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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 18.01.2008
Aktenzeichen: 5 K 572/06
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 124 Abs. 1
AO § 165 Abs. 1
AO § 165 Abs. 2
EStG § 10 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Umfang eines Vorläufigkeitsvermerks gemäß § 165 Abgabenordnung (AO).

Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit und aus nicht selbständiger Arbeit als Geschäftsführer der ............ GmbH, an der er mit 50 % beteiligt ist. Die vom Kläger geltend gemachten Sonderausgaben in Höhe 35.606,00 DM wurde im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2000 vom ........2002 unter Kürzung des Vorwegabzugs in voller Höhe mit 7.830,00 DM berücksichtigt. Der Bescheid erging zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO. Darüber hinaus erfolgte die Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 AO u.a. vorläufig im Hinblick auf die Anhängigkeit von Verfassungsbeschwerden bzw. Revisionen hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen ( § 10 Abs. 3 Einkommensteuergesetz - EStG -). Im Rahmen einer nachfolgenden Erörterung teilten die Kläger am ........2002 mit, dass die Minderung nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG wohl versehentlich erfolgt und zu korrigieren sei. Der Beklagte verwies mit Schreiben vom .......2002 und ........2002 darauf hin, dass die Kürzung im Hinblick auf die Stellung als beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer und die nach eigenen Angaben bestehende Anwartschaft auf Altersversorgung erfolgt sei und eine Änderung nicht in Betracht komme. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde mit Bescheid vom ......2002 aufgehoben.

Auch die Einkommensteuerbescheide 2001 vom .......2003 und 2002 vom ........2003 ergingen vorläufig im oben genannten Umfang. Auch in diesen Bescheiden wurden die Sonderausgaben in Höhe von 36.739,00 DM (2001) und 20.502,00 €; (2002) nur mit 7.830,00 DM bzw. 4.002,00 €; berücksichtigt. Mit den hiergegen gerichteten Einsprüchen wandten sich die Kläger gegen die Nichtabzugsfähigkeit der Sonderausgaben in Höhe des jeweiligen Differenzbetrages sowie die Minderung des Vorwegzuges. Bezüglich Einkommensteuer 2001 richtete sich der Einspruch auch gegen den beschränkten Abzug der Vorsorgeaufwendungen. Über diese Einsprüche wurde mit Einspruchsentscheidung vom .......2004 abschließend entschieden.

Mit Schreiben vom .........2004 beantragten die Kläger eine Änderung der Einkommensteuerbescheide der Streitjahre mit der Begründung, dass die Kürzung des Vorwegabzugs beim Kläger unberechtigt sei. Dem Kläger sei im Jahre 1983, als er Alleingesellschafter und Alleingeschäftsführer gewesen sei, von der .......... GmbH eine Pensionszusage erteilt worden. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 16.10.2002 XI R 25/01, BStBl II 2004, 546, sei der Vorwegabzug ungekürzt zu gewähren, da durch die Altersversorgung die Gewinnansprüche gemindert und die Altersversorgung ausschließlich durch eigene Beträge des Klägers finanziert worden seien.

Die streitigen Bescheide seien auch hinsichtlich der Vorsorgeaufwendungen nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig ergangen und somit eine Änderung noch möglich. Unter den Vorläufigkeitsvermerk falle auch die Kürzung des Vorwegabzugs. Nur aus diesem Grunde seien die damaligen Einsprüche auch nicht weiter betrieben worden. Es könne nicht sein, dass der Beklagte ab einem bestimmten Jahr entgegen langjähriger Praxis willkürlich eine Kürzung des Vorwegabzugs vornehme und gleichzeitig mitteile, dass ein Einspruch nicht erforderlich sei und sich dann bei Revidierung der Rechtsauffassung darauf berufe, dass die Bescheide bestandskräftig seien.

Im Übrigen sei bezüglich der Rechtsfrage, ob der Vorwegabzug für den Kläger überhaupt zu kürzen sei, für die Jahre 2003 und 2004 noch ein Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) Köln unter dem Aktenzeichen 5 K 2106/06 anhängig.

