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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 31.03.2009
Aktenzeichen: 8 K 1483/06
Rechtsgebiete: UStG, AO


Vorschriften:

UStG § 18 Abs. 1
AO § 34 Abs. 1
AO § 69
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Haftungsbescheid vom 26.08.2005 wird unter teilweiser Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 09.03.2006 insoweit geändert, dass die Haftungssumme auf 148.919,69 Euro herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 95% und der Beklagte zu 5%.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Haftung des Klägers für Steuerschulden der U GmbH i.L. (nachfolgend: U GmbH).

Der Kläger ist Gesellschafter und seit dem 01.07.1990 alleiniger Geschäftsführer der U GmbH.

Am 25.09.2002 beantragte die B wegen bestehender Rückstände für Sozialversicherungsbeiträge die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der U GmbH. Mit Beschluss des Amtsgericht L vom 08.01.2003 (Az. ...) wurde Herr Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Dr. H zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Der vorläufige Insolvenzverwalter erstellte am 19.02.2003 sein Gutachten, in dem er auf Seite 18 feststellt, dass im Zeitpunkt der Antragstellung, am 25.09.2002, Zahlungsunfähigkeit im Sinne vom § 17 InsO vorlag. Hierzu führt das Gutachten aus:

"Die Schuldnerin war zu diesem Zeitpunkt in der Tat nicht in der Lage, die fälligen Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt, den beteiligten Sozialversicherungsträgern und ihrem Lieferanten im Gesamtvolumen in Höhe von 1,5 Millionen Euro mit den zum Zeitpunkt der Antragstellung noch vorhandenen liquiden Mitteln vollumfänglich zu befriedigen."

Mit Beschluss des Amtsgerichts L vom 26.02.2003 (...) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der U GmbH eröffnet.

Im laufenden Insolvenzverfahren führte der Beklagte am 06.08.2003 eine Umsatzsteuersonderprüfung für die Voranmeldungszeiträume Januar 2002 bis Februar 2003 durch. Laut Sonderprüfungsbericht vom 17.07.2003 habe die U GmbH für die Monate Januar bis einschließlich Mai 2002 Umsatzsteuer-Voranmeldungen eingereicht. Die danach folgenden Voranmeldungszeiträume habe der Beklagte geschätzt. Nachfolgend habe die U GmbH für die Voranmeldungszeiträume August bis Dezember 2002 berichtigte Voranmeldungen eingereicht, die jedoch aufgrund fehlender Unterschrift an diese zurückgesandt worden seien. Die fehlenden Unterschriften seien nicht nachgeholt worden. Die berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldungen Januar bis Dezember 2002 nahm die Umsatzsteuersonderprüfung zur Prüfungsgrundlage.

In der nachfolgenden Aufstellung werden für 2002 die ursprünglich angemeldeten Umsatzsteuer-Zahllasten, die hierauf gezahlten Beträge sowie die Zahllasten laut berichtigter Umsatzsteuer-Voranmeldungen und die Differenz dieser berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldungen zu den gezahlten Beträgen dargestellt.

 ZeitraumDatum der Anmeldungangemeld. Zahllastgezahlter BetragZahllast lt. ber. USt-VADifferenz gez. Betrag / ber. USt-VA
Januar 200214.05.200224.657,68 €;24.657,68 €;13.558,67 €;-11.099,01 €;
Feb. 200218.10.200224.672,00 €;24.672,00 €;19.325,79 €;-5.346,21 €;
März 200217.06.200219.929,32 €;19.929,32 €;19.923,34 €;-5,98 €;
April 200215.07.200222.030,72 €;22.030,72 €;74.375,01 €;52.344,29 €;
Mai 200216.09.200215.737,12 €;15.737,12 €;27.889,22 €;12.152,10 €;
Juni 200228.10.200237.452,00 €;37.452,00 €;54.256,48 €;16.804,48 €;
Juli 200204.11.200229.980,00 €;29.980,00 €;53.386,44 €;23.406,44 €;
Aug. 200220.02.200330.594,00 €;23.498,67 €;66.692,50 €;43.193,83 €;
Sept. 2002 (Diff. 08/027.095,33 €;)11.050,84 €; 
Okt. 2002   46.611,74 €; 
Nov. 2002   37.748,06 €; 
Dez. 2002   -3.210,00 €; 
Summe 205.052,84197.957,51 €;421.608,08 €;131.449,94 €;

