 EUR, gezahlt werden könne. Hiervon sei die Umsatzsteuererstattung für das 2. Quartal 2004 i.H.v. 3.178,08 EUR abzusetzen. Der Differenzbetrag von 1.144,12 EUR sei überwiesen worden. Dem widersprach der Beklagte mit Schriftsatz vom 28.01.2005 und bestritt, dass ein Erstattungsanspruch des Klägers i.H.v. 3.178,08 EUR noch bestehe.

Am ...2005 wurde das Insolvenzverfahren abgeschlossen.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchentscheidung vom ...2005 als unbegründet zurück. Mit seiner hiergegen erhobenen Klage macht der Kläger geltend, dass die Aufrechnung des Beklagten unzulässig sei. Nach sinngemäßer Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf die Anzeige der Masseunzulänglichkeit sei eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Massegläubiger erst nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit etwas zur Neumasse schuldig werde. Diese Regelung gelte auch dann, wenn gegen eine solche Forderung der (Neu-) Masse mit einem nach Anzeige erworbenen Anspruch gegen die (Neu-) Masse aufgerechnet werde. Zwar werde im Normalfall des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Aufrechnung dann für zulässig erachtet, wenn der Gläubiger mit einer Forderung, die er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt habe, aufrechne. Dieser Massegläubiger werde nämlich gemäß § 53 InsO vorweg befriedigt. Eine Ausnahme und damit wiederum ein Aufrechnungsverbot werde aber angenommen, wenn die Masse nicht zur Befriedigung aller Massegläubiger reiche. Übertragen auf die sinngemäße Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf die Anzeige der Masseunzulänglichkeit bedeute dies, dass zwar grundsätzlich eine Aufrechnung des Neumassegläubigers gegen eine Forderung der Neumasse zulässig sei. Dies gelte aber dann nicht, wenn - wie im Streitfall - die Neumasse nicht zur vollen Befriedigung aller Neumassegläubiger ausreiche. Hier bestehe allenfalls eine Aufrechnungsmöglichkeit in Höhe der zugeteilten Quote. Bei Bestandskraft der angefochtenen Bescheide würde der Beklagte zu Lasten aller anderen Neumassegläubiger zumindest in Höhe des aufgerechneten Betrages eine Befriedigung seiner Forderung zu 100 v.H. erreichen. Um dies zu verhindern, sei hier in entsprechender Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ein Aufrechnungsverbot notwendig. So habe auch der BFH im Urteil vom 01.08.2000 (VII R 31/99, BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323), damals noch zur Konkursordnung (KO), ein Aufrechnungsverbot bei Masseunzulänglichkeit bejaht. Etwas anderes könne der Beklagte auch nicht aus der Vorschrift des § 210 InsO ableiten. Danach bestehe bei angezeigter Masseunzulänglichkeit zwar für Altmasseverbindlichkeiten, nicht aber für Neumasseverbindlichkeiten, ein Vollstreckungsverbot. Reiche jedoch die Neumasse nicht zur Befriedigung sämtlicher Neumassegläubiger, stehe dem Insolvenzverwalter bei einer Vollstreckung wegen einer Neumasseverbindlichkeit die Vollstreckungsgegenklage zu. Damit werde ein faktischer Vollstreckungsschutz auch für Neumasseverbindlichkeiten erreicht.

