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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 10.06.2009
Aktenzeichen: 7 K 3999/08
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 149
AO § 173 Abs. 1
EStG § 25 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhende Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 zu ändern ist.

Die steuerlich beratenen Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Da sie trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben hatten, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer mit Bescheid vom ...2008 fest. Dabei legte er für den Kläger bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb einen Gewinn von 17.500 Euro und bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einen Überschuss von 9.000 Euro zugrunde. Bei der Klägerin berücksichtigte er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 23.895 Euro sowie einen Verlust bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung von 400 Euro. Die beschränkt abziehbaren Sonderausgaben wurden mit 5.462 Euro angesetzt und im Rahmen der Höchstbetragsberechnung mit 5.148 Euro berücksichtigt. Der Steuerbescheid erging nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wurde in der Folgezeit bestandskräftig.

Am ...2008 reichten die Kläger ihre Steuererklärung für 2006 beim Beklagten ein und begehrten die Änderung der Steuerfestsetzung. Ausweislich der Steuererklärung belief sich der Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb auf 26.004 Euro. Hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung machten der Kläger einen Verlust von 11.768 Euro und die Klägerin einen Verlust von 4.258 Euro geltend. Bei den übrigen Einkünften bestand im Ergebnis keine Abweichung zu den im Schätzungsbescheid berücksichtigen Werten. Die beschränkt abziehbaren Sonderausgaben betrugen ausweislich der Steuererklärung 23.048 Euro, die außergewöhnlichen Belastungen vor Berücksichtigung der zumutbaren Belastung 574 Euro.

Der Beklagte wies die Kläger mit Schreiben vom 8.10.2008 darauf hin, dass die Einspruchsfrist abgelaufen sei und gab ihnen Gelegenheit, Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorzutragen. Daraufhin teilte der steuerliche Berater der Kläger im Schreiben vom 21./22.10.2008 mit, dass er gegen den Schätzungsbescheid "bewusst keinen Einspruch eingelegt" habe, da ihm die Kläger trotz Aufforderung keine Unterlagen für die Erstellung der Steuererklärung vorgelegt hätten. Seiner Ansicht nach hätte der Beklagte einen Einspruch ohne die Beifügung der Steuererklärung "sicherlich" als unbegründet abgelehnt. Im übrigen sei eine Änderung des Schätzungsbescheids auch nach dem Eintritt der Bestandskraft nach § 173 AO möglich; das "unstrittig" vorliegende "Verschulden" der Antragsteller sei nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich.

Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid vom .....2008 ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom .....2008 zurück und führte zur Begründung im wesentlichen aus, dass eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung nicht in Betracht komme. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO lägen nicht vor, zumal die Kläger ein grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO treffe. Das Verschulden sei nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich. Der hierfür erforderliche unmittelbare oder mittelbare Zusammenhang zwischen steuererhöhenden und steuermindernden Tatsachen sei nicht gegeben. Die Besteuerungsgrundlagen in der Steuererklärung müssten in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Zwischen den einzelnen Einkunftsarten bestehe kein unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO. Die jeweiligen Einkünfte seien nicht "ursächlich" miteinander verknüpft. Im vorliegenden Fall sei der "steuererhöhende Vorgang" auch ohne den "steuermindernden Vorgang" denkbar. Das rein zeitliche Zusammentreffen dieser Vorgänge sei nicht ausreichend. Auch der Umstand, dass die Schätzung der Besteuerungslagen wegen der vorherigen Nichtabgabe der Steuererklärung erfolgt sei, führe nicht zu einer anderen Beurteilung.

Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie sind der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 173 AO gegeben seien. Zwar sei der Beklagte wegen der Nichtabgabe der Steuererklärung "unstreitig" zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigt gewesen. Im Rahmen der Steuererklärung seien jedoch "unstreitig" neue Tatsachen bekannt geworden. Das "unstreitige" Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen sei unbeachtlich, da die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO erfüllt seien. Der "unmittelbare Zusammenhang" im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ergebe sich aus der in § 150 Abs. 2 AO verankerten Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Abgabe einer Steuererklärung. Denn ein Steuerpflichtiger habe bei der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Steuererklärungspflicht keine andere Möglichkeit, als "die Tatsachen" bei der Abgabe seiner Steuererklärung vollständig und wahrheitsgemäß anzugeben. Eine lediglich auf die steuermindernden Vorgänge beschränkte "teilweise Abgabe der Steuererklärung" sei nicht zulässig. Da es bei einem Schätzungsbescheid für die Frage der Anwendung des § 173 AO auf den Unterschied zwischen den bisher angesetzten Einkünften und den nachträglich bekannt gewordenen Einkünften ankomme, seien die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO insgesamt erfüllt. Der in der Steuererklärung angegebene Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 26.004 Euro übersteige den im Rahmen der Schätzung berücksichtigten Gewinn von 17.500 Euro, so dass insoweit eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO in Betracht komme. Da die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung laut der Steuererklärung insgesamt niedriger als die vom Beklagten bisher angesetzten Werte seien, sei insoweit eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorzunehmen. Die zu einer höheren Steuerfestsetzung führenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb stünden aufgrund des "zwingenden Vollständigkeitsgebots" der Steuererklärung in einem "kausalen Zusammenhang" mit den zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führenden Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Daher sei ein Verschulden nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Schätzungsbefugnis des Beklagten "kausal" von der Nichtabgabe der Steuerklärung "gemäß § 150 Abs. 2 AO" abhänge und sich diese beiden Umstände daher "gegenseitig bedingten". Da die Schätzung nicht ohne "den vorherigen Verstoß gegen § 150 Abs. 2 AO" möglich sei, bestehe insoweit ein "unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang". Im übrigen habe der Beklagte gegen § 162 Ziffer 4 des Anwendungserlasses zur AO und gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen. Denn er habe die Steuern nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt, obwohl der Kläger seinen Gewerbebetrieb bereits "seit Jahrzehnten" führe und "immer die Erklärungen abgegeben" habe.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom ....2008 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung den Beklagten zu verpflichten, die Einkommensteuer für das Streitjahr 2006 erklärungsgemäß festzusetzen,

im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung. Er führt ergänzend aus, dass der begehrten Änderung der Steuerfestsetzung ein grobes Verschulden der Kläger im Sinne des § 173 Abs.1 Nr. 2 AO entgegenstehe. Das Verschulden sei nicht unbeachtlich, da kein mittelbarer oder unmittelbarer Zusammenhang im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO gebeben sei. Im Übrigen bestehe keine Verpflichtung, die Steuerfestsetzung bei einer Schätzung wegen der Nichtabgabe der Steuererklärung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vorzunehmen.

Die Akten der Verfahren 7 V 3774/08, 7 V 350/09 , 7 V 1137/09 und 7 V 1490/09 wurden beigezogen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Einkommensteuerbescheid für 2006 entsprechend der von den Klägern eingereichten Steuererklärung zu ändern und die erklärten Verluste aus Vermietung und Verpachtung sowie zusätzliche beschränkt abzugsfähige Sonderausgaben steuermindernd zu berücksichtigen.

1. Die Voraussetzungen des vorliegend einzig in Betracht kommenden § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind hinsichtlich der geltend gemachten Verluste aus Vermietung und Verpachtung sowie der zusätzlichen beschränkt abziehbaren Sonderausgaben nicht gegeben.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit nachträglich bekannt werdenden Tatsachen oder Beweismittel stehen, die zu einer höheren Steuer führen.

