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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 28.02.2006
Aktenzeichen: 9 K 3338/05
Rechtsgebiete: ErbStG, BGB


Vorschriften:

BGB § 2269
BGB § 2270
ErbStG § 15 Abs 3 S 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
TATBESTAND

Streitig ist, ob die Kläger gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz ErbStG nur die Hälfte oder ihren gesamten (1/4-)Erbanteil nach der für das Verhältnis zu ihrem (vorverstorbenen) Onkel geltenden Steuerklasse II zu versteuern haben.

Der im Dezember 1986 (vor-)verstorbene Onkel der Kläger, Herr C, hatte mit seiner im März 2004 (nach-)verstorbenen Ehefrau, Frau C- der Erblasserin - unter dem 25. Oktober 1983 einen notariellen Erbvertrag (Urk.-Nr. ... des in der Stadt L ansässigen Notars Dr. S) geschlossen, in dem sich die Ehegatten zunächst gegenseitig zum unbeschränkten Alleinerben des Erstversterbenden von ihnen berufen und hinsichtlich der Erbfolge nach dem Tod des Längstlebenden in Teil II der Vertragsurkunde weiter verfügt hatten:

"Der Zuletztversterbende von uns setzt zu seinen Erben ein:

1. Herrn F (Bruder des ... Herrn C), ... zu 3/6 Anteil;

Ersatzerben sind dessen Kinder:

A. Frau T, ...

2. Herr X, ...

zu gleichen Teilen;

B. die Cousinen der ... Frau C:

A. Frau L, ..., zu 1/6 Anteil,

Ersatzerben sind deren Kinder: ... zu gleichen Teilen

B. Frau H, ..., zu 1/6 Anteil,

Ersatzerben ist deren Sohn: ...

C. Frau G, ..., zu 1/6 Anteil,

Ersatzerbe ist deren Tochter: ..."

Der Erbvertrag enthält im Anschluss an den maschinenschriftlichen Text folgenden handschriftlich ergänzten Zusatz:

"Sollte Herr C zuerst sterben, kann Frau C eine andere Verfügung von Todes wegen treffen, soweit ihre Cousinen - vgl. Teil II Ziff. 2 - betroffen sind.

Sollte Frau C zuerst sterben, kann Herr C eine andere Verfügung von Todes wegen treffen, soweit sein Bruder - vgl. Teil II Ziff. 1 - betroffen ist..."

Tatsächlich hat die Erblasserin nach dem Tod ihres vorverstorbenen Ehemannes von der ihr eingeräumten (beschränkten) Änderungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht.

In der am 13. Oktober 2004 eingereichten, von dem Testamentsvollstrecker unter Mitwirkung seines steuerlichen Beraters gefertigten Erbschaftsteuererklärung wies dieser unter der Rubrik "Bemerkungen" darauf hin, die Kläger seien Geschwisterkinder des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin und für diese sei durch die im Erbvertrag (Zusatz) enthaltene Bindungsklausel bestimmt, dass sie - die Kläger - unmittelbare Erben des vorverstorbenen Ehemannes seien. Infolgedessen sei bei der Erbschaftsteuerberechnung § 15 Abs. 3 ErbStG (Steuerklasse II) zu beachten, wobei der Anteil des dem Ehemann gehörenden Vermögens an dem am Todestag vorhandenen Gesamtvermögen der Erblasserin auf 40 v.H. geschätzt werde.

In einem im Nachgang zu der Erbschaftsteuererklärung übersandten Schreiben vom 18. Oktober 2004, auf dessen Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, erläuterte der Steuerberater des Testamentsvollstreckers diesen Vermerk dahin, dass die Schätzung des Anteils des Ehemannes an dem zum Stichtag vorhandenen Gesamtvermögen i.H. von 40 v.H. auf der Entwicklung der Guthaben bei den verschiedenen Geldinstituten und dem anteiligen Wert an dem gemeinsamen Einfamilienhaus beruhe.

Unter dem 23. Oktober 2004 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie und ihr Bruder - der Kläger - entgegen der Auffassung des Testamentsvollstreckers bzw. seines steuerlichen Beraters nach § 15 Abs. 3 ErbStG zu 100 v.H. als Erben ihres vorverstorbenen Onkels gälten und der Erbschaftsteuerfestsetzung daher ausschließlich Steuerklasse II zugrunde zu legen sei. Dabei bestehe Einigkeit darüber, dass das im Nachlass der Erblasserin am Todestag noch vorhandene Vermögen zur Hälfte aus dem Vermögen ihres vorverstorbenen Ehemannes Herrn C stamme.

