Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 17.05.2006
Aktenzeichen: 15 K 1053/06
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 70 Abs 4
AO 1977 § 173 Abs 1 Satz 1 Nr 2
EStG § 32 Abs 4 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Streitig ist das Kindergeld für die Tochter L der Klägerin für den Zeitraum Januar 2003 bis April 2004.

Die am 00.00.1982 geborene Tochter der Klägerin befand sich seit dem 1.9.2002 bis 24.1.2005 in Ausbildung zur Industriekauffrau. Mit Bescheid vom 7.4.2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kindergeld für den Zeitraum 1.1.2004 bis 31.12.2004 ab, da nach der von der Beklagten durchgeführten Prognose die maßgebliche Einkommensgrenze von 7.680 EUR (§ 32 Abs. 4 S. 2 EStG) überschritten werde. Mit weiterem Bescheid vom 4.5.2004 lehnte die Beklagte auch die Festsetzung von Kindergeld für das Jahr 2003 wegen Überschreitung des Jahresgrenzbetrages ab. Mit Schreiben vom 12.12.2005 legte die Klägerin Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 4.5.2004 ein. In diesem Schreiben bat sie zugleich um Überprüfung, ob ihr für das Jahr 2004 ebenfalls noch Kindergeld zustehe.

Die Beklagte lehnte sowohl eine Korrektur des Ablehnungsbescheids vom 4.5.2004 für das Jahr 2003 als auch eine Korrektur für den Zeitraum Januar 2004 bis April 2004 ab (Bescheide vom 19.12.2004 - Bl. 86 - 90 der KiG-Akte). Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 16.1.2006 Einspruch ein. Zur Begründung berief sie sich auf das Urteil des BVerfG vom 11.1.2005. Unstreitig würde die Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge die in § 32 Abs. 4 S. 2 EStG Jahreseinkünftegrenze unterschreiten.

Die Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 6.2.2006 als unbegründet mangels Änderungsnorm zurück.

Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren - Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar 2003 bis April 2004 - weiter. Nach ihrer Ansicht können die Ablehnungsbescheide vom 4.5.2004 und 7.4.2004 nach § 70 Abs. 4 EStG geändert werden. Im vorliegenden Fall seien nachträglich der tatsächliche Anfall und die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge bekannt geworden, die nach der Entscheidung des BVerfG vom 11.1.2005 bei der Berechnung der Einkunftsgrenze zu berücksichtigen seien. Neben der Verpflichtung zur Anpassung der Kindergeldbescheide an die tatsächlichen Verhältnisse ergebe sich die Notwendigkeit der Änderung auch aus Billigkeitsgesichtspunkten.

Weiterhin verweist die Klägerin zur Frage der Abänderbarkeit von bestandskräftigen Bescheiden auf die Entscheidung des EuGH C-453/00. In dieser Entscheidung sei es um die Frage gegangen, ob ein bereits bestandskräftiger Bescheid noch geändert werden könne, wenn sich nachträglich herausstelle, dass er auf rechtlich falschen Grundsätzen basiere. Der EuGH habe entschieden, dass dies unter bestimmten Voraussetzungen der Fall sei. Weiterhin werde auf den Vorlagebeschluss des FG Hamburg, Aktenzeichen IV 138/04, verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 19.12.2005 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 6.2.2006 zu verurteilen, 2.464 EUR (16 Monate à 154 EUR) nebst Zinsen i.H.v. jeweils 5 % Punkten über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Ansicht der Beklagten komme eine Korrektur nach § 70 Abs. 4 EStG nicht in Betracht, da sich lediglich die Berechnung der Einkunftsgrenze aufgrund des Beschlusses des BVerfG geändert habe. Unter Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge hätte die Klägerin zwar einen Anspruch auf Kindergeld für den streitigen Zeitraum gehabt, einer Änderung der Ablehnung stehe aber die Bindungswirkung der bestandskräftigen Ablehnungsbescheide entgegen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist unzulässig, soweit die Klägerin den Antrag gestellt, die Beklagte auf Zahlung von Prozesszinsen zu verurteilen.

Die Zahlung von Prozesszinsen gemäß § 236 AO erfolgt von Amts wegen. Da die Familienkassen ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Prozesszinsen im allgemeinen von sich aus nachkommen, besteht für ein auf Zahlung von Prozesszinsen gerichtetes Leistungsbegehren regelmäßig kein Rechtsschutzinteresse (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juli 1989 IB 44/88, BFH/NV 1990, 247).