(Die Werte ergeben sich aus Seite 3 des Umsatzsteuerprüfungsberichtes sowie aus dem Erhebungskontoauszug auf Blatt 93 und 94 d.A.).

Weiter stellte die Umsatzsteuersonderprüfung fest, dass beim Bauvorhaben ... im März 2002 ein Nettoumsatz von 18.917,80 Euro sowie im Dezember 2002 eine Abschlagszahlung in Höhe von netto 27.375,36 Euro nicht erfasst wurde.

Aus dem Erhebungskonto ergibt sich, dass für das Jahr 2002 eine Umsatzsteuersondervorauszahlung am 03.06.2002 in Höhe von 21.596,00 Euro zum Soll gestellt wurde, diese jedoch am 29.01.2003 aufgehoben wurde und der Betrag von 21.596,00 Euro mit der Umsatzsteuerzahllast August 2002 verrechnet wurde. Die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen der Voranmeldungszeiträume Januar bis Juli 2002 wurden nebst der festgesetzten Verspätungszuschläge im Wege der Lastschrift am Anmeldungstag eingezogen. Für den Voranmeldungszeitraum August 2002 ergibt sich ein offener Teilbetrag von 7.095,33 Euro. Die am 20.02.2003 zum Soll gestellten Umsatzsteuer-Voranmeldungsbeträge September, Oktober und Dezember 2002 sind laut Erhebungskonto offen. Weiterhin ist die Umsatzsteuerfestsetzung 2000 in Höhe von 85.509,51 Euro offen. Diese hat ihre Grundlage in der Umsatzsteuersonderprüfung und wurde am 19.01.2004 zum Soll gestellt.

Mit Haftungsbescheid vom 26.08.2005 nahm der Beklagte den Kläger für Steuerschulden der U GmbH in Höhe von 387.997,87 Euro incl. Säumniszuschlägen in Haftung. Die Steuerschulden setzen sich zusammen aus den Umsatzsteuer-Voranmeldungsbeträgen August bis Oktober 2002 sowie der Umsatzsteuer 2002 und 2003. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid verwiesen.

Der hiergegen durch den Kläger geführte Einspruch war teilweise erfolgreich. Mit Einspruchsentscheidung vom 09.03.2006 reduzierte der Beklagte die Haftungssumme auf insgesamt 156.447,75 Euro.

In seiner Einspruchsentscheidung vertritt der Beklagte die Ansicht, dass ein eigentlicher Haftungszeitraum nicht vorliege, da der Haftungszeitraum grundsätzlich mit dem Tag der Insolvenzeröffnung ende und sämtliche bisher geltend gemachten Haftungsschulden erst nach diesem Zeitpunkt fällig wurden. Es bestehe jedoch eine sogenannte "ursächliche Haftung" des Klägers da dieser die richtigen Umsatzsteuer-Voranmeldungen erst verspätet abgegeben und damit aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeiten vereitelt habe. Das Finanzamt habe bis zum Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit aussichtreiche Vollstreckungsmöglichkeiten gehabt. Als Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit sei die Stellung des Insolvenzantrages am 25.09.2002 anzunehmen, da der Insolvenzverwalter laut seinem Bericht für diesen Zeitpunkt Zahlungsunfähigkeit bescheinigt habe. Auch der Voranmeldungszeitraum August 2002 sei einzubeziehen, da für die U GmbH kein wirksamer Dauerfristverlängerungsantrag bestanden habe. Damit sei bei ordnungsgemäßer Einreichung der Umsatzsteuer-Voranmeldung August 2002 diese Zahllast am 10.09.2009, also vor Zahlungsunfähigkeit fällig geworden. Daneben lasse auch der Umstand, dass auch nach August 2002 Umsätze erzielt worden seien, darauf schließen, dass für das Finanzamt ausreichende Beitreibungsmöglichkeiten bestanden hätten.