Mit Bescheid vom 31. Januar 2005 setzte der Beklagte ausgehend von einem Wert des Erwerbs i.H. von 62.055 Euro Erbschaftsteuer i.H. von jeweils 7.467 Euro gegen die Kläger fest. In der Anlage zu dem an den Steuerberater des Testamentsvollstreckers als dessen Empfangsbevollmächtigten bekannt gegebenen Bescheid berechnete der Beklagte die Steuer unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 3 ErbStG für jeden der Kläger wie folgt:

 Gesamtwert der Nachlassgegenstände:291.995 Euro
Gesamtwert der Nachlassverbindlichkeiten:43.763 Euro
Anteiliger Erwerb des Klägers/der Klägerin (1/4) =72.998 Euro
 10.940 Euro

  Herr C(50 v.H.) Frau C(50 v.H.)
     
Nachlass: 36.499 Euro 36.499 Euro
Kosten:   10.940 Euro
Freibetrag: 10.300 Euro  
abgerundet: 26.100 Euro 25.500 Euro
Steuersatz:(12 v.H.)3.132 Euro(17 v.H.)4.335 Euro
Gesamtsteuer: 7.467 Euro 

Hinsichtlich der Abweichungen zu den erklärten Angaben verwies der Beklagte auf ein der Klägerin übersandtes Erörterungsschreiben vom 10. Dezember 2004, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.

Hiergegen legten die Kläger am 22. Februar 2005 (Klägerin) bzw. 23. Februar 2005 (Kläger) unter Hinweis auf ihre bereits vor Durchführung der Veranlagung geäußerte Rechtsauffassung, dass ihr gesamter Erwerb dem für Steuerklasse II maßgebenden Tarif unterliege, Einspruch ein und begehrten Herabsetzung der Erbschaftsteuer auf 6.192 Euro.

Mit gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geändertem Bescheid vom 22. Februar 2005 ermäßigte der Beklagte die Erbschaftsteuer der Kläger unter Berücksichtigung nachträglich geltend gemachter Nachlassverbindlichkeiten (Bestattungskosten) i.H. von 732 Euro auf jeweils 7.433 Euro. Die Berechnung der Steuerbegünstigung nach § 15 Abs. 3 ErbStG blieb mit Ausnahme der auf 11.124 Euro erhöhten (anteiligen) Nachlassverbindlichkeiten unberührt.

Im Verlauf des Einspruchsverfahrens reichte der Sohn der Klägerin eine auf ihn lautende, von seiner Mutter bzw. seinem Onkel - dem Kläger - unterzeichnete Vollmachtsurkunde zu den Akten, zufolge derer er nach § 80 AO und § 62 FGO befugt sein sollte, die Kläger in der Erbschaftsteuerangelegenheit Frau C zu vertreten.

Mit Rechtsbehelfsentscheidungen vom 16. August 2005, adressiert und gegen Empfangsbekenntnis zugestellt an den Sohn der Klägerin, wies der Beklagte die Einsprüche der Kläger als unbegründet zurück. Dabei hielt er an seiner Auffassung fest, dass lediglich die Hälfte des den Klägern jeweils angefallenen Œ-Erbanteils, also (jeweils) 1/8 des Gesamterwerbs, dem für Steuerklasse II geltenden - günstigeren - Tarif unterliege, weil das von dem Onkel der Kläger stammende, zum Todeszeitpunkt der Erblasserin noch vorhandene Vermögen nach den unstreitigen Angaben der Kläger auch nur die Hälfte des gesamten Vermögens ausmache.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, zu deren Begründung der prozessbevollmächtigte Sohn der Klägerin im Wesentlichen vorträgt:

Streitig sei zwischen den Beteiligten allein die Anwendung des § 15 Abs. 3 ErbStG, speziell die Auslegung des in Satz 1, letzter Halbsatz enthaltenen Tatbestandsmerkmals "soweit sein Vermögen beim Tode des überlebenden Ehegatten noch vorhanden" sei. Die Kläger seien entgegen der Ansicht des Beklagten der Auffassung, dass ihr Erwerb nicht nur zur Hälfte, sondern in vollem Umfang nach § 15 Abs. 3 ErbStG begünstigt sei.