II. Die Klage ist im Übrigen teilweise begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum Januar 2004 bis April 2004. Insoweit hindert die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom 7.4.2004 die Gewährung von Kindergeld nicht, da § 70 Abs. 4 EStG eine Änderung des bestandskräftigen Ablehnungsbescheids vom 7.4.2004 ermöglicht. Für das Jahr 2003 steht demgegenüber einer Kindergeldfestsetzung die Bindungswirkung des Bescheids vom 4.5.2004 entgegen. Eine Änderung dieses Bescheids scheidet mangels Korrekturnorm aus.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass materiell rechtlich die Voraussetzungen für ein Kindergeldanspruch für den gesamten Streitzeitraum bei Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge nach § 32 Abs. 4 EStG erfüllt sind.

1. Änderung für das Jahr 2003

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat sich anschließt, kommt einer bestandskräftigen Ablehnung einer Kindergeldfestsetzung Bindungswirkung bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe zu, es sei denn, der Verwaltungsakt enthält eine ausdrückliche Einschränkung des zeitlichen Regelungsbereichs. (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BStBl II 2002, 88; BFH-Urteil vom 8. Januar 2004 VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786). Im vorliegenden Fall kommt daher dem bestandskräftigen Ablehnungsbescheid vom 4.5.2004, der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, mit dem Einspruch jedoch nicht innerhalb der Monatsfrist nach § 355 Abs. 1 AO angefochten wurde, Bindungswirkung bis Dezember 2003 zu. Die Bindungswirkung bestandskräftiger Verwaltungsakte geht der materiellen Gerechtigkeit selbst dann vor, wenn die Ermächtigungsgrundlage wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz verfassungswidrig wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 29. November 2005 IX B 161/05, BFH/NV 2006, 897).

Eine Änderungsmöglichkeit für den bestandskräftigen Bescheid vom 4.5.2004, das Kindergeld für das Jahr 2003 betreffend, ist nicht gegeben.

a. § 70 Abs. 2 EStG

Gemäß § 70 Abs. 2 EStG ist die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eingetreten sind. Die Vorschrift greift nicht, wenn nachträglich festgestellt wird, dass das Recht von Anfang an unrichtig angewandt worden ist (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG Kommentar, § 70 EStG Anm. 13; Pust in Littmann/Bist/Putz Das Einkommensteuerrecht, § 70 Rn. 71f.). Eine fehlerhafte Rechtsanwendung kann daher über § 70 Abs. 2 EStG nicht korrigiert werden (FG Düsseldorf, Urteil vom 12. Januar 2006 14 K 4361/05 Kg, EFG 2006, 506).

b. § 70 Abs. 3 EStG

Eine Änderungsmöglichkeit besteht auch nicht nach § 70 Abs. 3 EStG. Hiernach können materielle Fehler der letzten Festsetzung durch Aufhebung oder durch Neufestsetzung beseitigt werden. Neu festgesetzt oder aufgehoben wird aber nach § 70 Abs. 3 Satz 2 EStG nur mit Wirkung ab dem auf die Bekanntgabe der Neufestsetzung oder der Aufhebung der Festsetzung folgenden Monat. Diese Vorschrift kann daher nicht zu einer Korrektur eines rechtswidrigen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid herangezogen werden (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 78/96, BStBl II 2002, 88).

c. § 70 Abs. 4 EStG

Nach dieser Vorschrift ist eine Änderung möglich, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG über- oder unterschreiten. Nach der Gesetzesbegründung soll die Vorschrift sicherstellen, dass eine Kindergeldfestsetzung für ein Kind auch nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entgegen einer früheren Prognoseentscheidung der Familienkasse unter- oder überschreiten (BT-Drucks. 14/6160 vom 29. Mai 2001, 14). Mit der Vorschrift des § 70 Abs. 4 EStG soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass auf der einen Seite das Kindergeld gemäß § 31 Satz 3 EStG und § 71 EStG laufend (monatlich) gezahlt wird. Auf der anderen Seite ist aber zu beachten, dass die Berücksichtigung des Kindes in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG davon abhängt, dass die in Abs. 4 Satz 2 geregelte Einkunftsgrenze nicht überschritten wird. Die Einkunftsgrenze ist gesetzlich eindeutig als Jahresgrenzbetrag ausgestalten. Diese gesetzliche Konzeption "Jahreseinkunftsgrenzbetrag/laufende monatliche Zahlung" führt dazu, dass die der laufenden monatlichen Kindergeldzahlungen zugrundeliegende rechtswirksame Festsetzung erst nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres endgültig festgestellt werden kann. Soweit die Familienkasse das Kindergeld während oder vor Ablauf des laufenden Jahres festsetzt, kann der Familienkasse die Höhe der Einnahmen aber letztendlich nicht die Höhe der Einkünfte bekannt sein. Erst wenn der fragliche Prognosezeitraum abgelaufen ist, lässt sich der tatsächliche Sachverhalt endgültig feststellen.