Mit Verfügung vom .......2005 lehnte der Beklagte die Änderung der Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2002 mit der Begründung ab, der Vorläufigkeitsvermerk beziehe sich lediglich auf die beschränkte Abziehbarkeit der Vorsorgeaufwendungen und nicht allgemein auf alle beschränkt abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen.

Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Entscheidung vom .......2006 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte wie folgt aus:

Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Änderung aufgrund der Vorläufigkeitsvermerke seien nicht gegeben. Der gesetzte Vorläufigkeitsvermerk umfasse nicht die Problematik des gekürzten Vorwegabzugs bei GmbH-Geschäftsführern nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a EStG i. V. m. § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG. Diesbezüglich werde auf das BFH-Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BStBl II 1997, 791, verwiesen. Danach könne nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss sei, ob die Voraussetzungen für ihre Entstehung eingetreten seien. Der Vorläufigkeitsvermerk als Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt werde wie dieser mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben worden sei ( § 124 Abs. 1 Satz 2 AO). Sein Regelungsgehalt sei erforderlichenfalls im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei sei entscheidend, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen und seinem objektiven Verständnishorizont den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben habe verstehen können. Nach diesen Grundsätzen sei auch ein Vorläufigkeitsvermerk auszulegen. Bei der Auslegung könnten sowohl die Begründung als auch andere Umstände berücksichtigt werden ( BFH-Urteil vom 30.06.1994 V R 106/91, BFH/NV 1995, 466).

Bei Anwendung dieser Grundsätze sei mit dem streitigen Vorläufigkeitsvermerk der Gegen -stand und der Umfang der Vorläufigkeit inhaltlich hinreichend bestimmt und umschrieben worden. Danach beziehe sich die Nebenbestimmung nicht allgemein auf die beschränkt abziehbaren Vorsorgeaufwendungen, sondern - gegenständlich enger - allein auf deren beschränkte Abziehbarkeit. Betroffen sei allein die Frage, ob die betragsmäßige Beschränkung der steuerlichen Berücksichtigung existenznotwendiger Privataufwendungen verfassungsgemäß sei. Dies werde verdeutlicht durch den ersten Satzteil des Vorläufigkeitsvermerkes, in dem auf - diese Rechtsfrage betreffende - anhängige Verfassungsbeschwerden und Revisionen verwiesen werde. Dabei sei es unerheblich, dass die Verfahren nicht einzeln bezeichnet worden seien. Weiter ergebe sich aus dem Erläuterungstext zum Vorläufigkeitsvermerk, dass die Vorläufigkeitserklärung aus verfahrenstechnischen Gründen erfolgt sei und nicht dahingehend zu verstehen sei, dass die Regelung als verfassungswidrig angesehen würde.

Im Übrigen sehe § 165 AO eine Vorläufigkeit wegen Prüfung einer einfach - gesetzlichen Frage vor einem FG oder dem BFH überhaupt nicht vor. Somit seien nur die Verfahren vom maschinellen Vorläufigkeitsvermerk erfasst, die die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung an sich beträfen. Im Verfahren des BFH XI R 25/01 gehe es hingegen um Fragen der einfach - gesetzlichen Auslegung der Bestimmung zur Kürzung des Vorwegabzuges. Insoweit habe ein Steuerpflichtiger auch nach seinem objektiven Verständnishorizont nicht davon ausgehen können, dass der Vorläufigkeitsvermerk auch das beim BFH damals anhängige Verfahren bezüglich der Kürzung des Vorwegabzuges bei GmbH-Geschäftsführern umfasse. Daran ändere auch nichts der Umstand, dass die Kläger für das Jahr 2000 einen Antrag auf Änderung nach § 164 Abs. 2 AO hinsichtlich der Kürzung des Vorwegabzugs gestellt und gegen die Steuerbescheide der Jahre 2001 und 2002 u. a. aus dem selben Grund Einspruch eingelegt hätten.