Das noch vorhandene Vermögen des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin mache im Zeitpunkt ihres Todes unstreitig die Hälfte des Nachlasses aus und reiche mithin zur Deckung des Erbteils der mit dem vorverstorbenen Ehemann näher verwandten Erben - der Kläger - vollständig aus. Erst wenn das noch vorhandene Vermögen nicht genügen würde ("soweit"), käme die steuerrechtliche Fiktion des § 15 Abs. 3 ErbStG für den übersteigenden Erbteil nicht zur Anwendung und es wäre diesbezüglich hinsichtlich der Steuerklasse zu differenzieren (§ 15 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 3 ErbStG). Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Vielmehr seien vorliegend die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 ErbStG für den gesamten Erwerb der Kläger erfüllt mit der Folge, dass ausschließlich die Steuerklasse II maßgeblich sei.

Bereits der Wortlaut der Vorschrift lasse nur die von den Klägern vertretene Auslegung zu. Etwaige noch verbleibende Zweifel würden restlos beseitigt, wenn man sich die aus den Gesetzesmaterialien zu § 23 Abs. 3 ErbStG i.d.F. vom 10. September 1919 (= § 15 Abs. 3 ErbStG) ersichtliche ursprüngliche Formulierung "als der Nachlass dieses Ehegatten zur Befriedigung seiner Verwandten ausreicht" vergegenwärtige. Für das vorbeschriebene Gesetzesverständnis spreche darüber hinaus der Sinn und Zweck der Regelung, zu dessen Vorgängerbestimmung der Reichsfinanzhof (RFH) in seiner Entscheidung vom 21. September 1940 (III e 12/40, RFHE 49, S. 308) ausgeführt habe, die Vorschrift beruhe auf der Erwägung, dass der Erbe den Erwerb des vom erstverstorbenen Ehegatten herrührenden Vermögens dem Willensentschluss dieses Ehegatten verdanke.

Die hier befürwortete Auslegung des § 15 Abs. 3 ErbStG werde im Übrigen auch vom FG Baden-Württemberg geteilt, das mit Urteil vom 29. August 1975 (II 22/74, EFG 1976, 138) in einer vergleichbaren Konstellation zugunsten der Kläger entschieden habe. Ergänzend werde unter Bezugnahme auf dieses Urteil darauf hingewiesen, dass die Kläger ihre Erbeinsetzung durch die Verfügung in Teil II Ziff. 1 des Erbvertrags dem Willensentschluss ihres vorverstorbenen Onkels verdankten. Dies zeige die konsequente hälftige Aufteilung nach den Verwandten des jeweiligen Ehegatten und die auf die jeweiligen Verwandten beschränkte Änderungsmöglichkeit nach dem Tod eines Ehegatten, geregelt in Teil V des Erbvertrags.

Wegen der weiteren Ausführungen zur Sach- und Rechtslage werde auf die Stellungnahmen vom 23. Oktober 2004 und 18. Dezember 2004 sowie die zu den Akten gereichte Kommentarliteratur und Gesetzesmaterialien Bezug genommen.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidungen vom 16. August 2005 und Änderung der Bescheide vom 22. Februar 2005 die Erbschaftsteuer auf 6.180 Euro (je Kläger) herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner im Vorverfahren vertretenen Auffassung fest und verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidungen.

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 13. September 2005 (Kläger) bzw. vom 19. September 2005 (Beklagter) einvernehmlich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage, über die der Senat gemäß § 90 Abs. 2 AO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.

Die angefochtenen Erbschaftsteuerbescheide vom 22. Februar 2005 und die dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 16. August 2005 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat gegen die Vorschrift des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG verstoßen, indem er die den Klägern nach dem Tod der Frau C anfallenden (1/4-)Erbanteile nicht - wie dies zutreffend gewesen wäre - in voller Höhe, sondern nur jeweils zur Hälfte (=1/8) nach dem für das Verwandtschaftsverhältnis zu ihrem vorverstorbenen Onkel geltenden Steuersatz (Steuerklasse II, hier: 12 v.H.) versteuert hat.