Der Kläger beantragt,

den Abrechnungsbescheid vom ...2004 und die Einspruchsentscheidung vom ...2005 abzuändern und für die Umsatzsteuer 2004 eine Erstattung von 3.178,08 festzustellen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Im Streitfall führe § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht, auch nicht sinngemäß angewandt, zur Unzulässigkeit der erfolgten Aufrechnung. Die Aufrechnung eines Neumassegläubigers gegen nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründete Forderungen der (Neu-) Masse sei zulässig. Dafür spreche auch § 210 InsO, der Neumassegläubigern eine Einzelzwangsvollstreckung im Gegensatz zu Altmassegläubigern nicht verbiete. Das von der Klägerseite zitierte BFH-Urteil vom 01.08.2000 sei auf die Situation nach Inkrafttreten der InsO nicht mehr anwendbar. Das Urteil sei zu §§ 60, 53-55 KO ergangen. Vergleiche man § 55 KO mit dem heute geltenden § 96 InsO, ergäben sich aber wesentliche Unterschiede. Während § 60 KO eine Rangfolge der Massegläubiger normiere, an die sich alle Beteiligten halten müssten, ergebe sich aus § 209 InsO, dass hier lediglich dem Insolvenzverwalter gesetzlich vorgegeben werde, wie er zu verfahren habe.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Der Kläger hat die Anfechtungsklage gegen den Abrechnungsbescheid als statthafte Klageart gewählt. Die streitige Aufrechnung stellt keinen Verwaltungsakt dar, so dass Rechtsschutz gegen die vom Beklagten erklärte Aufrechnung vom Kläger zulässigerweise in der Beantragung und Anfechtung des Abrechnungsbescheides (§ 218 AO) gesucht wurde (vgl. Rüsken in Klein, AO, 8. Auflage, § 226 Rz. 5 m.w.N.).

Die Klage ist auch begründet.

Der Abrechnungsbescheid vom ...2004 und die Einspruchsentscheidung vom ...2005 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die vom Beklagten erklärte Aufrechnung war unzulässig. Dies ergibt sich in entsprechender und sinngemäßer Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Nach dieser Vorschrift ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Sie trifft keine Regelungen für die Zulässigkeit der Aufrechnung im Verfahren nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§§ 208 ff. InsO). Ebenso wie bei der dem § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO vergleichbaren Vorschrift des § 55 Nr. 1 KO wird aber überwiegend eine sinngemäße Anwendung auf die Situation nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit befürwortet (Pape/Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 2002, Rn. 637 f.; Kroth in Braun, Insolvenzordnung, 2. Auflage, § 96 Rdn. 9; Uhlenbruck in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Auflage, § 208 Rn. 22; vgl. zu § 55 Nr. 1 KO: BFH-Urteil vom 01.08.2000 VII R 31/99, BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323; BGH-Urteil vom 18.05.1995 IX ZR 189/94, BGHZ 130, 38, NJW 1995, 2783; Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Auflage, § 55 KO Anm. 2 b) mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Auflage, § 55 Rn. 7 g; s.a. § 320 RegE Insolvenzordnung, BT-Drucksache 12/2443 und dazu Uhlenbruck in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Auflage, § 210 Rn. 7).

Danach ist nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Massegläubiger erst nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit etwas zur Neumasse schuldig geworden ist.

Dies gilt, wenn - wie im Streitfall - selbst die Neumasse zur Befriedigung aller Neumassegläubiger nicht ausreicht (Unzulänglichkeit der Neumasse), auch dann, wenn gegen eine solche Forderung der (Neu-) Masse mit einem erst nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erworbenen Anspruch gegen die (Neu-) Masse aufgerechnet wird.

Zwar wird im Normalfall des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Aufrechnung trotzdem für zulässig erachtet, wenn der Gläubiger mit einer Forderung, die er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt hat, aufrechnet. Diesem Massegläubiger ist nämlich durch § 53 InsO eine Vorwegbefriedigung garantiert. Diese Privilegierung des Massegläubigers ist jedoch mit der Folge eines Aufrechnungsverbots dann wieder aufgehoben, wenn die Masse nicht zur Befriedigung aller Massegläubiger reicht (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Auflage, § 55 Rn. 7 g). Ab Anzeige der Masseunzulänglichkeit ergibt sich daraus die zuvor dargelegte sinngemäße Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Übertragen auf die Situation nach dieser Anzeige bedeutet dies, dass trotz der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Aufrechnung des Neumassegläubigers gegen eine Forderung der Neumasse, bei Unzulänglichkeit der Neumasse eine Aufrechnung dennoch unzulässig ist.

Auch ist die Aufrechnung nicht in Höhe der später zugeteilten Quote zulässig. Solange die im Rahmen des § 209 Abs. 1 InsO zu verteilende Quote nicht feststeht, fehlt es an einer für die Aufrechnung notwendigen durchsetzbaren Gegenforderung (vgl. vgl. Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Auflage, § 55 Rn. 7 g).