Im Rahmen der Bearbeitung der Einkommensteuererklärungen der Vorjahre, z. B. 1998 und 1999, sei der Vorwegabzug trotz entsprechender Angaben des Klägers fehlerhaft ungekürzt gewährt worden. Im Rahmen der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2000 sei den Klägern dann aber mitgeteilt worden, dass und aus welchen Gründen eine Kürzung zu erfolgen habe. Zu dem Erläuterungsschreiben hätten die Kläger keine weitere Stellungnahme abgegeben und gegen den Bescheid vom ......2002, mit dem der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben worden sei, auch keinen Einspruch eingelegt. In keiner Weise sei den Klägern jedoch mitgeteilt worden, dass auch der Streitpunkt Vorwegabzug durch den Vorläufigkeitsvermerk abgedeckt sei. Die Kläger hätten daher nach Erhalt des Bescheides über die Aufhebung des Vorbehaltes der Nachprüfung davon ausgehen müssen, dass ein Ansatz des ungekürzten Vorwegabzuges nur bei gleichzeitiger Einlegung eines Einspruches möglich gewesen wäre. Im Rechtsbehelfsverfahren zur Einkommensteuer 2001 und 2002 seien die Kläger entgegen ihren eigenen Angaben auch nicht zur Rücknahme der Einsprüche unter Hinweis auf den insoweit vorläufigen Steuerbescheid aufgefordert worden. Diese hätten vielmehr im Erörterungsschreiben vom 11.07.2003 im Rechtsbehelfsverfahren mitgeteilt, dass sich die Einsprüche nur gegen den beschränkten Abzug der Vorsorgeaufwendungen richteten. Insoweit sei das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger aber durch den entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk gewahrt worden.

Die Frage, ob ein treuwidriges Verhalten durch ihn, den Beklagten, vorgelegen habe bzw. eine Billigkeitsmaßnahme möglich sei, stelle sich ausnahmsweise nur dann, wenn er gegenüber den Klägern durch seine Äußerungen den unzutreffenden Eindruck erweckt hätte, aufgrund des Vorläufigkeitsvermerkes könne der Einkommensteuerbescheid geändert werden, falls der BFH in den Gesellschafter-Geschäftsführerfällen gegen die Verwaltung entscheide und die Kläger daher von der Einlegung eines Einspruchs abgesehen bzw. einen bereits eingelegten Einspruch zurückgenommen hätten oder er, der Beklagte, einen eingelegten Einspruch mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig verworfen hätte. Diese Fallgestaltung liege im Streitfall jedoch nicht vor.

Mit ihrer gegen diese Einspruchsentscheidung gerichteten Klage tragen die Kläger wie folgt vor:

Entgegen der Ansicht des Beklagten sei auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Kürzung des Vorwegabzuges beim Kläger vom Vorläufigkeitsvermerk umfasst. Ein Vorläufigkeitsvermerk werde als Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt wie dieser selbst mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben werde. § 165 Abs. 1 Satz 3 AO verlange, dass Umfang und Grund der Vorläufigkeit für den Steuerpflichtigen ausreichend erkennbar gemacht würden ( BFH-Beschluss vom 22.12.1987 IV B 174/86, BStBl II 1989, 130). Erforderlichenfalls sei der Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei sei entscheidend, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen und seinem objektiven Verständnishorizont den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben habe verstehen können ( BFH-Urteile vom 25.09.1990 IX R 84/88, BStBl II 1991, 120 und vom 18.04.1991 IV R 127/89, BStBl II 1991, 675). Zudem müsse die Auslegung zumindest einen Anhalt in der bekannt gegebenen Regelung haben ( BFH-Beschluss vom 19.02.1992 II B 100/91, BFH/NV 1992, 784). Im Zweifelsfall sei das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da dieser als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden dürfe ( BFH-Urteil vom 18.07.1994 X R 33/91, BStBl II 1995, 4).