a) Eine Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann. Hierzu zählen Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art, die sowohl auf rechtlichem als auch auf tatsächlichem Gebiet liegen können (vgl. etwa BFH-Urteile vom 10.04.1997, BFH/NV 1997, 757 , vom 1.10.1993 III R 58/92, BStBl. II 1994, 346 und vom 27.10.1992 VIII R 41/89, BStBl. II 1993, 569 m.w.N.). Sind die Einkünfte aus einer bestimmten Einkunftsart von der Finanzbehörde im Wege der Schätzung festgesetzt worden, so stellen die nachträglich bekannt gewordenen (tatsächlichen) Einkünfte eine Tatsache im Sinne des § 173 AO dar (vgl. BFH-Urteile vom 24.4.1991 XI R 28/89, BStBl. II 1991, 606 , vom 1.10.1993 III R 58/92, BStBl. II 1994, 346 , vom 16.4.1997 XI R 27/96, BGH/NV 1998, 1; vom 16.9.2004 IV R 62/02, BStBl. II 2005, 75 und vom 10.7.2008 IX R 4/08, BFH/NV 2008, 1803, jeweils m.w.N.; von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 173 Rn 305; von Wedelstädt, in: Beermann/Gosch, AO/FGO, § 173 Rn 111). Eine Aufspaltung der Einkünfte in steuererhöhende Einnahmen oder Vermögensmehrungen auf der einen und steuermindernde Ausgaben oder Vermögensminderungen auf der anderen Seite findet in diesen Fällen nicht statt. Das gilt sowohl für Gewinn- als auch für Überschusseinkünfte (vgl. Hessisches Finanzgericht , Urteil vom 28.8.1996 1 K 777/95, EFG 1997, 518; FG Düsseldorf, Urteil vom 11.2.1992 11 K 437/90 E, EFG 1993, 499; siehe auch BFH-Urteile vom 10.7.2008 IX R 4/08, BFH/NV 2008, 1803 und vom 8.12.1998 IX R 14/97, BFH/NV 1999, 743 jeweils m.w.N.). Da die Finanzbehörde bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht von bestimmten, die Einkünfte erhöhenden oder mindernden Sachverhalten ausgegangen ist, kann nicht angenommen werden, dass ein nachträglich bekannt gewordener Vorgang zu den bisher bereits berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen hinzugetreten wäre und sich auf diese Weise das der Besteuerung zugrunde gelegte Ergebnis erhöht oder gemindert hätte. Es kommt für die Anwendung des § 173 AO alleine darauf an, wie sich das Schätzungsergebnis nachträglich verändert (vgl. dazu insgesamt etwa BFH-Urteile vom 24.4.1991 XI R 28/89, BStBl. II 1991, 606 und vom 1.10.1993 III R 58/92, BStBl. II 1994, 346). Dabei ist unerheblich, welche Vorstellungen sich die Finanzbehörde hinsichtlich einzelner Schätzungsgrundlagen möglicherweise gemacht hat (vgl. BFH-Urteil vom 24.4.1991 XI R 28/89, BStBl. II 1991, 606).

Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze, die sich der Senat zueigen macht, stellen die von den Klägern erstmalig im Rahmen der Steuererklärung mitgeteilten Verluste aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 11.768 Euro beim Kläger bzw. von 4.258 Euro bei der Klägerin jeweils neue Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dar. Denn diese Verluste würden im Vergleich zu dem insoweit bisher vom Beklagten der Besteuerung zugrunde gelegten Überschuss von 9.000 Euro beim Kläger bzw. dem Verlust von 400 Euro bei der Klägerin jeweils zu einer Minderung der bisher festgesetzten Steuer führen. Darüber hinaus stellen die im Vergleich zur bisherigen Steuerfestsetzung höheren beschränkt abziehbaren Sonderausgaben ebenfalls eine Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dar, da auch die zusätzlichen Sonderausgaben unter Berücksichtigung der jeweiligen Höchstbeträge im Ergebnis zu einer Steuerminderung führen würden.

b) Die Verluste aus Vermietung und Verpachtung und die zusätzlichen beschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben wurden dem Beklagten erst im Rahmen der am .....2008 eingereichten Steuererklärung und damit nachträglich im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, das heißt nach dem Erlass des ursprünglichen Steuerbescheides vom ...2008 (vgl. dazu etwa BFH-Urteil vom 13.09.2001 IV R 79/99, BStBl. II 2002, 2), bekannt.

c) Die Kläger haben das nachträgliche Bekanntwerden der Verluste aus Vermietung und Verpachtung sowie der beschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben grob verschuldet.

Grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (vgl. BFH-Urteil vom 20.11.2008 III R 107/06, BFH/NV 2009, 545 m.w.N.). Ein grobes Verschulden kann nicht nur vorliegen, wenn der Steuerpflichtige seine Erklärungspflicht schlecht erfüllt, indem er unzutreffende oder unvollständige Erklärungen abgibt (vgl. etwa BFH-Urteile vom 20.11.2008 III R 107/06, BFH/NV 2009, 545; vom 16.9.2004 IV R 62/02, BStBl. II 2005, 75 und vom 28.6.1983 VIII R 37/81, BStBl II 1984, 2). Grobes Verschulden ist insbesondere auch dann zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht überhaupt nicht nachkommt und dadurch den Erlass eines Schätzungsbescheides veranlasst (vgl. etwa BFH-Urteil vom 16.9.2004 IV R 62/02, BStBl. II 2005, 75 m.w.N.). Dieses Verschulden wirkt bis zur Bestandskraft des Schätzungsbescheids fort und wird nicht etwa durch ein späteres (leichtes) Verschulden bei der Anfechtung des Schätzungsbescheids verdrängt (vgl. BFH-Urteil vom 16.9.2004 IV R 62/02, BStBl. II 2005, 75).