Auch sei die verspätete Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen schon deshalb schuldhaft, da der Geschäftsführer die zunächst eingereichten und nicht unterschriebenen Voranmeldungen, die das Finanzamt der GmbH zwecks Unterschriftsleistung wieder zurückgeleitet habe, nicht zurückgesandt habe. Damit habe der Kläger die "nicht korrekt zu niedrig geschätzten bzw. angemeldete Beträge" in Kauf genommen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage.

Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm kein Verschulden zur Last gelegt werden könne. Aus dem Insolvenzgutachten ergebe sich, dass bis auf die Bewertung der halbfertigen Arbeiten die Buchführung bis Dezember 2002 erfolgt sei. Auch sei es nach wie vor unklar, welche Abweichungen zu einem steuerlichen Mehrergebnis geführt hätten. Zwar liege in den Fehlbuchungen der Anzahlungen für die Bauvorhaben ... und ... ein vorwerfbares Verhalten in Form von Fahrlässigkeit, doch stehe dem ein Voranmeldungsguthaben von 16.346 Euro aus den Monaten Januar und Februar 2002 gegenüber.

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid vom 26.06.2005 in Gestallt der Einspruchsentscheidung vom 09.03.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Verfügung vom 16.10.2008 setzte das Gericht dem Kläger gemäß § 79 b Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - eine Ausschlussfrist bis zum 18.11.2008 diejenigen Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühle. Gleichzeitig wies das Gericht auf die Ausschlusswirkung der Fristsetzung hin.

Am 03.03.2009 wurde die Sach- und Rechtslage mit dem Berichterstatter erörtert. Anlässlich dieser Erörterung wurde dem Kläger aufgegeben, seine Bedenken gegen die in Haftungsnahme (Pflichtverletzung sowie Kausalität des Schadens) zu konkretisieren.

Dem Beklagten wurde aufgegeben, die Umsatzsteuer-Voranmeldungen einzureichen, hinsichtlich derer eine Haftungsinanspruchnahme erfolgte. Mit Schreiben vom 09.03.2009 teilte der Beklagte mit, dass die Umsatzsteuer-Voranmeldungen vernichtet seien. Entsprechende Daten könnten ausschließlich aus dem Erhebungskonto abgeleitet werden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldungen August bis Oktober 2002 vom 19.02.2003 vor, die bis auf Oktober 2002 den Eingangsstempel des Beklagten vom 20.02.2003 tragen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist im Wesentlichen unbegründet.

Denn der Beklagte hat den Kläger zu Recht als Geschäftsführer der U GmbH für deren Umsatzsteuerschulden der Monate April bis einschließlich August 2002 sowie die hierauf entfallenden Säumniszuschläge in Anspruch genommen.

Nach § 69 Satz 1 der Abgabenordnung - AO - haften die in § 34 AO benannten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtszeitig festgesetzt (Alternative 1) oder erfüllt (Alternative 2) werden.

Als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer war der Kläger gesetzlicher Vertreter der U GmbH ( § 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). In dieser Eigenschaft hatte der Kläger gemäß § 34 Abs. 1 AO deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Zu diesen Pflichten zählt auch die fristgerechte Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen ( § 18 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -), die nach § 150 Abs. 2 AO wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen zur erstellen sind. Zwar hat der Kläger, wenn auch verspätet, für die Monate April bis August 2002 Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben und die vorangemeldeten Vorauszahlungsbeträge bis auf 7.095,33 Euro für August 2002 auch im Wege des Lastschrifteinzugs entrichtet, doch hatte der Kläger die Vorauszahlungsbeträge falsch ermittelt und angemeldet. Dies ergibt sich aus den im Rahmen der Umsatzsteuersonderprüfung vorgefundenen und für die Monate August bis Oktober 2002 am 19.02.2002 ohne Unterschrift eingereichten, berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldungen 2002. Dass diese berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldungen dem tatsächlichen Zahlenwerk der Buchhaltung entsprechen, ergibt sich aus den Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung laut Bericht vom 17.07.2003.