Für den Streitfall ergebe sich daraus, dass der Vorläufigkeitsvermerk auslegungsfähig sei, da dessen Wortlaut im Hinblick auf die eingeschränkte Zitierung des § 10 Abs. 3 EStG nicht so eindeutig sei, dass eine erweiternde Auslegung hierdurch ausgeschlossen werde (Urteil des FG Baden-Württemberg vom 22.02.2005 1 K 396/02, EFG 2005, 1019). Eine Interpretation des Vorläufigkeitsvermerks nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Maßstäben lasse aufgrund der Gesetzeszitierung des gesamten § 10 Abs. 3 EStG nur den Schluss zu, dass die Vorläufigkeit der Einkommensteuerfestsetzung auch hinsichtlich des Normbereiches des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG habe gelten sollen. Der Vorläufigkeitsvermerk sei lediglich mit anhängigen Verfassungsbeschwerden begründet, was bei ihnen, den Klägern, den Eindruck hervorgerufen habe, dass jede sich gegen § 10 Abs. 3 EStG richtende Verfassungsbeschwerde und somit auch die Kürzungsregelung von der Vorläufigkeit umfasst sein sollte. Sei es aber ungewiss, ob eine Norm verfassungsgemäß sei, habe der hierauf abhebende Vorläufigkeitsvermerk im Zweifel zur Folge, dass alle damit sachlich zusammenhängenden, d. h. zu einem bestimmten Regelungskomplex gehörenden, Rechtsfragen offengehalten werden sollten ( BFH-Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95 vom 27.11.1996, BStBl II 1997, 793). Zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der für vorläufig erklärten streitigen Steuerfestsetzungen sei eine Verfassungsbeschwerde unter dem Aktenzeichen 2 BvR 587/01 anhängig gewesen, die gegen einen BFH-Beschluss vom 21.12.2000 XI B 75/99 BFH/NV 2001, 773, gerichtet gewesen sei. In diesem Verfahren sei eine Nichtzulassungsbeschwerde mit der Begründung zurückgewiesen worden, die Rechtsfrage, ob der dem Ehegatten bei Zusammenveranlagung zustehende Vorwegabzug auch dann in vollem Umfang zu kürzen sei, wenn nur der Arbeitgeber eines Ehegatten Zukunftssicherungsleistungen nach § 3 Nr. 62 EStG erbringe, sei nicht mehr klärungsbedürftig. Da mit dieser Verfassungsbeschwerde zumindest mittelbar auch die der Entscheidung des BFH zugrunde liegende Regelung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG wegen Verletzung des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) angegriffen werde, sei deren Gegenstand die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht in Sinne des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO (Urteil des FG Baden-Württemberg vom 22.02.2005 I K 396/02 in EFG 2005, 1019). Somit hätten die Voraussetzungen für einen diese Frage umfassenden Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Einkommensteuerbescheide vorgelegen. Daran ändere auch nichts der Umstand, dass im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde selbst bei einem Erfolg weder eine Nichtigerklärung noch eine Unvereinbarkeitserklärung zwingend sei, sondern auch eine verfassungskonforme Auslegung in Betracht komme (Urteil des FG Baden-Württemberg in EFG 2005, 1019).

Dem Grundsatz, dass ein Vorläufigkeitsvermerk bei aus Empfängersicht begründeten Zweifeln an seinem Umfang so auszulegen sei, dass er den Steuerpflichtigen möglichst wenig belaste, werde nur die Auslegung gerecht, die die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG umfasse.

Zudem könne die Vereinbarkeit eines förmlichen Gesetzes mit dem Grundgesetz im Sinne des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO auch Gegenstand eines Verfahrens beim BFH und nicht nur beim Bundesverfassungsgericht sein. Entgegen der Auffassung des Beklagten gehe es bei der Frage der Kürzung des Vorwegabzugs bei GmbH-Geschäftsführern auch um die Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG und nicht lediglich um Fragen der einfach - gesetzlichen Auslegung der Bestimmungen zur Kürzung des Vorwegabzuges. So habe der BFH bezüglich des Vorwegabzuges für Vorsorgeaufwendungen bei zu gleichen Teilen beteiligten Gesellschaftern/Geschäftsführern entschieden, dass es aus Gründen der steuerlichen Belastungsgleichheit gemäß Artikel 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen sei, bei mehr als einem Gesellschafter/Geschäftsführer den Vorwegabzug aus formalen Gründen ausnahmslos zu kürzen ( BFH-Urteil vom 23.02.2005 XI R 29/03, BStBl II 2005, 634).