Damit eröffnet § 70 Abs. 4 EStG nur dann eine Berichtigungsmöglichkeit, soweit eine Kindergeldfestsetzung vorliegt, die vor oder während des Prognosezeitraums getroffen wurde (vgl. FG Düsseldorf Urteile vom 12. Januar 2006 14 K 4361/05 Kg aaO mit Anmerkung Wüllenkemper EFG 2006, 509 und 14 K 4078/05 Kg, nv juris).

Im Streitfall ist der Bescheid der Beklagten vom 19.1.2004 für das Jahr 2003 nach Ablauf des Prognosezeitraums und damit nicht aufgrund einer Prognose ergangen. Zu diesem Zeitpunkt standen die Einkommensverhältnisse und damit der tatsächliche Sachverhalt fest. Eine Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG scheidet danach für den Zeitraum 2003 aus (so auch FG Niedersachsen, Urteil vom 21. März 2006 13 K 398/05, nv).

d. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO

Als Rechtsgrundlage für eine Änderung der Kindergeldfestsetzung scheidet auch § 173 AO aus. Die Vorschrift findet zwar grundsätzlich neben den Änderungsvorschriften des EStG Anwendung. Nach ihr sind Steuerbescheide bzw. Kindergeldbescheide als Festsetzung einer Steuervergütung (§§ 31 Satz 3 EStG, 155 AO) aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder ein Beweismittel nachträglich bekannt geworden sind, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden hieran trifft. Tatsache i.S.d. § 173 AO ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Tatbestand oder einen einzelnes Merkmal dieses Tatbestandes erfüllt, also Zustände und Vorgänge der Seinswelt und die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen Gegenständen (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 Tz. 2 mwN). Tatsache ist daher alles, was Bestandteil eines Sachverhalts sein kann, der unter die Vorschrift des materiellen Steuerrechts fällt. Demgegenüber sind rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen, keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 AO (BFH-Urteil vom 14. Mai 2003 X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144). Denn § 173 AO bildet keine Rechtsgrundlage für die Beseitigung von Rechtsfehlern.

Daher kann auch der Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02, DStR 2005, 911) nicht zu einer Änderung nach § 173 AO führen. Denn aufgrund des Beschlusses erfolgt lediglich eine andere Auslegung des Begriffs der Einkünfte i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, nämlich eine verfassungskonforme. Der Beschluss stellt daher lediglich eine anhand der Verfassungsgrundsätze gewonnene rechtliche Beurteilung des Tatbestandsmerkmals "Einkünfte" i.S.d. § 32 EStG dar. Darüber hinaus fehlt es an einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache, denn die grundsätzliche Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen war der Beklagten auch schon vor Erlass des Bescheides vom 19.1.2004 bekannt.

Selbst wenn man von einer neuen Tatsache ausgehen würde, fehlt es an der erforderlichen Ursächlichkeit. Das nachträgliche Bekannt werden setzt voraus, dass die Unkenntnis für die ursprüngliche Festsetzung bzw. Aufhebung ursächlich gewesen ist (vgl. BFH GrS Beschluss vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Es muss daher die Frage gestellt werden, ob die Familienkasse bei Erlass des Bescheids am 19.1.2004 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 31. Januar 2006 II B 33/05, BFH/NV 2006, 911). Im Streitfall hätte die Beklagte aber bei Erlass des Bescheids vom 19.1.2004 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgrund ständiger Rspr. des BFH die Sozialversicherungsbeiträge bei der Ermittlung des Grenzbetrags nicht berücksichtigt.