Die Abgabe der falschen bzw. die Nichteinreichung der richtigen/berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldungen war auch schuldhaft, denn hierbei handelte der Kläger zumindest grob fahrlässig (zur Definition: BFH-Beschluss vom 03. Dezember 2004 VII B 178/04, BFH/NV 2005, 661). Nach dem eigenen Vortrag des Klägers steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser die Buchführung bis einschließlich Dezember 2002 zeitnah und ordnungsgemäß erstellt hat. Wie es unter diesen Umständen zu solch massiv falschen Umsatzsteuer-Voranmeldungen kommen konnte, ist dem Senat nicht ergründlich. Der Kläger hatte als Geschäftsführer die Verpflichtung, die ordnungsgemäße Erfüllung der steuerlichen Pflichten zu kontrollieren und zu überwachen. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, da sich die U GmbH in 2002 in der Krise befand. Dass der Kläger dieser Pflicht nicht nachgekommen ist, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass er durch bloßes Ablesen des Umsatzsteuerkontos aus der Buchführung hätte erkennen können und müssen, dass die Umsatzsteuer-Voranmeldungen falsch sind. Bereits dieses Verhalten des Klägers rechtfertigt den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit (vgl. für den Fall der Lohnsteueranmeldung BFH-Urteil vom 13. März 2003 VII R 46/02, BFHE 202, 22, BStBl II 2003, 556). Daneben indiziert die Pflichtwidrigkeit im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit (vgl. BFH-Beschluss vom 14. September 1999 VII B 33/99, BFH/NV 2000, 303; BFH-Urteil vom 13. März 2003 VII R 46/02, BFHE 202, 22, BStBl II 2003, 556). Umstände, die eine von diesem Grundsatz abweichende Beurteilung rechtfertigen würden, sind weder aus dem Akteninhalt ersichtlich, noch hat der Kläger solche vorgetragen. Weitere Ermittlungen waren auch seitens des Gerichts nicht anzustellen, denn der Kläger hat trotz der Aufforderung des Gerichts im Erörterungstermin vom 03.03.2009 keine Umstände vorgetragen, die das Einreichen der falschen Umsatzsteuer-Voranmeldungen bzw. deren unterlassene Berichtigung entschuldigen würden.

Auch ist durch das Einreichen der falschen Umsatzsteuer-Voranmeldungen ein adäquat kausaler Schaden entstanden. Denn entsprechend den Ausführungen des Beklagten in seiner Einspruchsentscheidung hätte das Finanzamt bei fristgemäßer und richtiger Umsatzsteuer-Voranmeldung bis einschließlich der Umsatzsteuer-Voranmeldung für August 2002 aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeiten zur Erhebung der Zahllasten gehabt. Damit wäre bei pflichtgemäßem Verhalten des Klägers ein Schaden nicht entstanden (vgl. BFH-Urteil vom 05. März 1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678; FG-Münster Urteil vom 18. Juni 2007 1 K 6201/03, EFG 2007, 1566).