Auch das BFH-Urteil vom 31.05.2006 X R 9/05, BFH/NV 2006, 1900, stehe ihrem Vorbringen nicht entgegen. Denn in den Ursprungsbescheiden werde erläutert, dass die Steuerfestsetzung im Hinblick auf die Anhängigkeit von Verfassungsbeschwerden bzw. Revisionen nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen ( § 10 Abs. 3 EStG) sei. Durch den Hinweis auf anhängige Revisionsverfahren werde auch die im Streitfall materiell - rechtlich einschlägige Rechtsprechung des BFH erfasst ( BFH-Urteile vom 16.10.2002 XI R 25/01, BStBl II 2004, 546 und in BStBl II 2005, 634). Jene Revisionsverfahren seien im Zeitpunkt der Bescheiderteilung bzw. der Aufnahme der Vorläufigkeitsvermerke in die angefochtenen Bescheide beim BFH anhängig gewesen. Die Ausführungen des BFH in seinem Urteil in BFH/NV 2006, 1900 stünden hierzu in keinem Widerspruch. Denn auch der BFH gehe in diesem Verfahren davon aus, dass schwebende Revisionsverfahren andere gerichtliche Verfahren im Sinne des im Urteilsfall zu beurteilenden Vorläufigkeitsvermerks seien. Vielmehr werde im Streitfall durch den Hinweis auf anhängige Revisionsverfahren die Brücke zu der begehrten materiell-rechtlichen Änderung geschlagen.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom ......2005 in Gestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom .....2006, den Beklagten zu verpflichten, den Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen des Klägers gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a EStG bei der Einkommensteuer 2000-2002 ungekürzt zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung zunächst auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend wie folgt vor:

Vom Vorläufigkeitsvermerk in den Jahren 2000 bis 2002 sei nur die Frage erfasst, ob bei zusammen veranlagten Ehegatten eine individuelle Kürzung des Vorwegabzuges dergestalt möglich sei, dass jedenfalls demjenigen Ehegatten, der nicht durch den Vorwegabzug mindernde Arbeitgeberleistungen begünstigt worden sei, ein eigener Vorwegabzug in Höhe von 3.068,00 €; verbleibe. Die hier vorliegende einfach - gesetzliche Frage im Zusammenhang mit Vorsorgeaufwendungen von Gesellschafter/Geschäftsführern sei hingegen nicht Gegen- stand des BFH-Urteils in BFH/NV 2006, 1900. Dieses Verfahren sei insoweit nicht präjudiziell, so dass diese Frage nicht vom streitigen maschinellen Vorläufigkeitsvermerk erfasst sei.

Die Kläger wurden vom Gericht mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sich ihr Vortrag, der Beklagte habe ihnen mitgeteilt, ein Einspruch sei nicht erforderlich, nicht aus den Akten entnehmen lasse.

In der mündliche Verhandlung traten die Kläger der Einschätzung des Gerichts nicht entgegen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die von den Klägern begehrte Änderung nach § 165 Abs. 2 AO zu Recht abgelehnt.

Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde eine Steuerfestsetzung aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat. Die Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Die hier streitige Rechtsfrage bezüglich der Kürzung des Vorwegabzugs bei Gesellschafter-Geschäftsführern ist von der Vorläufigkeit nicht umfasst.