1. Die Kläger sind aufgrund des zwischen der Erblasserin und ihrem vorverstorbenen Ehemann - dem Onkel der Kläger - abgeschlossenen Erbvertrags vom 25. Oktober 1983 unstreitig zu jeweils Œ Miterben der im März 2004 (nach-) verstorbenen Erblasserin. Diese Vermögensanfälle unterliegen - ebenfalls unstreitig - als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 1922 BGB).

2. Streitig ist im vorliegenden Fall lediglich die - nach Ansicht des erkennenden Senats zu bejahende - Rechtsfrage, ob die Steuervergünstigung des § 15 Abs. 3 ErbStG jeweils den gesamten Erbschaftserwerb der Kläger oder nur den (hier: œ-) Bruchteil erfasst, der dem Verhältnis zwischen dem Gesamtnachlasswert und dem Wert des darin noch enthaltenen Vermögens des erstverstorbenen Ehegatten entspricht.

a) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG sind im Falle des § 2269 BGB und soweit der überlebende Ehegatte an die Verfügung gebunden ist, die mit dem vorverstorbenen Ehegatten - hier dem Onkel der Kläger - näher verwandten Erben (die Kläger) als seine Erben anzusehen, soweit sein Vermögen beim Tode des überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist.

Die beiden erstgenannten Voraussetzungen liegen im Streitfall unzweifelhaft vor. Der notarielle Erbvertrag vom 25. Oktober 1983 regelt - für Berliner Testamente i.S. des § 2269 BGB wesenstypisch - zunächst die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten und bestimmt hinsichtlich der Erbfolge nach dem Längstlebenden von ihnen, dass der beiderseitige Nachlass jeweils zur Hälfte auf "einen Dritten", nämlich einerseits die drei Cousinen der Ehefrau (Erblasserin) und andererseits den Bruder des Ehemannes (= Vater der Kläger), an dessen Stelle die Kläger als Ersatzerben getreten sind, übergehen soll. Auch ist die nach § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG erforderliche Bindungswirkung der wechselbezüglichen Verfügungen (§ 2270 BGB) im Streitfall mit dem Tod des vorverstorbenen Onkels der Kläger eingetreten. Denn für den hier maßgeblichen Fall des Vorversterbens des Ehemannes sieht eine dem maschinenschriftlichen Vertragstext handschriftlich hinzugefügte Anordnung im Erbvertrag vom 25. Oktober 1983 vor, dass Frau C eine andere Verfügung von Todes wegen (zu ergänzen: nur) treffen kann, soweit ihre Cousinen betroffen sind. Aus dieser auf die Verwandten des eigenen Stammes beschränkten Änderungsbefugnis des überlebenden Teils ergibt sich im Umkehrschluss, dass das Schlusserbenrecht der Verwandten des anderen Teils - hier also der mit dem vorverstorbenen Ehegatten (näher) verwandten Kläger - der einseitigen Verfügungsbefugnis des überlebenden Ehegatten entzogen sein sollte.

b) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist vorliegend auch die einschränkende Tatbestandsvoraussetzung des § 15 Abs. 3 Satz 1, letzter Halbsatz ErbStG mit der Maßgabe erfüllt, dass die Steuerklassenbegünstigung den gesamten Erwerb der Kläger von Todes wegen erfasst.

aa) § 15 Abs. 3 Satz 1, letzter Halbsatz ErbStG begrenzt die Anwendung der für das Verhältnis des Erben zum vorverstorbenen Ehegatten maßgebenden (günstigeren) Steuerklasse, indem er bestimmt, dass diese der Besteuerung des Erwerbs nach dem letztversterbenden Ehegatten (nur) zugrunde zu legen ist, "soweit sein (des erstverstorbenen Ehegatten) Vermögen beim Tode des überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist". Nach den vom Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben der Kläger besteht der Aktivnachlass der Erblasserin, dessen Wert ausweislich der Steuerberechnung des Beklagten in den Bescheiden vom 22. Februar 2005 insgesamt 291.995 Euro beträgt, je zur Hälfte aus ihrem eigenen Vermögen und dem Vermögen ihres vorverstorbenen Ehemannes. Im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin war daher unstreitig noch Vermögen ihres vorverstorbenen Ehegatten im Wert von 145.997,50 Euro vorhanden. Ob dieses Vermögen in seiner gegenständlichen Zusammensetzung nach dem Tod des Onkels der Kläger unverändert geblieben ist oder einzelne Gegenstände durch Surrogate ersetzt worden sind, kann dabei auf sich beruhen, da es im Rahmen des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG allein auf den wertmäßigen Fortbestand des dem erstverstorbenen Ehegatten gehörenden Vermögens ankommt (Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer, Kommentar, § 15 Rz. 50, Troll / Gebel / Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 15 Rz. 152, und Knobel in Viskorf / Glier / Hübner / Knobel / Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 2. Auflage, § 15 Rz. 74). Da die Kläger die Erblasserin zu jeweils Œ-Anteil beerbt haben, ihnen zusammen also die Hälfte des Nachlasses als Erwerb von Todes wegen anfällt, reicht das beim Tod der Erblasserin noch vorhandene, 50 v.H. ihres Nachlasses ausmachende Vermögen des Onkels der Kläger aus, um deren Bruttoerwerb von jeweils 72.998 Euro, insgesamt also 145.996 Euro, in voller Höhe auszukehren.