Allerdings stimmt der Senat nicht mit dem Beklagten darin überein, dass die zum 25.09.2002 durch den Insolvenzverwalter in seinem Bericht vom 19.02.2003 festgestellte Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 der Insolvenzordnung - InsO - das Ende aussichtsreicher Vollstreckungsmöglichkeiten markiere. Denn der insolvenzrechtliche Begriff der Zahlungsunfähigkeit bedeutet "lediglich" das Unvermögen des Schuldners, seine (gesamten) fälligen Geldschulden zu begleichen. Dies besagt jedoch nicht, ob noch ausreichend liquide Mittel (Bar- und Buchgeld) vorhanden waren, um die Steuerschulden zu entrichten. Laut Anlage zum Insolvenzgutachten vom 19.02.2003 waren am 25.09.2002 liquide Mittel i.H.v. 238.786,80 Euro vorhanden. Dies und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die U GmbH immer sämtliche fälligen Umsatzsteuerschulden bis einschließlich 04.11.2002 (Zahlung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung Juli 2002) im Wege der Lastschrift entrichtet hat, lässt den Schluss zu, dass für den Beklagten zumindest bis zu diesem Zeitpunkt nicht nur aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeiten bestanden haben, sondern sogar davon ausgegangen werden muss, dass der Beklagte bei der U GmbH auch die in richtiger Höhe angemeldeten Umsatzsteuer-Voranmeldungsbeträge im Wege der Lastschrift hätte einziehen können.

Der Senat geht nach dem 04.11.2008 allerdings von einer Zahlungseinstellung der U GmbH aus, denn nach diesem Zeitpunkt führten Lastschriftversuche stets zu Rücklastschriften. Hierfür spricht auch , dass am 25.09.2002 von einem Sozialversicherungsträger Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde. Daneben lagen ab diesem Zeitpunkt auch keine weiteren aussichtsreichen Vollstreckungsmöglichkeiten mehr vor.

Auch teilt der Senat nicht die Ansicht des Beklagten, dass kein wirksamer Antrag auf Dauerfristverlängerung vorgelegen habe. Denn laut Erhebungskonto wurde für die U GmbH eine Sondervorauszahlung nach § 18 Abs. 6 UStG festgesetzt und diese auch bezahlt. Erst nach dem 20.02.2003 wurde die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung aufgehoben und mit dem Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbetrag für August 2002 verrechnet.

Trotz dieser abweichenden Beurteilungen ergibt sich für den Senat, wie für den Beklagten, als Ende des Haftungszeitraums die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für August 2002. Aufgrund der wirksamen Dauerfristverlängerung um einen Monat hätte der Kläger die Umsatzsteuer-Voranmeldung der U GmbH für September 2002 am 10.11.2002 abgeben und den Zahlbetrag entrichten müssen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die U GmbH ihre Zahlungen bereits eingestellt, womit durch die Pflichtverletzung des Klägers kein kausaler Schaden mehr entstehen konnte.

Schließlich ist die Haftung des Klägers - entgegen dessen Ansicht - nicht aufgrund der Überschuldung der U GmbH auf die Quote der anteiligen Befriedigung beschränkt. Denn die Grundsätze der anteiligen Befriedigung sind zur Zahlungspflichtverletzung ergangen. Hiernach muss der Geschäftsführer einer überschuldeten GmbH vorhandene Barmittel so auf alle Gläubiger verteilen, dass keiner benachteiligt wird. Vorliegend ist die haftungsbegründende Pflichtverletzung jedoch nicht die Verletzung einer Zahlungspflicht, sondern die Verletzung der Erklärungspflicht, die zu einer Vereitelung aussichtsreicher Vollstreckungsmöglichkeiten führte. Beide möglichen Pflichtverletzungen eines Geschäftsführers stehen selbständig haftungsbegründend nebeneinander und führen zu abweichenden Kausalitätsfragen (vgl. BFH-Urteile vom 25. April 1995, VII R 99-100/94, BFH/NV 1996, 97; vom 05. März 1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678).

Ein Haftungsausschluss der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für August 2002 lässt sich auch nicht mit der Stellung des Insolvenzantrages am 25.09.2002 begründen, denn auch hiernach obliegen dem Geschäftsführer sämtliche bisherigen Pflichten und zwar bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ( § 80 InsO) bzw. der Bestellung eines vorläufig (starken) Insolvenzverwalters ( § 22 Abs. 1 InsO).