1. Für den Vorläufigkeitsvermerk als Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt gilt in gleicher Weise wie für den Verwaltungsakt selbst, dass er mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem er bekannt gegeben wird ( § 124 Abs. 1 Satz 2 AO). § 165 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 verlangt, dass Umfang und Grund der Vorläufigkeit für den Steuerpflichtigen ausreichend erkennbar gemacht werden ( BFH-Beschluss vom 22.12.1987 IV B 174/86, BStBl II 1988, 234 und BFH-Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BStBl II 1997, 791). Dabei ist es im Regelfall unerheblich, wenn sich der Vorläufigkeitsvermerk unmittelbar auf eine Besteuerungsgrundlage und nicht, wie § 165 Abs. 1 AO dies vorschreibt, auf die festzusetzende Steuer bezieht. Es reicht deshalb aus, wenn durch den Vermerk jedenfalls mittelbar auch der Rahmen abgesteckt ist, innerhalb dessen die Steuerfestsetzung abänderbar sein soll ( BFH-Entscheidungen vom 06. 03.1992 III R 47/91, BStBl II 1992, 588; vom 16.08.1995 VIII B 156/94, BFH/NV 1996, 125 und in BStBl II 1997, 791).

Der Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts ist erforderlichenfalls im Wege der Auslegung zu ermitteln. Entscheidend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen --seinem "objektiven Verständnishorizont" ( BFH-Urteile vom 08.11.1995 V R 64/94, BStBl II 1996, 256 und vom 11.07.2006 VIII R 10/05, BStBl II 2007, 96)-- den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (vgl. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) verstehen konnte (vgl. --zur Auslegung von Verwaltungsakten— BFH-Urteile vom 25.09.1990 IX R 84/88, BStBl II 1991, 120; vom 18.04.1991 IV R 127/89, BStBl II 1991, 675; vom 23.09.1992 X R 10/92, BStBl II 1993, 338; vom 18.07.1994 X R 33/91, BStBl II 1995, 4). Weil der Verwaltungsakt mit dem bekannt gegebenen Inhalt wirksam wird, muss die Auslegung zumindest einen Anhalt in der bekannt gegebenen Regelung haben ( BFH-Beschluss vom 19.02.1992 II B 100/91, BFH/NV 1992, 784). Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus ihrer Sphäre nicht benachteiligt werden darf (BFH-Urteile in BStBl II 1995, 4 und in BStBl II 2007, 96, jeweils m.w.N.).

Ist ungewiss, ob eine Norm verfassungsgemäß ist, hat der hierauf abhebende Vorläufigkeitsvermerk im Zweifel zur Folge, dass alle sachlich zusammenhängenden ("kohärenten"), d. h. zu einem bestimmten Regelungskomplex gehörenden Rechtsfolgen offengehalten werden sollen BFH-Urteil in BStBl II 1997, 791.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Auslegung des Vorläufigkeitsvermerks durch den Beklagten fehlerfrei. Mit der "beschränkten Abzugsfähigkeit der Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 EStG" sind Gegenstand und Umfang der Vorläufigkeit in dem vom Beklagten angenommenen Sinn inhaltlich hinreichend bestimmt umschrieben.

Die hier fragliche Nebenbestimmung bezieht sich nicht allgemein auf "die beschränkt abziehbaren Vorsorgeaufwendungen", sondern --gegenständlich enger-- auf deren beschränkte Abziehbarkeit. Damit ist erkennbar die verfassungsrechtliche Frage angesprochen, ob die betragsmäßige Beschränkung der steuerlichen Berücksichtigung existenznotwendiger Privataufwendungen verfassungsgemäß ist. Der Zusammenhang mit dieser Sachfrage wird verdeutlicht durch den ersten Satzteil des Vorläufigkeitsvermerks, in dem auf --diese Rechtsfrage betreffende-- "anhängige Verfassungsbeschwerden und Revisionen verwiesen" wird. Dabei ist unerheblich, dass die Verfahren nicht im einzelnen bezeichnet worden sind (BFH-Urteil in BStBl II 1997, 791).