bb) Der erkennende Senat vermag der abweichenden Gesetzesauslegung des Beklagten nicht zu folgen, der das den letzten Halbsatz des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbSt einleitende Bindewort "soweit" nicht auf den absoluten Wert des beim Tod des letztversterbenden Ehegatten noch vorhandenen Vermögens des Erstverstorbenen (145.997,50 Euro) bezieht, sondern diesen Wert (145.997,50 Euro) zu dem Wert des beim Tod des letztversterbenden Ehegatten insgesamt noch vorhandenen Vermögens (291.995 Euro) ins Verhältnis setzt (œ = 50 v.H.) und den Erwerb nach dem letztversterbenden Ehegatten (brutto 72.998 Euro je Kläger) nur in Höhe des dieser Quote (œ = 50 v.H.) entsprechenden Betrags (36.499 Euro je Kläger) der für das Verhältnis zum erstverstorbenen Ehegatten maßgebenden - günstigeren - Steuerklasse (II) unterwirft. Dieses Normverständnis steht nicht im Einklang mit dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, als unbillig empfundene Härten, die sich bei strikter Anknüpfung an die zivilrechtliche Einheitsbetrachtung beim Berliner Testament (§§ 2269 ff BGB) ergäben, durch eine hiervon abweichende erbschaftsteuerrechtliche Regelung zu verhindern.

Beim Berliner Testament ist nach der Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB bürgerlichrechtlich im Zweifel anzunehmen, dass der Dritte (Schlusserbe) für den gesamten Nachlass als Erbe des Zuletztversterbenden eingesetzt ist, der Dritte also das beim Tod des Längstlebenden noch vorhandene Vermögen beider Ehegatten als einheitliche Vermögensmasse von dem Letztversterbenden erwirbt. Der Besteuerung wäre danach ohne eine vom Zivilrecht abweichende Sonderregelung ausschließlich die Steuerklasse zugrunde zu legen, der der (Schluss-)Erbe aufgrund seines Verwandtschaftsverhältnisses zu dem zuletzt verstorbenen Ehegatten angehört. Dieses Ergebnis hielt der Gesetzgeber - wie es in der Gesetzesbegründung zu § 15 Abs. 3 ErbStG (vormals § 10 Abs. 3 ErbStG 1959) wörtlich heißt - "in den Fällen für unbillig, in denen das Vermögen von dem zuerst verstorbenen Ehegatten stammt und der Erbe aufgrund seines Verwandtschaftsverhältnisses zu diesem Ehegatten in eine günstigere Steuerklasse fällt" (BT-Drucks. VI 3418, S. 69, vgl. hierzu auch BFH-Urteile vom 16. September 1982 II R 20/81, BFHE 136, 552, BStBl. II 1983, 44, vom 26. September 1990 II R 117/86, BFHE 162, 97, BStBl. II 1990, 1067, und vom 16. Juni 1999 II R 57/96, BFHE 189, 537, BStBl. II 1999, 789). Zur Vermeidung steuerlich unangemessener Nachteile in Fallkonstellationen der vorgenannten Art sieht § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG daher in Anlehnung an das Recht der Vor- und Nacherbfolge vor, dass der Schlusserbe, der aufgrund einer nach § 2270 BGB bindenden Verfügung zur Erbfolge gelangt, als Erbe des - näher mit ihm verwandten - Erstverstorbenen und nicht als Erbe des Letztversterbenden anzusehen ist. Diese bewusst vom Zivilrecht abweichende Fiktion gilt nach der Einschränkung in § 15 Abs. 3 Satz 1, letzter Halbsatz ErbStG allerdings nur, "soweit" das Vermögen des Erstverstorbenen beim Tod des Letztversterbenden noch vorhanden ist (Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Auflage, § 15 Rz. 28).