Bei dem Beschluss des BVerfG handelt es sich auch nicht um ein nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel. Beweismittel i.S.d. § 173 Abs. 1 AO ist jedes Erkenntnismittel, das geeignet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen. Da es sich bei dem Beschluss des BVerfG nur um eine rechtliche Beurteilung handelt und nicht um eine Tatsache, kann daher auch die Entscheidung nicht als Beweismittel eine Änderungsbefugnis nach § 173 Abs. 1 AO herbeiführen.

e. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO

Eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet aus, denn durch die Entscheidung des BVerfG wird nicht der materiell rechtlich zu beurteilende Sachverhalt geändert, sondern lediglich dessen rechtliche Bewertung (vgl. BFH-Beschluss vom 4.11.1998 IV B 146/97, BFH/NV 1999, 589).

f. §§ 130, 131 AO

Die Regelungen der § 130 AO und § 131 AO gelten für Kindergeldfestsetzungen nicht (§ 31 Satz 3 EStG, § 155 Abs. 4 AO i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2d, 2. Halbsatz AO).

g. § 48 VwVfG

Eine Änderung nach § 48 VwVfG scheidet ebenfalls aus, da das Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG gemäß § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütungsanspruch ausgestaltet ist und nicht den Vorschriften des VwVfG unterliegt, sondern denjenigen der AO (BFH-Beschluss vom 19. Januar 2004 VIII B 238/03 nv juris).

h. Auch Billigkeitsgesichtspunkte führen im vorliegenden Verfahren nicht zur Begründetheit der Klage. Die Frage einer abweichenden Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 163 AO aus Billigkeitsgründen ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Festsetzung von Kindergeld nach den gesetzlichen Vorschriften und die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO sind zwei Verwaltungsakte, die in zwei gesonderten Verfahren vorzunehmen sind (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Januar 2003 VIII B 202/02, nv juris).

i. Auch der Hinweis der Klägerin auf die Rspr. des EuGH führt nicht zu einer Änderungsmöglichkeit der bestandskräftigen Ablehnung, da eine solche - wie oben festgestellt - nach nationalem Recht nicht gegeben ist.

j. Es verstößt weiterhin auch nicht gegen den Gleichheitssatz, wenn Kindergeldanträge für die Vergangenheit deshalb unterschiedlich beschieden werden, weil in dem einen Fall die Festsetzung von Kindergeld zuvor bereits bestandskräftig abgelehnt worden ist und in dem anderen Fall nicht (BFH-Beschluss vom 9. Juli 2003 VIII B 40/03, BFH/NV 2003, 1422).

2. Änderung für den Zeitraum Januar 2004 bis April 2004

Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht für diesen Zeitraum eine Änderungsmöglichkeit nach § 70 Abs. 4 EStG.

Wie unter Punkt I. 1. dargestellt eröffnet § 70 Abs. 4 EStG eine Berichtigungsmöglichkeit, soweit eine bestandskräftige Kindergeldfestsetzung vorliegt, die vor oder während des Prognosezeitraums getroffen wurde (so auch Urteile des FG Düsseldorf vom 12.1.2006 14 K 4361/05 Kg, EFG 2006, 506 und 14 K 4078/05 Kg, nv juris; Urteil des FG Niedersachsen vom 21. März 2006 13 K 398/05, nv). Für diese Ansicht kann auch der Wortlaut des § 70 Abs. 4 EStG, der systematische Zusammenhang, in den der Gesetzgeber die Norm hineingestellt hat und der Normzweck herangezogen werden (s. hierzu ausführlich Wüllenkemper, Anmerkung zum Urteil des FG Düsseldorf vom 12. Januar 2006 14 K 4361/05 Kg, EFG 2006, 509 mwN).

Unerheblich für die Berichtigungsmöglichkeit ist auch, ob sich lediglich die Verhältnisse geändert haben, der Berechtigte unvollständige Angaben gemacht hat oder die Familienkasse die Einkünfte falsch ermittelt hat (vgl. BFH-Urteil vom 30. November 2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890). Die Bestandskraft des Aufhebungs- oder Ablehnungsbescheids, die grundsätzlich bis um Ende des Monats seiner Bekanntgabe reicht, steht in einem solchen Fall einer Änderung für das gesamte Jahr nicht entgegen.

Da die gesetzlichen Voraussetzung für eine Kindergeldgewährung für den Zeitraum Januar 2004 bis April 2004 vorliegen, der bestandskräftige Bescheid vom 7.4.2004 nach § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben werden kann, ist die Klage für den Zeitraum Januar 2004 bis April 2004 begründet.

III. Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 90 Abs. 2 FGO).

IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 136 Abs. 1 FGO.

V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

VI. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die Frage der Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 EStG grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Ende der Entscheidung

Zurück