Damit ist dem Finanzamt ein vorläufiger Schaden in Höhe der Differenzbeträge zwischen den bezahlten Voranmeldungsbeträgen und den richtigen Voranmeldungsbeträgen April bis August 2002 in Höhe von 147.901,14 Euro entstanden.

Von diesem vorläufigen Schaden sind jedoch die Vorsteuerüberzahlungen der Monate Januar bis März 2002 in Höhe von 16.451,20 Euro in Abzug zu bringen. Denn insoweit liegt ein aufrechenbares Guthaben vor. Im Rahmen der Haftung kann sich der Beklagte nicht ausschließlich auf die ihm günstigen Umstände berufen. Dies gilt für die Umsatzsteuer umso mehr, da es sich auch bei dieser gemäß § 18 Abs. 3 UStG um eine Jahressteuer handelt, auf die lediglich während des Besteuerungszeitraums Vorauszahlungen geleistet werden. Mangels anderweitiger Steuerrückstände wäre es bei einer Berichtigung der Umsatzsteuer-Voranmeldungsbeträge Januar bis März 2002 zu einer Verrechnung der Guthaben mit der Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat April 2002 gekommen, selbst wenn der Kläger keine Leistungsbestimmung getroffen hätte (vgl. die gesetzliche Reihenfolge der Tilgung gemäß § 225 Abs. 2 AO). Hinsichtlich dieses Guthabens liegt mithin kein Schaden vor.

Dass der vom Finanzamt gewählte Ansatz, nur die Monate mit Steuerzahllasten in die Haftung einzubeziehen, nicht richtig sein kann, ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Dieser Ansatz könnte nämlich zu dem unbilligen Ergebnis führen, dass eine Haftung für Vorauszahlungsbeträge angenommen wird, obwohl die Jahressteuerfestsetzung zu einem Erstattungsanspruch führt. Damit gebietet sich zunächst eine Betrachtung der Umsatzsteuer-Voranmeldungszeiträume eines Jahres bis zum Ende des Haftungszeitraums. Die so ermittelte Haftungssumme ist in einem zweiten Schritt auf die Abschlusszahlung der Umsatzsteuerjahresfestsetzung zu begrenzen.

Hinsichtlich der Fehlbuchung der Anzahlung für das Bauvorhaben ... im März 2002, aufgrund derer ein Nettoumsatz von 18.917,80 Euro und damit eine Umsatzsteuer von 3.026,84 Euro nicht erfasst wurde, trifft den Kläger, entgegen der Ansicht des Beklagten, kein haftungsbegründendes Verschulden gemäß §§ 69, 34 AO. Wie oben dargestellt, ist ein Geschäftführer verpflichtet, sich ein Bild über die Buchführung zu verschaffen und zu überwachen, dass die Werte der Buchführung sich auch in den Steuererklärungen wiederfinden (vgl. für den Fall der Lohnsteueranmeldung BFH-Urteil vom 13. März 2003 VII R 46/02, BFHE 2002, 22, BStBl II 2003, 556). Diese Kontroll- und Überwachungspflicht des Geschäftsführers eines mittelständischen Unternehmens geht aber nicht so weit, dass der Geschäftsführer jede Ertragsbuchung nachvollziehen und kontrollieren muss. Denn es würde einen unvertretbaren Aufwand darstellen, wenn der Geschäftsführer - wie im vorliegenden Fall - alle 40 bis 60 Ertragsbuchungen jeden Monat nachvollziehen und daneben kontrollieren müsste, dass auch alle Erträge in der Buchführung enthalten sind. Vielmehr erstreckt und beschränkt sich damit die Kontroll- und Überwachungspflicht eines Geschäftsführers auf die generelle Organisation der Buchführung und die Übernahme deren Werte in die Steuererklärungen. Bei der streitigen Fehlbuchung handelt es sich um ein Versehen im Rahmen eines Massenverfahrens, das nach Überzeugung des Senats auch bei Erfüllung der Kontroll- und Überwachungspflichten des Geschäftsführers nicht aufgefallen und damit nicht vermieden worden wäre.