Die Kürzung des Vorwegabzugs hat keinen sachlichen Bezug zur Frage der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen. Sie ist --unabhängig davon, ob die derzeitige Beschränkung verfassungsgemäß ist oder nicht-- das rechtstechnische Instrument, mit dem insbesondere Arbeitnehmer und andere Personen, die im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit Anwartschaften auf eine Altersversorgung oder Leistungen im Krankheitsfalle erlangen, ohne eigene Beiträge zu leisten, mit selbständig Tätigen gleichgestellt werden, die ihre Beiträge zur Altersvorsorge in voller Höhe aus eigenen Mitteln aufbringen müssen ( BFH-Urteile vom 12.10.1994 X R 260/93, BStBl II 1995, 119 und in BStBl II 1997, 791). Der Vorwegabzug wirkt sich zwar bestimmungsgemäß auf die Höhe der abziehbaren Sonderausgaben aus. Deren Gesamtbetrag wird indes im hier zu beurteilenden Vorläufigkeitsvermerk nicht angesprochen. Der Vorwegabzug ist auch nicht Gegenstand einer "nachrangigen" Rechts- oder Tatfrage. Über die Anwendung des § 10 Abs. 3 EStG hat der Beklagte "unbedingt" und stets unabhängig davon zu befinden, ob die Beschränkung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen verfassungsgemäß ist. Der Beklagte hatte daher auch im Streitfall keine Veranlassung, die diesbezügliche Sachprüfung bis zu einer Entscheidung über die Höchstbetragsgrenzen zurückzustellen (vgl. BFH-Urteile in BStBl II 1992, 588 und in BStBl II 1997, 791).

Nur mit dieser inhaltlichen Beschränkung auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit deckt sich die Vorläufigkeitserklärung mit ihrer Rechtsgrundlage. Eine Steuer kann vorläufig festgesetzt werden, wenn ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung der Steuer eingetreten sind ( § 165 Abs. 1 Satz 1 AO), ob und wann Verträge mit anderen Staaten über die Besteuerung, die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken, für die Steuerfestsetzung wirksam werden ( § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO), das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz festgestellt hat und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet ist ( § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO) oder die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), dem BVerfG oder einem anderen Bundesgericht ist ( § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO 1977). Eine vorläufige Festsetzung hinsichtlich ungeklärter Rechtsfragen des einfachen Rechts sieht § 165 Abs. 1 AO nicht vor. Dass die Steuerfestsetzung nicht hinsichtlich jedweder im Rahmen des § 10 Abs. 3 EStG streitig gewordener Rechtsfrage vorläufig ist, verdeutlicht auch der anschließende Zusatz, wonach die Vorläufigkeitserklärung nur aus verfahrenstechnischen Gründen erfolge und nicht dahin zu verstehen sei, dass die Regelung als verfassungswidrig angesehen werde. Damit wird objektiv hinreichend deutlich, dass Grund für die vorläufige Steuerfestsetzung die bestrittene Verfassungsmäßigkeit der zitierten Norm ist. Die hier streitige Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen der von einem Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH bezogene Arbeitslohn zur Kürzung des Vorwegabzugs führt, ( § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a EStG, § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG), betrifft jedoch die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts, BFH-Urteile vom 26.02.2004 XI R 50/03, BFH/NV 2004, 1064 und vom 31.05.2006 X R 9/05, BFH/NV 2006, 1900. Diesbezüglich war zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Bescheide auch keine Verfassungsbeschwerde anhängig. Insbesondere die unter dem Aktenzeichen 2 BvR 587/01 erhobene Verfassungsbeschwerde bezieht sich nur auf die Frage, ob auch bei zusammenveranlagten Ehegatten eine individuelle Kürzung des Vorwegabzuges dergestalt möglich ist, dass dem Ehegatten, der nicht durch vorwegabzugsschädliche Arbeitgeberleistungen begünstigt wurde, ein eigener Vorwegabzug verbleibt, vgl. hierzu BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1900.

3. Soweit die Kläger zunächst ein willkürliches Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit dem Eintritt der Bestandskraft beanstandet haben, konnte der Senat dahinstehen lassen, ob dieses Grundlage für eine Änderungsmöglichkeit sein könnte, da die Kläger den Nachweis eines entsprechenden Verhaltens des Beklagten schuldig geblieben sind.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Ende der Entscheidung

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