Dem steht auch nicht die vom Beklagten zitierte Vorschrift des § 210 InsO entgegen. Aus dieser Vorschrift folgt, dass die (Einzelzwangs-) Vollstreckung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (nur) wegen Altmasseverbindlichkeiten i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig ist. Zulässig ist damit die Vollstreckung wegen Neumasseverbindlichkeiten. Soweit die Neumasse jedoch nicht zur vollen Befriedigung aller Neumassegläubiger ausreicht, wird in der vollstreckungsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung eine Vollstreckung nur noch eingeschränkt für möglich erachtet (BGH-Urteil vom 03.04.2003 IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358, NJW 2003, 2454). Entweder wird dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) zur Abwehr einer über die zuzuteilende Quote hinausgehenden Befriedigung zugestanden (Uhlenbruck in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Auflage, § 210 Rn. 5 m.w.N.), oder aber dem Neumassegläubiger wird, solange die Quote noch nicht feststeht, statt einer Leistungsklage nur die Möglichkeit einer Feststellungsklage auf Feststellung des Bestehens der Forderung eröffnet (BGH-Urteil vom 03.04.2003 IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358, NJW 2003, 2454). Der Senat schließt sich in dieser Frage der Meinung des BGH an, wonach jedenfalls in den Fällen, in denen die Quote bei Beginn der Vollstreckung noch nicht feststeht, nur noch die Feststellungsklage auf Bestehen der Forderung des Neumassegläubigers zulässig ist. Reicht die Neumasse nicht zur Befriedigung aller Neumassegläubiger aus und erhalten diese daher im Rahmen der Verteilungsvorgaben des § 209 InsO nur eine Quote zugeteilt, greift der Grundsatz der Gleichbehandlung aller (ranggleichen) Gläubiger im Insolvenzverfahren (§ 1 Abs. 1 InsO). Dies hat zur Folge, dass für Neumassegläubiger mit der Rangordnung des im Streitfall maßgeblichen § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO vermieden werden muss, dass schnellere Neumassegläubiger Vollstreckungsmaßnahmen durchführen und dadurch die auf andere Neumassegläubiger entfallende Quote weiter verringern (vgl. BGH-Urteil vom 03.04.2003 IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358, NJW 2003, 2454). Ist die auf die Neumassegläubiger entfallende Quote noch nicht bekannt, kann der Neumassegläubiger daher nicht auf Leistung klagen, sondern kann nur den Weg über die zuvor erwähnte Feststellungsklage gehen.

Die Unzulässigkeit der Aufrechnung führt dazu, dass der Erstattungsanspruch aufgrund der Umsatzsteuer 2. Quartal 2004 entgegen den Feststellungen im angefochtenen Abrechnungsbescheid im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung noch bestand. Für die gerichtliche Überprüfung von Abrechnungsbescheiden sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (vgl. BFH-Beschluss vom 2.3.1971 VII R 74/68, BStBl II 1971, 498). Daher ist die spätere Entwicklung des Erstattungsanspruchs unerheblich. Die vor Ergehen der Einspruchsentscheidung vom Kläger mit Schriftsatz vom 10.01.2005 erklärte Aufrechnung des Erstattungsanspruchs mit dem dem Beklagten für seine Forderungen an die Neumasse zugeteilten quotalen Anspruch führte nicht zum Erlöschen des Erstattungsanspruchs, da diese ihrerseits unzulässig ist. Nach § 226 Abs. 3 AO kann der Steuerpflichtige nur mit unbestrittenen Ansprüchen aufrechnen. Der Erstattungsanspruch ist aber gerade Gegenstand dieses Klageverfahrens und daher vom Beklagten bestritten.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen, da über die hier relevante, insolvenzrechtlich bedeutsame Rechtsfrage - soweit erkennbar - noch kein oberstes Bundesgericht entschieden hat und der Senat eine solche Entscheidung für notwendig erachtet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO i.V.m. § 709 ZPO.

Ende der Entscheidung

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