Die Kläger haben ihre Steuererklärung für das Streitjahr 2006 trotz mehrfacher Aufforderungen nicht beim Beklagten eingereicht. Sie sind ihrer Steuererklärungspflicht nach § 25 Abs. 3 EStG in Verbindung mit § 149 AO zunächst überhaupt nicht nachgekommen. Dadurch haben sie den Schätzungsbescheid vom ....2008 veranlasst. Die Steuererklärung wurde in der Folgezeit erst am ....2008 - mithin rund zwei Monate nach Erlass des Schätzungsbescheids - abgegeben. Darüber hinaus teilte der Steuerberater der Kläger im Schreiben vom 21.10.2008 ausdrücklich mit, dass ihm die Kläger trotz mehrfacher Aufforderung nicht die für die Erstellung der Steuererklärung erforderlichen Unterlagen übergeben hätten und er vor diesem Hintergrund wegen mangelnder Erfolgsaussichten keinen Einspruch gegen den Schätzungsbescheid vom ......2008 eingelegt habe. Dadurch, dass die Kläger trotz mehrfacher Aufforderungen ihre Steuererklärung zunächst überhaupt nicht und in der Folgezeit erst rund zwei Monate nach dem Erlass des Schätzungsbescheids abgegeben hatten, haben sie die ihnen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße verletzt. Die Gesamtumstände lassen nur den Schluss zu, dass die Kläger ihre Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung für das Streitjahr zumindest grob fahrlässig verletzt haben (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 16.9.2004 IV R 62/02, BStBl. II 2005, 75). Hiervon geht im übrigen auch der Prozessbevollmächtigte der Kläger aus. Es sind weder Gründe vorgetragen noch sonst aus den Akten ersichtlich, die bei einer umfassenden Würdigung der persönlichen Verhältnisse der Kläger einen hinreichenden Entschuldigungsgrund für die Verletzung der Steuererklärungspflicht und die verspätete Abgabe der Steuererklärung erkennen ließen. Ob den steuerlichen Berater der Kläger in diesem Zusammenhang ebenfalls ein Verschulden trifft, das den Klägern unter Umständen zuzurechnen wäre (vgl. dazu insgesamt etwa Klein/Rüsken, AO-Kommentar, 8. Auflage 2003, § 173 Rn 125 ff.), kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.

d) Das Verschulden der Kläger ist nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ist ein Verschulden unschädlich, wenn die steuermindernden Tatsachen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit anderen Tatsachen stehen, die zu einer höheren Steuer führen.

Ein unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ist gegeben, wenn eine zu einer höheren Besteuerung führende Tatsache die zu einer Steuerermäßigung führende Tatsache ursächlich bedingt, so dass der steuererhöhende Vorgang nicht ohne den steuermindernden Vorgang denkbar ist (vgl. BFH-Urteile vom 19.10.1995 V R 60/72, BStBl. II 1996, 149; vom 8.8.1991 V R 106/88, BStBl. II 1992, 12 und vom 28.3.1985 IV R 159/82, BStBl. II 1996, 120; Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 Rn 86; von Wedelstädt, in: Beermann/Gosch, AO/FGO, § 173 Rn 107; von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 173 Rn 301). Hierfür ist ein sachlicher Zusammenhang erforderlich. Ein lediglich steuerlicher oder zeitlicher Zusammenhang reicht nicht aus (vgl. BFH-Urteil vom 8.8.1991 V R 106/88, BStBl. II 1992, 12 m.w.N.; Klein/Rüsken, AO-Kommentar, 8. Auflage 2003, § 173 Rn 136). Der erforderliche Sachzusammenhang wird nicht bereits dadurch hergestellt, dass durch dieselbe Steuererklärung, durch mehrere gleichzeitig abgegebene Steuererklärungen oder durch die Betriebsprüfung gleichzeitig steuererhöhende und steuermindernde Tatsachen offenbar werden (vgl. dazu etwa BFH-Urteil vom 28.3.1985 IV R 159/82, BStBl. II 1986, 120).