Schließlich erstreckt sich die Haftung des Klägers gemäß § 69 Satz 2 AO auch auf die infolge der Pflichtverletzung angefallenen Säumniszuschläge. Der Säumniszuschlag ist zum einen für den nicht gezahlten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbetrag des Monats August 2002 und zum anderen für den darüber hinaus gehenden Haftungsbetrag zu ermitteln. Die Fälligkeit der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für August 2002 trat mit deren Anmeldung am 20.02.2003 ein. Der Säumniszeitraum begann damit am 21.02.2003 und lief bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung vom 09.03.2006. Damit beträgt der Säumniszeitraum 37 angefangene Monate. Für die darüber hinaus gehende Haftungssumme in Höhen von 124.354,61 Euro (131.449,94 Euro ./. 7.095,33 Euro) trat die Fälligkeit nach § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG einen Monat nach Bekanntgabe der geschätzten Umsatzsteuerjahresfestsetzung 2002 am 19.01.2004 ein. Der maßgebliche Säumniszeitraum lief mithin vom 20.01.2004 bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung vom 09.03.2006 und betrug 26 angefangene Monate. Im Rahmen der Einspruchsentscheidung ermittelte der Beklagte fälschlich lediglich 17 Monate. Nach § 240 Abs. 1 AO ist ab Fälligkeit als Säumniszuschlag je angefangenen Monat 1% des rückständigen Steuerbetrages zu entrichten. Hierbei ist der Steuerbetrag auf den nächsten durch 50 teilbaren Betrag abzurunden. Damit ergibt sich für die Umsatzsteuer-Vorauszahlung August 2002 ein Säumniszuschlag von 2.608,50 Euro (7.050 Euro x 37%). Hinzu kommt die Säumnis für den verbleibenden Haftungsbetrag, wofür ein Säumniszuschlag von 32.331 Euro (124.350 x 26%) anfällt. Damit ergibt sich ein Gesamtbetrag der Säumniszuschläge von 34.939,50 Euro.

Für die Säumniszuschläge kann der Kläger, entsprechend der Berechnung des Beklagten in seiner Einspruchsentscheidung, nur zur Hälfte (17.469,75 Euro) in Anspruch genommen werden. Denn die U GmbH hat einen Anspruch auf Erlass der hälftigen Säumniszuschläge aufgrund sachlicher Unbilligkeit ( § 227 AO). Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass der Säumniszuschlag neben der Funktion als Druckmittel zur Steuerzahlung auch den Zweck verfolgt, den beim Finanzamt durch die Säumnis eintretenden Zinsschaden sowie den hierdurch entstehenden Verwaltungsaufwand auszugleichen. Wenn nun der Steuerpflichtige wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit an der Entrichtung der Steuern gehindert ist, verliert der Säumniszuschlag seine Funktion als Druckmittel eigener Art. Im Gegensatz dazu besteht auch im Insolvenzverfahren ein Bedürfnis eines Schadensausgleichs, so dass der Steuerpflichtige in der Regel nur einen Anspruch auf Erlass der hälftigen Säumniszuschlage hat ( BFH-Urteil vom 09. Juli 2003 V R 57/02, BFHE 203, 8, BStBl II 2003, 901). Diese Billigkeitsgesichtspunkte, die beim Steuerpflichtigen zu einem Erlass nach § 227 AO führen würden, sind auch im Haftungsverfahren zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 16. November 2004, VII R 8/04, BFH/NV 2005, 495).

Demnach errechnet sich folgende Haftungssumme:

 Steuerschulden131.449,94 Euro
Säumniszuschläge17.469,75 Euro
Haftungssumme148.919,69 Euro

Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte das ihm in § 191 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen ( § 5 AO) nicht rechtmäßig ausgeübt hat, sind nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO sowie die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10 der Zivilprozessordnung - ZPO -.

Ende der Entscheidung

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