Ausgangspunkt der gesetzgeberischen Überlegungen war dabei die Erkenntnis, dass in den Fällen, in denen - wie hier - nur ein Teil des Nachlassvermögens von dem vorverstorbenen Ehegatten stammt, "die Problematik ... die gleiche ist wie in den Fällen der Vor- und Nacherbschaft, wenn dem Nacherben außer dem Nacherbschaftsvermögen auch noch eigenes Vermögen des Vorerben anfällt" (BT-Drucks. VI 3418, S. 70). Da das ErbStG für die Behandlung der letztgenannten Sachverhalte in § 6 Abs. 2 ErbStG besondere Regelungen vorsah, hielt der Gesetzgeber es wegen der aufgezeigten Parallelen für sachgerecht, diese Regelungen auch bei der Schlusserbenfolge aufgrund des Berliner Testaments anzuwenden. Diese Erwägungen haben schließlich dazu geführt, dass in § 15 Abs. 3 Satz 2 ErbStG eine Rechtsfolgenverweisung auf die Regelungen der Vor- und Nacherbfolge (§ 6 Abs. 2 Sätze 3 bis 5 ErbStG) aufgenommen wurde (vgl. hierzu BT-Drucks. VI 3418, S. 70). Das erkennbare Bestreben des Gesetzgebers, Sachverhalte der vorliegenden Art unter bewusster Ausblendung der Zivilrechtslage erbschaftsteuerrechtlich genauso zu behandeln wie die vorbeschriebenen "Mischerwerbe" bei der - dem Trennungsprinzip folgenden - Vor- und Nacherbschaft, würde jedoch nur unvollständig umgesetzt, wenn man die Vorschrift des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG so verstünde, wie es der Beklagte getan hat. Dann nämlich würde der Erwerb der mit dem vorverstorbenen Ehegatten (näher) verwandten Erben - hier der Kläger - lediglich zu 50 v.H. nach der für dieses Verwandtschaftsverhältnis maßgebenden (günstigeren) Steuerklasse versteuert, obwohl der Wert des ihnen anfallenden Erwerbs von Todes wegen den Wert des vom erstverstorbenen Ehegatten herrührenden Vermögens nicht übersteigt, vielmehr bei fiktiver Trennung der Vermögensmassen beider Ehegatten ausschließlich das Vermögen auf die Kläger übergeht, das von ihrem vorverstorbenen Onkel stammt. Der Rechtsauffassung des Beklagten liegt die Überlegung zugrunde, dass sich der den Klägern anfallende Erbanteil infolge Vermischung aus den Vermögensmassen beider Ehegatten zusammensetzt. Dabei wird jedoch übersehen, dass das zivilrechtliche Einheitsprinzip für Erbschaftsteuerzwecke bewusst suspendiert und in Anlehnung an das Recht der Vor- und Nacherbschaft gedanklich so getan wird, als ob der Erwerb der mit dem vorverstorbenen Ehegatten (näher) verwandten Erben zu 100 v.H. aus dem noch vorhandenen Vermögen dieses Ehegatten bestehe.

3. Die Erbschaftsteuer der Kläger ist ausgehend von den vorbeschriebenen Grundsätzen wie folgt zu berechnen:

Erbanteil je Kläger:|61.872 Euro

Abzgl. Freibetrag (§ 16 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m.

§ 15 Abs. 1, 3 ErbStG):|10.300 Euro

= Steuerpflichtiger Erwerb (abgerundet):|51.500 Euro

X Steuersatz für Steuerklasse II (12 v.H.)

= festzusetzende ErbSt je Kläger:|6.180Euro

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3, § 155 FGO i.V.m. § 709 ZPO.

III. Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil ein über den vorliegenden Einzelfall hinausgehendes Interesse an einer höchstrichterlichen Entscheidung darüber besteht, wie die "soweit" - Beschränkung im letzten Halbsatz des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG zu verstehen ist.

Ende der Entscheidung

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