Vorliegend ist ein unmittelbarer oder mittelbarer Sachzusammenhang nicht gegeben. Er besteht insbesondere nicht zwischen den zu einer Steuererhöhung führenden Einkünften aus Gewerbebetrieb und den zu einer Steuerminderung führenden Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Denn ein Zusammenhang im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO besteht in Fällen dieser Art regelmäßig nur innerhalb einer Einkunftsart, nicht jedoch zwischen den Einkünften der jeweils voneinander unabhängigen Einkunftsarten (vgl. FG Köln, Urteil vom 10.11.1995 3 K 3229/94, EFG 1996, 899; siehe auch BFH-Urteil vom 16.4.1997 XI R 27/96, BFH/NV 1998, 1). Der steuererhöhende Vorgang in Form der Einkünfte aus Gewerbebetrieb ist vorliegend auch ohne den steuermindernden Vorgang in Form der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung denkbar. Die Einkünfte beider Einkunftsarten sind nicht ursächlich miteinander verknüpft. Ein Sachzusammenhang kann darüber hinaus auch nicht mit dem Hinweis auf die in § 150 Abs. 2 AO normierten Anforderungen an die Abgabe der Steuererklärung begründet werden. Denn die Pflicht zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Abgabe der Steuererklärung führt nicht dazu, dass die Angaben zu den einzelnen Einkünften in der Steuererklärung im Hinblick auf die steuerliche Behandlung dieser Vorgänge in einem unmittelbaren oder mittelbaren Sachzusammenhang im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO stehen. Die in § 150 Abs. 2 AO verankerte Pflicht wirkt sich nämlich nicht auf die der Besteuerung zugrundeliegenden und zur Steuererhöhung oder Steuerminderung führenden Vorgänge aus, auf die es im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ankommt. Dabei ist es unerheblich, dass die jeweiligen Einkünfte als neue Tatsachen erst durch die Abgabe derselben Steuererklärung (gemeinsam) offenbar werden (vgl. nur BFH-Urteil vom 28.3.1985 IV R 159/82, BStBl. II 1986, 120). Die für die Anwendung des § 173 AO relevanten Vorgänge werden in der Steuererklärung lediglich zusammengefasst, ohne dass sie sich ursächlich bedingen. Es ist insbesondere ohne weiteres denkbar, dass im Rahmen der Steuererklärung lediglich die steuererhöhenden Vorgänge oder lediglich die zu einer Steuerminderung führenden Vorgänge angegeben werden. Eine denknotwendige Verknüpfung der jeweiligen Vorgänge wird durch § 150 Abs. 2 AO nicht bewirkt. Auch der Umstand, dass eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen häufig ihre Ursache in einer vorherigen Nichtabgabe der Steuererklärung haben mag, kann einen sachlichen Zusammenhang im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO nicht begründen. Im übrigen sind auch hinsichtlich der zusätzlich geltend gemachten beschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben keine Anhaltspunkte für einen Sachzusammenhang mit einem steuererhöhenden Vorgang ersichtlich.

2. Der Beklagte war nicht verpflichtet, die Schätzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vorzunehmen. Die Steuerfestsetzung verstößt vor diesem Hintergrund insbesondere nicht gegen die Grundsätze von "Treu und Glauben".

Unabhängig davon, dass für einen solchen Verstoß bereits keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, war der Beklagte nicht angehalten, den Schätzungsbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zu erlassen. Eine Verpflichtung zur Aufnahme des Nachprüfungsvorbehalts lässt sich aus dem Gesetz nicht ableiten (vgl. FG Köln, Urteil vom 10.11.1995 3 K 3229/94, EFG 1996, 899; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.5.2008 6 K 526/07, [...] m.w.N.). Denn es steht gemäß § 164 Abs. 1 AO im Ermessen der Finanzbehörde, einen Verwaltungsakt unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zu erlassen. Weder die Beifügung noch die Nichtbeifügung des Vorbehalts bedarf einer Begründung. Es obliegt grundsätzlich alleine der Einschätzung der Finanzbehörde, ob und gegebenenfalls wann sie eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen will. Das gilt auch für Schätzungsveranlagungen. Die Finanzbehörde darf daher ohne eine Begründung davon ausgehen, dass der Steuerfall für eine spätere Überprüfung nicht mehr offengehalten werden soll. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 162 Ziffer 4 des Anwendungserlasses zur AO (AEAO). Die Interessen des Steuerpflichtigen werden in Fällen dieser Art ausreichend durch die jeweiligen Änderungsvorschriften und durch die Möglichkeit zur Anfechtung des Schätzungsbescheides geschützt (vgl. dazu insgesamt FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.5.2008 6 K 526/07, [...] m.w.N.).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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